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Mittelalter-Fantasy trifft auf Krimi Ein abenteuerlustiger Barde, eine Schaustellertruppe und ein Werwolf ... Gaukler sind in der Stadt. Und sie haben eine gefährliche Hauptattraktion dabei: einen Werwolf. Während der Vorstellung muss der Barde Spikero mitansehen, wie die Bestie ausbricht und sich auf die Zuschauer stürzt. Der Spielmann schließt sich den Gauklern an und erfährt schon bald, dass dieser Ausbruch kein Zufall gewesen war. Er findet neue Freunde, einen Erzfeind und einen gefährlichen Fall. Nach und nach deckt der Barde weitere Hinweise auf, die zu einem düsteren Geheimnis führen. Werwolfgen & Teufelei ist der dritte Teil einer spannenden Krimi-Serie im Fantasysetting.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Die Abenteuer des Barden Spikero
3 Werwolfgen & Teufelei
1.Auflage
© 2024 C. Gina Riot
All rights reserved.
Lektorat: Angela Huber
Korrektorat: Josephine Awgustow
Cover Design, Karte, Satz & Layout: LAYOUTRIOT - Agentur für Werbung und Design
(www.layoutriot.at)
www.dienerdesordens.at
1 - Präludium
Höret, höret! Wertes Manns- und Weibsvolk, verehrte Bewohner Thals. Treten Sie näher und staunen Sie!«
Der Barde Spikero folgte der hellen Stimme, die über den Greifenplatz echote. Eine gewaltige Menschenschar versperrte ihm die Sicht. Bloß der Gipfel eines rot-weiß gestreiften Zeltes ragte dahinter auf.
»Treten Sie heran und werden Sie Zeugen einer einzigartigen, außergewöhnlichen und überaus schaurigen Attraktion!«
Von der Neugierde gepackt quetschte sich der Barde durch die Versammelten, drängte beiseite, wer ihm die Sicht versperrte, und kämpfte sich bis ganz nach vorne in die erste Reihe. Vor ihm befand sich eine Bühne auf einem Karren. Pflöcke und Taue trennten den Zuschauerbereich von den Schaustellern, die den Mittelpunkt des Platzes für sich beanspruchten. Eine attraktive Tänzerin schwang das hochgeschlitzte schwarze Kleid, sodass das Blutrot ihres Unterrockes bei jeder Umdrehung aufblitzte. Ein gekonnt reizvolles Lächeln schmückte das ohnehin perfekte Gesicht, während sie den Kopf gegen die Rotation wandte und von einem Zuschauer zum nächsten sah.
Vor der Bühne erblickte der Barde eine junge Frau, möglicherweise einige Jahre jünger als er selbst, die Kunststücke mit einem Schwert, das nahezu ihrer Körpergröße gleichkam, darbot. Doch lange verweilte Spikeros Blick nicht auf der jungen Darstellerin, denn eine wahrhaft sonderbare Attraktion bot sich dem Barden auf der Bühne. Ein Zwerg mit hüftlangem Bart und breiter Statur bewies sich im Messerwerfen. Schneller als es des Spielmanns Augen erfassten, schossen die Silbermesser durch die Luft und bohrten sich in den Holzpflock am anderen Ende der Bühne. Der Troubadour hatte noch nie in seinem Leben einen echten Zwerg gesehen. Sein Kinn kippte nach unten und die Mundwinkel regten sich gen Himmel. Der Bärtige hob nach jedem Wurf triumphierend die Arme und grölte, auf dass ihm der Applaus der Zuschauer entgegenbrandete.
Spikero wusste gar nicht, wohin er zuerst blicken sollte. Zwischen dem Gebrüll der Menschenschar erfüllten Lauteklänge den Greifenplatz und beanspruchten Spikeros Aufmerksamkeit für sich. Ein schlaksiger Spielmann umrundete die Bühne, während er die Tänzerin mit flottem Lautenspiel und Glockenschellen zu immer wilderen Umdrehungen anstachelte.
Ringsum echote das Klatschen der Zuschauer, die versuchten, mit dem Tempo des Spielmanns mitzuhalten. Jemand pfiff, ein anderer sang die Melodie in falschem Ton mit, Spikero vernahm Laute des Staunens und Jubelrufe, wenn das Mädchen ein weiteres waghalsiges Kunststück mit dem Schwert vollführte, und manch einer schunkelte auch im Takt zu des Spielmanns flottem Stück.
»Verehrte Thalbewohner, Sie sind ein fantastisches Publikum!«
Spikero riss den Kopf herum, als er die helle Männerstimme gewahrte, die ihn vorhin angelockt hatte. Ein hochgewachsener, schlanker Mann mit langem, schneeweißem Fellmantel schritt die erste Zuschauerreihe entlang. In der Hand trug er einen Hut, in den die Menschen Goldstücke warfen. Der schalkhafte Ausdruck seiner Augen kontrastierte zu der anmutigen Haltung und der Eleganz, mit der er an den Zusehern vorüberschwebte. Zudem war sein Aussehen allein schon Attraktion zur Genüge, wie der Barde befand. Denn neben dem symmetrischen Gesicht und den gewaltigen Augen fiel ihm schneeweißes Haar glatt und glänzend an dem schlanken Leib hinab, wobei zwei sepiafarbene Strähnen das Gesicht vorne einrahmten. Als er mit seinem Hut neben Spikero trat, formte er seine schmalen Lippen zu einem breiten Lächeln und legte zwei spitze Eckzähne frei. In den übergroßen, mintgrünen Augen blitzte etwas Freches, nahezu Übermütiges auf.
Spikero ließ ein Goldstück in den Hut fallen und blickte dem Kerl hinterher, der die erste Reihe einmal ablief, bevor er mit einem grazilen Sprung die Bühne erklomm.
Der schlaksige Spielmann endete und mit ihm hielten auch die übrigen Gaukler ein.
Neugierig straffte der Barde Spikero den Rücken und verlängerte seinen Hals.
»Und nun, werte Zuschauer«, verlautbarte der junge Mann in Weiß. Er ließ eine Kunstpause folgen, in der er den Kopf langsam drehte und abermals ein freches Grinsen seine Mimik dominieren ließ. »Nun kommt der Moment, in dem ich Ihnen die schaurigste aller Attraktionen präsentieren darf. Eine Bestie, wie Sie sie noch nie gesehen haben.«
In der nächsten Pause, die folgte, ging ein Raunen durch die Versammelten.
Die Schausteller verließen ihre Positionen und huschten hinter die Bühne, wo das rot-weiße Zelt prangte.
»Was ist das denn nun für eine Bestie?«, rief eine Frau an Spikeros Seite ungeduldig nach vorne.
»Eine gewaltige, furchteinflößende und überaus hungrige Kreatur«, erwiderte der Weiße. Er riss den Mund theatralisch auf, um eine grausige Grimasse zu ziehen. Sogleich förderte er wieder den Hut zutage. »Ihr Hunger ist nahezu unstillbar.« Er fischte all die Goldmünzen aus dem Hut, die er zuvor eingesammelt hatte, verwahrte sie in einem Samtbeutel, den er der Tänzerin in hohem Bogen zuwarf, bevor er sich wieder seinen Zuschauern zuwandte. »Wir benötigen viele Goldmünzen, um dieses Biest zu ernähren.« Er schleuderte den Hut in die Luft und fing ihn wieder auf, ließ ihn zwischen seinen Fingern rotieren, nur um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Dann zeigte er abermals seine spitzen Zähne, ehe er den Hut in hohem Bogen in die Menge warf. »Fangen Sie!«
In der Zwischenzeit bemerkte Spikero, dass sich das Zelt hinter der Bühne bewegte. Und gleich darauf zogen jene Schausteller, die zuvor ihre Fertigkeiten unter Beweis gestellt hatten, das gesamte Zelt über eine Planke die Bühne hinan. Vorne schritt ein alter Mann in bodenlanger Robe und baren Füßen, der eine seltsame Glaskugel in beiden Händen trug.
