Big Tech muss weg! - Martin Andree - E-Book

Big Tech muss weg! E-Book

Martin Andreé

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Beschreibung

Digitale Monopole bringen immer größere Teile unserer Lebenswelt unter ihre Kontrolle. Die Plattformen dominieren zunehmend die politische Meinungsbildung und schaffen zugleich unsere freie Marktwirtschaft ab. Man fragt sich: Ist das überhaupt noch legal? Warum sollten wir uns das noch länger gefallen lassen? Der Medienwissenschaftler Martin Andree zeigt messerscharf, wie weit die feindliche Übernahme unserer Gesellschaft durch die Tech-Giganten schon fortgeschritten ist – und wie wir uns das Internet zurückerobern können. »Eine energische Kampfschrift gegen die Macht der Tech-Riesen und deren Missbrauch« – Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung »Martin Andree hat als Erster die Konzentration im Internet gemessen. Seine Ergebnisse beunruhigen ihn so sehr, dass er zum Aufstand gegen die Tech-Konzerne aufruft.« – Cicero »Warnungen vor der Macht der großen Tech-Konzerne gibt es viele – doch wenige deutsche Experten formulieren ihre Thesen so vehement wie Martin Andree. Der Medienwissenschaftler prognostiziert, dass unsere Demokratie in nur wenigen Jahren durch Google, Meta und Co. zerstört werden könnte.« – Die Welt »Martin Andree zeigt sehr eindringlich, wie wenige Unternehmen das Internet gekapert haben – und was zu tun ist, um die Demokratie zu retten.« – Welt am Sonntag »Martin Andree beschreibt, welche Folgen die Machtkonzentration von Big Tech für unsere demokratischen Grundstrukturen und die Wirtschaft hat. Und er zeigt auf, wie es gelingen kann, das Netz zu befreien.« – Computerwoche

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Über das Buch

Messungen beweisen: Digitale Monopole bringen immer größere Teile unserer Lebenswelt unter ihre Kontrolle. Denn immer mehr Transaktionen aller Art laufen über Plattformen. Marktwirtschaft und fairer Wettbewerb waren gestern, und man muss sich fragen: Ist das überhaupt noch legal? Und warum lassen wir uns das gefallen?

Der Medienexperte Martin Andree führt scharf und mit plakativen Illustrationen vor Augen, dass wir schon bald unumkehrbar in der Gewalt einer Handvoll US-Konzerne sein werden, die zunehmend auf der dunklen Seite der Macht agieren. Mit jedem Quartal, das ohne Widerstand vergeht, werden die Digitalkonzerne unbesiegbarer und das Internet unfreier. Sein Buch ist ein Manifest der Gegenwehr

Vita

Martin Andree unterrichtet digitale Medien an der Universität Köln. Als habilitierter Medienwissenschaftler forscht er seit mehr als 15 Jahren zu den Vormachtstellungen von Big Tech. Er ist zudem Gründer von AMP Digital Ventures mit Fokus auf KI, digitale Innovation und Performance Marketing, gefragter Interviewpartner sowie Gastautor bei führenden Medien (u.a. ARD, ZDF, WDR, NDR, FAS, WELT) und Konferenzen (u.a. Digitalgipfel der Bundesregierung, Gamescom, Dmexco, ScreenForce u.a.). Bei Campus ist u.a. sein Buch Atlas der digitalen Welt (2020) erschienen.

Verena Bönniger ist Diplom-Kommunikationsdesignerin und Creative Director bei Delicious Layouts Visuelle Kommunikation.

Martin Andree

BIG TECHMUSS WEG

Die Digitalkonzerne zerstören Demokratie und Wirtschaft

Wir werden sie STOPPEN

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Inhalt

KNOCKOUT: Wie Big Tech missliebige Forschung abschaltet

I. GAME OVER 2029: Die Herrschaft der Digitalkonzerne

1. Unsere Demokratie ist in Gefahr

2. Der »Point of no Return« – 2029

3. Das Internet der Monopole

4. Die Opfer: Journalismus, Blogger, globale Konzerne, öffentlich-rechtlicher Rundfunk

5. Fairer und freier Wettbewerb wurde vollständig abgeschafft

6. Ist es wirklich so dramatisch?

II. DAS ENDE DES FREIEN INTERNETS: Wie haben die Tech-Riesen das hinbekommen?

1. Gefangen in den Traffic-Silos der Plattformen

2. Wenn Medien zu Privatbesitz von Unternehmen werden

3. Wie Big Tech seine Monopole ausweitet

4. Killer-Akquisitionen

5. Selbstbedienung beim Internet-Traffic

6. Übernahmebeschleuniger: Generative KI

III. FEINDLICHE ÜBERNAHME: Warum diese Übermacht die gesamte Gesellschaft angeht

1. Todesfalle: Das Denkmuster der schutzbedürftigen Medien

2. Wie Big Tech sich die Wirtschaft holen wird

3. Wieso Politiker in Zukunft von Plattformen abhängig sind

4. Mega-Medien übernehmen unsere Gesellschaft

5. Digitalkonzerne manipulieren den Traffic

6. Spionagetätigkeiten durch Big Tech

7. Das Prinzip der maximalen Übernahme

IV. MONOPOLE, FAKE NEWS, HATE SPEECH: Ist das alles eigentlich legal?

1. Vakuum des Rechts: Unzureichende Gesetze gegen Monopole

2. Maximale Gewinne der Tech-Riesen – ohne Verbreiterhaftung

3. Unsere Gefangenschaft in den Rechtsordnungen der Plattformen

4. Ist der Status Quo verfassungswidrig?

5. Fazit: Demokratie und Freiheit adé

V. ACCEPT HERE: Warum interessiert das niemanden?

1. California Dreamin’: Die guten Anfänge

2. Digitale Darth Vader verkleiden sich als Weltverbesserer

3. Die Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit

4. Fördern versus Strafen: Gefangen im Lobbyismusnetz von Big Tech

VI. COUNTDOWN 2029: Wie können wir das Internet befreien?

1. Ein Hoffnungsschimmer: Big Tech ist längst abgewählt

2. Wie wir das Internet befreien

3. Im Ernst?

4. Ein freies Europa zwischen US-Digitalfeudalismus und Chinas Online-Diktatur

Dank

Anmerkungen

Knockout:Wie Big Tech missliebige Forschung abschaltet

Wer den langen Arm der Digitalkonzerne zu spüren bekommt, wird das so schnell nicht wieder vergessen. Im Oktober 2020 habe ich selbst die sehr reale Bedrohung durch Big Tech am eigenen Leib erfahren. Gerade eben war unser »Atlas der digitalen Welt« erschienen. Es handelt sich um die erste Nullmessung der gesamten digitalen Mediennutzung (Infos finden Sie unter www.atlasderdigitalenwelt.de). Solche Messungen sind für unsere Gesellschaft wichtig: Sie zeigen nämlich präzise, in welchem Grad das Internet schon von den Digitalkonzernen beherrscht wird. Und hier auch gleich der Spoiler: Tatsächlich haben wir eine Übermacht gemessen, die so unfassbar war, dass wir erst unseren eigenen Zahlen nicht getraut haben (→ I.3–4).

Davor hatte es zu dieser einfachen Frage wenig belastbare wissenschaftliche Informationen gegeben. Es ist nämlich sehr aufwändig, solche Datenanalysen durchzuführen. Man muss dafür Millionen von Domains vermessen. Man muss Nutzungen auf verschiedenen Endgeräten wie Smartphone, Desktop oder Tablet auswerten und riesige Stichproben analysieren. Allein die Untersuchungsapparatur für eine solche Studie kostet viele Millionen Euro. Über eine Kooperation erreichten wir, was viele Jahre unmöglich erschienen war. Die Idee war, diesen Atlas auf Grundlage des erarbeiteten wissenschaftlichen Datenmodells periodisch zu publizieren, um der Gesellschaft eine stets aktuelle Orientierung über die digitale Grundlage unserer Mediendemokratie zur Verfügung zu stellen. Den Digitalkonzernen gefiel diese Studie gar nicht. Einer von ihnen handelte sofort entschlossen und schob der Sache einen Riegel vor. Innerhalb von wenigen Tagen war das ganze Thema erledigt. Um Partner zu schützen, kann ich an dieser Stelle nicht mehr sagen. Aber die klare Botschaft war: Bis hierhin und nicht weiter.

