Krieg der Medien - Martin Andree - E-Book

Krieg der Medien E-Book

Martin Andreé

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Beschreibung

GAME OVER, DEMOCRACY? Wir können ihn täglich beobachten – den immer härteren und schrilleren Krieg um Macht und Vorherrschaft in den digitalen Medien. Doch wer kämpft eigentlich gegen wen? Der international renommierte Medienwissenschaftler Martin Andree zeigt, wie eine Koalition aus Dark Tech, Trump und Rechtspopulisten offen nach autokratischer Macht greift. Über digitale Monopole kontrolliert sie zunehmend die Öffentlichkeit. Mit jedem Tag wird es schwerer, unsere freie Welt noch zu retten. Werden wir das Ruder noch herumreißen? Oder wird die westliche Welt in Spaltung, Chaos oder gar Bürgerkrieg enden?

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Seitenzahl: 332

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Martin Andree

KRIEG DER MEDIEN

Dark Tech und Populisten übernehmen die Macht

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

HINWEIS: Im Folgenden wird auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen verzichtet und die generische männliche Form genutzt – womit keine Zufriedenheit, sondern ein Mangel ausgedrückt ist.

Vita

Martin Andree lehrt Medienwissenschaft an der Universität zu Köln. Er forscht seit mehr als 15 Jahren zur Dominanz von Big Tech. Führende deutsche und internationale Medien, Konferenzen sowie Institutionen greifen für Beiträge zu diesem Thema regelmäßig auf seine Expertise zurück. Im Jahr 2020 veröffentlichte er den hoch angesehenen Atlas der digitalen Welt. Er erhielt den Günter-Wallraff-Sonderpreis für Pressefreiheit und Menschenrechte für den Bestseller Big Tech muss weg! (2023), der auch auf Englisch erschienen ist. Sein Studium absolvierte er in Köln, Münster, Cambridge und Harvard; seine Habilitation erfolgte im Jahr 2018.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

INHALT

Impressum

INHALT

EINLEITUNG

»Bürgerkrieg ist unvermeidlich«

Der Kampf um die Medienherrschaft

Und wir? Wir haben den Schuss immer noch nicht gehört

Bedrohung von außen – Bedrohung von innen

Wir haben unsere digitale Souveränität längst verloren

Eine Kampfschrift für die Demokratie

Kapitel 1.

Die Kampfzone

Game over, Demokratie?

Die digitale Medienrevolution

Dark Tech und die Populisten setzen die Regeln des Diskurses

Dark Tech kontrolliert die digitale Öffentlichkeit

Kapitel 2.

Die Warlords

Übermächtige Allianz gegen die Demokratie

Wer ist »Chef« – Trump oder Tech?

Krieg der Medien – die vier Phasen

Die Rolle Russlands im Krieg der Medien

Die Nahrungskette der nützlichen Idioten

Kapitel 3.

Die Kampfziele

Die libertäre Zerstörung der Demokratie

Die große Erzählung der neuen Libertären

Die cyberlibertäre Abschaffung der Demokratie ist in vollem Gange

Digitale Counter-Culture: Die Figur des Trolls

Gekränkte Freiheit: Die Instrumentalisierung der Abgehängten

Kapitel 4.

Die Invasion

Die tiefere Bedeutung der digitalen Monopole

Der digitale Feudalismus

Digitale Mediengattungen »gehören« den Digitalkonzernen

Kapitel 5.

Die Okkupation

Schauermärchen über europäische Regulierung

Privilegien und rechtliche Vorzugsbehandlungen der digitalen Oligarchie

1.

Intermediärsprivileg

2.

Haftungsprivileg

3.

Straftatenprivileg

4.

Monopolprivileg

5.

Instrumentalisierungsprivileg

6.

Einsperrprivileg

7.

Enteignungsprivileg

Nicht wir regulieren Dark Tech – Dark Tech reguliert uns

Kapitel 6.

Die Waffen

Digitale Manipulationsmaschinen

1.

Schnelligkeit / Echtzeit

2.

Exponentielle Vervielfältigung der Informationen

3.

Kürze und Memifizierung

4.

Konkretheit / »Beweise«

5.

Rückkanalfähigkeit

6.

Extrem ungleiche Verteilung der Aufmerksamkeit

7.

Fokus auf Personen

8.

(Negative) Emotionen

9.

Sensationalismus, Lügen, Fake News, Desinformation

10.

Polarisierung

11.

Sozialer Status durch digitale Visibilität

Folge 1: Zerstörung des Journalismus

Folge 2: Radikalisierung des politischen Diskurses

Folge 3: Eliminierung des Paper Belt

Der Übergriff in die wirkliche Welt

Nutzer wünschen sich ganz andere Plattformen statt Digitalokratie

Kapitel 7.

Die Falle

Warum Absolutismus der Meinungsfreiheit ein Selbstwiderspruch ist

Die Grenzen des Sagbaren – in den USA und in Deutschland

Zensur als Fetisch von Libertären und Populisten

Warum unbegrenzte Meinungsfreiheit die Meinungsfreiheit einschränkt

Medienfreiheit, die wir selbst gestalten

Warum »You are the media now« eine Lüge ist

Kapitel 8.

Der Aufstand

Ist eine Rettung der Demokratie überhaupt noch möglich?

Freiheit in Deutschland und Europa – die Grundbedingungen und Voraussetzungen

Die Befreiung von der Digitalokratie

Kickstart des freien, europäischen Internets

Infrastrukturen absichern gegen Erpressung durch Trump und Tech

Die Rache aus den USA wird folgen

Warum sich der Aufstand dennoch lohnt

Kapitel 9.

Die Kapitulation

Unser Leben in der digitalokratischen Besatzungszone

Klagen gegen Redaktionen und Wissenschaftler

Die aktive Förderung von Autokraten und Opportunisten

Aufbau von politischen Partnern

Die Inthronisierung einer neuen digitalokratischen Elite

Kapitel 10.

Das bittere Ende

Aufstand oder Kapitulation?

Wir sind im Arsch: Die elf Gründe

1.

Mangelndes Problembewusstsein

2.

Eine Rückkehr in die alte Welt ist unmöglich

3.

Extreme Abhängigkeit von Dark Tech

4.

Nirgendwo auf der Welt gibt es Anzeichen eines echten Widerstands

5.

Die Macht von Dark Tech übergreift Wirtschaft, Medien und Politik

6.

Vielen Entscheidern mangelt es an digitaler Kompetenz

7.

Wir haben die Besetzung der digitalen Welt selbst unterstützt

8.

Existierende Regelungen der EU wie DMA und DSA liefern keine Lösungen

9.

Dark Tech und Populisten gewinnen gerade

10.

