Besuch im ganzen halben Haus - Claudia Weiand - E-Book

Besuch im ganzen halben Haus E-Book

Claudia Weiand

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Beschreibung

Die Familie Herz ist endlich wieder da! Und als wäre das nicht bereits chaotisch genug, kündigt sich auch noch Besuch an! Tante Irmchen aus Südamerika kommt! Und die Frau hat es nun wirklich in sich. Herrlich komisch und ganz normal - wie das eben so ist, in einer Familie.

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Über die Autorin:

Claudia Weiand ist verheiratet und Mutter von zwei Söhnen.

Sie lacht, schreibt und kritzelt für ihr Leben gern.

Mehr Infos unter

www.claudia-weiand.de

Für euch alle,

die ihr mich in den letzten Jahren mit Emails,

Anrufen, Gesprächen, Briefen, Postkarten und

noch viel mehr darauf aufmerksam gemacht

habt, dass gute Geschichten weiter, und immer

weiter erzählt werden müssen.

Ohne euch würde es dieses Buch nicht geben.

Autoren brauchen Leser, die sich kümmern...

Dankeschön!

Inhaltsverzeichnis

So schaut's aus

Nachrichten

Und noch mehr Nachrichten

Der Sommerplan

Erholungsphase

Sorgen für Große

Kaputte Leuchter werfen ihre Schatten voraus

Die Neuen

Kümmern für Fortgeschrittene

Intergalaktische Erscheinung

Lampenjagd

Vorbereitungen für‘s Tantchen

DaPaolo

Ratzfatz, is klar!

Die Ankunft

Tante Irmchen

Duftlampe

Einschulungen

Essenslieferungen

Die verschwundene Tante

Wie Tante Irmchen die Welt sieht

Übelkeit

Sommerpitzer

Herzkasper

Sabberndes Leben

Vertantet

Lange Listen und ein fahrender Ofen

Gästegetümmel

Die goldene Meerjungfrau

Abschied

Was ist eigentlich ein Down-Kind?

So schaut's aus:

Manchmal stehe ich an meinem Panorama-Fenster und gucke auf den Garten. Und dann wundere ich mich, wie viel Leben in so eine kurze Zeit passt. So viele Feste, so viele Menschen und so viel Lachen. Aber natürlich auch viele Tränen und furchtbar viel Abschied und Sorgen. Ist es nicht irgendwie total merkwürdig, dass gute Dinge geschehen, obwohl vorher blöde Sachen passiert sind?

Wir sind als Familie zum Beispiel ins ganze halbe Haus gezogen. (Und das ist total gut!) Aber nur, weil Oma Böhnchen gestorben ist. (Und das ist total blöd!) Aber wäre Oma Böhnchen nicht krank geworden und im letzen Jahr gestorben und hätte sie der Kirchengemeinde nicht die Hälfte des Hauses geschenkt, dann wären wir hier nie eingezogen. Und Lena und Noel auch nicht. Und Taisha! Ich würde Taisha nicht kennen! Nein, manchmal können sogar aus den schlimmen Dingen richtig gute Sachen herauswachsen. So verrückt das auch sein mag.

Ab und zu, wenn ich Leuten vom ganzen halben Haus erzähle, finden sie das alles sehr verwirrend. Deswegen hab ich es mal aufgezeichnet:

Die untere Hälfte des Hauses gehört der Kirchengemeinde, in der mein Papa arbeitet. Der ist nämlich Pastor. In dieser Hälfte des Hauses ist unsere Wohnung. Die ganz unten. Da wohne ich mit Papa, Mama, Mo und den Zwillingen. Mo ist gerade sieben geworden und nach den Sommerferien kommt er in die Schule. Das ist eine besondere Schule, denn Mo ist auch ein besonderes Kind. Die Ärzte sagen, er hat das Downsyndrom. Aber wir in unserer Familie würden eher sagen, er hat das Glückssyndrom. Denn im Gegenteil zu allen anderen Menschen, die ich auf der Welt so kenne, ist Mo derjenige, der fast in jeder Lage glücklich sein kann. Wenn er sich das Knie aufgeschlagen hat, ist er unheimlich glücklich über das bunte Pflaster. Oder wenn die Eisdiele zu hat und wir den ganzen Weg umsonst gelaufen sind, freut er sich über die leere Pappschachtel, die er auf dem Heimweg im Park findet und in die er Kieselsteine füllen kann. Oder Stöckchen. Oder Apfelkerne. Und wenn ich dann neben Mo so im Park rumstehe, kann ich gar nicht mehr anders, als ein bisschen Glücksgefühl abzukriegen. Und dann ist das mit der Eisdiele auch für mich nicht mehr so schlimm. So gesehen haben wir in unserer Familie alle das Glückssyndrom.

