Betrug in Snowfields - Daniel Klock - E-Book

Betrug in Snowfields E-Book

Daniel Klock

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Beschreibung

Will Burns glaubt seit jeher fest an die Magie von Weihnachten. Er kann es gar nicht fassen, als er eines Tages eingeladen wird, eine Ausbildung in Snowfields zu beginnen, dem Schulungszentrum der White Christmas Organisation. Dort lernt er nicht nur alles über die Herstellung und Lieferung der Geschenke, sondern er wird auch tief in den größten Betrugsfall verwickelt, der Snowfields in Jahrzehnten erschüttert hat. Schließlich wird einer seiner größten Träume wahr, als er bei der Auslieferung der Geschenke am Heiligabend mitarbeiten darf und vielleicht wird er schließlich sogar dem Weihnachtsmann persönlich begegnen.

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Seitenzahl: 403

Veröffentlichungsjahr: 2016

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DANIEL KLOCK

Betrug in Snowfields

Aus dem Englischen

von Daniel Klock

Deutsche Erstausgabe Oktober 2016

Auch als Taschenbuch erhältlich Oktober 2016

(ISBN 978-3741858451)

Copyright © 2016 Daniel Klock

DANIEL KLOCK

Betrug in Snowfields

Deutsche Erstausgabe Oktober 2016

Auch als Taschenbuch erhältlich Oktober 2016

(ISBN 978-3741858451)

Copyright © 2016 Daniel Klock

Englische Originalausgabe 2013, Copyright © Daniel Klock

Copyright aller Ausgaben © Daniel Klock

Titelgestaltung: Daniel Klock

Titelillustration: Thomas Dähne

Texte und Cover dieses eBooks sind urheberrechtlich geschützt. Eine Nutzung ohne Genehmigung des Urhebers oder Rechteinhabers ist nicht zulässig und daher strafbar.

Verleger

Dr. Daniel Klockenbrink

Heinrich-Hertz-Str. 11

28211 Bremen

[email protected]

Distributor: epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin

www.fatherchristmasbook.com

www.daniel-klock.com

Prolog

Bluerorcs! Sechs, sieben, ein Dutzend? Er kann es nicht sagen, die winzigen, leuchtend blauen Explosionen von Licht blenden ihn. Will läuft so schnell er kann. Gelbe und blaue Blitze, gleißende gelb-blaue Blitze wie Feuerwerk – er fürchtet sich so wie nie zuvor in seinem Leben. Er läuft weiter, dicht gefolgt von Bluerorcs, seine Beine pumpen wie Kolben, auf und ab, und seine Stiefel treffen hart auf den Boden – bumm, bumm, bumm ...

Dann wird das Stampfen immer lauter und lauter und schließlich zu einem beharrlichen Klopfen.

„Willst du gar nicht aufstehen?“

Will hörte jemanden rufen und schreckte plötzlich hoch.

„Mum hat dich schon zweimal gerufen!“

Will begriff, dass dies seine Schwester Lucy war, die ihn durch die Schlafzimmertür rief. Und dass er in seinem Bett saß, sicher und zu Hause. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Nur ein Traum – oder vielmehr ein Albtraum –, dachte er, die Bilder immer noch sehr lebhaft im Kopf.

„Okay“, murmelte er. Dann lauter: „Okay“, sodass Lucy ihn hören konnte und aufhören würde, die Tür in Stücke zu schlagen.

„Ich bin ja wach, ich komme.“

Er schüttelte seinen Kopf. Was war das doch für ein merkwürdiger Traum gewesen. Er hatte sich so echt angefühlt. Tatsächlich fühlte er sich noch immer so real an, als ob er wirklich von diesen eigenartigen Kreaturen durch dunkle Tunnel gejagt worden sei. Er schüttelte noch einmal den Kopf, um diese seltsamen Erinnerungen zu vertreiben, dann stand er rasch auf, wusch sich und zog sich an.

„Guten Morgen, Will.“ Seine Mutter begrüßte ihn, als er in die Küche eilte. „Hast du mich gar nicht gehört? Du musst ja geschlafen haben wie ein Stein. Jetzt aber schnell! Du hast kaum noch Zeit zum Frühstücken. Beeil' dich, oder du verpasst den Bus, und Mr Walker wird nicht glücklich sein, wenn du zu spät kommst.“

Mr Walker hatte diese Woche Spätdienst, und er war Wills Lieblings-Lehrer, daher wollte er es sich nicht mit ihm verderben. Er schlang sein Frühstück herunter, putzte sich die Zähne – nun, gewissermaßen, tatsächlich wurden sie nur oberflächlich etwas feucht –, schnappte sich seine Tasche und rannte zur Bushaltestelle. Er war gerade noch rechtzeitig und erwischte den Bus. Schwer atmend ließ er sich auf einen Platz fallen und seufzte erleichtert: kein Nachsitzen heute ...

Kapitel 1

In der Schule hatte Will den ganzen Tag über leichte Kopfschmerzen. Nicht, dass es viel ausmachte; in zwei Tagen würden die Ferien anfangen und keiner der Lehrer erwartete viel Konzentration von seiner Klasse. Tatsächlich waren die Lehrer auch nicht wirklich bei der Sache, sondern in Gedanken bei ihren Plänen für Weihnachten und den ganzen Vorbereitungen, die sie noch zu erledigen hatten.

Da die Stunden ziemlich langweilig waren, musste Will immer wieder an den seltsamen, aber sehr lebhaften Traum denken. Es hatte sich nicht einmal wie ein Traum angefühlt, zumindest hatte er niemals zuvor einen solchen Traum gehabt. Vielleicht eher wie eine Erinnerung? Aber, mal ehrlich, Bluerorcs, was war das für ein Wort? Er schüttelte den Kopf und murmelte: „Das ist doch verrückt. Solche Dinge kommen noch nicht mal in Science-Fiction-Büchern vor.“

„Ja, Will, willst du dem etwas hinzufügen? Hm?“ Will hörte, wie Mr Walker ihn rief. Er schreckte hoch.

„Nein, Sir. Tut mir leid.“

Aber Mr Walker war mit seiner Aufmerksamkeit schon bei Ben und James, die angefangen hatten, sich gegenseitig zu knuffen. „Jungs, also wirklich!“

Schließlich war auch dieser Schultag vorbei, und Will wurde durch das Klingeln erlöst. Ihm war nicht danach, noch mit seinen Freunden herumzulungern, sondern er nahm direkt den Bus nach Hause, wobei er immer noch an seinen Traum denken musste.

„Hi Mum, ich bin zu Hause“, rief er, als er in den Flur kam, und warf seinen Rucksack in eine Ecke. „Keine Hausaufgaben heute“, fügte er rasch hinzu, bevor sie ihn deswegen nerven konnte.

„Hallo Schatz“, rief sie zurück. „Wie war dein Tag?“

„Ach, Mum, wie kann Schule schon sein? Genauso wie jeden Tag“, antwortete Will, als er in die Küche kam. Dort verharrte er plötzlich. Er stand auf einmal in einer Wolke aus leckeren Aromen. Er kannte diese nur zu gut, seine Mutter war endlich dabei, Weihnachtsplätzchen zu backen. Wills Mutter hatte als Kind lange in Deutschland gelebt und, da keiner in der Familie viel Wert auf Mince Pies legte, hatte sie die deutsche Tradition aufrechterhalten, jedes Jahr im Dezember besonders gewürzte Plätzchen zu backen. Sofort hatte er seinen Traum komplett vergessen, als ihm das Wasser im Mund zusammen lief.

