Heidelbeerkind - Marion Bischoff - E-Book

Heidelbeerkind E-Book

Marion Bischoff

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Beschreibung

Clausen, ein kleines Dorf im Pfälzerwald im August 1944: Elise liebt es, die morgendliche Ruhe der Natur auf sich wirken zu lassen. Sie pflückt Heidelbeeren, als sie plötzlich dieses Ächzen hört. Ängstlich und neugierig zugleich sieht sie sich um. Zwischen den Hecken liegt ein verwundeter Soldat. Die Panik ist ihm anzusehen. Obwohl Elise weiß, dass auf die Hilfe für Fahnenflüchtige Zuchthaus steht, versteckt und versorgt sie den Fremden in der Waldhütte ihres Vaters. Doch Nazis lauern überall … Obwohl viele Menschen die Ausmaße des Hitlerregimes gar nicht erfassen konnten, gab es unter ihnen diejenigen, die sich auflehnten und nicht dem verbreiteten Stimmungsbild folgten. Einer dieser Menschen war Elise.

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Seitenzahl: 363

Veröffentlichungsjahr: 2017

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© 2017 – E-book-Ausgabe RHEIN-MOSEL-VERLAG Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel Tel 06542/5151 Fax 06542/61158 Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-89801-850-0 Ausstattung: Stefanie Thur Lektorat: Gabriele Korn-Steinmetz

Marion Bischoff

Heidelbeerkind

Ein historischer Liebesroman

Rhein-Mosel-Verlag

Für meine Großeltern, die mich lehrten, was Liebe bedeutet und wie unfassbar stark dieses Gefühl ist.

Inhalt

1. Verrate mich nicht! – Sonntag, 13. August 1944

2. Gib auf dich acht! – Sonntag, 13. August 1944

3. Ich will nicht, dass du gehst! – Sonntag, 13. August 1944

4. Ich brauche deine Hilfe! – Montag, 14. August 1944

5. Du schaffst es! – Dienstag, 15. August 1944

6. Pass auf, was du sagst! – Donnerstag, 17. August 1944

7. Fluchtgedanken – Freitag, 18. August 1944

8. Halte dich zurück – Mittwoch, 23. August 1944

9. Wir haben nichts – Samstag, 26. August 1944

10. Hölzernes Herz – Samstag, 26. August 1944

11. Liebe ist einzigartig – Sonntag, 27. August 1944

12. Elise, du musst! – Montag, 28. August 1944

13. Nimm mich mit! – Dienstag, 29. August 1944

14. Vorbereitungen – Mittwoch, 30. August 1944

15. Geburtstag – Donnerstag, 31. August 1944

16. Verloren – Donnerstag, 31.August 1944

17. Wo ist er? – Freitag, 01. September 1944

18. Sonntagsmesse – Sonntag, 03. September 1944

19. Fragen ohne Antwort – Dienstag, 03. Oktober 1944

20. Hoffnungsschimmer – Freitag, 03. November 1944

21. Bomben – Donnerstag, 30. November 1944

22. Schweig und vergiss! –Montag, 04. Dezember 1944

23. Milchlieferung – Dienstag, 05. Dezember 1944

24. Weihnachtsvorbereitungen – Freitag, 22.Dezember 1944

25. Kein Weihnachtsgottesdienst – Sonntag, 24. Dezember 1944

26. Ich bin für dich da – Montag, 05. Februar 1945

27. Lebenszeichen – Dienstag, 27. Februar 1945

28. Alles anders – Sonntag, 04. März 1945

29. Einmarsch – Mittwoch, 21. März 1945

30. Heidelbeerkind – Mittwoch, 30. Mai 1945

Nachwort

»Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit aber ist der Mut.« (Thukydides, 454 – 399 vor Christus)

1. Verrate mich nicht!

Sonntag, 13. August 1944

Amselgezwitscher, das sanfte Wiegen der Baumwipfel im Wind, die Strahlen der aufgehenden Sonne, die durch Fichten und Buchen blitzten – ein Bild von Friedlichkeit umfing Elise, obwohl schon lange kein Frieden mehr herrschte.

Die einquartierten Soldaten, die ihren Dienst am nur wenige Kilometer entfernten Westwall verrichteten, waren ein Zeichen dafür, wie nahe die Bedrohung aus Frankreich schon vorgerückt war. Täglich brachen die Männer am frühen Morgen auf, um ihre Wachposten nahe Pirmasens zu beziehen. Hinter vorgehaltener Hand hatten sich letztens zwei Soldaten in Marthas Gasthaus darüber unterhalten, dass sie den Bunkeranlagen bei einem Angriff der Alliierten nicht trauten. Einer hatte ein Foto seiner Tochter ausgepackt und es geküsst. Elise hätte ihn am liebsten in den Arm genommen und ihm versprochen, dass er seine Tochter bald wieder sehen wird.

Sogar vor den Heidelbeerbüschen hier auf der Lichtung machte der Krieg nicht Halt. Ungeachtet dessen, dass dieser Grund und Boden ihrem Vater gehörte und jeder im Ort das wusste, waren die Büsche vollkommen abgeerntet. Sie hätte gar keine Schüssel gebraucht. Seufzend schob sie sich drei verbliebene Beeren in den Mund und ging ein paar Meter weiter in den Wald hinein. Etwas unterhalb des Weges gab es einen Sandsteinfelsen, an dessen schlecht zugänglicher Rückseite sich ihr geheimer Pflückplatz befand. Dort hoffte sie wenigstens noch ein paar Heidelbeeren zu finden.

Sie rutschte an der mannshohen Hecke vorbei, die den Felsen vom Weg trennte. Da knackte es im Gebüsch neben ihr. Sofort hielt sie in ihrer Bewegung inne und lauschte. Ihr Herz klopfte laut. Mit zitternden Händen schob sie die Zweige beiseite und versuchte, durch das Dickicht der Sträucher etwas zu erkennen. Doch sie sah nichts Besonderes und als sie auch nichts Verdächtiges mehr hörte, ging sie die drei Schritte zum Felsen hinunter und kniete sich zwischen die Büsche.

Das Zwitschern der Amseln beruhigte sie wieder. Vor dem Felsen entdeckte sie tatsächlich einige Beeren, zupfte sie flink ab, unterbrach ihr Tun aber immer wieder, um auf ungewöhnliche Geräusche zu lauschen. In diesen Zeiten war es nicht ungefährlich im Wald, das hatte ihre Mutter ihr wieder und wieder eingetrichtert.

Plötzlich vernahm sie ein leises Ächzen. Diesmal war sie sich ganz sicher, dass irgendetwas in der Hecke sein musste. Sie schlich zu den Büschen hinüber, bog die Zweige auseinander und blickte direkt auf einen daliegenden Soldaten.

»Karl!«, entfuhr es ihr, aber im gleichen Moment war ihr klar, dass es unmöglich ihr Verlobter sein konnte. Den würden die russischen Sümpfe nie mehr … Sie verbot sich den Gedanken.

