Fake Skating - Lynn Painter - E-Book

Fake Skating E-Book

Lynn Painter

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Beschreibung

Als Kinder waren Dani und der nerdige, liebenswerte Alec unzertrennlich. Doch dann zog Danis Familie weg, und der Kontakt brach ab. Jetzt, zehn Jahre später, kehrt sie nach der schmerzhaften Scheidung ihrer Eltern mit ihrer Mutter zurück nach Minnesota, um bei ihrem Großvater zu leben. Dani kann es nicht erwarten, Alec wiederzusehen. Aber der 17-jährige Alec hat nichts mehr mit ihrem besten Freund von damals gemein. Er ist DER Eishockey-Star der Stadt, und die Stadt feiert ihre Hockeyspieler wie Götter. Scharen von weiblichen Fans bekommen schwache Knie, wenn Alec auftaucht. Und er genießt es in vollen Zügen. Dani geht das alles ziemlich auf die Nerven – doch insgeheim muss sie sich fragen, ob das Alec- und Hockeyfieber nicht auch sie längst erwischt hat ...

Für alle, die diese Tropes lieben:
Childhood Best Friend
Fake Dates
Sports Romance
Found Family

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Seitenzahl: 560

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Buch

Als Kinder waren Dani und der nerdige, liebenswerte Alec unzertrennlich. Doch dann zog Danis Familie weg, und der Kontakt brach ab. Jetzt, zehn Jahre später, kehrt sie nach der schmerzhaften Scheidung ihrer Eltern mit ihrer Mutter zurück nach Minnesota, um bei ihrem Großvater zu leben. Dani kann es nicht erwarten, Alec wiederzusehen. Aber der 17-jährige Alec hat nichts mehr mit ihrem besten Freund von damals gemein. Er ist DER Eishockey-Star der Stadt, und die Stadt feiert ihre Hockeyspieler wie Götter. Scharen von weiblichen Fans bekommen schwache Knie, wenn Alec auftaucht. Und er genießt es in vollen Zügen. Dani geht das alles ziemlich auf die Nerven – doch insgeheim muss sie sich fragen, ob das Alec- und Hockeyfieber nicht auch sie längst erwischt hat …

Weitere Informationen zu Lynn Painter

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

Lynn Painter

Fake Skating

Roman

Übersetzt

von Bettina Hengesbach

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2025 unter dem Titel »Fake Skating« bei Simon & Schuster, Inc., New York.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstveröffentlichung Oktober 2025

Copyright © 2025 by Lynn Painter

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2025

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Published by arrangement with Simon & Schuster

Books For Young Readers

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotive: UNO Werbeagentur GmbH

nach einer Vorlage von Sarah Creech/Simon & Schuster

unter Verwendung von Bildmaterial von Liz Casal

Redaktion: Dr. Ann-Catherine Geuder

MR · Herstellung: ik

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN: 978-3-641-33780-3V001

www.goldmann-verlag.de

Wie du bist, muss für niemand anderen Sinn ergeben.

Du bist genau so, wie du sein solltest.

DUBISTPERFEKT.

Und auch wenn du ihnen vielleicht noch nicht begegnet bist, gibt es Menschen, die dich lieben werden, weil du bist, wie du bist.

Prolog

Alec

Das konnte echt nicht wahr sein.

Dani Collins würde nach Southview ziehen.

»Unmöglich«, murmelte ich bei mir, während ich das Gaspedal durchtrat.

Noch vor einer Stunde war mein Leben normal gewesen. Ich war nach dem Training zur Tür hereinspaziert und hatte ein paar Schalen Gulasch verdrückt, während mein Dad vom neuen Duck-Boat seines Kumpels erzählte, doch gerade als ich den Tisch verlassen wollte, hatte meine Mom die Neuigkeiten ausgepackt.

Aufgeregt hatte sie berichtet, dass Danis Eltern sich scheiden ließen und Dani nun mit ihrer Mom zu ihrem Grandpa ziehen würde. Sie quietschte richtig vor Freude, weil es so unglaublich toll wäre, sie endlich in unserer Nähe zu haben.

Stell dir doch mal vor, wie oft wir sie jetzt sehen können!

Ich lächelte und nickte brav, während ich mich gleichzeitig bemühte, nicht vollkommen auszurasten, weil ich sie bald jeden Tag würde sehen müssen.

Dani Collins.

Würde herziehen.

Nach Southview. Verdammt noch mal!

Ich ließ mir eine Ausrede einfallen, um so schnell wie möglich das Haus verlassen zu können, denn ich brauchte Luft – und Musik –, während ich diese unerwartete Wendung verdaute. Ich hatte eine Cousine, die für jeden Moment ihres Lebens Soundtracks zusammenstellte, und diese leicht obsessive Angewohnheit hatte so sehr auf mich abgefärbt, dass ich mich nicht mehr ohne Hintergrundmusik mit der harten Realität auseinandersetzen konnte.

Also stieg ich in meinen Burrito (ein abgewrackter Olds Alero von 2003) und ließ auf voller Dröhnung »Escorpião« laufen, den brasilianischen Song, den ich nicht verstand, aber verdammt noch mal liebte. Ich wusste zumindest, dass die Worte in etwa den üblichen »I love you«-Bullshit bedeuteten, und das genügte mir.

Aber fast als hätte Burrito seinen eigenen Kopf, fuhr ich auf einmal über den kaum sichtbaren, nicht gepflasterten Waldweg am See entlang. Ich lenkte den Wagen auf den von Schnee bedeckten Pfad, bis ich den alten verlassenen Schuppen sah, der einst »unser Ort« gewesen war.

Was zur Hölle mache ich hier?

Es war ein ruhiger Abend, der hohe Schnee dämpfte alle Geräusche, und bis auf das Knirschen des Schnees unter meinen Schuhsohlen war es still, als ich aus dem Wagen stieg und mich auf den Verschlag zubewegte. Er hatte schon immer ausgesehen, als könnte er jeden Moment in sich zusammenfallen, und daran hatte sich nichts geändert, seitdem ich zuletzt hier gewesen war.

In dem Sommer nach der siebten Klasse.

Ich drückte die Tür des verlassenen Schuppens auf und trat ein, wobei ich fast damit rechnete, dass mir ein Rudel Waschbären ins Gesicht springen würde. Es war dunkler als dunkel, aber als ich die Taschenlampe meines Handys einschaltete, fühlte es sich an, als hätte mir jemand einen Puck gegen die Brust geschmettert – wie konnte es noch genauso aussehen?

Die Stühle, die wir aus der Werkstatt meines Dads gestohlen hatten, um unser lächerlich kleines Clubhouse zu möblieren, waren noch da, genau wie das riesige Loch im Dach, das wir unser Dachfenster genannt hatten.

Heilige Scheiße.

Ich schluckte und schaute zum Mond hinauf. Alles an »unserem Ort« war gleich geblieben. Und – wem machte ich etwas vor – genauso war es mit der Erinnerung an sie. An Dani.

Und dem letzten Mal, als ich sie gesehen hatte.

Vor (so ungefähr) fünf Jahren

»Ich will noch nicht nach Hause.«

Ich betrachtete Danis Profil, während sie nach oben zum Mond sah, und konnte nicht glauben, dass sie schon abhauen musste. Wir saßen nebeneinander auf einer Decke im Schuppen am See, und ich ließ die Untertreibung des Jahrhunderts los. »Das ist megakacke.«

Dani und ihre Mom kamen jeden Sommer für einen Monat her – ein Monat, in dem unsere Mütter (beste Freundinnen) vierundzwanzig-sieben miteinander abhingen und wir jeden Tag machen durften, was wir wollten. Wir fuhren Fahrrad, gingen angeln, spazierten meilenweit, wobei wir über alles debattierten, verbrachten Zeit im Schwimmbad … Es war die reinste Sommerperfektion.

Schon seit ich denken konnte, war es ein jährliches Event gewesen.

Im wahrsten Sinne des Wortes.

Der Grund für ihren jährlichen Besuch waren Danis Großeltern, doch weil Dani die meiste Zeit mit mir und bei mir zu Hause (oder in unserer Schuppen-Location) verbrachte, fühlte es sich immer an wie unser Urlaub.

Und es war ungelogen der beste Teil der Sommerferien.

Denn für einen Monat des Jahres war sie meine beste Freundin.

Dreißig Tage lang alberten wir jedes Jahr rum und lachten uns halb tot, und dann ging es für sie zurück zu der jeweiligen Air Force Base, an der ihr Dad gerade stationiert war, bis wieder die Zeit der Glühwürmchen kam.

Aber jetzt reisten sie schon nach zwei Tagen wieder ab. Diesmal waren sie für die Beerdigung ihrer Grandma gekommen, und diesmal hatte ihr arschiger Dad – der Colonel – sie begleitet.

Was ein riesengroßer Fehler gewesen war, denn seine Anwesenheit hatte alles zu einer Katastrophe gemacht.

Es war auf die schlimmstmögliche Art episch gewesen.