Dieses Erlebnis veränderte mein Leben. Die unglaubliche Macht von Big Tech beziehungsweise »GAFAM« (also Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft)1, die wir gerade wissenschaftlich vermessen hatten, griff in diesen Tagen auch in meine persönliche Existenz ein. Spätestens da wurde mir klar: Die riesige Übermacht, die unsere Datenanalysen ausgewiesen hatten, war nicht nur ein theoretisches Konstrukt. Big Tech setzt diese Übermacht konkret in unserer Gesellschaft ein, um die Veröffentlichung missliebiger Informationen zu unterdrücken. Wie wir sehen werden, ist mein Erlebnis kein Einzelfall. Immer wieder missbraucht Big Tech seine Macht, um Wissenschaftler und Journalisten von der Publikation missliebiger Informationen abzuhalten (→ V.4).2

Mir wurde durch dieses Erlebnis klar, dass die Digitalkonzerne in Deutschland schon jetzt schalten und walten können, wie sie wollen. Sie sind bereits so mächtig, dass sie überall in unserer Gesellschaft auf willfährige Partner, abhängige Unternehmen oder Institutionen zurückgreifen können, um ihre Interessen durchzusetzen. Die Dreistigkeit des Vorgehens hat mich damals verblüfft. Dass es ein amerikanischer Tech-Gigant in einem freien Land wie Deutschland wagt, aktiv seine marktbeherrschende Position auszuspielen, um zukünftige wissenschaftliche Forschung einer deutschen öffentlichen Universität zu unterbinden und die Publikationen missliebiger Daten und Studien im Keim zu ersticken, hätte ich nicht erwartet. Doch es zeigt klar, wie ungeniert die Digitalkonzerne schon in unserem Land vorgehen.

Ein kleiner Trost blieb. Immerhin war unsere Datenanalyse bereits veröffentlicht, hier war es für Big Tech also zu spät. Ein cooler Nebeneffekt der scheinbar so uncoolen Knowledge Unit Buch ist ja: Sobald es erschienen ist, kann man die verdammten Informationen nicht mehr einfach so löschen. Man kriegt die verfluchte Zahnpasta nicht mehr zurück in die Tube gedrückt.

Als damals hinter den Kulissen diese heftigen Reaktionen auf unsere Messungen kamen, habe ich mich zunächst gefragt: Woran liegt das? Immerhin stehen die Digitalkonzerne doch sowieso laufend in der Kritik. Und es sind ja schon genug sehr schlimme Sachen über sie bekannt. Die wichtigsten diskutierten Themen sind da etwa:

Absichtliche Rechtsbrüche und aktive Ausnutzung von Regulierungslücken

Ausspähung der Nutzer und Nutzung der Daten im digitalen Überwachungskapitalismus

Weitergabe von persönlichen Daten an US-Sicherheitsbehörden

Manipulation von Wahlen (Cambridge Analytica)

Spaltung der Gesellschaft durch »Echokammern« – Menschen bekommen auf Plattformen vorwiegend Meinungen zurückgespiegelt, die ihre Einstellungen bestätigen

Fake News sowie algorithmische Bevorzugung von radikalen und emotionalen Inhalten, weil die Nutzer so länger am Bildschirm gehalten werden

Ausbeutung der Mitarbeiter und Schaffung prekärer Arbeitsverhältnisse

Anhäufung von Gewinnen bei gleichzeitiger Verweigerung, in den jeweiligen Ländern angemessene Steuern zu zahlen

Wie erklärt sich da diese starke Reaktion auf unsere scheinbar recht harmlosen wissenschaftlichen Datenmessungen? Tatsächlich ist die Antwort ganz einfach. Wie wir aus vielen Studien zu den Digitalkonzernen wissen, geht es ihnen letztlich nur um ein einziges Ziel: Die maximale Akkumulation von Macht, Geld und Herrschaft. Sie sehen sich als Vorreiter einer neuen, digitalen Welt, welche die alte überkommene analoge Welt ersetzen wird. Und in dieser neuen, »besseren« Welt wird alles nach ihrer Pfeife tanzen. Aus Sicht der Digitalkonzerne ist letztlich nur eine Frage von Interesse: Was könnte sie auf ihrem unaufhaltsamen Vormarsch an die Macht noch zu Fall bringen?

Schauen wir uns die oben genannten Kritikpunkte an den Digitalkonzernen an, dann haben sie alle eines gemeinsam: All diese Fragen betreffen zwar Bereiche, die für die Gesellschaft äußerst bedrohlich sind – wie etwa Spaltung der Gesellschaft, soziale Schieflage, Bedrohung der inneren Sicherheit – , für die Digitalkonzerne und ihren Vormarsch sind sie jedoch im Grunde irrelevant. Wie kritisch man diese Themen auch immer einschätzt, sie erzeugen in den meisten Fällen allenfalls Imageprobleme oder marginale Strafen für die Tech-Riesen. Für die vielen laufenden Rechtsstreitigkeiten stellen die Konzerne deshalb mitlaufende Budgets zurück, die sie problemlos aus den sprudelnden Gewinnen finanzieren. Portokasse also. Sie können gigantische Budgets in Lobbyismus und PR stecken, um solchen Imagethemen zu begegnen. Alles easy. Peanuts. Außerdem gilt: Die Produkte der Tech-Riesen beherrschen sowieso in vielen Fällen als Monopole den Markt, da ist schlechte Presse lästig, aber letztlich egal. Denn die meisten Menschen haben ohnehin keine Wahl. Sie mögen die Digitalkonzerne zwar nicht, benutzen aber trotzdem weiter Google, WhatsApp, Instagram.

Und dann betreffen viele genannte Punkte »bloß« ethische Aspekte. Das kann man in Talkshows oder bei politischen Anhörungen wunderbar diskutieren. Die Digitalkonzerne werden hier regelmäßig eingeladen und dürfen ausführlich sprechen. Immer wieder aufs Neue wiederholen sie gebetsmühlenartig ihre angeblich guten Intentionen, gestehen Fehler ein, geloben Besserung und so fort. Sie wollen ja nur das Beste. Wir kennen die Gummiwandmethode seit Jahrzehnten: Vollmundige Beteuerungen, treuherzige Blicke, nichts passiert.

Dagegen führt unser Thema mitten in das Kernproblem: Die drohende Übernahme unseres Mediensystems durch die Digitalkonzerne. Wie wir sehen werden (→ I.1–4), sind die Tech-Riesen auf ihrem Weg schon sehr weit gekommen. Was könnte ihren Vormarsch tatsächlich noch stoppen? Es wäre einzig und allein eine breite öffentliche Erkenntnis darüber, wie bedrohlich weit sie mit ihrer Übernahme bereits fortgeschritten sind. Denn anders als bei den ethischen Fragen, die aus Sicht der Digitalkonzerne letztlich reine Kosmetik sind, führen diese Fragen die gesellschaftliche Debatte in ganz andere Gefilde – auch in Bezug auf mögliche Strafen und Sanktionen. Wenn wir davon sprechen, dass Big Tech unsere demokratische Medienlandschaft ausschaltet und unsere Wirtschaft zerstört, dann geht es um viel mehr. Dann sprechen wir von kartellrechtlichen Strafen in Höhe von vielen Milliarden Euro oder gar von Szenarien der Entflechtung und Zerschlagung.

Genau das war der Grund, warum unsere Vermessung der ungeheuren Marktkonzentration auf der Grundlage präziser wissenschaftlicher Modelle hinter den Kulissen für solchen Ärger gesorgt hatte. Zumal die Erkenntnis über die feindliche Übernahme der Internets auch politisch sonst zerstrittene Parteien und Gruppierungen sofort zusammenbringen und vereinen könnte. Denn man merkt sofort, wenn man diese Daten interpretiert: Wir werden alle im Netz von Big Tech betrogen, ob reich oder arm, ob links oder liberal. Wir alle sind Opfer dieser Monopole. Die Digitalkonzerne sind die Todfeinde der Linken wie der Liberalen gleichermaßen. Denn sie zerstören die politische und die wirtschaftliche Freiheit zugleich – die Freiheit unseres pluralistischen Mediensystems wie auch die Freiheit unserer pluralistischen Marktwirtschaft.