Meine beiden großen Brüder heißen Sam und Noah. Sie haben gerade ihr Abi gemacht und nach den Sommerferien werden sie nicht mehr in die Schule müssen.

Sam wird im Herbst ein freiwilliges soziales Jahr beginnen. In einem Hospiz. Das ist ein Haus in das man gehen kann, wenn man sterben muss. Dort ist es viel schöner, als in einem Krankenhaus. Natürlich gibt es dort auch Ärzte und Schwestern und so. Und demnächst gibt es da eben auch Sam. Mama und Papa haben versucht, ihm das auszureden. Weil es irgendwie so seltsam ist, dass ein so junger Mensch sich um Menschen kümmern möchte, die nicht mehr lange zu leben haben. Aber Sam hat sich nichts davon ausreden lassen.

„Warum soll ich nicht, bevor ich mit meinem Leben durchstarte, anderen helfen, ihre letzten Tage auf dieser Erde zu genießen?“, hatte er irgendwann sehr trotzig gefragt. Und Mama und Papa hatten geseufzt und ihn dann ganz fest in den Arm genommen.

Noah hat sich für ein Studium eingeschrieben. Betriebswirtschaft. Irgendwas mit Zahlen und Firmen und Plänen und Rechnungen. Das klingt so langweilig, dass man die anderen Studenten nur beglückwünschen kann, dass jemand wie Noah an ihre Uni kommt. Schließlich sind Noah und Sam berühmt berüchtigte Streicheaushecker und Chaosverbreiter. Das wird sich weder im Hospiz noch auf der Universität ändern.

„Da werden viele eurer ehemaligen Lehrer vor Glück weinen, wenn das neue Schuljahr ohne euch startet!“, behauptete Mama. „Manchmal lässt man bestimmte Schüler das Abi besser bestehen, weil sie sonst im nächsten Schuljahr wieder kommen.“ Mama muss es ja wissen, denn die war selber Lehrerin. Und wenn Mo nach den Sommerferien in die Schule kommt, dann wird sie es auch wieder sein. Erst einmal nur für ein paar Stunden in der Woche.

„Aber das können sehr lange Stunden sein, wenn man solche Kerle wie euch unterrichten muss!", sagte Mama und meinte damit natürlich die Zwillinge.

Sam und Noah rollten über Mamas Sticheleien bloß die Augen und tätscheltenn ihr die Schulter.

„Die ganze Schule wird weinen, Mama! Sie werden alle trauern um ihre Herzens-Männer!“ behauptete Noah. „Aber du Fiene, du wirst in unsere Fußstapfen treten. Du wirst die Bude schon rocken, Kurze!“

Fiene, das bin ich! Und ich komme nach den Sommerferien auf die gleiche Schule, die Sam und Noah gerade verlassen. Denn dann komm ich in die Fünfte.

„Fiene kann nie und nimmer an das Chaos heranreichen, das ihr in dieser Schule angerichtet habt!“, hatte Mama geantwortet. „Wenn ich alle Krisensitzungen und Elterngespräche, die euch betrafen aneinander hänge, haben Papa und ich sicher zwei volle Schuljahre in der Schule abgesessen!“

„Pöh!“, machte Noah und grinste. „Im Prinzip lag das alles an euch, Mama. Ihr ward immer so nett zu denen. Die haben sich einfach extrem gerne mit euch verabredet! Mit uns hatte das ja nun wirklich nur am Rande zu tun!“ Und dann schnappte er sich einen Apfel, biss geräuschvoll hinein und flitzte so schnell es ging aus der Küche.

