Bill und Ramona - Friederike von Buchner - E-Book

Bill und Ramona E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Lydia Hofer, die Frau des Försters und Mutter von Paul und Ulla, hatte sich bereit erklärt, die Abteilung Mädchenfußball zu organisieren und zu betreuen. Mit der Unterstützung von Sepp Maierhofer konnte sie nicht rechnen. Er war immer noch verärgert, dass in der außerordentlichen Mitgliederversammlung ihm die Mitglieder die Gefolgschaft verweigert hatten. Er hüllte sich in Schweigen, war nie zu erreichen oder gab vor, keine Zeit zu haben. Kurz, der Fußballtrainer schmollte wie ein kleiner Bub. »Dann machen wir die Sach' eben alleine«, sagte Lydia. Sie hatte einige Mütter zum ›Sportlichen Kaffeekränzchen‹ ins Forsthaus geladen, wie sie das Treffen nannte. Ungefähr ein Dutzend Mütter saßen im Garten um den großen Tisch. Anna war von der Berghütte heruntergekommen. Sie ergriff das Wort. »Sepp Maierhofer will uns Steine in den Weg legen, indem er uns seine Unterstützung verweigert. Er denkt vielleicht, dass wir aufgeben, und die Idee von einer Abteilung Mädchenfußball einschläft. Da irrt er sich, das wird nicht geschehen. Also, was wir dringend brauchen, ist eine Trainerin! Lydia und ich haben uns schon besprochen. Es wird am besten sein, wenn wir jemand von außerhalb nehmen. Damit entziehen wir Sepp den Boden. Lydia hat sich auch schon erkundigt. Aber am besten erzählst du es selbst, Lydia!« Lydia berichtete von den vielen Telefonanrufen, die sie getätigt hatte. Schließlich war sie an die Adressen von zehn ausgebildeten Trainerinnen gekommen. Sie hatte mit allen Kontakt aufgenommen. Und alle erklärten sich bereit, die Mädchenfußballmanschaft zu trainieren. »Allerdings kann ich über die Qualität wenig sagen. Ich habe mir von jeder eine Bewerbungsmappe schicken

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Toni der Hüttenwirt – 135 –Bill und Ramona

Darf es Liebe sein?

Friederike von Buchner

Lydia Hofer, die Frau des Försters und Mutter von Paul und Ulla, hatte sich bereit erklärt, die Abteilung Mädchenfußball zu organisieren und zu betreuen. Mit der Unterstützung von Sepp Maierhofer konnte sie nicht rechnen. Er war immer noch verärgert, dass in der außerordentlichen Mitgliederversammlung ihm die Mitglieder die Gefolgschaft verweigert hatten. Er hüllte sich in Schweigen, war nie zu erreichen oder gab vor, keine Zeit zu haben. Kurz, der Fußballtrainer schmollte wie ein kleiner Bub.

»Dann machen wir die Sach’ eben alleine«, sagte Lydia.

Sie hatte einige Mütter zum ›Sportlichen Kaffeekränzchen‹ ins Forsthaus geladen, wie sie das Treffen nannte. Ungefähr ein Dutzend Mütter saßen im Garten um den großen Tisch. Anna war von der Berghütte heruntergekommen. Sie ergriff das Wort.

»Sepp Maierhofer will uns Steine in den Weg legen, indem er uns seine Unterstützung verweigert. Er denkt vielleicht, dass wir aufgeben, und die Idee von einer Abteilung Mädchenfußball einschläft. Da irrt er sich, das wird nicht geschehen. Also, was wir dringend brauchen, ist eine Trainerin! Lydia und ich haben uns schon besprochen. Es wird am besten sein, wenn wir jemand von außerhalb nehmen. Damit entziehen wir Sepp den Boden. Lydia hat sich auch schon erkundigt. Aber am besten erzählst du es selbst, Lydia!«

Lydia berichtete von den vielen Telefonanrufen, die sie getätigt hatte. Schließlich war sie an die Adressen von zehn ausgebildeten Trainerinnen gekommen. Sie hatte mit allen Kontakt aufgenommen. Und alle erklärten sich bereit, die Mädchenfußballmanschaft zu trainieren.

»Allerdings kann ich über die Qualität wenig sagen. Ich habe mir von jeder eine Bewerbungsmappe schicken lassen.«

Während Lydia weitersprach, verteilte Anna die Bewerbungsunterlagen. Die Frauen blätterten sie durch und gaben sie weiter. So sahen sich alle die Unterlagen an.

