Von Hochverrätern und Galgenbäumen - C. Gina Riot - E-Book

Von Hochverrätern und Galgenbäumen E-Book

C. Gina Riot

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Beschreibung

Ein fragwürdiges Hurenhaus, quietschende Kerkertüren und ein Galgen, bereit für den Kopf des Hochverräters. Auf Luic von Eoun wird ein Kopfgeld ausgesetzt. Durch eine Verkettung unglücklicher Ereignisse flüchtet er nach Andoulous, um sich als Botschafter auszugeben. Doch ausgerechnet jener, der ihn wegen Hochverrats am Galgen sehen möchte, ist ebenso auf dem Weg dorthin. Andoulous – das friedvolle Land, in dem Wein und Wohlstand zum Alltag gehören – mit einer Königin, die Volksnähe und hohe Ideale im Herzen und den Sarkasmus auf der Zunge trägt. Zumindest bis sie erfahren muss, dass ausgerechnet die Herrscher zweier Länder auf dem Weg in ihr Königreich sind, die sich gerade miteinander im Krieg befinden. Unter keinen Umständen dürfen sie in Andoulous aufeinandertreffen, denn dies hätte drastische Folgen für ihr Land. Und dann wäre da noch der Gesandte Wristanguls, der sehnsüchtig erwartet wird. Doch niemand ahnt, dass der echte Botschafter bereits tot ist. Es folgt ein rasantes Grimdark Fantasy-Abenteuer voller Intrigen und Spannung, bei dem auch der Humor nicht zu kurz kommt.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Von Hochverrätern und Galgenbäumen

2.Auflage

© 2023 C. Gina Riot

All rights reserved.

Lektorat: Angela Huber

Korrektorat: Rebekka Maria Peckary, Federnote

Cover Design, Karte, Satz & Layout: LAYOUTRIOT - Agentur für Werbung und Design

(www.layoutriot.at)

www.dienerdesordens.at

I

Flucht vor dem Gesetz

Der Vaagtonhische Krieger Tax drückte seinen Freund eng gegen die Wand und presste ihm die Hand auf den Mund. Mit pochendem Herzen hielt er die Luft an. Ein Schatten erstreckte sich über das Pflaster, kroch die Hausmauer empor und wuchs zu unheilverkündender Größe an. Tax drängte seinen Freund enger gegen die steinerne Nische und lauschte. Die Stimme klang nicht fremd und dennoch fiel es ihm schwer, sie zuzuordnen. Doch ganz klar sprach sie die Allvölkische Sprache akzentfrei. Die Wellen rauschten und warfen sich tosend gegen die Felsen, sodass Tax größte Mühe dabei hatte, sich auf das Gesagte zu konzentrieren.

»Dort vorne ... Deserteur ... lynchen«, hörte er die Wortfetzen aus der Gasse dicht neben der Hausnische, in die sie sich drängten.

Dann war da noch ein zweiter Mann, der sprach. Die Stimme war dunkler, doch hier hörte er den Akzent deutlicher heraus. Thal! Die Männer stammten eindeutig aus Thal. Tax‘ Freund Luic begann bereits zu röcheln. Der großgewachsene Krieger lockerte den Griff, doch hieß ihn, ruhig zu atmen. Luic nickte und reckte den Kopf zur Seite, um besser lauschen zu können.

»Da lang!«, vernahmen sie die Stimme ihres Verfolgers.

Der lange Schatten an der Mauer verzog sich und erst als die Schritte der Männer verklungen waren, begaben sich die beiden Krieger aus ihrem Versteck.

»Wohin sind sie gegangen?«, flüsterte Luic.

»Da lang, glaube ich. Komm mit!«

Tax reckte den Nacken und blickte die Straße hinab, wandte den Kopf und kundschaftete die andere Seite aus. Dann packte er Luics Handgelenk und zog ihn, dicht an der Mauer entlang, weiter. Als erneut Stimmen an sein Ohr drangen, hielt er ruckartig inne und drückte Luic wieder in einen Winkel.

»Sich auf offener Straße zu verstecken, während die Sonne am höchsten steht, ist widersinnig.«

»Schhht!«, zischte Tax, die Brauen entnervt zusammengezogen.

Maßregelnd boxte er seinem Freund die Rückhand in die Seite. Die Stimmen verloren sich nach einer Weile wieder und Tax huschte rasch aus dem Versteck und über die Südstraße weiter. Vom Hafen klangen Rufe herauf und unerbittlich aufdringlich rauschten die Wellen gegen die Klippen.

»Lass uns dort weiterlaufen!«, wisperte Luic.

»Mitnichten!« Tax zog seinen Freund weiter über den Weg, den er ausgesucht und eingeschlagen hatte. »Ich kenne Wristangul wie meine Umhangtaschen.«

Luic gab keine weiteren Widerworte. Geduckt liefen sie auf leisen Sohlen über den ebenen Steingrund. Die Rechte lag gewappnet auf dem Knauf der Waffe. Mit der Linken umfasste Tax die schwarze Kapuze, die er sich ins Gesicht gezogen hatte.

»Wo führst du mich hin?«

»Leise jetzt!«, zischte er. Und etwas versöhnlicher setzte er nach: »Zum Saal der wachenden Augen.«

Dies war die Kultstätte seines Ordens und ein Artefakt seines Glaubens. Der Saal der wachenden Augen war ein magischer Pavillon am Hang einer Klippe. Von außen war es unmöglich ins Innere zu blicken, doch stand man zwischen den goldenen Säulen, im Mittelpunkt des Saales, so hatte man den Ausblick über halb Gol.

Luic stellte keine weiteren Fragen, sondern folgte Tax auf dem Fuße. Um den Saal seines Ordens zu erreichen, mussten sie wieder tiefer in die Hauptstadt eindringen, weg von der Südstraße, von der aus sie aufs Briganische Meer hinunterblicken konnten. Ihr Weg führte sie über den dicht gedrängten Marktplatz. Gebückt schlichen sie zwischen den feilschenden Obligaten und tanzenden Pargatmäen hindurch, die sich zu ihrer nordländischen Musik bewegten. Geschirrhändler brüllten, ein Herold übertönte sie allesamt und die Zwerge, die aus Siebenstein in das Land der purpurnen Wiesen gekommen waren, unterhielten sich so laut, dass das Stimmengewirr alles überschattete. Immerzu warf Tax einen Blick über die Schulter, um festzustellen, ob sie verfolgt wurden. Als sie das Ende des in Schatten liegenden Marktplatzes erreicht hatten, wandte er sich noch einmal um und erkannte ihre Verfolger.

»Sir Ledahr!«, keuchte er, bevor er Luic am Umhang packte und weiterzog.

»Der Kommandant der Königsgarde wurde auf mich angesetzt? Ich fühle mich geschmeichelt!« Luic vermochte nichts aus der Ruhe zu bringen.

Als sie sich wieder im Laufschritt fortbewegten, blieben sie nicht länger unbemerkt.

»Deserteur! Ergreift ihn!«

»Deserteur!«, maulte Luic. »Der korrekte Begriff lautet Hochverräter!«

»Spar dir die Luft für deinen Schritt!«, keuchte Tax.

»Meinen Schritt?« Ein schelmisches Grinsen umspielte Luics schiefen Mund.

Tax rollte bloß die Augen und hastete weiter durch die engen Gassen der Hauptstadt. Luic hielt Schritt mit ihm, weniger abgehetzt, obwohl er unentwegt Bemerkungen unwichtiger Natur von sich gab. Es folgte eine Treppe, die aus den Schatten auf die sonnendurchflutete Ebene führte, auf der der Saal der wachenden Augen prangte. Die goldenen Säulen reflektierten das grelle Licht, blendeten die beiden Krieger. Heidekraut wuchs in Büscheln zu beiden Wegesrändern. Auf den letzten Schritten packte Tax seinen Gefährten erneut am Ärmel und zog ihn die drei Stufen zum Saal empor. Im Inneren des Pavillons stemmte der groß gewachsene Vaagtonh die Hände gegen die Knie und rang nach Luft.

»Aus der Form geraten, mein Großer?«

»Schnauze!«, keuchte Tax.

Schweißperlen tanzten auf seiner Stirn. Ein paar Haarsträhnen hatten sich aus seinem langen Zopf gelöst und klebten ihm im Gesicht. Mit der Rechten streifte er die schwarzen Haare von der Wange und strich daraufhin den dichten Vollbart glatt. Allmählich drang wieder genügend Luft in seine Lungen.

»Ist schon lange her, dass ich gerannt bin«, räumte Tax nach einigem Schnaufen ein.

»Solange du dein Schwert noch zu führen weißt.«

»Erst gestern habe ich dich in den Dreck gefochten, Freund.«

»Ich habe dich gewinnen lassen.«

»Das ist eine dreiste Lüge.«

»Wie viele waren es?« Plötzlich wurde Luic ernst. »Hast du sie gesehen?«

»Drei, glaube ich.«

»Sir Ledahr und seine Männer?«

»Sieht fast so aus«, keuchte Tax. »Die Soldaten der Königsgarde Thals haben einen weiten Weg auf sich genommen.«

»Der Schandkönig schreit nach Rache.«

»Wie viele Hochverräter sie wohl schon geschnappt haben?«

»Keinen einzigen, mag ich wetten«, entgegnete Luic selbstsicher.

Sir Ledahr und zwei weitere Soldaten erklommen den Hang und sahen sich rastlos um. Tax warf Luic einen bedeutungsschweren Blick zu und bedeutete ihm, still zu sein. Luic nickte. Noch bevor der Kommandant der Königsgarde Thals auf den Saal zusetzen konnte, hatte Tax bereits seinen Stahl vorsichtig aus der Scheide gezogen und Luic folgte seinem Beispiel. Gewappnet standen sie nun in dem leeren Saal und blickten nach draußen, sahen den drei schwer gerüsteten Männern dabei zu, wie sie die Gegend mit den Augen absuchten. Tax war sich gewiss, dass ihr nächstes Ziel der Pavillon sein musste. Er hielt den Atem flach und umfasste den Griff seines Schwertes fester. Sir Ledahr und seine Soldaten setzten auf sie zu. Tax nickte Luic zu, um seine Aufmerksamkeit zu erhaschen und deutete daraufhin über die Schulter, um ihm zu suggerieren, dass sie, sobald die Soldaten die Stufen zum Saal betreten würden, hinten wieder nach draußen laufen würden. Luic nickte. Die Finger schlossen sich noch griffiger um den Knauf der Waffe. Tax lockerte die Schultern, bereit für den Kampf. Doch Sir Ledahr blieb stehen und wandte sich von dem Saal der wachenden Augen ab, bevor er die dreistufige Treppe noch betreten hatte.

