Bettgeschichten und andere - Monika Helfer - E-Book

Bettgeschichten und andere E-Book

Monika Helfer

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Beschreibung

Der Mensch verbringt viel Zeit im Bett, schlafend, lesend, ruhend. In Monika Helfers Bettgeschichten geht es um mehr und anderes als um ein bloßes Zimmermöbel. In den neuen Erzählungen der Vorarlberger Schriftstellerin ist bestrickend eingekapselt, was den zweiten Blick auf den Alltag lohnt. Dahinter stecken, wie immer, andere Geschichten, die zeigen, was Menschen erleben und überleben können. Das ungeübte Auge sieht im Alltag: Monotonie, Wach- und Bettzeiten, das Immergleiche des Tages. Monika Helfer lässt uns genauer hinsehen.

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Bibliothek des Alltags

Monika Helfer

BETTGESCHICHTENUND ANDERE

Monika Helfer

Bettgeschichten und andere

Bibliothek des Alltags. Band 1

Herausgegeben von Wolfgang Paterno

1. Auflage

© 2022 bahoe books

ISBN 978-3-903290-71-6

eISBN 978-3-903290-89-1

bahoe books

Fischerstiege 4-8/2/3

A-1010 Wien

bahoebooks.net

Inhalt

Kitti

Luca

Das Mädchen im Brunnen

Das staubige Klavier

Paula

Zerbrechlichkeit

Die Frau in der Mülltonne

«Ich höre sie lachen»

«Ein Hirsch frisst, wo er will»

«Ich hab Schlangen in den Schuhen»

Schwarzes Schaf

Kaputt

Eine Bettgeschichte

Der Tote im Bett

Reportage aus einer Seele

Frau Selbstbewusst

Liebessehnsucht

Kitti

Die Geschichte spielt in einer Kleinstadt, umgeben von Wiesen und Feldern, auf denen Blumen wachsen, die Kinder im Naturkundeunterricht zu bestimmen lernen. Da sind die rote Kuckucksnelke, die Schwertlilie, der Hahnenfuß …

Sie war eine Frau von dreißig Jahren, normalerweise sehr gepflegt, gut frisiert, fein angezogen, nur gute Stoffe. An diesem Tag aber, einem verregneten Montag, hatte sie das Schicksal hart getroffen. Sie kämmte sich nicht, sie wusch sich nicht, zog sich den erstbesten Pullover an, eine alte Jeans, Turnschuhe. Sie hatte ihre beiden Mädchen vom Spielen weggeholt. Die Kleine nahm sie auf den Arm, die Große zog sie hinter sich her.

«Wohin gehen wir, Mama?», fragten die Mädchen. «Wir sind gar nicht richtig angezogen, ich habe noch die Patschen an, warum rennst du so, Mama?»

Sie setzte die Kinder ins Auto auf die Rückbank, sie ermahnte sie, ruhig zu sein, sie müsse noch einmal zurück ins Haus. Hatte sie den Herd abgedreht, die Haustür verschlossen, die Tasche vergessen …

«Mama, wohin fahren wir?», fragten die Mädchen wieder und zogen ihre Mutter an den Haaren.

Sie bremste abrupt, drehte sich zu den Mädchen um und schrie sie an, was sie nicht gewohnt waren, die schreiende Mama war ihnen fremd.

«So, und jetzt ist Ruhe, sonst passiert etwas!»

Die Mädchen erschraken, die Mutter fuhr viel zu schnell, eine Hand auf dem Lenkrad, in der anderen hielt sie den Zettel mit der Adresse. Sie hätte die Adresse zur Wegbeschreibung ins Navi eingeben und sich an die Angaben halten können. Sie zitterte.

Einmal kehrte sie mitten auf der Straße um, weil sie die falsche Ausfahrt genommen hatte. Endlich stand sie vor dem Haus. Sie schwitzte vor Aufregung, schärfte den Mädchen ein, ruhig zu sein, gleich käme sie wieder zurück, dann würden sie in die Bäckerei fahren. Sie verriegelte das Auto. Die Kinder waren sprachlos.