Der Soldat rührte sich nicht. Sie ging auf die Knie und kroch auf ihn zu. Zweige kratzten an ihren Armen, doch vor Aufregung spürte sie das kaum. Als sie näherkam, erkannte sie, dass er eine deutsche Uniform trug. Seine Hose war blutverschmiert.

»Verzeihung«, presste sie hervor. Ihr Hals fühlte sich an, als wolle ihr jemand die Luft nehmen.

Da sie keine Atembewegungen feststellen konnte, legte sie den Zeigefinger an seine Halsschlagader. Es dauerte einen Augenblick, dann spürte sie das Pulsieren. Behutsam drehte sie seinen Kopf zu sich, um zu sehen, ob es vielleicht ein Rückkehrer aus dem Dorf war. Aber den jungen Mann, der da vor ihr lag, hatte sie noch nie gesehen.

»Kannst du mich hören?« Sie schluckte ihre Nervosität herunter. Weil er nicht antwortete, wiederholte sie ihre Frage, doch auch jetzt reagierte er nicht. Sie schüttelte ihn leicht an der Schulter.

Seine Lider flatterten, er blinzelte und schlug schließlich die Augen auf. Er wollte sich aufrichten, doch kaum hatte er den Oberkörper ein Stück angehoben, sackte er stöhnend wieder in sich zusammen.

Sie zuckte zurück.

»Lass mich! Geh weg!«, flüsterte er.

»Wer bist du?«

Er schüttelte den Kopf.

»Sag mir wenigstens, woher du kommst.«

Wieder schüttelte er den Kopf.

»Was ist mit deinem Bein? Woher kommt das ganze Blut? Soll ich einen Arzt holen?«

»Nein, keinen Arzt … Bitte! Keine Hilfe. Nichts.«

»Aber du kannst doch nicht hier liegen bleiben.«

»Ich … Ich gehe ja weiter. Bald. Ich wollte … wollte mich nur ausruhen.« Er sprach mit einem eigenwilligen Akzent. So hatte sie noch niemanden sprechen hören.

»Dann komm mit mir nach Hause. Da kannst du dich ausruhen und in ein paar Tagen weitergehen.«

»Nein, ich … lass mich, vergiss, dass du mich gesehen hast.«

Sie konnte seine Stimme kaum mehr hören. »Aber warum willst du dir denn nicht helfen lassen?«

Unter sichtlich großen Mühen öffnete er noch einmal die Augen. Sah sie mit einem verzweifelten Blick an.

Elise schnürte es den Hals zu. »Bist du etwa desertiert?«

Er drehte den Kopf zur Seite. Das war Antwort genug.

Elise schluckte. »Ich … Du … Du musst keine Angst haben.«

»Lass mich in Ruhe!«, wehrte er ab.

»Ja, aber …«

»Hau einfach ab!«

In diesem Augenblick ertönte die Sirene im Ort.

Erschrocken fasste Elise an den Arm des Soldaten. »Das ist Fliegeralarm.«

Er sah sie mit weit aufgerissenen Augen an.

»Komm, wir müssen dich sofort hier wegbringen.«

»Das schaffe ich nicht.«

Sie spürte, dass er zitterte, und erkannte die Panik in seinen Augen.

Schon wieder schrillte die Sirene. Er hatte den Blick von ihr abgewendet.

»Bist du geflüchtet, um dich hier von den Nazis erwischen zu lassen?«

Der Soldat schüttelte schwach den Kopf.

»Los! Wir haben keine Zeit! Gleich ist das halbe Dorf hier. Die suchen alle hier unter den Felsen Schutz.« Sie beugte sich zu ihm hinunter.

Er versuchte, sich zu erheben, aber auf halber Strecke verdrehte er die Augen und sank wieder zu Boden. »Ich kann nicht.«

Elise drückte kurz seine Hand. »Wir schaffen das. Ich bringe dich zur Waldhütte meines Vaters.« Energisch schob sie ihre Hände unter seinen Achseln hindurch und zerrte ihn aus den Büschen.

»Uff, das hätten wir.« Elise strich sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht und hielt seinen Oberkörper mit ihren Schienbeinen fest. »Kannst du aufstehen?«

Er antwortete nicht, stellte zuerst den unverletzten Fuß auf und zog den verwundeten mühsam nach. Erneut spürte sie, wie sehr er die Muskeln anspannte. Es dauerte eine Weile, aber schließlich stand er etwas wackelig neben ihr. Sie umfasste seine Taille. Die ersten Schritte zerrte sie ihn mehr, als dass er die Beine voreinander setzte. Seine Knie gaben immer wieder nach. Jedes Mal krallte er sich fester in ihren Oberarm.

Die Sirene heulte jetzt ohne Pause. Alle paar Schritte schaute Elise sich um, aber es waren keine Schutzsuchenden aus dem Dorf zu sehen. »Die schlimmsten Nazis sind immer als Erste hier«, keuchte sie und trieb ihn an, weiter zu gehen.

Er setzte seinen verwundeten Fuß kaum auf. Mit einem Mal verstummte die Sirene.

»Fehlalarm.« Sie atmete durch und blieb stehen, um neue Kraft zu sammeln. Da kippte der Soldat zu ihr herüber. »He! Nicht schlappmachen. Wir sind ja fast da.« Sie deutete mit dem Kinn auf die vor ihnen liegende Kurve. »Dahinter ist die Hütte.«

Vor der Tür half sie ihm, sich anzulehnen und holte den Schlüssel aus dem Versteck im Türrahmen. Zusammen mit dem Soldaten betrat sie den Holzverschlag und drückte die Tür gleich wieder hinter ihnen zu. »Wer weiß, ob nicht einer der Oberbraunen doch noch zu den Felsen eilt. Die Nazis sind nämlich die größten Angsthasen.« Sie versuchte ein Lächeln.

Neben der Tür hatte ihr Vater eine breite Sitzbank an die Wand gebaut. Dort führte sie den Soldaten hin und er fiel darauf wie ein Kartoffelsack. Aufatmend sank sie neben ihn. »Hier bist du erst mal sicher.«

»Und dein Vater? Was, wenn der kommt?«

Sie schüttelte den Kopf. Vater wird nie mehr kommen, dachte sie und schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. Sie räusperte sich und wandte sich dem Soldaten zu, der bleich und schweißgebadet mit dem Rücken an der Hüttenwand lehnte.

Ein Blick zu seinen Füßen verriet ihr, dass nicht nur sein Hosenbein zerrissen und blutverschmiert war, sondern auch sein rechter Stiefel, der ihm nur noch in Fetzen um den Fuß hing. »Was ist passiert?«

»Eine Granate.« Er wich ihrem Blick aus, beugte sich nach vorne, um seinen Stiefel auszuziehen, dabei kippte er fast vornüber, sodass sie ihn zurückhielt.

»Lass mich dir helfen«, bot sie an.

Kommentarlos lehnte er sich zurück und ließ sie gewähren.

Sie kniete sich vor ihm auf den Boden, bog das, was vom Stiefelschaft noch übrig war, auseinander und zog daran. Der Mann stöhnte laut. Sie sah zu ihm auf. »Der muss aber runter«, sagte sie leise.