Mick – Danis Grandpa – war ausgetickt und hatte seinen Schwiegersohn – Danis Dad – nach der Beerdigung beschimpft. Er hatte gesagt, Mr Collins wäre schuld daran, dass seine Frau an einem gebrochenen Herzen gestorben sei, weil er ihr die Tochter entrissen und sie quer durch das ganze Land geschleppt habe. Dann hatte Mick ihm vor allen Leuten an den Kopf geknallt, dass er dorthin zurückgehen solle, wo auch immer zur Hölle er gerade stationiert sei.

Jep – Albtraum.

Und jetzt flogen sie morgen früh schon wieder.

Was bedeutete, wir würden nicht zu Kriz’s Bakery gehen, wo wir immer an einem klebrigen Tisch saßen und anhand der Kleidung der Kundschaft zu erraten versuchten, welche Donuts sie bestellen würden.

Eine unserer (vielen) jährlichen Traditionen.

»Ich weiß, das macht mich zu einer total miesen Person«, sagte Dani und schaute mich aus ihren braunen, viel zu traurigen Augen an, »aber ich bin mehr darüber enttäuscht, keinen ganzen Monat hierbleiben zu können, als über diesen dämlichen Familienstreit.«

Und dann sah ich es.

Sie hatte Tränen in den Augen.

Leute mit Tränen in den Augen zu sehen, machte mich nervös; mit »ernst« konnte ich nicht gut umgehen. Aber die sarkastischste Person der Welt traurig zu sehen?

Das machte mich fertig.

»Collins.« Ich stupste ihre Schulter mit meiner an, denn ich musste sie unbedingt aufheitern. »Wenn du heulst, das schwöre ich dir, werfe ich dich in den See.«

Sie stieß ein Lachen aus. »Wow, du drohst mir mit Dingen, die du niemals schaffen würdest, wie wir beide wissen.« Ihre Stimme klang erstickt. »Mega Badass.«

»Du bist total gemein«, scherzte ich.

»Und du bist total klein«, zog sie mich auf, ein Witz, der nicht schmerzte, weil ich nicht klein war – sie war nur größer als alle anderen.

»Du bist übrigens kein mieser Mensch«, sagte ich, als ich bemerkte, dass in ihren Augen immer noch so ein Schimmern lag, das in mir den Wunsch weckte, ihrem Grandpa in den Hintern zu treten. »Du darfst traurig darüber sein, dass du nicht hierbleiben kannst.«

Sie schluckte und biss sich auf die Unterlippe, als würde sie versuchen, sich zusammenzureißen.

»Ich meine, ich bin traurig«, gab ich zu, und meine Stimme brach, weil ich wirklich traurig war. Wie sollte ich den Sommer überstehen, ohne mit Dani um die Häuser zu ziehen?

»Bist du das?« Ihre Stimme klang so leise, dass sie kaum mehr als ein Flüstern war. Ihr Blick glitt über mein Gesicht. »Wirklich?«

Ich nickte und spürte einen stechenden Schmerz in der Brust, als ich sah, dass ihr eine Träne über die Wange lief, weil es nicht sein konnte, dass sie weinte.

Das konnte sie nicht tun.

Auf einmal veränderte sich das ganze Universum, ich wollte einfach nur, dass sie aufhörte. Sofort.

Alles war falsch, wenn sie nicht glücklich war.

Denn Dani stand für leuchtende Augen und ansteckendes Gelächter. Dani war das reinste Glück.

Ehe ich mich versah, wischte ich ihr mit dem Daumen ihre Tränen von den Wangen und bemühte mich, zu schlucken, während sie mich ansah, als könne sie sich keinen Reim darauf machen, was hier gerade passierte.

»Ich weiß auch nicht«, gestand ich, denn bisher hatten wir immer die Gedanken des anderen lesen können, und ich hatte keine Ahnung, warum ich sie auf einmal küssen wollte. »Ich weiß nicht, was das hier ist.«

»Same«, sagte sie und nickte. Ihr Blick huschte zu meinem Mund, und im nächsten Moment hämmerte mein Puls.

»Sollen wir?«, fragte – nein, hauchte – ich, während mir auffiel, dass meine Daumen immer noch über ihre weiche Haut strichen.

Habe ich sie gerade ernsthaft gefragt (ohne es auszusprechen), ob wir uns küssen sollen?

Was zur Hölle geht hier ab?

»Ich meine, irgendwann muss es doch zum ersten Mal passieren.« Sie schien meine Gedanken zu lesen, was den Kuss betraf, und ich sah den entschlossenen Blick in ihren Augen, der bedeutete, dass sie sich etwas fest in den Kopf gesetzt hatte.

Niemand war so all in wie Dani, wenn es darum ging, Pläne zu schmieden. Sie war bereit, bei fast allem mitzumachen. Ich fragte mich immer, ob das nur die Urlaubsversion von Dani war oder ob sie zu Hause genauso war.

»Dann sollten wir … es vielleicht tun?« Ihr Tonfall klang fragend.

Ich wusste einfach nicht, wie wir an diesen Punkt gekommen waren.

Heilige Scheiße.

»Meinst du das ernst?« Meine Stimme klang ein wenig erstickt. Sollten meine Hände immer noch ihr Gesicht berühren?

Was zur Hölle …?

Warum klang das nach einer guten Idee, obwohl es Dani war?

»Ich glaube schon.« Ihre Augen tanzten, die Traurigkeit war verflogen.

Vielleicht wäre ich in der Lage gewesen, das Ruder rumzureißen, im Namen unserer Freundschaft so zu tun, als ob wir nie darüber nachgedacht hätten, aber dann sah sie mich so an, und es war vorbei.

Sie sah mich an, als wollte sie mich küssen. Als würde sie darauf warten, dass ich mich vorbeugte.

Und verdammt, ich träumte schon viel zu lange davon, sie zu küssen, als dass ich in diesem Moment stark bleiben könnte.

»Dann komm näher, Collins.«

Ich atmete durch die Nase ein, während mir mein Gehirn kristallklare Erinnerungen daran lieferte, wie ich mich zusammen mit ihr auf die Decke gelegt und mich mit ihr zusammen verloren hatte. Der Geruch des Schuppens – eine Mischung aus Erde und Zedern und nostalgischer Sehnsucht – half nicht gerade. Die Gerüche waren mir so verflucht vertraut, dass ich den Drang verspürte, an der Wand entlang zu der Ecke zu gehen, wo wir mit Edding unsinnigen Bullshit an die Wand gekritzelt hatten, nur um sehen, ob unsere seit Langem vergessenen Kunstwerke noch da waren.

Aber noch im gleichen Moment, in dem mir dieser Gedanke durch den Kopf schoss, erinnerte ich mich an den Rest.

Und ich wollte mich an gar nichts mehr erinnern.

Denn obwohl es schon mehrere Jahre her war, war ich immer noch angepisst. Logisch betrachtet sollte es Schnee von gestern sein. Ich sollte darüber hinweg sein.

Aber während ich nach Hause fuhr, wurde mir klar, dass ich es nicht war.

Kein bisschen sogar.

Wir mochten mittlerweile älter sein, und vielleicht war es irrational, aber ich hasste Dani Collins immer noch für das, was sie nach dem Abend, an dem wir uns geküsst hatten, getan hatte.

»Te quero bem«, é o caralhi,

Eu vou acabar contigo.

Was übersetzt bedeutet:

»Ich liebe dich« ist Bullshit,

Ich werde mit dir Schluss machen.

1

Februar – 12. Klasse

Dani

»Wach auf – wir sind da.«

Ich öffnete die Augen, doch anstatt meines Zimmers sah ich Schnee und grauen Himmel durch das kalte Fenster, an dem meine Stirn lehnte.

Die gleichen Dinge, die ich unzählige Stunden angestarrt hatte, bevor ich eingeschlafen war.

Verdammt – das passiert gerade wirklich.

»Erinnere mich noch mal daran, warum wir hierherziehen«, sagte ich und beugte mich runter, um wieder in meine Converse zu schlüpfen. Wir fuhren schon seit sieben Stunden in einem Umzugswagen, der vollbeladen mit unserem Zeug war (das fälschlicherweise an unsere alte Adresse in Minot geschickt worden war – danke, Air Force), damit wir an einen Ort ziehen konnten, an dem meterweise Schnee lag und der Windchill-Faktor unter null Grad lag – wie sollte das irgendeinen Sinn ergeben? »Ich meine, warum nicht nach Kalifornien?«

»Das haben wir doch schon besprochen. Zu teuer, zu heiß im Sommer, und du wirst super gerne hier wohnen.« Meine Mom stellte den Motor ab und zog den Schlüssel aus der Zündung. »Als du noch jünger warst, hat es dir hier gefallen, weißt du noch?«

Mir hat es hier wegen Alec gefallen.

Mein Magen verknotete sich sofort beim Gedanken an ihn und die Realität, dass ich ihm begegnen musste, nachdem er mich geghostet und unsere Fernfreundschaft aufgegeben hatte. Ich fürchtete mich mit jeder Faser meines Körpers vor diesem unangenehmen Wiedersehen und war immer noch leicht angepisst, aber ich hatte auch die Hoffnung, dass Alec, wenn der peinliche Moment erst mal vorbei war, das Beste an unserem Umzug hierher sein würde.

