Bestien von Haygenhast - C. Gina Riot - E-Book

Bestien von Haygenhast E-Book

C. Gina Riot

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Beschreibung

Ausgezeichnet mit dem Goldenen Stephan für das Beste Phantastik-Werk des Jahres 2022 Presse: »Ein packender Fantasy-Thriller aus dem Universum der Erdenwelt. ›Bestien von Haygenhast‹ entpuppt sich als extrem spannend, äußerst humorvoll und räumt nebenher auf natürliche Art und Weise mit den Geschlechterstereotypen auf.« - Orkus! Magazin Während in Haygenhast das Ahnenfest gefeiert wird, flüstert der Wald von Wahnsinn und Tod. Zwei Trunkenbolde betreten zur Mutprobe den Flüsterwald und kehren verändert zurück. Der Handlanger des Königs wird beauftragt, die Mythen zu entschlüsseln und herauszufinden, was den Wald zum Flüstern bringt. Denn die beiden Trunkenbolde waren nicht die ersten und im Dorf erzählt man sich die schaurigsten Legenden. Gemeinsam mit zwei Kriegerinnen, einem abenteuerlustigen Barden und einem Dörfischen begibt sich der Handlanger in den Flüsterwald, um den Fluch zu brechen. Doch jeder hat sein eigenes Motiv. Und wer die Aufgabe nicht erfüllen kann, könnte verlieren, was ihm das Wichtigste ist. Small Scale Fantasy mit Plot Twists, Mystik, Abenteuern und einer Prise Sarkasmus in einem mittelalterlichen Setting. Wer andere Titel der Autorin gelesen hat, findet in ›Bestien von Haygenhast‹ das ein oder andere Easteregg. Dennoch ist dieser Fantasy-Einzelband unabhängig lesbar, spielt jedoch in derselben fiktiven Erdenwelt wie alle anderen Bücher von C. Gina Riot.

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Bestien von Haygenhast

C. Gina Riot

2.Auflage

© 2022 C. Gina Riot

All rights reserved.

Lektorat: Angela Huber

Korrektorat: Rebekka Maria Peckary, Federnote

Cover Design | Satz & Layout | Karte: LAYOUTRIOT - Agentur für Werbung und Design

www.layoutriot.at

www.dienerdesordens.at

Für den Bihänderaxt-schwingenden-Obermetallrat-Steuereintreiber-Pett

Prolog

Brendon

In dem kleinen Dorf Haygenhast in Flusswall, im Tal zwischen grünen Bäumen und den atemberaubenden Gebirgen, brach gerade der Frühling an. Der letzte Frost verlor sich in saftigem Gras und das Moos auf den Baumstämmen erfuhr die frische Frühlingsluft. Dies war die Zeit, auf die sie sich das gesamte Jahr freuten. Die Zeit des Ahnenfests. Sobald der erste Schnee schmolz, begannen die Menschen, Lampions aufzuhängen, Strohballen mit bunten Fahnen zu zieren und farbige Zeltplanen über Holzmasten zu spannen. Das Ahnenfest. Was einst noch ein magischer Brauch gewesen war, war nun zu einem Fest der Ausgelassenheit und Völlerei verkommen. Es dauerte vierzehn Tage an und nirgends feierte man es so fidel wie in Haygenhast. Das behaupteten zumindest die Bewohner Haygenhasts.

Es war an einem Abend, knapp eine Woche vor dem Ahnenfest. Ein paar wenige Dorfbewohner waren noch damit beschäftigt, die letzten Vorkehrungen für das Fest zu treffen. Nicht so Brendon und seine Saufkumpanen. Die drei Trunkenbolde saßen noch immer in der einzigen Taverne des Dorfs zusammen und wollten nicht zum Ende kommen. Brendon, Krux und Amhor waren die letzten Gäste und der Tavernenwirtin sah man bereits an, dass sie schon schließen wollte. Doch das kümmerte Brendon und die beiden schwarzhaarigen Zwillinge mit den kleinen Schweinsaugen nicht im Geringsten. Sie verlangten nach noch einer Runde Drunenwein und Brendon zückte die Tockenkarten.

»Wer spielt gegen mich? Krux?«

»Das kommt ganz auf den Einsatz an«, erwiderte Krux mit bereits schwerer Zunge.

Brendon zuckte mit den Schultern.

»Ist mir ganz egal«, lallte er.

Seine Lippen umspielte bereits ein bezechtes Lächeln und rötliche Flecken färbten sein Gesicht.

»Aber das ist jetzt die letzte Runde. Danach verschwindet ihr«, brummte die Tavernenwirtin, als sie nur einen Moment später mit drei halb gefüllten Krügen Drunenwein neben ihnen auftauchte. »Und abkassieren werde ich auch sofort.«

»Wie die Steuereintreiber aus der großen Stadt«, meckerte Amhor und zückte seinen Beutel.

»Ich geb dir gleich Steuereintreiber, du nichtsnutziger Trunkenbold. Warte nur, wenn du nicht gleich spurst, dann kommt dich der Pett holen.« Graude, die Tavernenwirtin, erhob drohend die Rechte.

»Nicht der Bihänderaxt-schwingende-Obermetallrat-Steuereintreiber-Pett!«, stieß Amhor voll Schreck aus.

Die drei Männer warfen alle verfügbaren Metallmünzen auf den Tisch und schoben sie wirr hin und her.

»Wie viel ist das?«, fragte Brendon und kniff die Augen zusammen. »Da nimm! Wird bestimmt so... hicks ...stimmen.«

»Ihr seid mir ja ein schön besoffener Haufen.« Graude griff sich in völligem Wissen darüber, dass sie ihr zu viel bezahlt hatten, all die Metallmünzen.

»Da ist ja fast nichts drin«, beschwerte sich Krux, als er den Krug angesetzt hatte.

»Austrinken und dann Abmarsch, meine Herren! Mehr gibt es erst morgen wieder.«

»Was für eine Gemeinheit«, grummelte Amhor. Er nahm Brendon die Karten aus der Hand.

»Aber tockeln dürfen wir wohl noch«, lallte Krux.

»Wer verliert, geht in den Wald«, beschied Amhor und sah in die Runde. »Brendon, du gegen ich.«

»Du gegen mich, heißt das, du Hundearsch«, erwiderte Brendon mit dämlichem Grinsen.

»Sag ich doch. Also, du und ich, wir spielen und wer verliert, muss in den Flüsterwald gehen.«

»Ich geh‘ bestimmt nicht in den Flüsterwald. Aber du kannst gern die Nacht mit den Waldtrollen und Goblins und Gremioren verbringen, wenn du so dumm bist«, entgegnete Brendon.

»Du verlierst aber«, prophezeite Amhor.

Den Flüsterwald umwoben eine düstere Magie und noch finsterere Mythen. In Flusswall gab es viele Bestien, doch im Flüsterwald, so sagte man sich, gab es sie alle. Da waren Trolle, die man besser nicht wecken sollte. Goblins, die hinterhältig, falsch und bloß auf ihr eigenes Wohl bedacht waren. Schabernack treibende Unholde. Ein finsterer Waldschrat und allerhand anderer garstiger Wesen. Wer vernünftig war, setzte keinen Fuß in diesen Wald. Doch die Trunkenbolde, allen voran die Zwillinge Amhor und Krux, waren alles andere als vernünftig.

Amhor ergriff seinen Drunenwein − einen Weißwein mit erhöhtem Säuregehalt, der mit Fichtennadeln versehen war, in Flusswall auch Drunen genannt − nahm einen großen Schluck und mischte daraufhin die Karten. Sehr ungeschickt, denn während seiner kläglichen Versuche, die Karten ineinanderzustecken, fielen sie ihm drei Mal aus der Hand, bevor die Tavernenwirtin erneut am Tisch auftauchte und ihnen mit dem Kochlöffel drohte. Und sie konnte zuschlagen! Alle drei hatten den langstieligen Holzlöffel bereits zu spüren bekommen. Doch heute schworen sie feierlich, dass sie sie nicht verärgern würden. Die Tavernenwirtin warf ihnen einen finsteren Blick zu, bückte sich und hob die Tockenkarten auf. Doch anstatt sie wieder an die drei betrunkenen Gäste auszuhändigen, steckte sie sich diese in den Ausschnitt ihres fleckigen Hemdes.

»Kein Tockeln und kein Unfug mehr«, schimpfte sie mit dem erhobenen Holzkochlöffel in der Rechten. »Jetzt wird eifrig ausgetrunken und dann macht ihr, dass ihr nach Hause kommt!«

»Was für eine Gemeinheit«, echauffierte sich Amhor abermals.

Mit kleinen Schritten wackelte die beleibte Tavernenwirtin mit dem fleckigen Hemd, der ungebundenen Haube, aus der zwei aschgraue Knoten baumelten, und den Holzpantoffeln zurück hinter die Theke und wischte abermals dieselbe Fläche mit einem alten Lappen sauber.

»Ist mir scheißegal. Wir gehen trotzdem in den Flüsterwald«, bestimmte Krux mit schwerer Zunge.

Er beugte sich über den Tisch und stützte den Ellenbogen ab. Dann platzierte er die Wange auf der Faust, rutschte ab und landete mit dem Gesicht auf der Tischplatte. Brendon und Krux‘ Zwillingsbruder Amhor brüllten vor Lachen.

»Jetzt ist aber bald Ruhe! Meine armen, alten Knochen«, sagte Graude. »Womit hab ich diese Dorftrottel bloß verdient?«

»Stimmt gar nicht«, rief Amhor. »Wir sind nicht die Dorftrottel. Der Dünne Dohle, das ist der Dorftrottel.«

»Du hältst dich wohl für oberschlau, Bürschchen«, keifte sie hinter der Theke hervor. »Austrinken und dann ab in eure Hütten, bevor ich euch die Löffel langziehe!«

»Bitte nicht die Löffel«, wimmerte Amhor und verbarg seinen Kopf hinter den Armen.

Die Tavernenwirtin lachte müde.