Ein Murmeln durchwanderte die Leute.
»Die müssen das heute Nacht aufgebaut haben«, sagte eine Frau in Spikeros Rücken im Plauderton zu einer anderen, »denn gestern waren sie noch nicht da.«
Spikero fühlte sich von ihrem Geplapper gestört. Er wollte doch bloß die Bestie sehen.
»Wer von Ihnen hat schon einmal einen echten Werwolf zu Gesicht bekommen?«, rief der schlanke Redner auf der Bühne zu den Versammelten.
Die Gaukler zerrten Taue auseinander, sodass sich die vordere Plane des Zeltes anhob.
Spikero verengte die Augen zu Schlitzen, um etwas zu erkennen. Der Alte in der langen Robe versperrte ihm die Sicht auf das Objekt, das sich im Inneren des Zeltes befand. Endlich hatte sich die Plane so weit gelüpft, dass er einen Blick erhaschen konnte. Ein Käfig verbarg sich unter dem Leinenstoff, groß genug, um beinahe das gesamte Zelt auszufüllen.
»Aber das ist doch ein ganz gewöhnlicher Mensch!«, protestierte einer der Zuschauer.
Jetzt erkannte auch Spikero, was sich in dem Zelt befand. Ein Mann, womöglich Mitte fünfzig, kauerte hinter den Gitterstäben. Der nackte Oberkörper sonnengebräunt, das Haar borstig und die Hose zerschlissen. Aber wie eine Bestie sah er wirklich nicht aus.
»Wo ist denn nun das Biest?« Hinter Spikero begann ein Gedränge.
»He! Ich seh doch gar nichts!«, echauffierte sich jemand anderes weiter hinten.
»Wir wollen die Bestie sehen!«
Der Redner hob die Hand und rief sie zur Stille. »Wenn Sie die Verwandlung mit eigenen Augen erleben wollen, dann sorgen Sie dafür, dass der Hut bis zur Krempe mit Goldmünzen gefüllt ist, ehe er zu mir zurückwandert.«
»Das ist doch gewiss ein Schwindel«, beschwerte sich ein gut gekleideter Mann an Spikeros Seite. »Die krallen sich unser hart erarbeitetes Gold und machen sich vom Acker.«
»Also ich für meinen Teil will einen Werwolf sehen.«
Schon zog der Hut von einem zum anderen und reihum klimperten Münzen. Der Barde weigerte sich, ein weiteres Goldstück in den Hut zu werfen und starrte stattdessen wieder zur Bühne hinauf. Der alte Mann wirkte angespannt. Er umklammerte die Glaskugel mit einem Arm und kratzte sich den kahlen Kopf. Dabei zog er die Schultern fast bis zu den Ohren hinauf. Der gestrenge Blick lauerte auch in den Augen der Tänzerin, die sich geflissentlich das hüftlange Haar mit den Fingern durchkämmte. Merkwürdig erschien Spikero die Vertrautheit, mit der der Zwerg mit dem Gefangenen sprach.
»Ich kenne mich ein bisschen mit Werwölfen aus«, sagte der Mann an Spikeros Seite. Er beugte sich näher zu ihm herab. »Meine selige Großmutter hat mir früher gern aus einem alten Fabelbuch vorgelesen. Die Geschichten über Werwölfe mochte ich am liebsten.«
Wortlos wandte der Barde den Blick von der Bühne ab, um sich den Mann zu besehen, der mit ihm zu plaudern begonnen hatte.
»Es ist taghell. Werwölfe sind mondsüchtig. Ihr versteht? Es bedarf der Monde, auf dass sich ein Mann in einen Wolf verwandelt. Was die da vorne von sich geben, ist ausgemachter Unsinn. Gleich was auch immer sie uns darbieten wollen, mit einem Werwolf kann das nichts zu schaffen haben.«
»Ach so?«
»Aber ja doch. Werwölfe werden nur bei Nacht gefährlich. Darüber hinaus auch nur, wenn der Himmel nicht wolkenverhangen ist. Wenn ich es Euch doch sage, junger Mann: Bei Tageshelle werden wir bestimmt nicht Zeuge einer Verwandlung.«
Der Barde nickte bloß stumm und wandte sich wieder der Bühne zu. Die Aufregung ließ ihn die Luft anhalten. Ungeduldig linste er über die Schulter, um den Hut in der Traube von Menschen zu erspähen. Wie lange dauert das denn noch, bis er bis zur Krempe gefüllt ist?
»Und wo wollen die einen Werwolf denn außerdem herhaben, frage ich Euch.« Wieder beugte sich der Herr zu ihm herab. Etwas verstimmt furchte sich seine Stirn. »Hier mitten in der Stadt. Werwölfe treten in den Wäldern auf. Aber doch nicht in Thal, hier in der größten Stadt der Erdenwelt. Da ist etwas faul, mein Lieber. Das rieche ich doch bis hierhin.«
Spikero zuckte bloß mit den Schultern. Insgeheim hoffte er, dass sich der Mann irrte, denn die Schaulustigkeit übertrumpfte jeden Anflug von Furcht. Einen wahrhaftigen Werwolf wollte er zu Gesicht bekommen. Das klang doch wie ein aufregendes Abenteuer, das nur auf ihn gewartet hatte.
Endlich kehrte der Hut zurück zu seinem Besitzer. Im Inneren klimperte es verheißungsvoll. Der schlanke Mann mit dem weißen Haar vollführte eine Verbeugung, bevor er mit der Beute abermals die Bühne erklomm. »Werte Zuschauer, werden Sie nun Zeugen einer einzigartigen, niemals dagewesenen Darbietung. Schauen Sie, wie sich der Mann zur Bestie wandelt.«
Der Alte brachte die Glaskugel vor den Körper und wandte sich der Menschenansammlung zu. In seinem Rücken lag nun der Käfig.
Der Gefangene stand mit gebückter Haltung wie zu einer Säule erstarrt und richtete den strengen Blick gen Boden. Als sammelte er all seine Kräfte für die bevorstehende Verwandlung.
»Ich meine, hier in Thal herrscht Krieg.« Der Mann an Spikeros Seite fing abermals zu reden an.
Der Barde schenkte ihm bloß einen entnervten Seitenblick, verhielt sich jedoch still und artig. Auf die Geschehnisse vorne auf der Bühne wollte er sich konzentrieren. Auf die Verwandlung und den Alten mit dem Kahlkopf, der soeben die Glaskugel theatralisch von seinem Körper streckte. Nicht auf den griesgrämigen Kerl, der ihm einreden wollte, die gesamte Darstellung wäre nichts als ein Schwindel.
»Da ist es nur ganz natürlich, dass die Leute versuchen, an Münzen zu kommen, nicht wahr?« Ein kehliges Lachen unterbrach seine Schwafelei. »Aber zugleich tummeln sich hier nur noch Gauner und Verbrecher. Ja, Schausteller wie diese kenne ich zuhauf. Versuchen Euch mit billigen Tricks die Goldstücke aus den Taschen zu ziehen, aber für Eure Ausgaben erhaltet Ihr nichts. Hört auf meine Worte, junger Mann! Das ist nichts als Scharlatanerie und Hinterhältigkeit. Einen Werwolf werdet Ihr heute an diesem Tage unter der Vormittagssonne nicht zu Gesicht bekommen.«
Spikero schnaubte.
»Beseht Euch doch nur mal den Himmel, junger Mann! Ja, ja, Krieg und Armut. Während Thal Wintergaards Stadt belagert, müssen wir hier in unserem Land Hunger leiden. Da ist es nur gewöhnlich, dass ...«
Als die Glaskugel in den Händen des Alten weiß zu strahlen begann, verstummte der lästernde Mann neben Spikero endlich. Die Tänzerin und der Zwerg spannten die Plane, bevor sich der Alte ruckartig herumdrehte und die Kugel vor das Gesicht des Gefangenen streckte.