Dark Tech besetzt die wichtigsten Zukunftsutopien

11.

Kein Widerstand bei jungen Menschen

Die digitalokratische Apokalypse

ANMERKUNGEN

Einleitung

1.

Die Kampfzone

2.

Die Warlords

3.

Die Kampfziele

4.

Die Invasion

5.

Die Okkupation

6.

Die Waffen

7.

Die Falle

8.

Der Aufstand

9.

Die Kapitulation

10.

Das bittere Ende

DANK

Alles ist im Arsch

Und alles ist am Ende

Und alles, was du noch sagst

Ist: »Hätte, würde, könnte«, ja, Mann

Erst war’s egal, weil es

Immer irgendwie geht

Man hat nie etwas getan

Aber jetzt ist es zu spät

Jan Delay, Udo Lindenberg

EINLEITUNG

»Bürgerkrieg ist unvermeidlich«

Diese Worte schrieb Elon Musk am 4. August 2024 auf X zu den Unruhen in Großbritannien, bei denen es unter anderem zu rassistischen Übergriffen, Brandstiftung und Plünderungen kam. Mehr als fünfzig Polizisten wurden verletzt, es kam zu Hunderten Festnahmen. In der Folge postete Elon Musk mehrfach Inhalte auf X, die dazu anstachelten, die angeblich tyrannische britische Regierung zu stürzen.

Aber wie würde er denn aussehen, dieser Bürgerkrieg, den Musk sich offenbar herbeiwünscht und den er aktiv auf seiner Plattform X anheizen will? Musk unterstützt nicht nur die AfD in Deutschland, er unterhält auch beste Kontakte zu rechtspopulistischen Bewegungen in anderen europäischen Ländern. In Großbritannien hatte sich schon Nigel Farage, einer der Architekten des Brexits mit engem Draht zu Donald Trump, in Position gebracht – und er war so kurz vor seinem Ziel. Am 16. Dezember 2024 hatte Elon Musk ihn noch in Trumps Anwesen Mar-a-Lago empfangen, Medienberichten zufolge gab es Pläne, wonach Musk seine Partei (Reform UK, zuvor UKIP) mit 100 Millionen US-Dollar unterstützen wolle.

Doch der Deal kam nicht zustande. Musk ließ Farage fallen, weil der »nicht das Zeug zum Parteichef habe«1. Farage war Musk offenbar nicht radikal genug, er bevorzugte Tommy Robinson – einen britischen Rechtsextremen, dessen Biografie gepflastert ist mit Gewalttaten und Körperverletzungen, Beteiligung an Hooligankrawallen, Gewaltandrohungen, Stalking, Doxxing, Finanzbetrug, Drogenbesitz, Verleumdung, Hassrede, Volksverhetzung, Rassismus, Diskriminierung und so fort.2 Als überführter Straftäter hat Robinson schon diverse Male im Gefängnis gesessen. Das Muster seines Vorgehens ist immer dasselbe: Erst wie ein Hooligan alles verbal kurz und klein schlagen, immer wieder neue kommunikative Brandstiftung betreiben, und sich dann bei Verurteilungen als Opfer darstellen. Ein Megatroll also.

Seine Autobiografie nannte er stolz ENEMY OF THE STATE, »höhöhö, schaut mal, Leute, ich bin Feind des Staates, krass oder????« Nach einer seiner diversen Verurteilungen veröffentlichte er 2023 das passende Opfervideo dazu: SILENCED, also quasi »Wie schrecklich, SNIFF, die böse Staatsgewalt hat mich jetzt doch echt ZUM SCHWEIGEN GEBRACHT!!«

Und jetzt wird es wirklich absurd: Seit Jahren kämpft Tommy Robinson als vermeintlicher Journalist für die Meinungsfreiheit, die ja ganz schlimm in Gefahr sei. 2019 bat er im Kontext einer Verurteilung in den USA bei Trump um Asyl, der Arme3 (nee klar, man darf echt nichts mehr sagen in Großbritannien). Das alles fand Musk nun offenbar so toll, dass er nicht nur einen Link zum Video Silenced auf X teilte, sondern auch noch gleich dazu aufforderte: »Free Tommy Robinson«, und kurz später die Frage nachschob: »Warum sitzt Tommy Robinson in Einzelhaft – obwohl er die Wahrheit sagt?« Ja, Elon, warum bloß?

Die gewalttätigen Krawalle im August 2024 hatte Robinson durch seine Posts auf X befeuert,4 Menschen skandierten Tommy Robinsons Namen. Und Musk schrieb: »Bürgerkrieg ist unvermeidlich.«

Der Krieg der Medien, um den es hier geht, ist kein abstraktes Theoriegebilde, sondern führt spätestens seit dem Sturm aufs US-Kapitol 2021 zu sehr realen Krawallen und Gewalttaten. Es ist ein Krieg, bei dem sich die Macht der Big-Tech-Plattformen mit populistischen Kräften verbündet hat. Steve Bannon, Vordenker der globalen Rechten, sagt dazu:

»Geld und Informationen sind die beiden taktischen Nuklearwaffen der modernen Politik – und Elon Musk kann beide in noch nie dagewesenem Ausmaß einsetzen […]. Er hat gerade eine Viertelmilliarde Dollar ausgegeben, damit Trump gewählt wird. Wenn er die gleiche Summe in ganz Europa investiert, die er in Trump gesteckt hat, wird er jede Nation auf eine populistische Agenda umstellen. Es gibt keine zentristische linke Regierung in Europa, die in der Lage sein wird, diesem Ansturm standzuhalten.« 5

Europa ist gerade dabei, den Krieg der Medien zu verlieren. Wir verlieren ihn, und wir verlieren dabei unsere Demokratie. Und das alles kann nur geschehen, weil wir als Gesellschaft bis heute nicht einmal genau verstanden haben, was hier überhaupt passiert. Worum genau geht es also?

Der Kampf um die Medienherrschaft

Der Krieg der Medien, also der aktuell stattfindende Kampf um die Medienherrschaft, der in der westlichen Welt tobt, hat vor langer Zeit ganz unauffällig als wirtschaftlicher Verdrängungskrieg begonnen. Plattformen, die überwiegend aus den USA stammen, drücken seitdem die herkömmlichen redaktionellen Medien mehr und mehr an die Wand. Im jahrzehntelangen Verlauf dieser feindlichen Übernahme haben sie zunächst ein Narrativ etabliert, wonach die Tech-Plattformen den Menschen die wirklich freien Medien böten. Diese Erzählung wurde im Zeitverlauf zunehmend radikalisiert: die redaktionellen »Lügenmedien«, so hörte man, würden mit den vermeintlich »korrupten Eliten« des Staates unter einer Decke stecken und so fort. Den vorläufigen Höhepunkt des Plattformfeldzugs gegen die redaktionellen Medien lieferte Trumps Wiederwahl im November 2024, nach der Elon Musk offiziell den Sieg über den Journalismus verkündete und den Menschen auf seiner Plattform X erklärte: »You are the media now.«

Das alles ist ein Krieg um die Medien. Und wir wissen alle, wem diese Medien der Zukunft gehören – Eigentümer sind die Dark-Tech-Konzerne. Darunter verstehe ich die großen, monopolistischen US-Tech-Konzerne, die früher einmal als Idealisten in Garagen begonnen haben – allerdings über einen Prozess der Darth-Vaderisierung auf die dunkle Seite der Macht geraten sind (die ganze Geschichte ist in meinem Buch Big Tech muss weg! ausführlich dargestellt).