»Sucht alles ab!«, polterte er. »Flicks, du läufst hier entlang! Marquess, dort hinüber!« Er wandte den Kriegern wieder das Gesicht zu und sah durch sie hindurch.

Tax presste die Lippen aufeinander, um keinen Atemlaut von sich zu geben.

»Ich finde diesen Verräter«, knurrte Sir Ledahr, an sich selbst gewandt. »Und dann soll er hängen.«

Die beiden Vaagtonhischen Krieger wechselten einen Blick. Sir Ledahr machte am Absatz kehrt und verließ den Hang über die Treppe, über die er gekommen war.

Erleichtert atmeten die Männer wie aus einem Munde aus.

»Und jetzt?«, zischte Luic.

»Warten wir.«

Die drei Soldaten des Königs Thals streiften noch immer die Umgebung ab. Von hier oben gab es nur einen Weg hinaus und der führte die Treppe hinunter, an deren Ende noch immer der Kommandant der Königsgarde wartete. Hinter ihnen fielen unbarmherzige Klippen ab, die ins Briganische Meer mündeten. Der Abstieg war unmöglich und einen Sprung würden sie nicht überleben. Sie mussten den Weg über die Stufen nehmen, und dann zum Kiesstrand hinunter. Vielleicht hatten sie Glück und fanden ein Boot vor oder ein Schiff, das vor Anker lag. Doch so weit wollte Tax nicht denken.

Wristangul wieder zu verlassen, lag ihm fern. Doch wenn es hart auf hart kam – und die Klingen der Soldaten Thals sahen besonders hart aus – war er gewillt, das Briganische Meer zu überqueren. Nun waren sie bereits lange genug in einer schäbigen kleinen Zweizimmerwohnung mitten in der Hauptstadt Wristanguls untergetaucht. Die Freiheit, von der Luic immerzu sprach, war beengend geworden. Die Tage brachten sie damit zu, abwechselnd aus dem Fenster zu spähen, um ungebetene Feinde auszumachen, bevor sie gefunden wurden. Vor einem halben Jahr war ihnen bereits das Geld ausgegangen. Luic, der vor dem Gesetz auf der Flucht war, erhielt seit langer Zeit keine Einnahmen mehr und Tax, der nun beide ernähren musste, hatte auch zu wenig Arbeit. Sein letzter Auftrag, den er von seinem Orden erhalten hatte, lag bereits über zwei Jahre zurück und seitdem musste er sich mit Kleinmist rumärgern. Als Krieger Vaagtonhs waren es die Männer nicht gewohnt, pleite zu sein. Jeder wusste, ein Krieger hatte stets eine prall gefüllte Goldkatze. Und Tax‘ größte Stärke war es, die Taler mit beiden Händen auszugeben. Irgendwann musste er die Villa aufgeben und sein Hab und Gut auf ein Mindestmaß reduzieren. Die kleinen Aufträge, die er noch erhielt, brachten nur ein paar Silberstücke ein. Meist waren es nicht nennenswerte Aufgaben, wie das Beschützen eines Marktstandes oder er agierte als Leibwache eines unbedeutenden Grafen. Die Aufträge dauerten für gewöhnlich nicht länger als wenige Tage an und brachten ihnen nur so wenig ein, dass sie das Bier mittlerweile verdünnen mussten und sehnsüchtig auf das Bordell auf der anderen Straßenseite blickten.

Ungeduldig schnaubend lehnte er die Schulter gegen die goldene Säule und senkte den Schwertarm. Sir Ledahr war noch immer in Sichtweite. Tax liebäugelte mit dem Briganischen Meer. Handelsschiffe tummelten sich bereits im Hafen. Er fragte sich, ob er Wristanguls schon müde geworden war. Seine Gedanken waren uneins. Er war hin und her gerissen. Ablehnung erfuhr er seit geraumer Zeit nicht nur im Orden. Auch in des Großkönigs Heer war er nicht aufgenommen worden. Noch nicht einmal sein einstiger Gefährte, der dem Großkönig des Reichs Wristangul näher stand als irgendjemand sonst, hatte ihm eine Stellung in der Armee verschafft. Manchmal verfluchte er seinen einstigen Freund, manchmal verfluchte er den Großkönig, ab und an verfluchte er Luic, doch am allermeisten verfluchte er sich selbst. Dann wiederum entsann er sich seiner Loyalität und diese Erinnerung brach den Bann.

Der Großkönig hatte ihn vor die Wahl gestellt: Luic auszuliefern und Teil des Heeres zu werden oder seinen Freund zu beschützen und mit leeren Händen dazustehen. Selbstredend hatte er sich für den Hochverräter entschieden, seinen engsten Vertrauten. Dass er ihm all sein Vermögen und seine Stellung geraubt hatte, hatte Tax ihm allerdings nie erzählt.

»Er verschwindet«, wisperte Luic.

Tax nickte brummend und folgte Sir Ledahr mit dem Blick. Er scharte seine beiden Männer wieder um sich und setzte auf den Marktplatz zu. Erst als sie von der Menschenmenge verschluckt wurden, wagten sich die Vaagtonhs wieder aus ihrem Versteck und betraten die Treppe.

»Wohin?«, zischte Luic.

»Da lang!« Tax gab den Ton an.

Luic folgte ihm mit wachsamem Blick. Sie versuchten so unauffällig wie möglich voranzukommen, obwohl Tax‘ Rüstung alle Aufmerksamkeit auf sich zog.

Als Krieger Vaagtonhs war es nicht unüblich, die volle Rüstung anzulegen, auch wenn keine Schlacht zu bestreiten war und außerdem flogen einem berüsteten Mann die Aufträge wie von selbst zu, dachte er. Luic hatte sich dafür weniger auffällig gekleidet. Dunkelbraune Lederhosen schmiegten sich an die muskulösen Beine, ein einfaches Leinenhemd, das bis zum Brustbein offen stand, bedeckte den Rumpf. Nur sein bestes Stück, das Schwert, das seinen früheren Stand als Heerführer repräsentierte und ihm in die Hand geschmiedet worden war, trug er stets in einer Lederscheide, die am Gürtel befestigt war, bei sich. Ein eindrucksvolles Meisterwerk. Golden schimmerte es in der Sonne, wenn er es zog und die Smaragde im Griff reflektierten das Licht in allen Spektralfarben. Perfekt ausbalanciert lag es in der Hand, mit gefärbtem Lederband am Griff umwoben und ausgeklügeltem Gewicht machte es das letzte Erbstück seines früheren Lebens aus. Er selbst nannte sein Schwert ganz unbescheiden Befreier des einfachen Volkes. Tax, der ein weniger aufwendig gefertigtes Schwert sein Eigen nennen konnte, hatte seines Lady Kedvar getauft, bloß, um seinen Freund an Vergehen früherer Tage zu erinnern. Und selbstredend zu seiner eigenen Belustigung.

»Siehst du sie irgendwo?«, flüsterte Luic.

Tax verneinte und zog ihn weiter. Sie umgingen den Marktplatz und suchten stattdessen Schutz in den engen Gassen, die drumherum führten. Die Meeresluft roch verheißungsvoll. Tax packte seinen Gefährten Luic abermals am Ärmel, als er eine andere Richtung einschlug.

»Hinunter zum Strand?«, fragte Luic ungläubig.

»Nicht?« Tax zuckte mit der Schulter.

»Uns wird niemand ein Schiff leihen.«

»Dann stehlen wir eben eines.«

»Hervorragender Plan!«, entfuhr es Luic sarkastisch. »Im Kerker sind wir vor unseren Verfolgern in Sicherheit.«

»Lieber in Wristangul einsitzen, als in Totenhall«, brummte Tax.

»Solange, bis sie wissen, wer wir sind. Und mein Befreier des einfachen Volkes ist ein unverkennbares Indiz für meine Herkunft. Ich gebe uns keine zwei Tage im Kerker, ehe wir baumeln.«

»Wir?«, fragte Tax überrascht. »Auf mich wurde kein Kopfgeld ausgesetzt.«

Sie beschleunigten den Schritt.

»Weil sie nicht wissen, dass du Teil der Befreiung warst.«

»Wohl auch, weil meine Teilnahme daran sehr unbedeutend war. Ich hatte andere Pläne.«

»Sobald sie uns zusammen erwischen, hängen wir Schulter an Schulter.«

»Komm jetzt weiter!« Tax zog ihn erneut am Ärmel, um ihm die Richtung zu weisen. »Da hinauf!«

Knapp vorm Hafen schlug er einen anderen Weg ein, der sie hinauf zu einem Hang führte. Dahinter ging es steil abwärts und mündete direkt in einer tiefen Stelle des Briganischen Meeres.

»Warum da hinauf?«, keuchte Luic verständnislos. Er wandte den Kopf dem Kiesstrand hinter ihnen zu.

»Weil wir dort unten sofort entdeckt werden würden.« Die Muskeln in den Schenkeln verkrampften sich allmählich. Dennoch zügelte Tax sein Tempo nicht. Bei jedem Schritt schlug ihm der lange schwarze Zopf gegen das Gesäß.

Sie liefen, bis sie an der höchsten Stelle der Böschung angekommen waren, und legten daraufhin eine kurze Verschnaufpause ein.

»Grandiose Idee!« Luic schnaubte augenrollend. »Und jetzt?«

»Kämpfen wir!« Tax fuhr erschrocken zusammen, als plötzlich die drei Verfolger mit gezückten Schwertern auf sie zuschritten.

»Hurerei!«, schalt Luic.

»Das hättest du wohl gerne«, brachte Tax gerade noch heraus, bevor er seine Klinge wirbelnd emporgleiten ließ, um den Schlag seines Angreifers zu parieren.