»Warum wollt ihr zwei Tölpel unbedingt in den Flüsterwald?«, fragte Brendon, von den dreien sichtlich noch der Nüchternste.

»Mutprobe«, brachte Amhor mit schwerer Zunge heraus.

»Du willst bestimmt die junge Madam Hitt beeindrucken«, neckte er ihn. »Die mit den Titten.«

»Alle Weiber haben Titten«, meckerte Graude hinter der Theke hervor. »Dummköpfe.«

»Aber die junge Madam Hitt hat sooooo große.« Amhor deutete mit einer übertriebenen Darstellung vor seinem eigenen Brustkorb die Größe an.

»Sie ist aber auch ein bisschen dick«, sagte Brendon.

»Dick oder nicht dick. Wir reden hier von Titten, nicht von ...« Amhor wusste selbst nicht, wie das Ende dieses Satzes lauten sollte, also verharrte er mit wackeligem Rumpf auf dem Stuhl und schnalzte mit der Zunge.

»Aber nett ist sie, die Madam Hitt«, sagte sein Zwillingsbruder mit erhobenem Zeigefinger. »Nett. Auch ihre Titten.«

»Meine Herren, ein wenig Respekt, wenn ich bitten darf! Ihr redet hier nicht von irgendeinem dahergelaufenen Bauerntrampel. Das ist die Madam Steuereintreiberin aus der Stadt des Königs und nicht irgendeine Dirne, die ihr begaffen könnt.«

»Du bist ja nur neidisch, Graude. Nur neidisch, weil wir dich nicht begaffen«, lallte Krux.

Die Tavernenwirtin hob drohend den Holzkochlöffel.

»Ach, lass dich doch ein wenig necken«, sagte Krux.

»Ihr Mannsbilder seid richtige Schweine«, schimpfte Graude. »Und da fragt mich noch einer, warum ich Jungfer geblieben bin.«

Die drei Betrunkenen gaben ihr keine Antwort, sondern widmeten sich wieder ihrem Drunenwein.

»Aber einen hübschen Hintern hat sie auch, die werte Madam Steuereintreiberin«, sagte Krux nach einer Weile.

Der Holzkochlöffel traf vernehmlich auf die Theke und die drei Männer verstummten abrupt. Graude warf ihnen noch einen respektfordernden Blick zu. Aber lange dauerte es nicht an, bis die drei wieder spitzbübisch zu kichern begannen. Die Tavernenwirtin kam hinter dem Schanktisch hervor und schlug den beiden Zwillingen abwechselnd mit dem feuchten Lappen auf die Hinterköpfe. Krux duckte sich darunter weg und lachte frech.

»Nicht erwischt«, grölte er amüsiert.

»Na, warte du nur!« Graude schlug ihm den Lappen erneut um die Ohren und ging wieder auf die Theke zu.

»Ich habe meinen Drunenwein verschüttet«, verkündete Krux betrübt. »Du schenkst mir doch bestimmt noch ein winziges Schlückchen nach, Graude.«

Sie warf ihm einen feurigen Schulterblick zu. Er hielt Daumen und Zeigefinger vor sein linkes, halb geöffnetes Auge und schob sie ganz eng zusammen. Die Tavernenwirtin wandte sich ab. Sie zückte den Schlüssel, der an dem klirrenden Bund hing und rasselte damit aufdringlich. Das war das eindeutige Zeichen für die drei sturzbetrunkenen Männer, die Taverne zum gemolkenen Auerhahn zu verlassen.

»Und jetzt?«, fragte Krux als die Tür hinter ihnen zugeschlagen wurde. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Immer wieder schwankte er und konnte gerade noch rechtzeitig die Balance wiederfinden.

»Jetzt gehen wir in den Wald«, erwiderte sein Zwillingsbruder Amhor mit wild gestikulierendem erhobenem Zeigefinger.

Brendon lachte die beiden aus.

»Graude hat ganz recht. Ihr seid wirklich die Dorftrottel von Haygenhast«, sagte er. »Geht nur in den Flüsterwald, wenn ihr so tölpelhaft seid. Ich für meinen Teil gehe jetzt ins Bett.«

»Du bist ein Hahnenfuß, Brendon. Ein feiger, kleiner Hahnenfuß«, lallte Krux mit Unterbrechungen durch Singultus. »Ein winzig kleiner Hahnenfuß.«

Dann machte er Hennengeräusche und watschelte wie eine Ente umher. Er glaubte wohl, damit konnte er Brendon umstimmen. Doch der wandte sich einfach von ihnen ab und ging, mit den Daumen im Gürtel eingeklemmt und einem Trinklied auf den Lippen, nach Hause − Also zwei Hütten weiter. Er stolperte zur Tür hinein, stieß mit dem Fuß gegen den kleinen Lump, einen Jagdhund, der ausgerechnet in Brendons berauschtestem Zustand hinter der Eingangstür liegen musste, taumelte und fiel mit dem Gesicht voran auf den knarzenden Holzboden. Nur Augenblicke darauf begann er bereits zu schnarchen.

Ein paar Stunden später wurde er von einem Frauenschrei wieder geweckt. Als er den Kopf hob, konnte er sich allerdings weder daran erinnern, was ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, noch, wo er sich befand. Benommen blickte er umher und erkannte den Boden hinter der Eingangstüre. Sein Schädel brummte und er vernahm ein dröhnendes Geräusch in seinem Innenohr. Unter Schnauben hievte er sich hoch und stolperte in seine Schlafkammer.

Es war nur ein winziger Raum, der nicht mehr Platz bot als für ein Bett aus zwei Heuballen, die mit einem Leinentuch bedeckt waren und einer Truhe, auf der eine bis zu einem Stummel abgebrannte Kerze stand. Die Hütte, in der er wohnte, war nicht sonderlich groß und den wenigen Platz, den sie bot, musste sich Brendon mit seinem Vater und dessen Vater teilen. In Haygenhast war es nicht unüblich, dass mehrere Generationen unter einem Dach wohnten. Besonders dann nicht, wenn die Söhne unverheiratet waren. Und Brendon war das Paradebeispiel eines Junggesellen. Sehr zum Leidwesen seines Vaters hatte er nur Flausen im Kopf. Zu gern trank er einen über den Durst, umgab sich mit den größten Tölpeln des Dorfes und hetzte irgendwelchen Röcken hinterher. Sein Vater Geraldin missbilligte dieses Verhalten. Wenn es nach ihm ginge, hätte der bald dreißigjährige Sohn Brendon schon längst ein Weib gefunden, mit dem er gemeinsam die Felder bestellte und die Schafe hütete. Aber Brendon dachte nicht daran.

Er zog den Lodenstoff, der ihm als Bettdecke diente, bis über die Schulter und drückte sein Ohr aufs Daunenkissen. Sein Schädel dröhnte. Mit der kalten Hand presste er fest gegen seine hitzige Stirn und der Schmerz ließ nach. Es kam ihm vor, als würden seine Finger den Schmerz ableiten, doch wenn er die Hand wieder wegnahm, pochten seine Schläfen erneut. Als er die Augen wieder geschlossen hatte, drang Gelächter an sein Ohr. Grummelnd drehte er sich auf die andere Seite. Wieder Lachen. Nun konnte er nicht mehr einschlafen. Sein Mund fühlte sich ausgetrocknet an und das Gelächter drang so laut durch die Ritzen seiner Fensterläden, dass er das Gefühl hatte, jemand stünde direkt vor seinem Bett. Er zog die Lodenstoffdecke bis über den Kopf und wälzte sich auf die andere Seite. Dann kam es erneut. Ein hysterisches Lachen, heiser und grausam. Erst war es nur ein Gelächter, dann lachte noch jemand anderes. Genervt schlug er die Decke zurück und rappelte sich auf. Das Fenster lag direkt über seinem Bett; zwei Holzläden, die von innen mit einem Metallriegel verschlossen waren. Er öffnete sie einen Spalt und sah hinaus. Kalte Luft drang herein. Er zitterte, aber er sah nichts. Als das Gelächter erneut ertönte, öffnete er die zweite Seite und lehnte sich hinaus in die kalte Nachtluft. Dann sah er sie. Krux und Amhor am Ende des Weges, fünf Hütten weiter vor den Stallungen des Meisters Degen. Nur schemenhaft nahm Brendon die Umrisse durch seine, in Folge von zu viel Drunenwein in Mitleidenschaft gezogenen Augen, wahr. Er blinzelte die Schleier fort und das verzerrte Bild gewann an Schärfe. Krux stand auf der einen Seite der Tränke und Amhor auf der anderen. Beide hatten ausdruckslose Blicke, aber ein hysterisches Lachen auf den Lippen. Gleich darauf bot sich Brendon ein derart verstörendes Bild, dass ihm der Schreck bis ins Mark drang. Krux hatte ein Weib bei der Hüfte gepackt. Der Rock war ihr bis über die Schultern hochgezogen worden und er nahm sie mit brutalen Stößen, während Amhor ihren Kopf unter Wasser tauchte. Brendon war wie paralysiert. Krux keuchte, stöhnte und zwischendrin lachte er grotesk. Amhor, den Brendon besser erkannte, da er ihm zugewandt stand, drückte den Kopf des hilflosen Weibes mit beiden Händen brutal in die Pferdetränke und johlte. Beide hatten einen milchigen, trüben Blick und Amhors Gesichtsausdruck empfand Brendon als weit verstörender als die Tat, die sie beide begingen. Die rundliche Frau zuckte mit dem ganzen Leib und trat um sich, doch das kümmerte die Zwillinge nicht. Krux wurde immer brutaler, bis Amhor wohl plötzlich beschloss, mit ihm den Platz tauschen zu wollen. Krux fauchte und vergewaltigte das zuckende Weib weiter. Brendon glaubte, ihr Gurgeln bis in seine Schlafkammer zu vernehmen. Krux schrie plötzlich bestialisch auf und rammte seine Hüften mit ein paar letzten Stößen kräftiger gegen das entblößte Gesäß der Frau, das bei jedem Dagegenschlagen schaukelte. Danach tauschten die Zwillinge die Plätze und als das Weib den Kopf kurz ruckartig über Wasser zog, konnte Brendon ihr Gesicht erkennen. Es war die Steuereintreiberin, die vor zwei Tagen ins Dorf gekommen war. Madam Hitt. Brendon war wie erstarrt. Er hätte eingreifen müssen, doch er konnte sich nicht rühren. Er wollte wegsehen, doch er konnte nicht. Konsterniert spähte er aus dem offenen Fenster. Krux packte das Weib am blonden Schopf und tauchte ihren Kopf wieder in die Pferdetränke, während Amhor seinen Gürtel aufschnallte und die Hosen runterließ. Eiskalte Luft, eine letzte Erinnerung an den nachhallenden Winter, ließ Brendon, der auf seinem Bett kniete, erzittern. Amhor packte das Weib um den drallen Hintern und hieb brutal und schnell in sie hinein. Krux‘ starrer Blick war auf Amhors Gesicht gerichtet. Die beiden johlten wie geisteskranke Hunde. Brendon wurde ganz furchtbar zumute. Sein Oberkörper war von Gänsehaut überzogen. Obwohl es das Schrecklichste war, das er je gesehen hatte, konnte er nicht wegsehen. Es dauerte nicht lange an, bis Madam Hitt zu zucken aufhörte und die Arme schlaff an der Pferdetränke hinabbaumelten. Aber Amhor hörte nicht auf, sie von hinten zu stoßen. Krux zog sein Messer aus der Lederscheide seines Gürtels und begann damit, am Genick der Toten zu säbeln. Amhor brüllte, und danach machte er einen Schritt zurück, zog sich die braune Leinenhose wieder hoch und schnürte sie zu. Brendon starrte. Krux hatte der Madam indes den Nacken bis zum Knochen aufgeschnitten. Wieder lachten die beiden hysterisch auf. Dann nahm Krux das Messer hoch, ließ den halb abgetrennten Kopf der Madam in der Tränke niedersinken und setzte es an seinem Hals an. Grotesk lachend schnitt er sich mit einem ruckartigen Zug die Kehle durch und sein kreischendes Wiehern wurde durch ein dumpfes Röcheln unterbrochen. Abwechselnd lachte und gurgelte er. Amhor nahm ihm das Messer aus der Hand und setzte es an seine eigene Kehle. Brendon riss die Augen auf. Dann schlitzte sich auch Amhor mit einem raschen Schnitt die Kehle auf und während sie unter Röcheln und Gurgeln verbluteten, lachten sie weiter, bis ein dumpfer Aufprall auf dem Erdboden beide verstummen ließ. Und zurück blieb nichts als Totenstille.