Aber solange wir uns mental in einzelnen Aspekten verhaken und nur über Fake News, über Überwachung oder über Populismus miteinander streiten, bemerken wir nicht, was wirklich gespielt wird, und dass wir durch die feindliche Übernahme des Internets alle gemeinsam betroffen sind, egal ob wir fortschrittlich oder konservativ eingestellt sind, ob wir auf der Seite der Kultur oder der Wirtschaft argumentieren, ob wir arm oder reich sind.

Der Status Quo schädigt uns alle. Wenn wir das nur gemeinsam erkennen könnten, wäre es ein Leichtes, das Lagerdenken in unseren politischen Debatten mit einem Fingerstreich zu überwinden. Wir könnten das wunderbare Internet, das uns die Digitalkonzerne gestohlen haben, gemeinsam für die Nutzer zurückerobern. Wir könnten dafür sorgen, dass nicht nur die Digitalkonzerne mit dem Internet Geld verdienen, sondern alle Kreatoren und Blogger eine faire Chance erhalten, ihre Inhalte auf faire Weise zu monetarisieren. Wir könnten die digitale Sphäre, die aktuell von kolonialistischen Digitalgiganten besetzt wurde, wieder zu neuem Leben erwecken. Wir könnten dafür sorgen, dass auch unsere Kinder noch in einer pluralistischen Demokratie leben, mit einem pluralistischen, offenen Mediensystem und einer pluralistischen, offenen Wirtschaft. Wir müssten nur das riesige Problem bemerken, das so offensichtlich direkt vor unserer Nase liegt und doch so schwer zu erkennen zu sein scheint.

Als Medienforscher habe ich bislang mehrere wissenschaftliche Bücher und ein Handbuch verfasst. Bei diesem Buch habe ich mich für eine allgemein verständlichere Darstellungsweise entschieden, damit alle verstehen können, was die Analyse unserer Daten zu bedeuten hat, wie es um unser Mediensystem steht und wie weit Big Tech schon dabei fortgeschritten ist, es zu übernehmen. Wie gefährdet unsere Demokratie ist und was wir unternehmen können und müssen, um diese Gefahr noch abzuwenden.

Es geht in diesem Buch gerade nicht um die üblichen Kritikpunkte an der digitalen Welt – dass Gaming süchtig macht, dass junge Menschen durch Instagram-Konsum in ihrem Selbstwertgefühl geschädigt werden, dass Hate Speech unser Zusammenleben immer mehr vergiftet, dass unsere Daten überwacht werden, dass Fake News und Populismus überhandnehmen und so fort. Ebenso falsch wäre es, nur den letzten Technologieschub zu betrachten (ChatGPT et cetera), ohne das fundamentale Problem in den Blick zu nehmen. Dieses Buch mäkelt nicht eine Sekunde herum am Digitalen. Es behauptet nicht einmal, die »gute alte analoge Welt« sei in irgendeiner Form besser gewesen. Ich arbeite in der digitalen Branche und verbringe glücklicherweise den Großteil meiner Lebenszeit mit digitalen Themen. Mein Buch ergreift dementsprechend ganz stark Partei für das Digitale.

Denn noch haben wir es in der Hand. Wir können das Internet von der Herrschaft der Digitalkonzerne befreien (→ VI) und es wieder dem Zweck zuführen, für den es Tim Berners-Lee ursprünglich einmal konzipiert hatte: Ein demokratisches und antihierarchisches Mittel der gegenseitigen mitmenschlichen Verbindung, Verständigung und Vernetzung. Das brennendste Problem der digitalen Transformation sind nicht ihre vieldiskutierten Nebenwirkungen. Das brennendste Problem ist ihre Hauptwirkung: Dass die Tech-Konzerne die digitale Revolution ausnutzen, um immer größere Teile unserer gesellschaftlichen Systeme zu übernehmen. Dieses Problem müssen wir erkennen und angehen. Dann haben wir eine Chance.

Ich habe diese oft komplexen Zusammenhänge möglichst einfach und unterhaltsam dargelegt. Ich bin extrem dankbar, dass ich für dieses Projekt die fantastische Grafikdesignerin Verena Bönniger als Partnerin gewinnen konnte.

Ich widme dieses Buch meinen beiden Kindern und hoffe von Herzen, dass sie mit ihren Familien später einmal in einer freien Mediendemokratie leben können, auch wenn die Chancen leider schlecht stehen.

Alle finanziellen Einnahmen aus dem Verkauf der ersten Auflage dieses Buchs spende ich der »Stiftung Studium und Lehre« meiner wunderbaren Heimatuniversität in Köln.

Weitere Inhalte, »Bonus-Tracks« und Updates zu diesem Buch finden Sie auf der dazugehörigen Webseite, www.bigtechmussweg.de – scannen Sie dafür einfach den abgedruckten QR-Code.

HINWEIS: Im Folgenden wird auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen verzichtet und die generische männliche Form genutzt – womit keine Zufriedenheit, sondern ein Mangel ausgedrückt ist.

Kapitel I GAME OVER 2029:Die Herrschaft der Digitalkonzerne

1. Unsere Demokratie ist in Gefahr

In hundert Jahren wird man auf unsere Zeit zurückblicken und sich verwundert die Augen reiben. Wie konnte eine Handvoll US-amerikanischer Digitalkonzerne unsere Demokratie und unsere freie Wirtschaft gleich im Doppelpack unter ihre Kontrolle bringen? Lag es zuletzt an den riesigen Aufmerksamkeitsschatten der Klimakrise, der Corona-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine, dass wir es nicht bemerkt haben? Wie konnte Big Tech bei der feindlichen Übernahme unseres Mediensystems überhaupt so weit kommen? Am helllichten Tag. Ohne dass wir uns dagegen gewehrt haben.

Alle reden gerade über ChatGPT – aber in der Rückschau wird die generative KI »nur« den allerletzten Todesstoß für unser Mediensystem darstellen (→ II.6). Wenn Millionen von maschinell erzeugten Texten und Beiträgen die sozialen Medien fluten, wird die seit Jahrzehnten voranschreitende Entwertung der Inhalte im Netz ihren endgültigen Abschluss erreichen. Die Digitalkonzerne können den Sack zumachen – die redaktionellen Medien haben nicht die geringste Chance.

Als Ergebnis einer jahrzehntelangen feindlichen Übernahme durch Big Tech wird unser Mediensystem schon in wenigen Jahren nicht mehr unter unserer Kontrolle stehen. Aber es gibt keine Anzeichen einer gesellschaftlichen Beunruhigung. Sicher, man diskutiert die Potenziale und Gefahren von generativer KI. Aber die sich abzeichnende Übernahme unserer demokratischen Öffentlichkeit durch Big Tech ist kein Thema. Dabei sind doch die Medien die Basis unserer Demokratie. Sie informieren die Menschen, sie ermöglichen politische Meinungsbildung der Bürger, sie kontrollieren die Politiker, die Mächtigen und die Reichen in unserem Land.

Wir erleben mit dem Vormarsch der digitalen Medien eine der größten technologischen Revolutionen der Menschheit. Die immer weiter voranschreitende Ablösung der klassischen Informationsangebote durch digitale Plattformen gleicht einer Operation am offenen Herzen unserer Demokratie. Wir wissen spätestens seit McLuhan (»The medium is the message«), dass Medien nie »unschuldig« sind1 – sie bilden die Grundlage unserer gesellschaftlichen Denkmuster, Einstellungen und Haltungen. Eine massive Veränderung unserer Medienlandschaft hat massive Folgen für unsere demokratische Gesellschaft.

Natürlich spielen die Digitalkonzerne bei diesem Prozess eine zentrale Rolle. Wie unsere Messungen des gesamten bundesdeutschen Internet-Traffics erstmals gezeigt haben, gehören den Tech-Riesen über ihre Vormachtstellungen bereits große Teile dieser zukünftigen Öffentlichkeit, die in wenigen Jahren die neue digitale Grundlage unserer Demokratie bilden werden. GAFAM werden übernehmen.

Das ist demokratiepolitisch alarmierend. Unter keinen Umständen dürfen einzelne Kräfte jemals Hoheit über unsere Medien gewinnen, egal ob es sich dabei um Parteien, um die Regierung, um mächtige Personen oder eben um Digitalkonzerne handelt. Wenn das geschieht, ist es um die Freiheit und Unabhängigkeit unserer Medien geschehen und unsere Demokratie in ihrem innersten Kern beschädigt.

