Better Than the Movies - Lynn Painter - E-Book
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Better Than the Movies E-Book

Lynn Painter

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Beschreibung

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Liz träumt vom perfekten Prom-Date. Doch dafür müsste sie erst einmal ein Liebesleben haben. Als ihr Kindheits-Crush Michael zurück in ihre Stadt zieht, sieht sie ihr Glück in greifbarer Nähe. Zu dumm, dass Michael in ihr immer noch die niedliche kleine Liz von früher sieht. Damit sich das ändert, braucht sie die Hilfe von Wes: Der beliebte Bad Boy, der nebenan wohnt, raubt ihr zwar seit sie denken kann den letzten Nerv, ist aber mit Michael befreundet und damit ihr Türöffner. Wes tut alles, damit Liz und Michael zusammenfinden. Allerdings bringen seine Bemühungen auch ihn und Liz einander näher. Und Liz muss sich fragen, wem ihr Herz wirklich gehört …

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Seitenzahl: 465

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Buch

»Liebesfilme sind lächerlich unrealistisch. Nach dem Motto: ›Oh, guck mal, wie unterschiedlich die beiden sind und wie sehr sie sich hassen, aber Moment – sind sie wirklich so unterschiedlich?‹«

»Enemies-to-Lovers. Das ist ein klassischer Trope.«

»O Gott, auf so was stehst du wirklich?« Wes runzelte die Stirn, beugte sich zu mir rüber und tätschelte mir den Kopf. »Du arme, verwirrte kleine Romantikerin. Sag mir bitte nicht, dass du glaubst, diese Filme hätten in irgendeiner Hinsicht auch nur annähernd was mit der Realität zu tun.«

»Doch.«

Liz Buxbaum träumt vom perfekten Prom-Date wie in einer romantischen Komödie. Doch dafür müsste sie erst einmal ein Liebesleben haben. Als ihr Kindheits-Crush Michael zurück in ihre Stadt zieht, glaubt sie ihr Glück in greifbarer Nähe. Zu dumm, dass Michael in ihr immer noch die niedliche kleine Liz von früher sieht. Damit sich das ändert, braucht sie die Hilfe von Wes Bennett: Der beliebte Bad Boy, der nebenan wohnt, raubt ihr zwar seit sie denken kann den letzten Nerv, ist aber mit Michael befreundet und damit ihr Türöffner. Während Wes sie bei ihrer Mission »Mr Right« unterstützt, beginnt Liz ihn mit ganz anderen Augen zu sehen. Aber Enemies-to-Lovers kann doch unmöglich ihr Trope sein … oder?!

Weitere Informationen zu Lynn Painter

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

Lynn Painter

Better Than the Movies

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Bettina Hengesbach

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »Better Than the Movies« bei Simon & Schuster, Inc., New York

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Dataminings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstveröffentlichung Mai 2024

Copyright © der Originalausgabe 2021 by Lynn Painter

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Published by arrangement with Simon & Schuster Books For Young Readers, An imprint of Simon & Schuster Children’s Publishing Division

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotive: Coverdesign UNO Werbeagentur nach einer Vorlage von © 2021 Liz Casal unter Verwendung von Illustrationen von Heather Palisi

© 2021 by Simon & Schuster, Inc

Redaktion: Dr. Ann-Catherine Geuder

TK · Herstellung: ik

Satz: KCFG – Mediengestaltung, Neuss

ISBN: 978-3-641-30861-2V001

www.goldmann-verlag.de

Für meine wundervolle Mom, die schon immer mein größter Fan und meine strengste Kritikerin war. Danke, dass du mich unter der Bettdecke hast lesen lassen, wenn ich eigentlich schlafen sollte.

Und für meinen geliebten Dad, der zwar das Cover gesehen hat, aber das Buch nicht mehr lesen konnte. Er hätte die Stella’s-Szene geliebt und sich an den Ketchup erinnert.

R.I.P. Jerry Painter (17.5.1939 – 18.5.2020)

L.P.

Die folgenden den Kapiteln vorangestellten Zitate können als Destillat des jeweils nachfolgenden Kapitels gelesen werden.

Prolog

»Ich bin nur ein Mädchen, das vor einem Jungen steht und ihn bittet, es zu lieben.«

Notting Hill

Meine Mutter brachte mir die goldene Regel des Datings bei, noch bevor ich in die zweite Klasse kam.

Im reifen Alter von sieben schlich ich mich eines Abends in ihr Schlafzimmer, weil ich einen Albtraum gehabt hatte. (Eine Grille von der Größe eines Hauses klingt vielleicht nicht sonderlich Angst einflößend, aber wenn sie mit einer Roboterstimme spricht und deinen zweiten Namen kennt, ist das schon echt gruselig.) In dem klobigen Fernsehkasten auf der Kommode lief gerade Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück, und ich hatte bereits einen Großteil des Films gesehen, bevor meine Mutter mich vor dem Fußende ihres Bettes bemerkte.

Da es zu diesem Zeitpunkt längst zu spät war, mich vor dem für Erstklässlerinnen ungeeigneten Inhalt des Films zu bewahren, kuschelte sie sich einfach neben mich, und wir schauten das Happy End gemeinsam.

Doch mein Erstklässlerinnen-Gehirn konnte das Gesehene nicht so ganz verarbeiten. Warum hatte sich Bridget nicht für den niedlicheren – charmanteren – Typen entschieden, sondern für den, der das Äquivalent eines elefantösen Gähnens darstellte? Wie konnte das Sinn ergeben?

Jep – mir war der entscheidende Punkt des Films komplett entgangen, und ich hatte mich hoffnungslos in den Bad Boy verknallt. Bis heute erinnere ich mich noch genau an die Stimme meiner Mutter und an den Geruch ihres Vanilleparfüms, während sie mir mit den Fingern durchs Haar strich und mir sagte:

»Charme und Faszination bringen dich nicht weiter, Libby Loo. Diese Dinge verschwinden irgendwann – deshalb solltest du dich niemals für den Bad Boy entscheiden.«

Nach diesem Abend erlebten wir noch Hunderte ähnliche Momente und philosophierten bei romantischen Filmen begeistert über das Leben. Das war unser Ding. Wir bereiteten Snacks vor, machten es uns in den Kissen bequem und arbeiteten uns durch ihre Sammlung von kussreichen Happy Ends so wie andere Leute durch unzählige Folgen trashiger Reality-Shows.

Rückblickend war das wahrscheinlich der Grund dafür, dass ich auf die perfekte Liebesgeschichte wartete, seit ich das Wort Liebe buchstabieren konnte.

Und als meine Mutter starb, hinterließ sie mir ihren unerschütterlichen Glauben an das ewige Glück. Mein Erbe ist das Wissen, dass Liebe stets in der Luft liegt, einem jederzeit begegnen kann und sich immer lohnt.

Mr Right – und ich meine die nette, verlässliche Version – konnte schon an der nächsten Ecke auf mich warten.

Weshalb ich immer und überall vorbereitet war.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis es endlich passieren würde.

1

»Wer findet mit zehn schon seine große Liebe? Ich meine, wo bleibt da der Spaß?«

Sweet Home Alabama – Liebe auf Umwegen

Der Tag begann wie jeder andere.

Mr Fitzpervert hatte ein Haarknäuel in meinem Pantoffel hinterlassen, ich hatte mir das Ohrläppchen am Glätteisen verbrannt, und als ich die Tür öffnete, um zur Schule aufzubrechen, erwischte ich meinen Nachbarn und Erzfeind dabei, wie er ausgestreckt auf der Motorhaube meines Autos lag.

»Hey!« Ich schob meine Sonnenbrille hoch, zog die Haustür hinter mir zu und bemühte mich, meine hübschen Blümchen-Ballerinas nicht zu ruinieren, während ich wütend in seine Richtung rannte. »Runter von meinem Wagen!«

Wes sprang von der Motorhaube und hob seine Hände in einer »Ich bin unschuldig«-Geste, obwohl sein Grinsen verriet, dass er alles andere war als das. Hinzu kam, dass ich ihn seit dem Kindergarten kannte, und dieser Junge war noch nie unschuldig gewesen.

»Was hast du da in der Hand?«

»Nichts.« Er hielt besagte Hand hinter seinem Rücken verborgen. Obwohl er mittlerweile sehr männlich und auch durchaus attraktiv aussah, war Wes in meinen Augen immer noch der gleiche unreife Junge, der »aus Versehen« den Rosenbusch meiner Mom mit einem Böller niedergebrannt hatte.

»Du bist so was von paranoid«, sagte er.

Ich blieb vor ihm stehen und sah aus schmalen Augen zu ihm hoch. Wes hatte so ein typisches Bad-Boy-Gesicht, und seine dunklen Augen – eingerahmt von unfair langen Wimpern – sprachen Bände, selbst wenn er schwieg.