»Werte Besucher, werden Sie nun Zeugen der Verwandlung von Mensch in Bestie!« Der Redner veränderte seine Stimme künstlich, um noch mehr Spannung in den Moment zu manövrieren.
»Gar nichts werden wir«, versetzte der Mann neben Spikero.
Spikero hielt sich nun nicht mehr mit seiner Entgegnung zurück. Wenn ihm der Griesgram die ganze Vorstellung verdarb, würde der Barde sehr ungemütlich werden. »Dennoch steht Ihr noch da und starrt zur Bühne hinauf.«
»Nur um zu beweisen, dass ich recht habe.«
»Wenn Ihr es ohnehin nicht sehen wollt, dann tretet beiseite, sodass auch ich sehen kann«, maulte eine untersetzte Alte von hinten.
Dem Barden wurde es allmählich zu dumm. Er entfernte sich einen Schritt und starrte wieder mit gefurchter Stirn zur Bühne. Endlich regte sich etwas. Die Kugel erhellte die Dunkelheit, die sich an das Innere des Zeltes heftete, und beleuchtete das Gesicht des Gefangenen. Der Mann im Käfig sah langsam auf. In seinem Blick lauerte etwas Verängstigtes, gleich etwas Verstörendes. Eine Gefahr, die in ihm zum Leben erwachte. Seine grobschlächtigen Hände rieben über die nackte Brust, als reizte etwas seine Haut.
Der Troubadour hielt den Atem an.
Ein Rucken erfasste den Käfig und gleich darauf zitterte das gesamte Holzkonstrukt, auf dem er stand. Zugleich erkannte der Barde, dass ein Schlottern durch den Körper des Gefangenen ging. Er wand sich, peitschte das kinnlange Haar hin und her, riss den Kopf zurück und entließ einen stummen Schrei. Die Augen rollten zurück, während die Kinnlade plötzlich heftig nach unten klaffte. Seine Finger krallten sich in die Brust. Mit aller Kraft schleuderte er den Kopf nach allen Seiten, die Schultern folgten, bis er grausam zu brüllen begann. Das Licht der Glaskugel beschien ihn wie Mondlicht. Schlagartig wuchs der Körper des Gefangenen empor, fast bis zur Decke des Käfigs.
Ein erschrockener Laut kroch durch die Versammelten.
Plötzlich ging die Verwandlung rasant vonstatten. Der Körper des Mannes verformte sich. Sein Hals wurde länger, während die Wirbelsäule hinter seinem Kopf weiterzuwachsen schien, auf dass sich der Körper krümmte. Haar wuchs in Büscheln auf seiner nackten Haut, überzog die Handrücken, die Arme, Bauch und Brust und schlussendlich erfasste der Wuchs auch das Gesicht, während die Kieferpartie sich zu einer Schnauze formte. Aus dem menschlichen Schrei wurde ein bestialisches Brüllen. Tief und rau, doch brachial brandete es auf die Zuschauerreihen hernieder.
Instinktiv wich der Barde einen Schritt zurück, doch weit kam er nicht, denn hinter ihm drängten sich die Zuschauer immer dichter nach vorne.
Der Verwandlungsprozess war nahezu abgeschlossen. Die bestialische Kreatur in ihrem Käfig brüllte, fauchte, riss die Schnauze hin und her. Die Hände verformten sich zu gewaltigen Klauen, mit denen sie furios um sich schlug.
Spikeros Herz pochte wie wild geworden in der Brust, während der begehrliche Glanz eines Abenteurers in seinen Augen loderte.
Die Versammelten hielten schier simultan den Atem an, als der Werwolf ein weiteres donnerndes Gebrüll aus seinen Lungen entließ.
Die Schausteller lüpften die Zeltplane noch ein Stück, traten beiseite und gaben den Blick auf die Kreatur vollends preis, bevor sie sich gemeinsam verneigten und dem Schauspiel ein Ende bereiteten. Die Verwandlung war abgeschlossen und jeder Zuschauer hatte bekommen, was ihm versprochen worden war.
»Meine verehrten Zuschauer.« Der Redner vollführte eine kunstvolle Umdrehung, bei der sein weißer Mantel einen Halbkreis um ihn beschrieb. Dabei entdeckte der Barde ein Symbol auf seinem Rücken. Eine breite, senkrechte Linie, unter der ein Punkt saß. Beides so sepiafarben wie die Haarsträhnen, die das Schneeweiß durchbrachen. »An meiner Seite: die anmutige, außergewöhnlich liebreizende Agnesia aus dem fernen Pargatmä!«
Applaus flutete den Greifenplatz, als die Tänzerin zum Bühnenrand schwebte, das bodenlange Kleid um sich schwang, eine Rotation vollführte, bevor sie sich tief verneigte. Sie warf sich die schwarzen Wellen in einer flinken Bewegung über die rechte Schulter, zwinkerte dem Publikum reizend zu, bevor sie sich nach hinten zu den anderen stellte.
»Der Meister der Messer. Schneller als das Auge erlaubt, schießt er mit Silber und verfehlt kein Ziel. Der sagenhafte, unglaubliche Bertiwer aus dem Grauland!«
Des Barden Lippen formten sich zu einem Lächeln, als der Zwerg den vorderen Bühnenrand betrat. Er riss die Arme hoch, grölte und stachelte die Anwesenden zu noch lauteren Jubelrufen an.
»Die wildesten Klänge, rhythmischsten Melodien und außergewöhnlichsten Kompositionen im ganzen Land vollbringt kein Zweiter wie der legendäre Spielmann Taddeldus!«
Ein breites Grinsen stahl sich auf das Gesicht des schlaksigen Barden, als dieser mit seiner Laute in der Hand vortrat. Gekleidet von Kopf bis Fuß in violette Seide glänzte er unter der Vormittagssonne. Seine gewaltige Nase warf Schatten auf die dünnen Lippen und die dichten Locken drängten sich eng an seine Augen heran.
Spikeros Innereien krampften sich vor Neid zusammen. Er sollte auf dieser Bühne stehen, vor einem Publikum wie diesem. Einen Redner wollte er an seiner Seite wissen, der ihn anpries als den legendären Barden Spikero, als Spikero den Waghalsigen. Der Applaus in seinem Rücken schmeckte ihm überhaupt nicht. Zudem trug Taddeldus in Spikeros Augen das Kinn zu hoch und das Barett zu tief. Und so außergewöhnlich war seine Komposition nun auch wieder nicht.
»Ein Prediger und ein Magier aus dem reichen Süden«, kündigte der Redner an.
Der Alte in der langen Silberrobe trat nach vorne.
»Mithilfe seiner magischen Mondkugel beschwört er die Verwandlung herauf, die Sie, verehrtes Publikum, in Staunen versetzt. Der Mondmagier Flaxus aus Andoulous!«
Der Applaus ebbte nicht ab und Spikero wagte einen flüchtigen Blick zu dem Mann an seiner Seite. Eine Mondkugel also, dachte der Spielmann verzückt.
»Noch keine zwanzig Jahre jung ist sie, unsere Schwerttänzerin, doch begnadet, talentiert und wie für die Schaustellerei geschaffen. Einen kräftigen Applaus für Deleresia!«
Mit dem langen Schwert in beiden Händen tänzelte das Mädchen nach vorne. Sie schnitt erst lustige Grimassen, dann zerstrubbelte sie sich das kurze blonde Haar, ehe sie eine tiefe Verbeugung folgen ließ.
»Sie waren ein fantastisches Publikum!«
Der Applaus flaute nicht ab. Jubelrufe und Pfiffe brachten beinahe Spikeros Trommelfell zum Zerbersten. Auch er klatschte eifrig in die Hände und spürte, wie der Kiefer vor lauter Grinsen verspannte.
»Erzählen Sie es Ihren Freunden, Ihren Feinden, jedem, dem Sie begegnen. Wir sind noch etwas länger hier in diesem Teil des Landes. Mein Name ist Djimini und ...« Die letzten Worte des Redners verloren sich in tosendem Beifall.