„Ach“, sagte seine Mutter, immer noch mit dem Rücken zu ihm gewandt. „Ich dachte, dass ihr vielleicht etwas Besonderes vor Weihnachten machen würdet.“

„Nee, nicht heute. Heute war wie jeder Tag. Aber morgen ist der letzte Tag vor den Ferien, und wir werden in der Klasse zusammen frühstücken, mit Weihnachtsdekoration und allem. Und Mr Rupert will Weihnachtsgeschichten vorlesen und Weihnachtslieder mit uns singen.“

„Oh, wie schön“, antwortete seine Mutter.

„Ja“, sagte Will. Dann grinste er. „Auf jeden Fall besser als Mathe.“

Seine Mutter lächelte. „Das auf jeden Fall. Ich kann mich auch noch gut an meine Schulzeit erinnern.“

Will musste lachen.

„Jetzt, da du zu Hause bist, kannst du mir mit den Plätzchen helfen?“

„Klar“, antwortete Will. „Ich will mich nur schnell umziehen.“

„Natürlich.“

Will ging in sein Zimmer. Er zog seine Schulklamotten aus und bequeme Sachen an. Während er die Schulsachen aufhängte, dachte er, dass seine Mutter recht hatte. Es würde toll sein, ein festliches Frühstück anstatt langweiliger Stunden in Geschichte oder Mathe zu haben. Und er musste sich eingestehen, obwohl er dies nie in der Schule oder seinen Freunden erzählen würde, dass er Weihnachtsgeschichten und -lieder immer noch toll fand. Dies war die beste Zeit des Jahres für ihn und er hatte sie immer als ganz besonders empfunden. Irgendwie war da einfach … irgendetwas ... an Weihnachten, dass er sich lebendiger fühlte, mehr er selbst, irgendetwas, das andere nicht so stark fühlten. Er hatte sich darüber immer etwas gewundert und grübelte immer noch hierüber nach, als er zurück in die Küche ging.

„Da bist du ja“, sagte seine Mutter. „Kannst du bitte den Teig da drüben kneten? Du bist stärker als ich.“

„Okay.“ Will ging hinüber zu dem Teig, der auf der Arbeitsplatte lag. Er fing an zu kneten und atmete dabei tief ein – Zimt, Vanille, Mandel ... Mmh, der Duft von Marzipan, Kardamom, Koriander ..., er war so vertraut mit den einzelnen Gerüchen. Er klaute sich ein Stückchen Teig – schmeckte der nicht immer besser, bevor er gebacken wurde? Dann mischte er noch mehr Mehl unter den Rest. Er lächelte, als er ein Weihnachtslied im Radio hörte. Und er musste erneut an seine starken Gefühle für Weihnachten denken.

„Was lächelst du so?“, fragte seine Mutter.

„Ach, ich freue mich einfach, dass Weihnachten ist.“

„Du hast Weihnachten immer sehr gemocht“, stellte seine Mutter fest.

„Nun, es ist so eine tolle Zeit. Alle sind so freundlich und glücklich. Die Geschenke, die Weihnachtsbäume, die Dekoration überall – ich finde das einfach wundervoll.“ Er deutete auf den Teigklumpen vor sich. „Ist das genug?“

„Lass mich mal sehen.“ Sie kam herüber und sah sich den Teig an. „Ja, das ist gut so. Du kannst ihn jetzt ausrollen. Die Formen sind da drüben.“ Sie zeigte auf die Anrichte.

„Okay.“

Will fing an, den Teig mit dem großen Nudelholz auszurollen. Als der Teig die richtige Stärke hatte, ging er zur Anrichte und holte die Formen. Zuerst wählte er eine, die die Form eines Tannenbaums hatte – eine seiner Lieblingsformen.

„Ist Lucy noch nicht zu Hause? Ich habe sie noch nicht gesehen und ich dachte, sie hätte nur heute morgen Schule.“

Er fing an, die Form in den Teig zu drücken.

„Nein. Ja.“ Seine Mutter lachte, als sie Wills verwirrten Blick sah. „Deine Schwester hat heute früh Schluss gehabt, aber sie ist zu ihrer Freundin Laura gegangen und ich denke, es wird noch dauern, bis sie nach Hause kommt.“

„Oh ja, die beiden können stundenlang reden.“ Will rollte mit den Augen. Seine Mutter lachte erneut.

Will fuhr fort, die Form in den Teig zu pressen, bis er den ganzen Platz ausgenutzt hatte. Dann legte er die Plätzchen auf ein Backblech. Er presste den Rest des Teigs wieder zu einer Kugel zusammen und rollte ihn erneut mit dem Nudelholz aus. Dieses Mal wählte er einen Stern als Ausstechform. Er genoss die Arbeit und lauschte den Weihnachtsliedern im Radio.

Als er den ganzen Teig verbraucht hatte, legte er die restlichen Plätzchen auf die Backbleche und sagte zu seiner Mutter: „Ich bin fertig. Brauchst du noch Hilfe bei etwas anderem?“

Seine Mutter schaute sich die Backbleche an und nickte anerkennend. „Die Plätzchen sehen sehr gut aus. Danke schön. Den Rest schaffe ich alleine. Hau schon ab.“ Sie lächelte.

Will grinste, wusch sich die Hände und verließ die Küche. Er ging in sein Zimmer. Dort fiel sein Blick auf das Bett. Darunter waren die ganzen Geschenke, die er für seine Eltern und seine Schwester gekauft hatte. Jetzt, da er zwölf war, wurde sein Glaube an den Weihnachtsmann doch schon schwächer. Als er noch ein kleines Kind war, hatte er natürlich fest an den Weihnachtsmann geglaubt. Als er älter wurde, hatte er gehört, dass der Weihnachtsmann nur eine Legende sein sollte, ein Märchen für Kinder. Später hatte er erfahren, dass die übliche Darstellung des Weihnachtsmanns – das Bild eines netten, fröhlichen und ziemlich korpulenten Mannes mit einem weißen Rauschebart und prächtiger roter Robe – angeblich nur eine clevere Marketingkampagne eines großen Getränkeherstellers war. Er erinnerte sich noch genau, was das für eine riesige Enttäuschung für ihn gewesen war. Schließlich hatte er immer so fest an den Weihnachtsmann geglaubt. Er konnte sich Weihnachten ohne ihn gar nicht vorstellen. All die Jahre über hatte er seine Wunschzettel stets gewissenhaft geschrieben und sich stundenlang mit ihnen beschäftigt, damit die Schrift möglichst deutlich und gut lesbar war. Und er hatte sie immer schon Ende Herbst fertig, damit sie beim Weihnachtsmann auf jeden Fall rechtzeitig ankamen. Aber dann hatte er erfahren, dass seine Eltern angeblich die ganzen Geschenke kauften, sie einpackten und unter den Weihnachtsbaum legten, während er am Heiligabend schlief.

Und jeder schien dies zu bestätigen: die Läden, das Fernsehen, seine Freunde in der Schule, sogar seine Eltern. Er konnte sich nur zu gut an die langen und hitzigen Diskussionen erinnern, die er mit seinen Freunden geführt hatte, als die ersten von ihnen erfahren hatten, dass der Weihnachtsmann gar nicht existierte. Aber am Ende hatte er widerwillig zugeben müssen, dass sie alle recht zu haben schienen. Da waren zum Beispiel die ganzen Leute, die kurz vor Weihnachten die Läden stürmten und Unmengen an Spielsachen, Elektroartikeln und alles nur Erdenkliche einkauften. Und dann waren da noch die Männer in Weihnachtsmannkostümen, die überall in den Läden und Einkaufszentren, ja quasi an jeder Straßenecke, standen, ihre Glocken läuteten und „Frohe Weihnachten!“ riefen.