I. Kapitel

Bronnwick

Flusswall. Fernab der düsteren Magie der Obligaten, fernab der Kriege und der Machtkämpfe lag am Rande der bekannten Karte des Weltenzentrums, genau im Bug, das Land der rauschenden Flüsse, der anmutigen Gebirge und der Wälder. Hier herrschten eine eigene Magie und eine seltene Ruhe, die nirgends sonst in der gesamten Erdenwelt zu finden war.

Der peitschende Hufschlag scheuchte die Krähen auf, die sich auf den brach liegenden Kürbisfeldern der Bauern niedergelassen hatten. Bronnwick trieb seinen alten, müden Gaul an, der dem Gemütszustand seiner selbst glich. König Redan erwartete schon ungeduldig sein Erscheinen. Inbrünstig hoffte Bronnwick darauf, endlich aus seinem Dienst entlassen zu werden. Jedes Mal lockte ihn der König erneut mit dem Ruhestand, jedes Mal versprach er ihm, nur noch einen letzten Auftrag erfüllen zu müssen, bevor er sich endgültig niederlassen und seine Ländereien beziehen durfte. Doch dieses Mal war Bronnwick sich gewiss. Dies musste der letzte Auftrag gewesen sein, dann war er aus den Diensten als Handlanger des Königs entlassen. Er erreichte die Hauptstadt am frühen Vormittag. Hochwantgen war nur über eine Straße erreichbar, die durch das waldige Tal östlich der Stadt verlief. Ringsum war sie von einer hohen Mauer umgeben und von Gebirgen eingekesselt. Bronnwick war eben erst aus dem Westen des Landes zurückgekehrt. In die Grenzwälder hatte König Redan ihn geschickt, um einen unwürdigen Auftrag zu erfüllen. Und nun war er tagelang geritten, bis seine Schenkel wund waren und sein Gaul müde. Als er das Tor passiert und die Stadtmauer hinter sich gelassen hatte, schwang er sich von seinem Pferd und übergab die Zügel dem Stallburschen. Der müde Gaul schnaubte verächtlich und Bronnwick konnte es ihm nachempfinden.

»Verzeih mir, alter Knabe«, brummte er, während er die Hand über die Mähne des Pferdes gleiten ließ.

Abermals schnaubte der Gaul und peitschte seinen Kopf zur Seite. Bronnwick streifte den dunkelbraunen Lederhandschuh ab und strich ihm über den Nasenrücken. Der Gaul blähte die Nüstern und schnaubte. Er schnappte sachte nach Bronnwicks Fingern und befühlte sie mit seinen Lippen.

»Und gebt dem Alten eine extra große Karotte von mir«, empfahl Bronnwick, bevor er am Absatz kehrtmachte und auf die Burg des Königs zumarschierte. Nachdem er nun ein paar Tage durch Dörfer und über seelenlose Wege geritten war, war er glücklich, wieder in seiner Stadt zu sein. Hier beherrschte zumindest ein Teil der Bevölkerung das Lesen und Schreiben. Vor den Toren der Königsburg tummelten sich geschäftige Arbeiter. Pferdekarren rollten über den Pflasterstein und ringsum vor dem Burgtor säumten ein paar Marktstände die Wege. Einer der Barden gab den Marktschreier für sie und untermalte seine Rufe mit Gesang und ab und an auch Lautenklängen. Bronnwick kaufte sich für einen Metalltaler einen Apfel und betrat pfeifend und breitspurigen Schrittes die Königsburg.

Aus dem Thronsaal drangen laute Stimmen nach draußen in die Ritterhalle: ein breiter Raum, der an allen Seiten offen und von Zinnen umzäunt war. Hier warteten die Berater, Handlanger und enge Vertraute des Königs auf die Audienz. Der Name Ritterhalle hatte eine lange Tradition. Vor vielen Dekaden wurden lediglich Ritter in den engsten Beraterstamm des Königs aufgenommen, doch das war lange vor König Redans Zeit. König Redan machte jene zu seinen engsten Vertrauten, die ihm zu Gesicht standen, nicht jene von hoher Geburt. So war auch Bronnwick, ein einfacher Landsmann, irgendwann in den Stand eines Handlangers aufgestiegen. Die Stellung tat ihm nicht weh, denn die Metalltaler füllten stets seine Börse. Doch die Aufträge wurden von Mal zu Mal absurder und Bronnwick wurde mit jedem Auftrag älter und müder. Er hatte die fünfzig längst passiert und bei seinem Lebenswandel machte es sich allmählich bemerkbar, dass er nicht mehr der Jüngste war. Das Kreuz schmerzte, die Ringe unter den Augen wurden zahlreicher und die Falten vermehrten sich wie die Ratten in der Gosse. Aber König Redan hielt große Stücke auf ihn, weshalb er ihn häufiger zu sich rufen ließ, als die meisten anderen.

»Na, woher kommst du gerade, Bronn?«

Eine tiefe Stimme hieß ihn in der Ritterhalle willkommen. An einem Steintisch an der grauen Mauer saß Obermetallrat Pett, der Anführer einer Schar Steuereintreiber für den König. Er hielt die höchste Position des Berufszweigs und hatte einen ansehnlichen Stab an Steuereintreibern unter sich. Pett stand auf und reichte Bronnwick zur Begrüßung die Rechte. Der Obermetallrat überragte Bronnwick um Haupteslänge, fast zwei Meter war er groß, stämmig gebaut und mit dichten schwarzen Augenbrauen.

»In den Grenzwald zwischen die Ankharakan-Gebirge hat man mich geschickt. In den Norden an die Grenze zur Uszmitischen Wüste«, antwortete Bronnwick und schlug in die ihm dargebotene Hand grob ein.

Pett setzte sich wieder und Bronnwick nahm den Platz an der gegenüberliegenden Seite ein.

»Und? Ruhestand?«, brummte Pett mit tiefer Stimme.

Bronnwick nickte.

»Hoffentlich«, sagte er nach einer Weile.

Eine Zeit lang saßen die beiden Männer sich gegenüber, sahen sich bloß an und sagten nichts. Ihre Kommunikation bestand aus ein paar halbstummen Brummlauten und zustimmendem Kopfnicken. Aber beide verstanden, was der andere damit meinte. Dann schnaubte Bronnwick.

»Hm?«, fragte Pett.

»Äh«, antwortete Bronnwick.

»Mhm«, erwiderte Pett mit bedeutungsschwerem Kopfnicken.

Sie verstanden sich auch ohne Worte. Pett und er waren ungefähr im selben Alter und schon lange genug im Dienst des Königs, sodass sie darauf nicht mehr stolz zu sein brauchten. Sie waren sogar schon so lange im Dienst des Königs, dass sie sich ab und an über Lappalien beschweren und hin und wieder gemächlich aufstöhnen konnten, ohne dass es dem König missfiel. Von allen, die man in der Ritterhalle antreffen konnte, war Pett ihm der liebste. Sonst fanden sich vorwiegend übereifrige Arschkriecher und arrogante Schnösel hier ein.

»Und was macht die Musik?«, fragte Bronnwick nach einer langen Zeit des brummenden und kopfnickenden Schweigens.

»Ja«, gab ihm Pett zur Antwort und legte wieder eine lange Pause ein, in der er nickend vor ihm saß.

Als Bronnwick mit den Gedanken bereits wieder woanders war, setzte Pett nach, er würde ab und an mit ein paar Männern etwas zusammenklimpern.