Sie stand auf dem fremden Fußabstreifer, warf ihre Haare herum, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie klingelte.

Eine Frau in mittleren Jahren, sportlich, schmales Gesicht, schmale Hüften, barfuß, öffnete. Sie rieb sich die nassen Hände an ihrem Shirt ab, gab der Fremden aber nicht die Hand.

«Ja, bitte?»

«Sie sind Frau Hoffmann?», fragte die Frau. «Entschuldigen Sie, ich habe meine Mädchen im Auto, nur ganz kurz muss ich Sie sprechen, mein Leben fällt auseinander.»

«Was heißt das? Worum handelt es sich?» Frau Hoffmann hatte immer noch die Türschnalle in der Hand. Sie ließ die Fremde nicht eintreten.

«Haben Sie eine Tochter, die Kitti heißt?»

«Ja, was ist mit ihr?»

«Ihre Tochter», sagte die Frau, «hat ein Verhältnis mit meinem Mann. Wir haben zwei kleine Mädchen. Ich will das nicht.»

Immer noch standen die Frauen im Eingang. Aus der Küche roch es nach Gebratenem.

«Ist Ihre Tochter da?», fragte die Frau. «Entschuldigen Sie, ich bin Hannah.»

Nachnamen hat sie wohl keinen, dachte Frau Hoffmann und sagte: «Kitti schläft, und außerdem, alles, was mit Kitti zu tun hat, geht mich nichts mehr an. Wir reden nicht mehr miteinander, zu viel ist geschehen. Um Kitti kümmert sich ausschließlich ihr Vater. Ich werde meinem Mann von Ihrem Besuch erzählen. Kommen Sie am Abend wieder, dann erreichen Sie ihn. Die Mädchen in Ihrem Auto lassen Sie lieber daheim. Das Gespräch könnte länger dauern.»

Frau Hoffmann drehte sich um: «Moment», sagte sie – sie lief in ein Zimmer und brachte zwei Tafeln Schokolade – «für Ihre Mädchen.»

Frau Hoffmann rief ihren Mann in seiner Firma an, teilte ihm mit, was geschehen war. Ihr Mann überlegte, ob er sich vor seiner Verantwortung drücken könnte, begann einen Satz, da fuhr ihm seine Frau dazwischen: «Denk dir keine Ausrede aus! Diesmal nicht!»

Am Abend zu Hause: Herr Hoffmann schwitzte, trank, ohne zu schlucken, ein Glas Wasser, aß eine Schüssel Salat, zog, ohne sich vorher zu waschen, ein frisches Hemd an und wartete. Seine Frau war in der Küche. Auch sie wartete. Auf die Frau, die Hannah hieß, und deren Mann mit Kitti ein Verhältnis hatte.

Hannah sagte am Abend zu ihrem Mann, sie müsse kurz weg, zu einer kranken Freundin, er solle auf die Mädchen aufpassen. Er wollte etwas einwenden, sie fuhr ihm dazwischen.

«Du!»

Der Mann, Benito, war Besitzer eines Fitnessstudios, er sah über alle Maßen gut aus, muskulös. Er war charmant, hatte etwas Vornehmes von seiner Mutter geerbt und dachte sein Leben lang, so wie ich bin, wird man mir alles verzeihen. Kitti war in sein Studio gekommen, um zu trainieren. Sie sah noch aus wie ein Kind. Sofort war sie ihm erlegen.

«Du solltest joggen», sagte er zu ihr. «Kraftübung brauchst du keine.» Er duzte sie, dachte, sie sei noch nicht erwachsen, schade.

«Ich bin achtzehn», log sie, und als er sie fragte, ob sie noch zur Schule gehe, sagte sie: «Ich bin fertig mit der Schule und suche einen Job.»

Ob sie Lust hätte, bei ihm eine Lehre zu machen? Mädchen für alles?

«Fitnessbetreuerin?», fragte Kitti. «Was brauche ich für Voraussetzungen.»

«Du hast alles, was du brauchst. Was du nicht weißt, lernst du von mir. Ich heiße Benito. Sollen wir einen Vertrag machen?»

