Mr Wrong Number - Lynn Painter - E-Book
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Mr Wrong Number E-Book

Lynn Painter

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Beschreibung

Mit wunderschön farbig gestaltetem Buchschnitt

Olivia war schon immer ein Pechvogel. Doch als sie die Liebesbriefe ihres Exfreundes verbrennt und dabei ein ganzes Gebäude abfackelt, sitzt sie richtig in der Klemme. Liv muss bei ihrem Bruder einziehen, der mit dem Schrecken ihrer Kindheit zusammenwohnt, seinem besten Freund Colin. Inzwischen ein erfolgreicher Geschäftsmann ist Colin noch arroganter als früher, aber leider auch richtig heiß. Ablenkung von ihrem Gefühlschaos findet Olivia durch die SMS eines Unbekannten, die versehentlich auf ihrem Handy landen. Die sexy Nachrichten von Mr Wrong Number lassen ihre Knie weich werden. Und auch Mr Wrong Number findet die gewitzte Unbekannte unwiderstehlich. Bis er begreift, dass sie die kleine, nervige Schwester seines Mitbewohners ist …

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Seitenzahl: 416

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Buch

Olivia Marshall war schon immer ein kleiner Pechvogel. Doch als sie in einer feierlichen Zeremonie die Liebesbriefe ihres Exfreundes verbrennen will und das Feuer sich auf das ganze Gebäude ausbreitet, toppt das selbst ihre bisherigen Missgeschicke. Liv muss bei ihrem Bruder einziehen. Einziges Manko: Er wohnt mit dem Schrecken ihrer Kindheit zusammen, seinem besten Freund Colin Beck. Inzwischen ein erfolgreicher Geschäftsmann ist Colin noch arroganter als früher – und leider genauso unverschämt heiß. Zum Glück entpuppen sich die schmutzigen SMS eines Unbekannten, die versehentlich bei Liv gelandet sind, als wundervollste Ablenkung der Welt. Die Nachrichten von Mr Wrong Number bereiten ihr weiche Knie und bringen sie zum Lachen.

Und auch Mr Wrong Number findet die gewitzte, kluge Unbekannte unwiderstehlich. Bis er begreift, dass sie die kleine, nervige Schwester seines Mitbewohners ist …

Weitere Informationen zu Lynn Painter finden Sie am Ende des Buches.

Lynn Painter

Mr Wrong Number

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Stefanie Retterbush

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »Mr Wrong Number« bei Berkley, New York City.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstveröffentlichung April 2023

Copyright © 2022 by Lynn Painter

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2023

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

This edition published by arrangement with Berkley,

an imprint of Penguin Publishing Group,

a division of Penguin Random House LLC

Covergestaltung: UNO Werbeagentur, München

Covermotive: Getty Images/RossHelen; FinePic®, München

Redaktion: Dr. Ann-Catherine Geuder

tk · Herstellung: ik

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-30332-7V003

www.goldmann-verlag.de

Für Kevin

Ich liebe dich heute noch viel mehr als damals, als du mich mit einer Fotokopie deines Fingers und albern verstellter Stimme aus den Socken gehauen hast. Mehr als damals, als du mir auf die Zehen gestiegen bist, damit ich nicht weglaufen kann. Vielleicht sogar noch mehr als das eine Mal, als du meintest, ich hätte Haare wie Axl Rose.

Fünf Kinder und aberhunderte Fleischklößchen später bringst du mich immer noch zum Gackern, und ich bin immer noch ganz verrückt nach dir.

1

OLIVIA

Alles begann an dem Abend, nachdem ich das Haus abgefackelt hatte.

Ich saß in der Wohnung meines Bruders auf der hippen Kücheninsel mit der Granit-Arbeitsplatte und war gerade dabei, eine Tüte Salzbrezeln in mich reinzustopfen und systematisch sämtliche im Kühlschrank vorhandenen Stella-Flaschen zu leeren. Und nein, ich hatte kein Alkoholproblem. Ich hatte ein Lebensproblem. Will sagen, mein Leben war Mist, und wenn ich mir morgen früh einen halbwegs passablen Plan für meine nähere Zukunft überlegen wollte, musste ich baldmöglichst in einen komatösen Schlaf fallen.

Jack hatte sich (nach vielem Bitten und Betteln) breitschlagen lassen, mich für einen Monat bei sich einzuquartieren – nur so lange, bis ich mir einen Job und eine neue Wohnung gesucht hatte –, und im Gegenzug hatte ich ihm versprechen müssen, mich einigermaßen zu benehmen und seinen Mitbewohner nicht zu nerven. Wenn man mich fragt, warJack ein bisschen zu alt für eine WG, aber hey, mich fragt ja keiner.

Mein Bruder hatte mich umarmt, mir den Wohnungsschlüssel in die Hand gedrückt und mich dann meinem Schicksal überlassen, um sich auf den Weg zum Fünfzig-Cent-Chicken-Wings-Abend in Billy’s Bar zu machen. Ich hatte also sturmfreie Bude und weinte mir zu Adele die Augen aus dem Kopf. An sich schon Weltschmerzmusik, aber als die Gute dann auch noch anfing, röhrend das Lodern in ihrem Herzen zu besingen, musste ich an den Brand auf meiner Terrasse denken, und alles war aus.

Ich heulte also just Rotz und Wasser, als unvermittelt mein Handy summte und dem tränenreichen Zusammenbruch ein abruptes Ende bereitete. Eine mir unbekannte Nummer schrieb:

Erzähl mir ganz genau, was du gerade anhast.

Ein versauter Verwähler oder vielmehr Vertipper? Ich wischte mir mit dem Ärmel über die Nase und antwortete: Das Brautkleid deiner Mutter und ihren Lieblingsstring.

Keine fünf Sekunden vergingen, bis Mr Wrong Number irritiert zurückschrieb: Ähm, was?

Ich: Im Ernst, Schätzchen, ich dachte, du stehst auf so was.

Mr Wrong Number: »Schätzchen«? Was soll das denn jetzt?

Ich prustete vor Lachen. Hatte ich diesem Typen gerade echt per Telefon eine eiskalte Dusche verpasst? Wobei, eigenartig, dass er sich ausgerechnet an dem »Schätzchen« störte und nicht an der monströs ödipalen Dessous-Fantasie, die da meinem kranken Hirn entsprungen war. Aber er hatte schließlich mit der abgenudelten Erzähl-mir-was-du-anhast-Nummer angefangen, was sollte man da noch sagen?

Ich: Wäre dir was weniger Muttihaftes lieber?

Mr Wrong Number: Nein, gar nicht – klingt echt sexy. Du hast dann ja auch hoffentlich nichts dagegen, wenn ich in Cargo-Shorts, Socken mit Sandalen und dem Sackschoner von deinem Daddy rumlaufe?

Trotz Lebenskrise und daraus resultierender Schlosshundheulerei musste ich grinsen.

Ich: Kann kaum an mich halten. Versprich mir, dass du mir beim Poppen Daddy-Witze ins Ohr flüsterst.

Mr Wrong Number: Oh yeah, Baby, Witzchen und Wetteranekdoten bekommst du bei mir umsonst dazu. Und Poppen ist das antörnendste Wort überhaupt.

Ich: Aber so was von.

Mr Wrong Number: Ich hab wohl die falsche Nummer erwischt, oder?

Ich: Ja, hast du.

Ich hickste – das Bier tat endlich seine Wirkung – und beschloss, ihn gnädigerweise vom Haken zu lassen. Also schrieb ich: Hol sie dir, Sportsfreund. Fröhliches Poppen!

Mr Wrong Number: Das ist die mit Abstand seltsamste Unterhaltung meines Lebens.

Ich: Geht mir genauso. Viel Glück und gute Nacht.

Mr Wrong Number: Danke, und dir ebenfalls eine gute Nacht.

