Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Ben führt einen erfolgreichen Bier-Blog und kümmert sich um ein großes IT-Projekt in der Firma. Privat läuft es jedoch alles andere als rund. Die Beziehung zu seiner langjährigen Freundin scheitert. Frustriert beschließt er, ohne Frau zu leben. Wenn da nur nicht die neue Kollegin wäre. Lisa, die im Job immer den Durchblick hat, steuert mit einem stalkenden Ex und einem auf Karriere versessenen Verehrer von einer Katastrophe in die nächste. Dabei stellt sie Bens Welt gleich mit auf den Kopf. Kann das gut gehen?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 520
Veröffentlichungsjahr: 2019
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
© 2019-e-book-Ausgabe RHEIN-MOSEL-VERLAG Zell/Mosel Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel Tel 06542/5151 Fax 06542/61158 Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-89801-878-4 Ausstattung: Stefanie Thur Lektorat: Sandra Jungen Fotos Collage Titel: Bier: PatternPictures/pixabay.com Pirmasens: Emil Pfalzauge Autorenfotos: Marion Bischoff: Sandra Jungen Tina Grashoff: Anja Wolf
Bier mit DIR
Ein frisch gezapfter Liebesroman
Rhein-Mosel-Verlag
1. Pirmasens: Sonntag, 6. Juli
bierbauchgefuehl.de
Blogeintrag
Ein Bier ist wie das Leben. Erst kommt der Schaum und dann, nach einem großen Schluck, der volle Geschmack. Manchmal lieblich, manchmal herb.
Ben lehnt sich in seinem Stuhl zurück und liest sich die eben getippten Zeilen noch einmal durch. Zugegeben, sie klingen ein bisschen altklug. Aber es ist etwas Wahres dran, findet er. Manchmal kann man ein gutes Bier in einem Zug leeren und manchmal ist es schon nach dem ersten Schluck zu bitter. Eben genau so wie das Leben. Nur dass einem beim Bier schon ein lauter Rülpser Erleichterung bringt.
Durch das geöffnete Fenster seines Arbeitszimmers kommt ein kühler Windhauch. Vermutlich einer der Letzten, bevor in ein, zwei Stunden die Hitze zurückkehrt. Irgendwo in einem Baum singt eine Amsel, ansonsten ist es ruhig. Pirmasens schläft noch. Erschöpft von einem überraschend heißen Sommer, der noch nicht zu Ende ist. Ben klickt auf die Wetter-App seines Computers. Es soll wieder über 30 Grad werden. Wenigstens muss er heute, am Sonntag, nicht ins Büro. Es würde ihn jedoch nicht wundern, wenn er demnächst vierundzwanzig Stunden, sieben Tage die Woche arbeiten müsste, damit sie das neue Projekt in der Firma schaffen. Diesen riesigen IT-Auftrag von Winterfeld, der für die Firma ein Glücksfall und eine Herausforderung gleichermaßen ist.
Wenn sie den termingerecht hinkriegen, dann haben sie endgültig einen richtig guten Namen. Ben wischt den Gedanken an die Arbeit weg und trinkt einen Schluck Kaffee. Er liebt Sonntagvormittage. Zu Hause. Am PC, in Ruhe, ohne Stress, ohne …
Die Tür fliegt auf und Gabi steht im Türrahmen. In ein schreiend buntes Fahrrad-Outfit gekleidet, stemmt sie beide Hände in die Hüften. Ihr Gesichtsausdruck passt so gar nicht zu einem entspannten Sonntag. »Ich nehme an, du möchtest lieber vor deinem Computer hängen, als mit uns Fahrrad zu fahren?«
»Wer ist uns?«, fragt Ben zurück.
»Carla, Mike, Tom und noch ein paar andere. Wir wollen die Husterhöhe-Tour machen und danach noch in den Biergarten.«
»Gute Idee, macht das. Ich kann leider nicht. Ich muss dringend noch was für morgen vorbereiten. Keine Ahnung, wie lange das dauert«, antwortet Ben und sieht sofort, dass das nicht die richtige Antwort war. Gabis Augen verengen sich zu Schlitzen. »Es hätte mich auch überrascht, wenn du mal etwas anderes tun würdest, als vor deinem behämmerten PC zu sitzen!«
»Gabi, ich muss arbeiten. Ich habe noch …«
»Es ist Sonntag, Ben! Weißt du, was das ist? Da haben Menschen frei und unternehmen etwas Schönes. Vielleicht sogar mit ihrem Partner, für den Fall, dass sie noch wissen, wie der überhaupt aussieht!«
Ben schließt kurz die Augen und atmet tief durch. »Ich habe dir gesagt, sobald wir die Basis für das Winterfeld-Projekt erarbeitet haben, wird es ruhiger. Dann können wir beide was unternehmen oder vielleicht auch mal ein paar Tage wegfahren.«
»Klar. Aber vorher kommt noch ein anderes Projekt und noch eins und noch eins. Und wenn es keine Arbeit ist, dann ist es dein blöder Bier-Blog, für den du noch etwas tippen willst. Du gehst mir tierisch auf die Nerven.«
»Es ist schön, wenn einem die Partnerin so viel Verständnis entgegenbringt, wenn man bis zum Hals in Arbeit steckt«, entgegnet Ben, und seine Worte klingen schärfer als beabsichtigt.
»Dann pass schön auf, dass du bald überhaupt noch eine Partnerin hast. Ich habe nämlich keine Lust mehr, darauf zu warten, dass du dir mal die Ehre gibst, aus deinem Arbeitszimmer herauszukommen. Hast du mal aus dem Fenster gesehen? Die Sonne scheint. Dieses gelbe Ding am Himmel. Alle Leute gehen raus und genießen den Sommer. Nur Herr Benjamin Melcher sitzt wie eine Kellerleiche vor dem Computer.«
»Moment mal! Warst du es nicht, die gesagt hat, ich soll den Job bei Pfalz-IT unbedingt annehmen? Weil der so gut bezahlt ist? Wohl wissend, dass ich da voll eingebunden sein werde? Dass es eine Zeit dauern kann, bis der Laden richtig läuft?«
»Ach hör schon auf, Ben. Ich kann es nicht mehr hören. Für wen hältst du dich eigentlich? Für Bill Gates? Selbst der wird wohl an Sonntagen mal nicht gearbeitet haben. Wir sind hier auch nicht in Silikon Valley, Ben. Das hier ist Pirmasens. Mit lauter grünem Wald drum rum. Oh, und es gibt sogar Cafés und Biergärten, Restaurants und ein Kino. Nur das scheinst du vergessen zu haben«, knurrt Gabi.
»Nein, das habe ich nicht vergessen. Glaubst du ernsthaft, ich hätte Einfluss darauf, welche Aufträge der Eichmann annimmt? Die Arbeit macht sich nicht von alleine.«
»Na klar, und ohne dich geht da gar nichts. Du hast ja auch keine Kollegen. Nur du alleine kannst die ganze IT-Welt retten!«
»Schatz, verdammt! Im Moment ist es wirklich schwierig, mich da rauszuziehen. Ich kann den Eichmann jetzt nicht sitzen lassen. Und Timo erst recht nicht!« Ben steht auf und geht einen Schritt auf seine Freundin zu.
»Weißt du, was du mich mal kannst?« Gabi dreht sich um, schnappt sich im Flur ihren Fahrradhelm, Rucksack und Schlüssel und geht zur Tür. »Viel Spaß mit deinem Computer! Du brauchst später nicht auf mich zu warten. Aber das tust du ja sowieso nicht«, zischt sie und knallt die Wohnungstür hinter sich zu.
Na super, denkt Ben. So viel zum Thema Leben und bitterer Geschmack. Da ist der Genuss von Bier um einiges unkomplizierter.
2.
Pirmasens gleicht einem glühenden Backofen. Die Hitze staut sich überall. In den Straßen, den Häusern, aber ganz besonders in seinem Arbeitszimmer. Ben schwitzt im Sitzen und fühlt sich ausgelaugt. Die Arbeit hat er erledigt, und nachdem er noch ein bisschen an seinem Bier-Blog geschrieben hat, schwebt immer wieder das Bild von einem kühlen Pils vor seinem inneren Auge vorbei. Er sieht zur Uhr und denkt wieder an den Streit mit Gabi heute Morgen. Dann tippt er eine Nachricht: Hi Schatz, wann seid ihr im Biergarten?
Wenn ich die Fahrradtruppe dort treffe, kann ich vielleicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, geht es ihm durch den Kopf. Allerdings ist er sich noch nicht sicher, was das Angenehme ist. Gabi oder das Bier? So wie er sie kennt, wird sie immer noch beleidigt sein.
Ben geht ins Schlafzimmer und zieht sich um. Als er sein Handy kontrolliert, ist noch keine Antwort von Gabi eingetroffen. Nach kurzer Überlegung beschließt er, trotzdem zum Biergarten zu fahren. Vielleicht hört sie ihr Handy nicht.
Die Hitze des Asphalts schlägt ihm ins Gesicht, während er durch die Innenstadt radelt. Trotzdem tut ihm die Bewegung gut und er atmet tief durch. Er fährt am alten Friedhof vorbei und dann immer Richtung Beckenhof. Endlich angekommen, schließt er sein Fahrrad ab und hört Stimmengewirr und Gelächter. Der Biergarten ist voll. Nach einigem Suchen entdeckt er tatsächlich Gabi und die Fahrrad-Gruppe. Sie sitzen unter einem großen Baum im Schatten auf Bierbänken. Gabi mit dem Rücken zu ihm. Neben ihr Tom, der gerade einen Arm um sie legt und laut lacht. Als Ben näherkommt, entdeckt ihn Mike und winkt. »Ben! Bist ja doch gekommen!«
Alle drehen sich um, nur Gabi nicht.