»Ich weiß. Mach … aber schnell, bitte.« Er biss sich in die Hand und kniff die Augen zusammen.

Mit einem entschlossenen Ruck zog sie den Stiefel von seinem Fuß. Dicht neben dem Knöchel klaffte ein tiefes Loch. Ein fauliger Geruch stieg ihr in die Nase. »Oh, mein Gott!« Sie bemühte sich, flach zu atmen.

An den rohen Fleischfetzen hingen getrocknetes Blut und Dreck. »Das sieht ja furchtbar aus. Wir müssen deine Wunde reinigen und desinfizieren.« Sie stand auf. »Ich hole Wasser.«

In der Hüttenecke stand Vaters Eimer, den sie von Holzstückchen befreite und ausklopfte.

»Aber das kann ich doch nicht von dir verlangen. Du bringst dich in Gefahr. Wenn jemand dich sieht.« Er sprach nicht weiter.

»Das lass mal meine Sorge sein!« Entschlossen ging sie zur Tür, lugte vorsichtig hinaus, huschte ins Freie und eilte zur nahen Quelle. Dabei behielt sie die Felsen im Blick, um sicher zu sein, dass sie niemand beobachtete.

Bis zum Rand füllte sie den Eimer mit Wasser. Beim Zurücklaufen schwappte das kalte Nass über und zwang sie langsamer zu gehen. Mit einer Hand öffnete sie die Hüttentür und schob sie hinter sich schnell wieder zu. Den Eimer stellte sie vor ihm auf dem Boden ab. »Bist du bereit?«

»Hmm.«

Behutsam hob sie sein rechtes Bein an, schob den Eimer darunter und stellte seinen verletzten Fuß hinein. Dann schaufelte sie mit einer Hand mehrmals Wasser über die Wunde. »Geht’s?«

»Ja.« Seine Stimme zitterte.

»Bist ein schlechter Lügner.«

Nach kurzer Zeit hatte sich das Wasser zu einer trüben Brühe verfärbt. Sie hob den Fuß heraus. Mit ihrem Taschentuch versuchte sie, behutsam den aufgeweichten Dreck zu entfernen.

Er stöhnte laut auf.

Je mehr sie von seiner Blessur zu sehen bekam, umso größer wurde ihre Sorge. Von seinem Fuß hingen mehrere Hautfetzen herunter und in der Wunde erkannte sie jetzt neben weißgelben Eiterknötchen auch schwarze Metallteile. »Du hast Splitter in der Wunde.« Sie hielt die Luft an, um dem aufsteigenden Würgereiz entgegenzuwirken.

Als sie versuchte, mit den Fingernägeln ein größeres Metallstück zu entfernen, zuckte er zurück. Sie ließ ihn sich kurz erholen, widmete sich dann aber gleich wieder der Stelle und bemühte sich, zumindest die großen Splitter herauszuziehen. Nach einer Weile schaute sie zu ihm auf und sah, dass von seinem Kinn Schweiß tropfte. Er hatte die blass verfärbten Lippen zusammengepresst.

»Ich hab’s gleich«, versprach sie ihm und entfernte den letzten großen Granatsplitter. Dann stand sie auf, trat einen Schritt zurück, um durchschnaufen zu können.

»Ich muss jetzt gehen. Meine Mutter wird mich sonst suchen.«

Von der Prozedur war er offenbar so geschwächt, dass er nicht einmal ein Nicken zustande brachte. Elise leerte die trübe Brühe auf den Sandboden der Hütte und half dem Mann, sich auf die Bank zu legen.

Als sie ging, hörte sie ihn »Danke« murmeln.

»Bis gleich.« Ohne sich noch einmal umzusehen, verließ sie die Hütte und rannte, so schnell sie konnte, nach Hause.

Seine Wunde musste sofort desinfiziert werden, und zwar noch vor dem Gottesdienst. Sie hoffte, dass ihre Mutter noch im Stall war, damit sie den Schnaps ungesehen aus der Küche holen konnte.

An der Haustür klopfte sie sich den gröbsten Staub von den Schuhen. Kaum war sie eingetreten, kam die Mutter ihr im dunklen Flur entgegen und empfing sie mit besorgter Miene. »Wo in aller Welt warst du so lange? Hast du die Sirene nicht gehört?«

»Doch.«

»Ich komme hier fast um vor Sorge.«

»Es war doch bloß Fehlalarm.«

»Es hätte aber auch ernst sein können. Und wie siehst du überhaupt aus? Deine Haare, deine Schürze und …« Entsetzt starrte die Mutter sie an. »Du blutest ja! Wer hat dich angegriffen?«

Schnell zog Elise die Hand zurück und rieb mit etwas Spucke über die verschmierten Finger. »Ach, das ist nur vom Pflücken.«

»Vom Pflücken? Und wo hast du die Schüssel?«

Die steht noch in der Hütte, fiel es ihr siedend heiß ein. »Mist! Die habe ich vergessen.«

»Und deine Haare sind in die Dornen gelangt, oder was?«

Elise fuhr sich mit der Hand über den Kopf. »Die Schüssel war fast voll. Da ging die Sirene los und ich habe mich erschrocken. Dann ist die Schüssel umgekippt. Alles ist zwischen die Hecken gerollt. Ich wollte die Beeren sofort wieder aufsammeln, aber ich musste mich doch in Sicherheit bringen und als ich wieder hinkam, war alles zermatscht.« Sie hoffte, dass ihr die Mutter nicht ansah, dass sie log und ging weiter in die Küche. So musste sie ihr wenigstens nicht länger ins Gesicht schauen.

Die Mutter war ihr gefolgt und stand jetzt direkt hinter ihr. »Du warst wieder allein dort oben. Habe ich recht?«

Elise nickte zögerlich.

»Mein Gott! Wenn ich mir vorstelle, dass einer dich … Denk doch nur an Ruth.«

Elise kannte Ruths Geschichte nur zu gut. Das Mädchen war beim Holzsammeln unterhalb des Bärenfelsens bei Rodalben vergewaltigt worden. Als sie merkte, dass sie schwanger war, hatte sie sich aus lauter Verzweiflung einer Abtreibung bei irgendeinem Quacksalber unterzogen und wäre fast daran gestorben.

»Kind, die Zeiten sind gefährlich!«

»Das musst du mir nicht sagen«, brummte Elise.

Trippelschritte unterbrachen die Diskussion. Ihr kleiner Bruder stürmte herein und rief ihr entgegen: »Elise, Elise, jetzt kann ich das Lied!« Schon begann er lauthals zu singen: »Vorwärts, vorwärts. Schmettern die hellen Fanfaren! Vorwärts, vorwärts. Jugend kennt keine Gefahren.«

Als Hans Luft holte, um zur nächsten Salve anzusetzen, schnappte sie ihn und hob ihn hoch. »Mein kleiner Sonnenschein.« Sie gab ihm einen Kuss auf den Mund, damit er verstummte. Die Mutter warf ihr einen dankbaren Blick zu.

Wenigstens was die Propaganda anging, waren sie sich einig. Wenn sie daran dachte, dass der Fünfjährige schon zum Nazi getrimmt werden sollte, erwuchs in ihr blanker Hass.