Seine hochgezogene Braue verriet mir, für wie lächerlich er mich hielt. Von unseren vielen wenig erfreulichen Begegnungen wusste ich, dass er mich gerade genau taxierte und wir uns gleich wegen seines neuesten Streiches in die Haare kriegen würden. Und wenn seine braunen Augen derart leuchteten und so provokant aufblitzten wie jetzt, wusste ich, dass ich geliefert war. Denn Bad-Boy-Wes gewann immer.

Ich pikte ihm mit dem Finger in die Brust. »Was hast du mit meinem Auto gemacht?«

»Streng genommen hab ich gar nichts mit deinem Auto gemacht.«

»Streng genommen?«

»Wow! Pass auf, was du sagst, Buxbaum.«

Ich verdrehte die Augen, was ihn zu einem provokanten Grinsen veranlasste. »Hat mal wieder Spaß gemacht, und ich liebe übrigens deine Omaschuhe, aber ich muss jetzt los.«

»Wes …«

Er drehte sich um und ging, als hätte ich nichts gesagt. Schlenderte einfach so mit seiner entspannten, übertrieben selbstbewussten Art auf sein Haus zu. Als er die Veranda erreicht hatte, öffnete er die Tür und rief mir über die Schulter zu: »Schönen Tag noch, Liz!«

Das konnte nichts Gutes bedeuten.

Denn ganz bestimmt wünschte er mir keinen schönen Tag, so war er nicht. Ich schaute auf mein Auto hinab und hatte mit einem Mal Angst, auch nur die Tür zu öffnen.

Es sei erwähnt, dass Wes Bennett und ich seit Jahren einen schonungslosen Krieg um den einzigen freien Parkplatz am Ende unserer Straße führten. Für gewöhnlich gewann er, weil er ein schmutziger Betrüger war. Er hielt es für witzig, die Parklücke für sich zu reservieren, indem er Dinge dort hinterließ, die so schwer waren, dass ich sie nicht wegbewegen konnte. Gartentische aus Eisen, Lastwagenmotoren, Monster-Truck-Reifen, ihr wisst schon.

(Obwohl seine Aktionen die Aufmerksamkeit der Nachbarschafts-Facebook-Gruppe weckten – mein Dad war Mitglied – und die alten Lästermäuler, schäumend vor Wut über die Geißeln der Umgebung, wie wild in die Tasten hauten, hatte noch nie jemand etwas zu ihm gesagt oder ihn aufgehalten. Total unfair!)

Aber ausnahmsweise war ich diesmal diejenige, die auf der Siegeswelle ritt, denn gestern hatte ich die geniale Idee gehabt, die Polizei anzurufen, nachdem er beschlossen hatte, sein Auto drei Tage am Stück auf dem Parkplatz stehen zu lassen. In Omaha gibt es nun mal eine Vierundzwanzig-Stunden-Verordnung, sodass der gute alte Wes prompt einen Strafzettel bekam.

Ich gebe zu, dass ich einen kleinen Freudentanz in der Küche aufgeführt hatte, als ich sah, wie der Deputy den Zettel unter Wes’ Scheibenwischer schob.

Nun untersuchte ich alle vier Reifen, ehe ich in meinen Wagen stieg und mich anschnallte. Ich hörte Wes lachen, doch als ich mich zur Seite lehnte, um ihn durch das Beifahrerfenster anzufunkeln, fiel seine Haustür zu.

In dem Moment sah ich, was er so witzig gefunden hatte.

Der Strafzettel befand sich nun an meinem Auto, mit Packband auf meiner Windschutzscheibe festgeklebt, sodass ich nicht mehr hindurchsehen konnte. Mit unzähligen Schichten aus handelsüblichem Packband.

Ich stieg aus und versuchte, eine Ecke mit dem Fingernagel abzuknibbeln, aber die Ecken waren sorgfältig festgedrückt worden.

Was für ein Idiot!

Irgendwann – nachdem ich mit einer Rasierklinge den Strafzettel von meiner Windschutzscheibe gekratzt und Hardcore-Meditationsatemzüge gemacht hatte, um meinen inneren Zen-Zustand wiederzuerlangen – schaffte ich es endlich in die Schule, den Soundtrack von Bridget Jones via Kopfhörer im Ohr. Den Film hatte ich mir am Vorabend angeschaut – bestimmt zum tausendsten Mal –, aber diesmal hatte vor allem die Musik zu mir gesprochen. Mark Darcy, der »O doch, das tun sie« sagt, während er Bridget küsst, war natürlich höllisch kitschig, doch die Szene wäre nicht so »O mein Gott«-würdig, wenn nicht »Someone Like You« von Van Morrison im Hintergrund laufen würde.

Jep – ich habe ein nerdiges Faible für Film-Soundtracks.

Das Lied begann, als ich am Gemeinschaftsbereich vorbeikam und mir meinen Weg durch die Menge aus Schülerinnen und Schülern bahnte, die den Flur verstopfte. Das Coolste an Musik – wenn man sie laut genug über gute Kopfhörer abspielte (und ich hatte die besten) – ist meiner Meinung nach die Tatsache, dass sie die Kanten der Welt weicher macht. Van Morrisons Stimme ließ meinen Gang durch den überfüllten Flur wirken wie eine Filmszene statt wie das nervige Unterfangen, das es in Wirklichkeit war.

Ich ging zu den Toiletten in der ersten Etage, wo ich mich jeden Morgen mit Joss traf. Meine beste Freundin verschlief andauernd, sodass kaum ein Tag verging, an dem sie nicht noch hastig Eyeliner auftragen musste, bevor es zur ersten Stunde läutete.

»Liz, ich liebe dieses Kleid.« Joss warf mir kurz einen Blick zu, während sie beide Lidränder mit einem Wattestäbchen reinigte. Kaum hatten wir den Toilettenraum betreten, holte sie ihre Mascara hervor und begann, ihre Wimpern damit zu tuschen. »Die Blumen sind so was von du.«

»Danke!« Ich ging zum Spiegel und drehte mich einmal im Kreis, um mich zu vergewissern, dass mein A-förmiges Vintage-Kleid nicht in meiner Unterhose steckte oder so.

Hinter uns wurden zwei Cheerleaderinnen von der weißen Wolke ihres E-Zigaretten-Dampfes eingehüllt, und ich lächelte ihnen mit geschlossenen Lippen zu.

»Versuchst du, dich zu kleiden wie die Hauptdarstellerinnen aus deinen Filmen, oder ist das Zufall?«, fragte Joss.

»Sag nicht ›deine Filme‹, als wäre ich süchtig nach Pornos oder so.«

»Du weißt, was ich meine.« Joss trennte ihre Wimpern mit der Spitze einer Sicherheitsnadel.

Ich wusste genau, was sie meinte, schließlich schaute ich so gut wie jeden Abend Moms romantische Komödien. Dadurch fühlte ich mich meiner Mutter näher; es war, als säße ein winziger Teil von ihr neben mir und würde sich zusammen mit mir den Film ansehen. Wahrscheinlich, weil wir sie früher immer gemeinsam geschaut hatten. So. Viele. Male.

Doch Joss wusste nichts von alldem. Wir waren in der gleichen Straße aufgewachsen, aber erst in der zehnten Klasse beste Freundinnen geworden. Obwohl sie wusste, dass meine Mom gestorben war, als ich in der fünften Klasse gewesen war, hatten wir nie so richtig darüber gesprochen. Sie dachte, ich wäre verrückt nach Liebesfilmen, weil ich halt eine hoffnungslose Romantikerin war. Ich habe es nie richtiggestellt.

»Hey, hast du deinen Dad wegen dem Picknick der Abschlussklasse gefragt?« Joss schaute mich im Spiegel an, und ich wusste, dass sie sauer sein würde.

Ehrlich gesagt war ich überrascht, dass sie mir diese Frage nicht schon gestellt hatte, als wir die Toilette noch nicht mal betreten hatten.

»Er ist spät nach Hause gekommen, da lag ich schon im Bett.« Das stimmte, aber ich hätte genauso gut Helena fragen können, wenn ich wirklich darüber hätte sprechen wollen. »Ich rede heute mit ihm.«

»Klar.« Sie schraubte die Mascara zu und schob sie in ihr Schmink-Etui.