»Also, ich frage euch, wen beauftragen wir?«

Es entbrannte eine Diskussion. Dabei stellte sich bald heraus, dass die Mütter sehr ehrgeizig waren. Die meisten plädierten dafür, diejenige zu nehmen, deren Mannschaft bisher die meisten Tore geschossen und die wenigsten Spiele mit einem Unentschieden beendet hatten.

»Darauf kommt es nicht alleine an«, gab Anna zu bedenken. »Die Madln müssen sie mögen. Sie muss den richtigen Ton treffen. Es muss einfach stimmen zwischen ihr und unseren Madln.«

»Vielleicht sollten wir alle für ein Probetraining einladen? Danach können die Mädchen sie benoten und Punkte vergeben.«

Der Vorschlag stieß auf eine breite Zustimmung. Lydia Hofer wurde beauftragt, sie alle einzuladen. An den nächsten Freitagnachmittagen, den Samstagen und auch am Sonntag sollten Probetrainings stattfinden, von jeweils zwei Stunden. So wäre man in vier Wochen soweit, eine Entscheidung zu treffen.

»Gut, dann rufe ich alle an und lade sie ein.«

Lydia Hofer sprach noch einen Punkt an. Die Mädchen brauchten nicht nur Fußballschuhe, sondern auch ein Trikot. Veronika Boller versprach, einige Muster zu bestellen. Sie hatte als Besitzerin des Andenken- und Trachtenladens beste Verbindungen zu Herstellern von Sportbekleidung, weil sie viele Sportsachen verkaufte.

»Da könnt ihr euch auf mich verlassen. Ich knöpfte denen die Sachen zu einem Spottpreis ab oder sogar gratis, wenn sie ein bisserl Werbung für ihre Firma draufdrucken können«, verkündete Veronika.

Niemand zweifelte daran, dass Veronika alles versuchen und auch Erfolg haben würde.

Die Frauen beschlossen, sich in dieser Runde wieder zu treffen, um dann die Entscheidung zu treffen. Aber bis dorthin würde man sich sicherlich oft auf dem Sportplatz sehen, weil sie natürlich bei den Trainings zusehen würden.

»Dann wäre alles beredet«, sagte Lydia.

»Nein, es gibt noch etwas, eine kleine Überraschung. Toni dachte, es wäre gut, wenn die Madln ein Lied hätten, eine Hymne«, sagte Anna und grinste dabei. »Der Sepp wird sich ärgern. Jetzt hört zu! Toni hat mit Tassilo telefoniert. Der Graf war sofort Feuer und Flamme. Als Musikproduzent will er für unsere Sache etwas beitragen. Er hat schon einige Komponisten und Texter darauf angesetzt, die ihm noch einen Gefallen schuldig sind. Er denkt, in zwei Wochen kann er die ersten Ergebnisse vorstellen. Dann lädt er alle Madln und Mütter zu sich aufs Schloss ein. Wir hören uns die Bänder an.«

Die Frauen jubelten und freuten sich, besonders weil sie damit Sepp Maierhofer ein bisserl ärgern konnten.

»Jetzt müssen unsere Madln nur noch gut spielen«, sagte Anna. »Aber daran habe ich keinen Zweifel.«

Die Frauen saßen noch eine Weile bei Kaffee und Kuchen zusammen und tratschten ein bisserl, dann gingen sie heim.

*

Bill Miller stand in der Schlange vor dem Schalter der Mietwagenfirma. Er wäre schon lange an der Reihe gewesen, hätte er nicht mehrmals anderen Kunden den Vortritt gelassen. Für diese Höflichkeit gab es einen Grund. Bill Miller, der mit dem Flugzeug aus Frankfurt auf dem Münchener Flughafen gelandet war, konnte seine Augen nicht von der jungen Frau nehmen, die hinter dem Tresen der Autoverleihfirma stand. Sie erschien Bill wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt.

Seine Jetlag-Müdigkeit durch die Zeitverschiebung von Amerika nach Deutschland war verschwunden. Es war ihm, als hätte eine Droge seinen Körper aufgeputscht. Sein Herz schlug nicht nur schneller, es raste. Er wagte kaum zu atmen. Immer wieder rieb er sich die Stirn, als würde dies ihm helfen, einen klaren Gedanken zu fassen.

Ihn beschäftigte nur ein einziger Gedanke. Er wollte sie wiedersehen, musste sie wiedersehen. Doch wie war das zu machen? Wie flirtet man hier in Europa, fragte er sich.

Soll ich ihr einfach ein Kompliment machen?