Wir erleben aber nicht nur einen Krieg um die Medien, sondern auch einen Krieg in den Medien, und zwar als Kampf um Vorherrschaft und Deutungshoheit in den Plattformen, die immer stärker das politische Agendasetting bestimmen. Der Ton dort wird immer aggressiver. Hass, Hetze, Häme sind die neue Realität des digitalen Diskurses (▶ 6). Beleidigungen, Verleumdungen, Anschuldigungen überschlagen sich, Mobbing, Rants und Shitstorms greifen um sich. Die Unruhen in Großbritannien, aber auch schon der Sturm aufs Kapitol in den USA zeigen, wie leicht dieser verbale Krieg in reale Gewalt umschlagen kann. Umgekehrt greift der echte, brutale Angriffskrieg, den Putin seit Jahren gegen die Ukraine und damit gegen Europa führt, medial die westlichen Demokratien an. Erneut sind es die Plattformen, die von russischen Cyberattacken, Trollfarmen und Fake Accounts genutzt werden, um innerhalb der Bevölkerung Zweifel an der Unterstützung für den Krieg zu säen und so für den Krieg zu instrumentalisieren. Zugleich muss uns aber auch der imperialistische Turn der neuen US-Regierung erschrecken. Militärische Übergriffe sogar gegen die eigenen Bündnispartner (Grönland, Kanada) sind plötzlich nicht mehr ausgeschlossen, die US-Regierung geht eine Art Koalition mit den europäischen Rechtspopulisten ein und unterstützt sogar Putin in Russland.

Im Krieg um die Medien gewinnen gerade die Dark-Tech-Konzerne. Im Krieg in den Medien sind an allen Fronten die Populisten auf dem Vormarsch. Und nun wird sichtbar, dass sich beide Bewegungen offen miteinander verbunden haben. Den Kampf, den die Plattformen seit den Nullerjahren gegen die »etablierten« redaktionellen Medien führen, konnten vor allem rechtspopulistische Strömungen für ihre Agenda nutzen. Eine gefährliche Synchronisierung, die in der Öffentlichkeit das Märchen erzählt, die westlichen Regierungen hätten die »Systemmedien« in der Vergangenheit »zensiert«, aber jetzt würden die Trumps, Musks, Weidels und Höckes dieser Welt die Menschen »befreien«, und zwar durch die Kraft der »unzensierten« Plattformen für echte »Meinungsfreiheit«. Wir haben alle in den letzten Monaten erleben müssen, wie ungeheuer erfolgreich diese Synchronisierung funktioniert.

Abb. 1: Krieg der Medien

Dabei werden wir im Laufe des Buchs erkennen, dass das Narrativ dieser vermeintlichen Befreiung auf einer Verschwörungstheorie beruht (▶ 1). Im Ergebnis führt die feindliche Übernahme der Öffentlichkeit durch die Dark-Tech-Plattformen gerade nicht zu einer Befreiung, sondern sogar zu starken Einschränkungen der Medienfreiheit (▶ 7). Aber dazu später mehr. Man mag sich auch fragen, wieso ausgerechnet die USA auf die Idee kommen, sie könnten die europäischen Demokratien »befreien«, obwohl die USA etwa im Demokratie-Index von The Economist weltweit nur Rang 28 einnimmt (Deutschland steht auf Rang 13 viel besser da).6 Und der Economist hatte dieses Ranking wohlgemerkt vor Trumps zweiter Präsidentschaft aufgestellt, in der dieser die USA zunehmend in eine Autokratie umbaut. Beim Press Freedom Index sieht es ähnlich aus (Deutschland auf Rang 11, USA auf Rang 57 hinter Rumänien und Sierra Leone).7 Trump, Vance und Musk als unsere Lehrmeister in Sachen Demokratie – da muss man erst mal drauf kommen.

In Wirklichkeit wird die Demokratie in Deutschland und in der EU von vier Seiten in die Zange genommen und angegriffen: Von den Tech-Plattformen, der US-Regierung, den europäischen populistischen Bewegungen und zuletzt durch die militärische Bedrohung aus dem Osten. Zwei Felder kristallisieren sich hier heraus: Die »etablierten Altmedien und Altparteien« (so die programmatischen Begriffe aus der rechten Szene) verteidigen sich gegen zunehmend synchronisierte Attacken der Tech-Plattformen, der Trump-Regierung und ihren populistischen Verbündeten. Und das alles wird auch hierzulande längst getragen von einer großen Bottom-up-Bewegung, deren neuer Sound täglich in den Plattformen auf uns einprasselt, sinngemäß: »Wir lassen uns nicht mehr von Meinungskartellen vorschreiben, wie wir zu denken und zu wählen haben! Wir werden die korrupten Eliten zum Teufel jagen! Den Legacy-Medien geht’s jetzt an den Kragen! Wir holen uns die wahre Wahrheit aus den Plattformen!«

Die Einschläge kommen von Monat zu Monat immer näher. Besonders beängstigend ist, dass die Angreifer ihrerseits offen ihren Vormarsch im Krieg der Medien mit konkreter militärischer Bedrohung verknüpfen. JD Vance hatte schon im Sommer 2024 damit gedroht, dass die USA die NATO sofort verlassen würden, wenn die EU es wagen sollte, die US-amerikanischen Tech-Plattformen strenger zu regulieren.8

Wie wir ebenfalls sehen werden, stellen die Plattformen der Tech-Konzerne die wichtigsten Waffen im Krieg der Medien dar (▶ 6). In Zukunft wird derjenige gewinnen, der nicht nur Macht in Form von politischer Herrschaft oder wirtschaftlichem Reichtum besitzt, sondern zusätzlich auch Meinungsmacht kontrolliert, wie Elon Musk mit der Plattform X. Nach den Worten des libertären Vordenkers Peter Thiel (seinerseits ideologischer Ziehvater des US-Vizepräsidenten JD Vance) sind wir Zeugen eines »Kriegs« der alten Wissenseliten gegen das neue Medium des Internets – »ein Krieg, den das Internet gewonnen hat«.9

Und wir? Wir haben den Schuss immer noch nicht gehört

Während ich diese Zeilen schreibe, geschehen viele rätselhafte Dinge. Obwohl die Bedrohung aus den USA in Deutschland zu einem wichtigen Thema geworden ist und die Öffentlichkeit offenbar auch irgendwie verstanden hat, dass die Dark-Tech-Konzerne nicht die coolen Weltverbesserer sind, als die sie sich seit Jahren präsentiert haben, ducken wir uns trotzdem weiter mental vor dieser Bedrohung weg.