»Ehrlich. Ich verspreche es.«

»Komm.« Joss verstaute ihr Schmink-Etui im Rucksack und griff nach ihrem Kaffee. »Ich kann nicht noch mal zu spät zur Literatur kommen, sonst muss ich nachsitzen, und ich hab Kate versprochen, ihr auf dem Weg Kaugummi in den Spind zu werfen.«

Ich rückte die Umhängetasche an meiner Schulter zurecht und erhaschte einen Blick auf mein Spiegelbild. »Warte – ich hab den Lippenstift vergessen.«

»Wir haben keine Zeit für Lippenstift.«

»Für Lippenstift ist immer Zeit.« Ich öffnete den Reißverschluss des Seitenfachs an meiner Tasche und holte meine Lieblingsfarbe, Retrograde Red, heraus. Für die geringe Chance (die sehr geringe Chance), dass mein McDreamy im Gebäude war, wollte ich gut aussehen. »Geh ruhig schon vor.«

Als sie weg war, trug ich die Farbe auf. Viel besser. Ich schob den Lippenstift zurück in meine Tasche, setzte mir den Kopfhörer wieder auf und verließ die Toilette, wobei ich auf Play drückte und meine Seele vom Bridget-Jones-Soundtrack einhüllen ließ.

Als ich zur Literatur kam, ging ich ans Ende des Raumes, setzte mich an einen Tisch zwischen Joss und Laney Morgan und schob mir den Kopfhörer in den Nacken.

»Was hast du bei Aufgabe acht?«, fragte Joss mich, über die Hausaufgaben gebeugt. »Ich hab vergessen zu lesen, deshalb hab ich keine Ahnung, warum Gatsbys Hemden Daisy zum Weinen bringen.«

Ich holte mein Arbeitsblatt hervor und ließ Joss die Antwort abschreiben, aber mein Blick glitt rüber zu Laney. Bei einer Umfrage hätte jeder Mensch auf diesem Planeten einstimmig angegeben, das Mädchen hübsch zu finden; es war eine unbestreitbare Tatsache. Sie hatte eine dieser Nasen, die schlichtweg bezaubernd waren und für deren Existenz das Wörtchen keck erfunden worden war. Ihre Augen waren so groß wie die einer Disney-Prinzessin, und ihr blondes Haar war immer glänzend und weich und sah aus, als gehörte es in eine Shampoo-Werbung. Zu schade, dass ihr Charakter das genaue Gegenteil von ihrer äußeren Erscheinung war.

Ich konnte sie auf den Tod nicht ausstehen.

An unserem ersten Tag im Kindergarten hatte sie »Igitt« gerufen, als ich Nasenbluten bekam, und auf mein Gesicht gezeigt, bis die gesamte Gruppe mich voller Ekel anglotzte. In der dritten Klasse hatte sie Dave Addleman gesteckt, dass mein Notizblock voller Liebeserklärungen an ihn sei. (Was stimmte, aber das war nicht der springende Punkt.) Sie hatte es ihm verraten, und statt nett oder charmant zu sein, so wie ich es aufgrund der vielen Filme erwartet hatte, hatte David mich als verrückt bezeichnet. Und in der fünften Klasse – nicht lange, nachdem meine Mom gestorben war –, als ich mich aufgrund einer vorgegebenen Sitzordnung gezwungen sah, in der Cafeteria neben Laney zu sitzen, hatte sie immer ihre rosafarbene Brotdose hervorgeholt und alle am Tisch mit den Köstlichkeiten beeindruckt, die ihre Mom für sie zubereitet hatte.

In ausgefallene Formen geschnittene Sandwiches, selbst gebackene Plätzchen, Brownies mit Streuseln – die reinste Schatztruhe voller Kinder-Delikatessen, eine liebevoller zubereitet als die andere.

Doch es waren die kleinen Zettelchen, die mir den Rest gaben.

Es verging kein Tag, an dem ihr Mittagessen nicht eine handschriftliche Notiz von ihrer Mom enthielt. Es waren lustige kleine Briefe, die Laney ihren Freundinnen laut vorlas, mit albernen Zeichnungen am Rand. Und wenn ich meinen neugierigen Augen mal erlaubte, einen Blick auf den unteren Teil des Zettels zu werfen, wo in verschnörkelter Schrift, verziert mit Herzen, Ich liebe dich – Mom stand, wurde ich jedes Mal so traurig, dass ich nichts mehr essen konnte.

Bis heute fand jeder, dass Laney toll und hübsch und klug war, aber ich kannte die Wahrheit. Sie mochte vorgeben, nett zu sein, aber solange ich denken konnte, warf sie mir schon merkwürdige Blicke zu. Ungelogen, jedes Mal, wenn dieses Mädchen mich anschaute, war es, als hätte ich was im Gesicht und sie könnte sich nicht entscheiden, ob sie angewidert oder belustigt sein sollte. Hinter all der Schönheit verbarg sich etwas Fauliges, Verdorbenes, und eines Tages würde auch der Rest der Welt das sehen, was ich sah.

»Kaugummi?« Laney hielt mir eine Packung Doublemint hin, wobei sie ihre perfekt geschwungenen Augenbrauen hochzog.

»Nein, danke«, murmelte ich und lenkte meine Aufmerksamkeit auf Mrs Adams, die gerade reinkam und uns nach unseren Hausaufgaben fragte.

Wir reichten unsere Arbeitsblätter nach vorn und begannen, über Literaturkram zu sprechen.

Alle machten sich Notizen auf ihren Laptops, und Colton Sparks nickte mir von seinem Tisch in der Ecke zu. Ich lächelte und blickte runter auf meine Tastatur. Colton war nett. Zu Beginn des Jahres war ich zwei Wochen mehr oder weniger mit ihm zusammen gewesen, aber irgendwann hatte es sich nur noch so na ja angefühlt. Was in gewisser Hinsicht meine gesamte Dating-Geschichte zusammenfasste: na ja.

Zwei Wochen – das war die Durchschnittsdauer meiner Beziehungen, falls man sie überhaupt als solche bezeichnen konnte.

So lief es normalerweise: Ich sah einen süßen Typen, träumte wochenlang von ihm, bis ich ihn in meiner Fantasie zu meinem absoluten Seelenverwandten gemacht hatte. Die Phase vor einer Highschool-Beziehung begann meistens mit den allergrößten Hoffnungen. Aber nach zwei Wochen, noch bevor wir offiziell zusammen waren, bekam ich immer plötzlich den »Ick«. Das Todesurteil aller aufkeimenden Beziehungen.

Definition von »Ick«: Dating-Begriff, der ein plötzliches Cringe-Gefühl beschreibt, das man in Bezug auf eine Person bekommt, mit der man auf romantische Art involviert ist, und man daraufhin geradezu unmittelbar abgeschreckt ist.

Joss behauptete, dass ich andauernd stöberte, jedoch nie etwas kaufte. Und am Ende behielt sie recht. Aber mein Hang zu Zwei-Wochen-Beziehungen drohte ernsthaft, mein Prom-Potenzial zu ruinieren. Ich wollte mit jemandem zum Abschlussball gehen, bei dem mir der Atem stockte und das Herz bis zum Hals schlug – aber wen gab es an der Schule überhaupt noch, den ich noch nicht in Betracht gezogen hatte?

Ich meine, streng genommen hatte ich ein Prom-Date: Ich würde mit Joss hingehen. Es war nur … Mit meiner besten Freundin hinzugehen, fühlte sich an wie der totale Fail. Ich wusste, wir würden Spaß zusammen haben – vorher würden wir mit Kate und Cassidy, den Lustigsten aus unserer Clique, irgendwo was essen gehen –, aber eigentlich sollte der Abschlussball ja den Höhepunkt einer Highschool-Romanze darstellen. Was ich damit meine? Ein Werbeplakat mit der Prom-Frage aller Fragen, zueinander passende Anstecksträußchen, sprachlose Bewunderung beim Anblick von ihr im Ballkleid, zärtliche Küsse unter einer kitschigen Discokugel.

So was halt wie Andrew McCarthy und Molly Ringwald in Pretty in Pink.

Der Abschlussball hatte rein gar nichts mit Freundinnen zu tun, die sich in der Cheesecake Factory zum Dinner verabredeten, bevor sie zur Highschool fuhren, um verkrampfte Gespräche zu führen, während die Paare sich an der berühmt-berüchtigten Knutschwand tummelten.

Ich wusste, Joss würde es nicht verstehen. Sie hielt den Abschlussball für keine große Sache, sondern nur für eine Highschool-Tanzveranstaltung, für die man sich aufstylen musste. Sie hätte mich vollkommen lächerlich gefunden, wenn ich zugegeben hätte, dass ich enttäuscht war. Sie war ohnehin schon sauer, weil ich das Kleider-Shopping mit ihr immer weiter hinauszögerte, aber ich fühlte mich einfach nicht danach.

Überhaupt nicht.

Mein Handy vibrierte.

Joss: Ich hab MEGA-Gossip für dich.

Ich schaute zu ihr rüber, aber sie wirkte, als würde sie Mrs Adams zuhören. Nach einem kurzen Blick zu unserer Lehrerin schrieb ich zurück.