»Hey Leute! Wie war der Ausflug? Keinen Hitzschlag bekommen?«, fragt Ben in die Runde und klopft zur Begrüßung auf den Tisch. Sein Blick bleibt an Gabi hängen, die ihn ansieht, als plante sie einen Mord. Mike springt auf und schlägt ihm auf die Schulter. »Setz dich, ich besorg dir ein Bier«, sagt er und geht Richtung Bierausgabe.
»Na, Ben, wie läuft es denn so bei dir? Scheinst ja ganz schön busy zu sein«, wendet sich Tom nun an ihn und grinst breit.
»Ja, viel zu tun im Moment«, erwidert er und lässt sich auf der Bank nieder.
»Wow, auch sonntags? Bist ja wichtiger als der Papst, was?« Tom lacht laut auf. »Dann hast du vermutlich auch so wenig Sex wie der Papst, was?« Tom ist der Einzige, der über seinen eigenen Witz lacht. Gabi starrt auf den Holztisch und nimmt einen Schluck aus ihrem Glas.
Ben, überrascht von Toms Angriff, sucht noch nach einer passenden Antwort, als Mike zurückkommt und ihm einen Bierkrug reicht. »Prost Leute! Bevor das Zeug noch verdunstet!«
Alle heben ihre Gläser und lassen sie über dem Tisch zusammen klirren. Mike zwinkert Ben zu und berichtet ihm dann ausführlich vom Ausflug und seiner Reifenpanne. Die Situation entspannt sich, nur Gabi vermeidet weiterhin den Blickkontakt. Unser Haussegen scheint also immer noch schief zu hängen, denkt Ben, als Tom plötzlich sein Glas in Benjamins Richtung erhebt. »Auf den wichtigsten Mann von Pirmasens! Dafür müsstest du eigentlich einen ausgeben.«
Benjamin fixiert ihn. »Tja Tom, die einen sind wichtig, die anderen wollen es gerne sein. Ich könnte dir einen ausgeben, aber ich fürchte, davon werden deine blöden Sprüche auch nicht besser.«
Am Tisch wird es plötzlich ruhig und Gabi funkelt Ben böse an.
Tom stellt sein Glas wieder ab. »Weißt du Ben, das mit der Wichtigkeit kann schneller vorbei sein, als man denkt!«
Gabi legt beschwichtigend ihre Hand auf Toms Arm.
Ben sieht ihn herausfordernd an. »Danke für deinen ungebetenen Ratschlag«, sagt er in ruhigem Ton und sein Blick streift kurz zu Gabi. So gelassen wie möglich, nimmt er noch einen großen Schluck und steht auf. »Sorry Leute, ich hab noch so wahnsinnig wichtige Dinge zu tun. Schönen Abend noch!«
»Mann, jetzt bleib doch«, sagt Mike und fasst ihn am Handgelenk.
»Lass gut sein, Mike. Wir hören uns.« Er macht sich los und legt ein paar Geldmünzen auf den Tisch. Wie benommen geht er zu seinem Fahrrad und hört noch, wie die anderen hinter ihm murmeln. Einen Moment hofft er, dass Gabi ihm folgt, mit ihm sprechen will. Vom Zaun aus sieht er, dass sie sitzen geblieben ist und mit Tom redet. Ihr Gesicht sehr nah an seinem. Ben spürt, wie Wut sich in seinem Brustkorb breitmacht, als blase dort jemand einen Luftballon auf. Er öffnet das Fahrradschloss und schwingt sich in den Sattel. Mit voller Kraft tritt er in die Pedale, muss immer wieder Fußgängern und anderen Fahrradfahrern ausweichen. Sein Herz klopft ihm schmerzhaft gegen die Brust. Dieser Tom ist so ein Idiot. Immer schon gewesen. Und jetzt gräbt der Gabi an? Ausgerechnet mit dem will sie mich eifersüchtig machen? Ben lacht höhnisch auf. Im letzten Moment schafft er es, eine alte Frau mit einem Dackel zu umfahren, die ihm, mit ihrem Stock wedelnd, hinterher schimpft. Schneller als sonst erreicht er die Innenstadt, wo die Hitze immer noch durch die Straßen kriecht, wie ein feuerspeiender Drache. Er brettert durch seine Straße, knallt das Fahrrad wütend an die Wand im Innenhof und rennt, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. In der Wohnung angekommen, steht er im Flur und versucht wieder zu Atem zu kommen. Sein Shirt klebt am Körper. Er geht ins Bad, duscht so lange, bis er sich einigermaßen beruhigt hat. Danach legt er sich aufs Sofa und guckt irgendwelche Serien, auf die er sich nicht konzentrieren kann. Seine Gedanken drehen sich im Kreis, bis er schließlich einschläft. Erst spät in der Nacht hört er Gabis Schlüssel in der Tür, doch er stellt sich schlafend.
3. Frankfurt/Main: Mittwoch, 9. Juli
Genau passend, denkt Lisa. Im Radio ertönen die letzten Takte ihres Lieblingssongs, als sie in die Tiefgarage des Frankfurter Hochhauskomplexes fährt. Sie stellt den Wagen auf ihren Parkplatz, nimmt die Kühlbox vom Beifahrersitz und schlendert Richtung Aufzug. Im Vorbeigehen sieht sie Jens’ Auto. Er ist also daheim. Lisas Herz hüpft vor Freude. Auf dem Heimweg hat sie bei der Eisdiele angehalten und für ihren Partner und sich ein großes Erdbeereis mit Sahne besorgt. Für Verliebte stand auf der Karte, und nach den vergangenen turbulenten Wochen freut sie sich, dass er endlich zur Vernunft gekommen ist. Im Aufzug summt sie vor sich hin. Die stickige Luft kann ihre gute Laune nicht trüben, obwohl ihre Bluse feucht am Körper klebt. Irgendwie hat das was Verruchtes. Jens steht auf so was. Mit einem leisen Piepston kündigt der Aufzug ihre Ankunft im oberen Stockwerk an. Lisa steigt aus, schaut im Vorbeigehen durch die riesige Glasfassade auf das geschäftige Treiben in ihrer Heimatstadt. In der Ferne schlängelt sich der Main zwischen den Häuserzeilen hindurch. Ein Ausflugsschiff ist zu sehen. Wenigstens die Touristen können sich den warmen Sommerwind um die Nase wehen lassen. Immerhin hatte Jens’ Vater heute Erbarmen und wir durften früher Feierabend machen. Lisa atmet tief durch. Schweiß rinnt zwischen ihren Schulterblättern hinunter. Vor lauter Vorfreude auf die Zweisamkeit kribbelt es in ihrem Bauch. Wie am ersten Tag, denkt sie und streift mit dem Blick die Türme des Frankfurter Bankenviertels. Dann beeilt sie sich, zu ihrer Wohnungstür zu kommen, und schließt auf. Den Schlüssel hängt sie an den Haken, ihre Tasche wirft sie auf die Kommode, und als sie gerade ansetzen will, nach Jens zu rufen, dringt ein eigenwilliges Geräusch an ihr Ohr. Schlagartig krampft sich Lisas Herz zusammen. Er wird doch nicht …, schießt es ihr durch den Kopf, und doch weiß sie schon, was sie erwartet.
Die eindeutigen Laute kommen aus dem Schlafzimmer. Sie schleicht näher und drückt die Tür auf. Lisa stockt der Atem. Die Situation ist eindeutig: Jens liegt nackt auf einer Blondine. Die quietscht wie ein Schwein beim Schlachter. Er hingegen klingt jetzt eher wie ein stotternder Traktor. Ihr wird schwindelig, sie krallt sich am Türrahmen fest. Doch dann besinnt sie sich. Ohne ein Geräusch zu verursachen, tritt sie einen Schritt zurück, öffnet die Kühlbox in ihrer Hand und holt den Eisbecher heraus.
Mit einem Satz hechtet sie zurück ins Schlafzimmer und schleudert den Eisbecher auf die nackten Leiber. Jens erstarrt mitten in der Bewegung, die Blonde kreischt auf.
»Lisa!«, ruft Jens.
»Kleine Abkühlung, du verdammter Mistkerl.« Dann dreht sie sich um, schnappt ihre Tasche, den Autoschlüssel und stürzt aus der Wohnung. Draußen hämmert sie auf den Knopf für den Aufzug. Im nächsten Moment wird die Wohnungstür aufgerissen. »Lisa. Warte mal!«
»Worauf? Bis du fertig bist mit deiner Tussi?« Sie schluckt, fixiert nur den kleinen Leuchtknopf in der Wand. Verdammt, wieso braucht dieser Aufzug nur so lange?
Sie hört Jens näherkommen. »Ach Lieschen. Jetzt hab dich doch nicht so. Wenn du willst, kannst du doch auch …«
Lisa dreht sich um, holt aus und klatscht ihm die flache Hand auf die Wange. Erschrocken reibt er sich über den Dreitagebart. Jetzt sieht sie, wie er dasteht: Nichts als ein Laken um die Taille. Und Erdbeereis auf der Schulter.
»Du solltest schnell wieder reingehen.«
»Wieso?« Jens sieht sie verdutzt an.
»Na, dann kann dir deine Blondine das Eis von der Haut lecken.«
In diesem Moment klingelt der Aufzug. Die Tür öffnet sich und Herr Müller von nebenan tritt heraus. Er betrachtet zuerst Jens und dann Lisa. »Ist es schon wieder soweit?«
»Halts Maul, du Versager«, giftet Jens den Nachbarn an.