Das Stella hatte mich müde gemacht, und ich überlegte, noch eben rasch zu duschen – bye, bye verräucherte Haare – und dann ins Bett zu krabbeln. Ich kramte in meinem Seesack nach frischen Klamotten, bis es mir – tadaa – wieder einfiel: der Brand. Ich hatte nur noch die Sachen, die ich ganz hinten unten in meinem Schließfach im Fitnessstudio gefunden hatte, und ein paar wild zusammengewürfelte Einzelteile, die mir bei der Fahrt zum Waschsalon aus der Tasche hinter den Fahrersitz gefallen sein mussten. Nach einigem Wühlen fand ich ein Krümelmonster-Pyjamaoberteil, nur um dann feststellen zu müssen, dass ich kein einziges Unterteil mehr besaß, keine Pyjamahose, keine Jeans, keine Shorts, nichts – die einzige Hose, die ich noch hatte, war die miefige Sportshorts, die derzeit meinen Allerwertesten bedeckte.

Hieß, nicht mal mehr im Besitz einer Hose zu sein, dass man ganz unten angekommen war?

Zum Glück hatte ich wenigstens noch frische Unterwäsche. Einen neongelben Hüftslip, auf dem quer über dem Po die Aufschrift Eat the Rich prangte und an den ich mich so krampfhaft klammerte wie an eine Sicherheitsleine, an der ich gefährlich nahe über ganz Unten baumelte.

Ich gönnte mir eine ausgiebige halbstündige Dusche und verknallte mich prompt in die Regenwaldbrause und die bestimmt unverschämt teure Haarspülung von Jacks ominösem Mitbewohner. Wobei mir die glitschige Plastikflasche aus der Hand flutschte, was bedauerlicherweise dazu führte, dass der Pumpmechanismus abbrach und der Großteil der Luxuscreme sich auf den rutschigen Boden der Duschwanne ergoss. Hastig ging ich auf die Knie und versuchte, so viel wie möglich wieder in die Flasche zu schaufeln und sie dann vorsichtig zurück ins Duschregal zu stellen. Vielleicht würde es ja nicht weiter auffallen.

Spoiler: So was fällt immer auf.

Aber zwei Stunden später lag ich immer noch hellwach auf der quietschenden alten Luftmatratze, die mein Bruder für mich im Arbeitszimmer aufgepumpt hatte, und starrte aus verquollenen Augen an die Decke, während sich in meinem Kopf wieder und wieder die schlimmen Szenen abspielten, die meiner Flucht aus Chicago vorangegangen waren.

Der Rausschmiss. Das Fremdgehen. Die Trennung. Das Feuer.

Irgendwann sagte ich entschieden in die Dunkelheit: »So. Nicht.«

Ich stand auf, tappte rüber in die Hochglanzküche, knackte das Siegel einer Tequila-Flasche mit einer schnauzbärtigen Sonne als Logo und schenkte mir einen mehr als großzügig bemessenen Schluck ein.

Morgen früh würde ich vermutlich mit höllischen Kopfschmerzen aufwachen, aber immerhin bekäme ich heute Nacht noch eine Mütze Schlaf.

»Livvie, hier ist Mom. Ich dachte, du wolltest heute herkommen.«

Ich klappte die Augen auf – na ja, zumindest eins – und linste auf mein Handy, aus dem meine Mutter mir viel zu munter entgegenbrüllte. Halb neun? Erwartete sie etwa, dass ich im Morgengrauen bei ihnen anrückte? Himmel, die Frau war ja schlimmer als eine sadistische, Hundewelpen quälende Serienmörderin.

Warum war ich noch mal rangegangen?

»Wollte ich. Ich meine, will ich. Mein Wecker hätte gleich geklingelt.«

»Ach, und ich dachte, du würdest dir heute einen neuen Job suchen.«

Unvermittelt fing Adele wieder an, ohrenbetäubend laut durch die ganze Wohnung zu blöken – was zum Kuckuck –, und ich kreischte: »Alexa, stopp.«

Worauf meine Mutter prompt fragte: »Mit wem redest du da?«

»Mit niemandem.« Die Musik dröhnte unbeirrt weiter. »Alexa, stopp Adele!«

»Hast du Freunde zu Besuch?«

»Himmel, nein.« Das zweite Auge klappte endlich auch auf, und ich setzte mich auf. In meinen Schläfen pochte es, als wäre mein Schädel in eine gewaltige Schraubzwinge geklemmt, und dann brach jäh die Musik ab. »Ich habe mit Jacks Stereoanlage geredet.«

Vom anderen Ende der Leitung war ein tiefer Seufzer zu hören, einer dieser Warum-muss-ausgerechnet-ich-eine-verrückte-Tochter-haben-Seufzer. »Dann machst du dich also heute nicht auf Jobsuche?«

Könnte mich bitte jemand umbringen? »Doch«, sagte ich mit pelzig belegter Zunge. »Dank Internet reicht es auch, wenn man mittags damit anfängt, Ma.«

»Ich weiß gar nicht, was du da redest. Kommst du jetzt her oder nicht?«

Ich atmete tief durch die Nase ein, und dann fiel mir mein Garderobendilemma wieder ein. Bis meine Hose gewaschen waren, saß ich hier fest. Also sagte ich notgedrungen: »Nein. Später. Ein neuer Job ist jetzt erst mal das Wichtigste. Ich komme nachher vorbei, erst mal muss ich ein paar Bewerbungen tippen.«

Und eine Hose auftreiben.

»Ist dein Bruder da?«

»Keine Ahnung.«

»Wie kannst du denn nicht wissen, ob er zuhause ist?«

»Weil ich noch im Bett liege und die Tür zu ist.«

»Und warum schläfst du hinter verschlossenen Türen? In dem Kämmerchen wird es doch ganz stickig, wenn du keine frische Luft reinlässt.«

»Ach. Du. Liebe. Güte.« Seufzend rieb ich mir die Schläfen. »Ich stehe jetzt gleich auf, und wenn ich deinen anderen Sprössling irgendwo rumlaufen sehe, sage ich ihm, er soll sich bei dir melden. Einverstanden?«

»Ach was, er braucht mich doch nicht anzurufen. Ich wollte nur wissen, ob er da ist.«

»Ich muss Schluss machen.«

»Hast du das Geld schon eingezahlt?«

Ich kniff die Lippen zusammen und machte die Augen ganz feste zu. Auf meine Mutter ist wirklich Verlass. Das Einzige, was noch schlimmer ist, als die eigenen Eltern mit fünfundzwanzig noch um Geld anpumpen zu müssen, weil man wortwörtlich auf dem letzten Tropfen Sprit in die Stadt gerollt ist und keinen Penny mehr in der Tasche hat, ist eine Mutter, die einem das dann auch noch ständig unter die Nase reibt. Zähneknirschend murmelte ich: »Ja, gestern Abend, online.«

Als wäre mir was anderes übriggeblieben, als diese hochnotpeinliche elterliche Nothilfe so schnell wie menschenmöglich auf mein Konto einzuzahlen. Denn nachdem der Rauch sich (buchstäblich) verzogen hatte und sich herausstellte, dass das Haus und meine darin befindliche Wohnung nicht mehr standen, hatte ich meine allerletzten Kröten für Überlebensnotwendiges wie einen Ölwechsel, neue Reifen und eine Tankladung Sprit hinblättern müssen, um es irgendwie bis zu meinem Bruder zu schaffen.

Ein Glück nur, dass nächste Woche noch mein letzter Gehaltsscheck ausstand.

»Am Computer?«, fragte meine Mutter.