Aber trotz all dieser Hinweise hatte Will immer ein bohrendes Gefühl, dass mehr an der Sache dran war, mehr als nur ein großes Lügenmärchen und ein Marketinggag. Einiges ergab so einfach keinen Sinn. Beispielsweise hatte er manchmal den Eindruck, dass seine Eltern leicht verwundert guckten, wenn er seine Geschenke auspackte, so als ob sie vom Inhalt überrascht waren. Er bekam immer genau das, was er sich in seinen Wunschzetteln gewünscht hatte. Nun ja, zumindest wenn er sich etwas Vernünftiges gewünscht hatte, so wie eine Modelleisenbahn oder einen Rucksack und nicht eine voll funktionsfähige Mondrakete oder einen lebendigen Elefanten. Manchmal hatten seine Eltern jedoch etwas beunruhigt geguckt, so als ob sie sich nicht daran erinnern konnten, die Sachen auch gekauft zu haben. Und jetzt, da er so darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass er häufig ein ähnliches Gefühl bei den Geschenken für seine Eltern hatte. Manchmal schienen sie viel prächtiger zu sein, als zu dem Zeitpunkt, als er sie gekauft hatte oder sie hatten exakt die Farbe und Ausstattung, die seinen Eltern gefiel.

Aber da ihm so ziemlich jeder erzählte, dass der Weihnachtsmann gar nicht existierte, hatte er dies immer als einen Streich seiner Erinnerung abgetan. In den letzten Monaten hatte er jedoch manchmal hierüber nachgedacht und immer mehr Aspekte schienen nicht zu dieser Erklärung zu passen. Plötzlich wurde ihm klar, dass dies alles jedoch sehr viel Sinn machen würde, wenn der Weihnachtsmann doch existierte. Oder war das wirklich nur ein Märchen? War er nicht zu alt dafür, und machte sich nur etwas vor, wollte einfach nur, dass es real war?

Nun, es gab sowieso nichts, das er im Moment daran ändern konnte. Er würde nicht in der Lage sein, die Existenz oder Nichtexistenz des Weihnachtsmanns zu beweisen. Und natürlich würde seine Schwester ihm gehörig ihre Meinung sagen, wenn er dies Thema wieder ansprechen würde. Er konnte einfach nicht glauben, dass andere die ganzen Andeutungen und Hinweise, die er wahrnahm, nicht sehen und fühlen konnten. Und dass sich sonst niemand hierüber wunderte.

Wie auch immer. Er würde einfach das Weihnachtsfest genießen, so wie jedes Jahr. Er setzte sich an seinen Computer, um nach seinen E-Mails zu sehen. Er hatte keine. Daher griff er nach dem Buch, in dem er zuletzt gelesen hatte. Es war natürlich eine schöne Weihnachtsgeschichte. Er ging hinunter ins Wohnzimmer, setzte sich aufs Sofa und fing an zu lesen.

Während er am Lesen war, kam er ins Grübeln. Warum genau bedeutete ihm Weihnachten so viel? Er erinnerte sich daran, dass er als kleiner Junge einen Traum hatte. Seine Eltern hatten ihm immer erzählt, dass der Weihnachtsmann an Heiligabend den Kamin hinunterkommt und die Geschenke unter den Weihnachtsbaum legt und in die Strümpfe steckt. In seinem Traum wachte Will mitten in der Nacht des 24. Dezembers auf. Ein Geräusch hatte in geweckt. Er war erst fünf, aber er schlich die dunkle Treppe hinunter, wobei er die knarrende dritte Stufe von oben übersprang – er hatte mit dieser schlechte Erfahrungen gemacht, da er einmal in der Nacht erwischt worden war, als er sich Eiscreme holen wollte –, und im Wohnzimmer war doch tatsächlich der Weihnachtsmann. Der alte Mann zwinkerte ihm zu, hob ihn auf seinen Schoss, flüsterte ihm etwas zu, an das sich Will jedoch nie so richtig erinnern konnte, presste einen Finger auf seine Lippen und war auch schon wieder verschwunden. Will sah sich um, immer noch umhüllt von der magischen Erscheinung, die gerade bei ihm gewesen war. Aber da waren seine Geschenke, genau wie er sie sich gewünscht hatte. Hatte er das Lego bekommen? Und war da auch das Modellauto? Es sah nicht so aus, als ob er das Düsenflugzeug bekommen hatte, die Pakete waren dafür nicht groß genug. Sollte er es wagen, die Geschenke aufzumachen? Nein. Seine Eltern würden dies gar nicht gut finden. Weihnachten war immer ein besonderer Tag in der Familie. Er war nur ein kleiner Junge, aber er legte doch schon großen Wert auf die Gepflogenheiten. Aufstehen, lange frühstücken, Geschenke auspacken, eines nach dem anderen, mittagessen – ooh – Truthahn mit Füllung (die häufig sogar besser als der Truthahn selbst schmeckte), gebackene Kartoffeln, Gemüse (konnte man vergessen!), Christmas-Pudding, Knallbonbons, lustige Hüte, Witze. Dann Dad schnarchend auf dem Sofa, Mum in der Küche, er und Lucy zusammen am Spielen, am Zanken. Kaffeetrinken. Weihnachtskuchen, Kekse (keine Mince Pies), Biskuitdessert. Abendessen: Schweinepastete, kalter Truthahn, Schinken, Lachs, Krebspaste, Leckereien, die es sonst erst wieder in einem Jahr gab.

Also kroch Will zurück ins Bett und wartete auf den nächsten Tag. Aber sein Traum vom Weihnachtsmann erfüllte ihn in der Nacht mit Wärme, die geflüsterten Worte waren wie ein Versprechen, doch nie so richtig fassbar.

Will wurde älter. Weihnachten blieb gleich. In einem Jahr war er die ganze Nacht wach geblieben und hatte sich in den frühen Morgenstunden nach unten geschlichen (natürlich ohne die dritte Stufe zu betreten), aber er sah den Weihnachtsmann nie wieder. Trotzdem war Weihnachten immer von der Erinnerung an seine Anwesenheit geprägt und sogar die Aura des alten Mannes schien am Geschenkpapier und an den Geschenken zu haften und den Tag zu bestimmen.

Will spürte, wie diese Gefühle ihn wieder überkamen, als er über seinem Buch eindöste.

Am frühen Abend kam sein Vater nach Hause. Sie aßen zusammen Abendbrot und verbrachten den Rest des Abends im Wohnzimmer vor dem Fernseher, wobei Will natürlich wieder ein Buch vor der Nase hatte. Er ging dann auch schon bald ins Bett. Bevor er schließlich einschlief, dachte er wieder an den Weihnachtsmann und dass er einfach nicht glauben konnte, dass dieser nicht existieren sollte.

Früh am nächsten Morgen klingelte sein Wecker. Will stand auf und taumelte noch ziemlich verschlafen ins Badezimmer. Nachdem er sich gewaschen hatte, war er etwas wacher und ihm fiel ein, dass heute der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien war. Da war er plötzlich deutlich wacher, und nachdem er sich angezogen hatte, hüpfte er fast die Treppe hinunter zum Frühstückstisch, wo seine Mutter gerade die Cornflakes auf den Tisch stellte.

„Guten Morgen, Schatz“, begrüßte sie ihn.

„Morgen, Mum.“

„So lebhaft am frühen Morgen?“, fragte sie und zog dabei eine Augenbraue hoch.

„Klar. Heute ist der letzte Tag vor den Weihnachtsferien!“, verkündete Will.