Oder dass sich der Umzug dank ihm ein bisschen weniger schrecklich anfühlen würde.

Denn Alec Barczewski war für mich schon immer wie ein Sonnenstrahl mit der beinahe unheimlichen Fähigkeit gewesen, alles besser zu machen. Wir hatten uns lange nicht gesehen, und natürlich waren wir mittlerweile andere Menschen, aber tief in meinem Herzen wusste ich, mein nerdiger Freund würde dafür sorgen, dass es sich okay anfühlte.

»Einen Ort zu lieben, den man einmal im Jahr – im Sommer – besucht, ist was total anderes, als das ganze Jahr hier zu wohnen«, murrte ich, öffnete die Tür und hüpfte aus dem Truck, wobei mir der eisige Wind so plötzlich gegen die Wangen peitschte, dass ich mir schnell die Kapuze meiner Jacke über den Kopf zog. »Besonders bei diesen miesen Temperaturen im Winter.«

Mein Gott, es fühlt sich an, als wären Splitter aus Glas in diesem Wind. Waaarum entscheiden sich Leute, an einem so kalten Ort zu wohnen?

»Hör auf zu maulen. Ich hab gerade im Drive-Through von White Castle haltgemacht, um dir einen Burger mit Pommes zu holen.« Sie kam um den Wagen herum, packte meinen Arm, zog mich an sich und schloss die Tür.

»Im Ernst?« Mein Magen knurrte, und als ich runter zu meinem Jutebeutel blickte, nahm ich den Duft von Zwiebeln wahr. »Die perfekte letzte Mahlzeit, bevor ich erfriere, vielen Dank.«

»Und jetzt sind wir offiziell Einwohnerinnen von Southview«, verkündete sie mit einer erschreckenden Endgültigkeit. »Ob’s dir passt oder nicht.«

Ich seufzte und dachte, auf keinen Fall, während ich den Burger hervorholte und davon abbiss. Kauend betrachtete ich das große weiße Haus vor uns, wobei sich mein Magen vor Angst zusammenzog.

Was nur logisch war, denn als ich das letzte Mal hier gewesen war, hatten mein Dad und ich schweigend unser Gepäck in den Wagen geladen, während meine Mom sich in der Einfahrt mit meinem Grandpa gestritten hatte.

Du hast deine Familie und dein ganzes Leben aufgegeben, um diesen Arsch von Ort zu Ort zu begleiten – hat es sich gelohnt? Gefällt es dir, so ohne richtiges Zuhause? Und dass deine Tochter nicht mal weiß, wie es ist, eine echte Familie zu haben?

»Er scheint nicht zu Hause zu sein«, sagte ich und betrachtete die zugezogenen Vorhänge und die leere Einfahrt. »Er weiß doch, dass wir kommen, oder?«

»Natürlich ist er zu Hause. Er hat seinen Wagen wahrscheinlich nur in die Garage gestellt.«

»Er parkt nie in der Garage«, korrigierte ich sie, nahm zwei weitere große Bissen und sprach mit vollem Mund weiter. »Da ist doch sein ganzes Werkzeug.«

Oder zumindest war das früher immer so gewesen, bevor er sich entschieden hatte, den Kontakt zu uns abzubrechen.

»Es ist ein paar Jahre her – vielleicht hat er ausgemistet«, gab Mom zu bedenken. »Und sprich nicht mit vollem Mund.«

»Dann fang kein Gespräch mit mir an, wenn ich esse.«

Als wir zur Tür kamen, stellte sich heraus, dass er tatsächlich nicht zu Hause war.

Meine Mom schenkte mir ein Lächeln und tat so, als wäre das in Ordnung, aber zwischen ihre Augenbrauen trat eine Falte, die mir verriet, dass sie nervös war. Sie wählte seine Nummer, hob ihr Handy ans Ohr und kaute auf ihrer Unterlippe herum, während sie darauf wartete, dass er dranging.

»Oh, Dad. Hi.« Ihre Worte erzeugten kleine Dampfwölkchen in der kalten Luft. »Wir sind gerade mit dem Umzugswagen angekommen – bist du auf dem Weg?«

Ich verschränkte meine Arme und versuchte, nicht zu erfrieren, während ich zusah, wie sie seiner Antwort lauschte.

Es klang nicht gut.

Die Falte zwischen ihren Brauen blieb dort, wo sie war, was mich nur störte, war, dass meine Mom jetzt auch noch begann, auf und ab zu gehen.

»Nun, das weiß ich. Ja, es ist in Ordnung«, sagte sie, »aber wir dachten, du würdest hier sein, um uns zu helfen.«

Na klasse! Grandpa Mick hatte sich am Tag unseres Umzugs verdrückt. Ich wäre sauer, wenn mir nicht zu kalt gewesen wäre, um irgendeine menschliche Emotion zu empfinden.

Meine Wut war ein Eiszapfen.

»Klar. Das verstehe ich«, fuhr Mom fort. »Aber du wusstest, dass wir kommen, oder?«

Natürlich wusste er, dass wir kommen. Wahrscheinlich war das seine Art, uns den Stinkefinger zu zeigen.

Gott, ich konnte immer noch nicht glauben, dass wir bei ihm einzogen.

Fairerweise sei erwähnt, dass ich eine Kindheit voller guter Erinnerungen an Grandpa Mick hatte. So still und mürrisch der Mann auch war, er hatte mir Angeln und Eislaufen beigebracht und mich sein »Danigirl« genannt, während er mich auf seinen Schultern durch die Gegend getragen hatte.

Aber all diese Erinnerungen waren überschrieben worden, als er meine Eltern und mich auf der Beerdigung meiner Grandma vor die Tür gesetzt hatte.

Vor der gesamten Trauergesellschaft.

Deshalb war es immer noch unfassbar für mich, dass wir aus irgendeinem unerklärlichen Grund in sein Haus ziehen würden, als wäre dieser Albtraum nie passiert.

Genau genommen hatte er uns in der oberen Etage eine eigene Wohnung gebaut – und meine Mom fing immer wieder davon an, als würde das einen Riesenunterschied machen –, aber ich kapierte trotzdem nicht, warum das eine gute Idee sein sollte.

Ja klar, lass uns bei dem grummeligen alten Typen einziehen, der niemanden mag und besonders uns nicht.

Es würde einfach mega werden.

»Ah, okay«, sagte Mom nun ins Telefon. »Das ist in Ordnung. Wir haben nichts Schweres, also legen wir einfach ohne dich los.« Sie nickte, beendete das Gespräch und hob den Finger, bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte. »Ich will kein Wort hören, okay?«

»O Mann.« Ich schüttelte den Kopf. »Was ist los? Was hat er gemacht?«

»Nichts.« Sie zuckte mit den Schultern, als wäre alles wunderbar. »Er musste nur einem Freund mit seinem Boot in Minnetonka helfen.«

Ich wartete auf mehr, aber das war offenbar alles.

»Und …? Wie weit ist das weg? Wie lange dauert es, bis er damit fertig ist, einem Freund mit seinem Boot zu helfen?« Sobald mir die Worte über die Lippen gekommen waren, war ich noch genervter davon, wie lächerlich das alles war. »Außerdem hocken wir hier in der verdammten Tundra – was soll man bei diesem Wetter mit einem Boot anfangen? Jeder Tropfen Wasser in der Gegend ist gefroren.«

»Verflucht, Dani, wir sind in Minnesota«, versetzte meine Mom, mittlerweile ungehalten. »Hier werden das ganze Jahr über Boote genutzt!«

Ich machte den Mund auf, wusste aber nicht, was ich darauf erwidern sollte.

»Ich glaub, mir ist gerade ein genialer Slogan für die Touristikbranche eingefallen.« Ihre Stirn glättete sich, und ihr Mund verzog sich zu einem kleinen Schmunzeln. »Lass uns anfangen, unsere Sachen reinzubringen. Er kommt, sobald er fertig ist.«

»Wir sollen unser Zeug alleine reintragen – im Ernst?« Ich hatte mein Kinn im Kragen meines Mantels vergraben, um mich von dem eisigen Wind abzuschirmen.

»Ich kauf dir eine große Pizza und ein verfluchtes Pony, wenn du aufhörst, so verdammt sarkastisch zu sein, und mir einfach hilfst, die Kisten ins Haus zu schleppen.« Sie zog einen Schlüsselbund aus der Tasche.

»Kann ich die Pizza essen, während ich auf dem Pony reite?«

»Nur wenn du vorsichtig bist.«

»Na schön, ich bin am Start.« Ich sah zu, wie sie die Fliegengittertür am Eingang öffnete. »Aber ich hab den Eindruck, mein Pessimismus kommt gerade erst richtig in Schwung.«

Meine Mom steckte ihren Schlüssel ins Schloss – ja, der Schlüssel aus ihrer Kindheit passte immer noch –, und wir traten ein. Das Erdgeschoss kam mir vor wie ein Throwback, denn nichts schien sich seit meinem letzten Besuch verändert zu haben. Der einzige Unterschied war, dass es nicht mehr nach Cookies roch; meine Grandma hatte immer Chocolate Chip Cookies gebacken, wenn wir kamen.