Sie wundern sich, dass diese Gefahr aktuell in den gesellschaftlichen Debatten kein Thema ist? Sie haben Recht. Sie fragen sich, ob ich hier nicht etwas übertriebene Panikmache betreibe? Leider nein. Wir haben das gesamte Netz vermessen und unsere Daten sprechen eine klare Sprache: Bald werden wir einen Kipppunkt überschreiten und dann wird es kein Zurück mehr geben. Den Digitalkonzernen wird allein durch die Dynamik der digitalen Transformation unser Mediensystem – und damit die Grundlage unserer Demokratie – in den Schoß fallen.

Fangen wir an mit den wichtigsten Eckpunkten:

Dass die digitalen Medien die analogen ablösen werden, ist eine Binsenweisheit, Haken dran.

Was die wenigsten Menschen ahnen: Diese Transformation ist schon sehr weit fortgeschritten. Schon heute haben die digitalen Medien die analogen überholt und sind zu den neuen Leitmedien geworden.

Schon bald, im Jahr 2029, werden die analogen Medien unter einen Anteil von 25 Prozent gesunken sein. Für die analoge Welt heißt es ab dann: GAME OVER. Jeglicher politische Diskurs wird dann in den Händen der Plattformen liegen.

FUN FACT :

Seit 2020 sind die digitalen Medien die Leitmedien.

Herrschaft der Digitalkonzerne – sechs gefährliche Folgen

Redaktionelle Medien und Journalismus werden erbarmungslos immer weiter an Bedeutung einbüßen und schneller wegschmelzen als das Eis in der Arktis. Es geht um viel mehr als das Überhandnehmen von Fake News, denn: Die Tech-Riesen können in Zukunft bestimmen, welcher Bürger welche Nachrichten über die Plattformen ausgespielt bekommt. Schon jetzt manipulieren sie den Traffic nach ihren Interessen. Weder Wissenschaft noch Politik haben einen Zugang zu diesen Prozessen. Die Menschen werden dabei immer mehr entmündigt.Politische Meinungsäußerung und Einflussnahme werden zunehmend durch die Plattformen kontrolliert.Die redaktionellen Medien hatten bislang immer auch die Funktion einer kontrollierenden Instanz. Bürger konnten Missstände anprangern, zum Beispiel Korruption in der Wirtschaft oder der Politik. Auch Straftaten konnte man publik machen, bis etwa die Staatsanwaltschaft eingriff. Diese Funktion wird in Zukunft von den Plattformen übernommen werden – was auch bedeutet: Eine Handvoll Digitalkonzerne kann dann darüber entscheiden, welche Themen bekannt werden und welche nicht. Sie können aktiv das sogenannte »Agendasetting« in unserer Gesellschaft kontrollieren – die Auswahl an Themen, über die gesprochen wird.Auch Regierungen und Politiker werden in Zukunft einen Großteil ihrer Kommunikation über die Plattformen erzielen – weswegen sie immer abhängiger von den Digitalkonzernen werden. Denn die Tech-Riesen können in Zukunft nach Belieben darüber entscheiden, wie viel Aufmerksamkeit (Traffic) die verschiedenen politischen Botschaften erhalten. Nur sie werden den Zugang zum Maschinenraum der digitalen Medien und der Abmischung der Botschaften im Netz besitzen. Und sie werden diesen Zugang aggressiv zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen.Jede Art von Widerstand gegen die digitale Elite der Tech-Riesen wird zwecklos sein. Denn die Digitalkonzerne haben die Macht über unsere Öffentlichkeit erlangt. Unser politischer Diskurs ist dann in ihrer Gewalt.

Bis hierhin herrscht meist Konsens, fraglich ist höchstens, wie schnell diese Transformation erfolgen wird. Aber was wird passieren, wenn die Mediendemokratie, wie wir sie kennen, verloren geht? Wie betrifft das unser Leben? Ich garantiere Ihnen, die Folgen für die Menschen in diesem Land werden sehr konkret spürbar sein (siehe Textbox unten auf der Seite).

Was passiert, wenn wir den Kipppunkt überschreiten?

Einer Handvoll Digitalkonzerne ist es gelungen, den westlichen Gesellschaften unser wunderbares demokratisches Internet durch aggressive Methoden und unfaire Tricks zu stehlen (→ II.2). Durch die Übernahme weiter Teile des Internets haben sie es geschafft, eine rundum segensreiche digitale gesellschaftliche Transformation auf eine abschüssige Bahn zu bringen und für ihre eigenen Zwecke auszubeuten. Sie sind dabei schon sehr weit fortgeschritten. Wie weit, das werden wir auf den kommenden Seiten wissenschaftlich belegen. Es wird nicht leicht sein, diese Entwicklung umzukehren. Denn fatalerweise haben wir unsere freiheitliche Ordnung gegen alle möglichen Angriffe geschützt – gegen staatsfeindliche Parteien, gegen Umstürze, gegen gewaltsame Angriffe von außen. Aber wir verfügen aktuell über keine wirksamen Abwehrmechanismen gegen die akute Bedrohung durch die Digitalkonzerne (→ IV). Und durch Technologien wie generative KI wird diese Übernahme nur massiv beschleunigt.

Die entscheidende Frage ist, ab welchem Punkt die Vormacht der Digitalkonzerne durch die fortschreitende digitale Transformation so weit fortgeschritten ist, dass die dadurch ausgelöste Eigendynamik unumkehrbar ist. Aus den existierenden Daten können wir erkennen, dass dieser Punkt in etwa fünf bis maximal zehn Jahren eintreten wird. Danach wird es kaum noch Möglichkeiten geben, diese abgleitende Bewegung zu stoppen, weil die demokratischen Medien und die Systeme, die uns noch zur Verfügung stehen, dann nicht mehr in ihrer freiheitlichen Form funktionieren können. Der gesamte Redeanteil der geschrumpften redaktionellen Medien wird zu klein sein, um gegen die Übermacht der Plattformen noch etwas auszurichten. Als sie noch groß und mächtig waren, haben sie nicht protestiert. Ab diesem Punkt wird jeder Protest zwecklos sein.

Die Konsequenzen sind für uns kaum absehbar: Was ist, wenn infolge einer absichtlich fehlgeleiteten digitalen Transformation die Herrschaft über weite Teile unserer Gesellschaft den Tech-Riesen in den Schoß fällt? Was, wenn die freie Marktwirtschaft selbst dieser Dynamik zum Opfer fällt? Wenn die Digitalkonzerne langfristig ihre Monopole an die Stelle unserer pluralistischen, freien Wirtschaftsordnung setzen? Wenn dabei unsere Demokratie für immer Schaden nimmt?

2. Der »Point of no Return« – 2029

Wenn hier von der Übernahme unseres Mediensystems die Rede ist, stellt sich die Frage: Wie groß ist die Bedrohung überhaupt? Verschaffen wir uns zunächst einmal einen Überblick. Die Medienlandschaft besteht aktuell aus zwei Feldern. Auf der einen Seite stehen die klassischen, analogen Angebote wie etwa Zeitungen, Radio oder Fernsehen, die redaktionellen Medien. Und dann gibt es die digitalen Medien, die seit Jahrzehnten auf dem Vormarsch sind, wie etwa Social Media, Video-on-Demand (zum Beispiel YouTube), Suchmaschinen (zum Beispiel Google) inklusive der digitalen Verlängerungen der redaktionellen Medien.

Wir wissen alle, dass wir uns gerade mitten in einem Transformationsprozess befinden. Die digitalen Medien lösen die analogen ab. Es ist sinnvoll, dass wir diesen Prozess kurz im Zeitverlauf skizzieren. Der zeitliche »Nullpunkt« für diese Entwicklung liegt im Jahr 1989, als Tim Berners-Lee das World Wide Web während seines Aufenthalts am Genfer CERN erfand. Damit soll gemeint sein: Zum Zeitpunkt dieser Erfindung betrug der relative Anteil der digitalen Medien an der gesamten Nutzung genau 0 Prozent. Damals, im Jahr des Mauerfalls, hatten die analogen Medien als Grundlage unserer Demokratie noch einen Anteil der Nutzung von 100 Prozent.