Ich: Raus damit.

Joss: Nur zur Info, ich hab’s durch eine Nachricht von Kate erfahren.

Ich: Also ist es vielleicht nicht wahr. Kapiert.

Die Schulglocke läutete, also nahm ich meine Sachen vom Tisch und stopfte sie in meine Tasche.

Während Joss und ich unsere Schließfächer ansteuerten, sagte sie: »Bevor ich es dir erzähle, musst du mir versprechen, dass du nicht gleich durchdrehst. Hör mir erst mal zu Ende zu, okay?«

»O mein Gott.« Das Herz rutschte mir in die Hose. »Was ist los?«

Wir bogen in den Westflügel ab, und bevor ich die Chance hatte, sie anzuschauen, sah ich, dass er mir entgegenkam.

Michael Young?

Ich bliebt abrupt stehen.

»Uuuund … da ist mein Gossip«, verkündete Joss, aber ich hörte gar nicht mehr zu.

Leute rempelten mich an und gingen um mich herum, während ich einfach dastand und ihn anstarrte. Er sah noch genauso aus wie früher, nur größer und breiter und heißer (falls das überhaupt möglich war). Mein Kindheitsschwarm bewegte sich in Zeitlupe, während winzige blaue Vögel zwitschernd um seinen Kopf herumflatterten und sein goldenes Haar in einer glitzernden Brise wehte.

Ich glaube, mein Herz setzte aus.

Michael hatte früher am Ende der Straße gewohnt, und er war mein Ein und Alles gewesen. Solange ich denken konnte, war ich in ihn verliebt gewesen. Er war immer wahnsinnig toll gewesen. Schlau, kultiviert und … ich weiß nicht … traumhafter als alle anderen Jungen. Er hatte mit den Kindern aus der Nachbarschaft abgehangen (mit mir, mit Wes, mit den Potter-Jungs aus dem Eckhaus, mit Joss) und hatte dabei gespielt, was Kinder halt so spielen: Verstecken oder Fangen, Touch-Football, Klingelmännchen und so weiter. Aber während Wes und die Potters es lustig fanden, mir Schlamm in die Haare zu werfen, weil es mich zum Kreischen brachte, hatte Michael Blätter bestimmten Baumarten zugeordnet und dicke Bücher gelesen und nicht beim Ärgern mitgemacht.

Mein Gehirn setzte »Someone Like You« auf die Playlist, und der Song begann von Neuem.

I’ve been searching a long time,

For someone exactly like you.

Er trug eine Khakihose und ein schwarzes Shirt, also ein Outfit, das zeigte, dass er wusste, was gut aussah, aber auch, dass er sich nicht allzu viele Gedanken über Mode machte. Seine Haare waren dicht und blond und genauso gestylt wie seine Klamotten – betont lässig. Ich fragte mich, wie sie wohl riechen würden.

Seine Haare, nicht seine Klamotten.

Er musste spüren, dass eine Stalkerin in der Nähe war, denn die Zeitlupe hörte auf, die Vögel verschwanden, und er schaute mich direkt an.

»Liz?«

Mann, war ich froh, dass ich mir die Mühe gemacht hatte, Retrograde Red auf meine Lippen aufzutragen! Das Universum musste eindeutig gewusst haben, dass Michael mir am heutigen Tag begegnen würde, also hatte es alles dafür getan, dass ich einigermaßen präsentabel aussah.

»Hey, chill«, presste Joss zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, aber ich konnte das Grinsen, das mein gesamtes Gesicht umfasste, nicht zurückhalten, als ich fragte: »Michael Young?«

»Und los geht’s«, hörte ich Joss murmeln, aber das war mir egal.

Michael kam zu mir, um mich zu umarmen, und ich schlang meine Arme um seine Schultern.

O mein Gott, o mein Gott!Mein Magen begehrte auf, als ich seine Finger an meinem Rücken spürte und erkannte, dass dies unser Meet-Cute sein könnte.

O. Mein. Gott.

Ich war definitiv richtig dafür gekleidet, und er sah umwerfend aus. Hätte der Moment perfekter sein können? Ich schaute Joss an, die in Zeitlupe den Kopf schüttelte, doch das spielte keine Rolle.

Michael war zurück.

Er roch gut – so was von gut –, und ich wollte mir jedes winzige Detail dieses Momentes einprägen. Das weiche, warme T-Shirt unter meinen Handflächen, seine breiten Schultern, die goldene Haut an seinem Nacken, nur wenige Zentimeter entfernt von meinem Gesicht.

War es falsch, die Augen zu schließen und tief einzuat…

»Ups.« Jemand rempelte uns hart an und unterbrach unsere Umarmung. Zuerst wurde ich gegen Michael gepresst und dann von ihm weggestoßen, und als ich mich umdrehte, sah ich, wer es war.

»Wes!«, sagte ich, verärgert darüber, dass er unseren Moment ruiniert hatte, aber gleichzeitig immer noch so glücklich, dass ich ihn trotzdem anstrahlte. Ich war nicht in der Lage, nicht zu lächeln. »Pass doch besser auf, wo du hinläufst, okay?«

Er zog die Augenbrauen zusammen. »Jaaa …?«

Er betrachtete mich eingehend und fragte sich wahrscheinlich, warum ich grinste, statt wegen des Klebebandvorfalls auszurasten. Er sah aus wie jemand, der auf die Pointe eines Witzes wartete, doch seine Verwirrung ließ meine Laune nur noch besser werden.

Ich kicherte. »Ja, du Trottel. Du könntest andere verletzen, Kumpel.«

Er runzelte die Stirn. »Tut mir leid.« Er sprach nun langsamer. »Ich hatte mich gerade mit Carson unterhalten und hab dieses extrem schwierige Ding mit dem Rückwärtsgehen ausprobiert. Aber genug von mir. Wie war deine Fahrt zur Schule?«

Ich wusste, dass er alle Einzelheiten hören wollte – wie lange ich gebraucht hatte, um das Klebeband zu entfernen, und dass ich mir dabei zwei frisch manikürte Fingernägel abgebrochen hatte –, aber diese Genugtuung würde ich ihm nicht geben. »Richtig, richtig gut. Wie nett, dass du fragst!«

»Wesley.« Michael gab Wes einen Bro-Handschlag – wann hatten sie Zeit gehabt, das einzuüben? – und sagte: »Du hattest recht, was die Biolehrerin betrifft.«

»Das liegt daran, dass du neben mir gesessen hast. Sie haaasst mich.« Wes grinste und begann, irgendwas zu quatschen, aber ich ignorierte die Nervensäge und beobachtete stattdessen Michael beim Sprechen und Lachen und beim Genauso-süß-Sein, wie ich ihn in Erinnerung hatte.

Nur dass er mittlerweile die Worte so in die Länge zog wie ein Südstaatler.

Michael Young hatte einen so weichen Akzent, dass ich am liebsten eine handschriftliche Danksagung an den Staat Texas versandt hätte, weil dieser Typ dadurch noch anziehender wirkte als früher. Ich verschränkte die Arme und schmolz förmlich dahin, während ich seinen Anblick genoss.

Joss, deren Existenz ich in Gegenwart dieses umwerfenden Michael-Wesens glatt vergessen hatte, stieß mich mit dem Ellbogen an. »Mach dich locker«, flüsterte sie. »Du sabberst ja.«

Ich verdrehte die Augen, ohne ihr große Beachtung zu schenken.

»Hey, hör mal.« Wes zurrte seinen Rucksack fest und zeigte auf Michael. »Erinnerst du dich an Ryan Clark?«

»Natürlich.« Michael lächelte und sah dabei aus wie ein Senatspraktikant. »Erster Malspieler der Baseballmannschaft, stimmt’s?«

»Genau.« Wes senkte die Stimme. »Ryno schmeißt morgen ’ne Party bei seinem Dad – du solltest auf jeden Fall kommen.«

Ich bemühte mich, meine Miene neutral zu halten, während ich zuhörte, wie Wes meinen Michael zu einer Party einlud. Ich meine, Wes hing zwar mit den Typen ab, die Michael noch von früher kannte, aber trotzdem. Waren sie auf einmal die besten Freunde, oder was?

Das wäre nicht gut für mich. Konnte nicht gut für mich sein.

Denn Wes Bennett lebte dafür, mich fertigzumachen – so war es schon immer gewesen. In der Grundschule hatte er einen Frosch in mein Barbie-Traumhaus gesetzt und den abgetrennten Kopf eines Gartenzwergs in meine selbst gemachte Tausch-Bibliothek. In der Middle School hatte er es wahnsinnig witzig gefunden, so zu tun, als hätte er übersehen, dass ich im Garten lag, um dann die Sträucher seiner Mutter zu wässern, wobei er mich mit dem Schlauch »versehentlich« nass spritzte, bis ich schrie.