Sir Ledahr stürmte auf Luic zu und griff mit harten, kurzen Schlägen an. Ein Zweiter unterstützte den Kommandanten der Königsgarde, während Tax gegen den dritten der Soldaten ankämpfte.

»Der Anführer der Königsgarde kreuzt das Schwert mit dem desertierten Heerführer. Wie schicksalhaft!«, krähte Sir Ledahr bissig. Seine Hiebe wurden immer kräftiger.

»Hochverräter«, korrigierte ihn Luic keuchend. Mit präziser Beinarbeit und wuchtigen Schlägen parierte er jeden Hieb.

Der zweite Soldat griff ihn von der Seite an, doch er duckte sich unter dem Schlag weg und der Hieb ging ins Leere, sodass der Soldat einen Schritt nach vorne taumelte.

Tax‘ Lady Kedvar zischte durch die Luft, hieb mit kräftigen Schwüngen von der Seite auf den Angreifer ein und schnitt ihm nach wenigen Augenblicken bereits den Brustkorb der Länge nach auf und der Sterbende ging zu Boden. Dunkles Blut besprenkelte Tax‘ kalkweißes Gesicht und benetzte den dichten Vollbart.

»Heroische Krieger habt Ihr mitgebracht, Sir«, verspottete er den Kommandanten der Königsgarde, bevor er sich ins Getümmel warf.

Sir Ledahr zeigte keine Reaktion. Die Stirn hatte er tief gefurcht, während er Luic immer weiter nach hinten drängte.

Tax stürzte sich auf den zweiten Soldaten, der Luic wie ein lästiges Insekt beim Kampf mit dem Kommandanten behinderte.

Lady Kedvar beschrieb einen Halbkreis über Tax‘ Kopf, bevor sie auf den Soldaten herniederging. Gerade noch im rechten Moment hatte er sein Schwert erhoben und parierte den Schlag. Tax stemmte das Standbein fest in den Boden und wirbelte die Waffe herum, sodass der Mann der Königsgarde erneut zu taumeln begann. Dann trat Tax nach ihm und brachte ihn zu Fall. Der bärtige Krieger stellte sich über ihn und legte ihm das Ende des Schwertes an den Hals. Mit dem Stiefel trat er die Waffe des Feindes aus dem Weg, sodass sie klirrend die Klippe hinunterstürzte. Der Mann der Königsgarde – noch ein Junge, in Tax‘ Augen – streckte beide Hände empor und flehte um Erbarmen. Der Vaag stieß ein selbstsicheres Lachen aus und drehte Lady Kedvar langsam hin und her, wobei sich die Spitze in den Hals des Mannes bohrte. Zitternd hob der Knabe die Arme noch weiter empor und die Unterlippe begann leicht zu beben.

»Braucht Ihr den Mann noch, Sir Ledahr?«, fragte Tax mit unverkennbar neckischer Leichtigkeit in der Stimme.

Der Kommandant ignorierte ihn weiterhin. Luic bot ihm einen Kampf, der ihn an die Grenzen seiner Kraft brachte.

Tax zuckte mit den Schultern, holte mit dem Schwert aus und zog durch. Blut und Fleischfetzen flogen durch die Luft. Wie viele hundert Menschen hast du getötet? Eine innere Stimme regte sich in ihm. Ich habe vor langer Zeit aufgehört zu zählen.

Wimmernd lag er vor ihm, die Hände vors Gesicht gestreckt und Tränen bahnten sich ihren Weg über die pockennarbigen Wangen. Kein Blut, keine Fleischfetzen flogen durch die Luft. Tax nahm das Schwert von seinem Hals und zeigte Erbarmen. Mit einem ruckartigen Kopfnicken bedeutete er dem viel zu jungen Soldaten, er solle verschwinden.

Der Mann rappelte sich auf, stolperte noch drei Mal über den Hang und floh.

»Ich bin verweichlicht«, sagte Tax zu sich selbst, bevor er sich an Luics Seite dem Kampf gegen den Kommandanten stellte.

Sir Ledahr kämpfte mit eiserner Faust, unnachgiebig und verbissen. Er vereinte alle Kräfte, die seinen beiden Männern verwehrt geblieben waren. Seit Tax sich Luic angeschlossen hatte, schien sich Sir Ledahrs Kampfgeist verdoppelt zu haben. Mit immer heftigeren Hieben drängte er die beiden Krieger nach hinten, immer weiter auf die Klippen zu. So lange, bis Luics Ferse über den Rand lugte.

Tax drängte den Kommandanten der Königsgarde zurück, nur um im nächsten Moment Anlauf zu nehmen und zu springen. Erst schrie er, von Adrenalin durchsetzt, dann klatschte sein massiger Körper gegen die Wasseroberfläche und er sank tief ein. Mit den kräftigen Armen und Lady Kedvar noch immer in der Schwerthand, ruderte er wieder an die Wasseroberfläche. Nur einen Moment, bevor er auftauchte, schlug Luics Körper auf dem Briganischen Meer auf. Tax schüttelte den Kopf wie ein Köter, blinzelte sich das Wasser aus den Augen und blickte zur Klippe empor, von dessen Rand Sir Ledahr wutentbrannt hinunterstierte. Tax wusste, er würde nicht springen. Siegessicher ließ er den Nacken krachen, bevor er ohne hinzusehen nach unten langte, um seinen Freund am Kragen des legeren Hemdes emporzuziehen. Luic prustete und spuckte aus, keuchte und blies daraufhin aus den Backen.

»Siehst du das hier, mein Freund?« Mit einem zufriedenen Grinsen deutete Tax auf ein Ruderboot, das gerade auf ein Handelsschiff zusteuerte.

»Wohlan!« Luic griente, bevor beide auf ihr Rettungsboot zukraulten.

Als sie das Boot erreichten, wurden sie mit einem perplexen Blick begrüßt. Tax warf das Schwert an Bord, stemmte sich mit den Armen ab und hievte seinen klatschnassen Körper ins Boot. Luic folgte nur einen Moment später.

»Woher ...?«, japste einer der beiden Männer.

»Was fällt euch ein?«, echauffierte sich der andere.

»Wir brauchen ein Boot«, sagte Luic, als wäre ihr ungebetenes Eindringen noch nicht offensichtlich genug.

»Am Hafen könnt ihr eines erwerben«, plusterte sich der empörte Mann auf, der in feinstem Zwirn und frisch gestutztem Henriquatre hinter dem Steuermann saß, der ihn von der Küste zum Schiff ruderte.

»Mit Verlaub, Botschafter«, warf der Steuermann nach einem eindringlichen Blick auf die durchnässten Krieger ein. »Mir scheint, diese Männer sind ganz schön in der Bredouille.«

»Was bekümmert‘s mich?« Arrogant schnaubend zwirbelte der aufgeblasene Botschafter seinen Oberlippenbart.

Tax richtete den Blick auf die Klippen. Noch immer stierte Sir Ledahr wutentbrannt auf sie hinab. Tax konnte sich gerade noch beherrschen, nicht den Arm zum Gruße zu erheben und schalkhaft zu winken.

»Wir rudern zum Handelsschiff und dann sind wir am Ziel angelangt. Was habt ihr beiden erwartet?« Der Steuermann richtete das Wort an Tax. »Segelt ihr mit uns?«

»Selbstredend«, antwortete Luic, an Tax‘ statt, während er sein Hemd auswrang. »Wohin soll die Reise gehen?«

»Auf den Grund des Meeres, du neunmalkluger Wicht«, fauchte der feiste Botschafter ungehalten.

»Für euch ist hier Endstation«, pflichtete der Steuermann ihm bei.

»Eines Tages werdet ihr Hilfe benötigen und ...« Tax legte eine Pause ein, um den Blick von Sir Ledahr für einen Augenblick abzuwenden und sah den Ruderer durchdringend an. »... und das vergewissere ich Euch, werden wir unsere Schuld bei Euch begleichen.«

Der fette Mann im Samtwams mit dem schwarzen Henriquatre lachte verächtlich. Dabei wackelte das teigige Gesicht auf unschöne Weise. Der andere Mann hingegen, ein schmaler Kerl mit haselnussbraunem, streng zurückgekämmtem Haar und feiner, aber weniger aufdringlicher Kleidung, grübelte für einen Moment.

»Nun denn«, sagte er verhalten. »Eines Tages werde ich diese Schuld bei euch einfordern.«

»Das ist doch wohl nicht Euer Ernst, Bordweynt!«, echauffierte sich der Botschafter. Er sprang vor Empörung von seiner Sitzbank auf, sodass das Boot ins Wanken geriet.

Im nächsten Augenblick zischte etwas durch die Luft und schlug in das Boot ein. Das Holz splitterte ab und der Botschafter taumelte vor Schreck zurück, sodass er wieder auf seinem gewaltigen Hinterteil landete.

»Was war das, bei den ...« Ein Armbrustbolzen schnitt ihm das Wort ab. Im nächsten Moment fiel sein Kopf nach hinten und der Bolzen ragte aus seiner Stirn.

Tax wirbelte herum und sah den jungen Soldaten, der neben dem Kommandanten der Königsgarde auf den Klippen erschienen war. Ein dreckiges Grinsen umspielte sein pockennarbiges Gesicht, als er einen weiteren Bolzen in die Führung legte und die Sehne spannte.

»Runter!« Tax stürzte sich auf den Steuermann und zog ihn zu Boden. Der Bolzen zischte an ihnen vorüber und blieb im Knie des toten Botschafters stecken.

»In welche Scheiße habt ihr uns hier hineingeritten?«, brüllte der Steuermann von Zorn und Schrecken durchsetzt.

Luic ergriff wortlos das Ruder und steuerte das Boot, so schnell er konnte, auf das Handelsschiff zu. Die nächsten Armbrustbolzen versenkte der Pockennarbige im Meer.

»Ihr schuldet mir mehr als nur einen Gefallen!« Bordweynts Gesicht war kreidebleich geworden.

»Und wir werden diese Schuld begleichen«, versicherte ihm Tax.

»So folgt mir schon an Bord«, knurrte der Fremde und erhob sich, sobald sie sich im Schatten des Handelsschiffes befanden.