Die Zeltplane fiel und verbarg den Werwolf unter sich.
Djimini verneigte sich tief. Ein euphorisches Lächeln umspielte seine Lippen. Einmal ließ er den Blick noch über sein Publikum schweifen, ehe er sich mit einer wilden Umdrehung abwandte.
Spikero linste zu seiner Linken und suchte in der Mimik des Griesgrams Bestätigung dessen Irrtums. Fast musste der Barde schelmisch grinsen, doch so weit kam er nicht, denn ganz plötzlich zerschnitt ein gewaltiges Poltern die Luft. Spikero riss den Kopf wieder herum.
Einer Explosion gleich riss das Zelt auseinander und die Gaukler wurden nach hinten katapultiert. Der Werwolf sprang heraus. Der Käfig kippte, drohte gerade umzufallen. Schlagartig herrschte Stille, doch nur für den Bruchteil eines Augenblickes, ehe Geschrei den runden Platz erfüllte.
Mit einem Satz landete der Werwolf geradewegs vor Spikeros Füßen.
Schreiend taumelte der Barde zurück, ruderte mit den Armen und schlug mit dem Gesäß zwischen den Menschen auf dem steinharten Pflaster auf. Die Zuschauer setzten sich in Bewegung, brüllten, kreischten durcheinander, begannen zu fliehen, wobei einige stürzten und übereinander stolperten.
Spikeros Herz machte einen Satz, als der Werwolf ihm plötzlich seine gewaltige Schnauze zuwandte. Der Schrei blieb ihm in der Kehle stecken. Für einen Wimpernschlag stierten ihm die unmenschlichen Augen der Bestie direkt ins Antlitz. Im nächsten Moment riss die Kreatur den Kopf herum und stürzte sich geradewegs in die Menge. Knurrend fletschte sie die Zähne, schnappte in Richtung der Menschen, die gerade noch kreischend vor dem Ungetüm fliehen konnten. Der Werwolf bäumte sich zur vollen Größe auf, ragte aus der panischen Umgebung auf wie ein Turm, während ringsum das Chaos herrschte.
Von der Bühne her stürzten sich die Schausteller von hinten auf das Scheusal. Der Mondmagier schwang eine schwere Eisenkette.
Spikero rappelte sich auf, kroch über den Boden, zwischen laufenden Beinen hindurch. Eine Frau kam zu Fall. Ein Mann stolperte über ihren Leib und kam neben Spikero zum Liegen. Jemand packte den Barden am Arm und zerrte ihn wieder auf die Beine. Verschreckt blickte er empor, doch der Retter lief einfach von dannen. In Spikeros Rücken ertönte ein bestialisches Knurren, dann schrillten die Ketten, die auf dem Boden aufschlugen. Jemand rempelte den Barden an und er wurde herumgeschleudert.
Der Werwolf holte aus und schlug mit seiner Krallenhand auf die Menschen ein, die durch den Tumult nicht vorwärtskamen. Erwischte eine Frau und zerfetzte ihr mit einem tödlichen Prankenhieb die Kehle.
Spikero sah bloß noch, wie sich der Redner Djimini von hinten auf den Werwolf warf, er nach hinten katapultiert wurde und der Mantel zerriss. Dann verschwand er in der aufgebrachten Menschenmenge.
Im nächsten Augenblick realisierte der Spielmann, dass ihn seine Beine nicht mehr trugen. Bevor er sich dessen bewusst wieder in Bewegung setzte, erkannte er nur noch, wie der Werwolf sich auf jenen Mann stürzte, der zuvor nicht an seine Existenz geglaubt hatte, und ihn binnen eines Wimpernschlages vollkommen zerfleischte.
2 - Fuge
Auch als die Nacht längst hereingebrochen war und Spikero sich in einer Seitengasse verkroch, hämmerte sein Herz noch immer vor Angst. Die Aufregung hatte ihn nicht mehr zur Ruhe kommen lassen. Der Werwolf war noch immer da draußen. Irgendwo in der Stadt. Spikeros Puls schoss in die Höhe. Bei jedem Geräusch zuckte er zusammen. Ein Flattern durchschnitt die Luft, das dem Barden einen hellen Schrei entlockte.
»Uhuuuhu?«
»Ach, du bist es, Piepmatz.« Erleichtert atmete er auf, als sein treuer Begleiter, die magische Eule, sich neben ihm niederließ.
»Uhuuuhu.«
»Piepmatz, es war wirklich schaurig. Ob ich es deinen magischen Fähigkeiten zu verdanken habe, dass mir kein Leid zustieß?«
Der Ħūwwilō legte das Köpfchen zur Seite und fiepte.
»Ach, wenn es sich um einen Fluch handelte, dann wäre ich sicher, nicht wahr? Davor beschützt du mich, kleiner Piepmatz. Aber vor wilden Bestien bin ich nicht gefeit.« Ein Schauder kroch dem Spielmann zum wiederholten Male über den Rücken. »Und er ist da draußen irgendwo«, wisperte er. »Der Werwolf. Ich sah mit eigenen Augen, wie ein Mensch zerfleischt wurde.« Spikero wagte es nicht, die Stimme zu erheben. »Und nun sitzen wir beide hier. Schutzlos und allein in dieser großen Stadt, dem großen Land, hier auf der Straße. Obdachlos und verängstigt.«
»Uhuuhu?«
»Du weißt ganz genau, dass das nicht geht, kleiner Ħūwwilō.« Spikero furchte die Stirn und ballte eine Hand zur Faust, so sehr beutelte ihn die Wut. »In die Unterkunft kann ich nicht mehr zurückkehren. Ich will nicht riskieren, auf Ber zu treffen. Nein, nein, nein, kleiner Freund. Ber und ich, das gehört der Vergangenheit an.« Mutlos ließ er den Kopf hängen und schüttelte ihn leicht. Ein tiefes Seufzen verließ seine Brust. Wut, Angst und Trauer vermengten sich zu einem komplexen Gefühlschaos. »Ach, Piepmatz, niemals hätte ich es mir träumen lassen, dass Ber mir so etwas antun würde. Und als ich sie dabei erwischte, wie sie Zunge an Zunge mit diesem aufgedonnerten Eduardo gegen die Kisten ... und ... mir wird ganz schaurig zumute, mein Freund. Es tat ihr noch nicht einmal leid. Oder?« Als er den Kopf hob, überzog ein feiner Tränenfilm seine Augen, sodass er die Eule etwas verschwommen wahrnahm.
Sein gefiederter Freund schwieg und hielt den Kopf geneigt.
»Ich kann es ja noch immer nicht glauben.« Der Spielmann umfasste die abgewinkelten Beine mit beiden Armen und ließ sich mutlos nach hinten gegen die Hausfassade fallen. »Spikero der Waghalsige, ein fabelhafter Barde und Abenteurer. Aber heute fühle ich mich so gar nicht fabelhaft und waghalsig ebenso wenig. Ein erdenweltbekannter Troubadour, der auf der Straße nächtigen muss? Nein. Das klingt nicht ruhmreich.«
»Uhuhuu!«
»Vergiss es! Bevor ich in die Unterkunft der Seeleute zurückkehre, lasse ich mich lieber von einem Werwolf fressen.« Schon wieder kroch ihm ein Schauder über den Rücken, bloß bei dem Gedanken, er müsste diesen Schwur nun wahr werden lassen. »Im Augenblick ist mir das Schicksal wahrlich nicht wohlgesinnt.« Der Barde legte sich den Mantel um die Schultern, der ihm seit seinem Auszug aus der Unterkunft als Decke diente, und kuschelte sich darin ein. Als er die Augen schloss, rauschten abwechselnd der Werwolfangriff und der Moment an ihm vorbei, als Ber diesen reichen Eduardo küsste. Bald schon sah Spikero Ber in leidenschaftlicher Umarmung mit dem Werwolf. Kopfschüttelnd riss er die Augen wieder auf. »Es ist doch wirklich zum Gremioreneier-verkohlen, dass mir gerade kein Glück widerfährt. Liebeskummer und Todesangst, das sind mir ja schöne Aussichten auf mein Thalabenteuer.«
»Uhuuhu.«
»Sag mir nicht, dass ich nicht schimpfen soll!« Spikero biss die Zähne zusammen. »Und weißt du, was das Schlimmste an der Sache ist, mein kleiner Piepmatz? Jene, die ich meine Freunde nannte, haben mich bitterlich enttäuscht. Sigmund zum Beispiel. Erinnerst du dich, wie er mich davon abhalten wollte, Ber zu treffen? Er wusste es. Die ganze Zeit über wusste er, dass meine geliebte Ber mich mit einem anderen hinterging. Und kein Wort verlor er. Nein, er stellte sich auf Bers Seite und deckte sie auch noch.«
»Uhuhuuu!«, entgegnete der Ħūwwilō aufgebracht.