Herr Müller tippt sich nur müde gegen die Stirn.
Lisa steigt in den Aufzug, hält kurz ihre Hand in die Tür. »Keine Sorge, Herr Müller. Ich komme nur noch einmal hierher. Um meine Sachen zu holen.« Mit diesen Worten tritt sie zurück und beobachtet, wie sich die Tür langsam schließt.
»Gute Entscheidung. Sie sind so eine wunderbare Frau«, hört sie Herrn Müller noch sagen.
Der Aufzug setzt sich in Bewegung. Lisa lehnt sich hinten an. Mehrmals versucht sie, die aufsteigenden Tränen hinunterzuschlucken. Doch es gelingt ihr nicht und die Enttäuschung bahnt sich den Weg durch ihre Augen. Endlich erreicht sie die Tiefgarage. »Jens wird sich nicht ändern«. Mit hängenden Schultern schlurft sie zu ihrem Auto. Vom Fahrersitz aus tippt sie schnell eine Nachricht an ihre Mutter. Bist du da? Ich muss zu dir kommen.
Noch ehe sie den Motor startet, hat sie eine Antwort. Sag nicht, es ist, was ich denke? Ja klar, bin da.
Nur verschwommen nimmt sie die Garagenausfahrt wahr. Wie in Trance lenkt sie ihr Auto durch die vollgestopften Straßen Frankfurts.
Als sie das Vorortviertel erreicht, sind die Tränen getrocknet. Nur die Augen brennen noch immer. Lisa parkt ihren Wagen und geht zur Haustür. Dort steht die Mutter schon mit ausgebreiteten Armen. »Ach Kind. Was ist denn jetzt schon wieder passiert?«
Lisa erzählt ihr von den neuerlichen Eskapaden ihrer großen Liebe und auch von ihrer Entscheidung. »Ich gehe nicht mehr zu ihm zurück. Sogar Herr Müller …«
»Jetzt beruhige dich erst mal. Ich koche dir eine heiße Schokolade und dann sieht die Welt schon wieder besser aus.«
»Mama!« Lisas Stimme überschlägt sich. »Es sind mehr als 30 Grad. Ich bin keine Fünfzehn und gegen Jens hilft auch keine heiße Schokolade!«
4.
Die letzten Sonnenstrahlen schicken ihr Licht durch den geblümten Vorhang in Lisas altes Kinderzimmer und lassen David Hasselhoff auf dem lebensgroßen Starschnitt erstrahlen. Lisa streicht über den Waschbrettbauch und fühlt sich wieder einmal darin bestätigt, dass sie sich besser aufs Schwärmen für Hasselhoff beschränkt hätte. Ihr Handy piept.
Sabine schreibt: Mist, ich habe deine Nachricht eben erst gelesen. Komme gleich.
Bin bei meiner Mutter, antwortet Lisa und lässt sich zurück auf ihr Kopfkissen fallen. Der Stoff kühlt ihre Haut. Wieder kommen ihr die Tränen. Alles nur wegen diesem Mistkerl.
Die Zimmertür geht langsam auf und ihre Mutter steckt den Kopf herein.
»Na, Kind, wie geht es dir?« Sie tritt neben das Bett und sieht Lisa an, wie damals, als sie auf dem Schulhof Streit mit Sabine hatte.
Lisa schluckt, richtet sich auf, kneift die Augen zusammen. »Ich fühle mich, als hätte mich ein LKW überfahren. Vollgeladen mit Blondinen. Jens ist so ein Aas.« Traurig senkt sie den Kopf.
»Ach, komm. Noch ist nicht aller Tage Abend. Ihr könnt das doch sicher klären.«
Lisa springt aus dem Bett. »Was?!« Ihre Stimme vibriert in den Ohren. »Er ist so untreu wie ein räudiger Straßenköter! Mama, der treibt es in unserem Bett! Mit einer anderen! Wenn ich mir überlege, dass ich da gestern noch neben ihm …« Lisas Stimme versagt.
»Vielleicht ist das seine Art mit Stress umzugehen …« Ihre Mutter reibt sich über die Arme, als friere sie. »Eigentlich ist er so ein Netter. Er hat schon viel für dich getan. Und ihr wolltet doch …« Mutter versucht, Lisa in den Arm zu nehmen, doch sie weicht ihr aus.
»Stimmt. Jens ist ein wahrer Glücksfall für mich. Dank ihm ziehe ich mit meinen vierunddreißig Jahren zurück zu Mama ins Kinderzimmer.« Lisa deutet mit einer ausladenden Bewegung in den Raum und lacht bitter. »Ich sollte vor ihm auf die Knie gehen.«
»Lisa, jetzt beruhige dich. Jens ist ja nicht per se ein schlechter Kerl. Er hat dir den Job besorgt. Er hat die tolle Wohnung für euch bezahlt. Und ihr wolltet doch eine Familie gründen.«
»Damit er weiter fremdgeht und ich unglücklich allein zu Hause sitze? Mama, Herrgott noch mal!« Lisa dreht sich zum Fenster und sieht hinaus. »Kannst du mich nicht verstehen? Nicht einmal du?«
Ihre Mutter tritt neben sie, legt ihr die Hand auf den Unterarm. »Ich verstehe dich ja. Ich will nur nicht, dass du etwas überstürzt. An seiner Seite bist du wer. Das weißt du doch.« Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu. »Was wird denn aus dir ohne ihn?«
»Besser allein und arbeitslos als unglücklich. Meinst du nicht?« Lisa verschränkt die Arme vor der Brust. Ihre Mutter stößt laut den Atem aus.
»Außerdem kann ich mir ja einen neuen Job suchen«, legt sie trotzig nach. Doch bereits beim Gedanken daran macht sich ein flaues Gefühl in ihrer Magengrube breit.
In diesem Moment hupt es im Hof und unten fährt Sabines quietschgrüner Uralt-Mazda vor. Lisas beste Freundin winkt aus dem Auto nach oben.
Mit einem kurzen Nicken geht ihre Mutter zur Haustür. Zum Glück ist dieses Gespräch beendet. Warum versteht Mama mich nur nicht? Lisa presst die Lippen aufeinander.
Noch bevor sie sich weiter hineinsteigern kann, steht Sabine in der Tür. »Hey Süße. Was hat er sich jetzt schon wieder geleistet?«
Lisa stürzt auf Sabine zu, fällt ihrer Freundin in die Arme und lässt ihren Tränen freien Lauf. Sie spürt Sabines Hände auf ihrem Rücken.
Nach einer Weile tätschelt die Freundin sie aufmunternd. »Jetzt erzähl schon. Damit ich weiß, welches Mordwerkzeug ich für den Idioten herrichten muss.«
Weinend berichtet Lisa ihr von den Vorkommnissen der vergangenen Stunden und den Äußerungen ihrer Mutter.
Sabine hört sich alles an und steht dann auf. »So, du kommst jetzt mit zu mir. Wir köpfen eine Flasche Prosecco und machen einen Plan. Wie klingt das?«
Lisa schnieft. »Kann ich auch ein Bier haben?«
»So viel du willst.«
Schnell verabschiedet Lisa sich von ihrer Mutter.
»Kopf hoch, Kind!«, ruft die ihr nach. »Das wird schon wieder.«
Lisa hat sich noch nicht ganz auf Sabines Sofa niedergelassen, da kommt ihre Freundin schon mit zwei Bier aus der Küche. Versöhnt betrachtet Lisa die perfekte Schaumkrone. »Wow! Das sieht ja aus wie frisch von der Theke.«
»Na, ich freue mich, dass ich dich mit einem frisch ausgeschenkten Bier auf andere Gedanken bringen kann.«
Sabine stellt das Glas vor Lisa ab. »Übrigens habe ich letztens im Internet was gefunden. Das ist was für dich.« Ihre Freundin holt den Laptop herbei, tippt auf der Tastatur und dreht dann den Bildschirm zu Lisa. »Schau mal.
Für echte Bierliebhaber – der Blog mit dem nötigen Knowhow für alle Hopfenblütenfans.«
Auf der Startseite ist ein prickelndes Helles vor dichtem Wald abgebildet. Darunter prangt in dicken Lettern
»bierbauchgefuehl.de« – Willkommen auf dem Blog für wahre Bierfreunde.
Lisa klickt sich weiter. Es gibt einen aktuellen Beitrag vom Sonntag:
Ein Bier ist wie das Leben. Erst kommt der Schaum und dann, nach einem großen Schluck, der volle Geschmack. Manchmal lieblich, manchmal herb.
»Dann habe ich heute wohl ein ziemlich herbes Bier erwischt, was?« Sie versucht ein Lächeln, doch das fühlt sich wie eine Grimasse an.
Sabine prostet ihr zu. »Auf liebliches Bier in der Zukunft!«
5. Pirmasens, Donnerstag, 10. Juli
»Herr Eichmann! So geht es nicht weiter!« Ben steht vor dem Spiegel im Flur und übt eine entschlossene Körperhaltung. Er räuspert sich und schaut sein Spiegelbild streng an. »Herr Eichmann, wie Sie ja vielleicht wissen … nee … nochmal. Guten Morgen Chef, Ihnen dürfte ja wohl klar sein, dass Timo und ich … ach Mist!« Ben lässt die Arme hängen. Irgendwie muss er seinem Chef klar machen, dass das Projekt Winterfeld für Timo und ihn alleine nicht zu schaffen ist. Und zwar so, dass er nicht denkt, sie wären Versager. Gabi hat heute Morgen mal wieder ohne ein Wort das Haus verlassen und er muss sich dringend etwas einfallen lassen, wenn der Haussegen nicht die nächsten Wochen schief hängen soll. Er sieht auf die Uhr, fährt sich noch einmal durch die wirren Haare und macht sich eilig auf den Weg zur Firma.