Soll ich sie nach ihrer Pause fragen und sie zu einem Kaffee einladen? Wenn ich ihr meine Visitenkarte gebe, wird sie sich melden?

Sie ist so hübsch. Wie finde ich heraus, ob ihr Herz noch frei ist?

Der Gedanke an die andere Möglichkeit schmerzte ihn.

Bill lächelte still vor sich hin. In diesem Augenblick wünschte er, in einer anderen Zeit zu leben. Er wünschte sich eine Möglichkeit, sie einfach zu rauben. Er würde sie packen und mit ihr enteilen. Oh, wäre das schön, seufzte sein aufgewühltes Herz.

Konnte es sein, dass ihn die junge Frau beobachtete? Mehrmals hatten sie Blickkontakt. Bill kam es so vor, als suchte sie diesen Blickkontakt. Bildete er sich es nur ein oder war die leichte rötliche Färbung ihrer Wangen eine Reaktion darauf?

Sein Herz raste schlimmer als wenn er einen überhängenden Steilhang in den Rocky Mountains hinaufkletterte.

Bills Handy läutete. Es war sein Freund Henry, der bei einem großen internationalen Konzern in München arbeitete. Mit ihm war Bill verabredet. Henry sagte das Treffen ab. Sein Chef war noch im Ausland und er musste ihn in einer dringenden Sache vertreten. Bill zeigte Verständnis. Die Freunde verabredeten sich. Bill wollte bald nach Waldkogel kommen.

»Bill, deine Stimme klingt ganz anders. Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«, fragte Henry.

»Oh, ein wenig Jetlag vielleicht. Wir sehen uns dann, bye, Henry! Ich kann jetzt nicht reden. Ich muss etwas klären. Halte mir die Daumen! Bye, bye!«

Bill legte auf. Durch das Telefonieren war er bis zum Tresen vorgerückt. Mit klopfendem Herzen stand er ihr gegenüber. Mit nervösen Fingern kramte er seine Mietwagenreservierung hervor. Sein Hals war trocken. Sie lächelte ihn an.

»Grüß Gott, Herr Miller! Willkommen in München!«, sagte sie.

Ihre samtweiche Stimme löste in Bills Herz einen weiteren Orkan der Zuneigung aus.

Eine Kollegin trat neben sie.

»Mona, ich mache hier weiter! Du wolltest doch schon vor zehn Minuten gehen. Komm, gib mir die Unterlagen!«

»Bist ein Schatz! Bis die Tage!«, sagte Mona.

Ramona, die Mona gerufen wurde, eilte davon. Bill sah ihr nach. Es zerriss ihm fast das Herz.

Ramonas Kollegin Birgit legte Bill die Empfangsbestätigung vor. Wie in Trance unterschrieb er.

»Entschuldigen Sie bitte. Ich denke, ich kenne Ihre Kollegin von irgendwoher. Die Welt ist ein Dorf. Das ist doch Monika, richtig?«

»Sie irren sich. Mona ist nicht die Abkürzung von Monika. Ihr Versuch ging daneben«, lachte sie.

»Man kann es ja versuchen, dachte ich. Sie ist außergewöhnlich, Ihre Kollegin.«

Birgit ging auf seine Bemerkung nicht ein. Sie tat, als hätte sie sie nicht gehört. Sie gab ihm den Autoschlüssel und die Skizze mit dem schnellsten Weg in die Tiefgarage.

Bill räusperte sich.

»Danke«, sagte er leise. »Ist es nicht irgendwie möglich zu erfahren, wann Ihre Kollegin Dienst hat? Ich würde sie gern wiedersehen.«

»Uns ist der private Kontakt mit Kunden untersagt. Außerdem hat es keinen Zweck, dass sie sich Hoffnungen machen. Fast jeder, der hier ein Auto abholt, versucht mit Mona zu flirten. Aber sie ist immun«, bemerkte Birgit mit deutlich ablehnenden Unterton in der Stimme.

»Heißt das, sie hat einen Freund?«, hakte Bill nach. So schnell gebe ich nicht auf, dachte er.

»Hören Sie, lassen sie das! Hinter ihnen stehen Leute, auch sie wollen ihren Wagen abholen. Das ist eine Autovermietung und keine Partnerschaftsbörse.«

»Das weiß ich, aber es ist elementar wichtig für mich.«

Sie lachte.