Jedenfalls wird sich einiges ändern im ganzen halben Haus. Nicht nur bei uns, der Familie Herz.

Direkt neben unserer Wohnung liegt noch eine kleine weitere Wohnung. Da hinein soll demnächst ein Büro einziehen. Das von Papa nämlich. In der Wohnung gibt es zwei kleine Räume, eine Küche und ein Klo. Ein Raum soll Papas Arbeitszimmer werden. Der andere Raum ist für das Sekretariat der Kirchengemeinde gedacht. Das gibt es eigentlich noch gar nicht. Bislang steht nämlich der ganze Papierkram der Gemeinde entweder bei Papa im Büro (welches sich gerade noch im Elternschlafzimmer befindet) oder bei dem Gemeindeleiter Manne zu Hause. Und einige Kisten lagern im recht feuchten Keller der Kirche. Das muss sich ändern und drum bekommen all die wichtigen Unterlagen demnächst ihren Platz in der Miniwohnung nebenan. Und zusätzlich will die Gemeinde noch jemanden einstellen, der für ein paar Stunden die Woche den Papierkram ordnet und einsortiert.

Tja, das ist also grob gesagt das unterste Stockwerk unseres Hauses. Wenn man die Treppe hoch geht, liegen da wieder zwei Wohnungen. Eine kleine, in der wohnen Lena und Noel. Lena ist jünger als die Zwillinge und trotzdem schon die Mama von Noel. Und weil ihre Eltern das ganz furchtbar finden, haben sie Lena einfach aus ihrem Haus rausgeschmissen. Nun wohnt sie bei uns. Und wir finden, sie passt ganz hervorragend in unsere Haushälfte. Und der klitzekleine Noel sowieso!

Gegenüber von Lena und Noel, in der größeren Wohnung, da wohnen die Krönzs. Die sind zu dritt: Opa Krönz, Oma Krönz und Taisha. Weil Taishas Eltern gestorben sind, lebt sie seit ihrem dritten Lebensjahr bei ihren Großeltern. Taisha ist zur Hälfte eine Krönz und zur anderen Hälfte Afrikanerin, denn ihr Papa kam aus Äthiopien. Drum sieht ihre Haut ein bisschen aus wie total leckere Vollmilchschokolade. Sie ist genauso alt wie ich und bislang gingen wir sogar in die gleiche Klasse. Ob das nach den Sommerferien wieder so sein wird, das wissen wir noch nicht. Aber ich hoffe es ganz schrecklich doll! Denn Taisha und ich sind echt krass gute Freundinnen geworden!

Geht man im Haus nochmal ein Stockwerk höher, dann kommt man in die andere Hälfte des ganzen halben Hauses. Die Hälfte, die Herrn Blühm gehört. Herr Blühm war nämlich mit Oma Böhnchens Schwester verheiratet, die aber schon vor Oma Böhnchen gestorben ist. Und irgendwie hatte er gedacht, dass er nicht nur das halbe, sondern das ganze Haus erbt. Tja, aber da hat Oma Böhnchen nicht so ganz mitgemacht und stattdessen ihre Hälfte an unsere Kirche vererbt. Und nun teilt sich die Kirche mit Herrn Blühm das Haus. In den beiden Wohnungen im Stockwerk über Lena, Noel und den Krönzs wohnt noch niemand. Aber auch daran wird sich wohl sehr bald etwas ändern.

Eine Treppe weiter höher, da gelangt man in das Dachgeschoss. Dort gibt es nur eine einzige Wohnung und dort wohnt Herr Blühm. Höchstpersönlich.

Sam hat mal gesagt: „Der Blühm ist wie Zahnschmerz. Hat man sich nicht ausgesucht und wenn er da ist, lässt er sich nur schwer ignorieren.“ Papa hat erst Tränen gelacht und dann mit Sam geschimpft. Weil man schließlich nicht so über seine Nachbarn redet.

Also: Das ganze halbe untere Haus gehört zu uns. Das ganze halbe obere Haus gehört zu Herrn Blühm. Und das ganze Drumherum gehört eigentlich uns allen. Die Obstbäume, der Schuppen, die Wiese, der kleine Weg. Das alles teilen wir uns mit unseren Nachbarn. Und davon soll es ja demnächst noch ein paar mehr geben. Tja, so schaut es aus, bei uns im ganzen halben Haus.