»Nein, es ist mir einerlei, ob sich die beiden schon viel länger kennen und sie eine tiefe Seemannsfreundschaft verbindet. Hier ging es um Recht und Unrecht und Sigmund hätte anders reagieren sollen. Verstimmt und atonal! Daran unterscheide ich einen Freund von einem Verräter.«
Nun entgegnete die Eule nichts darauf.
»Erinnerst du dich an ihren Blick?« Er sah seinen gefiederten Freund unverwandt an. »Du warst gar nicht zugegen. Auf dem Dach des Lagerhauses wartetest du auf mich. Da kannst du Bers Reaktion gar nicht gesehen haben. Ich will es dir erzählen.«
Jegliche Versuche seitens Sigmunds, den Barden davon abzuhalten, das Lagerhaus zu betreten, waren zwecklos gewesen. Von des Seemanns dubiosen Ausreden genervt zwängte sich der Barde einfach an ihm vorbei und drang in das Lagerhaus ein. Doch in dem Moment, als er sein holdes Mädchen in den Armen eines anderen Mannes sah, zersprang ihm das Herz in abertausend Teile.
»Ber?« Weinerlich, fast erstickt, drang es aus ihm heraus.
Die grobschlächtige Seemannsfrau drängte Eduardo erschrocken zurück und rieb sich mit dem Handrücken über die Lippen, als könne sie den Kuss dadurch abstreifen. »Spikero«, entgegnete sie überrascht. Sie besaß sogar die Dreistigkeit, verlegen zu kichern. »Was treibst du denn hier?«
Wie zu Stein erstarrt blieb der Barde hinter dem Eingang stehen und kämpfte mit seinem gebrochenen Herzen. »Was ich hier treibe? Was treibst du hier?« Nur noch ein Piepsen drang zwischen seinen bleichen Lippen hervor.
»Das ist ...« Sie linste verstohlen zu dem adretten Eduardo und verstummte.
»Zum Essen wollte ich dich ausführen. Ganz schick. Auf meine Kosten. Und dann erwische ich dich hier dabei, wie du Überstunden machst. War es das all die Zeit? Kamst du deshalb immer später von der Arbeit? Weil du dich mit diesem ... diesem ... listigen Gestaltwandler treffen wolltest?« Er spürte, wie Tränen in seine Augen schossen.
Der gutaussehende Eduardo wich schweigend einen Schritt zurück, als wollte er sich in den Schatten der Truhen verstecken.
»Ach Spikero, jetzt hab dich nicht so.« Ber kreuzte die Beine im Stand, während sie die Arme vor der breiten Brust verschränkte. »Da ist doch nichts dabei. Alte Seemannsmanier eben.«
Spikero schluckte, riss erschrocken die Augen auf und wusste nicht, ob er schreien oder weinen sollte. Doch die Zunge war so trocken geworden, dass sie ihm fast am Gaumen festklebte. »Nichts dabei?«, keuchte er.
»So ist das Leben von uns Seeleuten, Spikero. In jedem Hafen ein anderer.« Sie schickte sich an, mit einer Schulter zu zucken.
Eduardos Miene blieb indessen steinern.
Dem Barden verschlug es den Atem. »Aber ...« Seine von Luft unterversorgte Lunge verwehrte ihm die Antwort.
»Mank machte es nicht anders. Und Sigmund hat auch die eine oder andere Liebelei auf seinen Reisen angefangen. Das ist bei uns Seeleuten nun mal so.«
»Aber Mank und Sigmund haben keinen kleinen Liebling, Ber. Du schon. Mich. Mich hast du. Was brauchst du da noch einen anderen in anderen Häfen, wenn du doch deinen kleinen Abenteurer Nacht für Nacht in die Arme schließen kannst?« Die erste Träne kullerte ihm über die Wange.
Ber druckste ein wenig herum und bohrte die Stiefelspitze in den staubigen Boden. »Das hat doch nichts mit dir zu tun, Spikero. Du stehst doch an erster Stelle und all das andere ist doch nichts Festes. Verstehst du?«
»Ich verstehe überhaupt nichts mehr.«
»Kleine aufregende Abenteuer. Nichts weiter. Das solltest du doch verstehen.«
Spikero schnappte nach Luft. »Kleine Abenteuer nennst du das? Ber, du hast mir gerade das Herz gebrochen und nun sprichst du von kleinen Abenteuern? Denkst du dabei eigentlich auch mal an mich?«
Ber und Sigmund wechselten einen Blick, den der Barde nicht zu deuten wusste, ehe der ihre beschämt zu Boden glitt.
»Ich denke, ich sollte ...« Eduardo ließ den Satz unbeendet und verließ das Lagerhaus mit gesenktem Kopf. Einer Haltung, in der Spikero ihn noch nie gesehen hatte.
»Ber, wie konntest du mir das antun?«
Ber schwieg.
»Wie konntest du mich nur auf solch scheußliche Weise hintergehen?« Eine zweite Träne floss in einem feinen Rinnsal die andere Wange hinab. »Und du, Sigmund, hast es die ganze Zeit über gewusst, nicht wahr?« Spikero verlagerte das Gewicht auf die Ballen und drehte sich herum.
»Nun ...« Zögerlich brummte der Seemann mit dem weißblonden Schopf, dann zuckte er eine Schulter und legte den Kopf zur Seite. »Ja«, gestand er schlussendlich.
»Du weißt doch über all den Klatsch und Tratsch hier Bescheid, wie du mir berichtetest. Aber darüber, dass meine Ber sich nach der Arbeit davonstiehlt, um sich in die Arme dieses verfluchten, reichen, verboten gutaussehenden Mannes zu werfen, hast du kein Wort verloren. Und ich glaubte, wir wären Freunde.«
Darauf erwiderte Sigmund nichts mehr.
»Ber, wie konntest du mir das nur antun?« Sein Blick wanderte wieder zu seiner stämmigen Seemannsfrau, die bestürzt den Kopf senkte. »Ich dachte, das, was zwischen uns besteht, wäre etwas von Bedeutung.«
»Ist es doch auch, Spikero. Keinen anderen habe ich so lieb wie dich.«
»Dennoch bevorzugst du es, mir ins Gesicht zu lügen und von späteren Schichten und Überstunden zu reden, nur um nicht bei mir zu sein. Schlimmer noch: um bei einem anderen Mann zu sein.« Er benötigte eine Pause, um Luft zu holen. Seine Kehle schnürte sich zusammen. Ihr Schweigen verschlimmerte die Situation noch. »Und jetzt macht auf einmal alles Sinn.«
Sie lugte hinter halb gesenkten Lidern hervor, doch entgegnete kein Wort darauf.
»Deine Gereiztheit darüber, dass du nicht zur Arbeit konntest. Da wolltest du ihn sehen, nicht wahr? Und dass du plötzlich damit angefangen hast, Rouge und Puder aufzutragen. Aus meinem Döschen!« Nun ballte er beide Hände zu Fäusten und hievte sich auf die Zehenspitzen vor Zorn. »Wie konntest du es wagen, mich derart hinterhältig, falsch und eiskalt zu hintergehen?«
»Wenn ich gewusst hätte, dass du es so schlecht auffasst, Spikero, hätte ich es nicht getan. Ich glaubte, es wäre nicht viel dabei und wenn du es herausfändest, nun ... dann wäre es nun einmal so. Aber dein kleines Herz wollte ich dir ganz bestimmt nicht brechen. Bitte verzeih mir.« Die Art, wie sie ihre Entschuldigung vortrug, besaß etwas vollkommen Gleichgültiges, wie Spikero befand.