So wurde im April 2025 in den deutschen Medien weitgehend unkritisch der zwanzigste Geburtstag von YouTube gefeiert. In einem führenden Medium präsentierte man ganz selbstverständlich die 20 coolsten Videos aus der Geschichte der Plattform. Dass es sich beim Mutterkonzern Alphabet um ein Unternehmen handelt, das sich in der Vergangenheit immer wieder durch intentionale Gesetzesübertretungen, Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien, massive Datenüberwachung (sogar bei Minderjährigen) und aggressive Steuervermeidung profiliert hat, scheint vielen Journalisten nicht aufgefallen zu sein. Fakt ist: Alphabet ist als Konzern nicht demokratiekonform. Der US-Richter James Donato monierte kürzlich zur absichtlichen Löschung von Beweismaterialien durch Google aus demselben Konzern:

»Es handelt sich um die schwerwiegendsten und beunruhigendsten Belege, die ich in meinem Jahrzehnt auf dem Richterstuhl je gesehen habe, was die absichtliche Unterdrückung relevanter Beweismaterialien durch eine Partei angeht. Dieses Verhalten ist ein Frontalangriff auf die faire Rechtspflege.«10

Würden die gleichen Journalisten, die YouTube feierten, ein Jubiläum der Hells Angels genauso unkritisch begehen? Und dann ähnlich titeln: »50 Jahre Hells Angels – die lässigsten Motorräder, die coolsten Biker-Outfits aus fünf Jahrzehnten«?

Bei den Institutionen sieht es nicht viel besser aus. Im Frühjahr 2025 wurden einige neue Initiativen angekündigt, mit denen auch wir in Deutschland die Abhängigkeiten von den US-Dark-Tech-Konzernen in Zukunft noch ganz lustig WEITER AUSBAUEN wollen. So empfahl der Bundesrat im März 2025, die Polizei in Deutschland solle bundesweit zukünftig die Sicherheitssoftware von Palantir einsetzen (ausgerechnet Peter Thiel ist hier Großaktionär).11 Das BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) kündigte eine strategische Zusammenarbeit unter anderem mit Google und Amazon an.12 Und die Bundeswehr will für ihre Daten zukünftig die Cloud von Google nutzen.

Wir haben es tatsächlich immer noch nicht kapiert. Obwohl der Krieg der Medien längst an mehreren Fronten geführt wird, sind uns als Gesellschaft Medien bis heute als Thema nicht wirklich wichtig. Sachen sind uns Menschen wichtig – aber MEDIEN??? WTF? Who cares? Gerade fand auch die neue Regierungsbildung statt. Wie immer rangelte man sich um die Verantwortung für Finanzen, Verteidigung, Wirtschaft, Umwelt, Gesundheit, Bildung, Familie oder das Außenministerium. Wichtige Dinge eben, um die sich dann wichtige Leute kümmern. Aber trotz des neuen Digitalministeriums kommt das Thema digitale Souveränität nur am Rande vor. Und Medien? Stehen weiter nicht im Fokus. Mal Hand aufs Herz: Fällt Ihnen der Name eines einzigen deutschen Medienpolitikers ein?

Bedrohung von außen – Bedrohung von innen

Immerhin wurde bei der Bildung der neuen Regierung deutlich, dass die Politik verstanden hat: Wir müssen unsere Sicherheit verteidigen. Man hat die militärische Aufrüstung zur wichtigsten Priorität für die kommende Legislaturperiode gemacht. Die Burgherren haben auf ihren Wehrtürmen also endlich das riesige feindliche Heer da draußen entdeckt, das sie bedroht, und sind fest entschlossen, die Burg zu verteidigen. Dumm nur, dass die Feinde längst schon im Inneren der Burg sind und mit den bewaffneten Heeren da draußen im munteren Austausch stehen. Noch dümmer ist, dass die Burgherren das nicht zu bemerken scheinen.

Schlucken wir erst einmal die Kröte: Die USA erweisen sich in diesen Tagen als feindselige, erpresserische und skrupellose Macht, die jahrzehntealte Allianzen ebenso wie vertragliche Gewissheiten innerhalb weniger Tage über Bord wirft, ohne mit der Wimper zu zucken. Wir können den USA momentan keinen Millimeter mehr vertrauen. Die aktuelle US-Regierung unterstützt aktiv Putin und rechtspopulistische Bewegungen, ganz offensichtlich zu dem Zweck, Europa zu destabilisieren, die EU zu spalten und die digitalen Märkte weitgehend zu deregulieren, um so ihre digitalen Medienmonopole für maximale wirtschaftliche und politische Dominanz zu instrumentalisieren.

Und das Problem ist noch fundamentaler, als es auf den ersten Blick scheint. Denn im Gegensatz zu Putins Russland kontrollieren die USA unsere Demokratie schon jetzt auf zwei kritischen Feldern. Erstens »gehört« ihnen durch ihre monopolistischen und oligopolistischen Plattformen unsere politische Öffentlichkeit in der digitalen Sphäre – und das ist nichts weniger als die zukünftige Grundlage unserer Demokratie. Der vergangene Bundestagswahlkampf hat mehr als deutlich gezeigt, dass die USA den Besitz dieser Plattformen offen dazu instrumentalisieren, um ausländische Wahlen für ihre Interessen und machtpolitischen Partner (wie bei uns die AfD) zu beeinflussen.

Nicht genug damit – es sind dieselben Tech-Unternehmen, die hierzulande auch noch die digitalen Infrastrukturen kontrollieren. Riesige Mengen sensibler Daten, sowohl aus Unternehmen als auch aus Behörden und Verwaltungen, liegen bei den großen US-Cloud-Providern von Amazon, Microsoft und Google. Nicht anders ist es bei Office-Software mit dem Quasimonopol von Microsoft. Das Ausmaß unserer Erpressbarkeit und Abhängigkeit ist schwindelerregend.