„Ach, deshalb. Ich wünschte, du würdest jeden Schultag so angehen.“ Sie grinste.

Will grinste zurück. „Auf keinen Fall!“

Seine Mutter lachte.

„Iss was! Iss und sieh' zu, dass du zur Schule kommst.“

„Nee, kein Frühstück heute. Wir werden doch in der Schule frühstücken.“

„Oh ja. Hab' ich nicht dran gedacht.“

Will war doch tatsächlich fünf Minuten zu früh für den Schulbus. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass dies schon einmal vorgekommen war. Na ja, schließlich war Weihnachten.

Der Weg zur Schule war ereignislos und zu Beginn der Stunde mit Mr Rupert hängten sie den Weihnachtsschmuck im Klassenzimmer auf. Die Mädchen hatten schöne Scherenschnitte für die Fenster in Form von Weihnachtsbäumen, Rentieren und vom Weihnachtsmann mit seinem großen, gut gefüllten Sack auf seinem Schlitten vorbereitet. Die Jungen hängten rote und grüne Girlanden und Sterne aus Goldfolie an Decke und Wänden auf. Die Schule hatte für einen kleinen Weihnachtsbaum gesorgt, der in der Ecke des Klassenzimmers stand. Die Schüler hatten ihn schon vor zwei Wochen mit selbstgemachtem Schmuck dekoriert und einen großen goldenen Stern auf seine Spitze gesetzt.

Als sie mit der Dekoration fertig waren, bereiteten sie das Frühstück vor. Sie schoben die Tische zu einem großen zusammen. Jeder hatte etwas für das Frühstück mitgebracht, wie Marmelade, Schokoladencreme oder Brötchen, und sie stellten dies alles zum Teilen in die Mitte des Tisches. Mr Rupert setzte sich zu ihnen und sie fingen an zu essen. Nachdem Mr Rupert ein paar Brötchen gegessen hatte, holte er ein großes Buch hervor. Es hatte einen glitzernden weißen Einband, der aussah wie Schnee. Der Titel war in roten Buchstaben aufgedruckt. Es war die Geschichte von einem Jungen, der in die Dienste des Weihnachtsmannes trat.

Einige der Jungen fingen an hämisch zu kichern. Die Dienste vom Weihnachtsmann, klar! Glaubte ihr Lehrer wirklich, dass sie noch Babys waren, die an Kobolde, Elfen und andere kleine Helfer des Weihnachtsmannes glaubten? Und dann ein Junge, der tatsächlich für den Weihnachtsmann arbeitete, Geschenke herstellte, mit einem Schlitten herumflog und die Kamine herunterrutschte? Will hörte neugierig zu. Die ganze Geschichte hörte sich seltsam vertraut an. Das Kichern wurde lauter und einem der Jungen fiel Wills verzückter Gesichtsausdruck auf. Zwei Jungen lachten laut auf. Irritiert schloss Mr Rupert das Buch und schlug vor, dass sie den Morgen mit dem Singen von Weihnachtsliedern beendeten. Die Mädchen sangen mit deutlich mehr Enthusiasmus als die Jungen. Nun, mit Ausnahme von Will natürlich, obwohl er sich bemühte, dies nicht zu offen zu zeigen. Ihm war klar, dass das Gelächter ihm gegolten hatte, weil er an der Geschichte so interessiert gewesen war, und er wollte hinterher nicht zum Ziel eines Streichs werden. Aber insgeheim hatte er großen Spaß dabei. Dies war der beste Schultag seit langem.

Schließlich beendete Mr Rupert das verlängerte Frühstück und schickte sie nach Hause. Will verabschiedete sich von seinen Freunden und fuhr mit dem Schulbus heim. Er stieg zusammen mit Henry aus, der ein paar Häuser die Straße runter wohnte, und wünschte ihm Frohe Weihnachten. Zu Hause angekommen öffnete er die Tür und betrat den Flur.

„Hallo. Ich bin zurück“, rief er.

„Hallo Schatz. Ich bin im Wohnzimmer“, rief seine Mutter zurück.

Will nahm seinen Rucksack ab, zog die Jacke aus und ging ins Wohnzimmer.

„Hi Mum. Das Frühstück war großartig, sehr weihnachtlich. Ich bin jetzt richtig in Ferienstimmung. Übrigens, wann kommt Dad nach Hause?“

„Es ist ein normaler Arbeitstag für ihn, also nicht vor fünf, so wie immer“, antwortete seine Mutter.

„Dann wird er vermutlich keine Lust mehr haben, heute den Tannenbaum aufzustellen, oder?“ Will grinste.

„Nein, ich glaube nicht, dass er heute Abend dafür in Stimmung sein wird.“

„Nun, morgen ist erst der 24., also ist das wahrscheinlich früh genug.“

„Wie großzügig von dir.“ Seine Mutter zog eine Augenbraue hoch.

„Jaha, so bin ich“, antwortete Will frech.

Sie lachten beide.

***

Am nächsten Morgen nutzte Will die Tatsache, dass es der erste Tag der Weihnachtsferien war, und schlief bis zehn Uhr. Schließlich stand er auf und ging runter zum Frühstück.

„He, Schlafmütze!“, rief seine Schwester, als er in die Küche kam.

Will grinste und antwortete: „Ich bin mir sicher, dass du erst zehn Minuten vor mir aufgestanden bist.“ Er sah sie eindringlich an. „Du hast sogar noch deinen Schlafanzug an.“

Seine Schwester wurde leicht rot. „Und? Er ist bequem“, antwortete sie und wandte sich ihrem Müsli zu. Will lachte. Er setzte sich und nahm sich von den Cornflakes. Nachdem er sie aufgegessen hatte, ging er ins Wohnzimmer. „Morgen, Dad.“

„Guten Morgen, Will.“ Sein Vater sah von der Zeitung hoch und lächelte. „Bist du bereit, den Tannenbaum 'rein zu holen? Dann los.“

Das musste man Will nicht zweimal sagen. Er folgte seinem Vater zum Schuppen im Garten, wo der Baum in den letzten Tagen gestanden hatte, sodass er in der Kälte frisch blieb. Sie holten den Baum, der noch fest in einem Netz verpackt war, herein und brachten ihn in die übliche Ecke im Wohnzimmer. Dann versuchte Will, den Baum möglichst gerade zu halten, während sein Vater auf dem Boden lag und an den Schrauben des Ständers herumdrehte, damit der Baum aufrecht stand.

Nach einigem Stöhnen und Ächzen meinte sein Vater schließlich: „Gut, jetzt ist er fest.“ Er stand auf, trat einige Schritte zurück und sah den Baum kritisch an. „Dann lass uns mal sehen, ob er gerade ist.“

Aber trotz ihrer Anstrengungen war er es nicht.

Sein Vater seufzte: „Jedes Jahr das Gleiche. Warum können die nicht endlich mal einen Ständer erfinden, in dem der Baum auch gerade steht? Immer das Gefummel mit diesen blöden Schrauben.“

Resigniert verschwand er wieder unter dem Baum.

„Okay, Will. Ich löse die Schrauben und du hältst den Baum noch einmal.“

Sie versuchten es erneut.

„Gut, er ist wieder fest. Lass uns mal sehen ...“ Sein Vater stand auf.

„Hmm. Das sieht doch gar nicht so schlecht aus. Was meinst du, Will?“

Will trat einige Schritte vom Baum weg und betrachtete ihn kritisch.

„Ja, ich denke, es ist gut so. Er ist gerade. Sieht gut aus.“

„Okay“, sagte sein Vater, „jetzt bist du dran.“ Er grinste und wandte sich vom Baum ab.