Ich biss die Zähne zusammen. »Ja.«

»Evies Mann hat gesagt, das soll man unter gar keinen Umständen machen. Genauso gut kannst du das Geld gleich einem Hacker in den Rachen werfen.«

Mein Kopf hämmerte. »Wer ist Evie?«

»Meine Bridge-Partnerin, die aus Gretna. Hörst du mir eigentlich überhaupt zu, wenn ich mit dir spreche?«

»Mom«, sagte ich und überlegte ernsthaft, die alte Die-Verbindung-ist-so-schlecht-ich-fahre-gerade-durch-einen-Tunnel-Masche abzuziehen. »Ich habe nicht die Namen all deiner Bridge-Partnerinnen auswendig gelernt.«

»Tja, ich habe nur die eine, so schwer sollte das also nicht sein.« Meine Mutter klang zutiefst gekränkt. »Du solltest das mit dem Computer lieber sein lassen – am besten, man geht persönlich zum Schalter.«

Ich seufzte. »Willst du wirklich, dass ich wieder nach Chicago fahre, nur um das Geld höchstpersönlich auf mein Bankkonto einzuzahlen, Ma?«

»Du brauchst gar nicht so schnippisch zu werden. Ich will dir doch bloß helfen.«

Wieder seufzte ich und rappelte mich von der dünnen Luftmatratze auf, die in der Nacht jedes Mal, wenn ich mich umgedreht hatte, bis auf die Dielen nachgegeben hatte. »Ich weiß, und es tut mir leid. Die letzten Tage waren ziemlich hart.«

»Das weiß ich doch, Liebelein. Komm einfach nachher vorbei, ja?«

»Okay.« Ich ging zur Tür und riss sie auf. »Ich hab dich lieb. Bye.«

Ich warf das Handy auf den Schreibtisch und blinzelte ins grelle Tageslicht, das mir erbarmungslos in die müden Augäpfel stach. Himmel, was für ein Kater. Der Boden schwankte unter meinen Füßen, ein todsicheres Zeichen, dass ich noch bedeutend zu viel Restalkohol im Blut hatte, um Auto zu fahren. Also taumelte ich auf der verzweifelten Suche nach einem Kaffee in Richtung Küche.

»Na, guten Morgen auch, Sonnenschein.«

Ich blieb wie angewurzelt stehen und hatte augenblicklich das Gefühl, mich übergeben zu müssen.

Denn da, in der Tür, stand ausgerechnet Colin Beck, Jacks bester Freund, und sah mir amüsiert dabei zu, wie ich blind in die Küche stolperte. Als hätte das Universum mich nicht ohnehin schon windelweich geprügelt, musste er auch noch mit verschränkten Armen hinter der schicken Frühstücksbar stehen und meinen Gang der Schande mit amüsiert hochgezogener Augenbraue verfolgen. Er hatte dieses süffisante Ich-bin-was-Besseres-als-du-Grinsen im Gesicht und sah wie immer unverschämt gut aus, während ich in Unterhose und eingelaufenem T-Shirt durch die Wohnung wackelte wie ein abgerissener Winnie Puuh.

Ich blinzelte. Sah der Kerl etwa noch besser aus als früher?

Was für ein Arsch.

Das letzte Mal hatte ich ihn in meinem ersten Collegejahr gesehen, als ich in hohem Bogen aus dem Wohnheim geflogen war und die letzten verbliebenen Monate des Semesters zwangsweise wieder bei meinen Eltern hatte einziehen müssen. Jack hatte ihn eines Sonntags zum Spaghetti-Essen mitgebracht, und Colin hatte sich angesichts der tragischen Geschichte meiner missglückten Streunerhunderettung aka Beißattacke auf diverse Mitbewohner aka Auslösung der Sprinkleranlage zwecks Gefahrenabwehr aka massive Wohnheimüberflutung aka folgerichtiger Rausschmiss fast wegschmeißen wollen vor Lachen.

Jetzt sah er aus, als käme er gerade vom Joggen. Das feuchte T-Shirt klebte ihm am überdefinierten Alles, und um den rechten Arm schlängelte sich irgendeine Tätowierung.

Was glaubte der, wer er ist – The Rock?

Colin hatte so ein Filmstargesicht mit markanten Wangenknochen und Killer-Kinn, aber was mich völlig fertig machte, waren seine schelmisch blitzenden blauen Augen. Richtige Lausbubenaugen. In dieses Gesicht hatte ich mich mit vierzehn kurzzeitig verguckt, dann allerdings ein Gespräch belauschen müssen, in dem er mich als »kleinen Freak« bezeichnete, worauf ich es mir noch mal überlegt und ihn glühend zu hassen begonnen hatte. Ein Zustand, an dem sich bis heute nichts geändert hatte.

»Was willst du denn hier?« Ich tappte zur Kaffeemaschine, die auf der polierten Arbeitsplatte stand, und drückte den Anschaltknopf. Der kühle Luftzug am Po erinnerte mich daran, dass mein Hinterteil in der bescheuerten Unterhose mit dem frechen Spruch mehr oder minder bloß war. Aber ich würde einen Teufel tun und mir anmerken lassen, wie unangenehm mir das war. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht nervös an meinem Krümelmonster-Oberteil herumzuzupfen, während ich in den Küchenschränken nach dem Kaffeepulver suchte, und mir streng sagte, dass es bloß ein Hinterteil war.

»Ich dachte, du bist nach Kansas gezogen«, raunzte ich Colin an. »Oder war’s Montana?«

Er räusperte sich. »Gleich neben dem Kühlschrank.«

Ich guckte kurz zu ihm rüber. »Was?«

»Der Kaffee.«

Echt so ein unerträglicher Besserwisser, dieser Typ. Mit seiner allwissenden Art und Rechthaberei erinnerte er mich immer an einen Ostküsten-Mobster der ganz alten Schule. Nur deshalb log ich und sagte: »Tja, den suche ich aber gar nicht.«

Er lüpfte eine Augenbraue und lehnte sich gegen die Frühstücksbar. »Ach nein?«

»Nein.« Ich biss mir auf die Unterlippe. »Ich suche, ähm, den Tee.«

»Ach so. Sicher.« Er guckte mich an, als wüsste er, dass ich Tee nicht ausstehen konnte. »Tja, der steht auch da. Gleich neben dem Kühlschrank.«

Verdammt und zugenäht, womit hatte ich das bloß verdient? Wieso musste ich mich zu allem Überfluss auch noch in viel zu knapper Unterwäsche mit Colin Beck unterhalten?

»Danke.« Ich musste mich beherrschen, um nicht die Augen zu verdrehen, während ich an den Schrank trat. Der Kaffeedurst war so schlimm, ich hätte heulen können. Es gab nur eine Sorte Tee, Earl Grey, ausgerechnet, und schon, als ich die Maschinenkapsel aus dem Schrank holte und zum Automaten ging, wusste ich, ich würde ihn aus tiefster Seele verabscheuen. »Wo ist denn Jack?«

»Ähm.« Ich spürte förmlich seinen Blick im Rücken, als er sagte: »Bei der Arbeit.«

»Ach.« Und wieso bist du dann hier?

»Er meinte, du bleibst erst mal einen Monat.« Er stützte seine gebräunten Unterarme auf die Arbeitsplatte – wie zum Teufel konnte der Heini sexy Unterarme haben, Herrgott noch mal – und fing an, an seiner Laufuhr herumzufummeln. »Korrekt?«

»Ja.« Ich schnappte mir eine Tasse von der Arbeitsplatte, ließ Wasser aus dem Hahn hineinlaufen und nahm den Deckel vom beinahe leeren Wassertank des Automaten. »Weiß mein Bruder eigentlich, dass du hier bist?«

Verdutzt schaute er von seiner Uhr auf. »Was?«

Ich beugte mich über die Maschine und goss das Wasser hinein. »Seid ihr verabredet?«

Er machte ein komisch kehliges Geräusch irgendwo zwischen Husten und Lachen und sagte dann: »Ach herrje – du weißt gar nicht, dass wir zusammenwohnen, oder?«

Grundgütiger. Das konnte doch wohl nicht wahr sein, oder? Fragend schaute ich ihn an, in der Hoffnung, er wolle mich bloß auf den Arm nehmen, doch eigentlich wusste ich bereits, dem war nicht so. Und noch ehe ich seinen Gesichtsausdruck deuten konnte, fing er plötzlich an, wie wild mit den Händen zu fuchteln, und blaffte mich an: »Das Wasser! Vorsicht mit dem Wasser, Liv.«

»Mist.« Ich hatte das Wasser komplett am Tank vorbeigegossen und alles auf die Arbeitsplatte geschüttet. Rasch nahm ich ein Geschirrtuch und versuchte, die Schweinerei wieder aufzuwischen, aber das blöde Ding war überhaupt nicht saugfähig und schob das Wasser bloß von der Arbeitsplatte auf den Boden.

Während der arrogante Schnösel mich amüsiert grinsend beobachtete.