»Guten Morgen, Frau Kirsch.« Ben öffnet die Vorzimmertür des Büros von Herrn Eichmann und steckt den Kopf hindurch. »Ich müsste mal dringend mit dem Chef sprechen«, sagt er und setzt sein charmantestes Lächeln auf.
»Ja, wer muss das nicht«, entgegnet die Sekretärin und blättert in ein paar Unterlagen.
Ben betritt den Raum. »Wirklich, es wäre sehr wichtig.«
»Klar, es ist immer wichtig.« Frau Kirsch sieht auf und mustert ihn. »Mein lieber Ben, du könntest auch mal ein bisschen Sonne vertragen! Du bist ja weiß wie die Wand. Dass ihr jungen Leute immer nur am Computer hängen müsst. Früher, da …«
»Frau Kirsch, bitte! Kann ich zu ihm?«
»Na, ich denke, du hast Glück, er hat gerade Zeit«, sagt sie und deutet auf die Tür zu ihrer Linken.
»Danke, Sie sind ein Schatz«, sagt Ben und atmet einmal tief durch. In großen Schritten geht er zur Tür und reißt sie beherzt auf. »Herr Eichmann, ich muss mit Ihnen …«
»Ach Benjamin! Es ist immer schön, wenn die Mitarbeiter anklopfen, bevor sie reinkommen.«
»Oh tut mir leid, ich …«
Herr Eichmann lächelt. »Gut, dass du da bist, ich habe ohnehin was mit dir zu besprechen. Setz dich!«
Irritiert lässt Ben sich auf einem der Stühle vor Eichmanns Schreibtisch nieder. Sein Blick fällt auf ein paar gerahmte Fotos. Eichmann lachend mit seiner Frau. Eichmann stolz mit seinem Sohn, und auf einem Bild ist er mit seiner Tochter und seinem Enkel zu sehen. Es gibt tatsächlich auch glückliche Paare, denkt er und bemerkt dann, dass Eichmann ihn schmunzelnd mustert. »In deinem Alter konnte ich mir auch nicht vorstellen, dass ich sogar mal Opa werden würde. Aber das geht schneller, als man denkt.« Herr Eichmann lacht sein typisches lautes Lachen, das immer ganz tief aus seiner Brust kommt und haut dann mit der Hand auf den Schreibtisch. »Kommen wir zur Sache. Ich habe mir in den vergangenen Tagen Gedanken gemacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass Änderungen von Nöten sind, das Winterfeld-Projekt betreffend. Der Auftrag ist zu wichtig, als dass wir uns Terminverzögerungen leisten könnten.«
Ben nickt schuldbewusst.
»Timo und du, ihr seid ein super Team, aber …« Herr Eichmann steht auf und geht ein paar Schritte Richtung Fenster. Ben hält die Luft an.
»Aber, ihr könnt ja nun mal auch nicht zaubern. So sehr ich euren Einsatz für die Firma zu schätzen weiß.« Er kehrt zum Schreibtisch zurück, setzt sich wieder und sieht Ben prüfend an.
Der schnappt kaum hörbar nach Luft. »Herr Eichmann, Timo und ich, wir …«
Eichmann hebt die Hand. »Moment, ich bin noch nicht fertig. Also. So sehr ich euren Einsatz und euer Knowhow zu schätzen weiß, habe ich dennoch beschlossen, dass ich euch – wie drücke ich das jetzt am besten aus – naja, also dass ich zum nächstmöglichen Zeitpunkt für Unterstützung sorge. Ich werde jemanden einstellen, der euer Team ergänzt.«
Ben starrt ihn an und die Erleichterung sackt ihm in die Beine. Er ist froh, dass er sitzt.
»Wie gesagt, es ist nicht so, dass ich Euch das nicht zutraue. Es geht hier lediglich um Entlastung und um Absicherung der Terminvorgaben. Was sagst du dazu?«
Ben knetet seine Hände und bemüht sich, nicht zu grinsen. »Na ja, Chef, das kommt jetzt etwas überraschend. Ich müsste da natürlich drüber nachdenken. Und Timo sicher auch. Na ja … Vielleicht haben Sie recht. Das Projekt ist zwar sehr spannend, aber eben auch sehr umfangreich und wir könnten tatsächlich ein Terminproblem bekommen.«
Eichmann lehnt sich in seinem Bürostuhl zurück, der dabei bedenklich quietscht. Mit einer Hand fährt er sich über den Bauch. »Nun, ich weiß allerdings nicht, ob ich überhaupt so schnell jemand Geeigneten finde. Intern einen Kollegen aus einem anderen Projekt abzuziehen, ist im Moment nicht machbar. Ich würde euch also bitten, dem Projekt allerhöchste Priorität einzuräumen und Gas zu geben, bis ich jemanden gefunden habe.«
»Klar Chef, das ist überhaupt kein Problem!« Ben springt auf. »Sie können sich auf Timo und mich verlassen.«
»Sehr gut!« Herr Eichmann lehnt sich nach vorne und stützt die Ellbogen auf den Tisch. »Und was hattest du auf dem Herzen?«
»Ich? Ach, nicht so wichtig. Ich gehe besser mal an die Arbeit«, sagt Ben und tritt den Rückzug an. Als er die Bürotür hinter sich geschlossen hat, fängt er an zu grinsen, als habe er soeben einen Geniestreich vollbracht. Die Sekretärin sieht von ihren Unterlagen auf und lässt ihren Blick auf ihm ruhen.
»Danke nochmal, Frau Kirsch. Habe ich Ihnen schon gesagt, dass Sie heute bezaubernd aussehen?«, sagt Ben überschwänglich und stakst aus dem Raum.
6. Frankfurt/Main: Donnerstag, 10. Juli
»Und, was sagt der Doc?« Sabine klopft Lisa aufmunternd auf die Schulter.
»Ich bin krankgeschrieben. Er versteht, dass ich da im Moment nicht hingehen kann.« Sie lässt sich auf den freien Stuhl in Sabines Küche fallen. »Trotzdem. Irgendwas muss ich machen. Ich kann ja nicht ewig bei dir wohnen.« Lisa wischt mit einer Hand über den Tisch. »Wenn ich nur wüsste, was.«
»Na, da kann ich vielleicht helfen.« Sabine richtet sich auf, öffnet den Laptop und schiebt das Gerät dann zu Lisa. »Ich hab da was gefunden.«
Lisa sieht gleich, dass es eine Stellenanzeige ist. »IT, Großprojekt, unbefristet«, murmelt sie vor sich hin.
»Ist doch genau das, was du bräuchtest, oder?« Sabine rutscht näher.
»Schon, aber … Wo ist das überhaupt?« Lisa scrollt die Anzeige nach unten. »Pirmasens.« Für einen Moment ist es still. »Sechser Postleitzahl. Wie weit ist das von Frankfurt?« Sie sieht Sabine fragend an.
»Sind etwa eineinhalb Stunden mit dem Auto. Du könntest dorthin ziehen. Ist ein feines Fleckchen. Ich habe ein paar Fotos angeschaut.« Sabine zwinkert ihr aufmunternd zu. »Heute ist der erste Tag deines neuen Lebens. Vergeude ihn nicht mit Grübeln.«
Lisa atmet tief durch. Dann steht sie auf. »Weg aus der Großstadt? Ich weiß nicht.« Unruhig geht sie hin und her. »Vielleicht sollte ich es versuchen. Dann kann ich mir später nicht …«
»… vorwerfen, bei diesem notgeilen Heini alt geworden zu sein«, beendet Sabine Lisas Satz. »Der Jens hat dich sowieso nicht verdient. Weder als Frau noch als Arbeitskraft.«
»Ob die mich einfach so gehen lassen?« Lisa kratzt sich am Kinn.
»Nun ja, zur Not drohst du ihm eben, an passenden Stellen ein paar pikante Details aus seinem Privatleben preiszugeben.« Sabine hebt bedeutungsvoll den Finger und grinst.
»Na dann. Versuche ich mich mal an einem Neustart.« Lisa legt eine Hand auf Sabines Arm. »Danke für alles.«
»Öhm. Du musst dich jetzt nicht gleich von mir verabschieden. Wir sehen uns nochmal, bevor du in den Pfälzerwald ziehst.«
Jetzt muss auch Lisa grinsen. »Erst mal muss ich die dort von meinem Können überzeugen. Dann bestelle ich sofort das Umzugsunternehmen.« Sie geht zur Tür, winkt Sabine noch einmal zu und macht sich auf den Weg zu ihrer Wohnung. Die Uhrzeit scheint ihr günstig.
Jens ist nicht daheim, als Lisa eintritt. Schnell geht sie zu ihrem Schreibtisch, schaltet den PC ein. Dank ihrer Gewissenhaftigkeit findet sie ihre Bewerbungsunterlagen von vor drei Jahren, schreibt alles entsprechend um und schickt die Online-Bewerbung an Pfalz-IT in Pirmasens.