»Da sind sie nicht der Erste! Aber wie sage ich den Burschen immer zum Trost: ›Man sieht sich im Leben immer zweimal‹. Also, auf Wiedersehen und gute Fahrt.«

Dann schaut sie über Bills Schultern den nächsten Kunden an und rief laut:

»Der Nächste bitte! Sie sind an der Reihe, treten sie vor!«

Enttäuscht machte Bill Platz. Er griff nach seiner Reisetasche und dem Rucksack und ging davon.

In der Tiefgarage fand er den angemieteten Geländewagen und stieg ein. Er blieb eine ganze Weile mit geschlossenen Augen hinter dem Lenkrad sitzen. Sein Herz wollte sich nicht beruhigen. Immer noch sah er ihr Bild vor sich. Sie war zierlich, sportlich, hatte dunkle Haare und große braune Augen.

Bill überlegte, ob er seine Pläne ändern sollte. Ich könnte hier im Flughafenhotel ein Zimmer nehmen und jeden Tag sehen, ob sie Dienst hat, dachte er. Er war mit einer bestimmten Absicht nach Europa gekommen, aber das erschien ihm jetzt nicht mehr so wichtig. Für ihn zählte nur, dass er dieses engelsgleiche Wesen wiedersehen wollte, er musste einfach.

Der Satz ›man sieht sich im Leben immer zweimal‹, hämmerte in seinem Kopf. Als gehe von diesen Worten eine Magie aus, fühlte er sich etwas getröstet. Langsam wurde er ruhiger. Er entschloss sich, doch jetzt sofort nach Waldkogel zu fahren. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er es nicht klug angestellt hatte. Er wollte mit seinem Freund Henry darüber reden. Er lebte jetzt schon drei Jahre in München. Vielleicht kann ich von ihm nützliche Tipps bekommen, dachte Bill. Vielleicht flirtet man hier anders und ich muss mich umstellen, um an mein Ziel zu kommen.

Er seufzte. Dann ließ er den Motor an und rollte aus dem Parkhaus. Er fuhr vorsichtig und langsam, denn immer wieder kreisten seine Gedanken um diese junge Frau, von der er nur wusste, dass sie Mona gerufen wurde und nicht Monika mit Vornamen hieß. Mit Hilfe des Navigationsgerätes fand er mühelos den Weg nach Waldkogel. Er hielt auf dem Marktplatz an, stieg aus und sah sich um. Neben ihm hielt ein Geländewagen.

»Grüß Gott! Suchst was Bestimmtes?«

»Hallo! Ich suche die Auffahrt zur Oberländer Alm. Diese Adresse ist nicht im Navi einprogrammiert.«

Der Mann, der ihn angesprochen hatte, lachte.

»Lass mich raten? Ich höre deinen Akzent. Du musst der Bill Miller aus Amerika sein und hast auf der Berghütte gebucht, richtig?«

»Ja, aber, kann man mir das ansehen?«

»Naa, des net. Ich bin der Toni Baumberger, der Hüttenwirt. Des ist ja ein schöner Zufall, dass wir uns hier treffen. Am besten ist, du fährst mir nach.«

»Danke, das ist wirklich ein glücklicher Zufall.«

Bill stieg ins Auto und folgte Toni hinauf auf die Oberländer Alm.

*

Von der Oberländer Alm aus wanderten Bill und Toni hinauf zur Berghütte. Sie unterhielten sich.

»So, des ist interessant. Dann bist extra aus Amerika rübergekommen, um zu sehen, wo deine Wurzeln liegen. Des ist schön.«

»Ja, es ist der Wunsch meines Großvaters. Er ist schon sehr alt, fast neunzig Jahre ist er. Er wünscht sich, dass ich ihm eine Handvoll Erde aus seiner Heimat hole. Du verstehst?«

»Schön von dir, dass du deinem Großvater den Wunsch erfüllen willst. Ich weiß zwar net, wie du des machen willst. Die Erde wirst schmuggeln müssen. Ist es denn erlaubt, Erde einzuführen in Amerika?«

»Ach, dafür habe ich eine Lösung gefunden«, sagte Bill knapp.

Toni folgerte daraus, dass Bill nicht drüber sprechen wollte. So stellte er ihm keine weiteren Fragen. Stattdessen erzählte er ihm von Waldkogel, zeigte ihm die Berge und sagte ihm, wie die Gipfel hießen.

Bill blieb stehen und schaute über das Tal zu den Bergen hinauf.