»Hast du nichts Besseres zu tun, als mir dabei zuzusehen, wie ich hier rumputze?«

Er zuckte die Achseln und beugte sich über die Arbeitsplatte, als hätte er keine anderen Sorgen. »Eigentlich nicht. Steht dir übrigens prima, die neue Frisur.«

»Ach, echt? Findest du?« Ich bedachte ihn mit einem spöttischen Grinsen, das sich mehr nach animalischem Zähneblecken anfühlte. »Ich nenne es meine Einzug-bei-Colin-Frisur. Sieht aus und fühlt sich an wie eine brennende Müllhalde.«

»Wo wir gerade beim Thema sind, erzähl doch mal, Marshall. Wie zum Teufel hast du es geschafft, einen kompletten Gebäudekomplex abzufackeln?« Er legte den Kopf schief, sah mich an und setzte hinterher: »Ich meine, du warst ja immer schon eine wandelnde Katastrophe, aber Liebesbriefe auf einer Holzterrasse zu verbrennen wie ein irrer Feuerteufel ist schon ziemlich durchgeknallt, selbst für deine Verhältnisse.«

Ich versuchte zu schlucken, aber meine Kehle war wie zugeschnürt.

Und das nicht etwa, weil der Vollpfosten mich für unterbelichtet hielt; das war nie anders gewesen. Er hatte sich immer schon scheckig gelacht über meine diversen Missgeschicke, heimlich natürlich, wie beim Glotzen einer trashigen Fernsehserie über die schlimmsten Zugunglücke, die zu gucken man nie zugeben würde, aber die man auch nie wegschaltet, wenn man beim Zappen zufällig darüberstolpert.

Ich war seine Reality-Show.

Aber dass er schon en détail Bescheid wusste über etwas, das vorgestern erst passiert war, noch dazu in einer acht Autostunden entfernten Stadt, konnte nichts anderes bedeuten, als dass Jack ihm alles brühwarm berichtet hatte. Und mein Bruderherz musste fraglos mehr ausgeplaudert haben als bloß eine kurze Die-Wohnung-meiner-Schwester-hat-einen-Brandschaden-Zusammenfassung, denn immerhin wusste er das mit den Liebesbriefen.

Er hatte ihm nicht mal die peinlichsten Details verschwiegen.

Der fremdgehende Freund, die Wein- und Briefverbrennungszeremonie draußen auf der Holzterrasse, der Feueralarm … einfach alles. Ich hätte kotzen können beim Gedanken daran, wie die beiden sich kaputtlachten, während Jack ihm genüsslich die Geschichte meiner neuesten Tragödie erzählte.

Ein Ich-konnte-nichts-dafür lag mir schon auf den Lippen und wollte herausgeblökt werden. Ich wollte es allen entgegenschreien, die die Geschichte in der Zeitung gelesen, auf den Link geklickt oder den Reporter mit einem spöttisch-süffisanten Grinsen »Liebesbriefe« sagen gehört hatten.

Ich konnte nämlich wirklich nichts dafür.

Ja, ich hatte Elis Gedichte verbrannt. Ja, ich war mehr oder minder weintrunken gewesen und hatte kettenrauchend auf dem Balkon gehockt und die Briefe dieses streunenden Schweinehunds in Flammen aufgehen lassen, aber ich hatte sie brav in einem Metalleimer angezündet. Und neben dem Eimer hatte ein großes Glas Wasser gestanden, nur für alle Fälle. Ich war ja nicht blöd. Ich hatte bei meinem Elijah-der-Fremdvögler-Exorzismus eigentlich an alles gedacht.

Nur an eins nicht, und das war das Opossum.

Ganz still und in Gedanken versunken hatte ich dagesessen und versonnen in mein kleines flackerndes Lagerfeuer gestarrt und mir überlegt, dass es vielleicht doch gar nicht so schlimm war, allein zu sein, als das possierliche Kerlchen die Regenrinne entlanggelaufen kam und auf die Terrasse hopste. Ich hatte erschrocken aufgeschrien, woraufhin das Opossum mich überhaupt erst wahrgenommen hatte und panisch wieder davongeflitzt war. So panisch, dass es dabei versehentlich den Tisch umriss, auf dem der Eimer stand, der daraufhin umkippte und über die Terrasse kullerte. Über die Terrasse, auf der wiederum eine sehr schmückende Strohmatte lag.

»Weißt du«, sagte ich bemüht locker, »ich würde ja nur zu gerne hier stehen und mit dir darüber plaudern, für was für eine Landplage du mich hältst, aber ich habe zu tun. Würdest du dich also bitte umdrehen?«

»Wieso?«

Ich seufzte und wäre am liebsten im Erdboden versunken. »Weil, je wacher ich werde, desto unangenehmer ist es mir, in Unterhosen vor dir zu stehen.«

Lachfältchen umknitterten seine Augenwinkel. »Ich glaube, ich hab noch nie erlebt, dass dir irgendwas peinlich ist.«

»Mir ist gar nix peinlich.« Wäre er nicht er gewesen, hätte ich ohne Umschweife und mit einem herzlichen Lachen zugegeben, dass es ein Kinderspiel war, mich in Verlegenheit zu bringen. Ich genierte mich eigentlich ständig, was wiederum der Grund dafür war, dass ich permanent herumstolperte, alles verschüttete und betreten in der Gegend herumstand. Aber da es Colin war, bemerkte ich bloß spitz: »Ich gönne dir nur den Anblick meines Knackarschs nicht.«

Und damit scharwenzelte ich mit gerecktem Kinn an ihm vorbei und stolzierte hocherhobenen Hauptes aus der Küche, mit glühendem Gesicht und der inständigen Hoffnung, mein Hintern möge in diesem albernen Höschen halbwegs gut aussehen. Erst als ich die Tür meines provisorischen Schlafgemachs hinter mir zugeknallt hatte, spuckte ich so ziemlich jedes Schimpfwort aus, das mir gerade einfiel.

2

OLIVIA

Und der Tag wurde nicht besser.

Ich verbarrikadierte mich im Arbeitszimmer und schrieb Bewerbungen auf zehn offene Stellen, für die ich leider gnadenlos unterqualifiziert war. Ich fand zwar auch ein paar Stellengesuche für technische Redakteure, für die meine Qualifikationen gerade so ausreichten, die aber todsterbenslangweilig klangen, und haufenweise andere Texterjobs, deren Anforderungen ich beinahe (aber auch nicht ganz) erfüllte.

Irgendwie schaffte ich es dabei, den Drucker (den ich ungefragt benutzt hatte) heillos zu verstopfen und bei meinen Rettungsversuchen Tinte auf den schneeweißen Teppich zu kleckern. (Spoiler: Den Fleck mit Wasser auszuwaschen, war nicht besonders helle. Der Teppich war hin.) Es fing also schon mal gut an.

Danach fuhr ich zu meinen Eltern, um ein paar Klamotten abzuholen, die ich bei meinem Auszug dortgelassen hatte. Während ich deprimiert in Anziehsachen kramte, die allesamt vor mindestens zehn Jahren aus der Mode gekommen waren, präsentierte meine Mutter mir ihr virtuelles Sammelalbum sämtlicher Links mit Berichten über den Brand. Sie wissen schon, damit ich irgendwann in nostalgischen Erinnerungen an diesen besonderen Tag schwelgen kann.

Dann stopfte sie mich mit Lasagne voll, während mein Vater mir einen Vortrag übers Erwachsensein und die Unerlässlichkeit von Hausrat- und Haftpflichtversicherungen hielt.

Ich verließ meine Eltern mit einem fiesen Sodbrennen und einer Plastikdose mit Lasagneresten. Meine Laune war im Keller, und dass ich nun wieder im Kennedy-Marching-Band-T-Shirt meiner ehemaligen Schule herumlaufen musste, bis ich wieder einen Job hatte und mir was Neues leisten konnte, machte es auch nicht besser.

Ich fragte mich, wo ich hier wohl Plasma spenden könnte.

Vor Jacks Haus angekommen, war mir irgendwie nicht nach hochgehen. Der Tag war eine Aneinanderreihung unerfreulicher Ereignisse gewesen, und ich wollte mich nicht zu allem Übel auch noch mit Colin herumschlagen müssen. Und auch nicht mit meinem Bruder.