Zufrieden lehnt sie sich zurück. Dann tippt sie www.pirmasens.de und es öffnet sich eine farbenfrohe Internetpräsenz. Die Stadt ist offensichtlich nicht sehr groß, aber allein die Bilder … So viel Natur, dichter Wald und ein recht abwechslungsreiches Kulturprogramm. Das könnte mir wirklich gefallen, denkt sie und klickt weiter. Sie findet Radwege und Wanderrouten und schaut sich auch bei den Wohnungsanzeigen um. Ein kleines Haus mit Garten fällt ihr ins Auge. »Herrlich ruhig am Stadtrand gelegen, bietet dieses komplett renovierte Häuschen alles, was Ihr Herz begehrt.« Lisa betrachtet die Bilder, die die Annonce freigibt, und speichert sich die Daten. Wenn es wirklich klappen sollte …
Sie schließt die Augen und versucht sich vorzustellen, wie sich alles entwickeln kann, wenn sie erst einmal das tut, was sie will. Sie träumt von ausgedehnten Spaziergängen, die Jens nie unternehmen wollte, von Picknicks und … Sie schluckt. Soll ich das wirklich alles alleine machen? Ob ich mich dabei wohlfühle? Sie streckt sich. Ja, ich will es schaffen! Und endlich unabhängig von Jens sein.
Gespannt liest sie ein paar Details über Pirmasens als Schuhmetropole vergangener Jahre. Dass sie Schuhe mag, erscheint ihr als gutes Omen.
Auf einmal spürt sie eine Hand auf ihrer Schulter.
»Du bist also zur Besinnung gekommen.«
Jens! Wie elektrisiert springt Lisa von ihrem Stuhl auf. Der rollt zurück und schlägt wie ein Geschoss zwischen Jens’ Beinen ein.
Er krümmt sich, flucht und richtet sich nur mühsam wieder auf. »Kannst du nicht aufpassen?«
»Ich hoffe, es hat richtig wehgetan«, zischt sie.
»Aha, wir sind also immer noch beleidigt, was? Komm schon …« Jens tritt zu ihr und starrt ihr in den Ausschnitt.
Gekonnt weicht sie aus. »Lass das!«, giftet sie ihn an.
Jens’ Augen funkeln.
Lisa überlegt nur einen Moment. Dann sagt sie: »Ich wollte dir nur meine Krankmeldung hinlegen und meinen Laptop holen. Außerdem habe ich …« Sie presst die Lippen aufeinander.
»Was hast du?« Jetzt beugt sich Jens über den Bildschirm. »Wanderungen rund um Pirmasens?« Er schiebt die Maus hin und her. »Was willst du denn in diesem Kuhkaff am Arsch der Welt? Etwa Urlaub machen?«
»Sicher nicht. Ich werde dort arbeiten.« Lisa verschränkt die Arme vor der Brust.
»Was soll das heißen?« Er macht ein Gesicht, als hätte er Essigwasser gesoffen. Der hat gesessen, denkt sie. »Du kannst mich mal gern haben. Ich kündige!«
Jens japst nach Luft. »Du bist ja nicht bei Sinnen!« Er wirft den Kopf in den Nacken und verlässt den Raum. Kurz darauf kracht die Wohnungstür zu.
7. Pirmasens: Freitag, 11. Juli
»So, mein Freund, ich mach mich jetzt vom Acker und du hältst hier schön brav die Stellung«, sagt Ben und stellt seinem Kollegen Timo eine frische Tasse Kaffee auf den Schreibtisch. Timo sieht ihn fragend an.
»Ich konnte Eichmann einen halben Tag frei abringen. War gar nicht so einfach, aber ich muss ein paar Dinge regeln.«
»Du meinst wohl eher, du musst gut Wetter bei Gabi machen, was?«
Ben rollt mit den Augen. »Na ja, die Stimmung ist immer noch ganz schön angespannt. Vielleicht kann ich die dunklen Wolken mit einem Ausflug und einem romantischen Fernsehabend vertreiben.«
»Du und romantisch! Hoffentlich geht das gut«, sagt Timo sichtlich amüsiert. »Ich wünsche dir viel Glück! Lass mich ruhig im Stich. Ich bin gespannt, wie du die dunklen Wolken dann morgen bei mir vertreibst.«
»Ganz sicher nicht mit einem romantischen Fernsehabend auf dem Sofa«, entgegnet Ben und geht zur Tür.
»Schade, bei dem Hintern!«, ruft Timo und pfeift ihm leise hinterher.
Ben wackelt beim Rausgehen mit der Hüfte und wirft dann, über die Schulter winkend, die Tür hinter sich zu. Im nächsten Moment reißt er sie wieder auf. »Vergiss es, Timo!«
Sein Kollege lacht und haucht ihm einen Luftkuss hinterher. Ben verzieht das Gesicht.
Auf dem Weg nach draußen schickt er Gabi eine Nachricht. Hey Schatz, bin gleich zu Hause und stehe dir den ganzen restlichen Tag zur Verfügung. Was wollen wir machen?
So wie Ben sie kennt, will sie bestimmt ins Freibad. Eigentlich hasst er Freibäder, aber bei der Hitze hätte nicht mal er etwas gegen eine Abkühlung einzuwenden. Beschwingt macht er sich auf den Nachhauseweg.
Vor dem Haus angekommen, stellt er fest, dass Gabi noch nicht geantwortet hat. Ob sie schon alleine zum Schwimmen gefahren ist? Er schiebt sein Fahrrad in den Innenhof, und auf dem Weg zum Treppenhaus fällt ihm auf, dass Gabi die Post nicht wie sonst aus dem Briefkasten genommen hat. Er nimmt die wenigen Briefe und ein paar Werbeblätter heraus und geht die Treppe hoch, als ihm Onkel Rudi von oben entgegenkommt.
»Benjamin, saa mol, was issen bei eich los?«, fragt er ganz außer Atem.
»Wieso? Was soll los sein?«
»Es Gabi zieht aus?«
»Was? Quatsch! Wie kommst du denn darauf?«
»Warum schunscht solld se heid moind ihr Mewel aus de Wohnung gedrah honn?«
Ben legt die Stirn in Falten und sieht seinen Onkel prüfend an. »Ach, da hast du sicher was falsch verstanden«, sagt er und steigt weiter die Treppe zur Wohnung hoch. Rudi folgt ihm. Ben schließt die Wohnungstür auf.
»Siehsche, die Kommod im Flur is weg. Unn die Gadrobb ah!«
Ben betrachtet die leeren Stellen in der Wohnung. Im Regal fehlen Bücher und an den Wänden einige Bilder, und selbst die Orchideen auf der Fensterbank sind nicht mehr da.
»Vielleicht waren das Einbrecher«, murmelt er wenig überzeugt.
»Unn die honn ausgsieh wie’s Gabi unn e junger Monn? Ich habb se doch getroff. Awwer viel geredd honn die ned.«
»Was für ein junger Mann?«
»Honn ich nedd gekennt. So e blonder Schnösel in doim Alder. Oder jinger.«
»Tom?«, fragt Benjamin mehr sich selbst und lässt sich in der Küche auf einem Stuhl nieder. »Ich brauch jetzt ein Bier! Willst du auch eins?«, fragt er mit belegter Stimme.
»Jo, do deed ich ned nää sae. Awwer donn muss ich widder gehe. Die Lore vum Yoga hole.«
Benjamin und Rudi stürzen ein Bier hinunter und sein Onkel schüttelt den Kopf. »Hasche vun nix gewisst?«
»Wir hatten ein bisschen Stress, aber von Ausziehen war keine Rede.«
Sein Onkel nickt verständnislos. »Sei mer ned bees. Ich muss gehe. Schunscht schmeißt mer moi Fraa ah noch die Brogge hi.«
Er klopft Ben aufmunternd auf die Schulter. »Wonn was is, meld dich, Buu! Vielleicht kriehn ner jo nochmol die Kurv!«
Kaum ist sein Onkel aus der Tür, sprintet Ben ins Arbeitszimmer. Als er seinen Computer unbeschadet auf dem Schreibtisch sieht, lässt er sich erleichtert auf dem Drehstuhl nieder. Er starrt ins Leere. Das darf doch alles nicht wahr sein. Sie hat mich verlassen, fährt es ihm durch den Kopf. Einen Moment lang grübelt Ben vor sich hin. Natürlich hatte er in letzter Zeit viel zu tun. War mehr in der Firma als zu Hause. Aber das ist doch kein Grund, sich zu trennen. Er hat es ihr doch oft genug erklärt. Ben fährt den Computer hoch und öffnet seinen Blog. Einen kurzen Moment zögert er, lässt die Finger über der Tastatur schweben, dann tippt er los:
Blogeintrag
Neue, wichtige Bier-Erkenntnis:
Je gescheiterter eine Beziehung, desto besser schmeckt das Bier.
Ein Mann kann im Leben auf Vieles verzichten. Aber niemals auf ein gutes, kühles Bier. Im Sommer wie im Winter, in guten wie in schlechten Zeiten.
Benjamin Bierchen (seit gerade Single)
Ben schickt den Beitrag ab, lehnt sich zurück und lässt die Arme müde über die Stuhllehne baumeln. Er schließt kurz die Augen. Was soll dieses ganze Theater? Warum kann man nicht wie vernünftige Menschen miteinander reden? Kompromisse finden? Er überlegt, Gabi eine Nachricht zu schicken, aber dann fällt ihm dieser Idiot von Tom wieder ein …
8. Frankfurt/Main: Montag, 14. Juli
Lisa legt einige wichtige Akten in eine Umzugskiste und lässt sich auf das Ledersofa fallen. Ihre verschwitzten Arme bleiben auf der Lehne kleben. »Ekelhaft«, brummt sie. Nicht einmal ihr Sofa mit dem feinen Stoffbezug hatte Jens hier zugelassen. Das steht bei ihrer Mutter. Jens meinte … Ja, ihr Ex hat ziemlich viel Meinung gemacht in den letzten Jahren. Ihre Gedanken kreisen um die Diskussion der letzten Stunden. »Ich bin verrückt, einfach so zu kündigen.« Sie schüttelt den Kopf. »Pirmasens muss klappen.« Mehrfach wiederholt sie diesen Satz wie ein Mantra.