»Mhm«, brummte Bronnwick zur Antwort und setzte wieder mit dem Kopfnicken ein.

Bronnwick wusste, Pett hatte neben seiner wichtigen Rolle als Obermetallrat eine Vorliebe für das Lautespielen. Er behauptete zwar von sich, er sei nicht sonderlich gut darin, aber seine Leidenschaft blieb stets die Musik.

»Und?«, fragte Pett nach einer Weile. »Spielst du auch noch?«

Bronnwick schüttelte den Kopf. Die Laute verstaubte schon seit Ewigkeiten in einem Winkel seiner Dachgeschosswohnung.

»Wann auch?«, gab er ihm zur Antwort.

»Mhm«, brummte Pett zustimmend.

Sie schwiegen. Bronnwick nahm die Tockenkarten, die auf dem Steintisch zwischen ihnen lagen und sortierte sie schweigend. In der Zwischenzeit fanden sich immer mehr hohe Persönlichkeiten in der Ritterhalle ein. Der König war noch immer mit einem Berater im Thronsaal und man konnte ihn laut fluchen hören.

»Was ist da drin los?«, fragte Bronnwick nach einer Weile.

Pett zuckte bloß mit einer lang ausharrenden Pose die Schultern.

»Hm«, machte Bronnwick. »Besser es trifft einen anderen als uns.«

Pett nickte.

»Und?«, brummte Pett, bevor er wieder eine ganze Weile schwieg. »An der Grenze irgendwas Aufregendes?«

»Ein lächerlicher Auftrag«, echauffierte sich Bronnwick. »Irgendwelche alten Greise haben sich über die Grenze verirrt. Weiß der Kuckuck, woher sie kamen. Uszmiten waren es keine. Drei ausgemergelte Obligaten mit krummen Rücken und knorrigen Stäben, die sich ins Land vorgewagt hatten.«

»Und dafür schickt König Redan dich?«

Pett lüpfte die dichten, wuchernden Brauen.

»Scheinbar waren all die Arschkriecher gerade mit wichtigeren Angelegenheiten betraut. Ausgemergelte alte Männer wieder über die Grenze zurück in die Wüste schicken. Pah!«

Bronnwick war verärgert. Das war kein Auftrag der seiner würdig war. Vor weniger als zwei Jahren hatte König Redan jeden Obligaten zum Feind erklärt. Irgendetwas hatte sich in Thal zugetragen, ein Königsmord oder etwas in der Art. Niemand wusste genau, was es war, doch der König Flusswalls hatte daraufhin seinen Haus- und Hofmagier aus dem Reich verbannt und jeden Obligaten des Landes verwiesen. Und er stieß auf kräftigen Beifall, denn hier in Flusswall gab es ohnehin bereits Magie zu Genüge. Hexen und Dorfdruiden, also jenen, ohne magischen Blutes, aber Begeisterung für rituelle Bräuche und Heilwissen, war die Ausübung ihrer Tätigkeiten nach wie vor gestattet. König Redan meinte stets, keinem Menschen sollte eine so ungeheure Macht zustehen. Die Wälder Flusswalls hauchten von Magie und beheimateten Wesen mit besonderen Fähigkeiten. Und auch die Götterkulte der Flusswallen hatten keine humanoiden Götzenbilder. Sie beteten den Wind, die Wälder, den Fluss an, eben die Energien, die sie spürten und brauchten ihnen keine Namen zu geben. Die kleinen Wind- und Wetterzaubereien, die paar rituellen Beschwörungen oder die Heilzauber der Hexen und Dorfdruiden machten König Redan wenig aus. Obligaten hingegen konnten in Materien vordringen und ganze Horden von Menschen unterjochen, wenn sie mächtig genug waren. Für den König Flusswalls waren sie zum Feindbild geworden. Von düsteren Mächten, Blutschwüren und menschenunwürdigen Riten erzählte man sich aus den restlichen Ländern der Erdenwelt. In Flusswall wollte man den Frieden wahren. Und König Redan war der festen Überzeugung, dass die Verbannung jedes Obligaten die rechte Entscheidung gewesen war. Als Beweis dafür führte er stets die Gezeiten an, die in der gesamten Erdenwelt tobten. Eine Naturgewalt, von der niemand wusste, woher sie kam. Die ganze Städte verschluckte, Länder verwüstete, Menschen, Zwerge und andere Lebewesen um den Verstand brachte, Kreaturen, Pflanzen, sogar ganze Völker oder Rassen ausrottete und Felder unfruchtbar machte. König Redan schrieb dieses Unheil den Obligaten zu und mit dieser Aussage bekräftigte er die Verteufelung eines jeden, der magisches Blut in sich trug, unter seinen Landsmännern.

»Obermetallrat Pett«, erklang es plötzlich aus dem sich auftuenden Türspalt des Thronsaales.

Pett erhob sich, senkte brummend das Haupt und ließ Bronnwick auf der Steinbank neben dem Tisch allein zurück. Bronnwick schnippte die sortierten, vor sich am Tisch liegenden Tockenkarten einzeln durch die Finger und wartete schnaubend, bis er seine Audienz beim König antreten durfte. Die Stimmen im Thronsaal hatten sich seit Petts Eintreten gesenkt. König Redan hatte vor wenigen seiner Berater so hohen Respekt wie vor Obermetallrat Pett. Und diesem Beispiel folgte jeder andere im Königreich. Pett war vor allem wegen seiner Statur und seines bösen Blickes berüchtigt. Aus den Dörfern hörte man die absonderlichsten Geschichten über den Bihänderaxt-schwingenden-Obermetallrat-Steuereintreiber-Pett. Am meisten fürchteten sich die Dorfbewohner vor dem Ruf, der ihm vorauseilte, ein stiller, großer Mann zu sein, der ohne ein Wort ihre Schädel spaltete. Bronnwick war jedes Mal amüsiert, wenn ihm die fantastischen Geschichten zu Ohren kamen. Jedes Mal wurden sie großzügiger ausgeschmückt. Die Bihänderaxt zum Beispiel war ein sehr neues Produkt ihrer Fantasie. Bronnwick hätte den Obermetallrat noch nie mit einer Axt gesehen. Aber er ließ die Dorfbewohner in ihrem Glauben, denn seit die Schauermärchen über den Bihänderaxt-schwingenden-Obermetallrat-Steuereintreiber-Pett kursierten, zahlten alle brav ihre Steuern.

»Bronnwick.«

Die große Tür zum Thronsaal hatte sich erneut geöffnet und der kleinwüchsige Kämmerer erschien im Türrahmen. Sein Gesicht war kreidebleich und die auffälligen roten und violetten Stoffe seiner seidenen Robe mit den Bauscheärmeln wirkten durch das fahle Gesicht nur noch bunter. Kleine Schweißperlen tanzten auf seiner Stirn und man sah ihm an, dass er des Königs Gemüt an diesem Tage bereits zu lange über sich ergehen hatte lassen müssen. Der König war also aufgebracht. Nach dem langen Ritt war das nicht unbedingt das, was Bronnwick jetzt gebrauchen konnte. Er erhob sich gemächlich und straffte seinen alten Rücken, bevor er dem Kämmerer in den Thronsaal folgte.

»Eure Majestät«, begrüßte er König Redan fast beiläufig, während er mit breitspurigen Schritten über den dunkelgrünen Bodenläufer vor zum Thron marschierte.

Die senkrechten Falten in des Königs Stirn zeigten deutlich, wie verärgert er war. Bronnwick seufzte leise, als er vor dem Thron eine aufrechte Pose einnahm. König Redan schnaubte vor Wut. Und noch bevor einer von ihnen das Wort ergriffen hatte, wusste Bronnwick bereits, dass er den gewünschten Ruhestand auch an diesem Tage nicht antreten würde. Wie sehr sehnte er sich nach einem ruhigen Lebensabend in den versprochenen Ländereien außerhalb der Stadt. Vielleicht suchte er sich sogar ein gebärfreudiges, junges Weib, das ihm ein paar Söhne schenken wollte, bevor sie mit ihm gemeinsam altern konnte.

»Ich muss dich mit einem weiteren Auftrag betrauen«, brach König Redan das hitzige Schweigen.

Bronnwick hatte es kommen sehen, also verkniff er sich das Seufzen.

»Ich weiß, ich weiß«, fügte der König hinzu. »Wenn dieser Auftrag erfüllt ist, sollst du deine Ländereien und deinen Ruhestand bekommen.«

»Danke, Eure Majestät«, erwiderte Bronnwick respektvoll.

Überrascht lüpfte der König beide seiner wuchernden blonden Brauen. Er hatte offensichtlich mit Widerstand gerechnet. Aber er war sichtlich erleichtert, dass ihm dies erspart blieb.

»Ich kann leider niemand anderen in dieser prekären Sachlage beauftragen«, setzte er trotz der ausbleibenden Widerworte nach.

Laut schnaubend ließ er sich zurück in seinen Thron fallen und legte die linke Hand auf den Mund. Etwas setzte ihm stark zu, das konnte Bronnwick genau erkennen. An diesem Tag sah König Redan besonders alt aus. Die Haut war fahler und schuppiger denn je, das blonde Haar mit den vielen weißen Strähnen stand struppig, wild und ungekämmt von seinem Kopf ab und die Tränensäcke wogen schwer. Behäbig zwirbelte er seinen Bart und starrte ins Leere.

»In Haygenhast hat sich etwas Schauderhaftes zugetragen«, brach er nach einer kurzen Pause das Schweigen.

Sein starrer Blick verharrte, ohne einen der vor ihm aufgereihten Männer anzusehen. Der kleinwüchsige Kämmerer hatte den Kopf eingezogen und hielt den Blick gesenkt. Er schien beinahe erstarrt zu sein, als wollte er sich unsichtbar machen. Der König musste ihm mit seinem Brüllen ungeheuren Schrecken eingejagt haben. Doch der Kämmerer war nicht gerade als Held bekannt. Als Bronnwick allerdings zu Pett hinübersah, wurde auch ihm mulmig zumute. Konsterniert heftete der Obermetallrat den Blick an die zwei Stufen, die zum Thronpodest hinaufführten. Betretenes Schweigen machte die Luft dick und schwer.