Und schon gar nicht damit, wie stinksauer sie sein würden, wenn ich ihnen das mit dem ehemals weißen Teppich beichtete.

Stattdessen stieg ich hoch aufs Dach.

Mir war im Aufzug ein Knopf für die Dachterrasse aufgefallen, und tatsächlich, ich wurde nicht enttäuscht. Von dort oben hatte man eine atemberaubende Aussicht auf die Stadt, gerahmt von überquellenden Blumentöpfen mit leuchtend bunten Petunien und aparten Sonnenliegen.

Ich setzte mich, zog die Beine unter mich und atmete tief die frische Sommerluft ein.

Ahhhh. Es kam mir vor, als könnte ich zum ersten Mal wieder durchatmen, seit Eli ins Café spaziert war und mir gesagt hatte, wie sehr er mich nicht liebt.

War das wirklich erst zwei Tage her?

Mein Handy summte. Ich schaute nach. Eine Nachricht von derselben unbekannten Nummer wie gestern Abend.

Was hast du gerade an?

Die falsche Verbindung schon wieder? Was für ein Knallkopp. Ich schrieb zurück: Haha. Aber mal ehrlich, hat das gestern Abend wirklich funktioniert?

Das verliebte Pärchen, das an der Feuerstelle am anderen Ende der Dachterrasse saß, lachte, und ich fragte mich, wie es hier wohl um die Opossumpopulation bestellt war.

Mr Wrong Number: Nach der kalten Dusche, die du mir verpasst hast, ist mir alles vergangen. Ich bin dann gleich nach Hause und ins Bett.

Ich: Ach je, du Ärmster. Tut mir echt leid, dass ich den weltallerabgelutschtesten Versuch, jemanden ins Bett zu kriegen, vereitelt habe.

Mr Wrong Number: Du weißt doch gar nicht, ob ich irgendwen ins Bett kriegen wollte. Vielleicht habe ich ja bloß eine Umfrage zum Thema Damenoberbekleidung durchgeführt.

Ich: Ganz bestimmt.

Mr Wrong Number: Wo wir gerade dabei sind, ich mache derzeit eine Umfrage zum Thema Damenoberbekleidung. Würden Sie mir netterweise Ihre momentane Bekleidung schildern?

Ich guckte auf meine Sportshorts und schrieb: Valentino-Robe, Ferragamo-Pumps und das keckste kleine Federhütchen, das du dir vorstellen kannst. Könnte glatt von der Queen sein.

Mr Wrong Number: Du bist im Pyjama.

Ich: Quasi.

Mr Wrong Number: Einsiedlerin, freiwillig oder erzwungen?

Ich: Freiwillig. Aber irgendwie habe ich immer Pech.

Mr Wrong Number: So schlimm wird’s schon nicht sein.

Ich: Du Ahnungsloser.

Mr Wrong Number: Drei Beispiele, bitte.

Ich grinste. Irgendwie sehr befreiend, mit einem Unbekannten zu chatten.

Ich: Auf dem College habe ich mir abends mal die Zehennägel geknipst und musste danach gut einen Monat lang eine Augenklappe tragen.

Mr Wrong Number: Ekelhaft, aber beeindruckend. Nummer zwei?

Ich: Ich war mal in einem umgekippten Dixie-Klo eingesperrt.

Mr Wrong Number: Grundgütiger.

Ich: Musikfestival, Sturmböen. Das ganze Ding ist umgefallen und ausgerechnet auf die Tür gekippt. Ich habe heute noch Albträume.

Mr Wrong Number: Ich kann Nummer drei zwar kaum erwarten, aber vorher muss ich unbedingt wissen, wie lange du da drin festgesessen hast.

Ich: Zwanzig Minuten, aber gefühlt waren es Tage. Meine besoffenen Freunde haben es irgendwann geschafft, das Ding gerade so weit anzuheben, dass ich mich durch den Türspalt quetschen konnte.

Mr Wrong Number: Ich vermute, du warst …

Ich: … von Kopf bis Fuß voll Scheiße.

Mr Wrong Number: Mir kommt’s gerade hoch.

Ich: Zu Recht. Und als kleine Kirsche auf dem Sahnehäubchen der Ekeltorte endete die Geschichte damit, dass ich mich mit einem Hochdruckwasserstrahl aus einem Feuerwehrschlauch abspritzen lassen musste.

Mr Wrong Number: Wow. Nummer zwei wirst du garantiert nicht schlagen können.

Ich: Schön wär’s. Nummer zwei war bloß zum Aufwärmen.

Mr Wrong Number: Na dann mal raus mit Nummer drei.

Ich dachte kurz nach. Ich meine, es gab Hunderte peinlicher Pechmomente in meinem Leben, die ich ihm zu seinem Amüsement schildern könnte. Wie damals, als mir bei meinem ersten Date eine Bowlingkugel auf den großen Zeh geknallt war, oder als ich in einen leeren Swimmingpool gefallen war und mir den Ellbogen gebrochen hatte. Das war mein Leben. Aber ich kannte ihn nicht und er mich nicht, also entschied ich mich für die mit Abstand schmerzhafteste Geschichte von allen.

Ich: Ich habe meinem Freund – jetzt Ex – nicht nur meine bildschöne Kollegin vorgestellt, sondern ihn auch noch dazu ermutigt, gemeinsam mit ihr ein Projekt aufzuziehen, weswegen sie stunden-, ach, was sage ich, tagelang in ihrer Wohnung zusammengehockt haben.

Mr Wrong Number: Puh.

Ich: Oder? Wobei das wohl weniger Pech ist als vielmehr eigene Dummheit.

Mr Wrong Number: Ich kenne dich zwar nicht, du könntest also auch eine entlaufene Irre sein. ABER. Wenn nicht, dann finde ich es unsagbar cool, dass du den beiden dermaßen vertraut hast.

Ich hatte bisher noch überhaupt niemandem erzählt, was genau mit Eli vorgefallen war, und es tat irgendwie ganz gut, das zu hören.

Ich: Das sagst du so, aber wärst du jemals so blöde?

Mr Wrong Number: Kein Kommentar.

Ich schnaubte. Siehste?

Mr Wrong Number: Wie wäre es, wenn ich dir zur Abwechslung von einer meiner dümmsten Aktionen erzähle?

Ich: Sagtest du nicht gerade, das war nicht dumm?

Mr Wrong Number: Pst.

Ich: Bitte, nur zu.

Mr Wrong Number: Auf dem College habe ich meiner Freundin einen Antrag gemacht, allerdings ohne Ring.

Ich: Das ist doch nicht dumm.

Mr Wrong Number: Sie hat nein gesagt, und zwar mit den Worten – ich zitiere: »Würdest du mich auch nur ein kleines bisschen kennen, wüsstest du, dass ich einen Ring will.«

Ich: Puh.

Mr Wrong Number: Oder?

Ich: Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, mein Leben schon auf dem College so auf der Kette zu haben, dass ich jemandem einen Heiratsantrag machen würde. Ich habe mich bis zum Abschluss jedes Wochenende fröhlich abgeschossen.

Mr Wrong Number: Vielleicht hätte ich das auch besser gemacht.

Ich: Du bist vermutlich mittlerweile drüber weg?

Mr Wrong Number: Was verleitet dich zu der Annahme?

Ich: Weil du wahllos wildfremde Menschen fragst, was sie gerade anhaben.

Mr Wrong Number: Ich BIN drüber weg, aber du warst ein Vertipper, keine wahllose wildfremde Person. Die Nachricht war für jemand Bestimmten gedacht, schon vergessen?

Ich: Aber ja – klar doch.

Ich streckte die Beine aus und schaute hoch in den Sternenhimmel. Was für ein wunderschöner Abend. Und was für eine witzige Unterhaltung.

Mit meiner falschen Verbindung.

Himmel, mir war wirklich nicht mehr zu helfen.

Ich: Hör zu, Mr Wrong Number, du scheinst echt ein netter Kerl zu sein, aber ich habe kein Interesse an Internetbekanntschaften. Ich habe Catfish und 90 Day Fiancé gesehen. Ist so gar nicht meins.