Hans präsentierte der großen Schwester die Steinschleuder in seiner Hand.

»Schau mal, die habe ich selbst geschnitzt.«

»Toll!« Sie tätschelte seinen Wuschelkopf.

»Los jetzt, wir müssen zur Kirche«, mahnte die Mutter.

»Geht schon vor. Ich wasche mich noch schnell und ziehe mich um.« Mit einer ausladenden Handbewegung machte Elise deutlich, dass sie in diesem Aufzug nirgendwo hingehen konnte.

Die Mutter nickte, griff nach ihrer Tasche und nahm das Kind bei der Hand. »Aber beeil dich!«

Elise versprach es, obwohl sie nicht vorhatte, nachzukommen. Schnell lief sie die Treppe hinauf zu ihrem Schlafzimmer.

In der Schublade ihrer Kommode bewahrte sie allerlei Tücher und Stoffe auf, die von ihrem Nähkurs übriggeblieben waren. Sie wühlte darin herum und fand die kleine Stofftasche mit dem bunten Blumenmuster von ihrer Großmutter sowie ein großes Stück Leinen, das sie als Verband benutzen konnte. Die Stofftasche hängte sie sich um. Das Leinen stopfte sie im Gehen hinein.

Auf dem Flur kam ihr der Großvater entgegen. Erstaunt sah er sie an: »Du wirst den lieben Gott doch nicht warten lassen?«

»Nein, nein. Ich bin ja schon unterwegs.«

»Mit dem Täschchen?«

Sie seufzte. Ihm konnte sie nichts vormachen. »Ich gehe heute nicht in die Kirche. Ich habe noch etwas zu erledigen.«

Er hob die buschigen Augenbrauen, aber noch ehe er weitere Fragen stellen konnte, rannte sie die Treppe hinunter in die Küche.

Dort kramte sie die alte Feldflasche aus dem Schrank, in die Großvaters Initialen geritzt waren und füllte sie mit Wasser. Aus dem Versteck in der hinteren Ecke des Schrankes zog sie die kleine Schnapsflasche hervor. Erleichtert stellte sie fest, dass diese noch zu gut einem Drittel gefüllt war. Beide Flaschen packte sie in die Stofftasche.

Unter dem kleinen, in der Ecke versteckten Kreuz im Flur faltete sie die Hände und sah zu Jesus auf. »Du verstehst sicher, warum ich heute nicht zum Gottesdienst gehen kann. Irgendwer muss dem armen Kerl doch helfen!«

Dann verließ sie das Haus, schickte einen prüfenden Blick den Berg hinunter und sah, dass auf der holprigen Hauptstraße jemand rannte. Die dunkle Kleidung verriet einen verspäteten Kirchgänger. Sie wartete, bis er verschwunden war, und jagte dann den Berg hinauf. Nach wenigen Schritten hatte sie die schützenden Bäume erreicht und stand wenig später auch schon vor der Hütte. Sie atmete tief durch und trat ein.

Sofort sah der junge Mann zu ihr auf und war sichtlich erleichtert, als er erkannte, dass sie es war. Seine Augen erinnerten Elise an die Bernsteine aus Mutters Kette.

Elise strahlte ihn an. »Ich habe alles mitgebracht, was wir für deine Wunde brauchen!«

Sie stellte die Flaschen auf der Bank ab und versuchte, das Leinentuch mit den Zähnen einzureißen. Der feste Stoff gab nicht gleich nach, doch schließlich schaffte sie es. Einen Teil behielt sie in der Hand, den anderen legte sie neben die Flaschen. Dann tränkte sie das Leinen mit Alkohol, brummte kurz: »Achtung, das tut bestimmt nochmal ordentlich weh!«, und drückte das Tuch auf die Wunde.

Der Soldat schrie auf. Sie hielt sein Bein fest. »Tut mir leid, aber das muss sein.«

»Ich weiß«, japste er.

Mit dem zweiten Stoffstück umwickelte sie den verletzten Fuß. »Gleich lässt der Schmerz nach, und wenn es brennt, hilft es. Das sagt zumindest mein Großvater.«

»Hoffentlich.«

»Hier, ich habe dir Wasser mitgebracht.« Sie öffnete den Schnappverschluss der Feldflasche und hielt sie ihm hin.

Mit einem dankbaren Nicken griff der Soldat danach und nahm mehrere Schlucke. Seine Arme zitterten vor Anstrengung. Als er sie absetzte, fielen seine Hände schlapp herunter. Elise konnte die Flasche gerade noch auffangen.

Wieder flüsterte er kaum hörbar: »Danke.«

»Nichts zu danken. Du hast bestimmt auch Hunger? Wie lange bist du denn schon unterwegs?«

Er antwortete nicht.

»Viel zu essen kann ich dir leider nicht mitbringen. Vielleicht kann ich beim Mittagessen etwas abknapsen, oder ich pflücke ein paar Beeren.«

»Nicht nötig.« Seine Stimme wurde immer schwächer und war kaum mehr zu hören. »Ich weiß gar nicht, wie ich das wieder gut machen soll!«

Elise versuchte ein Lächeln. »Ist schon in Ordnung, so wie es ist.«

»Danke.«

»Sag nicht dauernd danke. Das ist doch selbstverständlich.«

Sie stellte die Feldflasche neben die Bank. »Vergiss nicht, zu trinken.« Noch einmal nickte sie ihm aufmunternd zu, doch er reagierte nicht mehr.

Sie lief zum Felsen, holte ihre Schüssel und pflückte die wenigen verbliebenen Heidelbeeren, sodass sie wenigstens eine halbvolle Schüssel mit nach Hause bringen konnte.

2. Gib auf dich acht!

Elise erreichte den elterlichen Grund, als die Kirchenglocken das Ende des Gottesdienstes ankündigten. Sie stellte die Heidelbeerschüssel in die Küche und eilte in den Stall, um schnell noch die Ziege zu füttern, bevor ihre Mutter kam. Im Vorbeigehen kraulte sie Lotta zwischen den Ohren, was diese ihr mit vernehmlichem Meckern dankte. Anschließend öffnete Elise die Tür zum Hühnerstall. Das Federvieh flog ihr gackernd entgegen.

Mutter und Hans müssten inzwischen längst da sein. Wo sie nur blieben? Sie ging vors Haus, und weil der Blick in die Hauptstraße durch das tiefer liegende Nachbarhaus verdeckt wurde, stellte sie sich wartend auf den Weg vor ihrem Grundstück. Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem verwundeten Soldaten. Sie überlegte, was ihn wohl zur Fahnenflucht bewegt hatte und ob er in die Granate vor oder nach der Flucht geraten war.

Da kamen die Beiden auch schon den Berg herauf. Mutter jagte mit weit ausholenden Schritten auf Elise zu und zerrte den Kleinen hinter sich her, dass es aussah, als hebe er jeden Moment ab. Je näher sie kamen, umso deutlicher erkannte Elise die Zornesfalte auf Mutters Stirn.

»Wo warst du?«, zischte sie, kaum dass sie in Hörweite war.