Nachrichten

„Leute, haltet euch fest!“, rief Sam und warf seinen Schlüssel auf die Flurkommode, dass es nur so schepperte.

„Jepp, Leute!“, bestätigte Noah, der gleichzeitig mit Sam in den Flur polterte. Mit dem Fuß gab er der Haustür einen Stoß, so dass sie krachend ins Schloss fiel. Mama verdrehte die Augen, Papa stöhnte, Mo juchzte. Wir saßen bereits um den Tisch und unser Samstagsfrühstück sollte gleich losgehen. Noah und Sam waren heute dran mit Brötchenholen. Mo und ich mit Tischdecken. Und Mama und Papa kochten Kaffee und rührten Kakao und fegten die Scherben von dem Becher auf, den Mo irgendwie zu schwungvoll an die Tischkante geknallt hatte.

„Könnt ihr Helden bitte einmal, nur ein einziges Mal, die Tür mit der Klinke in der Hand schließen?“, fragte Papa genervt. Er wickelte gerade ein Pflaster um den Schnitt in seinem Daumen, den eine Scherbe hinterlassen hatte.

„Hey, wenn ihr die Neuigkeiten hört, dann wisst ihr, warum man die nicht leise verkünden kann!“, murmelte Noah verschwörerisch und wedelte mit einer Postkarte. Sam brachte die Brötchentüte in die Küche und leerte sie schwungvoll in das kleine Körbchen auf dem Tisch. Mo klatschte vor Freude in die Hände und flüsterte dann: „Bööötschen! So viele Bööötschen!“

„So, jetzt setzt euch halt erst mal hin, wir starten mit dem Frühstück und dann erzählt ihr, was ihr ausgefressen habt…“, sagte Mama in Lehrerinnenstimme. „Schatz, würdest du bitte beten?“

Schatz ist mein Papa und der hatte gerade nickend Luft geholt, als Sam rief: „Nein! Das mache ich! Sonst dauert das zu lange!“

Papa wollte protestieren aber Mama nickte bloß und seufzte: „Wenn wir nur bald anfangen könnten …“

Sam senkte den Kopf und räusperte sich: „Jesus, voll fettes Danke für die Brötchen! Und das Schokocroissant, dass uns Frau Kleber spendiert hat …“

„Hey!“, entfuhr es mir.

„… und schütze diese Familie vor den Dramen, die da auf uns zu rollen. Amen!“, posaunte Sam.

„Was für ein Schokocroissant?“, wollte ich wissen.

„Was für Dramen?“, fragte Papa.

Sam grinste und wies auf ein kleines Tütchen auf der Anrichte.

„Frau Kleber hat uns auch eins für dich und Mo mitgegeben.“ Mo jubelte und sprang vom Stuhl. „Wie ihr das jedes Mal schafft, die Bäckersfrau so einzulullen, dass die euch mit Süßkram quasi bewirft, ist mir ein Rätsel“, sagte Mama kopfschüttelnd und half Mo, die beiden Croissants aus der Tüte zu schälen.

„Natürlicher Charme, Mama!“, erklärte Noah schmatzend und strich bereits die zweite Brötchenhälfte.

„Könntet ihr jetzt endlich mal erklären, was es mit der Karte und den Dramen auf sich hat?“, forderte Papa. Er half Mo wieder auf den Stuhl, schob ihn an den Tisch und deutete auf Sam. „Los jetzt! Erzähl!“

„Tante Irmchen kommt!“, flüsterte Noah verschwörerisch und Papa setzte sich kerzengerade auf.

„WAS?“, rief er aus. „Wann? Und warum?“

Sam schob ihm die Postkarte zu. „Lies selbst!“

Papa griff nach der Karte, las, seufzte tief und reichte sie an Mama weiter. Mama las die Karte, holte tief Luft und machte ein sehr tapferes Gesicht. „Tante Irmchen kommt!“, flüsterte sie fast unhörbar. Sie las die Karte erneut und schluckte.