»Ich habe Obermetallrat Pett bereits in die schockierenden Ereignisse eingeweiht, die sich in Haygenhast zugetragen haben. Fortan soll kein Steuereintreiber mehr ohne bewaffneten Schutz in die Dörfer ziehen.«

»Ihr fordert mich auf, die Rüstung anzulegen?«, fragte Bronnwick vorschnell.

»Nein, dafür rekrutiere ich einen Mann aus der Kriegerarena«, antwortete König Redan.

Die Kriegerarena war nicht wirklich eine Arena. Einst schon, doch heute nicht mehr. Sie stammte noch aus der Zeit, als Menschen und Trolle Seite an Seite gegeneinander gekämpft hatten. Früher wurden Wettkämpfe mit hohen Einsätzen veranstaltet. Die Krieger der Arena wurden gemeinsam mit einem Felstroll ausgebildet und so kämpfte das Mensch-Troll-Paar gegen ein weiteres Mensch-Troll-Paar. Und wer gewann, bekam einen Teil des Erlöses. Nachdem es zu viele gute Krieger den Kopf gekostet hatte ‒ denn meist starben zuerst die Menschen, bis sich die Felstrolle einen Kampf auf Leben und Tod geliefert hatten ‒ wurden diese Wettkämpfe wieder eingestellt. Heute war die Arena der Ort, an dem Flusswalls Krieger ausgebildet und trainiert wurden.

»Dich brauche ich, um herauszufinden, was sich in Haygenhast zugetragen hat«, beschied König Redan nach einigem bartzwirbelndem Schweigen.

»Moment«, warf Bronnwick ein, »Haygenhast? War das nicht das Dorf ...«

»Du erinnerst dich recht.« König Redan furchte erneut die Stirn. »Eben jenes Haygenhast, in dem vor einiger Zeit eine Schar Handlanger spurlos verschwand. Und nun hat es eine Steuereintreiberin erwischt. Du wirst der Sache auf den Grund gehen.«

»Sehr wohl, Majestät«, antwortete Bronnwick gehorsam.

»Obermetallrat Pett«, erschallten König Redans Worte in gebieterischem Tonfall. »Ihr werdet Eure Metallräte über die Einzelheiten selbst unterrichten.«

»Mhm«, brummte Pett kopfnickend.

Pett war der Einzige, der sogar vom König mit der hochwohlen Ansprache tituliert wurde. Keinem anderen gebührte so hoher Respekt. König Redan nickte und Pett verstand, machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Thronsaal.

»Bronnwick, was sich in Haygenhast zugetragen hat, sollte nicht die Runde machen.«

»Sehrwohl, Majestät. Dies betrifft aber nicht die Metallräte?«

»Nein, die Steuereintreiber werden in die Sache eingeweiht. Vor jedem anderen allerdings soll Stillschweigen walten.«

König Redans Stimme erklang streng. Bronnwick nickte.

»Eine unserer Steuereintreiber, Madam Hitt, erfuhr in dem kleinen Dorf Haygenhast ein schauriges Ende. Man hat ihre Leiche in einer Pferdetränke gefunden, der Unterleib war entblößt und es konnten schändliche Spuren daran festgestellt werden. Die verdächtigen Täter, zwei Männer aus dem Dorf, wurden neben der Leiche mit aufgeschnittenen Kehlen tot aufgefunden. Ich verlange, dass du der Sache auf den Grund gehst, Bronnwick. Wenn es hier Unruhen gibt, so nah an der Hauptstadt, will ich davon augenblicklich in Kenntnis gesetzt werden.«

»Ich werde der Sache nachgehen, Majestät«, bestätigte er.

»Du wirst allein reisen. Der nächste Steuereintreiber soll einen Tag später erst eintreffen. Und diesmal schicke ich ihn nicht allein los«, sagte der König.

Sein Blick war noch immer von Entsetzen bestimmt. Bronnwick wartete noch einen Moment, ob an die Ansprache noch etwas folgen sollte, doch der König schwieg und stierte geistesabwesend aus dem schmalen Fenster. Ein kühler Luftzug strömte in den verhältnismäßig kleinen Thronsaal; bedachte man, von welchen gewaltigen Herrscherräumen man im Weltenzentrum sprach. Die dunkelgrünen Banner hinter dem Thron blähten sich auf und verzerrten den Felstroll mit dem Kriegshammer, dem Wappen Flusswalls, das sich auf den Lodenfahnen befand.

»Ich erbitte wohl zu viel, wenn ich dich gleich heute wieder auf den Weg schicke«, sagte der König mit vollem Respekt vor Bronnwicks langer Reise, die er eben erst beendet hatte.

»Ich werde mich noch heute Abend auf den Weg machen.« Bronnwick wusste den König zu beruhigen.

Er hätte gerne noch eine Nacht in Hochwantgen zugebracht, bevor es ihn wieder in die Dörfer zurückverschlagen würde. Ein wenig Kultiviertheit und ein Becher Drunenwein, ein weiches Bett und die Klänge der Barden wären ihm genehm gewesen, bevor er sich wieder mit den Einfaltspinseln in den Dörfern herumzuschlagen hatte. Aber nachdem der König ihm stets entgegenkam und die Lage prekär zu sein schien, wollte er König Redan nicht enttäuschen. Und so machte er noch einen kurzen Abstecher in seine Dachgeschosswohnung in einem der schönsten Vierteln der Stadt, wechselte die Kleider und legte sie der Wäscherin vor die Türe. Das Haus, in dem er wohnte, war eines der seltenen Exemplare, in dem mehr als ein Haushalt die Zimmer bezog. Es diente vorwiegend Männern, die alleinstehend waren oder ohnehin viel reisten. Und beides traf auf Bronnwick zu. Die Besitzerin des Hauses hatte Köchinnen, Wäscherinnen und Näherinnen in ihrem Stab an Dienstpersonal, die für eine beträchtliche Monatsmiete all den Junggesellen des Hauses unter die Arme griffen. Bronnwick packte zusammen, was er für den Auftrag benötigen würde. Er holte seine beachtliche Messersammlung hervor und steckte je ein Stilett in jeden Stiefelschaft und zwei Dolche und ein Jagdmesser in die Lederscheiden an seinem Gürtel. Dann nahm er sein Kurzschwert aus dem Schrank und legte es für die Reise nach Haygenhast bereit. Danach begab er sich in die kleine heimelige Haustaverne, bestellte sich einen Becher Drunenwein, aß, was die Köchin des Hauses vorbereitet hatte und ging daraufhin wieder in seine kleine Zimmerwohnung, um sich ein paar Stunden auszuruhen, bevor er die Reise nach Haygenhast antrat.

II. Kapitel

Valettia

Der kriegerische Klang von Stahl auf Stahl erfüllte die Arena. Mit den Händen hinter dem Rücken verschränkt schritt der Kommandant zwischen den Kämpfenden hindurch und erteilte Befehle, kommentierte ihre Ausfallschritte oder gab ihnen Anweisungen, wie sie ihren Kampfstil verbessern konnten.

Valettia schielte neidvoll auf die Kämpfenden und legte für einen Moment die Schaufel zur Seite. Seufzend richtete sie sich auf und straffte den Rücken. Trotz des kühlen Frühlingstages glänzte ihre Haut bereits vom Schweiß, den ihr die Arbeit aus den Poren trieb. Sie trug die Rüstung, obwohl sie für das Ausheben der Latrinen beauftragt worden war. Eine lächerliche Dreistigkeit, wie sie befand. Latrinen für den Kriegsfall auszuheben war eine Verhöhnung ihrer Kampfkünste. Sie trainierte härter als alle Männer in der Arena und ihre muskulösen Oberarme und Schenkel konnten sich sehen lassen. Sie hatte bereits gelernt, ein Schwert zu führen, als sie noch zwanzig Jahre jung gewesen war. Ihr Vater, der vor achtzehn Jahren verschieden war, hatte es ihr beigebracht. Genau wie er ihr auch das Lesen und Schreiben beigebracht hatte. Er war einer der wenigen im Dorf Haygenhast, der dieser Fähigkeit mächtig gewesen war und diese hatte er auf Valettia übertragen. Und obwohl Valettia gebildet und zudem auch kampferprobt war, musste sie immerzu die niederen Tätigkeiten ausführen oder die Verwundeten versorgen. Lieber wollte sie kämpfen, wie all die Krieger der Arena. Doch sie war eine Frau und als Frau hatte sie es nicht leicht. Dabei konnte sie trinken wie die Männer, verachtete ihre stumpfsinnige Wortwahl nicht und stellte sich ihnen im Kampf wie ein Mann. Doch sobald es leichte Grabarbeiten oder Putzdienste zu erledigen gab, war sie für den Kommandanten wieder bloß eine Frau.

»Valettia.« Jeine warf ihr einen Blick zu. »Sollen wir die ganze Grabarbeit alleine machen?«

Jeine war ein Krüppel und somit nicht tauglich, sich im Kampf gegen einen Krieger zu stellen. Aber da sein Vater ein Krieger war, war auch Jeine in die Arena aufgenommen worden. Valettia, Jeine und Forenheyn, ein dürrer, blasser Bursche, der nicht sprechen konnte, bildeten die Aussätzigen. Mit den beiden jungen Burschen musste sie niedere Tätigkeiten ausführen, während die anderen kämpfen durften.

»Valettia!«, rief Jeine erneut. Er griff nach ihrer Schaufel und schleuderte sie in ihren Schoß. »Je schneller wir fertig sind, desto rascher können wir rasten«, sagte Jeine unbekümmert.