Sie holt im Schlafzimmer ihren Koffer aus dem Schrank und packt einige Sommerklamotten ein. Dann wählt sie Sabines Nummer. »Du, ich halte es hier nicht aus. Kannst du mich noch ein Weilchen ertragen?«
»Frag doch nicht so. Komm her! Ich bin in einer Stunde wieder daheim.« Sie verabschieden sich voneinander und gerade als Lisa ihr Handy zurück in die Hosentasche schieben will, klingelt es. Sofort erkennt sie die Bürorufnummer. Für einen Moment denkt sie daran, den Anruf wegzudrücken, doch dann nimmt sie ihn an.
»Ja, hallo?« Lisas Stimme zittert.
»Grüß dich, Lisa. Hier ist Franz.«
»Hallo Chef.«
»Ich habe gehört, du bist gleich zwei Wochen krankgeschrieben.«
»Ja.«
»Jens sagt, du siehst gar nicht sonderlich krank aus.«
»Na, wenn Jens das sagt.«
»Lisa, du weißt, wie wichtig du hier bei uns bist. Jetzt höre ich von Jens, du willst kündigen.« Der Vorwurf, der ihr aus der Stimme ihres verflossenen Schwiegervaters in spe entgegen dringt, ist nicht zu überhören.
»Es ist besser so, Franz.« Da hatte Jens also nichts Besseres zu tun, als seinem Vater alles zu erzählen. »Vielleicht sollte dein Sohn dir einfach die ganze Wahrheit sagen.«
»Wie?« Franz hustet. Das passiert immer, wenn er sich aufregt.
Lisa wartet seine Hustenattacke ab. Dann legt sie nach: »Zum Beispiel könnte er dir sagen, was für ein armseliges Würstchen er ist.«
»Ja, aber ihr wolltet doch eine Familie gründen und …« Franz zieht vernehmlich die Luft ein. »Du bist hier in der Firma unabkömmlich.«
»Ich bin sicher, Jens findet schnell einen Ersatz für mich.« Ihre Stimme klingt hart und das tut ihr für den Seniorchef schon wieder leid. Er kann ja nichts dafür. Trotzdem: Es ist, wie es ist. »Du, Franz. Sei mir nicht böse. Der Arzt hat mir absolute Ruhe und keine Aufregung verordnet. Daran will ich mich halten.«
»Schon klar. Ich wünsche dir gute Besserung. Und bitte nutze die Zeit zum Nachdenken. Wir brauchen dich hier wirklich. Tschüss.« Franz legt auf.
Sie schlägt mit der Faust gegen den Türrahmen. Jens ist noch blöder, als sie dachte. Lisa ist sicher, dass er seine Eskapaden mit keinem Wort erwähnt hat. Franz würde ihm den Kopf waschen. Beziehungstechnisch ist der Senior ganz alte Schule. Und Lisa weiß, welch große Stücke er auf sie hält. »Franz, deinetwegen tut es mir wirklich leid. Aber du bist nächsten Monat weg. Dann wäre Jens mein Chef«, sagt Lisa laut, während sie hin und her läuft. Schon beim Gedanken daran, Jens’ betrügerische Visage jeden Tag vor Augen zu haben, dreht sich ihr der Magen um. »Nein, ich habe mir seine Gemeinheiten schon viel zu lange gefallen lassen. Jetzt ist Schluss damit.« Sie betrachtet sich im Spiegel, ihre Augenlider flackern.
Als sie in den Flur tritt und das Foto des Afrika Urlaubs in ihren Blick fällt, bleibt sie stehen. Da war noch alles gut. Was war das für eine wunderbare Zeit auf Safari und in den liebevoll eingerichteten Lodges. Jens hatte sie mit dieser Reise überrascht, als sie sich erst ein paar Wochen kannten. Wie liebevoll er sich dort um sie gekümmert hatte. Mit Frühstück im Bett, Fußmassagen und … Lisas Hals brennt. Sie wischt sich über die Augen und verlässt die Wohnung.
Im Auto vor Sabines Wohnung wartet sie auf ihre Freundin. Gelangweilt tippt sie auf ihrem Handy herum. Da trifft eine neue E-Mail ein.
Betreff: Ihre Bewerbung bei Pfalz-IT
Lisa hält die Luft an. Das ging ja schnell. Vor Aufregung zittern ihre Hände. Sie klickt auf die Nachricht und fängt an zu lesen:
Sehr geehrte Frau Köster,
herzlichen Dank für Ihre Bewerbung und das damit verbundene Interesse …
Lisa überfliegt die Zeilen, sucht nach dem Satz, in dem ihr abgesagt wird. Dann sieht sie:
… würde ich Sie bei einem Gespräch gern näher kennenlernen. Ich bin diese Woche nicht im Geschäft, melde mich aber zeitnah telefonisch bei Ihnen, um einen Termin zu vereinbaren.
»Oh meine Güte.« Nervös kramt sie in ihrer Tasche. Da bemerkt sie einen Schatten neben ihrem Auto und sieht erschrocken nach draußen. Sabine steht da. Lisa reißt die Autotür auf. »Vorstellungsgespräch!«, jubelt sie und fuchtelt mit der Hand durch die Luft.
Sabine klatscht in die Hände. »Hab ich es doch gewusst!«
Lisa setzt sich auf Sabines blumengeschmückten Balkon, auf dem Bienen zu den Blüten schwirren und Schmetterlinge sich an aufgeschnittenen Orangenscheiben laben. Ihr Blick schweift über die beeindruckende Frankfurter Skyline. »Die Stadt wird mir bestimmt fehlen.« Seufzend wendet sie sich den Schmetterlingen zu.
Schon wieder klingelt ihr Handy. Nach einem kurzen Blick aufs Display geht sie ran. »Ja, Mama?«
»Kind! Sag mal, was höre ich da? Du willst weg? Ohne mit mir vorher zu reden? Aber was soll denn dann aus mir werden? Du kannst doch nicht …«
»Mama, bitte.« Lisa verdreht die Augen. »Noch ist es nicht soweit.«
»Ja, aber. Du hast dich doch …«
»Anderswo beworben und bei Jens gekündigt. Mehr gibt es noch nicht zu sagen.«
9. Pirmasens: Samstag, 19. Juli
Der warme Wasserstrahl läuft Ben über die Schultern. Er lässt den Kopf auf die Brust fallen und spürt, wie die Verspannung allmählich nachlässt. Normalerweise singt er unter der Dusche. Viel zu laut, viel zu schief und alles, was die Musikwelt so hergibt. Aber heute ist ihm nicht danach. Er dreht sich um, hält das Gesicht unters Wasser und fragt sich, ob Gabi das mit dem Auszug wirklich ernst meint. Nur so zum Spaß schleppt wohl niemand eine Kommode aus der Wohnung. Die Tatsache, dass Gabi sogar ihre geliebte Buddha-Figur vom Nachttisch mitgenommen hat, spricht ebenfalls für ihre Entschlossenheit. Um das hässliche Ding tut es Ben allerdings nicht leid. Es hat ihn ohnehin gestört, dass dieser grinsende Dickbauch ihn permanent angeglotzt hat. Egal, was man im Bett gerade so machte. Ben öffnet die Augen und lauscht. Dann hört er eine Stimme.
»Ben? Hallo? Benjamin, bist du da?«
Er wischt über die beschlagene Scheibe der Duschkabine und erkennt Gabis Umrisse in der Badezimmertür. Schnell stellt er das Wasser ab.
»Ich wollte kurz mit dir sprechen!«, ruft sie.
Er schiebt die Duschtür auf. »Hier?«, fragt er überrascht und angelt eilig nach einem Handtuch.
»Im Wohnzimmer«, entgegnet sie genervt und geht hinaus. Er rubbelt sich kurz über den Kopf, bevor er sich das Handtuch um die Hüfte bindet. Als er in den Flur kommt, sieht er, dass die Wohnungstür offen ist. Im Treppenhaus steht Tom neben ein paar Kartons. Er lehnt lässig am Geländer, hat die Arme verschränkt und kaut Kaugummi. »Hi Ben«, sagt er und grinst dabei so blöd, dass man meinen könnte, er wäre schwachsinnig. Ben, knallt die Wohnungstür zu und geht ins Wohnzimmer. »Was macht dieser Clown da im Flur?«
Gabi, die am Fenster steht und hinausblickt, dreht sich zu ihm um. »Hör auf, ihn einen Clown zu nennen.«
»Ok, wozu hast du diesen … Vollidioten mitgebracht? Als Bodyguard oder was?«
»Er hilft mir tragen.«
»Ach, so ein Zufall. Dass ich nicht lache!«
»Ben, hör auf. Lass uns reden wie vernünftige Menschen.«
»Wie vernünftige Menschen? Die reden erst miteinander und tragen dann ihre Möbel aus der Wohnung, wenn überhaupt. Und nicht umgekehrt.«
»Pah! Ich habe oft genug mit dir reden wollen, aber du hattest ja nie Zeit.«
»Und dieser Pausenclown da draußen? Der hat Zeit? Muss der nicht arbeiten? Dann hoffe ich für dich, dass seine Kohle ausreicht für deine ganzen Shopping-Touren und Designer-Möbel.«
»Mit dir zu reden macht überhaupt keinen Sinn. Aber wo wir gerade dabei sind: Das Sofa hole ich bei nächster Gelegenheit noch ab.«
Trotzig verschränkt sie die Arme. »Du hast es sowieso nicht gemocht.«
»Aber ich mochte dich, Gabi!«, schießt es aus ihm heraus. Dann ist es still im Raum. Als würde die Welt einen Moment die Luft anhalten. Ben lehnt sich resigniert an den Türrahmen und streicht sich die feuchten Haare zurück. »Wie lange geht das schon mit dir und Tom?«
Gabi dreht sich wieder zum Fenster, sagt aber nichts.