Wir wissen nun alle, dass die digitalen Medien auf der Überholspur sind. Wir wissen anekdotisch, dass junge Leute aktuell schon fast ausschließlich digitale Medien nutzen. Wir wissen, dass auch die älteren Generationen immer digitaler werden. Aber wenn es darum geht, genau zu bestimmen, wie weit dieser Transformationsprozess fortgeschritten ist, tappen die meisten Menschen im Dunkeln. Denn es macht ja einen Unterschied, ob die Medien als Grundlage unserer Demokratie zu 10 Prozent digital sind, zu 50 Prozent oder etwa zu 80 Prozent. Tatsächlich ist es auch gar nicht einfach, hier eine belastbare Antwort zu finden. Um das wissenschaftlich genau herauszubekommen, müsste man mit ein und derselben Methode eine sehr große Zahl von Menschen »tracken« – also ihren genauen Medienkonsum über die verschiedenen Kanäle und Formate auf die Minute genau messen.

Eine solche Studie existiert nicht. Es ist viel zu kompliziert, die verschiedenen Formen des Medienkonsums zu messen. Man stelle sich allein die Untersuchungsapparatur vor, die man nur dafür bräuchte, um zu messen, wie viele Minuten am Tag eine Person etwa genau Zeitung liest. Aber keine Sorge, es gibt eine Antwort auf unsere einfache Frage nach der Bedeutung der digitalen Medien. Wir machen einfach einen kleinen Umweg und schauen uns an, in welchen Kanälen – analogen wie digitalen – wie viel Geld für Werbung ausgegeben wird.

Digitale Medien sind seit 2020/21 die Leitmedien

Warum ergibt dieser Umweg über die Investitionen in Werbung Sinn? Nun, alle Medien bündeln ja die Aufmerksamkeit von vielen Menschen. Es ist dabei völlig egal, auf welchen Kanälen diese Aufmerksamkeit angezogen wird, ob im Radio, auf TikTok oder bei der Lektüre einer Zeitschrift. Und die gesammelte Aufmerksamkeit aller Medien wird dann weiterverkauft – an werbetreibende Unternehmen.

Natürlich überlegen werbetreibende Unternehmen sehr genau, wo sie denn ihre wertvollen Euros für Werbung ausgeben sollen. Sie verfügen über hunderte von Messverfahren, um exakt zu bestimmen: Wo erhalte ich am meisten Aufmerksamkeit für das von mir eingesetzte Geld? Eine ganze Branche von Marktforschungsunternehmen und Agenturen verdient viele hunderte Millionen Euro jährlich daran, die Auswahl dieser Kanäle für werbetreibende Unternehmen extrem genau zu analysieren und tagesgenau zu überprüfen.

Genau deshalb liefern Werbeinvestitionen einen wunderbaren Indikator für die relative Bedeutung der verschiedenen Kanäle. Und hier sind die Zahlen mehr als eindeutig. Vieles spricht dafür, dass wir den »Tipping Point«, also den Kipppunkt, auf das Jahr 2020 beziehungsweise 2021 für Deutschland ansetzen können. Seit diesem Kipppunkt werden auf digitalen Medien von den werbetreibenden Unternehmen mehr Investitionen getätigt als in allen anderen analogen Medien zusammengenommen.2

Allein diese Information ist für viele Menschen überraschend. Die meisten Nutzer würden den Anteil der digitalen Medien viel geringer ansetzen. Aber tatsächlich sind die analogen Zeiten vorbei.3 Wenn man auf die Werbung als Indikator für gebündelte Medienaufmerksamkeit schaut, dann gilt seit etwa zwei Jahren: Die digitalen Medien sind die Leitmedien. Die analogen Medien haben nur noch sekundäre Bedeutung. Und sie werden immer weiter abschmelzen. Irgendwann werden die digitalen Medien übernehmen. Und eins ist klar: Das wird nicht mehr lange dauern.

Merken Sie, dass sehr viel Sprengstoff hinter dieser Information steckt? Denn viele Akteure aus der alten Welt, etwa in den Medien, der Wirtschaft oder der Politik, achten immer noch in erster Linie auf das, was in analogen Medien passiert. Wenn man zum Beispiel einen Redakteur des Spiegel fragt, wer denn eigentlich seine Konkurrenz ist, würde er bestimmt auf den Focus, die Zeit oder die FAZ verweisen.

Er würde vermutlich nicht erwidern, dass Facebook und Instagram die gefährlichsten Konkurrenten des Spiegel sind. Aber genau das ist der Fall. Denken wir einige Jahre weiter. Wenn wir uns die Frage stellen, welches Unternehmen dem Spiegel einmal so stark das Wasser abgraben könnte, dass es für die Redaktion um das blanke Überleben geht, dann ist es sicher nicht der Focus oder die Zeit – sondern die Konkurrenz durch die digitalen Plattformen.

Plattformen zerstören die Finanzierungsgrundlage von Journalismus

Es gibt noch einen weiteren Aspekt, weshalb die Analyse von Werbeinvestitionen lohnend ist. Werbung ist zwar für viele Nutzer nur lästig und nervig, aber sie vergessen dabei, dass dieselbe Werbung eben doch für die Mediendemokratie einen »guten Zweck« erfüllt. Denn es ist ja dieselbe Werbung, durch die Medienunternehmen Redaktionen finanzieren, Filme drehen, Journalisten einstellen, Recherchen durchführen können (siehe Abbildung auf der vorhergehenden Seite).

Auch das gibt uns einen ersten Eindruck davon, wie denn in Zukunft die digitale Grundlage unserer Mediendemokratie aussehen könnte. Denn wie wir alle wissen, basiert das Geschäftsmodell der Plattformen ja auf »user-generated content« – also auf Inhalten, welche die Nutzer für sie erschaffen. Die Plattformen zahlen keine Honorare, unterhalten keine Redaktionen, betreiben keine Recherchen. Sie führen keine Interviews, entwickeln keine Themen, sie bereiten die Informationen nicht auf. Sie bieten den Nutzern lediglich ein digitales Forum, auf dem diese nach Belieben ihre Inhalte verbreiten können. Nur dass die Nutzer diese Arbeit für Plattformen gratis leisten und dafür keine finanzielle Belohnung erhalten.

Wer also meint, es lohne sich nicht, solche Werbeinvestitionen zu analysieren, der sitzt einem Irrtum auf. Denn die privatwirtschaftlich organisierten Medien sind von dieser Werbung abhängig, egal ob es sich um RTL, um Pro7, um den Spiegel oder die Süddeutsche Zeitung handelt. Wenn also die Werbeinvestitionen immer weiter auf Plattformen abwandern, dann werden die analogen und redaktionellen Medien unweigerlich »trockengelegt«. Genau deshalb lesen wir seit Jahren und Jahrzehnten vom Zeitungssterben, von Stellenabbau in den Redaktionen, von immer neuen Umstrukturierungen.

Wann erfolgt der Zusammenbruch der redaktionellen Medien?

Die Frage ist, ab welchem Punkt die analogen Medien so weit abgeschmolzen sein werden, dass sie einen zweiten »Tipping Point« überschreiten. Denn bei solchen Prozessen der Stagnation erfolgt ein Niedergang ab einem bestimmten Punkt nicht mehr linear, sondern dynamisch. Das ist übrigens bei den meisten wirtschaftlichen Geschäftsmodellen so. Ab einer bestimmten Schwelle ist es dann zum Beispiel nicht mehr wirtschaftlich, eine Fabrik noch weiter zu unterhalten. Es rentiert sich nicht mehr, weil die Kosten für die Produktion die Einnahmen überschreiten. In diesem Augenblick werden die Eigentümer die Unternehmung stoppen und die Produktionsstätte schließen. Dann ist Schicht im Schacht.

Wie wir gesehen haben, haben die digitalen Medien seit dem »Nullpunkt« im Jahr 1989 mehr als drei Jahrzehnte gebraucht, um aus einem unbedeutenden Aschenputteldasein herauszuwachsen und die Rolle der Leitmedien zu übernehmen. Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass sich ihr Vormarsch in Zukunft stark beschleunigen wird. Wir können aus den publizierten Prognosen erkennen, dass die digitalen Medien voraussichtlich im Jahr 2029 drei Viertel aller Werbeinvestitionen bündeln werden. Dagegen wird der relative Anteil der analogen Medien 2029 auf weniger als 25 Prozent sinken.5

Wir können davon ausgehen, dass dies in dreierlei Hinsicht für die analogen Medien kritisch sein wird: Erstens verlieren sie gesamtgesellschaftlich an Relevanz. Zweitens werden viele Medienunternehmen nicht mehr profitabel weiter existieren können. Schließungen, Zusammenlegungen, Stellenabbau und Umstrukturierungen werden den Erosionsprozess beschleunigen. Die dritte Konsequenz ist jedoch am bedeutsamsten: Dieser Verlust an Gewicht wird dazu führen, dass sich die redaktionellen Medien gegen die Besetzung des Mediensystems durch die Plattformen nicht mehr publizistisch wehren können.