Und jetzt, in der Highschool, hatte er es sich zur Mission gemacht, mich täglich wegen des Parkplatzes zu malträtieren. Ich war mittlerweile abgehärteter als früher und brüllte über den Zaun hinweg ihn und seine coolen Mannschaftsfreunde an, wenn sie so laut waren, dass sie meine Musik übertönten. Aber trotzdem.

»Klingt gut.« Michael nickte, und ich fragte mich, wie er wohl mit Cowboyhut und Flanellhemd aussehen würde. Dazu vielleicht ein paar Westernstiefel – auch wenn ich nicht genau wusste, inwieweit sich diese von normalen Cowboystiefeln unterschieden.

Ich würde es später googeln müssen.

»Ich schick dir eine Nachricht mit den Einzelheiten. Ich muss los – wenn ich zur nächsten Stunde zu spät komme, muss ich garantiert nachsitzen.« Wes drehte sich um und begann, in die andere Richtung zu joggen, wobei er uns »Bis später, Leute« zurief.

Michael sah Wes hinterher, bevor er zu mir runterschaute. »Er war so schnell weg, dass ich ganz vergessen habe, zu fragen, ob der Dresscode casual ist.«

»Für die Party?« Als hätte ich irgendeine Ahnung gehabt, was die ach so coolen Sporttypen zu ihren Partys trugen. »Wahrscheinlich?«

»Ich frag Wesley besser noch mal.«

»Super!« Ich bemühte mich, ihm mein strahlendstes Lächeln zu schenken, obwohl ich innerlich daran zugrunde ging, dass Wes unser Meet-Cute ruiniert hatte.

»Ich muss auch los«, sagte er. »Aber ich kann’s kaum erwarten, bald wieder mit dir zu plaudern.«

Dann nimm mich mit zu der Party, schrie ich in Gedanken.

»Joss?« Michael schaute mit offenem Mund an mir vorbei. »Bist du es?«

Sie verdrehte die Augen. »Hat ja lange genug gedauert.«

Joss hatte den Jungs aus der Nachbarschaft immer nähergestanden, hatte mit Wes und Michael Football gespielt, während ich unbeholfene Radschläge im Park vollführt und erfundene Lieder gesungen hatte. Mittlerweile hatte sie sich in diesen hochgewachsenen, wahnsinnig gut aussehenden Menschen verwandelt. Heute hatte sie ihre Braids zu einem Zopf gebunden, aber statt zerzaust auszusehen, so wie es bei mir der Fall war, wenn ich einen Zopf trug, brachte es ihre Wangenknochen noch besser zur Geltung.

Die Schulglocke läutete, und Michael zeigte auf den Lautsprecher. »Das ist mein Zeichen. Bis später.«

Er entfernte sich in die andere Richtung, und auch Joss und ich setzten uns in Bewegung.

»Ich kann nicht glauben, dass Wes uns nicht zu der Party eingeladen hat.«

Sie warf mir einen Blick zu. »Weißt du überhaupt, wer Ryno ist?«

»Nein, aber darum geht es doch gar nicht. Er hat Michael vor unseren Augen eingeladen! Da wäre es doch nur höflich gewesen, uns auch einzuladen.«

»Aber du hasst Wes.«

»Na und?«

»Warum willst du dann, dass er dich irgendwohin einlädt?«

Ich seufzte. »Sein unfreundliches Benehmen kotzt mich einfach an.«

»Also ich für meinen Teil bin froh, dass er uns nicht gefragt hat, denn ich will auf keinen Fall zu irgendeiner Party von diesen Typen. Ich war schon mal bei Ryno, und da geht es in erster Linie um Bier-Pong, Fireball-Whisky und diese kindischen ›Ich hab noch nie‹-Spiele.«

Joss hatte früher, bevor sie mit Volleyball aufgehört hatte, mit den beliebten Leuten abgehangen, also hatte sie schon einige Partys hinter sich gehabt, bevor wir zwei uns so gut angefreundet hatten. »Aber …«

»Hör zu.« Joss blieb stehen und packte mich am Arm, um mich aufzuhalten. »Das ist es, was ich dir erzählen wollte. Kate hat geschrieben, dass Michael neben Laney wohnt und dass sie einander seit zwei Wochen daten.«

»Laney? Laney Morgan?« Neeeiiin. Das konnte nicht wahr sein. Nein-nein-nein-nein, bitte, Gott, nein. »Aber er ist doch gerade erst hergezogen …«

»Offenbar ist er schon vor einem Monat umgezogen, hat aber noch ein paar Kurse seiner alten Schule online beendet. Es geht das Gerücht um, dass er und Laney so gut wie offiziell zusammen sind.«

Nicht Laney. Mein Magen zog sich zusammen, als ich an ihre perfekte kleine Nase dachte. Ich wusste, es war irrational, aber die Vorstellung, dass Laney und Michael zusammen waren, war fast zu viel für mich. Dieses Mädchen bekam immer das, was ich wollte. Und jetzt auch noch ihn, verdammt!

Als ich mir die beiden zusammen vorstellte, verengte sich meine Kehle. Mein Herz schmerzte.

Es würde mich vernichten.

Denn er war nicht nur alles, wovon ich je geträumt hatte – er und ich hatten auch eine gemeinsame Vergangenheit. Eine wundervolle, wichtige Vergangenheit … Wir hatten zusammen aus Gartenschläuchen getrunken und Glühwürmchen gefangen. Ich dachte an das letzte Mal zurück, als ich Michael gesehen hatte. Es war bei ihm zu Hause gewesen. Seine Familie hatte ein Abschiedsgrillen für alle Nachbarn organisiert, und ich war zusammen mit meinen Eltern hingegangen. Meine Mom hatte ihre berühmten Cheesecake-Riegel gemacht, und Michael hatte uns an der Tür empfangen und Getränke angeboten, als wäre er erwachsen. Alle Kinder aus der Siedlung hatten an diesem Abend stundenlang Kickball auf der Straße gespielt, und sogar die Erwachsenen hatten sich uns hin und wieder angeschlossen. Einmal hatte meine Mutter zusammen mit Michael eingeschlagen, nachdem sie es in ihrem sommerlichen Blumenkleid und den Plateausandalen zur Home Base geschafft hatte. Dieser Moment war so fest in meiner Erinnerung verankert wie ein vergilbtes Foto in einem alten Album.

Ich glaube nicht, dass Michael je geahnt hat, wie unsterblich ich in ihn verliebt gewesen war. Er war einen Monat vor dem Tod meiner Mutter weggezogen und hatte damit das erste Fitzelchen meines Herzens herausgerissen, das bald darauf vollkommen zerschmettert worden war.

Joss schaute mich an, als wüsste sie genau, was ich dachte. »Michael Young ist nicht der Typ, für den du zum Bahnhof sprinten solltest, um ihn davon abzuhalten, in seinen Zug zu steigen. Verstanden?«

Aber das könnte er sein. »Na ja, streng genommen sind sie noch nicht offiziell zusammen, also …«

Wir setzten uns wieder in Richtung ihres Schließfachs in Bewegung, drängten uns durch die Menge. Wahrscheinlich würden wir wegen unseres unerwarteten Zusammentreffens mit Michael zu spät kommen, aber es hatte sich auf jeden Fall gelohnt.

»Ernsthaft. So eine bist du nicht.« Sie warf mir einen strengen mütterlichen Blick zu. »Das mit Michael gerade war nicht euer Meet-Cute.«

»Aber …« Ich traute mich kaum, es auszusprechen, weil ich nicht wollte, dass sie es abtat. Dennoch quiekte ich fast, als ich fragte: »Was, wenn doch?«

»O mein Gott. Ich wusste in der Sekunde, als ich erfahren habe, dass er wieder hier ist, dass du durchdrehen würdest.« Sie zog die Augenbrauen zusammen und die Mundwinkel nach unten, als sie vor dem Spind stehen blieb und das Schloss drehte. »Du kennst den Typen doch gar nicht mehr, Liz.«

Ich konnte noch immer seine tiefe Stimme hören, mit der er »Bis später« gesagt hatte, und spürte ein Kribbeln im Bauch. »Ich weiß alles, was ich wissen muss.«

Sie seufzte und holte ihren Rucksack heraus. »Gibt es irgendetwas, das ich sagen kann, um dich davon abzubringen?«

Ich legte den Kopf schief. »Ähm … dass er Katzen hasst, vielleicht?«

Sie hielt einen Finger hoch. »Ach ja, richtig – ganz vergessen. Er hasst Katzen.«

»Tut er nicht.« Ich seufzte grinsend und dachte an damals zurück. »Er hatte diese zwei übellaunigen Katzen, die er vergöttert hat. Du hättest sehen sollen, wie er diese beiden Babys behandelt hat.«

»Igitt.«

»Whatever, Katzenhasserin.« Ich lehnte mich an den geschlossenen Spind neben ihrem und fühlte mich unglaublich lebendig und kribbelig angesichts all der romantischen Möglichkeiten. »Michael Young ist Freiwild, bis ihn jemand offiziell für sich beansprucht.«

»Ich kann unmöglich mit dir reden, wenn du so bist.«

»Du meinst glücklich? Aufgeregt? Hoffnungsvoll?« Ich wollte über den Gang hüpfen und grölend »Paper Rings« singen.