„Okay, wir schaffen das. Wenn wir alle zusammenhalten schaffen wir das!“

„Oder sie schafft uns“, murmelte Noah.

Mo beugte sich zur Seite und wischte sich den Schokomund an Papas Hemd ab. Leider warf er dabei seinen Kakaobecher um.

„Schaffuns!“, sagte er mit ernster Miene. Papa stöhnte und stand auf, um den Lappen zu holen.

Tante Irmchen ist irgendwie mit Papa verwandt. Wir nennen sie alle Tante Irmchen, obwohl sie wirklich von keinem von uns die Tante ist. Nicht einmal von Papa. „Eher irgendwie eine Großcousine viereinhalbten Grades!“, behauptet Sam immer. Sie lebt eigentlich in Südamerika. In Venezuela. Und das finden wir alle sehr vernünftig von ihr. Denn man kann Tante Irmchen nur in kleinen Portionen aushalten.

Sie ist … nun ja … eine sehr besondere Frau. Laut, nein eher schrill. Eingehüllt in bunten Tüchern, langen glitzernden Ketten und einer Wolke Parfüm. Man weiß nie, welche Haarfarbe sie gerade hat. Pink oder rabenschwarz? Grau oder braun? Sie erzählt wilde Geschichten, trinkt dabei Tee mit Rum aus einer Thermoskanne und lacht über ihre eigenen Scherze so laut, dass Mo sich die Ohren zuhalten muss. Alle paar Jahre besucht sie uns. Mo konnte sich an ihren letzten Besuch nicht mehr erinnern, aber alle anderen schon. Die Zwillinge hatten damals ihren ersten Bartwuchs bekommen und Tante Irmchen hatte darauf bestanden, ihnen jeweils eine Nassrasur zu spendieren. Erst fanden sie die Idee großartig. Dann holte Tante Irmchen dieses Buschmesser aus dem Koffer und Sam und Noah wurden sehr still und sehr blass. Mama rettete sie, indem sie Tante Irmchen nach Chantale fragte. Wohl wissend, dass Tante Irmchen sofort die Thermoskanne holen würde, um sich dann in endlosen Geschichten über ihr Schoßhündchen Chantale auszulassen. An diesem Tag haben wir von den Zwillingen nichts mehr gesehen. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt.

„Wir werden ihr Fienchens Zimmer geben“, sagte Mama gerade. „Und Fiene zieht zu Mo.“

„Och, Mama!“, maulte ich.

„Vielleicht bleibt sie nicht so lange“, versuchte Mama mich zu trösten. Papa schnaubte. Das war eine weitere Macke von Tante Irmchen. Dass man nicht so genau wusste, wie lange sie zu Besuch blieb. Mal war sie nur für wenige Tage da.

„Ich muss ja noch soooo viele andere besuchen. Das müsst ihr einfach verstehen!“ Und mal blieb sie wochenlang. „Es ist aber auch soooo schön bei euch!“

„Fiene!“, sagte Sam feierlich. „Wir werden alle fest zusammenstehen. Einer für alle. Alle für einen!“

Und noch mehr Nachrichten

Am selben Tag rief Manne an, um uns von den neuen Nachbarn zu berichten. Manne ist der Gemeindeleiter unserer Kirche und dadurch auch irgendwie Papas Chef. Aber beide zusammen haben dann ja noch Jesus als Oberchef. Irgendwie ist Manne aber auch unser Freund. Na ja… und das ist Jesus ja auch… Ist schon verrückt, so ne Kirche. Jedenfalls: immer wenn es wichtige Neuigkeiten rund um das ganze halbe Haus gibt, ist Manne der erste, der Bescheid weiß. Klar, wir hatten ja diese eine Familie schon mal mitbekommen, die sich eine von Herrn Blühms leerstehenden Wohnungen angeschaut hatte. Aber wirklich darüber Bescheid wussten wir nicht. Niemand von uns hatte sich getraut, Herrn Blühm direkt auf die Sache anzusprechen. Wir warteten einfach ab.