Aber als wir zur Treppe gelangten, sahen wir beim Blick nach oben nicht den Flur der ersten Etage, sondern eine Doppeltür aus Mattglas, durch die man nicht hindurchsehen konnte, durch die aber natürliches Licht fiel, sodass sie aussah, als würde sie leuchten.

»Wow«, stieß Mom aus und lief die Treppe hoch.

»Ja. Wow.«

Die erste Etage war vollkommen verändert. Der warme Holzfußboden und die weißen Leisten verliehen dem Stockwerk eine moderne, minimalistische Note, ganz im Gegensatz zum Erdgeschoss, das definitiv einen Alter-Mann-Vibe hatte. Aus zwei Schlafzimmern war mittlerweile ein Wohnzimmer geworden – die Wand war entfernt worden –, und es sah aus, als wäre es schon immer so gewesen. Dank der großen Fenster wirkte das Zimmer hell – zu hell bei dem ganzen verdammten Schnee –, und ein weißer Backsteinkamin befand sich in der Mitte einer Wand, umgeben von Bücherregalen.

»Das ist unglaublich«, sagte Mom atemlos.

Ich hatte Mühe, mir in Erinnerung zu rufen, wie es hier vorher ausgesehen hatte.

Die beiden verbliebenen Schlafzimmer mit den neuen Möbeln waren genauso schön. Das Badezimmer war riesig, und die kleine Kochnische bot alles, was zwei nicht kochende Menschen brauchten.

Dann öffnete meine Mom die zweite Doppeltür neben dem Kamin, wo wir eine Terrasse vorfanden, von der eine Treppe runter zur Garage hinter dem Haus führte, wo wir geparkt hatten.

Die Wohnung hatte tatsächlich einen eigenen Eingang.

»Bist du dir sicher, dass er das alles selbst renoviert hat?«, fragte ich staunend. Ich wusste, dass Grandpa Mick eine Holzwerkstatt hatte und gern Dinge baute, aber das war wirklich ein anderes Level.

»Vollkommen.« Für einen Moment sah es aus, als hätte sie Tränen in den Augen, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Okay, lass uns loslegen.«

Wir gingen nach draußen zum Umzugswagen und begannen, die Sachen ins Haus zu tragen, aber da nur wir zwei am Werk waren, würde es vermutlich ewig dauern. Es gab so viele Kisten mit unseren Habseligkeiten – Bücher und Kleidung und Bilder und Schuhe –, und sie eine nach der anderen reinzutragen, ging deprimierend langsam voran.

»Dani?«

Als ich die Stimme hörte, drehte ich mich um, doch es dauerte einen Moment, bis ich den hochgewachsenen Typen mit dem Blazer erkannte, der mich angrinste, wobei Dampfwölkchen vor seinem Gesicht aufstiegen. Er war größer und hatte mittlerweile Bartwuchs, aber heilige Scheiße, er war es wirklich.

»Benji?«

Benji hatte schon immer neben meinen Großeltern gewohnt, oder besser gesagt war es sein Dad, der nebenan wohnte, denn Benji verbrachte nur hin und wieder ein Wochenende hier. Seine Mutter, bei der er die meiste Zeit über wohnte, war stinkreich und lebte in einem Anwesen am See.

In einer sehr exklusiven bewachten Wohnanlage.

Alec hatte ihn immer King Douche genannt – lange bevor wir alt genug waren, um das Wort »Douche« zu benutzen –, weil er auf eine teure Jungenschule ging und sich aufführte, als wäre er besser als alle anderen.

Du hast ein Fahrrad zum Geburtstag bekommen? Wie witzig ist das denn? Ich hab ein Rennpferd namens Titus bekommen.

»Mittlerweile nennen mich alle Ben«, sagte er mit einem seltsamen Grinsen. »Und darf ich euch helfen? Bitte?«

Er gestikulierte zu der ausgebeulten Kiste, die aussah, als würde ihr Boden jeden Moment nachgeben.

»Danke«, sagte ich, als er danach griff, und dachte an unsere letzte Begegnung zurück.

Gott, ich hatte diesen Tag komplett vergessen.

Es war vor ein paar Jahren gewesen; wir waren hergeflogen, damit Mom Alecs Dad nach seinem Autounfall im Krankenhaus besuchen konnte. Ein paar Tage später sollten wir nach Deutschland ziehen, also hatten wir nur wenige Stunden, die wir in den Twin Cities verbringen konnten, und Benji hatte im selben Flieger gesessen, mit dem wir aus Minot gekommen waren.

Ich war schockiert gewesen, als er seinen Platz mit einem Typen mittleren Alters getauscht hatte, damit er neben mir sitzen konnte, aber nach ein paar Minuten unterhielten wir uns wie alte Freunde, obwohl wir das nicht waren. Was mich damals total überrascht hatte, denn Benji hatte sich Alec und mir gegenüber immer wie ein totaler Arsch aufgeführt, als wir noch klein waren.

Damals fühlte ich mich aber so einsam, dass die Tatsache, dass er so freundlich zu mir war … na ja, angenehm war, auch wenn er natürlich trotzdem ein arschiges Rich Kid blieb (der Typ zeigte mir ungelogen fünfzig Fotos von sich auf dem Handy, auf denen er unter anderem mit nacktem Oberkörper an einem Strand auf Bali auf einem Pferd ritt). Alec war zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr Teil meines Lebens gewesen, weswegen ich mich dazu entschieden hatte, nicht mit meiner Mom zum Krankenhaus zu fahren, denn ich fürchtete, Alec würde mich nicht dahaben wollen – aus Gründen, die ich bis heute nicht recht benennen konnte. Benji war freundlich und warm und tröstlich gewesen – was mir überraschend gut gefallen hatte.

Als ich nun über Benjis Schulter sah, bemerkte ich das Auto, das mit laufendem Motor in der Einfahrt meines Grandpas stand.

»Wow, ist das dein Wagen?«

Ich selbst stand nicht auf Autos, mein Dad dafür umso mehr, deshalb wusste ich, dass es ein Maserati Grecale war.

Natürlich fuhr Benji einen hunderttausend Dollar teuren SUV.

»Ja«, antwortete er mit einem Lächeln, das so stolz wirkte, als hätte er die Karre selbst gebaut. »Lust, um den Block zu cruisen? Und dich auf den heizbaren Sitzen aufzuwärmen?«

Abartig. »Sorry, aber ich hab hier echt noch zu tun.« Ich deutete mit dem Kinn auf die Kiste, die ich hielt.

»Ach ja?« Er lächelte enttäuscht. »Die kommt nach drinnen?«

»Jep.«

»Super.« Er nickte und steuerte das Haus an. »Warum tragt ihr eigentlich die Kisten rein?«

»Ach, weißt du«, sagte ich, während ich nach der Stehlampe griff und ihm folgte, »wir ziehen hier ein.«

»Was? Meinst du das ernst?« Er stellte die Frage, als könnte er es nicht glauben, sei aber positiv überrascht. Als würde er sich darüber freuen. »Ihr zieht nach Southview?«

»Ja.« Ich streckte meine Hand nach der Klinke aus und hielt ihm die Tür auf. »Meine Mom und ich ziehen zu meinem Grandpa.«

»Kann nicht sein.« Er betrat das Haus.

»O doch.« Schon wieder verknotete sich mein Magen, weil ich es absolut hasste, umzuziehen. Ich wusste aus Erfahrung, dass mir die nächsten paar Monate meines Lebens nicht gefallen würden, der Rest blieb abzuwarten. Konnte besser werden, konnte schlimmer werden. »Ab jetzt bin ich hier wohl zu Hause.«

»Na, das sind ja tolle Neuigkeiten.« Benji strahlte übers ganze Gesicht. »Meine Wochenenden bei Dad sind gerade um einiges interessanter geworden.«

Ich wusste nicht wirklich, was er damit meinte, aber um ehrlich zu sein, war mir das auch egal. Wenn ich an einen neuen Ort zog, war ich dankbar für jeden Menschen, den ich in die Verbündeten-Kategorie einordnen konnte, ob er nun ein harmloser reicher Douchebag war oder nicht.

Schade nur, dass er auf eine schicke Privatschule ging, sonst hätte ich tatsächlich jemanden an meiner Highschool gekannt.

»Danke, wir betreten auch nicht euren Rasen«, scherzte ich.

»Glaub mir, der winzige Garten meines Dads ist mein geringstes Problem«, erwiderte er abfällig.

Ihm schien es schon immer peinlich gewesen zu sein, dass sein Dad ein ganz normaler Typ aus der Mittelschicht war, was in mir die Frage aufwarf, warum seine Eltern überhaupt jemals zusammengekommen waren – selbst wenn es nur kurz war.

»War schön, dich zu sehen«, sagte er und stellte die Kiste ab. Ich hatte ehrlich gesagt gehofft, dass Benji uns länger helfen würde, aber das konnte ich knicken, so wie er vollkommen ohne Selbstironie den Kragen seiner Jacke aufstellte. »Willkommen zu Hause.«

Argh, wie soll das mein Zuhause sein?

Ich lächelte nur und nickte, denn ich wusste wirklich nicht, was ich zu dieser Version von Benji – ähem, ich meine Ben – sagen sollte.