»Durchgeknallt.« Joss schaute auf ihr Handy und dann wieder zu mir. »Hey, meine Mom sagt, sie kann uns morgen Abend zum Kleider-Shoppen fahren, wenn du willst.«

Irgendetwas musste ich sagen, doch ich wusste nicht, was. »Ich glaube, ich muss arbeiten.«

Sie runzelte die Stirn. »Jedes Mal, wenn ich das Thema anspreche, musst du arbeiten. Willst du etwa kein Kleid kaufen?«

»Doch. Klar.« Ich zwang meine Mundwinkel nach oben. »Natürlich.«

Doch in Wahrheit sträubte sich alles in mir dagegen.

Der Sinn des Prom-Kleides lag schließlich darin, einen romantischen Abend zu erleben und mein Date sprachlos zu machen. Wenn dieser Faktor nicht im Spiel war, war das Kleid nur eine überteuerte Stoffverschwendung.

Hinzu kam, dass mich Shopping mit Joss’ Mom nur daran erinnerte, dass meine Mom nicht mehr dabei sein konnte, wodurch mir der Plan wenig verlockend erschien. Meine Mutter würde nicht da sein, um Bilder zu schießen und ein paar Tränen zu verdrücken, wenn ihr Baby zum letzten Ball seiner Kindheit aufbrechen würde, und nichts rief mir das so sehr in Erinnerung, als Joss’ Mutter bei ebendiesen Dingen zu erleben.

Um ehrlich zu sein, war ich mental nicht auf die Leere vorbereitet gewesen, die mein letztes Jahr an der Highschool mit sich brachte – auf die vielen Erinnerungen daran, dass meine Mom nicht mehr da war. Fotos für das Jahrbuch, der Homecoming-Ball, College-Bewerbungen, der Abschluss … Während sich alle um mich herum auf diese Meilensteine freuten, litt ich unter Stresskopfschmerzen, weil sich nichts so anfühlte, wie ich es geplant hatte.

Alles fühlte sich … einsam an.

Denn obwohl die ganzen Aktivitäten im Abschlussjahr wirklich Spaß machten, fehlte es ihnen ohne meine Mom doch irgendwie an Sentimentalität. Mein Dad versuchte, sich einzubringen – das tat er wirklich –, aber er war nun mal kein emotionaler Typ, deshalb kam es mir eher vor, als wäre er der Profi-Fotograf, während ich die Highlights allein abhakte.

Joss verstand nicht, warum ich keine große Sache aus jedem einzelnen Meilenstein machen wollte, so wie sie. Sie war drei Tage lang sauer auf mich gewesen, nachdem ich den Spring-Break-Urlaub am Strand abgesagt hatte, aber für mich hatte es sich im Vorhinein eher angefühlt wie eine furchterregende Prüfung als wie ein Urlaub. Ich hatte es einfach nicht übers Herz gebracht.

Aber! Ein Happy End wie in einer romantischen Komödie, eines, das meiner Mutter gefallen hätte – das könnte doch alles Negative in etwas Gutes verwandeln, oder nicht?

Ich lächelte Joss an. »Ich schreibe dir, wenn ich in meinen Kalender geschaut habe.«

2

»Großartig, eine Frau als Freund. Ich glaube, du bist die erste attraktive Frau in meinem Leben, mit der ich nicht schlafen will.«

Harry und Sally

Michael war zurück.

Ich legte meine Füße auf den Küchentisch und versenkte meinen Löffel in einer Packung Eis, immer noch vollkommen aufgekratzt. Nicht mal in meinen wildesten Träumen hätte ich damit gerechnet, dass Michael Young zurückkehren würde.

Ich hätte nicht gedacht, ihn jemals wiederzusehen.

Nachdem er weggezogen war, hatte ich mir seine Rückkehr jahrelang ausgemalt. Ich hatte mir vorgestellt, wie ich an einem dieser herrlich kalten Herbsttage, an denen sich der Winter bereits ankündigte und die Luft nach Schnee roch, einen Spaziergang unternahm. Dass ich mein Lieblings-Outfit trug – was in jedem Tagtraum ein anderes war –, und wenn ich am Ende der Straße um die Ecke bog, würde er mir entgegenkommen. Soweit ich mich erinnere, rannten wir sogar in Zeitlupe aufeinander zu. Ich meine, warum hätten wir das nicht tun sollen?

Mein Tagebuch aus Kindertagen enthält außerdem sage und schreibe hundert Einträge darüber, wie er aus meinem Leben verschwunden war. Ich hatte es vor ein paar Jahren beim Entrümpeln der Garage gefunden, als ich die Garage ausgemistet hatte, und für ein Kind waren die Einträge erschreckend düster gewesen.

Wahrscheinlich, weil meine Mutter zur gleichen Zeit gestorben war.

Irgendwann hatte ich akzeptiert, dass keiner von beiden je zurückkehren würde.

Doch jetzt war er wieder da.

Und es fühlte sich an, als würde ich ein Stück meines Glücks zurückgewinnen.

Ich hatte an der Schule keine Kurse mit ihm, also konnte das Schicksal nicht helfen und uns zusammenbringen, was mich echt nervte. Ich meine, wie hoch war bitte die Wahrscheinlichkeit gewesen, dass es null Gelegenheiten für eine Interaktion gab? Joss hatte einen Kurs mit ihm und Wes offenbar auch. Warum nicht ich? Wie sollte ich ihm verklickern, dass wir dazu bestimmt waren, zusammen zum Abschlussball zu gehen und uns ineinander zu verlieben und bis ans Ende unserer Tage miteinander glücklich zu sein, wenn ich ihn nie sah? Ich summte zu Anna of the North aus meinen Kopfhörern mit – der sexy Whirlpool-Song aus To All the Boys I’ve Loved Before – und starrte aus dem Fenster in den Regen.

Das Einzige, was mir einen Vorteil verschaffte, war die Tatsache, dass ich in gewisser Weise eine Expertin in Sachen Liebe war.

Ich hatte keinen akademischen Abschluss, und ich hatte keinen Kurs dazu belegt, aber ich hatte Tausende Stunden meines Lebens damit verbracht, romantische Komödien zu schauen. Und ich hatte sie mir nicht einfach nur angesehen. Ich hatte sie mit dem empirischen Blick einer klinischen Psychologin analysiert.

Und nicht nur das – Liebe lag mir in den Genen. Meine Mutter war Drehbuchautorin gewesen und hatte unzählige großartige romantische Fernsehkomödien geschrieben. Mein Dad war sich absolut sicher, dass sie die nächste Nora Ephron geworden wäre, hätte sie nur ein bisschen mehr Zeit gehabt.

Auch wenn ich keinerlei praktische Erfahrung hatte, wusste ich dank meines geerbten Wissens und meiner akribischen Recherche eine Menge über Liebe. Was ich wusste, brachte mich zu der sicheren Annahme, dass ich zu Rynos Party musste, wenn ich wollte, dass zwischen Michael und mir etwas passierte.

Was nicht einfach werden würde, denn abgesehen davon, dass ich Ryno nicht mal kannte, hatte ich auch keine Lust, zu einer Party zu gehen, auf der angeberische Sportler (mit ihren verschwitzten Achselhöhlen) und die beliebtesten Leute der Schule (mit ihrer Bierfahne) abhingen.

Aber ich musste Michael unbedingt wieder ein bisschen näherkommen, bevor irgendeine unausstehliche Blondine, deren Namen ich nicht aussprechen werde, mir zuvorkam. Also musste ich mir was einfallen lassen.

Ein Blitz leuchtete am Himmel auf und erleuchtete Wes’ großes Auto, das neben der Bordsteinkante vor meinem Haus stand und auf dessen Dach laut der Regen prasselte. Dieses Arschgesicht war mir auf dem Heimweg nach der Schule die ganze Zeit auf den Fersen gewesen, und als ich ein Stück vorgefahren war, um rückwärts einzuparken, hatte er sich einfach in die Lücke gedrängt. Was für ein Monster parkte vorwärts am Bürgersteig ein?

Während ich gehupt und ihn über den lauten Wolkenbruch hinweg angebrüllt hatte, hatte er mir nur zugewunken und war ins Haus gelaufen.