„In die große Wohnung zieht die Familie mit den zwei Jungs ein“, berichtete Papa nach dem Telefonat. Wir saßen alle zusammen auf der großen Terrasse und aßen den Kuchen, den Mama und Mo nach dem Frühstück gebacken hatten. Erstaunlicherweise waren Sam und Noah mit dabei. Obwohl sie normalerweise an den Wochenenden kaum zu Hause waren. Andererseits gab es etwas zu essen und da waren die Zwillinge eigentlich immer für zu haben.

„Und in die kleinere kommt ein alleinstehender Mann“, fuhr Papa fort.

„Mann, wie langweilig!“, maulte Noah. „Kann da nicht auch mal ne Familie mit jungen Mädels einziehen?“

Mama zog die Augenbrauen hoch.

„Das fehlte uns noch! Tante Irmchen zu Besuch und ihr zwei Gockel bekommt Damenbesuche!“

Papa lachte laut auf und schwang die Kuchengabel durch die Luft.

„Das wäre doch der perfekte Plan wie man Irmchen beschäftigt halten könnte: Wir schicken sie auf Brautschau für die Jungs! Die soll sich mal durch die Nachbarschaft klingeln, hier und da auf den Busch klopfen und dann geeignete Kandidatinnen auswählen, die sie den Kerlen dann vorstellt.“ Papa ließ die Gabel sinken und beugte sich vor. „Wenn Tante Irmchen da erst mal Blut geleckt hat…“ Mama kicherte.

„Ja, ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als sie das für dich und deine Brüder gemacht hat!“

„Wie könnte ich das vergessen!“ Papa verdrehte die Augen.

„Die Nachbarschaft hat noch Jahre später davon erzählt!“

„Schon okay!“ Sam fuchtelte abwehrend mit den Armen in der Luft herum.

„Wir nehmen die Familie mit den Jungs!“

„Mal was ganz anderes“, begann Noah. „Könnten Sam und ich uns in den Sommerferien unseren Rasenmäher leihen?“ Mama guckte ihn misstrauisch an. „Warum?“

„Wir wollen eine Firma gründen!“, verkündete Sam feierlich.

„Ihr wollt was?“, fragte Papa verdutzt.

Noah lehnte sich genüsslich zurück und erklärte: „Wir gründen ein Unternehmen! Wir haben einen Businessplan geschrieben, Nachforschungen über die Konkurrenz angestellt, Flyer entworfen und wenn alles läuft wie geplant, gehen wir wahrscheinlich in zwei bis drei Jahren an die Börse!“

„Ihr geht mit unserem Rasenmäher an die Börse?“, hakte Mama nach.

„Nicht doch! Bis dahin haben wir natürlich schon unsere eigene Flotte beisammen!“ Sam winkte ab. „Der Rasenmäher ist ja bloß der Anfang, Mama! Nur der Anfang!“

„Jungs, ich rücke den Mäher erst raus, wenn ihr mir bis ins kleinste Detail berichtet, was ihr mit dem Ding vorhabt!“, sagte Papa sehr bestimmt. „Wir wissen schließlich noch alle, was passiert ist, als ihr euch den Entsafter ausgeliehen hattet…“

Daran konnten wir uns tatsächlich alle erinnern. Sehr gut sogar. Den Entsafter hatten sie sich damals von Oma Böhnchen geliehen, nachdem sie ihr im Garten geholfen hatten. Die beiden hatten mehrere Kisten voller Äpfel, Birnen und Quitten mit nach Hause gebracht. Und eben den Entsafter. Leider war Mama nicht zu Hause gewesen, sonst wäre es sicherlich nicht so weit gekommen. Aber an dem Tag waren die Zwillinge den Nachmittag über allein in der Küche. Und sie entsafteten. Und entsafteten. Einen Apfel nach dem anderen. Und die Birnen. (Auf die Quitten verzichteten sie, weil sie auf Mamas Quittengelee spekulierten.)

Leider hatten wir in unserer Küche nicht genug Krüge, um all den Saft aufzufangen. Also füllten die Jungs das Zeug in alles, was sie finden konnten. Jedes Glas, jede Tasse, Schüssel, Vase oder Topf wurde mit Birnen-Apfelsaft gefüllt. Mama kam zur Haustür herein und erwischte Sam gerade, wie er mit den Zahnputzbechern in der Hand aus dem Bad kam. Die Küche war ein klebrig süßes Schlachtfeld, vollgestellt mit allen Behältern, die in unserem Haus auffindbar gewesen waren. „Wir haben eine Saftfabrik gegründet!“, war alles, was Sam dazu zu sagen wusste.