Valettia schnaubte, packte die Schaufel und stieß sie verärgert in die Erde. »Latrinen ausheben für den Ernstfall«, echauffierte sie sich. »Eine noch demütigendere Aufgabe konnten sie uns wohl nicht erteilen. Latrinen ausheben für den Ernstfall. Welchen Ernstfall?«

»Was der Kommandant befielt, wird ausgeführt«, erwiderte Jeine entschlossen. »Gehorsam und Tugend, Valettia. Gehorsam und Tugend.«

Naseweiser Tölpel, dachte sie und schaufelte eifrig weiter. Gehorsam und Tugend. Für einen Krieger mochte das stimmen, aber für jemanden, der Löcher in die Erde grub, damit andere hineinscheißen konnten, bedeuteten diese Attribute nichts.

»Morgen lassen sie dich sicher wieder kämpfen«, setzte Jeine unbekümmert nach. Er glaubte wohl, ihr damit Trost zu spenden.

Aber das half überhaupt nichts. Ihr ging es dabei nicht um den Kampf per se. Sie wollte respektiert und geehrt werden, wie jeder andere Kämpfer der Arena auch. Selbstredend ließen sie eine Frau, die das Schwert schwingen konnte wie die meisten Männer hier, nicht unentwegt putzen, kochen oder Latrinen ausheben. Aber wenn es niedere Tätigkeiten auszuführen gab, landete sie stets an der Seite Jeines und Forenheyns. Und auf diese Stufe wollte sie sich nicht stellen lassen. Doch dem strengen Kommandanten zu widersprechen, hatte ihr bisher bloß weitere Strafarbeiten eingebracht. Also gehorchte sie. Mürrisch und knurrend und schimpfend. Aber sie ließ es sich nicht nehmen, allzeit kampfbereit zu sein. Und wenn das bedeutete, beim Schaufeln oder Gemüseschneiden demonstrativ in voller Rüstung zu arbeiten, dann bedeutete es eben das. Immer wieder sagte sie sich, sie sei kein kleines Mädchen mehr, das sich derlei Ärgernisse gefallen lassen musste. Aber immer wieder beherrschten die Männer Valettia trotz ihres starken Auftretens. Sie taten ihr Verhalten als trotzig ab und Trotz hat nichts Kriegerisches an sich. Das war ihre Schwäche. Erst wurde sie nicht wahrgenommen, doch wenn sie kuschte, konnte sie ihren Willen nie durchsetzen. Erhob sie allerdings die Stimme und stellte sich den Ungerechtigkeiten, die ihr widerfuhren, sagte man ihr störrisches Verhalten nach. Wie auch immer sie sich verhielt, sie war gegenüber ihrem Kommandanten und der Männerschar ohnmächtig. Oft verbrachte sie Nächte versunken in Gedanken und Streitgesprächen, die sie niemals führte, grübelte, wie sie es ihnen heimzahlen oder wie sie sich endgültig beweisen konnte. Sie kämpfte nicht wie eine Frau. Sie war stärker als viele der Krieger. An ihren Qualitäten als Kämpferin lag es wohl nicht. Aber immerhin hatte sie ihnen das Blutgelaber ausgetrieben. Mit Stolz dachte sie gerne an diesen Triumph zurück. Das war das erste und einzige Mal, dass sie sich erfolgreich gegen die Krieger der Arena behauptet hatte.

Jedes Mal, wenn sie sich darüber echauffiert hatte, dass ihre Fähigkeiten als Schwertkämpferin nicht wertgeschätzt worden waren, hatten ihr die Männer nachgesagt, sie hätte ihre Blutung. Jedes Mal musste sie diese Blamage über sich ergehenlassen, wenn sie mit aller Kraft versuchte, sich ihre Rechte zu erkämpfen. Störrigkeit und Monatsblutung, das waren die Antworten auf ihren Kampf um Gerechtigkeit. Irgendwann war ihr dieses Gerede zu viel geworden. Sie hatte ihr Schwert gepackt und dem arroganten Krieger einen Hieb verpasst, dass dieser rückwärts getaumelt war. Dann hatten sie sich einen Kampf geliefert. Ringsum waren die anderen Männer in schweren Rüstungen gestanden, hatten ihn angefeuert und gebrüllt. Hodrique, den stärksten Mann der Arena, hatten sie ihn genannt. Doch dann war Valettia gekommen und hatte ihn herausgefordert. Und für Gerechtigkeit kämpfte es sich ganz anders als für Spott. Es hatte sie all ihre Kraft gekostet, doch irgendwann lag er auf dem Rücken und ein kräftiger Tritt ins Zwerchfell hatte ihm die Luft abgeschnürt. Alle Männer ringsum waren verstummt und Valettia hatte für einen Moment ihren Ruhm ausgekostet. Schlussendlich hatte sie dem starken Hodrique eine Kerbe ins Gesicht geritzt und als sich ein Rinnsal Blut gebildet hatte, hatte sie sich zu den Kriegern umgewandt und mit der vollen Kraft, die ihre von Luft unterversorgten Lungen ihr gewährten, gebrüllt: »Und wer hat jetzt seine Blutung?«An diesem Tage hatte sie zumindest für den Bruchteil eines Augenblicks ihre Anerkennung erlangt. Doch der Kommandant hatte die Ansammlung sogleich aufgelöst und bereits am nächsten Tag hatten sie alle so getan, als konnten sie sich an diesen Sieg nicht mehr erinnern.

»Valettia!«

Die Stimme des Kommandanten riss sie aus ihren Gedanken und das ruhmreiche Lächeln in ihrem Gesicht gefror.

»Jawohl, Kommandant«, antwortete sie gehorsam.

»Mitkommen!«, befahl er.

Ohne nur einen Moment zu zögern, ließ sie die Schaufel fallen und folgte ihm zum Mittelpunkt der Kriegerarena. Ein zufriedenes Lächeln verdrängte die störrischen Gedanken, als sie mit aufrechtem Gang und kerzengerader Haltung durch die Kämpfenden marschierte.

»Er muss verarztet und einbandagiert werden«, zerstörte der Kommandant ihre Hoffnung und deutete auf den sich am Boden windenden Krieger. »Auf die Bahre und ins Versorgungszelt mit ihm! Valettia, Ihr werdet Euch darum kümmern, dass er bald wieder kampfbereit ist.«

Valettia knirschte mit den Zähnen und schnaubte.

»Das heißt Jawohl, Kommandant!«, brüllte er. Seine Worte schürten in ihr nur noch mehr Zorn.

»Jawohl, Kommandant«, knurrte Valettia.

Sie folgte den beiden Männern, die die Trage zum Versorgungszelt schafften. Widerwillig, doch gehorsam, nahm sie dem Krieger die Beinschiene ab. Beim Anblick des hervorstehenden Knochens wandten sich die beiden Krieger neben ihr ab. Sie rollte bloß mit den Augen und trug ihnen auf, saubere Lappen zu holen. Sie wusch ihm die Wunde aus. In einem kleinen Holzregal an der Mauer der Arena fand sie die richtigen Salben und bedeckte die Wunde damit großflächig. Dann bandagierte sie den verletzten Knöchel und lehnte sich schnaubend gegen die Mauer. Der Kommandant trat heran.

»Er wird einen Medikus brauchen«, sagte sie. »Ich bin weder Heiler noch Arzt.«

Der Kommandant reagierte mit einem beiläufigen Kopfnicken, doch wurde er gleich darauf von einem Berater des Königs abgelenkt, der ihm aufgebracht etwas zuflüsterte. Entschlossen nickte er dem Berater zu und ließ Valettia im Zelt stehen. Akribisch beäugte sie die beiden Männer, die sich von den anderen entfernten, um ungestört zu sprechen. Dann verabschiedete sich der Königliche Berater und der Kommandant trat vor und stieß einen ohrenbetäubenden Pfiff aus, auf den hin sich ihm jeder zuwandte.

»Ein Befehl des Königs«, rief er in die Runde und setzte eine kurze Pause ein. »Ihre Majestät verlangt nach einem Leibwächter, der nach Haygenhast reiten soll. Freiwillige vor!«

Mehr Information gewährte er ihnen nicht. Valettia packte die Gelegenheit und marschierte großspurig zu den anderen Kriegern.

»Ich stehe ihrer Majestät bereit«, verkündete sie lautstark.

Der Kommandant überging sie. Ein paar der Männer riefen ebenso, dass sie diesen Auftrag übernehmen wollten.

»Ich übernehme diese Aufgabe«, erklang eine kräftige Frauenstimme.

Der Kommandant verschränkte die Arme und warf einen Blick in die Runde.

»Freyda soll diese Weisung des Königs ausführen«, beschied er entschlossen und kehrte der aufgebracht schreienden Meute den Rücken.

Valettia wollte das nicht auf sich sitzen lassen und eilte dem Kommandanten hinterher.

»Warum darf sie diese Agenda ausführen, aber mir verweigert Ihr es?« Mit großen Schritten stapfte sie wütend neben ihm her. »Ich kann mit dem Schwert gewiss genauso gut umgehen. Wenn Ihr eine Frau auswählt, warum dann nicht mich?«, exaltierte sie sich und vergaß dabei ihren Respekt.

Augenblicklich blieb der Kommandant stehen und fuhr herum. Sein feuriger Blick durchbohrte sie.

»Weil ich die Entscheidung getroffen habe und daran wird nicht gezweifelt«, brüllte er.

Sein Atem roch nach Zwiebeln und Tobaqkraut.

»Warum lasst Ihr es nicht zu, dass ich mich endlich beweise? Ihr erwählt eine Frau unter all den Kriegern, und dennoch verwehrt Ihr mir das Vorrecht.«

»Ich habe Freyda nicht ausgewählt, weil sie eine Frau ist. Ich habe sie ausgewählt, weil sie sich für diese Aufgabe besser eignet als jeder andere. Und wenn Ihr Euch noch einmal erdreistet, mein Wort anzuzweifeln, seid Ihr mit sofortiger Wirkung aus der Arena verbannt.«

Valettia erstarrte augenblicklich, als wäre sie in Schock verfallen.

»Das könnt Ihr nicht machen«, keuchte sie kleinlaut.

»Dass Ihr Euch erdreistet, zu glauben, Ihr wärt einer Vaagtonhischen Kriegerin ebenbürtig«, schimpfte er entrüstet.