Mr Wrong Number: Meins auch nicht.

Ich: Also dann … schönen Abend noch.

Mr Wrong Number: Wie, das war’s jetzt? Entweder Nullnummer oder Heiratsschwindler?

Ich: Leider ja.

Mr Wrong Number: Und nur der Richtigkeit halber, wir sind hier nicht im Internet.

Ich: Stimmt, kommt aber aufs selbe raus.

Mr Wrong Number: Und du findest das nicht irgendwie … unterhaltsam?

Ich: Doch, schon.

Mr Wrong Number: Und?

Ich: Und … ich bleibe bei meiner ursprünglichen Antwort. So was endet früher oder später im Fiasko.

Mr Wrong Number: Da hast du wohl recht. Vor allem bei deinem Glück.

Ich: Genau.

Mr Wrong Number: Tja dann, schönen Abend noch, Miss Misdial.

Ich: Ihnen auch einen schönen Abend, Mr Wrong Number.

Ich legte das Handy beiseite, und fast kam es mir vor, als sei ich gerade aufgewacht, als käme ich gerade nach einem ganzen Monat in einem düsteren Keller raus ans helle Tageslicht. Ich war so entspannt wie lange nicht mehr. Behaglich reckte und streckte ich mich im sanften Mondlicht und verschränkte die Hände hinterm Kopf.

Komisch, aber irgendwie war es fast, als hätte ich das Mr Wrong Number zu verdanken, dem ich mein Herz ausgeschüttet hatte. Mir war plötzlich so leicht wie lange nicht mehr. So leicht, dass ich jetzt sogar reingehen konnte.

Denn mal ehrlich, was machte es schon, wenn Jack und Colin mich für einen Blindgänger hielten? Ich mochte meinen Bruder wirklich gern, aber diese Bude war bloß ein Dach über dem Kopf, ein Platz zum Schlafen, bis ich was Eigenes gefunden hatte.

Ein verdammt netter Platz allerdings, und den würde ich jetzt genießen, verflixt noch mal. Wie ein Airbnb, nur kostenfrei.

Ich schrieb Jack eine Nachricht: Seid ihr zuhause?

Jack: Gerade am Old Market. Warum?

Jippie! Sturmfreie Bude!

Ich: Nur so. Dann viel Spaß.

Ich ging runter zum Auto, schnappte mir den Müllsack mit meinen ollen Highschool-Klamotten und machte mich schwer beladen auf den Weg nach oben. Gestern Abend war ich so durch den Wind gewesen, dass ich überhaupt nicht dazu gekommen war, mich ein bisschen in der Wohnung umzuschauen. Summend stand ich im Aufzug und kam mir zum ersten Mal, seit Eli mir dafür gedankt hatte, ihn mit seiner Seelenverwandten bekannt gemacht zu haben, wieder wie eine funktionierende, ernst zu nehmende Erwachsene vor und nicht wie eine bemitleidenswerte betrogene Versagerin.

Oben in der Wohnung ließ ich den Schlüssel auf das Tischchen neben der Tür fallen und schleifte den Müllsack ins Arbeitszimmer. Dann kippte ich ihn in einer Ecke auf dem Boden aus und wühlte mich durch die Textillawine, bis ich gefunden hatte, was ich suchte: die flauscheweiche grüne Flanell-Pyjamahose, die ich während meiner Schulzeit praktisch jede Nacht angehabt hatte, und mein CAT-Hoodie mit den Farbspritzern.

Wen scherte es schon, dass draußen Hochsommer war? In der Wohnung war es eisekalt, und die Sachen waren gemütlich warm wie eine Decke. Ich kuschelte mich tief hinein, steckte die Füße in zwei verschiedenfarbige Socken und band mir die Haare zum Pferdeschwanz zusammen. Zweimal fix in den Bluetooth-Einstellungen meines Handys herumgetippt, und schon marschierte ich entschlossen rüber in die Küche.

»Alexa, spiele Hit-It-Mix.«

»Sex Talk« dröhnte aus den Lautsprechern, und ich drehte die Lautstärke noch ein bisschen auf, während ich ausgelassen durch die schicke Wohnung hopste. Die Playlist hatte ich mal als kleinen Scherz für Eli zusammengestellt, alles Songs, die er zu unanständig fand. Aber anscheinend hatte ich selbst eine ausgeprägte Schwäche für Unanständigkeiten, denn mittlerweile liebte ich den wild zusammengewürfelten Gute-Laune-Schweinkram.

Und jetzt, nachdem Eli sich als größter Scheißkerl der Welt entpuppt hatte, war die Playlist mein ganz persönlicher Soundtrack.

Ich drehte ein paar Pirouetten auf dem polierten Küchenboden, wirbelte auf den Socken um die eigene Achse und schlenderte dann rüber zu den gigantisch großen Fenstern mit Blick über die Stadt. Ich war völlig vernarrt in dieses Eckchen. Stundenlang könnte ich hier vor den bodentiefen Panoramafenstern stehen und hinaus auf die Welt schauen.

»Willst du ein Bier?«

»Huch!« Ich fuhr auf dem Absatz herum und griff mir erschrocken ans Herz, denn da stand Colin in der Tür zu seinem Schlafzimmer, den Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen verzogen. Er trug ein schwarzes T-Shirt und Jeans, die Haare zur perfekten Elite-Uni-Frisur gestylt. »Ich wusste nicht, dass noch jemand zuhause ist.«

Er wies auf den Lautsprecher hinter ihm an der Decke. »Davon bin ich ausgegangen.«

»Ich dachte, du bist mit meinem Bruder unterwegs.« Meine Wangen fingen an zu glühen, weil Megan Thee Stallion im Hintergrund gerade ziemlich detailliert beschrieb, wie ihr Kerl es am liebsten mochte. Megalaut.

Ich schrie fast: »Alexa, stopp!«

Colins Augen blitzten, und er verschränkte die Arme vor der Brust. »Also, Bier …?«

Angesichts seines ungewohnten Charmes fragte ich: »Ist das ein Angebot, oder machst du eine Umfrage?«

»Angebot.« Er verzog das Gesicht, als wüsste er, dass er es nicht anders verdient hatte. »Wir haben einen Bierkühlschrank hinten in der Wäschekammer.«

»Ähm.« Ich strich mir die Haare hinters Ohr. »Ja, klar. Danke.« Er ging zur Tür gleich neben dem Badezimmer, und kaum war er in dem Kämmerchen verschwunden, zupfte ich rasch meinen Hoodie zurecht, damit Colin nicht gleich sah, dass ich keinen BH anhatte. Ich nahm an, er würde mir einfach ein Bier mitbringen, aber dann hörte ich ihn plötzlich von drinnen rufen: »Am besten, du suchst dir selbst was aus. Dein Bruder hat ein Faible für merkwürdiges Gebräu.«

»Okay.« Ich trottete rüber zu der winzigen Wäschekammer, wo er vor dem Kühlschrank kniete und mir seinen – wow – Knackarsch von Weltklasse präsentierte. Ich meine, sein Hinterteil sah aus, als machte er den ganzen Tag nichts als Kniebeugen und Ausfallschritte. Wer weiß, vielleicht war das seine bevorzugte Fortbewegungsart. Vielleicht knie-beugte und ausfall-schritt Colin überallhin.