Bitte lungere hier nicht noch länger rum.

Wie können deine Zähne so weiß sein?

Lebt Titus noch?

»Willst du meine Nummer haben?«, fragte er. Ich musste eindeutig verwirrt wirken, denn er fügte eilig hinzu: »Falls ihr irgendwas braucht, ich meine, ihr seid doch neu in der Stadt und so.«

»Oh«, erwiderte ich unbeholfen. »Ähm …«

»Das wäre super.« Meine Mom war plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht und bedachte mich mit einem »Sei nett«-Blick. »Wäre es doch, oder, Dani?«

»Ja«, stimmte ich ihr zu und zwang mich zu einem fröhlichen Grinsen, während ich mein Handy aus der Tasche holte. »Das wäre super.«

Er tippte seine Nummer in meine Kontaktliste ein – Ben Worthington –, und dann war er schon wieder verschwunden, denn angeblich musste er zum Training.

Ich konnte förmlich hören, wie Alec einen Witz darüber riss, was für einen Loser-Sport unser kleiner Benji wohl trieb – Plätzchen-Dippen? Speed-Halstuch-Binden? –, denn der Typ wirkte viel zu vornehm, um irgendwas zu tun, wobei man schwitzte.

»Benji-Boy sieht mittlerweile ganz gut aus«, merkte meine Mom mit einem Schmunzeln an. »Und scheint noch immer ganz verzaubert von dir zu sein.«

»Er nennt sich jetzt Ben, Mutter, und wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass ›verzaubert‹ ein schreckliches Wort ist.« Ich war mir selbst nicht sicher, warum Ben so lustig klang, aber das tat es.

Irgendwie hatte ich allein deshalb Lust, ihn für immer Benji zu nennen.

»Hatten wir – ich bitte um Verzeihung«, erwiderte sie grinsend und sah aus dem Fenster. »Lieber Gott, ist das ein Maserati?«

»Jep.«

In dem Moment begann jemand zu hupen, und als ich mich umdrehte, sah ich, dass ein großer schwarzer Truck hinter dem schicken Wagen vorfuhr. Wer immer hinter dem Steuer saß, hupte immer und immer wieder ungeduldig – bis Ben endlich wegfuhr.

Ich lachte, als ich mir vorstellte, wie Benji die Nase über den mit Schneematsch bespritzten F-250 rümpfte, bis ich sah, wie der Truck energisch in die Einfahrt hinter unseren Umzugswagen gelenkt wurde.

Dann stieg er aus.

Er sah aus irgendeinem Grund größer – und stärker – aus, als ich ihn in Erinnerung hatte, und ich hätte schwören können, dass er leise fluchte, als er die Wagentür zuschlug und zu Benjis Haus blickte.

Grandpa Mick.

»Sieht aus, als wäre Daddy zu Hause«, sagte Mom, lächelte dabei jedoch, als wäre sein Verhalten lustig.

Ich wusste, dass sie viele Telefonate mit ihm geführt hatte, seit meine Eltern sich getrennt und wir Deutschland verlassen hatten, also war es gut möglich, dass sich mein Grandpa ihre Toleranz für seine mürrische Art mittlerweile verdient hatte.

Bei mir sah das allerdings anders aus.

Denn welcher Großvater hörte bitte einfach auf, mit seinem Enkelkind zu sprechen?

Ich wappnete mich, hatte Angst vor dem Wiedersehen, das bestimmt schrecklich unangenehm werden würde. Wahrscheinlich würde er sich bei mir entschuldigen, und wahrscheinlich würde ich lügen und so was wie »Ach, schon in Ordnung« sagen müssen, ihn umarmen und so tun, als wäre das längst Schnee von gestern.

Ich hoffe, er weint nicht.

Die Tür flog so schwungvoll auf, als hätte er sie aufgetreten, und auf einmal stand er da und sah eher aus wie ein Charakter aus einem Actionfilm statt wie ein Großvater.

»Ich kann nicht glauben, dass dieses kleine Arschloch meine Einfahrt blockiert hat – warum war Worthington überhaupt hier?« Er setzte seine Ray-Ban-Sonnenbrille ab, und trotz seiner Wut auf den Nachbarn spürte ich etwas Warmes in meiner Brust, als ich seine Augen sah. Wahrscheinlich, weil seine Augen noch genauso aussahen wie zu der Zeit, als dieser Mann noch mein Lieblingsmensch gewesen war.

Obwohl er ein totaler Blödmann war, wollte ein Teil von mir ihn umarmen. Unbedingt.

»Er hat Dani geholfen, eine Kiste reinzutragen«, erklärte meine Mom, während sie den Raum durchquerte, um ihn zu umarmen. »Benji wollte nur nett sein.«

»Da bin ich mir sicher«, murrte er, zog seine Tochter jedoch in eine feste Umarmung und küsste sie auf den Kopf. »Wie war die Fahrt?«

»Gut. Kalt«, antwortete sie, und als sie sich von ihm löste, fiel mir der Ausdruck auf, der auf ihren Zügen lag. Sie wirkte entspannt, zum ersten Mal seit … Wow, vielleicht hatte ich sie noch nie so erlebt. Sie grinste ihren Vater breit an. »Dani hat sich offiziell in einen Eiswürfel verwandelt.«

»Hm. Heute ist es doch gar nicht so schlimm dort draußen.« Er zuckte mit den Schultern und schaute mich an.

Da ich nicht wusste, was ich sagen sollte, stieß ich nur einen merkwürdigen Laut aus, der klang wie ein Räuspern, denn Grandpas Blick auf mir machte mich … nervös.

Er starrte mich an, als suchte er nach irgendetwas, als versuchte er, einen Gegenstand zu finden, der irgendwo an mir versteckt worden war. Ich biss mir auf die Lippen und wand mich unter seinem aufmerksamen Blick, doch dann wurde mir klar, dass er wahrscheinlich nur nach den richtigen Worten suchte, um sich zu entschuldigen.

Ich meine, wie bitte schön sollte man eine Entschuldigung dafür formulieren, dass man eine Person jahrelang ignoriert hatte? Hör zu, Kiddo, ich bin ein Arschloch, hätte funktionieren können, oder auch Lass uns über den arschigen Elefanten im Raum sprechen.

Ich verschränkte die Arme, und mir stockte der Atem, als sich die Stille hinzog, aber dann öffnete er endlich den Mund.

»Du bist groß geworden.«

Du bist groß geworden.

Wie bitte?

»Du bist groß geworden«?

Das ist alles, was du zu sagen hast?

Ich räusperte mich und strich mir die Haare hinters Ohr. »Ich bin eins siebzig.«

»Ja.« Er nickte, als hätte ich damit irgendetwas bestätigt. »Ziemlich groß für ein Mädchen.«

Was geht hier ab?

Er sah mich weiter an und nickte, doch ich kam vor Scham fast um. Dem Mann, der mich sein Boot hatte lenken lassen, als ich vier war, weil ich sein »Danigirl« war, fiel nichts Besseres ein als höflicher Groß-für-ein-Mädchen-Small-Talk?

So ein wichtiger Moment.

So eine grandiose Entschuldigung.

»Dann hole ich mal ein paar mehr Kisten rein«, verkündete ich, zeigte zur Tür und verdrückte mich schnell aus dem Zimmer, bevor er die Chance hatte, weitere Fragen zu stellen, etwa über meine Schuhgröße oder ob ich eingelegte Gurken auf meinem Burger mochte.

»Wir kommen gleich nach«, rief mir meine Mom hinterher, aber das war mir egal.

Mit einem Mal war ich voll bei der Sache, was das Kistenschleppen betraf, denn das gab mir die Möglichkeit, mein neues Leben noch ein paar Stunden länger aufzuschieben.

Und es funktionierte.

Als der Umzugswagen endlich leer und ich im Begriff war, reinzugehen, um mich in dem Zimmer zu verbarrikadieren, das nun offiziell meins war, hielt Mom mich auf. »Bist du bereit fürs Abendessen?«

Ich wollte – wirklich – unnahbar bleiben, aber in Wahrheit war ich vollkommen ausgehungert. Und durchgefroren. Und erschöpft.

Eine warme Mahlzeit klang himmlisch.

»Ich kann fahren.« Grandpa Mick zog seine Schlüssel hervor und drückte auf die Starttaste seines Trucks. »Sie wohnen doch noch auf der Fairacre Road, oder?«

Moment.

»Ja«, antwortete meine Mom. »Ich hol nur schnell meine Tasche und schließ den Wagen ab, wenn ihr schon einsteigen wollt.«

Moment, Moment, Moment. Fairacre Road.

Was??

»Wohin fahren wir?«, fragte ich ruhig, obwohl ich die Antwort längst kannte und mir das Herz in die Hose gerutscht war.

»Zu den Barczewskis«, antwortete meine Mom, als wäre das selbstverständlich. »Sarah bekocht uns heute.«

»Was? Davon hast du mir nichts erzählt.« Meine Stimme klang ein wenig lauter als beabsichtigt.