„Nein“, widersprach Will, „noch nicht.“

„Nicht?“

„Du musst erst noch die Lichter dran machen“, sagte Will und grinste seinen Vater herausfordernd an.

Sein Vater stöhnte übertrieben. „Oh nein, das habe ich ganz vergessen. Das ist noch mehr Fummelarbeit als dieser blöde Ständer.“

Will lachte und quengelte: „Ach bitte, Daddy. Lass uns doch dieses Jahr einen Weihnachtsbaum mit Lichtern haben, ooooooh bitte!“

Sein Vater warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Jetzt hol‘ schon die Lichter, du Blödmann!“

Immer noch lachend holte Will die Lichter aus dem Nebenzimmer. Sie hatten diese schon vom Dachboden mitgebracht, als sie den übrigen Weihnachtsschmuck geholt hatten. Er legte die Lichterkette auf dem Boden aus und ordnete sie, sodass sie in einer geraden Linie lag – ohne Knoten im Kabel. Dann untersuchte er jedes einzelne Lämpchen und wechselte die defekten aus. Als alle brannten, nickte er zufrieden und drückte die Lichterkette seinem Vater in die Hand. Dieser arrangierte die Kette auf dem Baum. Er musste die Anordnung der Lichter mehrmals korrigieren, bis er sie gleichmäßig verteilt hatte und er schließlich zufrieden war.

Will sah vom Sofa aus zu. Sein Vater drehte sich zu ihm um. „Und, du Weihnachtsfanatiker? Was hältst du davon?“

„Es sieht großartig aus!“ Will strahlte mit den Lichtern um die Wette.

„Gut.“ Sein Vater lachte. Dann fixierte er die Lichter sicher in ihren Positionen. „Okay, Sohn. Jetzt bist du aber wirklich dran.“

Will antwortete ernsthaft: „Jawohl!“

Will machte sich auf die Suche nach seiner Schwester Lucy. Er fand sie in der Küche, wo sie ihrer Mutter beim Kochen half.

„Ach, hier bist du. Willst du helfen, den Baum zu schmücken?“, fragte er sie.

„Nee!“ Sie schüttelte entschieden den Kopf. „Die langweilige Arbeit kannst du alleine machen. Nicht, dass es dir was ausmachen würde.“ Sie lachte.

„Nein. Tatsächlich mache ich es gerne, wie du nur zu gut weißt.“ Will grinste.

„Viel Spaß. Wir sind hier beschäftigt.“ Seine Schwester winkte ihn fort.

„Den werde ich haben“, rief er beim Rausgehen zurück. Er hörte wie seine Mutter lachte, aber er wusste nicht, ob es wegen seiner letzten Bemerkung war oder etwas, das Lucy gesagt hatte. Er vermutete Ersteres, aber er eilte zurück ins Wohnzimmer.

Er sah den Baum noch einmal genau an: noch so schlicht, so rein, nur mit den funkelnden Lichtern, die den Baum in sanftes, goldenes Licht tauchten. Nachdem er den Anblick ausreichend genossen hatte, ging er zurück in das Nebenzimmer und holte die Kisten mit dem ganzen Baumschmuck. Es waren so viele, dass er mehrmals gehen musste. Nachdem er sie alle ins Wohnzimmer gebracht hatte, öffnete er sie und nahm die ganzen kleineren Kästen und Tüten heraus, die die unterschiedlichen Kugeln, Baumspitzen, Girlanden, Anhänger, Lametta und alles andere enthielten. Er verteilte den Schmuck so auf dem Boden, dass er Alles sehen und auswählen konnte, was er brauchte.

Er war so hiermit beschäftigt, dass er nicht bemerkte, wie sein Vater am Tisch ab und zu von seiner Zeitung aufschaute und lächelte, als er sah, wie viel Spaß Will dabei hatte. Unbekümmert summte Will Weihnachtslieder vor sich hin, während er die ganzen Schächtelchen und Tütchen durchsah, immer auf der Suche nach genau dem richtigen Schmuck.

Wie jedes Jahr hatte er schon vor einem Monat angefangen, Pläne zu machen, wie der Tannenbaum aussehen sollte. Er hatte sich diesmal für einen traditionellen Baum entschieden, hauptsächlich in rot gehalten, mit großen Kugeln, ein wenig Holzschmuck, prächtigen Schleifen, dunkelroten künstlichen Früchten und ein wenig silbernem Lametta. Insgesamt wollte er nicht so viel Schmuck auf den Baum laden, sondern weniger und größere Stücke verwenden, damit er insgesamt eher schlicht, aber elegant aussah. Zuerst wählte er die größten roten Kugeln, die er hatte, und verteilte sie auf dem Baum. Dann fügte er einige kleinere Kugeln hinzu. Als Nächstes suchte Will ein paar Glocken heraus, die mit feinen silbernen Gravuren verziert waren, und verteilte diese zwischen den Kugeln. Zuletzt nahm er hölzerne Figuren in Form von Engeln, kleinen Schlitten und bunten Paketen.

Nachdem Will die Holzfiguren an den Baum gehängt hatte, hielt er inne. Er trat einige Schritte zurück und betrachtete sein bisheriges Werk. Er musterte den Baum aus verschiedenen Blickwinkeln und fand mehrere Mängel, die einer sofortigen Abhilfe bedurften. Also ging er zurück zum Baum und arrangierte die Anhänger, die ihm noch nicht gefielen, um. Als Nächstes brachte er die roten Schleifen an, gefolgt von künstlichen Früchten. Zum Abschluss fügte er noch Lametta hinzu und trat erneut einige Schritte zurück, um den Baum noch einmal zu kontrollieren. Er betrachtete ihn von allen Seiten, ging hierhin und dorthin. Er nickte zufrieden, griff nach einigen roten Kugeln in Form von Vögeln mit silbernen Verzierungen und silbernen Schwanzfedern und platzierte sie auf den Zweigen. Schließlich ging er hinüber zu seinem Vater, der von der Zeitung aufsah.

„Ich bin fertig!“, verkündete Will.

Sein Vater nickte bedächtig, stand auf, ging hinüber zu dem Baum und betrachtete ihn gründlich.

„Toll gemacht“, sagte er schließlich. „Das sieht wirklich klasse aus. Schön traditionell, so ganz in Rot. Und er ist nicht so überladen wie diejenigen, die man heutzutage überall in den Läden und Einkaufszentren sieht. Ich mag ihn. Gute Arbeit.“ Er sah Will an und lächelte.

Will strahlte. „Was meinst du, soll ich auch eine Baumspitze nehmen?“ Er sah den Baum kritisch an.

„Hmm ... Nein, ich mag ihn, wie er ist. Er sieht natürlicher aus ohne. Nein, mach keine drauf.“

„Ja, das ich denke auch,“ sagte Will.

Genau in dem Moment kam seine Schwester ins Wohnzimmer.

„Nun, wie wei... Oh ...“ Sie stockte mitten im Satz und blieb wie angewurzelt stehen. „Meine Güte, das ist wunderschön“, sagte sie schließlich, während sie immer noch den Baum anstarrte. „Sehr schön, Bruderherz.“

„Wow, danke schön, Schwesterherz“, erwiderte Will halb-neckisch, aber er musste grinsen, als er dieses unerwartete Kompliment hörte.

„Nein, ich meine es ernst!“, sagte Lucy und sah ihn direkt an. „Er ist wirklich wunderschön – nahezu der perfekte Weihnachtsbaum. Sehr geschmackvoll“, fügte sie ein wenig widerwillig hinzu.

Jetzt war Will wirklich überrascht. War dies wirklich seine Schwester, die so mit ihm redete? Ihn lobte?