»Soso! Das ist also das berühmte ›Höllentor‹ und dort der gute Berg, auf dem die Engel weilen, der ›Engelssteig‹. Mein Großvater hat mir, als ich noch ein kleiner Junge war, viel über die beiden Gipfel erzählt. Jeden Tag hörte ich eine andere Geschichte, von Menschen in Waldkogel, die sich in ihrer Not an die Engel wandten und wie ihnen geholfen wurde. Es gab immer ein glückliches Ende, gleich wie sehr der Teufel auf dem Gipfel des ›Höllentors‹ auch tobte. Ich weiß nicht, ob Grandpa einen Teil der Geschichten erfunden hat, aber darauf kommt es auch nicht an. Sie waren schön und tröstlich für mich. Wenn er sie mir erzählte, spürte ich die Sehnsucht nach seiner Heimat in seinen Worten.«

Bill lächelte Toni an.

»Mein Grandpa liebte die Berge. In unserem Wohnzimmer hängt ein großes Ölgemälde. Es zeigt Waldkogel vor vielen, vielen Jahren. Er hatte es malen lassen, bevor er auswanderte. Das Bild war der einzige Gegenstand, den er mit in die neue Welt nahm, außer den Kleidern, die er auf dem Leib trug, einem Rucksack mit wenigen Utensilien und einem Herz voller Hoffnungen.«

»Ist er glücklich geworden in Amerika? Im letzten Jahrhundert sind viele vor und nach den Kriegen ausgewandert.«

»Ja, er sagt, er sei glücklich geworden, glücklicher, als er es hätte in Waldkogel werden können. Er schweigt sich bis heute über die Gründe aus, warum er damals wirklich fortging. Heimweh hatte er wohl immer, denke ich. Aber er ließ es sich nicht anmerken. Jedenfalls versuchte er es.«

»Dann wird es am besten sein, du bringst ihm ein bisserl Gestein direkt vom Gipfel des ›Engelssteigs‹ mit, Bill«, sagte Toni.

»Du meinst, das ist möglich?«

»Warum net? Kannst klettern?«

»Ich glaube, ich konnte klettern, noch bevor ich laufen konnte. Meine Mutter hat mir erzählt, schon als Baby trug mich mein Großvater im Rucksack in den Rockies herum. Bergsteigen ist meine große Leidenschaft. Kann ich hier eine Ausrüstung leihen?«

»Sicher, ich gebe dir alles, was du brauchst. Aber des hat noch einige Tage Zeit, Bill. Ich lass net gern Leut’ auf den Gipfel, die vielleicht unter Jetlag leiden. Die Berge laufen dir net fort.«

»Das stimmt, Toni! Mein Grandpa sagte immer: ›Die Berge sind ewig‹.«

»Ja, so sagt man.«

Toni und Bill kamen zur Berghütte. Toni stellte Bill Anna und dem alten Alois vor. Er zeigte ihm seine Kammer. Kurze Zeit später trat Bill auf die Terrasse der Berghütte.

»Willst dich zu mir setzen, Bill?«, rief ihm der alte Alois zu.

Bill setzte sich. Alois lud ihn auf ein Bier ein. Sie prosteten sich zu.

»So, Bub, jetzt erzähl mal. Der Toni sagte, du tust Miller heißen mit Familiennamen. Ich nehme an, dass dein Großvater den Namen geändert hat, als er in Amerika Fuß fasste. Das haben viele gemacht. Wie war sein Name? Hieß er Müller?«

Bill trank einen Schluck Bier und wischte sich mit dem Handrücken den Bierschaum von der Oberlippe. Er zuckte mit den Achseln und hüllte sich in Schweigen.

»Wie heißt dein Großvater mit Vornamen?«

»Baldwin!

Alois dachte einen Augenblick nach. Er schüttelte den Kopf.

»An einen Baldwin kann ich mich net erinnern«, sagte Alois leise.

Der alte Alois schaute Bill interessiert an.

»Was kannst mir noch erzählen? Vielleicht kann ich mich dann erinnern.«

»Also, Grandpa war sehr jung, als er auswanderte. Er sagte immer, dass er der Jüngste auf dem Schiff war, das von Hamburg ausgelaufen war. Er hat sich, durch Arbeit als Heizer, die Überfahrt verdient. Er war zwar jung, aber sehr kräftig und er konnte zupacken. Hier hatte er im Sommer auf einer Alm gearbeitet und im Winter im Wald. In Amerika arbeitete er zuerst ebenfalls als Holzfäller, dann in einem Sägewerk, bis er selbst ein Sägewerk kaufte. Mein Vater war schon geboren, als Grandpa dann ins Baugewerbe einstieg und Holzhäuser baute. Vater und ich machen das noch heute. Wir sind in der Baubranche. Ich habe Architektur studiert.«