Doch anstatt die Galeere direkt zu erklimmen, beugte Bordweynt sich über den Toten und durchsuchte seine Taschen. Tax und Luic wechselten einen Blick. Der Haselnussbraunhaarige mit dem Dreitagesbart holte eine Pergamentrolle, ein paar Dokumente und einen Goldbeutel aus dem Mantel des verschiedenen Botschafters, bevor er an Bord ging. Tax zuckte bloß mit den Schultern und folgte ihm an Deck der Handelsgaleere.

II

Drachenbitter für das Volk

Das ganze Volk erhob sich, als Majestät die Taverne zum bärtigen Ritter betrat. Sie bedachte diese Geste bloß mit einem Lüpfen der linken Braue und einer wegwerfenden Geste der Rechten über die Schulter selbiger Seite. Das Volk verstand und setzte sich wieder auf seine mageren oder fetten Ärsche. Sie ließ den strengen Blick schweifen. Hagere und wohlgenährte Männer und Weiber saßen hier an Tischen beisammen. Zu arm oder zu reich, um ansehnlich zu sein, dachte sie bei sich. Doch was kümmert mich die Ansehnlichkeit der Anwesenden?, sagte sie sich selbst im Geiste. Auch ich bin keine Schönheit. Lange, spindeldürre Beine und Arme, die an einen teigigen Bauch und schweren Busen anknüpften und ein Arsch wie der eines alten Mannes, flach und knochig. Eine Figur als hätte ein Kamel einen Storch geritten, so beschrieb sie sich selbst. Doch was bekümmert‘s mich, sagte sie sich selbst immerzu. Ich bin schließlich keine Vierzig mehr! Das war ihre Entschuldigung für alles, seit sie fünfzig geworden war. Ich bin schließlich keine Vierzig mehr, sagte sie, wenn sie das zweite Stück Kuchen ablehnte. Ebenso gebrauchte sie diesen Ausspruch, wenn sie vorzeitig eine Festivität zu verlassen gedachte.

Sie streifte die langen, unpraktisch breiten, cremefarbenen Röcke glatt und wandte den Blick von ihrem Volk ab. Naserümpfend setzte sie sich an einen freien Tisch und noch bevor ihr knochiger Hintern die Holzbank berührt hatte, stand bereits der Schankherr höchstselbst an ihrer Seite und verbeugte sich tief vor seiner Königin.

»Wünschen Ihre Majestät auch zu speisen, Eure Majestät?«, fragte er, während er sich noch zwei Mal tief vor ihr verneigte.

»Bringt mir, was Ihr entbehren könnt«, antwortete sie, belustigt darüber, ihn zu verunsichern.

»Majestät?«, druckste er perplex.

»Die Spezialität des Hauses«, entließ sie ihn aus ihrem Spott.

»Und was wünschen Ihre Majestät zu trinken, Eure Majestät?« Erneut verbeugte er sich. Dieses Mal noch ein wenig tiefer. Die Stimme überschlug sich fast und Königin Lo‘randre glaubte, seinen Herzschlag aus dem Halse pochen zu hören.

Die Türe zur Taverne wurde aufgestoßen. Drei kichernde Dirnen traten herein und fesselten den Blick der Königin. Gekleidet waren die jungen Huren in Hosen. In Andoulous trug das Weibsvolk Hosen! Ein Schmunzeln umspielte Majestäts Lippen, als sie sich entsann, wie dieser ungewöhnliche Modekult ihr Land heimgesucht hatte.

Als sie vor einigen Jahren letztmalig schwanger gewesen war, war sie so fett geworden, dass sie nicht mehr in ihre Kleider gepasst hatte. Drillinge! Die Erinnerung brachte ein Augenrollen zutage. Schließlich hatte sie sich für das Bankett in die Hosen ihres verblichenen Gemahles gezwängt. Und als dies die Runde gemacht hatte: Die Königin trägt Hosen!, hatten die Schneider des gesamten Landes plötzlich alle Hände voll zu tun gehabt, das ganze andoulous‘sche Weibsvolk, das etwas auf sich hielt, in die neue Mode einzukleiden. Nun trug Frau Hosen! Zu meinem Glück pflegte ich an diesem Tage nicht den Beischlaf mit dem Hofnarren, dachte sie schmunzelnd. Dann trüge das Weibsvolk wohl heute bunte Flickenumhänge und Federschmuck auf dem gelockten Haupt.

Mit aufrechtem Rücken, gefalteten Händen, die völlig unnatürlich wirkten, und einem Lächeln, das dieselbe Wirkung auf Königin Lo‘randre hatte, stand der Schankherr geduldig wartend neben ihr. Schweißperlen tanzten bereits auf seiner Stirn, als sie ihn endlich aus seiner Starre entließ und ihn anblickte.

»Honigwein.«

»Sehr wohl, Majestät! Wie ihre Majestät wünschen!«

Drei tiefe Verbeugungen später richtete er sich wieder kerzengerade auf und nickte. Ein Lächeln entkam ihr. Doch nicht nur, weil es die Höflichkeit ihr abverlangte. Sie nickte ebenso und belustigt beobachtete sie die Erleichterung in seinem Blick, als er sich gerade von ihr abwandte. Alle Augen waren nur auf sie gerichtet. Doch es schmeichelte ihr, wie beliebt sie im Volk war. Hier in Andoulous konnte man als Herrscher rasch zum Gespött des Landes werden. Lo‘randre war diese Schmach bisher erspart geblieben. Wohl wusste sie, ihre Persönlichkeit war nicht jedermanns Sache. Man konnte sie lieben oder hassen. Selten gab es etwas dazwischen. Doch Respekt zollte ihr das gesamte Volk. Und obwohl sie bereits in die Jahre gekommen war ­– schließlich hatte Majestät kürzlich ihren fünfzigsten Geburtstag gefeiert – wurde sie im Volk noch immer als Schönheit betitelt. Wenngleich sie diese Auffassung nicht teilte, so erfreute sie sich daran, sofern es ihre Gleichgültigkeit und der Sarkasmus zuließen. Eine Schönheit! Pah! Wenn sie bedachte, dass ihre Körpermaße nicht dem Idealbild andoulous‘scher Frauen entsprach – nämlich ausnehmend füllig – war dies ein Kompliment. Doch ihr Gemahl, König Rogen, war auch nicht als Schönheit bekannt, wenngleich er den Körperumfang von zwei stattlichen Männern für sich allein beanspruchte. Aber immerhin, dachte sie, wurde er im Volk noch respektiert. Dieses Schicksal war ihrem letzten Gemahl nach seinem Ableben nicht mehr zuteil geworden.

Drei-Käse-Hoch-König nannte ihn das Volk hinter vorgehaltener Hand und unanständigem Kichern. Zumindest musste er diese Schmach nicht mehr über sich ergehen lassen, dachte Lo‘randre bei sich. Drei-Käse-Hoch-König. Ihr verstorbener Gemahl, König Horíesz, war ein gedrungener, krankhaft fettleibiger Mann mit schütterem, schwarzem Kurzhaarschnitt gewesen – alleine dafür gehörte ihm bereits der Spott, wie Lo‘randre befand. Männerhaar begann erst ab Schulterlänge für sie interessant zu werden – Doch sein Hohn wurde ihm erst nach seinem Ableben zuteil. Und der Grund für diesen Schimpfnamen war tatsächlich seine Todesursache. Drei-Käse-Hoch-König Horíesz hatte nämlich eine seltsame Vorliebe für Käse gehabt. Er hatte ihn nicht nur gegessen, sondern hatte ebenso das Gefühl auf der Haut als besonders erregend empfunden. Und so kam es, dass seine Dienerschaft ihn eines Morgens in seinen Gemächern aufgefunden hatte, über und über mit geschmolzenem Käse bedeckt und in ein Leintuch gewickelt vor dem Kamin. Der Käse hatte seiner Haut die Luft zum Atmen geraubt und er war an seinem dubiosen Fetisch schlussendlich verschieden.

Sie seufzte und schüttelte den Kopf, wie so oft, wenn sie an diese merkwürdige Geschichte zurückdachte. Als sie von seinem Ableben gehört hatte, hatte sie nicht gewusst, ob sie lachen oder weinen sollte. Zugegeben, wirklich bekümmert hatte sie sein Tod nicht. Bloß die Folgen seines Todes hatten sie für kurze Zeit bedenklich gestimmt. Doch hatte sich kurzerhand ein neuer Gemahl und König für sie finden lassen und so verbrachte sie ihre Tage nun mit König Rogen. Eine wirkliche Verbesserung hatte es ihr zwar nicht eingebracht, doch sie kümmerte sich nicht sonderlich darum. Schließlich waren weder er noch sie daran interessiert, das Bett miteinander zu teilen. König Rogen vergnügte sich gern im Hurenhaus, während sie sich mit ihrem minderjährigen Lustknaben in den Laken wälzte. Sie führte also, wie sie es nannte, eine glückliche und zufriedene Ehe.

»Majestät, Euer Honigwein!«

»Oh!« Der Schankherr hatte sich wieder an ihren Tisch bequemt. Etwas lange hatte es gedauert, wie sie befand, doch abgesehen von einem abschätzigen Naserümpfen ließ sie sich nichts anmerken.

»Und als erste Vorspeise darf ich ihrer Majestät eine leichte Lauchpastete kredenzen.«

»Immer her damit!«, erwiderte sie mit einer raschen Handbewegung, leger, wie sich die Königin stets zu benehmen gedachte.

Die leichte Lauchpastete war ein Berg von einer Mahlzeit, doch sie sprach diesen Fauxpas nicht an. Allein beim Anblick musste sie schnaufen. Denn sie wusste, wie es in Andoulous Brauch war, gab es abends noch fünf weitere Gänge und keinen davon durfte man unangetastet lassen. Wurde nicht königlich gespeist, war man im Volk rasch verpönt. Also griff sie zu ihrer Gabel und aß unter den neugierig glänzenden Augen des Schankherrn.

»Vorpfüglich«, lobte Majestät mit vollem Mund.