Lucy betrachtete den Baum erneut. Schließlich drehte sie sich um und ging zurück zur Tür. „Wundervoll“, murmelte sie gerade eben hörbar, aber Will war sich ganz sicher, dass er dies nicht hören sollte.

„Oh ...“ Lucy drehte sich noch einmal um, bevor sie die Tür erreicht hatte. „Ich bin eigentlich gekommen, um zu sehen, wie weit du bist, und um euch zu sagen, dass das Essen in zwanzig Minuten fertig ist – nun, jetzt noch fünfzehn.“

„In Ordnung“, sagte Will. „Ich bin fast fertig. Ich muss nur noch die Kisten wegräumen.“

Lucy nickte und ging.

Will packte die kleineren Kästchen wieder in die größeren Kartons und brachte alles zurück in den Nebenraum. Dann ging er mit seinem Vater in die Küche, wo sie alle zusammen Mittag aßen.

***

Am Abend saßen sie alle gemeinsam im Wohnzimmer. Wills Mutter und seine Schwester saßen auf einer Seite des Ecksofas, Will auf der anderen. Sein Vater hatte im Sessel Platz genommen. Sie spielten ein Brettspiel, dann saßen sie eine Weile zusammen und unterhielten sich. Insgesamt genossen sie einen schönen, ruhigen Abend zusammen vor dem prächtigen Weihnachtsbaum. Es wurde spät und Will und Lucy gingen schließlich ins Bett. Ihre Eltern blieben noch eine Weile auf und tranken die Flasche Wein auf.

***

Will öffnete seine Augen. Er sah, dass es schon hell war. Sofort fiel ihm ein, dass heute der erste Weihnachtstag war! Er schaute auf den Wecker neben seinem Bett: 9.17 Uhr. Definitiv Zeit, aufzustehen. Er sprang aus dem Bett – etwas, dass er höchstens ein- oder zweimal im Jahr tat und sicher nicht an einen Schultag, – und er flitzte, immer noch im Schlafanzug, die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Dort sah er seinen Strumpf am Kaminsims hängen. Er war randvoll! Als er hinüberging, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen, bemerkte er, dass er nicht der Erste hier war. Seine Schwester hockte schon vor dem Kamin, auch immer noch in ihrem Pyjama, und hatte den Inhalt ihres Strumpfes um sich herum verteilt. Die Eltern saßen am Tisch. Sein Vater blätterte in einer Zeitschrift und seine Mutter trank Tee, Weihnachtstee. Will konnte es bis hierhin riechen. Beide sahen ihren Kindern lächelnd zu.

„Guten Morgen, Will“, sagte seine Mutter. „Ich hoffe, du hast gut geschlafen.“

„Ja, danke“, antwortete er und fügte hinzu: „Morgen, Dad.“

„Guten Morgen, Will. Der Weihnachtsmann war dieses Jahr wohl recht großzügig.“

„Ja, es scheint so.“ Will sah sehnsüchtig zu seinem Strumpf hinüber, der so voll und schwer war, dass er drohte, vom Kaminsims abzureißen.

Seine Mutter lachte, als sie seinen Blick sah. „Nun mach schon!“

„Hi, Sis'“, sagte er zu Lucy, als er an ihr vorbeieilte.

„Morgen, Will“, sagte sie, ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Geschenke gerichtet.

Will erreichte den Kaminsims und nahm seinen vollen Strumpf vorsichtig ab. Er ging zu einem freien Fleck auf dem Teppich, wo er sich hinkniete und seinen Strumpf leerte, wobei er vorsichtig ein Geschenk nach dem anderen herauszog. Als er den Strumpf ganz geleert hatte, lagen vier kleinere Geschenke vor ihm, ein großer Schokoladenweihnachtsmann, mehrere Schokoladenmünzen und andere Kleinigkeiten.

Vorsichtig packte er die Geschenke aus. Im ersten Päckchen war ein Buch, das er schon lange unbedingt haben wollte. Die anderen Päckchen enthielten auch Dinge, die er sich gewünscht und auf seinen Wunschzettel an den Weihnachtsmann geschrieben hatte. Aus Gewohnheit schrieb er sie immer noch jedes Jahr, obwohl er es nie zugegeben hätte. Schließlich schaute er hoch und merkte, dass seine Eltern ihm mit breiten Lächeln zusahen.

Seine Mutter fragte: „Und, bist du zufrieden? Alles da, was du haben wolltest?“

„Ja! Das ist großartig! Genau was ich haben wollte.“

Das Lächeln seiner Mutter wurde noch breiter. „Und was ist mit dir, Lucy?“ Keine Antwort. „Lucy?“, rief Wills Mutter lauter. „Lucy?“

„Hmm?“ Lucy hob langsam den Kopf. „Was?“

Wills Mutter lachte. „Ich habe dich gefragt, ob du mit deinen Geschenken zufrieden bist.“

„Oh.“ Lucy strahlte. „Ja! Sie sind wundervoll!“

Wills Mutter lachte wieder. „Dann ist ja alles in Ordnung.“

Sein Vater lachte ebenfalls.

Will und Lucy waren mit ihren Geschenken beschäftigt und ihre Eltern tranken in Ruhe ihren Tee. Bald war es Mittagszeit. Sie setzten sich zusammen an den Tisch und genossen ein schönes Weihnachtsessen. Am Nachmittag versammelten sie sich um den Weihnachtsbaum und packten die größeren Geschenke aus, die der Weihnachtsmann darunter gelegt hatte.

Später am Abend lag Will in seinem Bett und dachte glücklich an seine Geschenke und den schönen Tag, den er mit seiner Familie verlebt hatte. Direkt vor dem Einschlafen musste er wieder darüber nachdenken, wie einige der Geschenke eindrucksvoller oder mehr nach dem Geschmack des Beschenkten waren, als dies eigentlich der Fall sein konnte, wenn die Geschenke einfach im Laden gekauft wurden. Also war es vielleicht trotz allem doch der Weihnachtsmann, der die Geschenke brachte ...

Kapitel 2

Am Morgen des zweiten Weihnachtstages schlief Will wieder ziemlich lange. Es war schon deutlich nach elf Uhr, als er schließlich aufstand. Er wusch sich und zog sich an; dann eilte er zur Treppe. Auf halbem Weg nach unten sah er seinen Vater, der gerade aus dem Wohnzimmer kam.

„Morgen, Dad“, sagte er fröhlich. Dann bemerkte er dessen seltsamen Gesichtsausdruck.

„Ja, Morgen ... Morgen“, sagte sein Vater, anscheinend ziemlich abwesend. „Äh, ich war eigentlich gerade auf dem Weg, um dich zu holen. Wir haben einen Besucher, der dich sprechen möchte.“

Will war überrascht, dass sein Vater so komisch guckte, während er dies sagte. „Ein Besucher? Heute? Und er will mich sehen? Ein Verwandter oder was? Vielleicht Tante Peggy?“ Er hoffte inständig, dass sie es nicht war.

Sein Vater schüttelte den Kopf. „Oh, nein. Nein, es ist kein Verwandter. Nein, kein Verwandter ...“

Will war jetzt wirklich neugierig, besonders da sein Vater so verwirrt wirkte. „Wer ist es denn?“

Sein Vater kratzte sich am Kopf. „Die Antwort darauf ist nicht ganz so einfach. Am besten guckst du selbst.“

Jetzt war es an Will, den Kopf zu schütteln. Warum konnte sein Vater ihm nicht einfach sagen, wer der Besucher war? Er öffnete die Tür zum Wohnzimmer, während er vor Neugier fast platzte. Dort sah er zuerst seine Schwester, wie sie den Besucher mit großen Augen musterte. Seine Mutter saß auf dem Sofa und unterhielt sich mit dem Fremden. Sie unterbrach sich mitten im Satz und sah auf, als Will ins Zimmer trat. Ihr Gesicht zeigte einen ähnlichen Ausdruck wie bei seinem Vater. Aber Will beachtete sie gar nicht, sondern starrte den Besucher an. Denn tatsächlich war es eine der seltsamsten Personen, die er je in seinem Leben gesehen hatte.