»Gabi, verdammt, ich …«
»Ich habe keine Lust, mit dir darüber zu reden, Ben. Nicht jetzt.« Gabi kommt auf ihn zu und bleibt vor ihm stehen. Ihre Augen sind dunkel, fast schwarz. Wie immer, wenn sie wütend ist. »Es ist aus. Je schneller du das einsiehst, desto besser.«
Draußen klopft Tom an die Tür.
»Ich komme!«, ruft Gabi und sieht sich noch einmal prüfend um.
»Du wirfst einfach unsere ganzen gemeinsamen Jahre weg wegen … Tom?«, fragt Ben.
»Ich mache nicht wegen Tom Schluss, sondern weil ich keine Lust mehr auf dich habe. Du bist ein elender Langweiler.« Sie schleudert ihm die Worte wie eine Ohrfeige entgegen, und so fühlen sie sich auch an.
Ben sieht Gabi einen Moment lang an, dann geht er in den Flur und reißt die Wohnungstür auf. »Na dann wollen wir mal hoffen, dass dich der Kasper hier draußen ausreichend unterhalten kann, damit dir nicht langweilig wird!« In diesem Moment rutscht ihm das Handtuch von der Hüfte und fällt zu Boden. Toms lässt seinen Blick langsam an Ben herunter gleiten und setzt dann ein mitleidiges Lächeln auf. Ben bückt sich, grapscht nach dem Handtuch und bindet es sich mit hochrotem Kopf wieder um.
»Raus«, sagt er und deutet Gabi mit dem Kinn, endlich zu gehen. Als sie dicht an ihm vorbei geht, blickt sie ihm finster in die Augen. »Du machst dich lächerlich!«, zischt sie.
»Nicht mehr als du mit diesem Möchtegern-Aufpasser!«, gibt Ben zurück. Tom unterbricht sein Kaugummi kauen, baut sich zu voller Größe auf wie ein Türsteher und macht einen Schritt auf ihn zu. »Pass auf, was du sagst. Sonst …«
»Sonst was? Willst mir eine reinhauen, oder was?« Ben lacht. »Mach dich lieber mal nützlich und sieh zu, dass der ganze Plunder hier vor meiner Tür verschwindet! Den kannst du dir ja jetzt schön in dein Wohnzimmer stellen.«
Tom hebt beide Fäuste, als wolle er einen Boxkampf beginnen.
»Tom, bitte! Lass uns gehen«, sagt Gabi nervös. Ben hebt amüsiert die Augenbrauen. Dann sieht er Gabi an. »Ich sage es doch: Lächerlich. Absolut lächerlich!«
Gabi will noch etwas erwidern, aber Ben dreht sich um und schlägt die Wohnungstür hinter sich zu.
10.
Kaum ist die Wohnungstür hinter Ben ins Schloss gefallen, schleudert er das Handtuch auf den Boden. Am liebsten würde er wieder rausgehen und sich tatsächlich mit Tom prügeln. Allein schon wegen seines dämlichen Grinsens. Aber der Blick in den Flurspiegel sagt ihm, dass es von Vorteil wäre, sich erst mal anzuziehen. Er geht ins Schlafzimmer, schlüpft in Shorts und T-Shirt und sitzt dann noch eine Weile auf der Bettkante, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Der Ärger verraucht allmählich. Zurück bleibt Enttäuschung. Gabi hat so fremd gewirkt. Diese Kälte in ihren Augen. Ben weiß nicht, was er schlimmer findet. Dass sie mit Tom hier aufgetaucht ist oder dass ihr nichts wichtiger ist als diese blöde Couch.
Während er dasitzt und grübelt, fängt sein Magen laut an zu knurren. Ihm fällt ein, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hat. Er schlurft in die Küche und kontrolliert den Kühlschrank auf Essbares. Im oberen Fach liegen zwei Pakete Räucher-Tofu. Im Gemüsefach welkt ein Salatkopf vor sich hin und im Fach in der Tür liegt ein einziges Ei, von dem er nicht sicher ist, wie lange es dort schon lagert. Frustriert macht er den Kühlschrank wieder zu und steht unschlüssig im Raum. »Ich muss hier raus«, sagt er zu sich selbst, zieht sich ein Paar Turnschuhe an und schnappt sich den Haustürschlüssel.
Sein Magen knurrt inzwischen so laut, dass die Entscheidung schnell klar ist. Er radelt direkt zu Jupp. Bei ihm gibt es die beste Currywurst mit Pommes. Ben fährt durch die Innenstadt, und weil viel Verkehr ist, nimmt er immer wieder Abkürzungen und muss sich konzentrieren, niemanden über den Haufen zu fahren oder vor einem Auto zu landen. Seine Gedanken schweifen jedoch immer wieder zu Gabi und der Frage: Was will sie mit diesem Idioten? Hinter Ben hupen Autos. Und plötzlich taucht da dieser Mann auf dem Zebrastreifen auf. Geht einfach hinüber. Mit einem kräftigen Schlenker, bei dem Ben fast vom Rad fällt, schafft er, es den Mann zu umfahren, und noch als er fluchend weiterfährt, wird er von einem Polizei-Motorrad überholt. Der Fahrer streckt den rechten Arm raus und winkt ihn zur Seite. Was ist denn jetzt los, fragt Ben sich und hält am Bordstein an. Der Polizist steigt vom Motorrad, klappt sein Visier hoch und kommt breitbeinig in seiner leder-knarzenden Montur auf Benjamin zu. »Ich nehme an, Sie wissen, warum ich Sie anhalte?«
Ben denkt krampfhaft nach. »Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung.«
»Ihnen ist nicht aufgefallen, dass Sie über eine rote Ampel gefahren sind?«
Überrascht schaut Ben zurück zur Ampelkreuzung. »Ähm, nein, ist mir nicht aufgefallen. Tut mir leid!«
»Ihre Papiere bitte!«
Er fummelt mit fahrigen Bewegungen den Ausweis aus seiner Geldbörse und reicht ihn dem Beamten. »Hören Sie, es tut mir wirklich leid. Ich war total in Gedanken.«
Der Polizist kontrolliert das Dokument. »Schlechten Tag erwischt?«, fragt er überraschend freundlich.
»Schlecht wäre noch positiv ausgedrückt«, erwidert er. »Meine Freundin hat mich verlassen. Für einen Volltrottel«, hört Ben sich sagen.
»Und da wollen Sie jetzt hin und Ärger machen?«, fragt der Polizist und zieht die Augenbrauen zusammen.
»Äh, nein! Nein. Ich bin auf dem Weg zur Pommesbude! Sie hat alle ihre Sachen mitgenommen, außer ihr blödes Tofu aus dem Kühlschrank!«
»Tofu?« Der Beamte verzieht das Gesicht. »Nun, dann handelt es sich hier offenbar um einen Notfall.« Jetzt lächelt er. »Ich belasse es bei einer mündlichen Verwarnung. Aber ich will Sie nicht noch einmal anhalten müssen. Haben wir uns verstanden?«
»Verstanden Sheriff! Danke«, sagt Ben und salutiert. Der Polizist winkt ihn weiter und Ben schwingt sich wieder in den Sattel, biegt bei nächster Gelegenheit rechts ab und erreicht kurz darauf die Pommesbude.
»Nabend Jupp«, ruft er beim Hineingehen und sieht sich um. In der hinteren Ecke steht ein älterer Mann, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, und drückt die Knöpfe des Spielautomaten. Sonst sind keine weiteren Kunden da.
»Ach, Ben! Auch mal wieder hier? Einmal Currywurst Pommes und einmal Salat ohne Zwiebeln zum Mitnehmen, wie immer?«
»Nee. Nur eine Currywurst und eine große Pommes. Esse ich gleich hier. Das mit dem Salat hat sich erledigt. Dafür nehme ich aber ein großes Bier!«
Jupp schaut Ben einen Moment prüfend an und streicht sich über seine fleckige Kochschürze. »Haste Stress mit deinem Mädel?«
Ben nickt. »Sie hat sich von mir getrennt!«
»Oh«, sagt Jupp und irgendwie klingt er nicht sonderlich überrascht. Er stellt Benjamin eine Flasche Bier auf die Theke. »Weißte was, mein Freund? Wenn du mich fragst, ein Mädel, das nur Salat mümmelt, und das auch noch ohne Zwiebeln, ist eh nix für dich! Lass dir das vom ollen Jupp gesagt sein. Mal abgesehen davon: Wenn du allein lebst, dann haste auch nur die Hälfte der Probleme! Das kannste mir glauben! Prost! Geht aufs Haus!«
Ben stößt mit Jupp an, nimmt einen großen Schluck Bier und rülpst leise.
Jupp lacht. »Siehste, das hättest du jetzt nicht machen können, wenn du eine Perle dabei hättest.« Jupp hebt einen Zeigefinger. »Und jetzt mach ich dir die beste Currywurst im gesamten Universum. Extra scharf, extra gut! Das Leben ist zu kurz für Salat.«
Ben grinst, trinkt sein Bier leer und bestellt direkt noch eins. Aus der Fritteuse steigen weiße Dampfwolken auf, und bei dem Geruch der vor sich hin brutzelnden Pommes, läuft ihm das Wasser im Mund zusammen.