»Doch, da bin ich mir ziemlich sicher, aber hast du ein Problem damit?« Sie sah mich merkwürdig an, und ich konnte spüren, dass Grandpa Micks Blick auch auf mir ruhte. »Ich dachte, du würdest dich freuen.«

»Ja, schon«, log ich und versuchte, cool zu bleiben, denn ich wollte nicht, dass meine Mom nachhakte, warum ich Alec nicht sehen wollte. Sie glaubte, wir hätten uns vor fünf Jahren im Guten voneinander verabschiedet, und das war’s.

Was ja auch stimmte, aber sie wusste nichts von den Postkarten, die wir uns jahrelang heimlich geschickt hatten. Postkarten, die eines Tages nicht mehr gekommen waren.

Das war es, was mir Angst machte.

Die Scham darüber, geghostet worden zu sein.

»Aber wir waren doch den ganzen Tag mit dem Umzugswagen unterwegs und haben gerade erst alles ausgeladen«, gab ich zu bedenken und hoffte zum tausendsten Mal, dass sich Alec nicht mal mehr an dieses alberne Postkartending erinnerte.

Das alberne Postkartending, das in meinen Augen alles andere als albern gewesen war.

Aber whatever.

»Ich fühl mich nicht gerade frisch und bereit, Leute zu sehen – ich bin nach dem Umzug total durch den Wind.« Ich wusste, es war vermutlich unwichtig, aber ich wollte nicht, dass Alec mich nach all den Jahren ausgerechnet in diesem Zustand wiedersah – mit Jogginghose und einem Messy Bun.

»Ich meine, wenn du lieber hierbleiben willst«, sagte Grandpa Mick langsam, »kann ich auch hierbleiben, und wir bestellen Pizza oder so.«

Meine Mom und ich schauten gleichzeitig abrupt in seine Richtung, denn … das kam unerwartet. Wollte er etwa Zeit mit mir verbringen? Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.

»Nein«, versetzte meine Mom und zeigte auf ihn. »Du bist ungesellig und isst nichts außer Mikrowellenfertiggerichte. Sarah hat dich eingeladen und für uns gekocht, also fahren wir hin, Ende vom Lied.«

»Gott, ich hab vergessen, wie herrisch du bist«, entgegnete mein Grandpa, aber irgendetwas in seinem Blick verriet, dass er es schätzte.

»Von wem ich das wohl hab?« Sie verdrehte die Augen. »Ich geh jetzt meine Tasche holen, und dann fahren wir. Bewegt euren Hintern in den Truck.«

Sie drehte sich um und ließ mich mit Grandpa in der Einfahrt stehen.

Er sah mich nicht mal an, als er seine Tür öffnete und sagte: »Es ist wahrscheinlich schon warm im Auto.«

»Oh. Cool.« Ich öffnete die hintere Wagentür, kletterte rein und bemühte mich, ruhig zu bleiben, obwohl ich gleich Alec wiedersehen würde.

Gott, schon in wenigen Minuten.

Wie kann das nur passieren?

2

Alec

»Hi, Schatz. Wie war es auf der Arbeit?«

»Gut.« Ich zog die Küchentür hinter mir zu und kickte meine Schuhe weg. »Zum Glück ruhig.«

Ich arbeitete jedes Wochenende (und immer, wenn ich darüber hinaus Zeit hatte, um ehrlich zu sein) im Haushaltswarenladen meines Onkels. Während der Eishockeysaison arbeitete ich normalerweise nur sonntags, aber da wir diese Woche ein Spiel am Abend zuvor und heute nur ein frühes Training hatten, hatte ich eine zusätzliche Schicht am Samstag übernehmen können.

Was mir gut in den Kram passte, weil ich neue Schlittschuhe brauchte.

Am besten gestern.

»Wenn du geduscht hast, kannst du dann dafür sorgen, dass die Zwillinge vorzeigbar aussehen?« Meine Mom war dabei, auf der Kücheninsel Teig zu kneten – Bierbrot! –, und auf dem Herd standen drei Töpfe, in denen etwas köchelte.

Ich hätte vor Freude heulen können wie ein Baby, denn ich war total ausgehungert.

»Sie gucken im Keller fern«, fügte sie hinzu. »Dad sollte sie eigentlich fertig machen, aber Andy ist vorbeigekommen, also hat er es wahrscheinlich vergessen.«

»Ja, aber warum?« Ich zog meine Jacke aus, war dabei besonders vorsichtig bei meinem linken Arm, und hängte sie an einen Haken. »Andy ist es doch egal, wie sie aussehen.«

Andy war der beste Freund meines Vaters und quasi ein zusätzliches Familienmitglied.

»Die Boches kommen zum Abendessen«, antwortete sie gelassen und konzentrierte sich wieder auf das Brot.

Die Boches?

»Was genau soll das denn heißen?«

Ich war selbst beeindruckt darüber, wie gechillt ich klang, obwohl ich mich fühlte, als hätte mir jemand einen Tritt verpasst.

Sie konnte unmöglich meinen, dass Dani heute Abend zu Besuch kam.

Sie hatte Dani und Hannah nicht mehr erwähnt, seitdem sie mir letzten Monat offenbart hatte, dass sie herziehen würden, und ich hatte mir in dieser Zeit Hoffnungen gemacht, dass sich an ihren Plänen etwas geändert haben könnte.

Dass sie zum Abendessen kommen würden, hätte ich definitiv nicht erwartet.

»Mick, Dani und Hannah«, sagte sie. »Wer sonst?«

»Das sind jetzt ›die Boches‹?«, fragte ich, denn Dani und Hannah hatten bisher nicht Hannahs Mädchennamen getragen.

Oder zumindest wusste ich nichts davon.

»Na ja, Dani heißt immer noch Collins. Aber Hannah heißt wieder Boche.« Das sagte sie mit einem triumphierenden Lächeln, wahrscheinlich, weil sie den Colonel nie hatte leiden können.

Ich fühlte mich mittlerweile, als hätte mir jemand ein Gewicht auf die Brust gelegt.

Es durfte nicht wahr sein.

Mir war klar, dass ich ihr früher oder später begegnen würde, aber warum ausgerechnet heute Abend, wo meine Schulter mich umbrachte und ich mir nichts mehr wünschte, als zu essen und ins Bett zu fallen? Alles wäre mir heute zu viel gewesen, aber Dani zu sehen?

Nope.

»Und sie kommen heute zum Abendessen?« Ich öffnete die Tür des Kühlschranks, schaute hinein und versuchte zu verdauen, dass sie in einer Stunde hier sein würde, in unserer Küche.

Auf keinen verdammten Fall.

Sie zu sehen, wäre schon kacke genug, aber mit ihr und meiner Familie zusammen zu essen, die sie immer geliebt hatte und ihr zu Füßen gelegen hatte und sie behandelt hatte, als wäre sie eine geliebte Nichte, wäre richtig beschissen.

»Hi, Sarah«, hörte ich hinter mir, als die Tür geöffnet wurde und ein kalter Luftzug hereinwehte.

Ich drehte mich in dem Moment um, in dem Doug (der andere beste Freund meines Dads) die Tür hinter sich zuknallte. »Kommt Mick Boche echt zum Abendessen?«, fragte er meine Mom.

»Gott, ich hab John gesagt, er soll die Klappe halten«, erwiderte sie, grinste aber.

Mick Boche – Danis Grandpa – war eine Eishockeylegende. Er war der beste Spieler, den es jemals in Southview gegeben hatte, und ein Superstar-Enforcer in der NHL gewesen, bis ihn eine Verletzung dazu gezwungen hatte, sich nach vier Saisons zur Ruhe zu setzen.

Und obwohl er im Ort lebte, war der Kerl nicht sonderlich gesellig, wodurch er noch mehr zu einem geheimnisvollen Idol geworden war. Wenn man ihn irgendwo sah, wurden die Leute immer total aufgeregt und unbeholfen.

»Dann stimmt es also«, sagte er, während er seine Stiefel auszog und um mich herumging, um sich ein Busch Light aus dem Kühlschrank zu nehmen. »Wir brechen heute Abend das Brot mit Mick fucking Boche? Heilige Scheiße.«

»Du machst gar nichts«, erwiderte sie und zeigte auf ihn. »Das ist kein Meet and Greet für Fans, sondern ein nettes Familienabendessen, und er ist nun mal zufällig ihr Dad.«

»Und ich gehöre nicht zur Familie? Gutes Spiel gestern übrigens, Al.«

»Nein, tust du nicht«, entgegnete sie.

»Danke«, sagte ich im gleichen Moment.

»Sarah, komm schon.« Doug schenkte mir ein Lächeln, ehe er sich wieder meiner Mom zuwandte. »Du musst mir erlauben, hierzubleiben. Du isst heute mit meinem Idol, in Gottes Namen, und alles, worum ich dich bitte, ist, mich mit an den Tisch setzen und Zeuge dieser Großartigkeit werden zu dürfen. Ich sage auch kein Wort, und ich werde …«

»Du sagst immer ein Wort – zu viele, um genau zu sein –, und die Antwort ist Nein.«

»Er kann meinen Platz haben.« Ich schloss die Kühlschranktür. »Ich will einfach nur ins Bett und pennen.«

»Das kannst du gerne tun«, erwiderte sie in ihrem autoritären Tonfall. »Nach dem Abendessen. Außerdem dachte ich, du könntest es kaum erwarten, sie zu sehen.«

»Das stimmt ja auch«, log ich, »aber wenn sie jetzt hier wohnen, kann ich sie doch andauernd sehen, oder?«

»Ich geh mal in den Keller«, verkündete Doug. »Aber ich komme zum Essen wieder hoch«, brüllte er von unten.