In der Vergangenheit wurde immer mal wieder die Gefahr diskutiert, die diktatorische chinesische Regierung könne Daten von TikTok-Nutzern abgreifen und diese zu unserem Schaden einsetzen. Diese Gefahr aber ist geradezu ein Witz im Vergleich zu dem, was die zunehmend autokratischer agierenden USA mit der unvorstellbar riesigen Menge an privaten und sensiblen Daten aus Behörden, Verwaltungen und Unternehmen ausrichten können, auf die sie schon heute ganz einfach zugreifen können (▶ 8). Jede politische Programmatik, die das Ausmaß des Problems versteht, müsste das Thema digitale Souveränität auf derselben Prioritätsebene behandeln wie unsere militärische Verteidigungsfähigkeit. Unsere Freiheit wird aktuell von zwei Seiten in die Zange genommen, im Osten militärisch durch Putin, im Westen durch Trump, Vance, Tech und Co. – mit dem entscheidenden Unterschied, dass die westliche Allianz schon längst im Inneren unserer Burg ihre Posten bezogen hat. Sie beherrschen und kontrollieren unsere digitale Welt bereits vollständig. Und infolge der weiter fortschreitenden digitalen Transformation bauen sie diese Herrschaft von Monat zu Monat, von Quartal zu Quartal immer weiter aus, ohne auch nur irgendetwas aktiv tun zu müssen. Wirtschaftlich gewinnen sie diesen Krieg der Medien sowieso, und deswegen wird die demokratische Öffentlichkeit geradezu zwangsläufig ihre Beute werden.

Wir müssen uns dann doch auch die Frage stellen: Welche Dimension dieses Kriegs stellt eigentlich eine akutere Bedrohung für die Menschen hier in Deutschland dar? Die militärische Bedrohung durch Putin aus dem Osten? Oder aber der Krieg der Medien, bei dem die libertären Feinde der Demokratie längst in unserem eigenen Land ihre Stellungen bezogen haben – und diese Bastionen von Monat zu Monat immer weiter ausbauen? Zumal diese Kräfte sich doch längst schon mit Putin synchronisiert haben.

Versetzen wir uns in das Mindset der US-Regierung in der Grundannahme, dass diese in Zukunft eine aggressive, imperialistische Expansionspolitik betreiben (was angesichts der aktuellen Äußerungen zu Grönland, Kanada, Panamakanal oder Gaza mehr als naheliegt). Plakativ gesprochen: Warum soll man dann wie in alten Zeiten überhaupt militärisch gegen andere Länder vorgehen, wenn man doch sowieso schon die digitalen Infrastrukturen und Medien in diesen Ländern kontrolliert? Wenn man aus der Perspektive der USA die eigenen Interessen über trumpistische Partnerorganisationen wie etwa die AfD durchsetzen könnte, die man wiederum über die eigenen digitalen Plattformen nach Belieben unterstützen – und ebenfalls nach Belieben in Abhängigkeit halten könnte?

Ein Krieg der Medien ist für solche Akteure doch viel aussichtsreicher als ein altmodischer, klassischer Krieg mit militärischen Mitteln. Utopisch? Keinesfalls. Dieser Krieg der Medien ist bereits offen erklärt worden. Erinnern wir uns kurz an die Rede des US-amerikanischen Vizepräsidenten JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz. In einem Forum im Herzen Europas, in dem es in der Vergangenheit stets um Außen- und Sicherheitspolitik ging, und zu einer Zeit, da der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine an einem Kipppunkt angelangt schien, da sprach Vance über was? Medien.

Die größte Gefahr für Europa, so Vance, ginge gar nicht von Russland oder China aus – sondern von innen. Europa hinke nämlich schwer hinterher auf dem Feld der »Meinungsfreiheit«, die durch »Zensur« bedroht sei. Lichtgestalten wie Trump und er selbst dagegen stünden auf der Seite der Meinungsfreiheit. Kurz darauf ergänzte er drohend, mit Trump sei jetzt »ein neuer Sheriff in der Stadt« – nee klar, eine lustige Befreiung wird das für uns alle werden, mit diesem Sheriff – und man solle doch bitte in Zukunft mit Gruppierungen wie der AfD in Europa zusammenarbeiten.13

Die AfD hat dieses rechtslibertäre Schauermärchen von der bösen Zensur eins zu eins aus den USA nach Deutschland importiert. In seinem Interview mit Alice Weidel entwickelte Elon Musk seine kruden Thesen am 9. Januar 2025 weiter: »Es ist eigentlich recht einfach zu erkennen, wer die Bösewichte sind. Wer will denn die freie Meinungsäußerung unterbinden? Die sind die Bösen, das ist ganz klar.« Weidel ergänzt: »Ja. Und weißt du, was Adolf Hitler getan hat? Als erstes schaltete er die freie Rede ab.« Und, wir erinnern uns an die weitere Nonsenseargumentation: Hitler sei ja Kommunist und damit ein Linker gewesen, so wie eben alle Parteien außer der AfD links beziehungsweise grün seien. Und die seien es auch, die »zensieren«, das sind natürlich alles Demokratiefeinde, wie der Hitler auch – und ZACK! Ach wie schön, dass sich Weidel und Musk hier treffen, die als Wölfe in Schafspelzen vorgeben, in diesem Krieg der Medien ausgerechnet für Freiheit zu kämpfen. Denn alle anderen sind eben »Zensoren« – alle anderen sind wie HITLER. Ist klar.14

Denken wir das Ganze mal weiter. Das Narrativ von Vance und Co. ist so gestrickt, dass es angeblich Trumps USA sind, die Europa in diesem Krieg der Medien von den korrupten Eliten und der Zensur befreien. So weit, so absurd. Ihre wichtigste Waffe bei dieser Befreiungsbewegung sind natürlich die Plattformen der US-amerikanischen Tech-Konzerne. Das bedeutet dummerweise – für uns –, dass das Zerstörungswerk, das Trump, Vance und Musk in den USA anrichten, schon längst in Europa waltet, und zwar buchstäblich »auf allen Kanälen«. Trump und Vance mögen im wörtlichen Sinne aktuell »nur« in den USA regieren, nicht in Europa. Doch ihre Kanäle sind dieselben, die auch unsere europäische digitale Öffentlichkeit beherrschen.