«Wäre gut», sagte Kitti. «Und Arbeitskleidung?»

«Bekommst du von mir. Kannst nächste Woche anfangen.»

Von diesem Tag an ging sie nicht mehr in die Schule, beendete nicht ihr letztes Jahr. Ließ einfach alles liegen. Und dann kam Corona, keiner merkte, was los war.

Kitti lag im Bett, die Augen verweint. Im Zimmer war Unordnung, kein Fleck auf dem Boden, wo nicht Dinge verstreut waren, Slips, Chips, zerknülltes Papier, Lippenstifthüllen, Kulis, gebrauchte Tampons.

Ihre Mutter, Frau Hoffmann, hatte seit zwei Jahren wiederholt gemahnt, sie müsse aufräumen oder ausziehen, so gehe das nicht weiter. Sie stand am Herd und wurde hoffnungslos vor Zorn, weil sie wusste, Kitti hörte nicht mehr auf sie. Auf ihren Vater manchmal, wenn sie etwas brauchte, sie wusste, von ihm bekommt sie alles, sie war und ist noch immer sein Augapfel. Das Wort «folgsam» war einmal gewesen. Frau Hoffmann schaltete die Herdplatte aus und klopfte an Kittis Zimmer. Sie war das liebste Kind gewesen. Das Zimmer war abgeschlossen. Sie trommelte an die Tür, bis ihr die Knöchel wehtaten.

Kitti rührte sich nicht. Sie saß aufrecht im Bett und sagte vor sich hin: Ich mach nicht auf, ich mach nicht auf.

Längst hatte die Mutter es aufgegeben, Kitti für die Schule zu wecken. Hörte sie dann Kitti die Treppen heruntertappen, leise wie die gefleckte Katze, geschminkt wie für einen Auftritt, falsche Wimpern, gepudertes Gesicht, wartete die Mutter, bis die Tür ins Schloss fiel. Sie schaute aus dem Badezimmerfenster und sah Kitti auf ihren hohen Schuhen stöckeln. In Kittis Zimmer riss sie die Balkontür auf, warf das Bettzeug über das Geländer. In einen leeren Müllsack steckte sie alles, was auf dem Boden herumlag. Verkrustete Pizza samt dem Teller, den sie eigentlich liebte, alles aus den Augen. Aus dem Sinn ging das nicht. Sie fluchte vor sich hin. Wie verrückt drückte sie auf den Desinfektionsspray und sprühte so lange, bis die Flasche leer war. Sie fand Kittis Handy, ihr Heiligtum, und warf es in hohem Bogen in die Wiese. Sie wusste, das würde ihr weh tun. Sie schrieb einen Zettel, darauf mit großen Buchstaben: «Hilfe, Ungeziefer», warf ihn auf das Leintuch mit den Blutflecken und knallte die Tür zu.

Frau Hoffmann sah an diesem Montag auf die Küchenuhr und dachte, in vier Stunden wird mein Mann da sein, dann wird diese Hannah auftauchen. Sie hörte nicht, wie Kitti später das Haus verließ, so sehr war sie in Rage. Dabei hatte sie ihrem Mann versprochen, aufzupassen, dass Kitti nicht wegläuft. Schließlich war sie bei dem Gespräch, das im Wohnzimmer stattfinden würde, die Angeklagte.

Frau Hoffmann putzte die Pfanne, und mittendrin hielt sie inne, rannte aus dem Haus, suchte Kittis Handy im Gras, nahm es mit. Aus dem Wäscheschrank holte sie frische Bettwäsche und legte sie, nachdem sie das blutige Leintuch abgezogen hatte, auf das Bett. Das Handy daneben. Immer wollte sie die beste Mutter gewesen sein.

Frau Hoffmann hörte die Geräusche ihres Mannes. Das Abstreifen der Schuhe. Seine Schritte Richtung Küche. Er musste essen, bevor er zu reden anfing. Eine Schüssel mit gemischtem Salat, Eierspeise, drei Gläser Wasser trinken.