Der Fremde trug eine grüne Hose, ein grünes Hemd, eine braune Weste und einen hellroten Mantel. Er sah Will an und Will konnte sehen, dass er funkelnde grüne Augen hatte. Er schaute fröhlich zu Will auf. Kleine Fältchen in den Mundwinkeln und um die Augen herum deuteten an, dass er häufig lachte. Er lächelte, sobald er Will sah, stand in einer fließenden Bewegung auf, streckte die Hand aus und kam zu Will herüber.

„Will! Will Burns! Schön, dich zu treffen. Ich wünsche dir ein wundervolles Weihnachtsfest“, sagte er, grinste und schüttelte energisch Wills Hand.

Will bemerkte, dass sein Mund irgendwie offenstand und daher sagte er schnell: „Äh, danke vielmals, Mr., äh ... Tut mir leid, aber wer sind Sie?“

Der Mann hielt seine Hand hoch. „Meine Schuld, meine Schuld. Mein Name ist Conrad Chevalier, aber bitte sag' einfach Corny, wie sonst auch jeder.“

„Mr Chevalier ist heute Morgen gekommen und meinte, er hätte wichtige Dinge mit dir zu besprechen.“ Seine Mutter war aufgestanden und stand nun neben Will, ein stolzes Lächeln auf ihrem Gesicht. „Dein Vater und ich waren ziemlich überrascht, als er an der Tür klopfte, aber das, worüber er mit dir sprechen will, ist wirklich erstaunlich. Es hat ein bisschen Überzeugungsarbeit bedurft, bis wir ihm geglaubt haben.“

Sie legte eine Hand auf Wills Schulter, führte ihn zum Sofa und bedeutete ihm, sich zu setzen. Sein Vater setzte sich neben Wills Mutter auf die andere Seite des Ecksofas, nahm ihre Hand und lächelte ebenfalls. Dann sah er Will stolz an. Will war völlig verwirrt und fragte sich, was dieser seltsam gekleidete Mann von ihm bloß wollte. Mr Chevalier nahm direkt vor Will platz und sah ihn ernst an.

„Nun, Will, ich kann mir denken, dass dies für dich sehr verwirrend ist, und du bist sicherlich sehr neugierig, warum ich dich heute am zweiten Weihnachtstag besuche. Das Blöde ist, jedes Mal, wenn ich so einen Auftrag habe, weiß ich nie, wo ich anfangen soll.“ Er zwinkerte Will zu und verwirrte ihn dadurch noch mehr.

„Nun, ich weiß, dass du gerade dein Herbstsemester in der Schule beendet hast, richtig?“

Will nickte nur, immer noch völlig verwirrt.

„Ich bin heute gekommen, um dir von einer anderen Schule zu erzählen. Eine, die dich gerne ab März als Schüler hätte, dann beginnt dort das nächste Schuljahr. Wenn ich Schule sage, dann ist es nicht einfach nur eine Schule, sondern mehr eine Hochschule oder eine Berufsakademie. Diese Schule wählt jedes Jahr zwanzig junge Leute aus, die sich an der Schule einschreiben dürfen. Und ... hrumpf.“ Er räusperte sich und verkündete: „Wir sind sehr erfreut, dich zu informieren, dass du zu den Schülern gehörst, die dort nächstes Jahr im März anfangen können.“

Er strahlte Will an, der den Eindruck hatte, dass er hierauf irgendwie reagieren musste. „Oh, das ist toll, aber ... ähm, ich weiß leider überhaupt nicht, von was für einer Schule Sie sprechen.“

Mr Chevaliers Lächeln wurde ein wenig schmaler und er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Natürlich. Meine Schuld, meine Schuld. Tut mir leid. Natürlich weißt du nichts über die Schule, wie solltest du auch, denn sie ist schließlich streng geheim. In der Tat ist es wirklich ein großes Geheimnis. Die Schule, von der ich spreche, ist Snowfields. Dabei handelt es sich um das Trainingszentrum für das Management und die direkten Helfer des Weihnachtsmanns. Es ist der beste Ort, um alles über Weihnachten, die Produktion der Geschenke und ihre Verteilung zu erlernen und die hohe Qualifikation zu erwerben, die man für dieses kniffelige Geschäft braucht.“ Er strahlte wieder und stand auf.

„Heute habe ich die große Ehre, dich darüber zu informieren, dass du für diese Schule qualifiziert bist und auserwählt wurdest, das notwendige Training zu durchlaufen, um eines Tages ebenfalls an der Spitze der Organisation zu stehen!“ Er griff in seine Weste und zog eine große Schriftrolle hervor, die mit einer goldenen Kordel gebunden und einem riesigen roten Wachssiegel verschlossen war, und überreichte sie Will feierlich.

Will war sprachlos. Er schaute auf die Schriftrolle, dann sah er den Mann an, der sie ihm hinhielt und dabei breit über beide Wangen grinste. Er sah wieder die Schriftrolle an. Er hörte Lucy rufen: „Was?“. Aber er ignorierte sie. Er schaute auf und sah seine Mutter an. Sie strahlte ebenfalls über das ganze Gesicht. Er blickte zu seinem Vater, der ihn stolz anlächelte. Er sah wieder den Fremden an. Dieser hielt ihm immer noch die Schriftrolle hin. Will schüttelte langsam den Kopf und musste schließlich selber grinsen.

„Sehr, sehr gut! Es war eine klasse Idee und sehr gut ausgeführt. Fabelhaft, wirklich. Einen Augenblick lang hättet ihr mich fast reingelegt. Aber am Ende war es doch ein wenig zu großartig, um es wirklich zu glauben. Ein wenig übertrieben. Aber dennoch war es ein großer Spaß – mich so reinzulegen. Wessen Idee war das? Deine, Vater? Und dieser Herr, der euch so hervorragend geholfen hat, ist er ein Kollege ... von der Arbeit? Ich ... denke, ich ...“

Während er dies sagte, sah er seine Eltern an. Aber dann hielt er inne, als er merkte, dass das Lächeln bei seinen Eltern langsam verblasste und beide den Kopf schüttelten. Etwas stimmte hier nicht, sogar Lucy war still. Also, natürlich konnte dies alles nicht echt sein, so viel war ihm klar. Aber warum lachten sie jetzt nicht alle zusammen, jetzt wo der Scherz so gelungen war? Er hatte das Gefühl, dass ihm hier irgendetwas entgangen war. Er sah den Fremden erneut an: Sein Grinsen war ebenfalls deutlich zurückgegangen und er schüttelte energisch den Kopf.

Mr Chevalier sah zur Decke hoch und jammerte: „Warum nur? Warum glauben sie mir nie? Es muss an diesen modernen Zeiten liegen, dass die Jugend so misstrauisch geworden ist. Zu viel rationales Denken, zu wenig Fantasie in ihren Köpfen. Aber nun gut, es ist ja nicht das erste Mal“, seufzte er. „Will, hör' zu. Ich bin wirklich das, was ich dir erzählt habe, ein Abgesandter von Snowfields. Ich bin tatsächlich geschickt worden, um dich auf unsere Schule einzuladen. Und diese Schriftrolle, die ich hier für dich habe, ist auch kein Scherz. Auf keinen Fall.“

Das kam Will jetzt doch komisch vor. Er drehte sich zu seinen Eltern um, die ihm ermutigend zunickten. Er war sich seiner Sache nun ganz und gar nicht mehr sicher und sagte zu dem Fremden: „Nun, dieser Spaß ist jetzt weit genug gegangen. Es gibt keinen Grund, noch weiterzumachen.“ Aber da war mehr als nur eine Spur von Zweifel in seiner Stimme.