Schnaubend schüttelte er den Kopf und ließ sie eiskalt stehen. Ihre Unterlippe bebte. Sie hätte in Tränen ausbrechen können, doch dieses Bild eines verletzlichen Weibes wollte sie ihnen nicht bieten. Sie knurrte, um ihrem Ärger freien Lauf zu lassen. Lieber hätte sie gebrüllt und alles durch die Gegend geworfen, doch ein Knurren war unauffälliger. Vorerst zumindest, denn lange behielt sie ihre Emotionen nicht unter Kontrolle. Fuchsteufelswild schnaubte sie und fauchte und erschlug mit den Fäusten die Luft vor sich. Dann seufzte sie laut und schwer und warf einen Blick zu den anderen. Die Vaagtonhische Kriegerin Freyda stand mit den Männern beisammen und erfuhr Ruhm. Und Valettia musste sich gleich wieder dem Ausheben der Latrinen für den Ernstfall zuwenden. Valettia packte der Neid. Hasserfüllt musterte sie die Vaagtonhische Kriegerin Freyda, Tochter des Toxes. Eine groß gewachsene Frau mit langem schwarzem Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte. Sie trug es zu einem hohen, strengen Rossschwanz gebunden, in gleichmäßigen Abständen schnürten Lederbänder es ab. Erhaben lachte sie, während sich die männlichen Krieger um sie scharten und ihr Respekt zollten. Sie bekam mehr Anerkennung in der Arena als die meisten Männer. Und Valettia war sich gewiss, dass es nicht bloß an ihrer Herkunft und dem Kampfstil lag. Das makellose Gesicht mit dem hübschen Lächeln, das ihre geschwungenen Lippen umspielte, der elegante Augenaufschlag und die perfekte kleine Nase mit den vereinzelten Sommersprossen hatten gewiss etwas damit zu tun. Und ganz gleich, wie respektvoll die Krieger mit ihr sprachen, konnte Valettia deutlich erkennen, wie sie Freyda mit den Blicken auszogen. Die große Gestalt mit den kräftigen Armen, muskulösen Beinen, der für vaagtonhische Weiber üblichen breiten Taille und dem üppigen runden Busen, für den ihr eine eigene Plattenrüstung auf den Leib geschmiedet worden war. Valettia verabscheute Freyda.

»Valettia!«, drang es von hinten an ihr Ohr. »Die Latrine hebt sich nicht von allein aus.«

Sie schenkte Jeine keine Beachtung. Stattdessen trat sie einmal wild auf dem Boden auf und stapfte davon.

Ihre Raserei führte sie bis zur Königsburg, die Treppe hinauf und kurz darauf fand sie sich in der Ritterhalle wieder.

»Ihr wünscht?« Mit scheelem Blick wurde sie vom kleinwüchsigen Kämmerer empfangen.

»Eine Audienz beim König wünsche ich«, entgegnete sie aufgebracht.

Einen Moment lang musterte sie der Kämmerer von Kopf bis Fuß, doch dann ging er zurück in den Thronsaal und hieß sie kurz darauf, einzutreten.

»Eure Majestät«, begrüßte sie König Redan höflich.

»Du wünschst?« Der König machte einen misstrauischen Eindruck, doch davon ließ sich Valettia nicht beirren.

»Mir kam zu Ohren, dass seine Majestät nach einem Leibwächter verlangt«, antwortete sie ohne Umschweife.

»Für die Begleitung der Steuereintreiber ins Dorf Haygenhast, ganz recht.« König Redan beugte sich angetan nach vorne.

»Es wäre mir eine Ehre, würden seine Majestät mich mit dieser ehrenvollen Aufgabe betrauen.«

»Abgemacht«, antwortete er ihr rasch.

Überrascht blickte sie auf. Der König hieß sie mit einem angedeuteten Kopfnicken, den Saal zu verlassen. Sie glaubte es kaum.

»Du wirst schon morgen aufbrechen«, ließ er sie wissen, als sie bereits fast zur Türe draußen war.

Sie wandte sich um und nickte eifrig. Die Freude stand ihr ins Gesicht geschrieben. Der König war bloß froh, dass diese Angelegenheit geklärt war. Wer seine Steuereintreiber begleitete, kümmerte ihn nicht, solange es jemand aus der Arena war.

III. Kapitel

Spikero

Wie an den meisten Tagen, brachte Spikero den Tag in der Barden-Akademie zu. Das war eine kleine, heimelige Taverne im Herzen der Hauptstadt Hochwantgen. Sie hatte ihren Namen von den vielen Musizi der Bardengilde, die sich dort häufig einfanden, um sich über ihre musikalischen Ergüsse auszutauschen. Und sie alle gingen mit der Prahlerei hausieren, sie kämen gerade von der Barden-Akademie. Es klang viel bedeutsamer als die Wirklichkeit. In der Barden-Akademie wurde stets gesungen und jeden Tag trat ein anderer der Gilde auf. Das kam dem Tavernenbetreiber nur ganz recht, denn solange sich die Spielmänner der Bardengilde damit gegenseitig übertrumpften, wer die besten Lieder schreiben konnte und wer seine Werke unbedingt auf der Bühne zum Besten geben musste, brauchte der Tavernenbetreiber keine Musikanten zu beauftragen und zu bezahlen. Spikero hatte sich bereits in den späten Morgenstunden in der Barden-Akademie eingefunden. Sie war praktisch schon sein Zuhause. Die Dichtkunst war sein gesamter Lebensinhalt und dem Drunenwein, der Spezialität Flusswalls, war er allgemein nicht abgeneigt. In der Taverne fühlte er sich überaus wohl, denn hier erfuhr man als einer der Ersten, was sich in Flusswall zutrug, und des Öfteren erhielt man sogar Kunde aus fremden Ländern der Erdenwelt. Der Betreiber legte gehörigen Wert auf die Ausgestaltung seiner Taverne. Es war ein von Holzstehern unterteilter Raum mit langer Theke, der an allen Wänden bis zur Decke mit dem gleichen Buchenholz vertäfelt war. Dies war keine Spelunke, sondern eine gepflegte Taverne. Nicht nur Barden fanden sich hier ein, auch Händler und hoch angesehene Beamte, wie Steuereintreiber oder gar Metallräte. Unter den Steuereintreibern gab es drei Ränge. Es gab die einfachen Steuereintreiber, deren Aufgabe es war, von einem Dorf zum nächsten zu ziehen und nicht nur die Metalltaler, sondern auch die Güter einzusacken, um sie in die Hauptstadt zu transportieren. Und in Hochwantgen war der Beruf des Steuereintreibers ein sehr geläufiger. Der König unterhielt eine ganze Schar. Über den gewöhnlichen Steuereintreibern standen die Metallräte. Diese waren dafür zuständig, die Routen zu organisieren und waren einem Obermetallrat, von dem es nur einen gab, nämlich Pett, unterstellt. Dieser kümmerte sich um die besonderen Fälle und befehligte seine Metallräte. Obermetallrat Pett war seinerseits dem Kämmerer gegenüber weisungsgebunden, wobei diese Ansicht nicht jeder teilte. Und darüber als letzte Instanz stand der König. Der Name Metallrat kam ganz einfach daher, dass die Währung in Flusswall, namens Fjorin, nicht aus Gold oder Silber bestand, sondern aus Metall. Die Ressourcen an Gold, Edelsteinen oder Silber gab es in den Bergen Flusswalls im Überfluss und so verloren sie für ihre Einwohner an Wert. Stattdessen wurden verbeulte Rüstungen oder sämtliche metallische Gegenstände, die unbrauchbar wurden, eingeschmolzen und zu Talern mit Kreuzschlitzen geprägt. Mit Gold und Edelsteinen wurde Handel getrieben. Vorrangig exportierte Flusswall nach Pargatmä und Thal. Mit dem Nachbarland Morsior trieb man den florierenden Silberhandel. Morsior war für die Händler Flusswalls der wichtigste Verbündete, denn er gewährte ihnen Durchreiserecht und Anlegestellen, um über den Ozean nach Thal und Pargatmä zu gelangen. Neben Gold, Silber und Edelsteinen kamen im Laufe der Zeit noch weitere Exportgüter hinzu und durch diese Einnahmen konnte Flusswall bisweilen gut wirtschaften.

Spikero lehnte an einem Bücherregal an der Innenwand der Taverne. Diesen Platz mochte er am liebsten, denn zum einen befand er sich direkt neben der kleinen, dreieckigen Bühne und zum anderen hatte er den gesamten Überblick über die Taverne. Die Theke befand sich auch nicht weit entfernt. Neugierig blickte er über die Menschen, die sich an diesem Tage bereits sehr zahlreich in der Barden-Akademie eingefunden hatten. Viele Männer seiner Gilde machte er aus. Durch die Fenster hatte er zudem noch den Ausblick auf die Pferdekutschen und emsigen Geschäftsmänner, die sich auf den Straßen vor der Taverne tummelten. Heute war ein windstiller Morgen und die Sonnenstrahlen riefen Glücksgefühle in Spikero hervor. Der Winter war unbarmherzig gewesen und der Frühling war in ganz Flusswall bereits sehnsüchtig erwartet worden. In den Häusern war es im Winter zugig und kalt und durch die Fenster drang immerzu der eisige Wind, sodass nicht einmal die Feuerstellen dazu imstande waren, alle Knochen zu wärmen. Die Ressource Glas gab es in ganz Flusswall nicht, weshalb noch nicht einmal die Königsburg Fensterscheiben besaß. Glasverarbeitung war eine Erfindung der Zwerge im Osten und an den Osten, Grauland, Scór, Siebenstein und was nicht sonst noch alles am anderen Ende der Erdenwelt so prangte, hatte Flusswall keinen Anschluss.