Er guckte über die Schulter zu mir nach hinten. »Lacht dich irgendwas an?«

Grundgütiger. Ich räusperte mich, zeigte mit dem Finger auf die Flaschen und krächzte: »Ist das ein Vanilla Bean Blonde da über dem Mich Ultra?«

»Ist es.« Er richtete sich auf, reichte mir das Blonde und nahm sich selbst ein Boulevard. Ich schlüpfte schnell wieder aus dem Wäscheraum und ging rüber in die Küche, wo sicher irgendwo ein Flaschenöffner zu finden war. »Danke für das Bier.«

»Gerne.« Er umrundete die Frühstückstheke, zog eine Schublade auf und holte den Flaschenöffner raus. Den hielt er mir hin und sagte dann: »Ich schulde dir übrigens eine Entschuldigung.«

Ach was. Ich schnappte mir den Öffner. »Wofür genau?«

Er sah mich ernst an. »Für das, was ich heute Morgen über den Brand gesagt habe. Das war echt blöd, und es geht mich überhaupt nichts an.«

Ich ließ den Kronkorken ploppen und hob die Flasche zum Mund. »Und …?«

Ein Anflug von Verärgerung huschte über sein Gesicht. »Was meinst du mit ›und‹? Du nimmst meine Entschuldigung nicht an?«

»Ich kapier’s einfach nicht.« Er hatte echt schöne Hände – Schluss jetzt damit, Liv –, wie mir auffiel, als er sein Bier aufmachte. »Du willst dich also ernsthaft bei mir entschuldigen?«

»Hab ich das nicht gerade gesagt?«

»Ja, okay, aber du bist doch schon immer so ätzend zu mir und hast dich nie dafür entschuldigt.« Ich trank einen Schluck Bier und beguckte mir dabei über den Flaschenhals sein verdattertes Gesicht.

Er klang stinksauer, als er sagte: »Habe ich wohl.«

»Nö.«

»Tja, wenn nicht, dann nur, weil es nie ernst gemeint war.« Er schaute mir fragend ins Gesicht, als spule er gerade unsere gesamte gemeinsame Geschichte ab. »Wir haben uns doch immer gegenseitig aufgezogen. Du und ich, wie Hund und Katze, oder nicht?«

Glaubte er das wirklich? Dass seine Liv-ist-ein-Freak-Attitüde nichts als freundschaftliches Geplänkel gewesen war? Irgendwie ärgerte mich das. Dass er nicht mal wusste, dass ich ihn nicht ausstehen konnte. Ich meine, sollte er das nicht wenigstens wissen?

Aber weil wir ja jetzt unter einem Dach wohnten, ließ ich es gut sein und sagte nichts. Unser Zusammenleben würde sich wesentlich entspannter gestalten, wenn ich einfach den Mund hielte und gute Miene zum bösen Spiel machte. Und das hieß, ihm nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen. Colin zu meiden war die beste Strategie für einen friedlichen mietfreien Monat.

»Sicher.« Ich hopste vom Barhocker und schob ihn unter die Theke. »Danke noch mal für das Bier. Ich hab morgen tausend Sachen zu erledigen, also sollte ich besser bald ins Bett gehen. Wobei ich immer noch hellwach bin. Komisch, wie man plötzlich kein Auge mehr zubekommt, wenn das eigene Leben in rauchenden Trümmern vor einem liegt.«

Er grinste, und diesmal grinsten auch seine Augen mit. »Verständlich.«

Ich zuckte die Achseln. »Bestimmt schlafe ich bald wieder wie ein Stein, sobald ich den Rußgeruch endlich los bin.«

Er hüstelte, um nicht laut zu lachen. »Ist zu hoffen.«

Ich wollte schon gehen, da meinte er: »Hey, kann ich noch kurz den Drucker benutzen, ehe du ins Bett gehst? Ich muss nur eben drei Seiten ausdru…«

»Nein!« Entsetzt wirbelte ich auf dem Absatz herum und verfluchte mich für die unüberhörbare Panik in meiner Stimme. »Ich meine, hat das nicht Zeit bis morgen? Ich bin echt hundemüde.«

Stirnrunzelnd schaute er mich an. »Meintest du nicht gerade, dass du sowieso nicht schlafen kannst?«

Ich biss mir auf die Lippen und stammelte: »Da liegt überall Zeugs rum, eine furchtbare Unordnung, und ich …«

»Was hast du jetzt wieder angestellt?« Er musterte mich mit verschränkten Armen und zusammengekniffenen Augen wie ein Detektiv, der längst wusste, dass ich schuldig im Sinne der Anklage war.

Nervös zupfte ich an meinen Haaren und zog den Pferdeschwanz fester. »Gar nichts ist passiert. Ähm, ich will bloß nicht …«

»Raus damit, Marshall.«

Ich seufzte. »Na schön. Der Drucker ist kaputtgegangen, als ich ihn heute Morgen benutzen wollte. Ich hab gar nichts gemacht, er hat einfach den Geist aufgegeben. Aber das kriege ich schon wieder hin.«

»Darf ich mal sehen?«

Eigentlich wollte ich mit allen Mitteln verhindern, dass er das turmhohe Kleidergebirge sah, das sich im Arbeitszimmer auftürmte, aber es war schließlich auch seine Wohnung. »Klar.«

Ich tappte hinter ihm her ins Arbeitszimmer und sah, wie er den Müllsack und den gigantischen Klamottenberg musterte. Es war mir schrecklich peinlich, aber immerhin war unter der ganzen Unordnung nichts von dem Fleck auf dem Teppich zu sehen. »Ich weiß, was du jetzt denkst.«

»Bestimmt nicht.«

»Ich war bei meinen Eltern, und meine Mom hat mir einen ganzen Sack Klamotten mitgegeben. Und weil sie keinen Koffer hatte, musste ich halt einen Müllsack nehmen.«

»Genau das dachte ich mir.«

»Käse.«

Er zwinkerte mir bloß zu, und mir rutschte der Magen in die Kniekehlen.

Dann bückte er sich und spähte in den Drucker, dessen Tintenfach halb offen stand. »Was zum Geier ist denn hier passiert?«

»Ich musste die Klappe mit einem Schraubenzieher aufstemmen. Keine Sorge, ich hab’s gegoogelt.«

Misstrauisch beäugte er den Drucker. »Na, da bin ich aber beruhigt …«

»Ich weiß, was ich tue.«

Er sah mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank, und deutete auf die kaputte Klappe. »Ernsthaft?«

Ich zuckte nur die Achseln.

Er kramte in den Untiefen des Druckers herum und zog schließlich zwei zerknitterte Blätter Papier aus dem Papierfach. Ein paar Minuten später hatte er das Ding wieder zusammengesetzt und den Drucker zum Laufen gebracht. »Bäng.«

Ich verdrehte bloß die Augen, und er lachte. Seine blauen Augen blitzten vielsagend, als er mich mit tiefer Stimme fragte: »Kann ich sonst noch irgendwas für dich tun, Liv?«

Natürlich flirtete er nicht mit mir – blöde Frage –, aber mir wurde trotzdem ganz anders. Meine Stimme klang seltsam atemlos, als ich hauchte: »Ich glaube nicht.«

Er schaute mir einen Moment zu lange in die Augen, als hätte auch er den kleinen Funken zwischen uns bemerkt, dann brummte er: »Tja, dann gute Nacht.«

Ich schluckte schwer und ließ mich auf die Luftmatratze fallen. »Gute Nacht.«

3

OLIVIA

»Alter.« Jack saß auf einem der Barhocker und mampfte irgendwas, das nach Frühstücksburrito aussah, während er auf seinem Handy herumscrollte. Verdutzt schaute er auf, als ich reinkam, und fragte: »Wieso bist du schon auf?«

»Ich will schnell eine Runde laufen.« Wie zum Beweis stellte ich einen Fuß auf den freien Hocker und band mir die Schnürsenkel. Kein Wunder, dass er so schockiert schien. Ich war ja selbst ganz erschrocken. Sonst schlief ich eigentlich immer bis zwanzig Minuten nach dem Weckerklingeln und musste mich dann höllisch beeilen, weshalb ich mich meistens notgedrungen erst auf der Fahrt zur Arbeit schminkte. Freiwillige Frühaufsteherei war so gar nicht meins.