Entschuldigend hob Elise die Schultern. »Ich bin aufgehalten worden. Tut mir leid, aber …«

»Was soll das heißen? Aufgehalten worden?«

Hans entriss sich Mutters Hand und lief auf Elise zu. Sie umarmte ihn.

»Der Sonntagsgottesdienst ist deine Pflicht!«, zeterte die Mutter weiter.

»Ich weiß.« Elise drückte den Kleinen fester an sich und senkte den Blick. »Ich … ich wollte doch wenigstens ein paar Heidelbeeren holen. Aber nach dem Gottesdienst gehen bestimmt noch mehr Leute hinauf und dann kriegen wir keine mehr.«

Die Mutter schüttelte ärgerlich den Kopf. »Hat es sich wenigstens gelohnt?«

»Ein paar sind es. Die stehen in der Küche. Aber ich gehe später nochmal. Ich weiß noch eine andere Stelle, die kennt sonst niemand.«

Mutter ging in die Küche und sah in die Schüssel. Sie winkte Elise zu sich, die ihr mit Hans an der Hand folgte, und murmelte: »Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mir vorkam, als die Leute nach dir fragten. Ich habe allen erzählt, dass Lotta krank ist und du dich um sie kümmern musst, weil wir nicht auch noch auf Ziegenmilch verzichten können.«

Erleichtert nickte Elise, die bereits mit einer Strafe gerechnet hatte. »Warum wart ihr eigentlich so lange weg? Die Kirche war doch schon längst zu Ende.«

»Anneliese hat uns mitgenommen und mir das hier geschenkt.« Die Mutter zog ein Päckchen aus der Tasche. Als sie das Zeitungspapier auseinanderfaltete, lächelte sie freudig. »Ein Kotelett, das seinesgleichen sucht.«

Elise verkniff sich eine Antwort. Sie wusste genau, dass Anneliese ihnen das Stück Fleisch nicht aus reiner Freundlichkeit gegeben hatte. Nie tat sie etwas umsonst. Und dass Mutter diese Frau als ihre Freundin bezeichnete, konnte Elise ohnehin nicht verstehen.

Sie schälte die vier Kartoffeln, die ihre Mutter ihr gab, schürte das Feuer und stellte den Topf mit Wasser auf die Ofenplatte. Währenddessen rieb ihre Mutter das Fleisch mit Salz ein und spickte es mit Kräutern. Es sah fast aus, als streichle sie es.

Hans hatte sich auf die Bank neben dem Esstisch gelegt. Er sah müde aus. Elise deckte den Tisch, dann setzte sie sich neben ihr Brüderchen und tätschelte seine dünnen Beine.

Der Kleine sah zu ihr auf. »Kannst du mich noch ein bisschen kuscheln?«

Lächelnd zog sie ihn auf ihren Schoß. Er legte seinen Kopf an ihre Brust, während seine Augen jede Bewegung der Mutter verfolgten. Elise streichelte sanft über seinen Rücken.

Ein viel zu selten gewordener Duft nach gebratenem Fleisch stieg ihr in die Nase. Obwohl das Eingeweckte auch ganz gut schmeckte, war es nicht zu vergleichen mit einem frischen Kotelett.

Die Mutter stellte die Kartoffeln auf den Tisch und Hans rutschte sofort von Elises Schoß herunter. Er setzte sich an seinen Platz. Seine müden Augen leuchteten.

»Freust dich auch aufs Essen, stimmt´s?«

Der Kleine nickte.

Elise ging in das obere Stockwerk, um den Großvater zu holen. Er saß an seinem Tischchen schräg neben dem Fenster. Aus seinen Kopfhörern drang leises Knacken. Offensichtlich hörte er wieder einmal die verbotenen ausländischen Sender. Sie trat auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.

Er zuckte zusammen und drehte sich abrupt zu ihr um. »Ach Elise, ich habe dich gar nicht kommen hören.« Er nahm die Kopfhörer ab.

»Du wirst unvorsichtig, Großvater. Du weißt, was passiert, wenn …«

»… sie mich erwischen. Sollen Sie mich doch ins Zuchthaus stecken.«

»Sag sowas nicht!« Elises Miene verfinsterte sich.

Der Großvater winkte ab.

»Hat dein Volksempfänger wenigstens Neuigkeiten?«

»Nein, alles unverändert. Verluste. Nichts als Verluste und es wird immer schlimmer. Wir haben keine Chance. Bei BBC verkünden sie ständig neue Erfolgsmeldungen der Alliierten. Sie kommen immer näher.« Er legte die Kopfhörer auf den Tisch. Fröstelnd rieb er sich über die Arme. Sein angespannter Gesichtsausdruck verriet, dass er sich große Sorgen machte.

»Kommst du?«

Der Großvater drehte den Empfänger aus, stützte sich mit beiden Händen auf dem Tischchen ab und erhob sich. »Ach Kind. Hoffentlich hat das alles bald ein Ende.«

Elise hakte ihn unter und drückte ihn ein wenig enger an sich. Langsam gingen sie zur Treppe und nahmen Stufe um Stufe. Unten angekommen hielt der Großvater ihre Hand fest. »Wenn ich dich nicht hätte.«

Sie lächelte, als er ihr mit matten Augen zuzwinkerte. Dann schlurfte er an Elises Seite zur Küche und hob schnuppernd den Kopf. »Das riecht ja, als gäbe es Fleisch.«

»Haben wir von Anneliese bekommen«, quäkte Hans stolz.

Großvater rümpfte die Nase. »Wie nett von ihr.« Der spöttische Unterton in seiner Stimme war unüberhörbar.

Elise half ihrem Großvater, sich hinzusetzen, dann ließ sie sich neben dem Brüderchen auf der Bank nieder. Die Mutter verteilte das Fleisch auf die Teller.

»Für mich nicht«, grummelte der Großvater.

»Jetzt stell dich nicht so an!« Ärgerlich sah Mutter ihn an.

»Zum Donner, Henriette! Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du dich von diesem Weibstück fernhalten sollst. Anneliese ist ein Aas!«

»Immerhin hat sie mir das Kotelett geschenkt.«

»Natürlich, die gute Anneliese schenkt meiner Schwiegertochter ein Stück Fleisch. Und in ein paar Tagen kommt sie und will, dass du wieder eins ihrer krummen Geschäfte unterstützt.«

»Was bist du undankbar. Ich bin froh, euch endlich einmal wieder ein Stück frisches Fleisch auftischen zu können und du … du …« Die Mutter schüttelte den Kopf, legte das übrige Kotelettstück zurück in die Pfanne und begann zu beten. »Alle guten Gaben, alles was wir haben, kommt o Gott von dir, wir danken dir dafür. Amen.«

Obwohl Elise Großvater recht gab, tat ihr die Mutter leid. In diesen Zeiten war Fleisch etwas Kostbares. Da sollte man nicht lange darüber nachdenken, woher es kam. Sie schnitt sich einen Bissen ab und kaute lange, gerade so, als könnte sie sich dadurch den Geschmack erhalten. Nachdem sie noch zwei weitere Stücke gegessen hatte, schob sie den kleinen Rest beiseite. »Das hebe ich mir für später auf.«

Hans schmatzte und wurde dafür von Mutter gerügt. Nach dem Essen legte Elise ihren Fleischrest zu dem Stück des Großvaters in die Pfanne.