Ein erleichtertes Lächeln lockerte die angespannte Gesichtsmuskulatur des Tavernenbetreibers und wieder verbeugte er sich tief vor seiner Königin. »Wenn ihre Majestät noch etwas wünschen, ich bin ganz in Eurer Nähe, Eure gütigste und schönste Majest...«

»Nein, danke!«, schnitt sie ihm forsch das Wort ab und wartete seine nächsten fünf Verbeugungen ab, bis sie endlich in Ruhe weiterspeisen konnte.

Die Lauchpastete war viel zu fettig, wie sie feststellte. Über und über mit Käse überbacken und das Gemüse war in zu viel Öl gebraten worden. Das hätte meinem alten Horíesz gefallen, dachte sie höhnisch und konnte nicht umhin, schelmisch zu kichern. Alle Augen fanden sie und warteten gebannt, ob sie ihr Amüsement mit ihnen zu teilen gedachte. Sie warf ihnen lediglich einen vergnügten Blick zu, warf den Kopf im Scherz zur Seite und zwinkerte einem jungen Mann schalkhaft zu, bevor sie sich wieder ihrem ausgiebigen ersten Gang widmete. Als sie den letzten Bissen hinuntergewürgt hatte, war ihr bereits schlecht.

»Schnaps!«, polterte sie so laut, dass alle Gespräche verstummten.

Eiligst hastete der Schankherr herbei und verneigte sich bereits, bevor er noch an ihrem Tisch angelangt war. »Wacholderbeere, Kirschlikör, Drachenbitter, Drunenschnaps? ...«

»Drachenbitter!«

»Sehr wohl, Majestät! Wie Majestät wünschen«, schwadronierte er, begleitet von weiteren Verneigungen.

Irgendwann habt Ihr einen Buckel, werter Schankherr, dachte Königin Lo‘randre bei sich und ein heiseres He! He! entkam ihr dabei. Hurtig hetzte der Schankherr von einem Ende des Raumes zum anderen und stand in Kürze abermals neben Lo‘randre, um ihr eine Karaffe zu präsentieren.

»Edelster Drachenbitter aus Wristangul, Eure Majestät«, sagte er abgehetzt. »Ein wahrhaft schmackhafter Tropfen!«

»Her damit!«

Sie beobachtete ihn belustigt beim Einschenken. Seine Hände zitterten vor Aufregung. Ein amüsantes Spektakel wird mir hier geboten, grinste sie. Hier werde ich gewiss noch öfter vorbeikommen. Im ganzen Raum war es still und jeder Gast blickte sie an. Es war so leise, dass sie das Glucksen des Schnapses hören konnte, der in einen kleinen Becher gegossen wurde. Der Schankherr stellte das verbeulte Silbergefäß vor Königin Lo‘randre ab und wartete gebannt auf ihre Reaktion. Doch so leicht wollte sie es ihm nicht machen und daher bedachte sie ihn lediglich mit einem nichtssagenden Blick. Es kostete sie alle Mühe, ihr Amüsement zu verbergen, als die Stirn des armen Schankherrn abermals zu glänzen begann.

»Wollen Majestät nicht probieren?« Seine Stimme klang überaus leise und vorsichtig.

»Wie?« Zu ihrer eigenen Belustigung legte sie eine elend lange Kunstpause ein, bis der erste Schweißtropfen in einem kleinen Rinnsal über die Wange des Schankherrn lief. Dann blickte sie sich im Raum um und lächelte. »Schenkt ein!«, forderte sie.

»Aber ...« Das Aber blieb dem eingeschüchterten Mann bereits im Halse stecken. Verwirrt und gleichermaßen verunsichert blickte er von der Karaffe in den Schnapsbecher und wieder zurück. Dann zögerte er einen Moment lang.

Sie kostete jeden seiner sichtbaren Gedanken, die seine Mimik nicht zu verstecken imstande war, mit größter Belustigung aus. Dann beugte er sich hinab und goss noch ein winziges Tröpfchen mehr in den Becher, bevor sie endlich das Wort ergriff und ihn aus seiner Anspannung erlöste. »Dieser Becher ist schon voll. Seht Ihr das nicht?«

Gut, von Erlösung sollte noch nicht die Rede sein. Ich kann wirklich boshaft sein, schalt sie sich selbst und blickte grienend in das nervöse Gesicht des Schankherrn.

»Verz... verzeiht, Eure Majestät. Sehr wohl. Er ist bereits voll, Eure Majestät, wie konnte ich nur so dümmlich sein«, stotterte er.

Dann richtete er sich auf und wartete verunsichert.

»Habt Ihr denn bloß diesen einen Becher, Herr?«, fragte sie und sah dabei zu, wie sich seine Wangen schamesrot färbten.

»N-n-nein, Eure Majestät. Hinten stehen noch vier Dutzend.«

»Worauf wartet Ihr dann noch?«

Ein fragender Blick folgte.

»Drachenbitter für das Volk!«, rief sie.

Ein Jubeln erklang ringsum und als der Schankherr endlich begriffen hatte, dass die Königin gerade seine gesamte Kundschaft eingeladen hatte, atmete er wieder erleichtert auf und lächelte.

»Drachenbitter für das Volk!«, wurde es ringsum lauthals wiedergegeben. »Ein Hoch auf unsere Königin!«

Lo‘randre prostete ihrem Volk zu und stürzte den Schnaps hinunter.

»Majestät, darf der zweite Gang bereits serviert werden?«

»Jetzt seid Ihr schon wieder da!«, erwiderte die Königin teils humorvoll, teils herablassend.

»Sehrwohl, Majestät. Ich bin‘s.«

Drei Verbeugungen folgten, bevor sie ihm erlaubte, den zweiten Gang aufzutischen, und eine weitere, bevor er sich wieder auf den Weg hinter die Theke machte.

Der zweite Gang bestand aus Bohnen Tartar und Rüben an Weintrauben, eine sehr eigentümliche Mischung, wie Majestät prüfend beurteilte. Doch sie aß alles auf und war beruhigt, dass dieses Gericht nicht zu groß ausgefallen war. Nach dem dritten Gang glaubte sie allerdings bereits, ihr Mieder würde an den Nähten aufreißen, so viel Eintopf wurde ihr kredenzt. Nach einer weiteren Runde Drachenbitter für das Volk beschloss sie, die übrigen Gerichte mitzunehmen, bezahlte dem Schankherrn daraufhin ein üppiges Trinkgeld, das ihn für ihre schalkhafte Manier entschädigen sollte und verließ die Taverne mit zwei gut befüllten Weidenkörben.

III

Der neue Botschafter

Luic breitete die Arme aus und sog die salzige Meeresluft ein, als sich das Handelsschiff in Bewegung setzte. Sir Ledahr war bloß noch aus weiter Entfernung auf der Klippe erkennbar, doch noch immer konnte er seinen wutentbrannten Blick auf sich spüren. Doch nicht einmal zwei Leichen vor dem Mittagessen vermochten Luic die Laune zu trüben. Einen weiteren tiefen Atemzug sog er in die Lungen, bevor er die Arme ganz ausstreckte und aufs Meer hinausrief:

»Ich bin frei!«

»Wie ein Vogel«, setzte Tax höhnisch grinsend nach. Dieses Wortspiel wollte er sich nicht nehmen lassen.

»Besser vogelfrei als im Dienst an einer falschen Krone«, entgegnete Luic und tätschelte den Knauf seines Schwertes. »Wohin segeln wir eigentlich?«

»Andoulous«, erschallte die Stimme des Mannes, der ihnen an Deck des Schiffs verholfen hatte.

»Andoulous, hm?«

»Und ihr beide seid mir mehr als nur einen Gefallen schuldig.« Die Farbe war wieder in das Gesicht des Mannes zurückgekehrt und auch die Stimme klang kräftig und ungetrübt, als wäre nichts Ungewöhnliches passiert. Der Leichnam des Botschafters lag noch immer in dem schaukelnden kleinen Boot, das einsam nahe der Küste Wristanguls umhertrieb.

»Ihr habt bereits etwas ins Auge gefasst«, erkannte Tax.

»Ganz recht«, antwortete Bordweynt und trommelte mit der Schriftrolle stakkatoartig gegen die freie Handfläche. »Wisst ihr, welchen Mann ihr auf dem Gewissen habt?«

»Wir? Auf dem Gewissen?«, platzte Luic heraus. »Dieses Blut klebt nicht an unseren Händen.«

»Ach nein?« Bordweynt lüpfte eine Braue. »Hättet ihr nicht unser Boot erklommen, würde Desmond Feyz noch leben.«

»Trotzdem wasche ich meine Hände in Unschuld.«

»Und wer waren die Männer, die Botschafter Desmond auf dem Gewissen haben?«, fragte Bordweynt mit tief gefurchter Stirn.

»Die Handlanger des Schandkönigs«, entgegnete Tax.

»Männer Thals?« Überrascht hob der Fremde die Brauen.

Es amüsierte Luic, dass der Spottname Schandkönig bereits über die Grenzen hinweg ein Begriff geworden war. Jeder wusste, die Rede war von Eduard Vitt, dem Regenten Thals.

»Keine weiteren Fragen.« So wollte Luic das Gespräch beenden.

»Ich werde nicht lange fackeln.« Bordweynt hämmerte noch ein paar Mal mit der Pergamentrolle gegen die offene Handfläche. »Der Mann, der getötet wurde, war Desmond Feyz, der Botschafter unserer geschätzten Majestät, Großkönig über Wristangul ...«

»Wir kennen den Namen des Königs«, schnitt Tax ihm forsch das Wort ab.

Der Fremde verengte die Augen zu Schlitzen und funkelte ihn erbost an.

»Fahret fort!«

»Botschafter Desmond Feyz wurde mit einer dringlichen Angelegenheit betraut. Und ihr zwei Halunken seid mir einen Gefallen schuldig.«

»Was verlangt Ihr?«, fragte Luic direkt. Er trat einen Schritt vor und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Dieses Dokument hier ...« Er schlug mit dem Schriftstück gegen die Brust des Hochverräters Luic, »... soll auf direktem Wege zu Königin Lo‘randre gebracht werden.«

»Und Ihr seid der Meinung, wir sollten das erledigen?«, fragte Luic skeptisch und lüpfte eine Braue, bevor er nach der Schriftrolle griff.