In diesem Kampf gegen die Plattformen hatten sie nie auch nur die geringste Chance. Wie wir später sehen werden (→ II), erfolgt diese feindliche Übernahme durch die Digitalkonzerne nämlich mit unfairen Methoden. Durch die massive Privilegierung der Plattformen waren alle Digitalisierungsoffensiven der analogen Medien von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

Das Problem wird 2029 nur sein: Sie werden dann gesellschaftlich nicht mehr über den nötigen Redeanteil verfügen, genau dies öffentlich anzuklagen. Ihr »Share of Voice« ist dann zu gering.

Jenseits des Jahres 2029 wird kaum noch an Korrekturen oder Richtungsänderungen zu denken sein: GAME OVER.

Offen ist natürlich, was das bedeutet. Eine Ablösung der analogen durch die digitalen Medien könnte ja auch eine tolle Sache sein. Ich bin übrigens selbst ein »Digital Addict«, und vor zehn Jahren hätte ich in einer Diskussion zu solchen Themen vermutlich geantwortet:

»Ist doch super! Das ist halt Teil des Fortschritts – neue Ideen kommen, alte vergehen. Was ist bitte falsch daran? Wofür brauchen wir die analogen Medien noch? Nur her mit den coolen neuen Plattformen, und weg mit dem alten Kram.«

Doch so einfach ist es nicht. Was passiert, wenn wir unsere Mediendemokratie umstellen auf digitale Medien? Was sind die Konsequenzen, wenn US-amerikanische Plattformen zum Fundament unserer Demokratie werden?

3. Das Internet der Monopole

Wir wissen, dass die Medien die Grundlage unserer Demokratie darstellen. Denn nur durch die Medien wird unsere öffentliche Meinungsbildung ermöglicht, aufgrund derer sich dann auch politische Parteien und Programme entwickeln und positionieren können. Wir wissen auch, dass die digitalen Medien die analogen Medien ersetzen werden. Übrigens ist es da auch irrelevant, ob diese Transformation noch weitere fünf, zehn oder zwölf Jahre in Anspruch nehmen wird. Die eigentliche Kernfrage lautet dagegen: Wie wird dann diese rein digitale Welt in Zukunft aussehen?

Wir können das recht einfach durch ein Gedankenexperiment beantworten, indem wir nämlich die analogen Medien jetzt einmal fiktiv abschalten:

KNIPSEs gibt keine Zeitungen, Zeitschriften und Magazine mehr.

KNIPSDas lineare Fernsehen ist abgeschaltet.

KNIPSDas Radio ist stumm.

Weil die vorwiegend digitale Medienzukunft schon in wenigen Jahren eintritt, müssen wir jetzt einfach nur einen Querschnitt der aktuellen digitalen Situation ermitteln und können daraus präzise ableiten, wie unsere digitale Medienwelt schon sehr bald aussehen wird.

Einen solchen wissenschaftlich fundierten Querschnitt besitzen wir dank unserem Forschungsprojekt der Universität Köln, in dem wir in sehr umfassenden Datenanalysen eine erste solche Nullmessung vorgelegt haben. Sie zeigt die gesamte digitale Nutzung der deutschen Bevölkerung auf allen 16 Millionen Domains auf Grundlage der echten Nutzung aller Devices (Smartphone, Tablet, Desktop). Wir haben für diese Darstellung viele Milliarden Impressions ausgewertet.6

Als wir die Ergebnisse zum ersten Mal sahen, konnten wir unseren Augen kaum trauen. Wir dachten zunächst, unsere Auswertungen müssten fehlerhaft sein. Warum? Weil die vermeintliche Vielfalt der Inhalte im Netz eine Illusion ist. Das riesige bunte Internet erwies sich in Wirklichkeit als ein gigantischer Friedhof ungenutzter Inhalte. Fast der gesamte Traffic wird nur von ganz wenigen Giga-Plattformen erzielt, und zwar von den Angeboten der Digitalkonzerne wie YouTube, Facebook, Instagram, Google oder WhatsApp.

Aus diesem Status Quo können wir ableiten, wie unsere Medienlandschaft in wenigen Jahren aussehen wird: Nach dem weiteren Abschmelzen von Zeitungen, Fernsehen und Radio in fünf bis zehn Jahren wird unsere Medienwelt einer Handvoll US-amerikanischer Digitalkonzerne gehören.

GAME OVER.

Plattformen zerstören Anbietervielfalt

Die Abschaffung der Vielfalt in den digitalen Monopolen ist vor allem deshalb so erstaunlich, weil die Realität der digitalen Mediennutzung das genaue Gegenteil von der bunten und dynamischen Robin-Hood-Welt darstellt, die uns seit Jahrzehnten versprochen wurde. War das Internet nicht das Universum der coolen Underdogs? Sollte das Netz nicht den Armen geben und den Reichen nehmen?

Dieses schöne wie irreführende Märchen geht vor allem auf ein Buch von Chris Anderson zurück, The Long Tail.7 Es handelt sich um einen der populärsten Bestseller über das Netz überhaupt – und wahrscheinlich einen der gefährlichsten. Denn das genaue Gegenteil ist wahr. Aber bis heute prägen Andersons Thesen unsere Vorstellung von einem pluralistischen und vielfältigen Netz, in dem es kleinere Wettbewerber mit den Großen aufnehmen können. Dieser Irrglaube weist Politiker, Unternehmen, Blogger, Kreative und Nutzer konsistent in die falsche Richtung. Es ist wichtig, dass wir hier tiefer einsteigen. Denn nur so können wir einen der fundamentalsten Irrtümer über die Beschaffenheit des Internets ausräumen.

Das Gefährliche an der These von Anderson und seinen vielen Nachahmern ist, dass sie oberflächlich so maximal einleuchtend ist, obwohl sie so grundfalsch ist. Anderson sagt, dass die neuen digitalen Technologien eine Vervielfältigung des Angebots bewirken. Er illustriert das am Beispiel eines Buchladens, der aufgrund des begrenzten Regalplatzes nur wenige zehntausend Bücher vorhalten kann, wohingegen Amazon Millionen Titel anbieten kann. Wenn wir die Probe mit anderen Märkten machen, sehen wir bei oberflächlicher Betrachtung dasselbe Ergebnis: Im Fernsehen gibt es hunderte verschiedene Programme, auf YouTube Millionen. Es gibt tausende von Zeitungen, aber Millionen von Blogs. Ein CD-Laden kann nur tausende von CDs anbieten, Spotify viele Millionen Titel. Und so fort.

Was soll also falsch sein an Andersons These? Der Kategorienfehler liegt darin, dass die These stimmt in Bezug auf die Menge der hergestellten Angebote, Haken dran. Aber sie sagt nichts aus über die Frage, welche dieser Angebote tatsächlich genutzt werden. Wenn jedoch Angebote gar nicht genutzt werden, ist es so, als würden sie nicht existieren. Die Vielfalt des Angebots ist dann nur eine Fata Morgana, deren schillerndes Flimmern in Wirklichkeit einen gigantischen Friedhof verdeckt.

Allerdings ist es sehr schwer, die Vielfalt der existierenden digitalen Angebote auf der Ebene aller Webseiten und Apps genau einzuschätzen. Warum? Weil man drei Anforderungen erfüllen muss, um eine wissenschaftlich belastbare Antwort zu formulieren:

Man muss das

ganze

Internet vermessen, also eine Totalitätsmessung durchführen. Denn nur wenn man weiß, wie groß das Ganze ist, kann man die relative Bedeutung der einzelnen Angebote erkennen – also etwa Marktanteile ausrechnen. Es gibt aktuell etwa 16 Millionen aktive Domains in Deutschland, und man müsste jedes einzelne dieser Angebote mit aufnehmen.

Befragungen oder Reichweitenmessungen helfen nicht weiter. Man muss die

reale Nutzungsdauer

ermitteln. Nur so kann man auf der Ebene der einzelnen Angebote pro Nutzer die gesammelte (aggregierte) Aufmerksamkeit herausfinden. Was wiederum bedeutet: Man muss die Nutzung kontinuierlich messen, also 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche et cetera.