Der alte Mann erhob sich vom Tisch und Elise brachte ihn zurück in sein Zimmer, wo er sich in seinen Sessel setzte und sie müde ansah. »Mein Mädchen. Ich wünsche dir so sehr, dass du eine glückliche Zukunft hast.«

Dankbar drückte sie seine Hand.

Die Mutter hatte das Geschirr bereits abgewaschen und zum Trocknen aufgestellt. »Ich gehe gleich noch einmal zu Anneliese. Großvater muss nichts davon wissen. Hörst du?« Mahnend sah sie ihre Tochter an.

Elise nickte.

»Hans bleibt hier bei dir.«

Ihr stockte der Atem. Sie hatte doch dem Soldaten versprochen, wiederzukommen. Nervös rieb sie die Hände ineinander. »Ja, natürlich«, murmelte sie. »Aber ich muss später zum BDM und soll Gerda abholen. Bist du bis dahin zurück?«

»Bestimmt.« Mutter griff ihre Tasche vom Wandhaken und winkte ihr noch zu, bevor sie im Flur verschwand.

Elise sank gegen den Türrahmen. Hans saß auf dem Boden und sah mit großen Augen zu ihr auf.

»Geh schon nach draußen, Hänschen, ich komme gleich nach.«

»Auf die Wiese? Juhu!« Er sprang auf, und schon war er verschwunden.

Schnell nahm Elise die Fleischreste aus der Pfanne, wickelte sie in ein Stück Papier und eilte in ihr Zimmer. Dort verstaute sie das Päckchen in der Kommode.

Hans saß draußen in der Wiese und hatte einen Grashalm zwischen beide Daumen geklemmt. Verzweifelt versuchte er, darauf zu pfeifen und starrte dabei so angestrengt, dass er schielte. Als ihm auch nach mehreren Versuchen kein Pfeifton gelang, hielt er ihr den von Speichel tropfenden Halm entgegen: »Mach’ du mal.«

Sie rupfte einen neuen Halm aus, legte ihn zwischen beide Daumen und pfiff.

Begeistert strahlte Hans sie an. »Ich will das auch können.«

»Du musst immer wieder üben. Dann klappt es irgendwann.«

»Versprochen?«

Elise umarmte ihn. »Ja, versprochen.«

Der Kleine zupfte den nächsten Grashalm und versuchte erneut sein Glück. Sie setzte sich neben ihn. Ihr Blick wanderte vorbei an dem hochaufragenden Kirchturm, den sie von der Wiese aus sehen konnte. Schwarze Krähenvögel kreisten um die Spitze, als kündeten sie den nächsten Toten an. Draußen vor dem Ort lagen die Felder der Clausener Bauern in der prallen Sonne. Nur wenige Äcker waren bestellt, weil viele Frauen die Arbeit nicht ohne ihre Männer schafften. Die mussten waffenbeladen durch fremde Länder marschieren.

Trotz der trüben Gedanken fühlte sich Elise hier in ihrem Heimatort geborgen. Zwischen Bäumen und Feldern in diesem Dorf im Pfälzerwald.

Die Kirchturmuhr schlug halb zwei. Ihr Herz pochte schneller. Ich sitze hier, pfeife auf Grashalmen und sinniere. Dabei braucht mich der verwundete Soldat! Sie rutschte näher an Hans heran. Er kuschelte seinen Kopf an ihre Brust.

»Ich glaube, es wird Zeit für deinen Mittagsschlaf.«

Ihr Brüderchen ließ seinen Kopf langsam auf ihren Oberschenkel rutschen. Elise stand auf und trug den Kleinen ins Elternzimmer, wo er seit Vaters Tod im Ehebett schlief. Sie legte ihn hin, zog ihm Schuhe und Hose aus und deckte ihn zu. Als sie ihn auf die Wange küsste, öffnete er noch einmal die müden Augen. »Singst du mir noch was?«

Leise begann sie, vor sich hin zu summen. Es dauerte nicht lange, bis sein Atem flacher und gleichmäßiger wurde.

»Hans?«, flüsterte sie. Der Kleine reagierte nicht mehr und sie beeilte sich, aus dem Zimmer zu kommen.

Bei Großvater klopfte sie an und betrat den Raum. Auch er hielt seinen Mittagsschlaf und schnarchte dabei mit leicht geöffnetem Mund. Sie ging zu seinem Ohrensessel und streichelte seine Hände. Der Großvater blinzelte. »Elise?«

»Ich muss kurz weg.«

Er hielt ihre Hand fest. In seinen Augen konnte sie die Angst sehen, die ihn seit Vaters sogenanntem Heldentod umtrieb. »Mädchen. Ist was passiert?«

Sie wich seinem Blick aus.

»Rede mit mir!«

»Ich … Mach dir keine Sorgen. Alles ist gut.«

»Es ist eine gefährliche Zeit.«

»Ich weiß. Aber jetzt muss ich gehen. Ich wollte dich nur bitten, nach Hans zu sehen, falls er wach wird. Ich beeile mich auch und bin bald zurück.«

»Ist Henriette nicht da?«

»Nein, die musste auch weg. Bitte, Großvater.« Flehend sah sie ihn an.

Sie war schon im Flur, als er ihr nachrief: »Du machst aber keine Dummheiten?«

»Nein.«

»Gib auf dich acht, mein Mädchen.«

Halbherzig lächelnd antwortete sie: »Aber das tue ich doch immer!«

Schnell holte sie das Päckchen mit Fleisch aus ihrer Kommode und schlich die Treppe hinunter. In der Küche schnitt sie eine Scheibe Brot von dem altbackenen Laib, bestrich sie mit Ziegenbutter und packte alles zusammen in ihre Schürzentasche.

Sie trat aus dem Haus und lief zur Lichtung. Obwohl so kurz nach dem Mittagessen sicher niemand auf die Idee kam, Heidelbeeren zu pflücken, schaute sie sich um, ob nicht doch jemand da war. Je näher sie der Hütte kam, umso unruhiger wurde sie. Was, wenn es dem Soldaten schlechter ging? Oder wenn sie doch jemand in der Früh beobachtet hatte und er längst abgeholt und erschossen worden war? Sie verlangsamte ihre Schritte. Die letzten Meter schlich sie fast. Vor der Hütte sah sie noch einmal vorsichtig nach hinten, öffnete die Tür und stahl sich hinein. Als sie sah, dass der Soldat schlafend auf der Bank lag, atmete sie auf. Beim Näherkommen bemerkte sie seine vibrierenden Augenlider. Die Feldflasche war umgefallen und ausgelaufen, der Sandboden zeigte einen großen, feuchten Fleck. Sie bückte sich nach der Flasche. Im gleichen Moment zuckte er zusammen und schlug die Augen auf.

»Du!« Erleichtert lächelte er sie an.

»Wie geht es dir?«

»Geht schon … Nur Durst.« Er leckte über seine dürren Lippen.