»Nein, tust du nicht, Doug …«

»Was höre ich denn da über Mick Boche, der angeblich zum Essen kommt?« Wieder öffnete sich die Tür, und diesmal trat Ed, ein weiterer Kumpel meines Vaters, ein und ging geradewegs zum Kühlschrank. »Hi, Al – tolles Spiel gestern Abend.«

»Danke«, sagte ich.

»Das stimmt, aber du kommst nicht zum Essen«, erwiderte meine Mom, ohne auch nur aufzublicken.

»Das meint sie nicht so«, rief Doug von unten.

»Aber Big John hat gesagt, ich darf«, log Ed, denn alle wussten, dass mein Dad nicht die Eier hatte, um sich meiner Mom zu widersetzen. »Er hat sogar versprochen, dass ich gegenüber von Mick sitzen darf.«

»Bullshit«, murmelte ich.

»War einen Versuch wert, oder?«, flüsterte er mir mit einem Zwinkern zu.

»Geh runter, bevor ich dir wehtue, Ed«, warnte meine Mom, und das hieß mit anderen Worten, dass sie einknickte, was ihre Keine-Fanboys-am-Tisch-Regel betraf.

Was es ein bisschen weniger schrecklich machen würde.

Ich konnte mich auf mehr Leute konzentrieren, während ich so tat, als wäre Dani Collins nicht bei uns zu Hause.

Aber shit – es war nicht fair.

Ich hatte im Moment genug Sorgen.

Sie wiederzusehen – bei mir zu Hause –, war einfach zu viel.

Ich kann nicht glauben, dass sie gleich hier sein wird.

Dass wir uns unterhalten müssen.

Fuck!

Ich folgte Ed in den Keller und war positiv überrascht, zu sehen, dass die Zwillinge vollständig angezogen waren und offenbar nicht meine Hilfe brauchten. Gott sei Dank. Ich half meiner Mom immer gerne bei allem, was so anstand, aber Fünfjährige waren manchmal echt anstrengend. Cole und Ashton starrten auf den kleinen Fernseher in der Spielecke des Raumes, voll und ganz vertieft in ihre Serie über Hunde, die Verbrechen bekämpften, während mein Dad und seine Kumpels den Sportsender ESPN auf dem großen Bildschirm schauten.

»Wie war die Arbeit, Junge?«, fragte mein Dad, umfasste den Griff seines Stocks und stemmte sich langsam aus seinem Sessel hoch. Seine Augen verengten sich, und er zuckte zusammen, als er sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet hatte. Mir wurde bewusst, dass ich mich kaum noch an die Zeit erinnerte, als er sich ohne Schmerzen bewegen konnte.

»Ruhig zum Glück.«

»Was für ein Spiel gestern Abend, Al«, lobte Andy vom Sofa aus. »Wie schlimm ist es um deine Schulter bestellt?«

Alter, wenn du wüsstest …

»Alles gut«, log ich. »Blau-violett, aber nicht zu dunkel.«

»Gut.«

»Mom hat mich gebeten, nach den Zwillingen zu sehen, bevor ich unter die Dusche springe«, sagte ich zu meinem Vater. »Wie ist die Stimmung?«

»Sie sind vollkommen in Disney vertieft, also geh ruhig duschen. Die Boches kommen in einer Stunde.«

»So nennen wir sie jetzt?« Ich war mir nicht sicher, ob ich das nervig fand. »Die Boches?«

So hatten wir sie nie genannt.

»Ich wiederhole nur das, was deine Mutter mir erzählt hat, das weißt du doch.«

Auf dem Weg nach oben und selbst noch, als ich die Dusche anstellte, nervte es mich mit einem Mal tierisch, besonders weil der Bluetooth-Lautsprecher »Little League« spielte, den Song, der mich immer an sie denken ließ.

An uns, damals.

When we were younger,

We didn’t know how it would be.

»Nächstes Lied«, rief ich dem Lautsprecher zu.

Alles an diesem unerwarteten geselligen Abend nervte mich höllisch. Dann waren sie eben nach Southview gezogen – warum war das so eine große Sache, verdammt noch mal?

Menschen zogen andauernd um.

Ich stieß die Luft durch die Zähne aus, als ich mir mein Shirt über den Kopf zog, denn shiiit.

Es wurde immer schlimmer.

Meine Schulter machte keine allzu großen Probleme, wenn ich spielte, aber aus irgendeinem Grund brachten mich einfache Dinge, wie meinen Arm über den Kopf zu heben oder mich anzuziehen, in letzter Zeit fast um.

Obwohl ich meine Schmerzen in regelmäßigen Abständen im Wechsel mit Ibuprofen, Tylenol und Eis behandelte.

Ich legte mein Handy neben dem Waschbecken ab und wollte gerade in die Dusche treten, als ich eine Nachricht bekam.

Vinny:

Zacks Lagerfeuer ist heute, und offenbar gehen alle hin.

Das Wort »alle« in Kombination mit »Lagerfeuer« gehörte nicht mehr zu meinem Vokabular.

Ich sollte mich aus jeglichem Ärger raushalten.

Ich musste mich aus jeglichem Ärger raushalten und Partys meiden, die außer Kontrolle geraten konnten.

Aber als ich mich unter das heiße Wasser stellte und mich so drehte, dass der Strahl auf meine pochende Schulter traf, die mir höllische Sorgen bereitete, weil ich es mir nicht leisten konnte – sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne –, wegen einer Verletzung auszufallen, geriet ich in Versuchung.

Mich ein bisschen zu betäuben, war vielleicht doch keine schlechte Idee.

3

Dani

Es sieht noch genauso aus wie früher.

Grandpa Mick stellte den Motor ab, und beim Anblick des Hauses fühlte ich mich in der Zeit zurückversetzt.

Mein liebster Ort auf der ganzen Welt.

Oder na ja … zumindest war es früher so gewesen.

Die Barczewskis wohnten in einem kleinen grauen Haus im Cape-Cod-Stil mit weißen Fensterläden und einem gebogenen Pfad, der im Sommer stets von Blumen – Taglilien und Rosen – gesäumt war und zur Tür führte.

Heute war der Pfad zwar von kniehohen Schneehaufen umgeben, doch er wirkte aus irgendeinem Grund immer noch lächerlich charmant.

Aber auch Angst einflößend.

Einschüchternd.

Ich war unglaublich nervös, weil ich gleich dieses Haus betreten musste.

In sozialen Situationen war ich nie entspannt. Nie. Ich dachte über jedes einzelne Wort nach und machte mir viel zu viel Sorgen über die winzigsten Details. Ich grübelte, was die anderen wohl über mich dachten, hinterfragte mein Aussehen, mein Verhalten. Schon unter normalen Umständen bekam ich in Situationen, in denen ich mich mit anderen umgeben musste, Angstzustände.

Aber heute Abend … war es zehnmal schlimmer.

Der Gedanke daran, diese Leute wiederzusehen, die ich einst abgöttisch geliebt hatte, die jetzt aber Fremde für mich waren, machte mir noch größere Angst.

Hauptsächlich, weil ich nicht wusste, wie es mit Alec laufen würde.

Ich starrte aus dem Fenster und wünschte, ich wüsste, ob es für ihn nur noch eine dunkle Erinnerung war und er kaum noch an die Postkarten dachte oder daran, dass er den Kontakt abgebrochen hatte, oder ob ihm nichts anderes durch den Kopf gehen würde, wenn er mich ansah.

Da ist die Loserin, die mir Postkarten geschickt hat.

Gott, ich konnte nicht glauben, dass ich ihn wiedersehen würde.

Und wie sollte ich in dieses Gesicht schauen, das früher für mich wie ein offenes Buch gewesen war, und erneut seine Gedanken lesen, nachdem ich ihn fünf Jahre lang nicht gesehen hatte? Und das alles im Beisein unserer Familien?

Es war zu viel, und meine Atmung ging zu schnell.

Ganz ruhig, sagte ich mir. Ich atmete durch die Nase ein und zählte bewusst langsam, versuchte, mir ins Gedächtnis zu rufen, wie ich eine Panikattacke am besten abwenden konnte.

»Alles okay?«

Ich wandte den Blick vom Fenster ab und sah, dass Grandpa Mick mich durch den Rückspiegel beobachtete. Seine Miene war genauso ernst wie schon den ganzen Nachmittag, aber er schien mich kein bisschen zu bewerten oder zu verurteilen.

»Ja.« Ich räusperte mich. »Alles bestens.« Ich schämte mich, weil er offenbar erkannt hatte, dass irgendetwas in mir vorging.

»Ich freu mich ja so!« Meine Mom sprang aus dem Wagen und schlug die Tür zu.

Sie hatte diese Begeisterung verdient. Nach so vielen Jahren, in denen sie woanders gewohnt hatte und ihre Freundinnen und Verwandten nicht hatte sehen können, hatte sie dem Umzug entgegengefiebert wie ein Kind Weihnachten.