»Der Meinung bin ich, ja«, antwortete Bordweynt.

Luic warf Tax einen fragenden Blick zu, doch erhielt bloß eine lang ausharrende schulterzuckende Geste zur Antwort.

»Sei‘s drum«, erwiderte Luic gleichgültig.

»Ihr werdet den Namen Desmond Feyz tragen«, ermahnte ihn Bordweynt eindringlich. »Und kein Wort zu niemandem!«

»Über den echten Desmond Feyz, nehme ich an.« Tax verlagerte das Gewicht in einer drohenden Pose von einem Bein auf das andere.

»Kein Wort.«

»Wollt Ihr dem Großkönig denn nicht Bericht erstatten, wenn sein hoch geschätzter Botschafter bei den Fischen schläft?«

»Er wird es noch früh genug herausfinden. Doch bis dahin ...«

»Was führt Ihr im Schilde?«, rätselte Tax, die Augen verengt und bedachte ihn mit einem skeptischen Blick.

»Nichts, das für euch von Belang wäre. Spätestens wenn wir in Andoulous anlegen, wird die Leiche an der Küste angespült und als Botschafter Feyz identifiziert worden sein.«

Luic blickte über die Reling und verzog das Gesicht. Noch immer schaukelte das Boot nahe dem Hafen in den Wellen.

»Ich gebe den fleißigen Hafenarbeitern nicht einmal eine Stunde, ehe sie die Leiche an Land gezogen haben.«

»Ist mir auch gleich. Bis dahin sind wir schon weit fortgesegelt.«

»Da ist doch etwas faul«, bemerkte Tax.

Bordweynt grinste schief und hob eine Schulter zum Zeichen seines Desinteresses.

»Soll mir recht sein«, brummte der Vaagtonhische Krieger in seinen dichten schwarzen Bart.

»Und was steht hier drin?« Luic wedelte mit der Schriftrolle durch die Luft.

Das Siegel des Großkönigs Wristanguls zierte das Pergament und hielt es verschlossen.

»Ein Handelsabkommen. Nichts Aufregendes. Zumindest nicht für zwei Halunken, wie ihr es seid.«

»Und der Botschafter reist auf einem Handelsschiff?« Luic blickte zu den Segeln empor, die das stolze Wappen Wristanguls führten. »Keiner diplomatischen ...«

»Nein. Ein einfaches Handelsschiff ist gut genug.«

»Nun gut«, brummte Luic. »Und an wen soll dieses Handelsabkommen überbracht werden?«

»An ihre königlichen Majestäten. König Rogen D‘Brigan und seine Gemahlin Lo‘randre.«

»Wie stellt Ihr Euch das vor?«, stieß Luic ungläubig aus.

»Das Königspaar erwartet Euch bereits, Botschafter.«

»Das ist doch Unfug!«, entgegnete Luic. »Ich sehe nicht einmal annähernd aus wie dieser tote Botschafter. Wie soll ich... «

»Sprecht leise!«, zischte der Mann ungehalten. »Ihr werdet keine Probleme damit haben, Euch als Desmond Feyz auszugeben. In Andoulous kennt ihn kein Mensch.«

»Wie kann das sein?«, brachte sich Tax wieder ins Gespräch ein.

»Der Botschafter ist erst kürzlich in den Dienst des Großkönigs über Wristangul, seine Majestät ...«

»Wir kennen den Namen des Großkönigs«, schnitt Tax ihm erneut das Wort ab. »Wir gebrauchen den Namen des Großkönigs nicht.«

»Wie?« Konsterniert blickte Bordweynt ihn an.

»Der Name des Großkönigs Wristanguls wird nicht genannt. So einfach ist das.«

»Hegt Ihr einen Groll gegen seine Majestät, den Großkönig, dessen Name nicht genannt wird?« In Bordweynts Stimme klang echtes Interesse.

»Ach, er verweigerte meinem Freund bloß den Dienst in seinem Heer«, tat Luic die Sache ab. Er vollführte eine Geste mit der Rechten, die unterstreichen sollte, dass es sich bei Tax‘ Zorn bloß um eine Lappalie handelte.

»Aber Ihr steht dem Großkönig doch nicht feindselig gegenüber?«

»Nein. Ich war maßgeblich an seiner Krönung beteiligt«, erwiderte Tax.

Davon sprach er für gewöhnlich nicht.

»Es verlangt mich, diese Geschichte zu erfahren«, sagte Bordweynt zugetan.

»Ein andermal vielleicht. Jetzt verlangt es uns zu erfahren, wie wir als Botschafter des Großkönigs vorzugehen haben. Berichtet uns von Andoulous, von dem Königspaar, von unserem Auftrag!«

»Nun denn«, erwiderte Bordweynt. »In etwa dreizehn Tagen legen wir vor Halben an. Ihr werdet dort in einem Weingut untergebracht. Es ist bereits alles organisiert. Pferde und Diener stehen für euch bereit.«

»In Halben?«, fragte Luic. »In einem Weingut? Aber das Königspaar hält doch Sitz in der Hauptstadt Andoulas, oder irre ich?«

»Ihr irrt Euch nicht, Botschafter«, entgegnete Bordweynt höflich. »Doch gehe ich nicht recht in der Annahme, dass ihr beide erst einen Tag zu ruhen gedenkt, ehe ihr weiterreist?«

»Gut, das gefällt mir«, kommentierte Luic schmunzelnd.

»Der Graf wird euch gut versorgen und entbehrt einen Teil seiner Dienerschaft für die Weiterreise von Halben nach Andoulas. In der Hauptstadt ist bereits ein Quartier für euch organisiert.«

»Wo werden wir untergebracht?«, fragte Tax.

»In der Gaststätte zum Königsgarten im Ostviertel.« Bordweynt kramte eine Stadtkarte von Andoulas aus seiner Wamstasche und entfaltete sie. »Die Gaststätte findet ihr hier. Ihr werdet im Königsviertel untergebracht.«

»Und so soll ich unter die Augen des Königs treten?« Luic blickte an sich hinab. Die Kleider waren eines Botschafters nicht würdig. Abgewetzte Lederhosen, ausgetragene Stiefel und ein ärmliches Hemd schickten sich nicht für eine Audienz beim Königspaar.

»Die Rolle wird dir so niemand abnehmen«, kommentierte Tax, nachdem er einen prüfenden Blick auf Luics, bis zum Brustbein aufgeschnürtes Hemd geworfen hatte.

»Ein Schneider soll Euch neu einkleiden«, entgegnete Bordweynt. »Und Euch ebenso«, sagte er, an Tax gewandt.

»Und wer soll dafür aufkommen?«, fragte Tax skeptisch. Ihre finanzielle Lage ließ derlei Aufwände nicht zu.

»Es ist bereits alles vorbereitet.«

Wieder fuhr Bordweynt die Stadtkarte mit dem Finger ab und zeigte ihnen, wo der Schneider sein Geschäft unterhielt.

»Als hättet Ihr es von langer Hand geplant«, murmelte Luic.

»Wie meint Ihr?«

»Die Übergabe des Botschafterpostens an eine andere Person, meine ich.«

»Macht Euch nicht lächerlich«, entfuhr es Bordweynt. »Es ist ein Ding der Höflichkeit und des Respekts im andoulous‘schen Sonnengelb vor das Königspaar zu treten. Und diesen Respekt weiß unsere sehr geschätzte Majestät, der Großkönig, zu wahren.«

»Und welche Aufgabe ist die Eure?«, fragte Tax noch immer skeptisch dem Fremden gegenüber.

»Ich bin des Botschafters Kämmerer«, entgegnete er. »Doch wenn es Euch beliebt, so gebt Euch für mich aus. Es bekümmert mich nur wenig. Ich pflege in Andoulas meine eigenen Erledigungen durchzuführen.«

»Ihr geht sehr leichtfertig mit Eurer Aufgabe um, scheint mir.«

»Das hat Euch nicht zu kümmern. Wer seid ihr, wenn ich fragen darf? Tax und Luic, diese Namen habt ihr mir bereits genannt, doch woher stammt ihr?« Der Kämmerer des verschiedenen Botschafters verzog das Gesicht auf eigentümliche Weise. Dabei hoben sich die lefzenartigen Wangen, die an einen Fehndländischen Jagdhund erinnerten. Die Haut war sonnengegerbt und wirkte nicht wie die eines Kämmerers.

Tax war nach wie vor skeptisch und doch gefiel ihm ihre neue Aufgabe sehr. Diese Rollen gaben ihnen die Freiheit und waren zudem eine gediegene Fluchtmöglichkeit vor Eduard Vitts Handlangern.

»Ich bin Luic von Eoun und das ist mein Gefährte Tax von ...« Luic runzelte die Stirn und musterte seinen Freund. »In welcher Stadt wurdest du ausgebildet?«

»Unwichtig«, brummte der bärtige Krieger. »Tax. Einfach Tax oder wenn Ihr so wollt, Bordweynt, Tax, Sohn des Toxes, ein Krieger Vaagtonhs.«

»Zwei Vaagtonhische Krieger weiß ich hier vor mir. Verblüffend!«

»Was verblüfft Euch an dieser Tatsache?«

»Die Wege, die das Schicksal zumal einlenkt. Unwichtig«, tat er die Sache ab. »Ihr Tax, Sohn des Toxes, werdet Euch besser nicht als sein Kämmerer ausgeben und meinen Namen tragen.« Er musterte den Vaag von Kopf bis Fuß. »Ihr werdet seine Leibgarde und eskortiert ihn durch das Land. Der Krieger steht Euch eindeutig besser zu Gesicht als ein Kämmerer. Dieser Posten wäre höchstgradig unglaubwürdig.«

»Dem kann ich nur beipflichten«, entgegnete Tax mit einem Blick auf Bordweynt. »Auch Euch scheint dieses Gewand nicht zu passen.«

Ein entlarvtes Grinsen teilte Bordweynts Gesicht. »Das tut nichts zur Sache«, erwiderte der Kämmerer, der wohl keiner zu sein schien. »Was für euch von Bedeutung ist, ist bloß, dass ich euch versichern kann, dass ihr an mir einen Freund habt. Und für mich ist von Belang, dass ihr in meiner Schuld steht.«

»Mhm«, brummte Tax. »Gibt es noch etwas, das wir wissen sollten?«

»Das Königspaar genießt in Andoulous große Beliebtheit und gilt als überaus gütig. Aber seid gewarnt! Königin Lo‘randre hat ihre Spitzel überall und wird immer darüber informiert, was in ihrem Land vor sich geht. Auch der Botschafter genießt keine Immunität. Verhaltet euch also den Gesetzen des Landes nach gewissenhaft und gebt unter keinen Umständen euren wahren Namen oder eure Identität preis!«

»Verstanden«, brummte Luic mit einem kurzen Kopfnicken.