In der wissenschaftlichen Vermessung des gesamten digitalen Traffics über alle Endgeräte hinweg konnten wir zeigen: Die digitale Vielfalt ist eine Illusion. Das steht im völligen Widerspruch zu unserer intuitiven Wahrnehmung der digitalen Welt: Gibt es nicht Millionen von Angeboten da draußen? Eine Auswahl, so riesig, dass wir sogar den Überblick verlieren? Haben wir nicht eine Unzahl von Kanälen zur Verfügung, von der man in der Vergangenheit nur träumen konnte? Tatsächlich ist aber fast der gesamte digitale Traffic auf ganz wenigen Tech-Plattformen gebündelt. Und auch innerhalb der Plattformen gelten brutale Winner-takes-all-Mechanismen, bei der ein großer Teil der Aufmerksamkeit durch die führenden Influencer, Streamer und Creatoren gebündelt wird – die ihrerseits nach den Vorgaben der Plattformalgorithmen tanzen (▶ 6). Draußen, also außerhalb der Tech-Plattformen, erstreckt sich eine riesige Wüste von Inhalten, die kaum betreten wird. Das machen sich viele, die sich aufgeklärt und als Nutzer von Mediatheken oder Onlineangeboten der Tageszeitungen untangiert wähnen, immer noch nicht ausreichend bewusst. Den Dark-Tech-Konzernen ist es gelungen, den digitalen Traffic weitgehend in die Silos ihrer Plattformen hineinzuziehen und gleichzeitig die unabhängigen Angebote im freien Internet fast vollständig trockenzulegen. Das Internet ist schon jetzt eine besetzte Zone.15

Genau das ist der unschlagbare strategische Vorteil dieser neuen Symbiose aus Trump und Tech: Sie kämpfen einen Krieg der Medien und sie tun dies in Medien, die ihnen gehören und die sie vollständig kontrollieren. Durch diese digitalen »Nuklearwaffen« können sie ihre eigene Vormacht maximal ausweiten. Und wir haben auf diesem Schachbrett nicht eine einzige eigene Figur stehen. Mit Ausnahme von TikTok, dessen chinesischer Ursprung uns wenig Hoffnung geben sollte, gehören fast alle großen digitalen Plattformen der europäischen Medienwelt den US-Tech-Oligarchen. Dagegen sind wir völlig bedeutungslos, ein Schwarm Fruchtfliegen, nervig, aber harmlos und komplett handlungsunfähig.

Wir haben unsere digitale Souveränität längst verloren

Wir sitzen also in der Falle. Und das sind wir komplett selbst schuld. Denn dieser Krieg der Medien hat schon vor vielen Jahren begonnen (▶ 2). Aber wir haben die ganze Zeit nur tatenlos von der Seitenlinie aus zugesehen, uns um die vermeintlich wichtigen Dinge gekümmert, und uns bestenfalls von den lässigen Future Talks der Tech-Evangelisten einlullen lassen, ohne zu bemerken, dass sie gleichzeitig das Netz um uns herum immer dichter zugeknüpft haben. Jetzt schnappt die Falle zu, und ich sehe aktuell nicht, wie wir da so schnell wieder herauskommen sollen.

Sie merken bereits, meine Einschätzung zu diesen Themen ist rabenschwarz. Als Wissenschaftler beschäftige ich mich seit mehr als fünfzehn Jahren mit dem Problem der digitalen Machtkonzentration und der Bündelung von Meinungsmacht. Ich renne seit vielen Jahren von Pontius zu Pilatus auf diesem Feld, aber alle Versuche, eine gesellschaftliche Debatte zum Thema zu erzeugen, die dazu führt, dass wir konsequent die verfassungswidrigen Medienmonopole aufbrechen und unsere eigene digitale Souveränität wieder zurückerlangen, sind gnadenlos gescheitert. Hier ein paar Highlights:

Nach der Veröffentlichung von Chris Andersons Digitalutopie The Long Tail im Jahr 2006, wonach die Digitalisierung eine Art Robin-Hood-Effekt besitze, welcher den Reichen nähme und den Armen gebe, habe ich schon 2010 wissenschaftlich dargelegt, warum voraussichtlich genau das Gegenteil geschehen und sich das Internet in Richtung einer massiven Konzentration der Nutzung auf wenige Anbieter weiterentwickeln werde. Link zur Studie Marktkonzentration (8/2010)

Ich habe seit 2011 mit Hunderten großer Konferenzbeiträge versucht, eine Debatte über die digitale Dominanz anzustoßen.

Ein erster Pressebeitrag zum Thema war ein Essay mit dem Titel Das Ende der digitalen Utopie, der im Jahr 2012 veröffentlicht wurde. Die Redaktion hielt die These des Beitrags damals für derart abwegig, dass dieser Text unter dem Titel Liebling, das Netz schrumpft! erschien. Link zum Essay (2/2012)

Weil es nicht gelingen wollte, eine Debatte zur digitalen Dominanz der Tech-Player zu zünden, verstrichen dann acht weitere Jahre Lebenszeit, bis ein gerichtsfester empirischer Beweis der digitalen Monopolisierung geliefert werden konnte. Dieser Beweis war deswegen so schwer zu erbringen, weil es in Deutschland mehr als 16 Millionen unterschiedliche digitale Angebote (also Apps, Webseiten, Plattformen) gibt, die zusätzlich über ganz unterschiedliche Endgeräte (Smartphones, Tablets, Desktops beziehungsweise Laptops) angesteuert werden. Nur über eine Realnutzungsstudie, die Milliarden von einzelnen Nutzungen (Views beziehungsweise Impressions) sekundengenau den einzelnen Angeboten zuordnete, war dieser Beweis möglich. Ich habe diese Studie im Jahr 2020 gemeinsam mit Timo Thomsen als Atlas der digitalen Welt veröffentlicht. Das Ausmaß der gemessenen digitalen Monopolbildung war haarsträubend – aber erneut passierte nichts. Die Politik wie auch die Medien ignorierten die eindeutigen Befunde dieser Studie weitgehend.

Weil die Gefahr digitaler Monopole in der Öffentlichkeit weiterhin kein Thema war, kam bei mir die Befürchtung auf, alle diese wissenschaftlichen Anstrengungen könnten für die Katz gewesen sein. Das war der Startpunkt für ein neues Buch, das 2023 unter dem Titel Big Tech muss weg erschien. Der Text enthielt auch ausführliche Lösungsansätze (die allerdings ebenfalls bis heute nicht aufgegriffen wurden). Mit diesem Buch gelang es mir immerhin, eine größere Öffentlichkeit zu erreichen – auch infolge der dramatischen Zuspitzung der Bedrohungslage in den letzten Monaten. Das Buch erzeugte Resonanz bei mehr als hundert Events, ist auch auf Englisch erschienen, konnte auch im Ausland eine Debatte auslösen und erhielt im Mai 2024 den »Günter Wallraff Sonderpreis für Pressefreiheit und Menschenrechte«.