Sein Vater räusperte sich. „Ich denke, es wäre ganz gut, wenn wir ihm Ihr ... Transportmittel zeigen würden, Mr Chevalier.“

Da strahlte der Fremde erneut. „Aber ja! Sie haben recht, mein Fehler, mein Fehler. Das sollte ihm helfen, mir zu glauben. Das hilft immer. Lasst uns gehen.“

Er ergriff Wills Hand und zog ihn mit sich. Seine Eltern folgten ihnen. Bevor Will wusste, wie ihm geschah, war er durch die Tür und der Fremde zog ihn auf die schneebedeckte Terrasse hinaus.

Will war wie vom Donner gerührt. Er traute seinen Augen nicht. Er konnte nicht glauben, was er dort sah. Dort, auf dem Rasen hinter ihrem Haus, stand ein echter Schlitten! Ein Schlitten! Und zwar kein kleiner für Kinder, so einen wie er selber in der Garage hatte, mit denen man die Schnee bedeckten Hügel herunterfuhr, einfach zum Spaß. Dies war ein echter Schlitten, von Pferden gezogen, so wie man ihn manchmal im Film sehen konnte. Und wirklich groß! Er war aus braunem Holz, das so glatt und auf Hochglanz poliert war, dass er schimmernd und funkelnd im Sonnenlicht stand. Rundherum waren rote Bänder und große Schleifen an der Reling befestigt. Und …, Will rieb sich die Augen und kniff sich selber richtig fest in die Seite, um sicherzugehen, dass er nicht am Schlafen und wild am Träumen war, aber sie standen immer noch da: vier mächtige, stolze Rentiere vor dem Schlitten. Es waren große Tiere mit schimmerndem Fell in verschiedenen Brauntönen. Alle hatten eindrucksvolle Geweihe und leuchtend rotes Zaumzeug mit kleinen goldenen Glöckchen. Dann erklang plötzlich ein Schrei und Lucy flitzte an ihnen vorbei direkt auf die Rentiere zu. „Oh! Sind sie nicht süß. Schaut nur!“ Und sie lief direkt auf eines zu und streichelte seine Nase.

Conrad stand neben Will, wieder mit einem breiten Grinsen im Gesicht, und legte eine Hand auf Wills Schulter. „Ziemlich eindrucksvoll, was? Natürlich“, fügte er schnell hinzu, „ist das nicht unser neuestes Modell, nicht der 'Executive High Motion', sondern der 'Wood Voyager Supreme', unser Standardschlitten für die Auslieferung. Aber ich mag ihn ganz gerne, denn er ist strapazierfähig und lässt einen nie im Stich, wenn man ihn wirklich braucht. Weißt du, die modernen können immer ein bisschen schwierig sein, wenn man in atmosphärische Turbulenzen gerät.“

Will wollte antworten, aber irgendwie war ihm seine Stimme abhanden gekommen. Er musste sie aus einer dunklen Ecke seiner Kehle hervorkramen, bevor er ein Wort herausbringen konnte.

„Ich ... ich kann es nicht glauben“, stotterte er. Sein Gehirn schaltete sich endlich ein, verarbeitete den letzten Satz noch einmal und strich dabei ein Wort rot an. „Ähm, Turbulenzen? Er fliegt? Er fliegt wirklich?“

„Oh ja, natürlich tut er das.“ Conrad lachte. „Und das Gefühl ist einfach unglaublich. Es ist atemberaubend, wenn man über eine schneebedeckte Stadt fliegt, die in das warme Licht der Weihnachtsbeleuchtung getaucht ist. Oder wenn man über den weißen Strand einer tropischen Region fliegt, in der Palmen wachsen und das blaue Wasser so klar ist, dass man die regenbogenfarbenen Fische sehen kann, wie sie träge durch das Wasser gleiten.“ Seine Augen funkelten und sein Gesicht reflektierte sein Entzücken, das er beim Fliegen verspürte.

Conrad ging hinüber zu den Rentieren und tätschelte einem von ihnen den Kopf. Es rieb daraufhin seine Nase an Conrads Arm. Will betrachtete die Rentiere genauer. Es waren stolze Tiere. Sie standen dort ganz ruhig, hielten ihre Köpfe hoch in die Luft und nur ab und zu warf eines seinen Kopf zurück und scharrte mit den Hufen unruhig im Schnee. Sogar Lucys ganzes Getue schien sie nicht zu stören.

„Komm her und schau sie dir genauer an“, rief Conrad.

Will ging vorsichtig hinüber zum Schlitten, fast so, als ob er Angst hatte, dass dieser verschwinden würde, sobald er ihn erreichte. Er betrachtete ihn voller Staunen. Das Holz war so glatt und auf Hochglanz poliert, dass sich sein Gesicht beinahe darin spiegelte. Die Kufen waren aus glänzendem Silber, das in Flammen zu stehen schien, als es vom Sonnenlicht getroffen wurde. Vorsichtig streckte Will seine Hand aus und berührte das Holz. Es war echt. Ein wundersames Gefühl überkam ihn.

Conrads Stimme direkt neben ihm schreckte ihn auf: „Ich weiß genau, was du jetzt möchtest. Lass uns einen kurzen Flug rund um den Schornstein machen, okay?“

Will konnte nur mit einem schwachen Nicken antworten. Er vertraute seiner Stimme nicht.

„Was ist mit dir, junges Fräulein?“, wollte Conrad von Lucy wissen. „Willst du uns begleiten?“ Er lächelte ihr einladend zu.

Aber Lucy wich zurück und schaute ziemlich erschrocken. „Oh, nein. Nein, danke. Ich schaue lieber zu. Vielen Dank.“ Vorsichtshalber trat sie vom Schlitten weg.

Conrad nickte verständnisvoll. „Okay.“ Er drehte sich wieder zu Will um und half ihm auf den Schlitten hoch. Dann kletterte er vor ihn auf den Fahrersitz und griff nach den Zügeln. Er schüttelte sie und mit einem leichten Ruck setzte sich der Schlitten in Bewegung. Sie waren nur einige Meter weit gekommen, als Will plötzlich merkte, wie sie vom Boden abhoben. Im nächsten Augenblick waren sie vollständig in der Luft und flogen geradewegs über den nächsten Busch. Sie stiegen höher und höher. Jetzt waren sie schon auf Höhe des Balkons, dann flogen sie um den Schornstein des Hauses herum. Immer noch stiegen sie höher und Will klammerte sich so fest an die Reling, dass seine Knöchel weiß wurden.

Conrad dreht sich um. „Alles in Ordnung, Will?“

Will nickte nur leicht. Er war zu sehr damit beschäftigt, auf die Dächer hinunter zu schauen, die unter ihnen vorbeizogen. Ganz langsam fing er an zu lächeln, dann wurde das Lächeln immer breiter und breiter, bis er von einem Ohr zum anderen grinste. Sein Griff an der Reling lockerte sich langsam, bis er sich nur noch gut festhielt.

Conrad blickte zurück zu ihm: „Ah, ich seh' schon. Jetzt weißt du, wie Fliegen ist. Großartig, oder?“