Mit einem Schmunzeln blickte Spikero über die gesamte versammelte Bardengemeinschaft, die sich an dem größten Tisch am anderen Ende der Taverne zusammengefunden hatte. Da wurde gelacht, diskutiert und über Poesie gefachsimpelt. Aber er stand abseits. Mit dem Gesäß, das aussah, als hätte er ein Daunenkissen unter dem Seidenbeinkleid versteckt, gegen das Buchregal gelehnt. Seine auffällige Kleidung betonte die breiten Hüften und das abstehende Hinterteil nur noch augenfälliger. Doch Spikero war gern ein distinguierter Mann. Er trug violette Seidenkleider mit aufwendigen Mustern, schillernden Knöpfen und auffällige Hüte. Und wenn er sich am Morgen für eine Farbe entschieden hatte, musste die gesamte Garderobe in diesen Nuancen erstrahlen. Lässig hob er den Tonkrug und prostete seiner Bardengemeinschaft zu, doch nicht einer von ihnen erwiderte diese Geste. Er hielt die Ohren gespitzt und konnte die Gespräche vom anderen Ende des Raumes belauschen, lachte immer wieder, wenn er etwas Komisches hörte und rief ihnen Bemerkungen über den ganzen Raum hinweg zu. Aber sie mochten seine Kommentare wohl nicht hören, dachte er, denn kein einziger von ihnen reagierte darauf. Als die Schankmaid ihm mit dem Kopf bedeutete, dass er nun auf die Bühne gehen konnte, packte er seine Laute und grinste vorfreudig. Nervös war er nicht. Das war er niemals. Er liebte das Rampenlicht, und obwohl ihm die mieseste Zeit von allen zugeteilt worden war, betrat er die dreieckige Bühne, als wäre es der späte Abend. Er drehte noch einmal an den Wirbeln und blickte über die Gesellschaft. Breit lächelte er. Seine Zeit war gekommen. Und schon gleich durften sich die versammelten Gäste seiner kompositorischen Meisterwerke erfreuen. Für diesen Tag hatte er sich eine ganz besondere Melodie zurechtgelegt. In seinen Gedanken malte er sich bereits aus, wie ihm die versammelten Menschen zujubelten, ihnen Tränen in die Augen stiegen und sie applaudierten. An diesem Tage wollte er sie mit einer rührenden Ballade unterhalten, die aber zugleich anzüglich und komisch sein sollte. Mit allen dramaturgischen Fähigkeiten wollte er sie verwöhnen. Er schlug die Saiten seiner Laute an und genoss selbst, wie die Töne sich im Raum entfalteten und sich liebevoll zwischen die Nebengeräusche mischten, sich in den Ohren seiner Zuhörer einnisteten. Für das Stück hatte er sich ein ganz besonderes Präludium überlegt. Es enthielt Techniken von progressiver Präzision und melodiösen Beiklängen. In Flusswall waren besonders zwei Musikstile bekannt. Der eine war gesangsbetont, der andere fokussierte sich vermehrt auf das technisch ausgeklügelte Zupfen und zumal auch mit den Fingern auf das Griffbrett der Laute hämmern. Doch alle beide Stile beinhalteten eine schnelle und laute Spielweise. Balladen wurden nur selten vorgetragen und wenn, mussten sie der Stimmung entsprechen. Trotzdem wollte der Barde Spikero an diesem Tag eine langsame Ballade zum Besten geben. Sein Präludium hatte ihm noch nicht die Aufmerksamkeit eingebracht, die er sich erhofft hatte, denn noch immer saßen die Tavernengäste schwatzend an Tischen beisammen und beachteten ihn nicht. Er war kein reiner Unterhaltungskünstler. Nein. Spikero war ein literarisches Wunderkind mit besonderem Talent für das Lautespielen. So empfand es zumindest Spikero. Er setzte eine kurze Pause ein und klopfte in rhythmischem Takt auf seine Laute, bevor er wieder begann, die Saiten zu zupfen und seine Stimme erklingen zu lassen. Und sobald er die ersten Vokale befreit hatte, wandte sich ihm die Bardengesellschaft zu.

»In den Tiefen der Smaragde

Augen funkelnde Schönheit,erstrahlt mir die Vahlagde,im glänzend‘ Abendkleid.

Wie ein Aufwallen der Lüste,stolpern mir die wohlgeformten Wipfel entgegen,segelten im Winde wie Schiffe auf hoher See,und ich erlitt Schiffbruch in den Armen ihrer Lenden.«

»Ihr wisst doch hoffentlich, dass Eure Metaphern keinen Sinn ergeben, Herr Spikero«, rief einer der Barden aus den hinteren Reihen und alle Übrigen am Tisch begannen lautstark zu lachen.

»Und Eure Reimform stinkt auch zum Himmel«, behauptete ein anderer spöttisch.

»Euch entgeht wohl der hohe Gehalt meiner literarischen Kunst«, erwiderte Spikero, während er noch immer mit der Laute in der Hand auf der Bühne stand.

»Nicht einmal der hohe Gehalt von einem Fass Drunenwein könnte aus Eurer Ballade ein literarisches Kunstwerk zaubern«, rief ihm der erste Barde zu und warf einen Holzlöffel nach ihm.

Seine Bardenkollegen mochten ihn zwar ein wenig verunsichern, doch er glaubte, es wäre der Neid, der sie beflügelte. Also ließ er seine Laute erneut erklingen und sang dieselbe Stelle noch einmal.

»Das ist völliger Unsinn, den Ihr da von Euch gebt«, rief ein anderer.

»...stolperten mir die wohlgeformten Wipfel entgegen«, äffte einer der Barden ihn nach. »Was soll das überhaupt bedeuten?«

Spikero ließ seine Laute abermals verstummen und sah mit dümmlichem Gesicht zu seinen Bardenkollegen.

»Nicht jeder versteht die hohe Sprache, aber das macht doch nichts«, sagte er höflich und lächelte sie an. »Ich will es euch erklären.«

»Dann erklärt uns doch mal, was die Arme der Lenden bedeuten soll«, verhöhnte ihn ein anderer.

»Das ist künstlerisch zu verstehen«, sagte Spikero freundlich.

»Spikero, lasst es gut sein. Ihr seid einfach ... wie drücke ich das am besten aus?«, brummte einer der Gilde. »Ihr seid einfach schlecht.«

Spikeros dümmliches Grinsen erstarb ihm und die Augen wurden groß.

»Aber, aber meine wertgeschätzten Kollegen«, sagte er und machte einen Satz von der Bühne. »Höre ich da etwa ein klein wenig Missgunst?«

Wieder lachte er freundlich, während er mit der Laute in der Hand auf ihren Tisch zuschritt. Kopfschüttelnd wandten sie sich von ihm ab. Doch er verstand es noch nicht und stellte sich zu ihnen. Mit der Hand lehnte er sich leger an die Rückenlehne des Stuhls, auf dem einer seiner Kollegen saß und kreuzte die Beine im Stand.

»Ist wohl noch etwas zu früh für eine Ballade solchen Gehalts«, sagte er in die Runde.

»Nein, Spikero«, sagte ein anderer. »Das Präludium war in der Tat noch erträglich, doch sobald Ihr Eure Stimme erhobt, war es vorbei. Eure Worte ergeben keinen Sinn und die Metaphern, die Ihr wähltet noch weniger.«

»Das ist nicht schlimm, wenn Ihr es nicht versteht«, unterstellte er ihm Einfalt.

»Spikero, Eure Selbstwahrnehmung stolpert wie die wohlgeformten Wipfel«, verhöhnte er ihn. »Tut Euch selbst einen Gefallen und wechselt Euer Handwerk.«

»Eure Worte regiert bloß Übelwollen«, erwiderte Spikero rasch.

»Die Arme der Lenden sind so sinnbefreit, wie Euer Versuch, Erotik zu besingen, lagt Ihr doch noch niemals zuvor bei einer Frau.«

Nun verlor sich sein dümmliches Lächeln und er nahm wahr, was er bereits die gesamte Zeit versucht hatte, zu unterdrücken. Er war nicht erwünscht. Ohne ein weiteres Wort an die Bardengesellschaft zu richten, machte er am Absatz kehrt und durchmaß den Raum. Er setzte sich ans andere Ende an die Theke und senkte sein Haupt in Demut.

»Lasst doch den Kopf nicht hängen, Spikero«, versuchte ihn die Schankmaid aufzubauen. »Balladen werden hier nicht gern gehört. Spielt doch das nächste Mal etwas Flotteres, und sie werden Euch Gehör schenken.«

Spikero seufzte.

»Ihr habt doch bestimmt noch andere Stücke. Hier.« Lächelnd stellte sie einen frisch gefüllten Becher Drunenwein vor ihm ab. »Das geht aufs Haus.«

Ein strahlendes Lächeln verdrängte den Verdruss. »Ich hätte da noch eine weitere Komposition«, beeilte er sich zu erwidern und hob die Laute empor.

»Geboren bin ich weit vom Schusszwischen Gras, Gebirg‘ und plätschernd Fluss.Die Nachtluft schmeckt mir kühl und fahl,was gäb‘ ich bloß lebt‘ ich in Thal.«

»Ach Spikero«, seufzte sie.

Er senkte die Laute und blickte sie mit großen Kuhaugen an.

Sie schüttelte den Kopf. »Lasst es für heute gut sein.«

Niemand hier mochte seine Lieder. Auch die freundliche Schankmaid nicht. Doch Spikero missverstand jedes freundliche Wort als Anerkennung und jede Kritik als Neid.

»Beim nächsten Mal werde ich ein flotteres Lied anstimmen«, beschied er und stellte die Laute zwischen seinen Beinen ab. »Ach, blühte mir doch ein Schicksal wie dem Königlichen Barden Thals.«

»Ihr und Euer Thal«, erwiderte die Schankmaid.

»Eines Tages werde ich nach Thal segeln«, sagte Spikero mit einem Lächeln im Gesicht.

»Unsinn«, erwiderte die Schankmaid. »Ihr seid Flusswalle. Flusswallen sind keine Abenteurer. Wir reisen nicht um die Erdenwelt.«

»Irgendwann werde ich Thal sehen und dann werde ich so berühmt wie der Barde Folay.«