»Die Gepflogenheiten des Landes werdet ihr rasch mitbekommen, doch ich will euch in die wichtigsten Regeln Andoulous‘ einweihen. Vor Damen höhergestellten Ranges gilt es sich zu verbeugen. Tretet ihr vor das Königspaar, werdet ihr so lange knien, bis euch gewährt wird, euch zu erheben. Und über die Tischmanieren soll euch der Graf des Weinguts in Halben unterrichten.«

»Das sollte doch zu bewerkstelligen sein«, murmelte Luic.

»Und vergesst nicht«, warnte Bordweynt, an Luic gerichtet. »Ihr seid ein Mann Wristanguls, nicht Vaagtonhs. Die Gepflogenheiten des Reichs sollten Euch daher geläufig sein.«

»Ich lebe schon lange genug in Wristangul, um zu wissen, wie man sich als Landsmann verhält.«

»Fein«, entgegnete der falsche Kämmerer. »Eure Papiere trage ich hier bei mir.« Bordweynt händigte Luic die Dokumente aus und bedachte ihn mit einem eindringlichen Blick. »Und Ihr werdet tun, worum immer Euch der König oder die Königin bitten werden, habt Ihr das verstanden?«

»So klar wie der Kristall eines Phyliographspiegels.«

»Fein. Das solltet Ihr verinnerlichen.«

»Aber zu tockeln wird in Andoulous doch hoffentlich nicht verpönt sein?«, fragte Luic mit einem kecken Grinsen auf den Lippen, als er die Dokumente weggesteckt hatte und an ihrer statt seine Tockenkarten zückte.

»Nein, nicht verpönt. Auch in Andoulous genießt man ein gepflegtes Tockenspiel. Von den heruntergekommensten Bordellen des Gedungenen Viertels bis zum Palast der Königsfamilie wird getockelt.«

»Hervorragend«, frohlockte Luic. »Tax, wir haben eine lange Schifffahrt vor uns. Wollen wir uns nicht die Zeit ein wenig vertockeln?«

IV

Die Königin und der Bettelmann

Der Weg durch die Straßen ihres Landes war abends noch gut belebt und Königin Lo‘randre gönnte sich den Blick auf ihr Volk, als sie an ihm vorüberschritt. Viele wohlgenährte Stadtbewohner konnte sie erblicken und nur wenige, die auf den Straßen betteln mussten. Um diese tat es ihr leid. Dennoch behielt sie den Blick auf die Schönheit ihres Landes. Die opulenten Kunstwerke, die anerkannte Bildhauer des Landes geschaffen hatten, schmeichelten ihren Augen. Sie genoss den Ausblick in die Ferne, wenn die Abenddämmerung den Horizont in goldfahles Licht tauchte und frohlockte ob des frohgemuten Volkes, das sich seines Lebens erfreute. Die häufigen Verbeugungen allerdings, waren ihr zuwider. Immerzu winkte sie ab, rief ihnen ein paar freundliche Worte zu und zog weiter. Die Weidenkörbe schwingend, schlenderte sie über die pflastersteinerne Brücke, die über den Königskamm führte und betrachtete den Sonnenuntergang. Eine angenehm kühle Brise zog herbei und verdrängte die Erinnerung an den hitzigen Tag. Ihre Abendspaziergänge hatten etwas Geruhsames, das sie nicht missen wollte, auch wenn ihre Tätigkeiten bei Hofe ihr nicht viel Zeit für Entspannung einräumten. Doch wenn sie es aus dem Palast hinausschaffte, genoss sie den Blick, den sie auf ihre Hauptstadt werfen konnte, auf die Menschen, die sie bewohnten und den Wohlstand, den sie ihnen bescherte. Somit wusste sie, dass sie ihre Arbeit gut verrichtete.

Als sie das Völlereiviertel, wie es im Volksmund betitelt wurde, über die breite Brücke verließ und in das Gedungene Viertel kam, blieb sie kurz stehen und schnaubte. Welcher Irrsinn trieb mich an, ganz Andoulas zu durchqueren?, schalt sie sich und rieb über den schmerzenden Bauch, der über das Mieder quoll. Mit einem ruckartigen Zug lockerte sie die Schnürung, nahm die Weidenkörbe in die andere Hand und schritt voran. Im Gedungenen Viertel war es um ein Vielfaches ruhiger. Es gab weniger Bordelle, Gaststätten und Tavernen, dafür viele Wohnhäuser und Handwerkstätten. Der Weg führte Königin Lo‘randre immer an den Häusern, die dicht an die Stadtmauer gedrängt erbaut waren, entlang. Ich hätte über den Marktplatz gehen sollen, dachte sie bei sich, als sie den Schritt beschleunigte. Zugleich aber hatte sie einen Grund, das Gedungene Viertel zu durchqueren.

»Ist Majestät wieder auf Wanderschaft?«, meldete sich ihr Grund von der Seite.

Von der Völlerei geplagt, hielt sie schnaubend an und blickte in die Dunkelheit. Die Sonne hatte sich bereits tief gesenkt und die Laternen erhellten nur Teile der Straße. Der Rest versank in Finsternis.

»Lang ist‘s her«, antwortete sie und setzte auf den Schatten zu, um sich niederzulassen.

»So ist das Leben einer Herrscherin, Majestät«, brummte der Mann, an dessen Seite sie sich auf den Boden gesetzt hatte. »Viel beschäftigt.«

»Hungrig?« Königin Lo‘randre stellte die beiden Weidenkörbe vor ihm ab und schenkte ihm einen gleichgültigen Blick.

Der Mann, ein mittelloser Bettler, ergriff die Weidenkörbe und durchsuchte deren Inhalt. »Schnaps habt Ihr mir keinen mitgebracht?«, fragte er im Scherz.

»Den hat die ganze Belegschaft leergesoffen«, erwiderte Lo‘randre spöttisch und lehnte sich seufzend mit dem Rücken gegen die Hausmauer.

»Dreckige Tavernenbedienstete!« Der Bettelmann lachte heiser.

»Ich habe mir die Liebe des Volkes erkauft«, gestand sie.

»Wieder mal?«, schnaubte er. »Schnaps für das Volk?«

»Drachenbitter für das Volk lautet mein neuer Wahlspruch«, verbesserte die Königin den Bettelmann und öffnete die Schnüre ihres Mieders noch ein Stück.

»Ach, wann hat Majestät denn die Wahlmonarchie eingeführt?«

Die Königin lachte bloß in ihrer verschrobenen Weise, doch antwortete nicht auf die Bemerkung.

»Drachenbitter«, wiederholte der Bettler im Flüsterton und holte das erste Gericht aus dem Weidenkorb.

»Aus Wristangul.«

»Edler Tropfen also«, erwiderte der Bettler mit vollem Mund.

»Ein äußerst delikater Tropfen. Du hättest ihn gemocht.« Ein schalkhaftes Grinsen umspielte ihre schmalen, spitz zulaufenden Lippen.

Er schüttelte bloß belustigt den Kopf und biss in den Birnen-Käse-Strudel, der Lo‘randres vierten Gang dargestellt hätte. »Welches Etablissement habt Ihr diesmal besucht, Majestät?«

»Die Taverne zum bärtigen Ritter«, erwiderte die Königin mit gespitzten Lippen. »Hat mir gefallen.«

»Da habt Ihr Euch aber weit von Eurem Palast entfernt. Senile Bettflucht?«

»Exil?«, konterte sie schlagfertig.

»Lasst mich noch aufessen, Majestät!«

»Und ich habe noch überlegt, dir ein Fass Drunenwein mitzubringen, elender Wicht!«

»Wohl wär‘s mir bekommen, Majestät. Aber Ihr seid nur gütig zu den Andoulous‘schen von hoher Geburt.«

»Ohne Abendessen ins Exil, Flegel!«

»Majestät lässt den armen Hénne verdursten.«

»Weil ich eine garstige, niederträchtige Herrscherin bin.« Leise lachte sie ihr heiseres He! He! und genoss die Ruhe und den kühlen Wind, den ihr der Abend bescherte.

»Was gibt es noch?«, fragte Hénne. Er durchwühlte den zweiten Weidenkorb mit den schmutzbefleckten Fingern, die aus zerlöcherten Leinenärmeln hervorlugten.

»Irgendetwas mit Fisch, glaube ich. Und natürlich Kuchen und Käse.«

»Gute Herrscherin!«

Sie antwortete nicht darauf, sondern sackte bloß entspannt in sich zusammen und blickte ins Leere.

Hénne schlang gierig den Fisch hinunter, aß den Käsegang direkt dazu und trank den Wein, den er nach seinem Spott erst entdeckt hatte.

»Zu lange gefastet?«, zog sie ihn auf.

»Im Dienste der Göttlichen! Möge ihre Heiligkeit auf mich herniederpissen und mich segnen.«

Lo‘randre lachte ihr heiseres Lachen.

Darauf, den Kuchen zu teilen, bestand Hénne und Majestät wagte auch nicht, abzulehnen. In Andoulous gab es zwei ungeschriebene Gesetze: Das erste lautete, man isst nicht bloß ein Stück Kuchen; man gönnt sich immer ein zweites Stück. Und das zweite besagte: Verweigere niemals einem Mann das Gastrecht. (Schon gar nicht, wenn es um Kuchen geht!) Lo‘randre legte das Mieder gänzlich ab und straffte den Rücken. Der Schankherr hatte selbstredend zwei Kuchenstücke in den Weidenkorb gelegt, also machten sich die zwei ungleichen Freunde über das Zitronenbaiser her und teilten den herben Rotwein.