Für internationale Regulierer und Experten wurde ein Kondensat in englischer Sprache in der Fachzeitschrift Social Sciences publiziert. Link zum Beitrag Social Sciences (4/2025)

Gemeinsam mit dem Rechtswissenschaftler Prof. Nikolaus Peifer wurden die Lösungsvorschläge aus Big Tech muss weg! im Dezember 2023 vertieft und durch einen detaillierten Maßnahmenplan ergänzt, in dem sogar die spezifischen Zuständigkeiten (Bund, Bundesländer, EU) detailliert dargelegt wurden – erneut ohne Erfolg. Link zum Regulierungsvorschlag (12/2023)

Noch im Juli 2024, als Kamala Harris im US-Wahlkampf in Führung lag, habe ich in der Süddeutschen Zeitung sehr ausführlich angekündigt, dass wir in riesige Probleme geraten würden, wenn Trump die Wahl gewänne, und dass sich eine Koalition aus politischer Macht und den Tech-Konzernen abzeichne. Link zum Essay SZ (7/2024)

Gemeinsam mit Prof. Peifer wurde im August 2024 ein konkreter Vorschlag für den Medienstaatsvertrag ausformuliert, der bis Ende 2024 von der Politik neu geregelt wurde. Wieder hat die Politik diese Vorschläge ignoriert. Im Nachhinein ist es besonders tragisch, dass auch diese letzte Chance vertan wurde. Denn diese Maßnahmen hätten wir noch vor dem Antritt der neuen Trump-Regierung umsetzen können. Link zum Vorschlag Medienstaatsvertrag (8/2024)

Im Februar 2025 wurde mit vielen weiteren Erstunterzeichnern die Petition SaveSocial ins Leben gerufen. Diese hat seitdem mehr als 250.000 Unterzeichner angezogen – und wurde Ende März in Berlin den verschiedenen politischen Parteien überreicht. Link zur Petition SaveSocial (2/2025)

Diese ganze Geschichte ist für mich auch ein Beleg dafür, wie weit die Zerstörung unserer Öffentlichkeit schon vorangeschritten ist. Erinnern Sie sich an den lustigen Film Don’t look up, in dem Wissenschaftler (vergeblich) vor dem Einschlag eines Asteroiden warnen? Der umfassende wissenschaftliche empirische Beweis, dass die Digitalmonopole eine verfassungswidrige Bündelung von Meinungsmacht darstellten, lag allerspätestens im September 2020 publiziert vor. Fünf weitere Jahre später ist nichts passiert!

Ich habe in dieser Zeit alles Erdenkliche versucht, mir als Wissenschaftler einfache, populäre, eingängige Darstellungsweisen und Ausdrucksformen auszudenken, damit die breite Öffentlichkeit doch noch aufwacht, bevor es zu spät ist.

Eine Kampfschrift für die Demokratie

Dieses Buch ist jetzt quasi mein »Last Call«. Die vielen Menschen, die meine Aktivitäten in den letzten Jahren verfolgt haben, werden eines sofort bemerkt haben. Der Untertitel des Buchs Big Tech muss weg! lautete im Jahr 2023 noch kämpferisch: »Wir werden sie stoppen!« Die Lage war sicherlich schon 2023 desolat, und vermutlich wollte ich mir damals auch ein wenig selbst Mut machen gegen die gigantische Übermacht von Dark Tech.

Die extreme Dynamik der letzten Monate hat aber alles verändert. Und eines ist auch klar: Diese Bedrohungslage wird keinesfalls von selbst wieder verschwinden. Im Gegenteil. Die antidemokratischen Warlords sind ganz kurz davor, ihre Ziele zu erreichen. Sie machen gerade in diesen Augenblicken den Sack zu. Es sieht nicht so aus, als seien sie noch zu stoppen. Warum sollten sie ihre sichere Beute wieder hergeben? Sicherlich, im Angesicht der Katastrophe haben wir jetzt immerhin eine Debatte. Aber wir gehen das Thema weiterhin viel zu langsam an. Wir verlieren den Krieg der Medien gerade an allen Fronten. Dark Tech und Populisten übernehmen die Macht. Und es geschieht genau jetzt.

In wenigen Jahren könnte unsere Demokratie verloren sein. Die Chancen, dass wir das Ruder jetzt noch herumreißen können, sehe ich auch bei maximal entschlossenem Vorgehen nur noch bei unter zehn Prozent. Denn die neue Legislaturperiode ist in Deutschland schon angebrochen, und man müsste jetzt umgehend diese großen Themen mit maximaler Entschlossenheit angehen. Umgekehrt gilt: Themen, die jetzt nicht angepackt werden, lassen sich dann später kaum noch politisch aufsatteln. Aber de facto greifen wir den Stier momentan nicht bei den Hörnern. Und wenn wir das nicht in den kommenden Wochen und Monaten ändern, ist es zu spät. Aufgrund der digitalen Kippbewegung können wir keine vier Jahre mehr warten. Wenn wir jetzt nicht den Tatsachen ins Auge sehen, dann haben wir sehr bald gar keine Chance mehr. Die Dramatik der aktuellen politischen Ereignisse hat auch den kämpferischen Sound dieses Buchs geprägt. Der Text will den Kampf um die Medienherrschaft nicht nur abstrakt darlegen (gähn), sondern ihn auch so eindringlich zeigen, dass man ihn bei der Lektüre zwischendurch am eigenen Leibe spüren kann. Diese Poesie ist sicher nichts für schwache Nerven. Aber außergewöhnliche Umstände erfordern nun mal außergewöhnliche Maßnahmen. Wenn wir nämlich weiter so ehrenlos rumeiern wie die letzten Jahrzehnte, dann können wir auch gleich aufgeben und kapitulieren.

Es ist wahrlich an der Zeit, dass wir ihn ernstnehmen – den Krieg der Medien. Und Zeit, dass wir nicht nur oberschlau herumphilosophieren, sondern endlich, ENDLICH!!! aktiv werden. Wenn in hundert Jahren die Historiker auf unsere Zeit zurückschauen, werden sie vielleicht sagen: Im Frühjahr 2025, als die neue Regierung antrat, da gab es eine winzige Restchance für Deutschland und Europa, das Ruder gegen die Koalition aus Trump, Tech, Putin und den Populisten noch herumzureißen – aber auch sie wurde leider vertan. Wenn unsere Politik weiterhin nicht aufwacht, können wir getrost sagen: »Gute Nacht, Demokratie.« Wir müssen anfangen, wirklich zu kämpfen. Sonst wird es schon sehr bald zu spät sein.

Zusatzinformationen und Updates zu diesem Buch: www.kriegdermedien.de

Kapitel 1. Die Kampfzone

Game over, Demokratie?