Frau Hoffmann wollte sich vor der Verhandlung im Wohnzimmer noch umziehen. Frische Blumen in eine Vase stellen. Alles perfekt. Nur Kitti war nicht da. Das änderte die Strategie von Herrn Hoffmann, dem Vater der Angeklagten. Er hatte sich eine Rede zurechtgelegt, mahnende Worte an seine Tochter, beruhigende für Hannah, die betrogene Frau. Er hoffte, seine Frau würde sich zurückhalten.

Kitti indes war in den Bus gestiegen, nachdem sie vergeblich versucht hatte, Benito anzurufen, er meldete sich weder zu Hause noch im Fitnessstudio. Sie stieg bei der Haltestelle, knapp vor Benitos Wohnhaus, aus, schaute in die Garage, der weiße Mercedes stand da. Er glänzte mehr als ihre Haare. Kitti ging durch die Garage ins Wohnhaus, durch die Küche, von oben hörte sie das Lachen der Mädchen. Nur einmal war sie in diesem Haus gewesen und hatte Sex mit Benito gehabt, in Abwesenheit seiner Frau, im Ehebett der beiden. Sie hatte das nicht richtig gefunden, aber weil sonst keine geeigneten Räumlichkeiten bereit standen, schliefen sie miteinander, da war das Ehebett grad auch egal.

Kitti überlegte, ging treppauf und öffnete leise die Kinderzimmertür. Benito lag mit seinen Mädchen im Bett, eines kitzelte ihn an den Fußsohlen, das andere unter den Armen. Kitti stand da, bis sie das kleinere der Mädchen sah und sagte: «Papa, da steht ein Mädchen.»

Benito sagte: «Warte draußen, ich bin gleich bei dir.»

«Ich muss ihr die Sterne zeigen», sagte er zu seinen Kindern, «sie kennt sich nicht aus am Himmel und muss es für die Schule wissen.»

Im Hause Hoffmann redete nur Hannah, dazwischen weinte sie und fuhr sich mit dem Jackenärmel über die Augen.

Frau Hoffmann sagte schließlich, sie werde jetzt ihre Gymnastik machen, die beiden, ihr Mann und Hannah, sollten sich über Kitti einig werden. Sie habe damit nichts mehr zu tun, sie komme nicht an ihre Tochter heran und wolle sich nicht weiter von ihr niedermachen lassen. Als Hannah einwarf: «Ja, aber, sie sind schließlich die Mutter!», gab Frau Hoffmann nur ein Geräusch von sich, das klang wie: «Phph!»

«In sechs Wochen wird Kitti volljährig», sagte Herr Hoffmann, «da können wir sowieso nichts mehr machen.»

«Ist es denn nicht eine Sache der Moral?», fragte Hannah. «Ist das alles, was Sie als Vater dazu sagen? Ihre Tochter hat ein Verhältnis mit meinem Mann!»

«Im Fall Ihres Mannes handelt es sich wohl um Doppelmoral», sagte Herr Hoffmann. Er wusste, er wirkte kalt. Er war es nicht. Aber er konnte aus sich keinen anderen Menschen machen.

Da weinte Hannah wieder und griff nach seiner Hand: «Helfen Sie mir!»

So war es aber nicht. Kitti wollte nicht mehr in ihr Elternhaus zurück, sie schlief im Büro des Fitnessstudios – da wollte sie auch bleiben, bis sich etwas für sie ergeben würde. Sie hoffte ja, Benito würde sich scheiden lassen und sie könnte mit ihm ein neues Leben anfangen. Überhaupt ein Leben.

Benito versöhnte sich mit seiner Frau Hannah und versprach, die Beziehung mit Kitti aufzugeben.

Hannah glaubte ihm nur eine Woche lang. Dann merkte sie, wie ihr Mann sich wieder mit Kitti traf. Sie wollte aber die Scheidung nicht einreichen. Noch nicht jetzt. Sie wollte um ihren Mann kämpfen. Schließlich hatten sie zwei Mädchen, die versorgt werden mussten. In ihrer Aussichtslosigkeit schlug sie Benito vor, dass Kitti bei ihnen im Gästezimmer wohnen könnte, und sie es zu dritt versuchen.