Am Ende hatte ich um die Ecke vor Mrs Scarapellis Haus parken müssen, und bis ich endlich unsere Haustür erreicht hatte, waren mein Haar und mein Kleid vollkommen durchnässt gewesen. Von meinen neuen Schuhen ganz zu schweigen.

Nun leckte ich den Löffel ab und wünschte mir, nebenan würde Michael wohnen, nicht Wes.

Plötzlich traf es mich wie der Schlag.

»Lieber Gott!«

Wes war der Schlüssel zu allem. Wes, der Michael überhaupt erst zu der Party eingeladen hatte, würde logischerweise hingehen. Was, wenn er mich mitnehmen könnte? Andererseits tat er nie etwas, um mir zu helfen. Nie, niemals. Wes fand Freude an Folter, nicht an Großherzigkeit. Wie konnte ich ihn also überzeugen? Was hatte ich ihm zu bieten? Ich musste mir etwas einfallen lassen – etwas Greifbares –, das ihn dazu bringen würde, mir zu helfen, aber gleichzeitig die Klappe zu halten.

Ich schob mir einen weiteren Löffel Eis in den Mund. Und starrte aus dem Fenster.

Es war so naheliegend.

»Sieh einer an.« Wes stand in seinem Haus hinter der Fliegengittertür und schaute grinsend zu mir heraus in den Regen. »Was verschafft mir denn diese Ehre?«

»Lass mich rein. Ich muss mit dir reden.«

»Ich weiß nicht recht – wirst du mir etwas antun, wenn ich dich reinlasse?«

»Komm schon«, zischte ich, während der Regen mir auf den Kopf prasselte. »Ich werde hier draußen total nass.«

»Ich weiß – und das tut mir auch leid –, aber ich hab echt Schiss, dass du mir dann in die Eier trittst, weil ich dir den Parkplatz weggeschnappt habe.« Er öffnete die Tür einen Spaltbreit, genug, um mir zu zeigen, wie trocken und warm er in seinen Jeans und seinem T-Shirt aussah. »Du kannst einem manchmal ganz schön Angst machen, Liz.«

»Wes!« Seine Mom trat hinter ihn und sah erschrocken aus, als sie mich draußen im Regen entdeckte. »Um Himmels willen, mach dem armen Mädchen doch endlich die Tür auf.«

»Aber ich glaube, sie ist hier, um mich zu töten.« Er sprach die Worte wie ein verängstigtes kleines Kind aus, und ich konnte sehen, dass seine Mom sich bemühte, nicht zu schmunzeln.

»Komm rein, Liz.« Wes’ Mom packte mich am Arm und zog mich sanft über die Türschwelle ins Haus, wo es warm war und nach frischer Wäsche roch. »Mein Sohn ist eine Plage, und es tut ihm leid.«

»Stimmt doch gar nicht.«

»Erzähl mir, was er getan hat, dann helfe ich dir, ihn zu bestrafen.«

Ich schob mir das nasse Haar aus dem Gesicht und schaute ihn direkt an. »Er hat meinen Parkplatz geklaut, als ich dabei war, rückwärts einzuparken.«

»O mein Gott, du verpetzt mich bei meiner Mom?« Wes schloss die Haustür und folgte mir und seiner Mutter hinein. »Na, da wir schon mal dabei sind, Mom, sollte ich dir wahrscheinlich erzählen, dass Liz diejenige war, die die Bullen angerufen hat, damit ich einen Strafzettel bekomme; letztens, als ich eine Lungenentzündung hatte.«

»Moment, was?« Ich blieb stehen und drehte mich um. »Wann warst du krank?«

»Wann hast du die Bullen angerufen?« Er legte sich beide Hände ans Herz und hustete übertrieben. »Ich war zu krank, um meinen Wagen wegzusetzen.«

»Stopp!« Ich wusste nicht, ob er mich auf den Arm nehmen wollte oder nicht, aber vermutlich stimmte die Geschichte, und ich fühlte mich wie ein Unmensch, denn sosehr ich es auch liebte, ihm eins auszuwischen, gefiel mir der Gedanke, dass er krank gewesen war, überhaupt nicht. »Warst du wirklich krank?«

Er sah mich aus seinen dunklen Augen forschend an. »Würde dich das ernsthaft kümmern?«

»Hört auf damit, Kinder.« Seine Mom bedeutete uns, ihr ins Wohnzimmer zu folgen. »Setzt euch auf die Couch, esst ein paar Cookies und werft euren falschen Stolz über Bord.«

Sie stellte einen Teller mit Chocolate-Chip-Cookies auf den Couchtisch, holte eine Packung Milch und zwei Gläser, warf mir ein Handtuch zu, erinnerte Wes daran, dass er seine Schwester um halb sieben abholen musste, und ließ uns allein.

Die Frau war eine Wucht.

»Ohhhh.« Kate & Leopold lief auf einem dieser Retro-Fernsehsender, die nur alte Leute schauten. Ich rieb mir mit dem Handtuch die Haare trocken, während Meg Ryan versuchte, sich dem Charme eines äußerst britischen Hugh Jackman zu entziehen. »Ich liebe diesen Film.«

»War ja klar.« Er schenkte mir ein Grinsen, bei dem ich mich unwohl fühlte, so als wüsste er Dinge über mich, von denen ich nicht wusste, dass er sie wusste, und bückte sich, um nach einem Cookie zu greifen. »Worüber willst du denn nun mit mir reden?«

Meine Wangen wurden heiß, hauptsächlich, weil ich eine Riesenangst davor hatte, dass er sich über mich lustig machen – und Michael alles erzählen – würde, wenn ich ihm meinen Plan erklärte. Ich setzte mich auf die Couch und legte das Handtuch neben mir ab. »Okay, Folgendes: Ich brauche deine Hilfe.«

Er grinste nur umso breiter.

Ich hob eine Hand. »Nein. Hör zu. Ich weiß, dass du niemand bist, der anderen aus reiner Nettigkeit hilft, deshalb habe ich einen Vorschlag für dich.«

»Autsch! Als ginge es mir nur um meinen eigenen Vorteil oder so? Das tut weh.«

»Nein, tut es nicht.«

Er zuckte mit den Schultern. »Nein, tut es wirklich nicht.«

»Okay.« Es bedurfte einer Menge Selbstbeherrschung, um nicht die Augen zu verdrehen. »Aber bevor ich dir erzähle, wobei ich deine Hilfe brauche, möchte ich die Bedingungen des Deals besprechen.«

Er verschränkte die Arme – seit wann war seine Brust so breit? – und legte den Kopf schief. »Schieß los.«

»Okay.« Ich atmete tief durch und strich mir die Haare hinter die Ohren. »Zuallererst musst du mir absolute Geheimhaltung schwören. Wenn du irgendjemandem von unserem Deal erzählst, ist er hinfällig, und du bekommst deine Bezahlung nicht. Solltest du mit allem einverstanden sein, musst du mir auch wirklich helfen. Du kannst nicht nur ein bisschen was tun und mich dann hängen lassen.«

Als ich eine Pause machte, sah er mich aus schmalen Augen an. »Und? Was ist die Bezahlung?«

»Du bekommst für die Dauer unseres Deals an allen sieben Tagen der Woche rund um die Uhr das unangefochtene Recht auf den Parkplatz.«

»Whoa!« Er kam zu mir rüber und ließ sich in den Sessel mir gegenüber plumpsen. »Du willst mir den Parkplatz überlassen?«

Von Wollen konnte keine Rede sein, aber ich wusste auch, wie verlockend das Angebot für Wes klingen musste. Er und sein Dad bastelten andauernd an seinem alten Wagen herum, hauptsächlich, weil er oft nicht ansprang, und ihre Werkzeugkisten sahen immer wahnsinnig schwer aus, wenn ich den Parkplatz erwischt hatte und sie die Boxen bis zum Ende der Straße schleppen mussten, um das Auto zum Laufen zu bringen. »Das ist korrekt.«

Sein Grinsen wurde breiter. »Alles klar. Ich mach’s. Ich bin dein Mann.«

»Das kannst du jetzt noch nicht sagen … Du weißt doch noch nicht mal, worum es geht.«

»Spielt keine Rolle. Ich tue, was immer du willst.«

»Was, wenn ich will, dass du beim Mittagessen nackt durch die Cafeteria läufst?«

»Kein Problem.«

Ich griff nach der Decke, die gefaltet auf der Armlehne der Couch lag, und schlang sie mir um die Schultern. »Was, wenn ich will, dass du in der Cafeteria nackt Radschläge machst und alle Songs aus Hamilton singst?«

»Kein Ding. Ich liebe ›My Shot‹.«

»Ernsthaft?« Das brachte mich zum Schmunzeln, obwohl ich Wes normalerweise nie anlächelte. »Aber kannst du überhaupt ein Rad schlagen?«

»Jep.«

»Beweis es.«

»Du stellst ganz schön hohe Ansprüche.« Wes erhob sich, schob den Couchtisch mit dem Fuß zur Seite und vollführte den schlechtesten Radschlag, den ich je gesehen hatte. Seine Beine waren gekrümmt und schwangen nicht mal annähernd über seinen Kopf hinweg, aber dennoch beendete er die Vorführung mit in die Höhe gereckten Gymnastikarmen und einem selbstbewussten Lächeln, bevor er sich wieder in seinen Sessel fallen ließ. »Und jetzt schieß los.«

Ich hustete, um mein unterdrücktes Lachen zu überspielen, und sah ihn forschend an. Ich suchte nach Ehrlichkeit, nach irgendeinem Hinweis darauf, dass ich ihm vertrauen konnte, ließ mich aber davon ablenken, wie dunkel seine Augen waren und wie stark er seinen Kiefer anspannte. Ich dachte an das eine Mal in der siebten Klasse, als er mir sechs Dollar gegeben hatte, damit ich aufhörte zu weinen.