»Ich wollte dir sowieso gerade Wasser holen.«

Zurück in der Hütte stellte sie die Feldflasche auf die Bank und half ihm, sich aufzusetzen, was ihm nur mit Mühe gelang. Ächzend lehnte er sich an die Wand.

»Hier trink erst mal.« Sie hielt ihm die Flasche hin, nach der er zitternd griff und die ihm sofort aus den Händen zu rutschen drohte. Elise führte sie zu seinem Mund. Gierig begann er zu trinken.

»Langsam, langsam.«

Er verschluckte sich und hustete. Nachdem er die Hustenattacke überwunden hatte, öffnete er den Mund erneut und dirigierte die Flasche an seine Lippen. Dabei umschloss er mit seinen Händen die ihren. Ein seltsames Gefühl von Vertrautheit durchflutete sie. Sie spürte die Hitze, die sein Körper abgab.

»Gut«, hechelte er.

»Es ist nur Wasser.«

»Warum hilfst du mir?«, fragte er atemlos.

»Hätte ich dich dort im Gebüsch liegen lassen sollen?« Sie lachte auf.

»Oder die SS rufen.« Er sah sie aus fieberglänzenden Augen an, die gleichzeitig stumpf und abwesend wirkten.

»Die SS … ja, sicher, manche Leute machen so was.« Sie hob die Achseln.

»Aber es ist gefährlich für dich.« Seine Stimme wurde immer schwächer. Er schluckte mehrfach. »Wenn sie herausfinden, dass du …« Er rutschte zur Seite und sie hielt ihn sofort fest.

»Das werden sie nicht!« Sie legte ihre Hand auf seine. »Ich heiße übrigens Elise. Und du?«

»Ich.« Er zögerte. »Julius … Julius Schäfer.«

Er streichelte mit seinen knochigen langen Fingern die Innenseite ihrer Hand. Verlegen zog sie sie zurück. »Jetzt sollte ich nochmal nach deinem Fuß sehen.«

»Das heilt schon wieder.«

»Wie bist du denn in die Granate geraten?«

»Meine Kameraden und ich … Wir hatten keine Chance, gar keine.« Er biss sich auf die Lippen. »Ich hatte Glück …«

»Was heißt keine Chance?«

»Nicht wichtig.« Seine Stimme zitterte.

»Seid ihr verfolgt worden?«

Er drehte den Kopf zur Wand.

»Tut mir leid, ich wollte dir nicht zu nahe treten.«

Er begann zu wimmern. Dann wurde sein Klagen immer lauter.

»Julius, was ist mit dir?«

»Ich sollte … ich musste … Franzosen. Ich musste ihn erschießen. Hinterrücks. Es war ein Befehl.« Sein Körper bebte bei diesen Worten. »Meine Truppe … Dann kamen die Granaten. Mitten in der Nacht …«

Beschwichtigend legte Elise ihm die Hand aufs Bein. »Beruhige dich.«

»Ich bin ein Mörder.«

»Sag sowas nicht.« Verunsichert griff sie nach dem Proviantpäckchen, das immer noch in ihrer Schürzentasche steckte. Sie packte es aus und gab ihm das Brot und das Fleisch.

Er beobachtete sie aus zusammengekniffenen Augen. Langsam führte er das Essen zum Mund. Das Kauen bereitete ihm Mühe. »Ich habe lange nicht mehr so etwas Gutes bekommen.« Es gelang ihm nicht, das Brot erneut zum Mund zu heben, so sehr zitterten seine Hände. Als Elise ihm das Brotpapier abnahm, berührten sich ihre Hände wieder.

»Ich fürchte, dein Fieber ist gestiegen.«

Julius schüttelte den Kopf. »Ich muss nur ausschlafen.«

»Auf jeden Fall muss ich nochmal nach deinem Fuß schauen.«

Diesmal nickte er. Mit letzter Kraft schob er sich den Rest des Brotes in den Mund und sank kauend zurück auf die Bank. Elise hievte seine Beine auf die Sitzfläche, kniete sich davor und nahm den Verband ab. Auf den ersten Blick erkannte sie, dass die Entzündung schlimmer aussah als am Morgen. Sie atmete tief durch, griff nach der Schnapsflasche und tropfte den Alkohol ohne Vorwarnung auf die Wunde.

Julius sog scharf die Luft ein.

Sie tränkte das Verbandstuch und legte es zurück auf seinen Fuß. Jetzt bemerkte sie, dass er die Zähne zusammengebissen hatte. »Gleich hört es auf zu brennen.« Sie hielt ihm die Feldflasche hin.

Diesmal trank er nur wenig. Seine letzte Energie war einer neuen Welle der Erschöpfung gewichen. Elise beschloss, ihn erst einmal schlafen zu lassen. Sie erhob sich.

»Du gehst?«

»Ich muss. Aber ich komme am Abend wieder.«

Traurig sah er sie an.

»Ich verspreche es. Ich lasse dich nicht allein.«

Eine Träne lief über seine Wange. Schnell schloss er die Augen und drehte den Kopf zur Seite.

3. Ich will nicht, dass du gehst!

Zu Hause schlich Elise sofort zu ihrem kleinen Bruder, der wie ein zusammengerolltes Knäuel im Bett lag und immer noch schlief.

Damit tat er ihr einen großen Gefallen, denn so umging sie seine Fragen und die Gefahr, dass die Mutter von ihrem Weggehen erfuhr. In ihrem Zimmer machte sie sich für das BDM-Treffen zurecht. Sie zog den dunkelblauen Rock an, dazu die weiße Bluse und knotete das schwarze Tuch um den Hals. Wie sie diese Uniform hasste! Doch es war Vorschrift, sie für die Nazi-Treffen zu tragen.

Dann öffnete sie ihren Zopf, kämmte ihre Haare und steckte sie mit Klammern hoch. Sie holte Wolle und Stricknadeln herbei und legte alles in den kleinen Weidenkorb.

Seit vielen Monaten war es die Aufgabe der Mädchen, für die Soldaten an der Front Socken zu stricken. Die fertigen Strümpfe, die wieder einmal so klein geraten waren, dass Hans sie hätte anziehen können, nahm sie heraus, hielt sie geringschätzig in der Hand und schleuderte sie dann zurück in den Korb. »Die kann keiner brauchen.«

Auf Zehenspitzen ging sie zum Großvater, der am Fenster saß. Langsam drehte er sich zu ihr um. »Willst du mir nicht sagen, wo du warst?«

»Ich … also … ich … ach, bitte Großvater. Sei mir nicht böse. Ich kann nicht. Später vielleicht. Aber jetzt …«, stammelte Elise.

Der Großvater nickte verständnisvoll und winkte sie zu sich.

»Manchmal denke ich, ich halte das alles nicht mehr aus«, klagte sie.

»Oh je, Kind. Wir können viel mehr aushalten, als wir glauben.« Dann wanderte sein Blick wieder hinaus in den Garten. Sie folgte seinen Augen, die traurig vor sich hinstarrten.

»Was ist?«, fragte sie.

»Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich mit deiner Großmutter den Garten bepflanzt habe. Was war das eine Freude, wenn wir gemeinsam ernten konnten.«

Elise legte die Hand auf seine Schulter.

»Und dein Vater. Er hat Kräuter gezogen, wie niemand sonst. Was war ich stolz auf den Burschen. Er hat sich um alles gekümmert, als ich in den Krieg musste vierzehn-achtzehn. Obwohl er damals selbst noch ein Kind war. Schlimme Zeiten waren das, Kind, schlimme Zeiten.«

»Ich weiß.«

Der Großvater zog sein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte sich verstohlen über die Augen. Tröstend strich Elise ihm über den Rücken. Er sah so traurig aus, so verletzlich, so weich.

Mit belegter Stimme fuhr er fort. »Vierzehn-achtzehn hat so endlos viele Menschenleben gekostet. Auf allen Seiten. Und was haben wir daraus gelernt? Nichts. Gar nichts.«

Elise räusperte sich, da sie nicht wusste, was sie darauf antworten sollte. Sie verstärkte den Druck auf Großvaters Rücken, um ihm wenigstens so ihre uneingeschränkte Zustimmung zu beweisen.

»Dieser Hitler mit seinem gottverdammten Krieg macht schon wieder alles kaputt. Wieder werden Familien zerstört, euch Kindern werden die Väter genommen und mir …« Sein Kinn zitterte.

»Ach Großvater, aber du sagst doch immer, wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben.« Sie legte ihre Wange auf seinen Kopf.

»Mein Mädchen, wenn ich dich nicht hätte … Dein Vater war so stolz auf dich.«

»Und ich auf ihn.«

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ob der Schmerz um Vater und Karl je vergehen wird?«

»Sie kommen nicht mehr heim. Die Zeit, mein Kind. Die Zeit muss uns helfen, die Wunden zu heilen.«

»Hoffentlich!« Dies wünschte sie sich nicht nur für ihre seelischen Wunden, sondern auch für Julius.

Wenig später traf die Mutter zu Hause ein und Elise machte sich auf den Weg zum Treffen des »Bundes Deutscher Mädel«. Eigentlich freute sie sich darauf, ein paar Stunden mit den anderen jungen Frauen aus dem Dorf zu verbringen, doch die Tatsache, dass das Nazi-Regime diese Treffen organisierte, lähmte ihre Freude.

Gerda stand bereits an der Straßenecke, lachte Elise an und hängte sich bei ihr ein, wie sie es immer tat. »Auf geht’s, zu deiner Lieblingsbeschäftigung.«

»Vielen Dank auch«, gab Elise genervt zurück. »Schau dir doch nur an, wie die fertigen Strümpfe wieder aussehen.«

Gerda zog einen Strumpf aus Elises Korb, begutachtete ihn und legte ihn dann feixend zurück. »Sagen wir mal so. Hans könnten die in spätestens zwei Jahren passen. Ob es allerdings Soldaten mit dieser Schuhgröße gibt … das wage ich zu bezweifeln.«

»Oh, Gerda.« Die Späße ihrer Freundin waren das Letzte, was sie heute gebrauchen konnte.

Ein paar Schritte gingen beide schweigend nebeneinander her.

Dann fragte Gerda: »Was macht eigentlich eure Ziege?«

Sofort stieg Elise die Hitze in den Kopf. »Es geht. Nicht so schlimm.«

»Bei deiner Mutter hat sich das heute früh aber anders angehört.«

Elise winkte ab. »Du kennst doch meine Mutter.« Sie bemühte sich, ein Grinsen aufzusetzen und Gerda fragte nicht mehr weiter, was Elise ein wenig beruhigte.

Einige junge Frauen saßen schon an den Tischen im Keller des Schulhauses. Nur die Hitler-Marie, wie man die Gruppenführerin im Dorf nannte, war nicht zu sehen. Sie war nur wenig älter als Elise und hatte sich von ihrem Onkel, dem Ortsgruppenleiter, schnell für die Nazis gewinnen lassen. Marie war so überzeugt von der braunen Ideologie, dass Elise sich jegliche Diskussion mit ihr verkniff.

Überrascht stellte sie fest, dass in einer Ecke des Raumes Ferdinand mit seinem verkrüppelten Bein stand. Eigentlich kam er nur selten zu den Treffen der Mädchen. Meistens war er bei der HJ oder tummelte sich auf irgendwelchen SS-Sitzungen. Sie wusste, dass er nicht hinter der herrschenden Ideologie stand. Trotzdem hatte er das Erbe seines Vaters angetreten. Ferdinand hier zu sehen, hellte ihre Stimmung ein wenig auf. Als er Elise und Gerda entdeckte, kam er freudestrahlend auf sie beide zu.

»Heil Hitler«, rief er aus einigen Metern Entfernung. Gerda streckte sofort ihren Arm aus. Elise tat ihr zögerlich gleich.

»Schön, dass ihr da seid.«

»Hier, ich habe wieder ein Paar Socken fertig.« Elise hielt ihm die Wollstrümpfe entgegen. Ferdinand schmunzelte.

»Du brauchst nichts zu sagen. Ich weiß, dass die wahrscheinlich keinem passen. Aber diese blöde Sockenstrickerei kann ich halt einfach nicht.« Elise hielt sich die Hand vor den Mund, weil sie sah, dass einige der anderen Mädchen neugierig zu ihr aufblickten.

Aus der hintersten Ecke rief eine: »Ich stricke lieber Socken als Hemden.« Einige lachten laut, andere feixten nur.

Ohne sich weiter umzusehen, setzte Elise sich an den Rand der Gruppe. Gerda nahm den Platz neben ihr ein.

Elise und Ferdinand kannten sich schon ewig. Er hatte sie getröstet, als Vaters Todesnachricht eintraf. Er hatte ihr nach Karls Verschwinden Mut zugesprochen. Dass er trotz der vielen Schreckensmeldungen dem Regime nach wie vor diente, konnte sie nicht so richtig verstehen. Aber sie hatte den Eindruck, dass er das Beste daraus machte.

Schon nach wenigen Minuten, in denen sich Elise redlich mit dem Nadelspiel abmühte, klebte die Wolle an ihren feuchten Händen. Ihre Finger fühlten sich an wie Fremdkörper und sie schaute neidvoll zu Gerda hinüber, der die Stricknadeln in den Händen zu tanzen schienen. Die Gespräche der anderen drangen bruchstückhaft zu ihr durch. Sie echauffierten sich über das schlechte Brot, lästerten über Eltern und Geschwister und verschonten auch den Lehrer nicht.

Gerade hatte Elise mit der Ferse begonnen und wollte es zum ersten Mal schaffen, keine Masche dabei zu verlieren, als Julius vor ihrem inneren Auge auftauchte. Sie spürte seine Angst, die Schmerzen, aber auch seine Dankbarkeit für ihre Fürsorge und besonders für das Essen, das sie ihm gebracht hatte. So verschieden nehmen wir die Dinge wahr. Hier schimpfen alle über das trockene Brot und er hat es genossen wie ein Festmahl, dachte sie bei sich.