»Das werde ich dir nicht verzeihen, Ber.«
»Könntest du es wenigstens versuchen?«
Der Barde runzelte konsterniert die Stirn.
»Wir werden noch eine Weile beisammen sein, bis wir Thal verlassen. Und auch da befinden wir uns gemeinsam auf einem Schiff. Da möchte ich kein böses Blut zwischen uns wissen.«
Spikero konnte nicht umhin, enttäuscht und verwirrt den Kopf zu schütteln. »Wie kannst du nur so kalt zu mir sein?«
»Du überforderst mich bloß. Leid wollte ich dir wahrlich keines zufügen. Ich dachte, es wäre nichts dabei und du wüsstest darüber Bescheid.«
»Über dich und Eduardo? Wie hätte ich das wissen sollen, so geheim, wie du es gehalten hast?«
»Nein, von der Seemanns–« Sie ließ den Satz offen und wurde gegen Ende immer leiser.
Sigmund nahm an ihrer statt das Wort: »Spikero, sieh mal, das ist in unseren Kreisen etwas ganz Natürliches. Nichts Böses oder Verräterisches. Eine Angewohnheit, wenn du so willst. Ein kleines Malheur vielleicht.«
Als Sigmund seine Hand auf Spikeros Schulter legte, zuckte er zusammen und schüttelte sie ab. »Ich bin aber kein Seemann«, echauffierte sich der Barde. Die volle Stimme hatte er nun in seiner Wut wiedergefunden. »Für einen wie mich, einen anständigen Menschen, ist so etwas ganz und gar nicht normal. Gar kein kleines Malheur. Das ist verräterischer Betrug, herzzerreißend und durchweg falsch und tut unheimlich weh.«
»Ach Spikero.« Als der Barde wie ein Damm brach und ihm die Tränen aus beiden Augen geschossen kamen, wagte die Seemannsfrau einen Schritt auf ihn zu. Sie breitete die Arme zur Seite aus, doch noch bevor sie ihn erreicht hatte, verschloss sie ihre Haltung wieder.
Der Troubadour hätte sie ohnehin nicht in den Arm nehmen wollen. Zu gekränkt, beschämt und verraten fühlte er sich im Moment.
»Kannst du mir vergeben?«
»Niemals.« Der Barde riss den Kopf hoch und knirschte mit den Zähnen.
»Und was bedeutet das jetzt für uns? Dass es vorbei ist?«
Er wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht und befreite seine Augen von der verschwommenen Sicht. »Ja, Ber. Genau das bedeutet es. Zwischen uns ist es vorbei.«
Ihr Gesicht veränderte sich. Betroffenheit und Schock verformten ihre Lippen. »Und können wir während unserer gemeinsamen Zeit in Thal hier zumindest den Frieden wahren? Wir schlafen in einem Bett. Nun, Manks Bett ist frei. Da werde ich mich hinlegen, damit du Platz für dich hast. Und ...«
»Tu dir keinen Zwang an«, entgegnete Spikero verbissen. »Ich ziehe noch heute aus. Um keinen Preis der Erdenwelt möchte ich noch länger mit dir in einem Raum verweilen. Und wenn es nach mir geht, möchte ich dich niemals wiedersehen.« Mit diesen Worten wandte er sich ab und ließ sie einfach stehen.
3 - Erste Strophe
Als der Barde am nächsten Morgen erwachte, konnte er sich gar nicht daran erinnern, überhaupt eingeschlafen zu sein. Doch erleichtert war er, dass er die Nacht überlebt hatte. Der erste Gedanke, der ihn beim Erwachen begleitete, war die grauenerregende Szenerie, als der Werwolf ein Stück aus dem Hals eines lebendigen Mannes gerissen hatte. Noch bevor Spikero richtig munter war, kroch ihm schon die Blässe um die Nase, und zu wissen, dass diese Kreatur hier in Thal noch immer ihr Unwesen trieb, ließ dem Spielmann einen Schauder über den Rücken krabbeln. Zugleich allerdings sah diese Situation bei Tage glatt wie ein aufregendes Abenteuer für ihn aus, ein Abenteuer, das den Barden lockte. Ein Werwolf inmitten der größten Stadt der Erdenwelt. Ein schauriges Schauspiel, aus dem dieser Spielmann hier eine kleine, feine Komposition spinnen könnte. O ja, da haben wir das neueste Meisterwerk des sagenumwobenen Künstlers, des Barden Spikero des Waghalsigen. Das Hütchen, das ihm in der Nacht schräg übers Gesicht gerutscht war, legte er ab und auch den Mantel schwang er sich von seinem Körper, um zu seiner Laute langen zu können. Das klingt mir doch nach einem Erlebnis, das nach einer neuen Ballade schreit. Schon drehte er an den Wirbeln seines Instrumentes und schlug die Saiten an. Da fuhr ihm der Schock durch alle Glieder, als er plötzlich über und über mit handwarmer Flüssigkeit übergossen wurde. Ein Kreischen entwich seinen Lippen, bevor er den Kopf hochriss, um zu ergründen, woher die plötzliche Nässe stammte.
»Huch! Was habe ich Euch angetan?« Der Kopf eines mittelalten Mannes wurde aus dem Fenster gesteckt. In beiden Händen hielt er einen Nachttopf, dem er einen verschreckten Seitenblick widmete.
Da erkannte der Barde, womit er übergossen worden war, und ein weiterer Schrei löste sich aus seiner Kehle. »Ja, was habt Ihr mir angetan?«
»Bei meinen Stoffen, wo habe ich denn meine Augen? Ganz verquollen sind sie am Morgen und da blickte ich nicht hinab und entleerte den Inhalt meines Nachttopfes einfach über einen ... huch! Huch!«
»Meine teure Gewandung! Sie ist ruiniert.« Der Barde wollte an sein Seidenwams langen, doch die Erinnerung daran, womit es benetzt war, hielt ihn davon ab. Die gespreizten Finger froren in der Bewegung ein. Die meisten seiner Kleider befanden sich in der Unterkunft und er weigerte sich, dort hinzugehen, denn unter keinen Umständen wollte er auf seine untreue Ber treffen.
»Das werde ich wieder in Ordnung bringen«, rief ihm der Mann von oben her zu und verschwand augenblicklich im Inneren seines Hauses.
»He!«, rief der Barde ihm noch hinterher.
Nach einem flüchtigen Augenblick tauchte das rundliche Gesicht mit den dicken Wangen wieder im Fensterrahmen auf. »Fangt!« Schon warf er einen Schlüsselbund nach unten.
Der Barde reckte die Hände, doch er fiel einfach dazwischen durch und landete klirrend vor ihm auf dem Boden. Verdutzt blickte er hinan.
»Der Eingang befindet sich um die Ecke.« Der Nachttopfleerer deutete mit dem Finger. »Der Schlüssel mit dem roten Band sperrt das Tor auf. Nach den Stufen die erste Tür links im ersten Stock!«
Der Barde rappelte sich auf und kam der Aufforderung des Fremden nach. Als er oben angelangte, wurde er von dem klein geratenen Mann mit der fülligen Statur in Empfang genommen.
»Huch, huch, huch! Ich sollte meine Augen besser aufmachen, bevor mir ein solcher Fauxpas passiert. Bitte kommt herein, guter Mann, guter, armer Mann. Ach, was habe ich Euch nur angetan? Mitten am Morgen. Ach, mir ist auch nicht mehr zu helfen.« Kopfschüttelnd und vor sich herplappernd führte er den Spielmann hinein in seine geräumige Wohnung.