Ich rümpfte die Nase über den durchdringenden Burrito-Geruch. »O Mann, das stinkt ja zum Himmel.«

»Seit wann joggst du denn?« Er guckte mich an, als hätte ich gerade verkündet, mich demnächst aufs Präsidentenamt bewerben zu wollen. »Früher musste Mom dich doch immer mit einer fadenscheinigen Ausrede aus dem Sportunterricht holen, wenn mal wieder ein Fitnesstest anstand.«

»Da war ich acht.« Ich war fertig mit Schnüren und widmete mich dem anderen Schuh. »Und du musst gerade was sagen. Mom musste damals immer Mr Graham für dich anschwindeln, du hättest ein Hautproblem, nur damit du beim Schwimmunterricht das T-Shirt anlassen konntest. Ich vermute mal, das ist inzwischen Vergangenheit, genau wie meine Sportunfreude.«

»Ich glaube nicht, dass es das Wort gibt.«

»Ich glaube nicht, dass es ein Wort für dein Gesicht gibt.« Ein Tag mit meinem Bruder, und schon führte ich mich auf wie ein Kindergartenkind. Ich richtete mich auf, steckte mir die Stöpsel in die Ohren und musste mich zusammenreißen, um nicht entnervt die Augen zu verdrehen. Er konnte ja nicht ahnen, dass ich immer noch stinksauer war, weil er Colin alles haarklein erzählt hatte, und sein Haha-lustig-Gesicht mich fast zur Weißglut trieb.

Aber da er mir vorübergehend eine ziemlich nette Bleibe bot, musste ich meinen Ärger wohl oder übel herunterschlucken.

Er trank einen großen Schluck Orangensaft und meinte dann: »Und du willst wirklich morgens um halb sieben laufen gehen, wo es draußen noch dunkel ist? Ist das nicht zu gefährlich?«

»Ich habe Pfefferspray im Sport-BH. Mir passiert schon nix.«

»Weil die bösen Buben natürlich brav abwarten, bis du das Zeug aus deiner Unterwäsche gekramt hast.«

»Laber du ruhig, Jack. Es soll bloß einer wagen, sich mit mir anzulegen.« Heute war der Start der neuen, verbesserten Olivia, die regelmäßig Sport trieb, sich gesund ernährte, einen Terminplaner hatte und einen neuen Job. Und sobald wieder ein bisschen Geld in der Kasse war, würde ich mir eine ordentliche Hautpflegeserie gönnen wie eine richtige Erwachsene.

»Mom hat mich übrigens vor dir gewarnt.« Jack lehnte sich ein bisschen zurück und grinste. »Sie meinte, du seist so ›schnippisch‹, seit du wieder da bist, und würdest wegen jeder Kleinigkeit einen Streit vom Zaun brechen.«

»Ich habe leider nicht die Zeit, dir dezidiert aufzuzählen, wo unsere Mutter alles falschliegt.« Unsere Mutter war quasi eine Mittelklasse-Version von Emily Gilmore, bloß in echt.

»Stimmt das mit Eli?«

Als ich das hörte, blieb ich wie angewurzelt stehen. Betont gelassen drehte ich mich um. »Keine Ahnung – was hat sie denn gesagt?«

Immer, wenn ich seinen Namen hörte, hatte ich so ein Ziehen in der Brust. Und ich dachte, er ist der Richtige für mich.

»Nur, dass sie glaubt, dass er dich entweder eiskalt abserviert oder betrogen haben muss.« Er schob die Reste seines Rühreis mit der Rückseite der Gabel zusammen und setzte hinterher: »Sie meinte, ein anderer guter Grund, Liebesbriefe zu verbrennen, fällt ihr nicht ein.«

Ja, Mom hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Beides stimmte. Aber sie brauchte nicht alle Einzelheiten zu erfahren. In den vergangenen zwei Jahren, die ich in Chicago gewohnt hatte – eins davon mit Eli zusammen – hatte es fast ausgesehen, als hätte ich meine Zeit als Master of Desaster endgültig hinter mir gelassen. Ich hatte eine Wohnung in der Stadt, einen Freund, der auf Craft Beer und Laufen stand, und einen Job als technische Redakteurin in einem Fortune-500-Unternehmen.

Es hatte ganz danach ausgesehen, als sei Livvie endlich erwachsen geworden.

Wen kümmerte es da schon, dass ich in meinem Job bloß ein mickriges Einstiegsgehalt verdiente, von dem ich kaum die Rechnungen bezahlen konnte, dass die Wohnung, die ich abgefackelt hatte, eigentlich Elis Onkel gehörte, und dass Eli und ich uns unter der Woche kaum sahen, weil er ständig auf Geschäftsreise war.

Erst als er befördert worden und nicht mehr ständig für die Firma unterwegs gewesen war, war ihm aufgegangen, dass er mich (a) nicht mehr liebte und auch nicht wusste, ob er mich je geliebt hatte, und dass er (b) meine Arbeitskollegin mehr liebte als sein eigenes Leben.

»Wenn du es genau wissen willst, ich habe ihn wegen seiner unmöglichen Liebesbriefe abserviert. Ich meine, der Typ hat doch allen Ernstes ›Liebe‹ auf ›Getriebe‹ gereimt – unfassbar, oder?« Ich stopfte mir die Stöpsel wieder in die Ohren und schüttelte den Kopf. »Aber sag Mom bloß nichts davon, sie hat ihn immer so gemocht. Ich bin dann mal weg.«

Und damit flüchtete ich schleunigst aus der Wohnung. Im Aufzug machte ich rasch fünf Sekunden Dehnübungen. Ich hatte mich in Chicago zu einem Tanztraining an der Stange angemeldet, zu dem ich auch tatsächlich ein paar Mal im Monat gegangen war, ich war also nicht völlig aus der Übung. Es würde schon irgendwie gehen.

Nur leider … ging es nicht.

Oder vielmehr lief es nicht. Ich joggte ganze zwei – zwei – Wohnblocks weit, bis ich keuchend stehen bleiben und mir die Hände auf den Kopf legen musste. Japsend stand ich da und sah kleine Sternchen und schnappte angestrengt nach Luft, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen, als mir aufging, dass ich genau vor einem Starbucks herumkeuchte.

Yes.

Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht und drückte die Tür auf. Fast konnte ich den köstlich cremigen Frappuccino schon schmecken, als der herrliche Kaffeeduft mir entgegenschlug. Das passte zwar irgendwie nicht ganz zu meiner runderneuerten Olivia, aber ein kleiner Kaffee würde bestimmt nicht schaden.

Drinnen wimmelte es nur so von Frühaufstehern, alles hyperehrgeizige Business-Typen, die schon um diese Uhrzeit im smarten Anzug auf der Überholspur die Gewinnerstraße entlangrasten. Bisher nicht unbedingt meine Szene, aber vielleicht würde sich das ja bald ändern. Gemächlich schlenderte ich ans Ende der Schlange und stellte mich hinter zwei Anzugträger, die gerade über jemanden namens Teddy herzogen, während ich versuchte, unauffällig ein bisschen was von ihrer Erfolgsausstrahlung aufzusaugen.

Erst, als ich an die Theke trat und meine Bestellung aufgab, fiel es mir siedend heiß wieder ein. Verdammter Mist. Ich hatte nicht mal mehr hundert Kröten auf dem Konto. Und das würde auch noch eine ganze Weile so bleiben – ich sollte das mit dem Kaffee also lieber lassen.

Genauso, wie mich als erwachsenen Menschen zu bezeichnen, aber das war wieder eine andere Geschichte.

»O nein«, sagte ich zu der Barista, »ich glaube, ich hab mein Portemonnaie vergessen.« Das war nicht mal gelogen. Ich hatte tatsächlich kein Portemonnaie dabei, bezahlte aber sonst immer mit der App, es wäre also eigentlich gar kein Problem gewesen. Mit glühenden Wangen klopfte ich demonstrativ meine Taschen ab wie eine Blöde, um mich dann bei der freundlich lächelnden Barista zu entschuldigen. »Es tut mir so leid. Ich habe ganz vergessen, meine App aufzula…«

»Der geht auf mich«, erwiderte sie und zwinkerte mir verschwörerisch zu. »Dein Name für den Becher?«

»Ähm, Olivia.« Ich war glatt ein bisschen gerührt. »Das ist aber nett, vielen lieben Dank.«

Ich trat einen Schritt beiseite, um auf meinen Kaffee zu warten, sehr angetan von meinem neuen Leben, denn ich schien ausnahmsweise mal Glück zu haben. Das musste doch ein kosmisches Zeichen sein, oder? Mein Name wurde aufgerufen, ich schnappte mir den Becher, zog den Strohhalm aus der Hülle und trank einen großen Schluck kosmischen Glückskaffee.

Mhm, gut.