Wir erleben ihn täglich im Netz, den Krieg der Medien. Oberflächlich denken wir an Shitstorms, an Hate Speech, an Rants, Gaslighting, Trolling oder Doxxing. Aber entstanden ist er vor vielen Jahren, als digitale Medien anfingen, immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – und die »Altmedien«, also Zeitungen, Fernsehen, Radio in den Schatten stellten. Seit den Nullerjahren erleben wir den kometenhaften Aufstieg einer Handvoll US-amerikanischer Digitalplattformen und den Untergang der analogen Medien.

Durch die bekannten Nebenwirkungen von Polarisierung, Fake News und Desinformation ergaben sich jedoch massive Kollateralschäden in den westlichen Demokratien1 – der Krieg der Medien entwickelte sich immer mehr zu einem Krieg um Wahrheit, Legitimität und Medienfreiheit, der von den USA ausgehend immer größere Teile der westlichen Welt infizierte.

Diese Dynamik machte sich schon in den Zehnerjahren ein politischer Außenseiter zunutze. Überraschend wurde Donald Trump 2016 durch seine aggressive Nutzung von Twitter zum Präsidenten der USA gewählt, vor allem durch die systematische Verbreitung von Lügen und immer neuen, spektakulären Falschmeldungen: »Ohne Twitter wäre ich nicht hier «, sagte er selbst als Präsident.2 Twitter gegen »Mainstream Media«: Die Zerstörung der Wahrheit nahm ihren Lauf, die Post-Truth-Ära begann.3

Direkt nach seinem Amtsantritt trieb er den Krieg der Medien auf die nächste Stufe: Er beschimpfte die etablierten redaktionellen Medien als »Fake News« und schlug später in einem Meme-Video eine Personifikation von CNN zu Boden. Seitdem verbreitete sich der Glaube an vermeintlich »linke Mainstream-Medien«, an »staatlich zensierte Redaktionen« oder »Lügenpresse« unter den Anhängern der digitalen Plattformen in der westlichen Welt – mit immer aggressiveren Anfeindungen von Journalisten und Redaktionen, die mitunter wie Verbrecher beschimpft und behandelt werden.

Nach seiner Wahlniederlage 2020 verbreitete Trump im Netz dann die Lüge der »gestohlenen Wahl« und stachelte seine Anhänger an, zum Kongress zu ziehen, um die geordnete Übergabe der Macht an die neue Regierung zu verhindern. Wenig später stürmten seine Follower tatsächlich das Kapitol. Angesichts des Putschversuchs wurde es wiederum den Eigentümern der digitalen Plattformen mulmig – sie sperrten Trumps Social-Media-Profile. Obwohl Trump, damals noch amtierender Präsident der USA, vor Wut schäumte, musste er sich der Macht von Big Tech und ihrer Plattformen fügen.

Das erzeugte Reaktionen. Der ausgeschlossene Trump machte sich an sein Comeback – und lancierte eine eigene Plattform, Truth Social. Sie verfügt über besonders durchlässige Outlink-Strukturen und immunisiert ihn auf diese Weise gegen die Übermacht der Tech-Konzerne. Niemand kann ihn in Zukunft mehr digital kaltstellen.

Derweil trat der Big-Tech-Milliardär Elon Musk auf den Plan. Er deklarierte sich Anfang 2022 zum »Absolutisten der freien Meinungsäußerung«, wies jede Form von Inhaltsmoderation als »Zensur« zurück, kaufte kurzentschlossen die Plattform Twitter und eliminierte dort weitgehend Strukturen der Kuratierung.4

Musk schlägt sich immer mehr auf die Seite Trumps, empfiehlt ihn offiziell, interviewt ihn auf X. Parallel ergreift er auf der Plattform zunehmend Partei für rechtsradikale Gruppierungen und macht schließlich aktiv Wahlkampf für die AfD. Proteste etwa von werbetreibenden Unternehmen weist er ab (»Go fuck yourself!«), später verklagt er sie in einem kartellrechtlichen Verfahren – und behauptet, es gehe ihm nur um die Freiheit der Medien. Die angeblich linken (?) werbetreibenden Unternehmen sollen davon abgehalten werden, Einfluss auf die Inhalte der Plattform zu nehmen.5

Krieg der Medien – wir erkennen zunächst, dass er immer größere Kreise schlägt, er umgreift nicht nur die Medien, sondern auch die Wirtschaft, die Politik, das Recht. Die Frontlinien stammen aus den USA, wurden aber vor allem von rechtspopulistischen Gruppierungen wie der AfD in Deutschland längst erfolgreich nach Europa importiert, bis hin zu Pegida, den Corona-Leugnern und einem »Sturm aufs Kapitol light«, einer Attacke auf den Berliner Reichstag.6 Und in diesem Krieg geht es um viele wichtige Dinge – vor allem um Macht und Herrschaft.

Die digitale Medienrevolution

Fast überall, wo coole Digitalevangelisten oder die Helden der Tech-Branche in den letzten Jahrzehnten über die digitale Revolution gesprochen haben, haben sie immer wieder behauptet: Das, was wir heute erleben, sei ganz ähnlich wie früher einmal die Medienrevolution der Druckerpresse. Die habe zunächst die Vormachtstellung des Papstes annulliert und dann auch noch dem Absolutismus durch die Französische Revolution den Garaus bereitet.7

Aus der Perspektive der Mediengeschichte stimmt immerhin, dass solche Machtkämpfe um die Medienherrschaft zu erwarten sind, wenn alte Leitmedien durch neue ersetzt werden. Beunruhigend ist allerdings ein Aspekt. Denn wir können aus der großen Perspektive der Mediengeschichte erst einmal unterstellen, dass auch im Fall der digitalen Transformation Widerstand langfristig ebenso sinnlos wäre wie damals der Widerstand der alten Eliten der Kirche gegen die Druckerpresse, oder der Widerstand des französischen Ancien Régime gegen die Pressefreiheit. Aus einer Perspektive der Zukunft dürfen wir unterstellen, dass die Zeit der analogen Medien endgültig vorbei ist. Selbst wenn Redaktionen viele Inhalte digital anbieten, ist deren Sichtbarkeit relativ gesehen winzig gering. Und ihre analogen Kanäle (Zeitungen, Fernsehen und Radio) werden in der digitalen Medienordnung der Zukunft zunehmend verschwinden. Die digitalen Medien werden »herrschen«, sie stellen schon jetzt die Leitmedien. Wir können davon ausgehen, dass seit der Covid-Pandemie bereits mehr Aufmerksamkeit in digitalen Medien gebündelt wird als in allen analogen Medien zusammengenommen.8 Bis 2029 wird der Anteil der analogen Medien auf unter ein Viertel sinken.9 Wichtig ist: Keine noch so kulturkritische Macht der Welt, keine noch so strenge Regulierung, kein noch so engagiertes Engagement für analoge »Qualitätsmedien« könnte diese Entwicklung stoppen oder gar umkehren.10