Weil Nutzer heute auf ganz unterschiedlichen Endgeräten unterwegs sind, muss man alle genutzten Devices (Smartphone, Desktop, Tablet) separat vermessen und auf der Ebene jeder einzelnen Person zusammenführen.

Weil wir erstmals eine solche Nullmessung durchgeführt haben, war es uns auch möglich, die Frage nach dem Robin-Hood-Internet grundsätzlich zu klären. Weil wir das gesamte Netz vermessen haben, können wir auch den gesamten bundesdeutschen Traffic in nur einem einzigen Diagramm darstellen. Das auf der folgenden Seite gezeigte Diagramm ist eine Aggregation aus hunderten von Millionen Impressions. Tatsächlich wäre es möglich, alle Thesen und Inhalte dieses Buchs nur aus dieser einen Übersicht abzuleiten. Und so viel schon vorab: Unsere Messungen widerlegen endgültig Chris Andersons gefährlichen Internetmythos.

Das digitale Universum: Eine Handvoll Giganten und ein riesiger Friedhof

Es lohnt sich also, diese eine Darstellung genau zu verstehen, damit man das Ausmaß des Problems vollständig erkennen kann.

Unser Schaubild auf der nächsten Doppelseite ist zunächst einmal nichts anderes als ein Ranking aller im Netz existierenden Inhalte – also Webseiten, Plattformen, Apps, Webshops und so fort. Auf der vertikalen Y-Achse sehen wir die gesamte aggregierte Nutzungszeit, die jedes einzelne Angebot in Deutschland erzielt. Auf der X-Achse erkennen wir den Rang, den das jeweilige Angebot einnimmt, und zwar von Platz 1 bis Platz 131.993.

Wenn ich dieses Diagramm auf Vorträgen zeige, gibt es manchmal Zuhörer, die auf den ersten Blick gar nicht die Linie des Graphen erkennen. Sie denken, das Diagramm ist falsch, weil die Linie fehlt. Das liegt daran, dass die Kurve weitgehend deckungsgleich ist mit der Y-Achse und danach mit der X-Achse verschmilzt. Man muss kein Crack in Mathe sein, um zu verstehen, was das bedeutet: Der Traffic im Netz gehört nur ganz wenigen Anbietern, auf den wenigen Millimetern direkt neben der vertikalen Y-Achse. Die Angebote der vier führenden Anbieter (Alphabet, Meta, Apple und Amazon) machen allein etwa 45 Prozent des gesamten Traffics aus. Das ist eine unvorstellbare Dominanz, wenn man bedenkt, dass diese Übersicht ja ganz verschiedene »Märkte« miteinander kombiniert (also etwa Video-on-Demand, E-Commerce, Social Media, Banking, Gaming, E-Mail, Messenger und so fort) – eben alles, was digital auf Endgeräten genutzt wird.

Dagegen erkennt man, dass sich jenseits der digitalen Giga-Plattformen die Linie schon nach wenigen Millimetern der Null-Linie nähert. Die Top-100-Angebote erzielen 71,8 Prozent des gesamten Traffics. Rang 101 bis 500 schaffen schon nur noch schwache 14 Prozent, dann passiert nicht mehr viel.

Wenn man sich von der anderen Seite, von rechts nach links vorarbeitet, sieht man: Alle Angebote zwischen Rang 10.000 und Rang 131.993 ziehen insgesamt nur etwa 2 Prozent des gesamten Traffics auf sich.

Haarsträubende Konzentration des digitalen Traffics

Wenn Ihnen klargeworden ist, wie riesig und leer dieser Friedhof ist, müsste Ihnen spätestens jetzt etwas schwindlig sein. Aber es ist alles sogar noch viel schlimmer, als Sie jetzt denken. Wenn ich mein Diagramm auf Vorträgen zeige, gibt es manchmal sehr aufmerksame Zuhörer, die mich hier unterbrechen. Sie weisen mich darauf hin, dass es ja insgesamt 16 Millionen Domains in Deutschland gibt (.de), für deren Registrierung die Inhaber sogar Geld zahlen müssen. Und dass viele Menschen in Deutschland ja auch andere Domains verwenden (.com, .org) oder ausländische Webseiten besuchen. Haben wir denn alle 16 Millionen gemessen oder nur diese 131.993 Websites und Apps?

Die Frage ist mehr als berechtigt und zeigt einmal mehr die unfassbare Konzentration des digitalen Traffics. Denn tatsächlich registrieren unsere Messungen jede einzelne aufgerufene Domain über einen Zeitraum von drei Monaten. Das heißt: Wenn nur eine einzige Person in unserem Panel auch nur wenige Sekunden auf einer einzelnen Seite verbracht hat (zum Beispiel beim kurzen Check der Öffnungszeiten einer Zahnarztpraxis), so wird die Nutzung dieser Seite gezählt.

Unsere Messungen über drei Monate auf allen Endgeräten zeigen aber nur auf 131.993 Websites und Apps Traffic. Das ist korrekt. Was wiederum bedeutet: Auf mehr als 99 Prozent aller Domains (also auf rund 15,9 Millionen Domains) lässt sich überhaupt kein Traffic nachweisen. NULL. Eigentlich müsste man alle diese Domains ebenfalls auf der X-Achse zeigen. Aber dann müssten wir die waagerechte Linie auf der X-Achse noch einmal um den Faktor 121 verlängern – also etwa 42 Meter (!!) weiter über die Buchkante nach rechts laufen lassen. Wenn Sie ahnen, was das zu bedeuten hat, sollte sich zu dem Gefühl des Schwindels nun ein waschechter Schock und ein Schweißausbruch gesellen.

Kehren wir wieder zu unserer Übersicht zurück, die »nur« die genutzten 131.993 Websites und Apps zeigt. Wir können die Konzentration, also die Ungleichverteilung innerhalb dieser 131.993 Angebote genau mathematisch berechnen. Man kann sich das vorstellen wie eine Vermögensverteilung. Auf einer Skala würde der Wert 0 eine Gleichverteilung darstellen (alle Menschen besitzen gleich viel), dagegen würde der Wert 100 die maximal denkbare Ungleichverteilung repräsentieren (eine Person besitzt alles, alle anderen nichts).

Die Ungleichverteilung des deutschen Online-Traffics ist tatsächlich haarsträubend – der Wert beträgt unfassbare 98,8 (wohlgemerkt: in dieser Berechnung sind die 15,9 Millionen ungenutzten Domains gar nicht enthalten!). Das Gros des Traffics wird von den Plattformen der Digitalkonzerne gebündelt. Ganz wenige Unternehmen besitzen fast alles, der Rest so gut wie nichts. Rein mathematisch betrachtet sind wir also sowieso nur wenige Millimeter entfernt von einem rein monopolistischen Internet (siehe vorhergehende Abbildung).

GAME OVER.

Wie sieht unsere rein digitale Medienwelt in Zukunft aus?

Wir haben also die analogen Medien ausgeknipst und schauen uns jetzt nur die digitale Mediennutzung an. Was wiederum heißt: Wir können präzise vergleichen, was es bedeutet, wenn wir in wenigen Jahren sehr weitgehend auf digitale Medien umschalten. Wir schauen direkt in die Zukunft unserer Mediendemokratie – wenn sie dann noch eine Demokratie ist.

Dabei sei schon jetzt erwähnt: Dieser katastrophale Zustand der digitalen Medien ist kein Problem des Digitalen selbst. Er ist vollständig verursacht durch unsere eigenen regulatorischen Fehler. Wir haben das Internet so reguliert, dass eine riesige Wüste entstanden ist und das reichlich vorhandene Wasser nur eine Handvoll US-amerikanischer Plattformen erhält, deren Oasen wie wild florieren und gedeihen – und der Rest der Welt verdurstet. Das sind wir selbst schuld: Wir haben es zugelassen, dass uns das Internet von einer Handvoll US-amerikanischer Digitalkonzerne gestohlen wurde. Nichts und niemand muss uns daran hindern, das Internet für unsere Gesellschaft zurückzuerobern (→ VI). Denn der aktuelle Zustand ist desolat.