An allen Seiten entdeckte der Barde gewaltige Stoffrollen und Kleider mit üppigen Kragen und ausgefallenen Mustern.
»Für den Schaden komme ich selbstverständlich auf, guter Mann. Aber solch ein Fauxpas ist mir wirklich noch nicht passiert. Da entleere ich mir nichts, dir nichts meinen Topf und was geschieht dann? Da sitzt einfach ein nichtsahnender Mensch unter meinem Fenster. Aber guter Mann, was habt Ihr denn dort unten eigentlich getrieben?«
»Meine Laute habe ich gespielt. Das habe ich getrieben«, entgegnete Spikero in aufgebrachtem Ton.
»Huch! Aber Eurer Laute ist doch nichts passiert, oder doch?«
Der Barde hielt das gute Stück noch immer in beiden Händen mit ausgestreckten Armen von seiner verdorbenen Kleidung fern und überprüfte das Holz auf seine Trockenheit. »Nein, der ist zum Glück kein Leid geschehen.«
Der untersetzte Mann blies aus den Backen. »Dann bin ich beruhigt. Mit neuer Kleidung kann ich Euch entschädigen, aber eine Laute habe ich hier nicht herumstehen.« Er führte Spikero in einen sonnendurchfluteten Raum mit großem Werktisch, der über und über mit glänzenden Stoffen in sämtlichen Farben bedeckt war. »Glück im Unglück habt Ihr, junger Mann, dass ausgerechnet einer der besten Schneider dieses Landes Euch nun eine neue Garderobe schuldig ist.« Er drehte den Kopf, um Spikero zuzuzwinkern.
»Ein Schneider seid Ihr?«
»Na, was habt Ihr denn gedacht? Seht Euch doch nur mal um! Was denn sonst? Ein Hufschmied vielleicht?« Der Schneider entließ ein donnerndes Lachen. »Kommt nur! Und jetzt entledigt Ihr Euch erst einmal Eurer Kleider. Ich habe in allen Größen und Schnitten etwas Passendes da.«
Während sich der Barde mit gespitzten Fingern das Wams auszog und aus Hemd und Hose schlüpfte, holte der Schneider eine Schüssel mit Wasser, ein Stück Seife und wartete geduldig, bis sich der Spielmann aus seinen Beinlingen geschält hatte. Er gab dem Troubadour Zeit, sich zu waschen, bevor er ein Maßband herbeischaffte.
»Für jeden Anlass und für jede Gelegenheit habe ich die geeignete Garderobe«, flötete der Schneider vergnügt, bevor er Maß an Spikeros Bauch nahm. »Die Kleider, die Ihr gerade abgelegt habt, entsprechen Eurem Geschmack?«
»Aber freilich.« Fast drängte sich etwas Beleidigtes in die Stimme des Troubadours.
Der Schneider wich einen Schritt zurück und betrachtete Spikero von Kopf bis Fuß. »Habt Ihr bestimmte Vorlieben, was die Farbwahl betrifft?«
Spikero linste zu seiner ruinierten Seide und seufzte. »Ausgerechnet meine lichtblaue Garderobe musste daran glauben. Etwas Gleichwertiges bevorzuge ich.«
»In welcher Farbkombination darf es denn sein?«
»Eintönig. Vom Hütchen bis zu den Stiefeln möchte ich in ein und derselben Farbe erstrahlen. So handhabe ich es schon seit jeher und anders möchte ich es gar nicht.«
»Aber das sieht doch recht ungewöhnlich aus, junger Mann. Ich empfehle die Kombination aus zwei Farben. Aber bloß keine Komplementärfarben. Das ist aus der Mode geraten. Zu Blau empfehle ich je nach Farbintensität etwas Kräftiges oder etwas Schattiertes. Silber oder Anthrazit vielleicht?« Er wackelte durch den Raum und zog verschiedene Stoffe hervor. »Zu Türkis empfehle ich Rostbraun, Sandfarben oder Orange. Eine herrliche Farbkombination. Gold hingegen nur mit warmen Farben. Rot, Violett, Herbsttöne. Oder auch zu Grün.« Er wechselte zu der anderen Seite und schon förderte er schimmernde Seide in Grasgrün zutage. »Mit Goldkordeln und huch! Kupfer und Grün. Das würde die Mode von morgen, wenn ich die Entscheidungsgewalt besäße. Nun, unbescheiden gesagt, besitze ich sogar einen gewissen Einfluss, wenn ich das so sagen darf. Also, guter Mann, welche Kombination darf es denn sein? Ein kupfernes Hemd mit einem grünen Jäckchen? Dazu rostbraunes Beinkleid und ein Hütchen, das Kupfer und ... oder doch eine Hose aus einfachem Linnen in Anthrazitgrau und ein passendes Barett dazu?«
Der Barde verschränkte die Arme vor der Brust. »Keineswegs. Ich möchte von Kopf bis Fuß in ein und dieselbe Farbe getaucht sein. Das ist mein Markenzeichen. Sonst erkennt man diesen legendären Barden vielleicht erst auf den zweiten Blick. Das wollen wir doch nicht.«
»Ein Künstler also«, entgegnete der Schneider tonlos. Für einen Augenblick versteinerte sich seine Miene, doch sobald er den Kopf schüttelte, tauchte wieder der frohgemute Gesichtsausdruck auf und er suchte weiter seine Stoffe ab. »In diesen Farben habe ich noch etwas hier«, sagte er an sich selbst gewandt, bevor er den Raum verließ.
Mit trauriger Miene linste der Spielmann zu seiner urindurchtränkten Kleidung und entließ ein herzzerreißendes Seufzen.
Als der Schneider den Raum wieder mit einigen Kleidungsstücken betrat, ließ er die Schultern hängen und schenkte Spikero einen mitfühlenden Blick. »Kommt, guter Mann! Lasst uns doch mal sehen, wie Euch diese Kleider passen, ja?«
Der Barde konnte ihm ansehen, wie leid ihm sein Missgeschick tat. Er schlüpfte in das königsblaue Seidenhemd und ließ sich die Manschettenknöpfe verschließen. »Also diese aufgebauschten Ärmel finde ich sehr reizvoll.«
»Wenn Ihr keine andere Farbe duldet, so will ich Euch stattdessen mit Muster Kontrast verleihen. Schlüpft in diese Brokatjacke, junger Mann!« Der Schneider ließ des Barden Arme hineingleiten. »Sie sitzt wie angegossen, nicht wahr?«
»Doch wahr! Als hättet Ihr dieses Wams hier für mich geschneidert.« Nun da seine Garderobe mit Hose und Hütchen komplettiert war, ein kleiner Spitzenkragen darangeheftet wurde und seine Brosche vom alten Jäckchen auf das neue übertragen war, drehte er sich vor dem Spiegel. Dass er nun Kleidung besaß, die die vorherige an Wert überstieg, wagte er gar nicht auszusprechen. Womöglich war sie sogar teurer als alles, was er sich derzeit leisten konnte.
»Eurem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, gefallt Ihr Euch in Eurer neuen Gewandung.« Zufrieden klatschte der Schneider in die Hände und seine runden Backen nahmen einen zarten Roséton an.
»Wahrlich. Schick sehe ich aus«, lobte der Barde.
»Dann soll sie die Eure sein und meine Schuld ist getilgt. Die verdorbenen Kleider könnt Ihr hierlassen. Wollen wir doch mal sehen, ob sie noch zu retten sind.« Der Schneider bückte sich, um sie aufzuheben. Ekel legte er keinen in die Handlung. Dennoch fror er plötzlich inmitten der Bewegung ein und lauschte.
Spikero tat es ihm gleich.
Klackernd näherten sich Schritte. Noch bevor der Schatten dem Besucher vorauseilte, rief der Schneider schon auf den Flur hinaus: »Djimini!«
Der Redner, den Spikero am Vortag gesehen hatte, stolzierte erhobenen Hauptes zur Tür herein. »Woher wusste Er, dass ich es bin, Fidibus?« Selbst mit geschlossenen Lippen blitzten die Spitzen der Eckzähne hervor.