Helena und mein Dad hatten gerade geheiratet und beschlossen, das Erdgeschoss des Hauses umzugestalten. Als Vorbereitung darauf räumte Helena alle Schränke und Schubladen aus und spendete alle alten Habseligkeiten an eine wohltätige Organisation. Auch die DVD-Sammlung meiner Mutter.

Als ich einen emotionalen Zusammenbruch hatte und mein Dad Helena den Grund dafür erklärte, fühlte sie sich schrecklich. Sie entschuldigte sich wieder und wieder, während ich schluchzte. Doch alles, was ich hörte, waren ihre Worte an meinen Vater: »Ich dachte einfach, dass sich diese Schnulzen ohnehin keiner anguckt.«

Ich war als Kind überaus einfallsreich gewesen – das war ich immer noch, was die Tatsache bewies, dass ich just in diesem Moment in Wes’ Wohnzimmer saß –, und ich hatte nur einen Anruf gebraucht, um herauszufinden, wo die Filme gelandet waren.

Ich schlich mich aus dem Haus, erzählte meinem Dad, ich würde zu Joss gehen, und fuhr mit dem Fahrrad zum Secondhandladen. Ich hatte jeden Penny des Geldes, das ich beim Babysitten verdient hatte, in meiner Hosentasche, aber als ich ankam, stellte sich heraus, dass es nicht genügte.

»Wir verkaufen die Kiste als Sammlung, Mädchen – du kannst sie nicht einzeln kaufen.«

Ich starrte auf das Preisschild, und ganz egal, wie oft ich nachzählte, ich hatte immer sechs Dollar zu wenig. Der Typ aus dem Laden ließ sich nicht erweichen, sodass ich die ganze Heimfahrt auf meinem knallpinken Fahrrad weinte. Es fühlte sich an, als würde ich meine Mom noch einmal aufs Neue verlieren.

Als ich fast zu Hause war, sah ich, dass Wes mit einem Basketball in seiner Einfahrt spielte. Zuerst schaute er mich mit seiner gewohnten Miene an, halb lächelnd, als würde er irgendein Geheimnis über mich kennen, aber dann hörte er auf zu dribbeln.

»Hey.« Er warf den Ball ins Gras und kam auf mich zu. »Was ist los?«

Ich erinnere mich noch, dass ich es ihm nicht verraten wollte, weil ich wusste, er würde es lächerlich finden, aber in seinen Augen lag irgendetwas, das mich erneut zusammenbrechen ließ. Ich heulte wie ein Baby, während ich ihm erzählte, was passiert war, aber anstatt mich auszulachen, hörte er mir zu. Er schwieg während meines gesamten Zusammenbruchs, und als ich einmal kurz innehielt, weil ich peinlicherweise hicksende kleine Schluchzer ausstoßen musste, lehnte er sich vor und wischte mir die Tränen mit dem Daumen weg.

»Nicht weinen, Liz.« Bei diesen Worten sah er traurig aus, so als wollte er auch weinen. »Warte hier«, sagte er schließlich. Er hielt einen Finger hoch, als wollte er »Eine Sekunde« sagen, ehe er sich umdrehte und ins Haus lief.

Ich stand einfach nur da, erschöpft vom Weinen und schockiert über seine Nettigkeit, und als er wieder rauskam, drückte er mir einen Zehn-Dollar-Schein in die Hand.

Ich erinnerte mich noch, dass ich zu ihm aufgeschaut und gedacht hatte, er hätte die freundlichsten braunen Augen der Welt, aber der Gedanke stand mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn er hatte eilig eine finstere Miene gemacht und gesagt: »Nur damit du endlich die Klappe hältst – ich ertrage es keine Minute länger, hier zu stehen und mir dein Geheule anzuhören. Und ich will das Rückgeld wiederhaben.«

Abrupt kam ich gedanklich wieder in Wes’ Wohnzimmer an. Michael. Der Parkplatz. Wes’ Hilfe, die ich brauchte.

Ich ließ meinen Blick über sein Gesicht wandern. Jep, seine braunen Augen sahen immer noch genauso aus.

»Okay.« Ich nahm mir einen Cookie und biss ein Stück ab. »Aber ich schwöre auf alles, was mir heilig ist, dass ich einen Auftragskiller engagiere, wenn du irgendwas ausplauderst.«

»Das glaube ich dir sofort. Und jetzt spuck’s endlich aus.«

Ich musste etwas anderes als sein Gesicht betrachten. Die Wahl fiel auf meinen Schoß, wo ich auf den glatten Stoff meiner Leggings starrte. »Okay. Die Sache ist die: Michael ist wieder da, und ich hatte gehofft, na, du weißt schon, wieder mit ihm in Kontakt zu kommen. Wir standen uns nahe, bevor er weggezogen ist, und das würde ich gerne wieder aufleben lassen.«

»Und wie genau kann ich dir dabei helfen?«

Ich hielt den Blick gesenkt, während ich mit dem Zeigefinger die Naht meiner Hose nachfuhr. »Na ja, ich hab keine Kurse mit ihm, also besteht nie die Möglichkeit, mich mit ihm zu unterhalten, ohne dass es gezwungen wirkt. Aber du bist ja schon mit Michael befreundet. Ihr hängt zusammen ab. Du hast ihn zu einer Party eingeladen.« Ich riskierte einen Blick in seine Richtung. »Du hast die Connection, die ich mir wünsche.«

Er warf sich den Rest seines Cookies in den Mund, kaute und klopfte sich die Hände an den Knien seiner Hose ab. »Also noch mal ganz langsam. Du stehst immer noch auf Young und willst, dass ich dich auf Rynos Party mitschleppe, damit du ihn dazu bewegen kannst, dich zu mögen.«

Kurz überlegte ich, ob ich es abstreiten sollte, doch dann entschied ich mich dagegen. »So ungefähr.«

Seine Kiefermuskeln zuckten. »Ich hab gehört, dass er Interesse an Laney hat.«

O nein! Abgesehen von der Tatsache, dass ich emotional in die Sache verstrickt war, war Laney Morgan absolut nicht die Richtige für Michael. Genau genommen würde ich ihm sogar einen Gefallen damit tun, wenn ich ihm einen Grund gab, sich in mich zu verlieben – ich rettete ihn vor ihr. »Mach dir darüber keine Sorgen.«

Er hob eine Augenbraue. »Wie überaus skandalös von dir, Elizabeth.«

»Halt die Klappe.«

Er lächelte. »Du kannst doch nicht ernsthaft glauben, dass er automatisch auf dich aufmerksam wird, nur weil du auf einer Party auftauchst. Es werden superviele Leute dort sein.«

»Ich brauch nur ein paar Minuten.«

»An Selbstbewusstsein mangelt es dir zumindest nicht.«

»Nein.« Ich hatte das Drehbuch längst geschrieben. »Ich habe einen Plan.«

»Und der wäre …?«

Ich zog die Beine unter meinen Körper. »Als würde ich dir den verraten.«

»Nö.« Er stand auf, kam zur Couch und ließ sich neben mich fallen. »Dein Plan ist scheiße.«

Ich zog die Decke enger um meine Schultern. »Woher willst du das wissen, wenn du ihn nicht mal kennst?«

»Weil ich dich kenne, seit du fünf bist, Liz. Ich bin mir sicher, dein Plan enthält eine arrangierte Begegnung, ein ganzes Notizbuch voller alberner Ideen und jemanden, der auf einem Pferd in den Sonnenuntergang reitet.«

Er war nahe dran. »Du liegst komplett daneben.«

»Schon klar.«