»Wird Majestät nicht schon in Sorge sein, wo seine liebreizende Königin den Abend zubringt?«, scherzte der Bettelmann, wohlwissend, dass diese Annahme ad absurdum führte.

»In seinem tränendurchnässten Federkissen wird er sich bange den Träumen hingeben, während die gesamte Stadtwache von ihren Posten abgezogen wird, um seine verschollene Gemahlin zu finden«, reizte sie die Bemerkung mit Sarkasmus aus.

»Welche Tragödie!«, jauchzte Hénne.

»Wo wirst du heute die Nacht zubringen, Hénne?«

»In irgendeinem Rattenloch«, raunte er gleichgültig.

»Eine vortreffliche Wahl.«

»Unter der Brücke ist es mir zu voll. Ganz Andoulas ist heimatlos, da die Königin jedes Haus für sich und ihren wohlgenährten Gemahl beansprucht hat«, trieb er den Zynismus fort.

»Ihre Majestäten brauchen selbstredend Abwechslung.«

»Wenn wir nicht die Verhungerten hätten, müssten wir selbst verhungern«, entgegnete Hénne.

»Ich setze zwanzig Kronen darauf, dass du zu den letzten Überlebenden des gemeinen Volkes gehören wirst.«

»Ihre Majestät ist zu gütig.«

»Ich hab es dir schon mal angeboten.« Lo‘randre wurde ernst.

»Nein, danke, Majestät«, entgegnete der Bettelmann. »Dieses Schicksal habe ich zu tragen.«

Sie nickte und verstand. Sein Heim, seine Habseligkeiten, konnten ihm genommen werden, doch seinen Stolz wollte er für immer wahren.

»Es wird eine angenehme Nacht«, sagte sie inhaltslos, bevor sie ihr Mieder ergriff und sich erhob. »Such dir ein Rattenloch mit Ausblick! Die Sterne sind dir wohlgesonnen.«

Hénnes Überlegungen dauerten zu lange an, um einer schlagfertigen Antwort gerecht zu werden, also wünschte er ihr bloß eine geruhsame Nacht, bevor sie sich aus dem Schatten bewegte und den Weg durch das Gedungene Viertel fortsetzte.

V

Im Königlichen Schlafgemach

Als Majestät Lo‘randre das Schlafgemach betrat, saß ihr Gemahl bereits bis zur Brust mit der weißen Daunendecke bedeckt in ihrem Bett. In der Hand hielt er ein Buch. Leichte Lektüre, wie es die einsamen Witwen des Adels gerne in Händen hielten. Als sie auf den Schminktisch zusetzte, hob er den Blick und brummte wortlos zur Begrüßung. Sie nickte lethargisch und legte das Mieder auf dem Wäscheberg ab, den die Zofe diesen Tages noch nicht abgeholt hatte. Leise seufzte sie, als er die nächste Seite seines Schundromans umblätterte und die Bettdecke seinen Bauch entblößte. Das dunkle Brusthaar klebte an der von Schweiß glänzenden Haut und sein Atem ging röchelnd und schwer. Nichts Ungewöhnliches für einen Mann seiner Körperfülle, doch störend, wenn sie zu lange an seiner Seite verbrachte. Das frisch gewaschene Haar war sauber nach hinten gekämmt und verströmte einen herb-süßen Duft. Lo‘randre mochte das Parfümöl, das ihr König benutzte, wenngleich es seinem Antlitz keinen nennenswerten Vorteil verschaffte.

»Ist es also mal wieder soweit?«, brummte sie, während sie Perlenohrringe und -kette ablegte.

»Bei Hofe wird bereits geschwatzt, Majestät«, antwortete ihr Gemahl nicht weniger teilnahmslos.

Die Seiten raschelten, wenn er umblätterte.

»Dann lass es uns hinter uns bringen.«

»Mhm«, brummte König Rogen, in seinen Roman vertieft.

Lo‘randre kämpfte mit den Schnürungen des Kleides, die sich am Rücken, anstatt auf Brustseite befanden. Schnaufend und fluchend zog sie an den Bändern. König Rogen machte keine Anstalten ihr zu helfen. Ist mir nur recht so, dachte sie bei sich. Den Anblick seines nackten Körpers, wenn er aus dem Bett stieg, wollte sie nicht über sich ergehen lassen. Das kostete sie womöglich noch den letzten Funken Anreiz, sich zu ihm zu legen. Dass der König sich durch die Bordelle der Stadt schlief und Königin Lo‘randre von ihrem Jungbrunnen naschte, war bei Hofe kein Geheimnis. Doch verbrachte das Königspaar alle dreißig Tage zumindest die Nacht zusammen, verstummten die Gerüchte wieder für eine Zeit und Befürchtungen der Uneinigkeiten verblassten. Endlich fiel das cremefarbene Brokatkleid zu Boden und die Königin konnte wieder aufatmen.

»Und wo war ihre Majestät heute? Drunenwein für das Volk?«, brummte König Rogen, weiterhin über die Zeilen fliegend.

»Drachenbitter«, verbesserte sie ihn.

»Mhm«, brummte er schmunzelnd und raschelte wieder mit den Seiten.

»Und was liest seine Majestät? Eine Anleitung zum Beischlaf mit goldenen Rittern?«

»Die Hofdame und der Lustknabe«, korrigierte er sie, wohl wissend, dass ihr Spott ihm bevor stand. Doch das kümmerte ihn nicht. »Wäre sie eine Königin und weniger anmutig, wäre dies Buch fast aus deinem Leben gegriffen, Majestät.«

Lo‘randre schmunzelte verächtlich. »Nun gut, Majestät«, sagte sie hölzern, während sie zu ihm ins Bett gekrochen kam. »Nachdem du nun weißt, wie es geht ...«

Er hob den Zeigefinger und hieß sie warten, während er die letzte Seite des Kapitels zu Ende las. Wie ein Sack Kartoffeln sackte sie ins Federbett und zog die Decke über den nackten Leib. Sein Haar roch angenehm. Darauf wollte sie sich konzentrieren. Nach Sandelholz.

»Gut«, stöhnte er und klappte das Buch geräuschvoll zu. »Lass uns das Bett zum Einsturz bringen und das Waschweibergeschwätz aus der Welt schaffen.«

»Jetzt, da du so belesen bist wie ein Waschweib, gnädigste Majestät, wie hättest du es gern? Soll ich dich würgen und einen Diener heißen, oder möchtest du mir in die Augen blicken und Liebesschwüre aufsagen?«

Heiser lachte er.

»Was macht Hofdame von heute mit dem werten Lustknaben? Braucht seine Majestät einen Finger im Rektum, um sich ihrer Zuneigung zu erfreuen?«, stichelte sie weiter.

»Ich habe einen ganz anderen Vorschlag, wenn ihre Majestät wünschen«, entgegnete er mit demselben sarkastischen Tonfall, mit dem er immerzu mit ihr zu sprechen wusste.

»O, wie aufregend, Majestät. Lass mich raten, das selbe Prozedere wie üblich?«

»Du nimmst mir die Worte aus dem Mund«, erwiderte er teilnahmslos und rollte sich auf sie.

Das mochte sie an ihm. Ihr Sarkasmus färbte ab. Und jene, die sich leicht von ihr anstecken ließen, waren ihr ohnehin immer schon sympathisch gewesen. Das Bett quietschte, als er seinen massigen Körper auf ihr vor und zurück bewegte.

»Es gibt beunruhigende Neuigkeiten aus den nördlichen Ländern des Weltenzentrums«, sagte er, während seines konstanten Stoßens.

»Mh«, keuchte sie unter der Last des schweren Abendessens, das sich bei jeder seiner Bewegungen in ihr wog.

»Ein Krieg braut sich zusammen.«

»Betrifft es eines der Länder, mit denen wir Handel treiben?«

»Weltenzentrum sagte ich.«

»Also ja«, beantwortete sie ihre eigene Frage.

»Thal und Wintergaard. Da braut sich etwas Übles zusammen, sag ich dir. Und unsere Loyalität steht in Frage.«

»Und zu wem halten wir?«

»Die Frage wollte ich gerade an Majestät richten«, entgegnete König Rogen, dem bereits nach den ersten Stößen der Schweiß aus den Poren quoll.

»Das wird eine unschöne Angelegenheit.«

»Ganz recht.«

Königin Lo‘randre warf den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke, um nachzugrübeln. Es gab nur wenige Länder, mit denen Andoulous keinen Handel trieb. Aus Krieg und Zwistigkeiten untereinander hielt sich Andoulous stets heraus. Wohlstand und Zufriedenheit waren der Kultur ihres Volkes zu genehm, als dass Andoulous Partei ergreifen durfte. Krieg zweier Handelspartner bedeutete immer Ärger.

»Mir wurden nur ein paar Informationen zugespielt. Du aber hast deine Spitzel überall«, fuhr König Rogen fort.

»Mh«, brummte sie grübelnd. Ihre Sorgenfalte grub sich in die Stirn. »Welche Informationen haben Majestät ereilt?«

»Thal zieht gegen Wintergaard. Aum Forten wird belagert, heißt es.«

»Schlecht«, erwiderte die Königin, weil sie sonst nichts darauf zu antworten wusste.

»An Thal verdienen wir mehr«, wandte König Rogen ein. »Aber mit Wintergaard pflegen wir ein vertrauteres Verhältnis.«

»Der Werte Herr von Wintergaard und sein neuer Schwiegersohn beraten sich gerade wegen eines neuen Handelsabkommens.«

»Zu unseren Gunsten?«

»Was glaubst du?«, erwiderte Lo‘randre mit selbstherrlichem Grinsen.

»Gut«, stöhnte er schmunzelnd.

Seine Bewegungen verlangsamten sich, je länger er auf ihr turnte. Das Gesicht war bereits dunkel errötet und Schweiß tropfte ihm vom Kinn. Sie schnaubte, gelangweilt von ihrem aufgezwungenen Beilager und ungeduldig, weil sie gerade nichts gegen die drohenden Ärgernisse des Kriegszustands ausrichten konnte.