„Damals waren wir ja auch noch Kinder, Paps!“, beruhigte Noah.

„Ja eben! Kaum auszudenken, was ihr inzwischen alles in der Lage seid anzustellen!“, stöhnte Papa theatralisch.

Sam schüttelte den Kopf, schob sich ein weiteres gewaltiges Stück Kuchen in den Mund, kaute kurz, schluckte und verkündete dann: „Wir werden den ganzen Sommer über Rasen mähen. Gegen Kohle, versteht sich!“

„Ist das nicht genial?“, fragte Noah in die Runde. „Ich meine, überlegt doch mal: Der Rasen muss alle acht bis vierzehn Tage geschnitten werden. Der hört ja nie so richtig auf zu wachsen. Das heißt, wir sind den ganzen Sommer über beschäftigt! Und wir sind zuverlässig! Und schnell!“ „Und charmant!“, fügte Sam hinzu. „Unser erster Auftraggeber ist Frau Kleber! Und die hat gleich gesagt, dass ihre Nachbarin uns sicher auch anheuern will. Und wir dürfen Flyer in der Bäckerei auslegen. Und ein Plakat sollen wir da aufhängen!“

„Wir haben auch schon einen Unternehmensnamen!“ Triumphierend blickten die Zwillinge in die Runde.

„Das grüne Gemetzel?“, schlug Mama vor.

„Mann, Sam, der wär auch gut gewesen…!“, sagte Noah anerkennend.

„Nein, wir haben uns schon für etwas breiteres entschieden: RATZFATZ! Der Name klingt doch nach Turbo, oder? Schnell, jung, dynamisch und vielseitig verwendbar!“, erklärte Sam. „Weil die Sache, die ist nämlich so, Papa: Wenn wir den Rasenmäher zurückbringen, brauchen wir anschließend die Schneeschaufel…“

Ich fand die Idee eigentlich ziemlich cool. Sollten sich die zwei ruhig ordentlich ihr Taschengeld aufbessern. Davon würden Mo und ich definitiv profitieren. In der Regel fiel da nämlich immer mal wieder ein dickes Eis oder ein Kinobesuch für uns ab. Die beiden hatten wirklich schon einen richtigen Plan ausgetüftelt und sich sogar bereits einen Gewerbeschein bei der Stadt organisiert.

„Das Ding hat uns dreißig Euro gekostet, Mama. Da könnt ihr doch jetzt nicht daherkommen und den Mäher nicht rausrücken!“, erklärte Noah.

Letztendlich gaben Mama und Papa zu, dass sie ziemlich beeindruckt waren. Von den Plänen und davon, wie sorgfältig sie die Sache angegangen waren. Und da beide mit der Schule fertig waren und bis zum Herbst nicht wirklich viel zu tun hatten, gaben sie schließlich ihr Einverständnis. Noah und Sam durften sich den Mäher für den Sommer ausleihen. Dafür mussten sie allerdings auch einmal die Woche den Rasen bei uns mähen. Gratis, versteht sich. Und ratzfatz!

Und als wären Tante Irmchen, die neuen Mieter und die RATZFATZ-Firma nicht schon völlig ausreichend, verkündete Papa abends auch noch: „Die Stellenanzeige ist übrigens raus!“

„Häh? Welche Stelle?“, wollte ich wissen.

„Die für Papas Sekretärin!“, erklärte Mama.

„Zieht die etwa auch noch hier ein?“, fragte ich vorsichtig.

„Nicht doch!“, beruhigte Mama mich. „Aber sie wird hier arbeiten. Drüben im Gemeindebüro.“

„Ach so“, sagte ich achselzuckend. Das war mir ja völlig wurscht, wer da arbeiten würde. Das hatte mit uns ja gar nichts zu tun. Aber da wusste ich ja auch nicht, was noch so alles passieren würde. Hier im ganzen halben Haus …

Der Sommerplan