Das Fitnessstudio war wegen Corona geschlossen. Kitti passte auf die Kinder von Benito und Hannah auf, die beiden spielten Eheleute. Die Mädchen kannten sich nicht aus. Wer war diese Kitti überhaupt?

Eines Morgens kamen Frau und Herr Hoffmann, um Kitti abzuholen, bis zu ihrer Volljährigkeit, hieß es. Kitti stieg in ihr Auto und leistete sich einen Eid, erst dann wieder zu sprechen, wenn sie zu Benito zurückkehren darf.

Frau Hoffmann bemühte sich um Kitti, noch einmal wollte sie die liebe Mama sein, alle ihre Versuche blieben erfolglos. Bei den Hoffmanns herrschte Schweigen.

Mutter und Tochter saßen vor dem Fernsehapparat und schauten sich an, was Herr Hoffmann eingeschaltet hatte. Hauptsächlich Sport. Beim Abendbrot klirrte nur das Besteck, und wenn Herr Hoffmann, ohne zu schlucken, trank, rülpste er, es war die alte Gewohnheit.

Frau Hoffmann stand am Fenster und sagte in die Nacht hinein: «Haben wir denn nicht alles versucht?»

Sie würden ihre Tochter verlieren, und was könnte getan werden, dass Kitti wieder mit ihnen gut war. Sie war schließlich ihr einziges Kind.

«Lassen wir sie», sagte Frau Hoffmann, «sie wird Benito nicht für sich gewinnen können, dafür ist seine Frau zu stark. Sie wird Lehrgeld zahlen, ohne eine Lehre gemacht zu haben.»

«Wir dürfen sie nur nicht aus den Augen verlieren», sagte Herr Hoffmann.

Kitti und Benito standen währenddessen unter der Haustür, sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen, und sagte mit gespielter Kinderstimme: «Zeigst du mir jetzt den Großen Wagen?»

Einen Meter auseinander saß das Ehepaar Hoffmann, so als bestünde Gefahr, sich anzustecken. Sie war es, die sagte:

«Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir ohne Kitti leben, nur wir zwei.»

«Dann setz dich auf meinen Schoß», sagte ihr Mann und gleich fand er, dass sie viel zu knochig war. «Du musst an Gewicht zulegen und weich werden, dann wird unser Leben runder.»

Für Ironie war er immer gut gewesen, und sie hatte das gemocht, nur merkte sie jetzt, dass sie nicht abschalten konnte. Sie war verkrampft, sie war verbittert. Und sie fand seine Ironie oder das, was er darunter verstand, hirnrissig.

«Und du», sagte sie zu ihrem Mann, «halte dich mit Süßigkeiten zurück, sonst wirst du etwas, was du nicht sein willst.»

Er ärgerte sich: «Ich bin kein Etwas, schreib dir das auf!»

So war die Stimmung.

Es war öd ohne Kitti. Ohne das Warten auf Kitti. Ohne den Ärger, dass sie wieder einmal nicht ihr Zimmer aufgeräumt, dass sie die Schule kurz vor der Matura abgebrochen hatte. Noch vieles mehr, woran man sich gewöhnen musste. Dass man auch den Kummer vermissen konnte! Kitti wollte mit ihren Eltern nichts mehr zu tun haben. Es sei denn, sie würden akzeptieren, dass sie ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann hatte. Traurig, traurig, traurig.

Kitti lebte bei Benito und Hannah als eine Art Tochter, selten als Geliebte, selten kurz vor Morgengrauen, wenn Benito sich zu ihr ins Bett schlich. Es schien, als wüsste Hannah nichts davon. Sie lag wach, während er bei Kitti war, und biss sich in ihren Handballen. Es musste weh tun. Niemals würde sie sich daran gewöhnen. Niemals würde sie in eine Scheidung einwilligen. Also: daran gewöhnen. Einmal hatte sie Benito darum gebeten, nach einem heftigen Streit, einmal nur. «Tu’s bitte nicht mehr!»