Tun wir nichts, dann sieht die Zukunft so aus: Wir tauschen eine vormals blühende Landschaft von vielfältigen und diversen Medien ein gegen ein halbes Dutzend Monopole oder Quasimonopole. Juristen würden zwar einwenden, dass man nur dann von einem Monopol sprechen darf, wenn gar kein anderer Anbieter mehr existiert. Wir argumentieren hier aber aus einer Perspektive der Mediennutzung – und da dürfen wir auch dann von Monopolen sprechen, wenn es praktisch kaum alternative Nutzung auf vorhandenen Angeboten gibt. Dies ist der Fall bei Suchmaschinen (Google), bei Social Media (Facebook und Instagram als Angebote desselben Konzerns), bei Messengern (WhatsApp, ebenfalls von Meta) oder bei gratis Video-on-Demand (YouTube).

Diese Dominanz und die gleichzeitige totale Ausschaltung eines gesunden und fairen Wettbewerbs scheint schon auf den ersten Blick geradezu zwangsläufig dem Sog der Plattformen zu erwachsen. Unter den Giga-Angeboten der Top 10 in Deutschland, die insgesamt schon 50 Prozent des Traffics bündeln, sind neun Plattformen. Nur ein Angebot (web.de) ist keine Plattform und stammt zugleich aus Deutschland, erzielt aber nur 1,5 Prozent der Nutzungszeit. Während unser herkömmliches Mediensystem zu 100 Prozent aus redaktionellen Medien bestand, wird die Zukunft der Medien zweifellos den Plattformen gehören und ihrem Geschäftsmodell des »user-generated content«.

Was wird also passieren, wenn in den nächsten Jahren die analogen Medien weiter abschmelzen und in der Nutzung durch digitale Medien ersetzt werden? Erneut bietet ein Blick auf die Werbeinvestitionen wichtige Erkenntnisse. Sie erinnern sich an den oben besprochenen Tipping Point, wonach schon mehr als die Hälfte aller Werbeinvestitionen in digitalen Medien getätigt werden?

Wir schauen jetzt nur auf dieses digitale Universum, um herauszufinden: Wer verdient in der digitalen Zukunft dann eigentlich das Geld im Internet?

Wir können nun aus verschiedenen Publikationen ableiten, wie hoch das Anteil der Big 3 (Alphabet, Meta, Amazon) an den gesamten digitalen Werbeeinnahmen aktuell ist. Die Werte schwanken etwas je nach Land und Studie – für die Länder der westlichen Welt (also außer China) geht man von einem Korridor zwischen 80 und 90 Prozent aus. Brancheninsider schätzen den Anteil in Deutschland auf 80 Prozent, dagegen sollen es in den USA bereits 90 Prozent sein. Im Schnitt saugen diese Top-3-Konzerne also etwa 85 Prozent der Werbeeinnahmen auf – wogegen hunderttausende Anbieter von Content lächerliche 15 Prozent unter sich aufteilen müssen8 (siehe die Abbildung auf der vorhergehenden Seite).

Wo wird in Zukunft das Geld verdient?

Erinnern Sie sich an unsere Hypothese aus dem Einstieg? Dass die Konzentration der Mediennutzung auf ganz wenige Anbieter unweigerlich die redaktionellen Medien zerstören wird, die immerhin mehrere Jahrzehnte das Fundament unserer Mediendemokratie dargestellt haben? Unsere Überprüfung der Verteilung der Werbeinvestitionen liefert hier eine wichtige Nagelprobe aus anderen, unabhängigen Datensätzen. Denn tatsächlich fällt die Unwucht bei der Monetarisierung sogar noch deutlicher aus als bei der Mediennutzung selbst.

Mit dem Traffic des Internets verdienen aktuell nämlich fast nur die Digitalkonzerne eine Menge Geld, die anderen gehen weitgehend leer aus. Die Plattformen der Digitalkonzerne funktionieren also wie schwarze Löcher mit einer unüberwindlichen Sogwirkung, die immer mehr Traffic anziehen und das freie Internet dadurch systematisch trockenlegen. Wir füttern die Plattformen nicht nur durch unsere Aufmerksamkeit (die sie durch Werbung monetarisieren) und durch unsere Daten – wir liefern ihnen zusätzlich auch noch gratis die Inhalte, die ihre Feeds füllen. Wir machen die ganze Arbeit – und sie kassieren ab.

4. Die Opfer: Journalismus, Blogger, globale Konzerne, öffentlich-rechtlicher Rundfunk

Die eingangs beschriebene Bedrohung unserer Gesellschaft gewinnt allmählich an Kontur: Die digitalen Medien werden in Zukunft das Fundament unserer Demokratie darstellen. Aber genau dieses Fundament wird in wenigen Jahren nahezu vollständig einer Handvoll US-amerikanischer Digitalkonzerne gehören – wodurch wir die Kontrolle über unsere demokratische Öffentlichkeit verlieren werden. Wenn unsere Medien den Digitalkonzernen gehören, dann werden sie automatisch auch unsere Demokratie beherrschen.

Wir haben das Ausmaß der Dominanz aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und sind immer zu demselben Ergebnis gekommen: Die angebliche Vielfalt von Anbietern im Netz ist eine Fata Morgana. Denn der Traffic konzentriert sich auf nur ganz wenige Angebote. Es ist so wichtig, diese Erkenntnis immer aufs Neue zu wiederholen, weil sie in einem so eklatanten Widerspruch steht zu der offensichtlichen Tatsache, dass so viele verschiedene Inhalte irgendwo im Netz stehen. Denken wir nur an die vielen Treffer bei banalen Google-Suchen. Auf die Suchanfrage zu »Internet Statistics« liefert die Suchmaschine beispielsweise 2 Milliarden 420 Millionen Treffer (Abfrage 4.12.2022).

Genau hier liegt die Wurzel des wahrscheinlich schlimmsten und gefährlichsten Irrtums über die digitale Medienrealität. Die Anbietervielfalt ist eine Illusion. Und diese Illusion von Vielfalt ähnelt übrigens Mechanismen, die bei der Selbststabilisierung von autokratischen Regimes zu beobachten ist. Diese sind heutzutage in vielen Ländern gerade deshalb so erfolgreich, weil sie nach außen eben nicht als brachial-diktatorische Gewaltherrschaft auftreten, sondern sich ein buntes Gewand aus verschiedenen Parteien, Institutionen und Strömungen überwerfen. Rein diktatorische Systeme erzeugen so immer wieder neue Phantasmen aus Vielfalt und Pluralismus. Sie inszenieren sogar aufwändig durchgeführte Wahlen, obwohl der Gewinner stets vorab feststeht.

Warum erwähne ich dieses Beispiel? Weil wir bei den Diktaturen gelernt haben, solche Illusionen von Vielfalt konsequent als Bullshit zurückzuweisen. Wenn autokratische Regimes solche Inszenierungen orchestrieren, durchschauen wir das sofort. Wenn Google uns auf unsere Suchanfragen Millionen oder Milliarden von Ergebnissen anzeigt, sollten wir ebenfalls skeptisch sein. Wir können sowieso nicht überprüfen, ob es diese Angebote überhaupt gibt. Aber eines wissen wir nach unseren Messungen mit Sicherheit: Nirgendwo ist die Nachfrage auf weniger Anbieter konzentriert als im Netz.

Bei den digitalen Medien haben die Plattformen jede Form von gesundem und fairem Wettbewerb vollständig abgeschafft, das zeigt unser Ranking aller messbaren Angebote im Netz. Es ist also völlig egal, ob Anbieter noch Inhalte auf die registrierten 16 Millionen Domains stellen. Die Plattformen haben dieses potenziell vielfältige digitale Universum von Traffic vollständig entleert. Wir haben es mit einer völlig toten Wüstenlandschaft zu tun.

Diese digitale Kernschmelze hat massive Folgen für jeden, der in diesem Markt aktiv ist. Schauen wir uns das einmal für eine Reihe von Bereichen genauer an.

Journalistische Angebote haben keine Chance

Wir erinnern uns an unser Experiment: Wir haben alle analogen Medien abgeschaltet und schauen nun darauf, was die Menschen aktuell in den digitalen Medien so tun. Jetzt wollen wir zusätzlich herausfinden: Wie viel Zeit werden die Menschen unter rein digitalen Bedingungen damit verbringen, Nachrichten zu konsumieren?

Dafür haben wir eine Kategorie gebildet, die alle Formen der Nutzung von Nachrichten und Informationen beinhaltet.9 Zum Glück ist die Reichweite riesig, alle Online-Nutzer in Deutschland verwenden solche Angebote. Aber selbst die Nutzungszeit aller Angebote zusammengenommen ist sehr niedrig und beträgt nur winzige sieben Stunden im Monat – was knapp 14 Minuten am Tag entspricht.