11. Frankfurt/Main: Samstag, 19. Juli
»Bist du aufgeregt?«, fragt Sabine über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg.
»Hmm.« Lisa steht vom Frühstückstisch auf. An Essen war für sie nicht zu denken und der Kaffee rebelliert in ihrem Magen. »Aber ich muss da jetzt hin, meine privaten Unterlagen brauche ich unbedingt.«
»Du machst das schon. Lass dich nur nicht auf Diskussionen ein«, gibt Sabine ihr mit auf den Weg.
»Versprochen.« Lisa umarmt ihre Freundin und steigt ins Auto.
Zu ihrer alten Wohnung zu fahren, fühlt sich schon nach wenigen Tagen nicht mehr wie der Heimweg an.
Im Büro zieht sie ihre Ordner aus dem Aktenschrank und stellt sie in den mitgebrachten Wäschekorb. Während sie den Korb hochhievt, fallen ihr Mutters Worte wieder ein. »Du kannst doch nicht einfach so …«
Ob ich vielleicht zu schnell aufgebe? Ob ich überreagiere? Vielleicht liebt Jens mich ja doch. Im Vorbeigehen mustert sie sich im Spiegel. Ich hätte mehr auf mein Äußeres schauen müssen. Lisa stellt den Korb auf dem Schreibtisch ab. Mit einer Hand streicht sie über das Shirt, drückt es fest gegen ihre Haut und betrachtet ihre Oberweite. Vor dem Spiegel dreht sie sich hin und her. »Kann ich ja nichts dafür, dass ich keine Frau mit Riesenbusen bin«, flüstert sie und schluckt.
Da vibriert ihr Handy. Schnell zerrt sie es aus der Hosentasche. Auf dem Display wird eine unbekannte Nummer angezeigt. Lisa meldet sich.
»Guten Tag, Frau Köster. Hier ist Eichmann. Firma Pfalz-IT aus Pirmasens. Entschuldigen Sie die Störung am Samstag.«
»Oh, guten Tag Herr Eichmann« Ihr Mund ist so trocken, wie Puddingpulver.
»Passt es Ihnen gerade?« Die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt sympathisch.
»Ja, natürlich. Alles bestens.«
»Ich will Sie gar nicht lange aufhalten. Frau Köster, es ist Folgendes: Wir brauchen Sie wirklich dringend. Genau genommen sofort.«
»Sofort?« Lisa sieht im Spiegel, wie sie die Augen aufreißt.
»Ja.« Herr Eichmann räuspert sich. »Wissen Sie, wir haben bisher nur kleine und mittlere Aufträge betreut. Aber nun haben wir hier eine Arbeit mit riesigem Volumen und meine beiden Mitarbeiter, die mit diesem Projekt betraut sind, brauchen dringend kompetente Unterstützung.«
Lisas Muskeln entspannen sich.
»Ich kann mir natürlich vorstellen, dass Sie nicht so schnell aus Frankfurt wegkommen. Ich meine, Sie arbeiten ja bei einem echten Marktführer unserer Branche und vermutlich kann ich Ihnen auch nicht den gleichen Lohn …«
»Doch, ich kann gleich bei Ihnen anfangen«, unterbricht Lisa den Redefluss von Herrn Eichmann. »Über meinen Lohn werden wir uns schon einig und ja, ich würde gern in einer kleineren Firma arbeiten.«
»Sehr gut. Wann könnten Sie denn hierher kommen wegen der Details?«
Lisa überlegt kurz. Am liebsten würde sie sofort starten. Aber wie hat Jens einmal gesagt? Du musst dich interessant machen. »Wie wäre es übernächste Woche?« Im Spiegel beobachtet sie, wie sich ihr Kiefer beim Sprechen bewegt.
»Ginge es vielleicht auch schon übermorgen, Frau Köster? Am Montag? Sie würden mich retten.«
»Na ja, da muss ich einige Termine verschieben. Aber ich werde es möglich machen.«
»Jetzt fällt mir ein Stein vom Herzen.« Sie verabschieden sich und Lisa lächelt ihrem Spiegelbild zufrieden entgegen.
In Windeseile bringt sie ihre Akten zum Auto in die Tiefgarage, geht zurück zur Wohnung und legt ihre restlichen Klamotten auf einen Stapel. Sie holt sich den großen Koffer, packt alles ein und sammelt auch ihre Kosmetikartikel zusammen.
Bepackt mit einer großen Tasche auf der einen Schulter, dem Koffer in der anderen Hand und einer Jacke über dem Arm öffnet sie die Haustür. Da steht Jens vor ihr mit dem Schlüssel in der Hand.
Er sieht blass aus. »Lisa. Schön, dass du da bist. Lass uns reden, ja?«
»Nein, ich muss los.«
»Weißt du, dass du mir damit den Todesstoß versetzt? Ohne dich ist hier alles so einsam.«
»Eine deiner Tussis wird dich sicher trösten.« Lisa macht einen Bogen um ihn. In diesem Augenblick ist sie dankbar, dass die Tür so breit ist.
»Aber Lieschen. Süße. Du kannst mich doch nicht einfach so abservieren. Bitte. Gib mir noch eine Chance.« Er schnieft. Seine Augen glänzen und Lisa zögert einen Moment.
Sie legt die Jacke über den Koffer. Da taucht vor ihrem inneren Auge das Bild von ihm mit dieser großbusigen Blondine auf. Wie von einer unsichtbaren Wand aufgehalten, tritt Lisa einen Schritt zurück.
»Vielleicht ist es besser so – für uns beide«, erklärt sie und nimmt ihre Sachen wieder auf.
»Nein, warte!« Jens schreit regelrecht und es klingt wie der Schmerzensschrei eines verwundeten Löwen.
Über die Schulter schaut Lisa ihn an. Sie schluckt. Noch nie musste sie so viel Kraft aufwenden, um den Türgriff nach unten zu drücken. »Es tut mir leid, dass alles so kommen musste. Aber du wirst dich nicht ändern und das weißt du. Dafür waren es schon zu viele – wie nanntest du es? – außerbetriebliche Treffen …« Tränen tropfen von ihrem Kinn. »Jetzt ist eben unsere Beziehung außer Betrieb.« Sie geht zum Aufzug, schiebt den Koffer hinein und lässt die schwere Tasche von ihrer Schulter zu Boden gleiten. Langsam schließt sich der Spalt der automatischen Tür. Lisa sieht noch einmal zur Wohnungstür. Jens lehnt mit hängendem Kopf am Rahmen. »Meine Möbel lasse ich abholen«, ruft sie und der Aufzug fährt los.
12. Frankfurt/Main: Sonntag, 20. Juli
»Wann musst du morgen in Pirmasens sein?«, fragt Sabine.
»Um neun. Warum?«
Sabine guckt auf die Uhr. »Meinst du nicht, es wäre schlauer, heute schon zu fahren? Wegen der Staus und so.«
Lisa zögert.
»Du nimmst dir ein Hotel und kannst schon mal die Gegend erkunden.«
»Willst du mich loswerden?«
»Nein, aber ich habe Angst, dass du es dir heute Nacht anders überlegst.« Sabine zwinkert ihr zu und Lisa antwortet mit einem gequälten Lächeln. »Vielleicht hast du recht.«
»Pack dir ein paar Sachen ein und ruf hier wegen dem Häuschen an.« Sabine tippt auf die Annonce auf dem Bildschirm. »Ich buche dir ein Hotelzimmer.«
»Ja, hallo? Schmal am Apparat.« Eine ältere Männerstimme tönt Lisa aus dem Hörer entgegen.
Sie räuspert sich. »Hier ist Köster. Lisa Köster. Ich rufe an wegen des Hauses, das Sie vermieten. Ist das noch …?«
Weiter kommt sie nicht. »Ach, unser Heisel. Ja, dess is noch se honn. Awwer med mir misse se ned hochdeitsch redde.«
Lisa grinst. »Oh, Entschuldigung. Aber ich komme aus Frankfurt.«
»Achso. Ei dann: Sie könne gern vorbeikommen. Wann wär’s Ihne denn recht?«
»Ehrlich gesagt: am liebsten heute noch. Können wir uns so gegen sechzehn Uhr treffen?«
»Awwer sicher! Ich meine: Ja, sehr gern. Honn Sie die Adress?«
»Stimmt die Adresse im Inserat? Am Mühlberg?«
»Ja, genau. Die is richdisch. Dann also bis später.«
»Danke Ihnen, bis später.« Lisa legt auf und prustet los. »Ich muss komplett übergeschnappt sein!«
»Ein bisschen verrückt ist immer gut.«
»Dein Wort in Gottes Ohr«, murmelt Lisa.
Nach zwei nervenden Staus wird der Verkehr kurz hinter Frankfurt ruhiger und Lisa entspannt sich ein wenig.
Das Navi zeigt als Ankunftszeit fünfzehn Uhr an. Im Radio läuft »The Winner takes it all« von Abba und Lisa singt aus vollem Halse mit. Sie schaut in den Rückspiegel. »Wollen wir hoffen, dass ich diesmal auf der Gewinnerseite stehe.«
An der Ausfahrt Pirmasens Zentrum verlässt Lisa die Schnellstraße. Ihre Hände kleben am Lenkrad. »Ruhig weiteratmen«, spricht sie sich selbst Mut zu. Deutlich hörbar saugt sie die Luft ein. Und pustet sie wieder aus.
»In fünfzig Metern links abbiegen«, fordert das Navi. »Dann rechts abbiegen.«