Und das verstand ich.

Meine Mom war eine gesellige Person, die sich sehr lange mit einem einsamen, ungeselligen Leben zufriedengegeben hatte. Meistens hatte es nur uns drei – Dad, Mom und mich – gegeben, da wir von Stützpunkt zu Stützpunkt gezogen waren, und während es für mich normal gewesen war, da ich nie etwas anderes gekannt hatte, hatte es sie sichtlich belastet.

Sie hatte sich deswegen extrem oft mit meinem Dad gestritten.

Gerade als ich aus dem Truck kletterte, flog die Haustür auf, und Sarah stand vor uns. Sie rief den Namen meiner Mutter und rannte den Pfad entlang, ohne anzuhalten, bis sie Mom in eine feste Umarmung zog. Die beiden quietschten, sagten unverständliche Worte, und Mom sah so verdammt glücklich aus.

Wieder schaute ich meinen Grandpa an und stellte fest, dass er meinen Blick erwiderte. Es fühlte sich an, als würden wir in unserem stillen Austausch … irgendetwas miteinander teilen, während meine Mom vor Freude quiekte.

Als Nächstes umarmte mich Sarah, die – wie immer – nach frischer Wäsche roch. »Sieh dich nur an«, murmelte sie an meinem Haar. »Du bist so wunderschön, Dani!«

Ich liebte Sarah und erwiderte ihre Umarmung ganz fest.

»Und wie geht es dir, Mick?«, fragte sie meinen Grandpa.

Ich glaube, er wollte »Gut« antworten, was ihm aber eher als Grunzen über die Lippen kam.

»Oh, super«, erwiderte Sarah.

Zum ersten Mal seit unserer Ankunft wollte ich laut loslachen.

»Dani, das wurde aber auch Zeit!« Big John stand im Türrahmen, und es war unmöglich, nicht zu grinsen, als er mich in eine große Bärenumarmung zog. Er war schon immer mein Lieblingsonkel gewesen, auch wenn wir streng genommen nicht miteinander verwandt waren. Allein die lang gezogenen Vokale seines nördlichen Akzents zu hören, rief ein warmes Gefühl in mir wach.

Es war ein bisschen schockierend, ihn mit Gehstock zu sehen – ich war ihm seit dem Unfall nicht begegnet –, aber so wie es damals geklungen hatte, war es ein Wunder, dass er überhaupt noch aufrecht stehen konnte.

»Wie war die Fahrt?«, fragte er mich.

»Nervig«, antwortete ich, als er von mir abließ. »Zu lang, zu kalt, zu langweilig.«

»Dabei ist es erst Anfang Februar, Liebes.« Er grinste. »Fühlt sich heute an wie ein knackiger Herbsttag. Du musst dich dringend abhärten.«

»Du klingst echt durchgeknallt, wenn du so was sagst.«

»Und du klingst wie meine kleine Lieblingsbesserwisserin«, konterte er. »Es ist viel zu lange her. Wie läuft’s, Mick?«

Mein Grandpa gab ein weiteres Grunzen von sich.

»Ach echt?«, erwiderte Big John.

Sarah und meine Mom waren von der ersten Sekunde in eine angeregte Unterhaltung vertieft – so war es schon immer gewesen – und gingen kichernd und kreischend in die Küche.

Nervös folgte ich ihnen und fragte mich, wo Alec war.

In der Küche?

Oben in seinem Zimmer?

Würde er aus einem Schrank springen?

Gott, ich musste es schleunigst hinter mich bringen.

»Wer bist du denn?«, ertönte es hinter mir, und als ich mich umdrehte, sah ich zwei kleine Kinder – einen Jungen und ein Mädchen –, die neben der Treppe standen. Sie sahen aus wie ungefähr vier oder fünf, beide trugen Vikings-Hoodies, und sie warteten offenbar darauf, dass ich ihre Frage beantwortete.

»Ich bin Dani.«

»Nein, das ist ein Jungenname«, stellte das Mädchen mit gerunzelter Stirn fest. Eine halb angezogene Barbie baumelte von ihrer Faust herab.

»Es ist aber wirklich mein Name«, entgegnete ich und fragte mich, warum ich mich vor einem kleinen Kind rechtfertigte.

»Mir gefallen deine Haare«, sagte der Junge und nickte knapp. »Dein Dutt ist echt fett.«

»Äh, danke.« Ich hob eine Hand an mein verstrubbeltes Haar und warf meinem Grandpa einen Blick zu, der kurz so aussah, als müsste er grinsen.

Aber nur kurz.

»Kannst du glauben, dass wir noch mehr Kinder bekommen haben?«, sagte John und schüttelte den Kopf, als könnte er es selbst nicht glauben.

»Moment – das sind eure?« Ich war total schockiert. »Die beiden sind eure Kinder?«

»Whoa – jetzt guck doch nicht so erschrocken.« Er grinste. »So alt sind wir nun auch wieder nicht.«

»Nein, darum geht es nicht«, erklärte ich lachend. »Ich hatte nur einfach keine Ahnung. Meine Mom hat es mir nicht erzählt.«

Sie hatte penibel darauf geachtet, nichts über Minnesota von sich zu geben, wenn mein Dad in der Nähe war, weil er diesem Ort für alles die Schuld gab, also war es nicht sonderlich überraschend, dass sie vergessen hatte, etwas so Wichtiges zu erwähnen.

Ich sah wieder zu den Zwillingen, und jetzt erkannte ich die Ähnlichkeit. Sie sahen aus wie Alec. Dunkles Haar, dunkle Augen, verschmitzte Gesichter; sie waren wie kleine Klone.

Kleine Klone der Person, die er früher gewesen war.

Ich wollte John fragen, was Alec davon hielt, der große Bruder zu sein, doch aus irgendeinem Grund hatte ich sogar Angst, seinen Namen auszusprechen.

Aber er schien meine Gedanken zu lesen.

»Al musste übrigens seine Freunde noch irgendwo absetzen, aber er sollte bald zurück sein.«

»Oh.« Ich wusste nicht recht, was ich darauf erwidern sollte, denn ich wollte nicht zu interessiert wirken, doch auch nicht zu desinteressiert.

»Ich glaub nicht, dass er rechtzeitig wieder hier ist, um mit uns zu essen, aber du wirst ihn bestimmt noch sehen.«

»Okay, cool.« Ich war erleichtert darüber, dass er nicht beim Dinner dabei sein würde, und spürte, dass ich mich ein wenig entspannte. Mir blieb noch mindestens eine Stunde, um mich an die Situation zu gewöhnen, bevor er auftauchen würde.

»Setzt euch an den Tisch – das Essen ist fertig«, forderte uns Sarah auf.

Mit einem Mal knurrte mein Magen. Sarah war schon immer eine ausgezeichnete Köchin gewesen, und dem Duft nach zu urteilen, hatte sich daran nichts geändert.

»Das lassen wir uns nicht zweimal sagen«, erwiderte meine Mom und winkte Grandpa Mick zu sich heran, damit er sich neben sie setzte.

Nachdem ich mich links und mein Grandpa sich rechts von ihr niedergelassen hatte, rückte ich meinen Stuhl näher zum Tisch heran und stellte überrascht fest, dass auf jedem Platz ein Teller stand.

Was sehr viele Teller ergab.

»Geh deine Freunde holen«, sagte Sarah gespielt entnervt zu John, und der verschwand nach unten in den Keller.

»Freunde?«, fragte meine Mom und nahm das Weinglas an, das Sarah ihr reichte.

»Sobald ich John erzählt hatte, dass ihr zum Abendessen kommt, hat er seine große Klappe aufgemacht und es an Dougie, Andy und Ed weitergeplappert. Und obwohl ich ihnen mehrfach gesagt habe, dass sie hier nicht willkommen sind, war die Tatsache, dass ihr – und Mick Boche – kommt, einfach zu viel für ihre eishockeysüchtigen Gehirne. Sie haben mich einfach ausgeblockt.«

Im selben Moment erschien John mit drei Männern im Schlepptau. Einer trug ein Vikings-Sweatshirt, die anderen zwei hatten Holzfällerhemden an.

»Das kann nicht wahr sein«, rief meine Mom, sprang auf und rannte zu dem Typen mit dem Vikings-Sweatshirt, um ihn zu umarmen. Danach begrüßte sie die beiden anderen genauso herzlich.

Was mich, um ehrlich zu sein, schwer schockierte.

Offensichtlich kannten sie einander gut, und so etwas war mir bei meiner Mom fremd. Sie war mein Leben lang die Offiziersfrau gewesen, hatte immer nur Freundinnen gehabt, die mit Dads Arbeitskollegen verheiratet gewesen waren und mit denen sie ab und zu Events in den Stützpunkten besucht hatte.

Doch nun stand sie hier und strahlte die drei Männer an, die sie neckten, als würden sie sich schon ewig kennen. Natürlich war mir immer bewusst gewesen, dass sie auch vor uns ein Leben gehabt hatte, aber ich hatte nie darüber nachgedacht, wie das ausgesehen haben könnte.