»Eure hohen Absätze.«
Djimini trat leichtfüßig auf den Schneider zu, blieb kurz stehen, um sich Spikero in seiner neuen Gewandung zu besehen, und entließ ein anerkennendes Pfeifen. »Hat Er meinen Mantel fertig?«, fragte der schlanke Redner, ohne von Spikero wegzusehen.
»Ich konnte ihn flicken.«
Schwungvoll warf sich der Redner den reparierten Mantel um die Schultern und trat auf den Werktisch zu. Er legte beide Hände daran und streckte genüsslich den Rücken.
Spikero schenkte ihm einen verdutzten Blick, doch blieb vor dem großen Standspiegel stehen, um sich noch ein bisschen zu bewundern. Die Seide schimmerte und das Wams besaß außergewöhnliche Ornamente, die mit dünnen Silberfäden in den Stoff gearbeitet waren. Eine kleine Spange verschloss den Halsausschnitt und der Spitzenkragen besaß zwar etwas Auffälliges, doch nichts Protziges. Die neue Garderobe unterstrich sein distinguiertes Erscheinungsbild. Edel und wohlhabend kam er sich darin vor.
»Das ist Djimini, der Anführer einer Schaustellertruppe. Gerade haben sie ihr Zelt am Greifenplatz aufgeschlagen. Ihr solltet Euch das Programm unbedingt ansehen, wenn Ihr die Zeit dazu findet«, sagte der Schneider. »Und das ist der Lautenspieler ... wie lautete noch gleich Euer Name?«
»Spikero. Spikero der Waghalsige werde ich genannt. Meine Verehrung. Eure Vorstellung habe ich gestern schon ...«
»Die Laute spielt Er?« Angetan wandte sich Djimini dem Barden zu. »Ich hege ein Faible für Musik. Und für Feierlichkeiten. Spielt Er auch auf Festen Seine Laute oder erlebt man Ihn nur in Konzerthallen?«
Beim Wort Konzerthalle schwoll des Barden Brust fast auf die doppelte Breite an. Nicht dass er jemals an einem anderen Ort als einer kleinen Taverne oder in der Natur gespielt hätte. »Oh, gegen ein wenig Bezahlung spielt dieser junge Troubadour hier, wo es Euch beliebt.«
»Fein, fein.« Djimini rieb sich die Hände und grinste vergnügt. »Man kann nie genug Spielleute in seinem Umfeld haben. Wenn Er also interessiert ist, darf Er uns gerne in unserem Unterschlupf besuchen. Jeden Abend feiern wir und Lautenklänge versüßen uns allen stets die Nächte.«
»Der Unterschlupf der Schausteller?« Das wollte sich der Barde nicht entgehen lassen. Wo sonst würde er mehr über den Werwolf herausfinden als unter jenen, die diese wilde Bestie gefangen hielten?
»Ein verlassenes Gut bewohnen wir. Mit geräumigem Hinterhof, sehr abgeschieden und doch nicht weit entfernt von unserem Standplatz.« Djimini lehnte sich leger mit dem Unterarm gegen den Arbeitstisch und streckte sich erneut auf sonderbare Weise. »Groß genug für alle von uns sowie unsere Gäste. Davon habe ich gerne reichlich. Ganz besonders jene, die die Laute spielen. Oder Leckereien mitbringen.«
»Groß genug für Gäste, sagt Ihr? Nun, wie es die Umstände so wollen, ist dieser Barde hier gerade ohne Bleibe. Mit Lautenklängen und Gesang kann ich auftrumpfen und es verhält sich so, dass ...«
»Ein Tauschhandel also.« Djimini klatschte euphorisch in die Hände. »Mit Münzen hätte ich ohnehin nicht aufgewartet, aber wenn Er ein Bett zum Nächtigen gegen Seine künstlerische Darbietung tauschen will, habe ich nichts dagegen. Das nenne ich ein Geschäft.« Er fasste Spikeros Hand mit den seinen und schüttelte sie aufgeregt. Ruckartig wandte er sich zu Fidibus. »Und was schulde ich Ihm für Seine sorgfältigen Dienste?«
Der Schneider winkte ab. »Lasst die Münzen stecken, Djimini. Das nächste Mal, wenn Ihr Euch porträtieren lasst, so tragt eines meiner Kleidungsstücke. Und lasst den Maler ja wissen, woher Ihr es habt.«
»Heute ist ein Tag der guten Geschäfte«, schloss Djimini. »Der Lautenspieler soll mich bei Dämmerung am Greifenplatz treffen. Dann führe ich Ihn in unseren Unterschlupf.«
4 - Zweite Strophe
Als Spikero gemeinsam mit Djimini in den geräumigen Innenhof des Gutes trat, in dem die Schausteller ihren Unterschlupf hatten, wurden sie mit Musik und Tanz empfangen. Flammen zuckten in vereinzelten Feuerkörben, die sich um eine lange Tafel aus robustem Holz sammelten. Die anmutige Tänzerin mit dem hüftlangen Haar drehte sich zu den wilden Klängen des Troubadours, der seine Laute spielte. Bei Tische saß der Zwerg, trommelte mit zwei Löffeln im Takt dazu auf die Tischplatte und grölte. Dicht daneben entdeckte Spikero die junge Schwerttänzerin, die eine Handtrommel anschlug, während sie auf einem Stuhl balancierte und von einem Bein auf das andere sprang.
Djimini führte Spikero an die lange Tafel und bot ihm einen Sitzplatz an. »Er soll für heute unser Gast sein. An Speis und Trank darf Er sich laben und wenn Er die Laute spielen will, so bin ich nicht abgeneigt, Ihm zu lauschen.« Als er lächelte, blitzten die spitzen Eckzähne auf, die Grübchen in die Unterlippe bohrten. Seine Pupillen verengten sich schlagartig, als die zuckenden Flammen Schattenspiele auf das kantige Gesicht projizierten.
Irgendetwas erschien dem Barden an seinem Gastgeber sonderbar, doch er konnte noch nicht recht zuordnen, was dieses Gefühl in ihm auslöste. Die ungewöhnliche Präsenz des jungen Redners zog ihn jedenfalls in seinen Bann. Gegenteilig verhielt es sich mit dem Barden Taddeldus, der erhobenen Hauptes um die Tafel stolzierte und einen komplizierten Akkord nach dem nächsten anschlug, ohne dem Griffbrett nur einen Seitenblick zuzuwenden. In distinguierter Kleiderwahl kam er Spikeros Modebewusstsein gleich. Auch Taddeldus trug edelste Seide, gehalten in einfarbigen Tönen. Von dem großen Barett, an dem drei Federn im Takt mitschwangen über das schimmernde Hemd mit Bauscheärmeln, das ärmellose Brokatwams mit schmucken Ornamentstickereien über Beinlinge und Rock bis hin zu den Schnabelschuhen war Taddeldus in einheitliches Violett getaucht. Schlimmer noch: Die Schnitte, in denen seine Kleider gefertigt waren, glichen Spikeros bis auf wenige Elemente nahezu.
Der Barde Spikero weigerte sich, sich zur Musik zu bewegen, wenngleich ihn die treibende Rhythmik fast dazu befehligte, mit dem Fuß zu tippen. Sobald er an der Reihe wäre, würde er dem aufgeblasenen Troubadour in Violett schon zeigen, was Harmonie bedeutet. Als der frohgemute Wohlklang einer Flöte in das Stück einstimmte, fuhr der Barde herum und zwei ihm bekannte Gesichter tauchten vor ihm auf. Damien und Ketz saßen am anderen Ende der Tafel und bewegten die Köpfe zum Takt. Die junge Frau mit dem schimmernden Haar blies in ihre Flöte und wippte dabei mit dem ganzen Körper, während ihr Gefährte die Hand über ihren Rücken gleiten ließ und dabei übers ganze Gesicht strahlte.