Bille und Zottel Bd. 14 - Ein Pony auf großer Wanderung - Tina Caspari - E-Book

Bille und Zottel Bd. 14 - Ein Pony auf großer Wanderung E-Book

Tina Caspari

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Beschreibung

Zottel maht sich zügig auf den Weg: Er hat den verführerischen Duft von allerlei Köstlichkeiten in einem großen Picknickkorb geschnuppert. Aber mitten im schönen Schmaus geschieht etwas Unerwartetes, und bald gerät das pfiffige Pony wieder in die tollsten Abenteuer.

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TINA CASPARI

Ein Pony auf

großer Wanderung

Brief an einen Pechvogel

„Zottel, musst du mich ausgerechnet jetzt anstoßen! Schau dir an, was du angestellt hast!“ Bille gab ihrem vierbeinigen Freund einen Klaps und hielt ihm vorwurfsvoll ihre missglückte Zeichnung entgegen. „Das ist kein Pony mehr, das ist eine Giraffe mit Plattfüßen! Und es sollte so ein schönes Porträt von dir werden, du Dummkopf! Na ja, das ist mal wieder typisch!“

Bille seufzte, dann kritzelte sie eine Erklärung an den Rand des Briefes, neben Zottels verunglücktes Konterfei.

Vom Wald her näherte sich das Geräusch galoppierender Hufe, gleich darauf stoppten Bettina, Florian und seine Freundin Nico neben der Bank, auf der Bille ihr Schreibzeug ausgebreitet hatte.

„Na, bist du fertig?“

Bettina sprang aus dem Sattel. Sie ließ ihrer Stute Sternchen den Zügel lang, damit sie grasen konnte, obgleich sie sich später gewiss wieder über die vom Grünzeug verklebte Trense ärgern würde … Zu Unrecht, das wusste sie genau. Bettina setzte sich neben Bille.

„Ja, ich muss ihn nur noch einmal durchlesen. Wenn Zottel mir nicht meine schöne Zeichnung verdorben hätte, wär’s ein echtes Schmuckstück geworden!“

„He, das ist ja ein ganzer Roman! Lies vor!“

„Warte, wir wollen auch zuhören!“

Nico band ihren Wallach Sylvester im Schatten an einen Baum, während Florian seiner geliebten Stute Florentine das schweißnasse Fell mit seinem Pulli trocken rieb. Bille und Bettina sahen sich an und lachten.

„Flori, meinst du nicht, dass du’s mal wieder ein bisschen übertreibst?“

„Man kann nie vorsichtig genug sein, gerade jetzt in der Übergangszeit, liebe Bille! Mittags diese Hitze, und kaum ist die Sonne weg, wird’s eiskalt. Wie leicht kann sie sich da erkälten!“

„Du redest wie eine alte Tante. Vorläufig jedenfalls steht die Sonne noch am Himmel und es ist heiß wie im Sommer“, bemerkte Nico kopfschüttelnd und setzte sich Bille zu Füßen ins Gras.

„Das versteht ihr nicht.“

Florian hatte für Florentine die ideale Stelle gefunden, einen Baum, der ihrem Kopf Schatten gab, während ihr Körper in der wärmenden Herbstsonne vor Unterkühlung geschützt war.

„So“, seufzte er zufrieden und ließ sich neben Nico ins Gras plumpsen. „Du kannst anfangen!“

„Okay. Also:

Liebe Franca! Was für ein idiotisches Pech! Wenn’s wenigstens ein Sturz vom Pferd gewesen wäre! Aber sich mit dem Fahrrad unter die Räder eines Autos fallen zu lassen, das ist doch höchst überflüssig! Jedenfalls sind wir alle sehr froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist und dass du bald wieder aus dem Krankenhaus kommst. Die ganze Klasse lässt dich grüßen und dir ihr herzliches Mitgefühl aussprechen. Und ich soll dir sagen, dass du uns allen sehr fehlst! Deine Donata schickt dir ein sehnsüchtiges Wiehern. Sie freut sich auf deine Rückkehr, auch wenn sie von uns allen sehr verwöhnt wird. Johnny longiert sie täglich und Peter reitet sie, wann immer er Zeit hat. In der Schule und im Schulstall ist alles in Ordnung. Ich sitze gerade auf der Bank am Waldrand und schaue nach Groß-Willmsdorf hinüber. Es ist zum Malen schön, das weiße Schloss, eingebettet in die bunt belaubten Bäume des Parks. Auf dem Parcours drüben arbeitet Simon unter Daddy Tiedjens Anleitung mit Jamaika. Sie hat tolle Fortschritte gemacht in den letzten Wochen. Im alten Pferdestall machen Hubert und Petersen Großputz. Sie nützen das schöne Wetter aus, um vor Einbruch des Winters noch einmal alle Pferdedecken und Sattelunterlagen zu waschen. Die auf dem Hof vorhandenen Wäscheleinen hängen voll. Auf dem Dressurplatz neben der Schulreithalle arbeitet die neue Voltigiergruppe. Ich sehe Mini von hier aus wie einen Federball durch die Luft hüpfen. Dass wir Frau Jensen als Lehrerin und als Trainerin für die Voltigiergruppe bekommen haben, ist ein echter Glücksfall! Dies ist wirklich ein toller Platz: Man sieht alles, was auf dem Hof geschieht, wie auf einer Bühne vor sich. Jetzt kommt Beppo mit seiner Sahida aus dem Stall. Er diskutiert mit Johnny dem Indianer. Beppo stellt sich mit seiner Stute fast noch schlimmer an als Florian mit seiner Florentine, dabei gibt es auf der Welt keinen besseren Pferdepfleger als Johnny!“

„Ich stelle mich überhaupt nicht an“, murmelte Florian mit leisem Protest. „Ich bin höchstens sensibel, was Florentine betrifft!“

„Klar. Lies weiter, Bille“, ermunterte Bettina die Freundin.

„Jetzt sehe ich drüben aus der Allee Daniel und Joy auftauchen; man erkennt sie schon von Weitem an ihren Schimmeln. Chrissy hat auf zwei Turnieren bereits wieder einen ersten Platz und vier Platzierungen eingeheimst! Der Wikinger hatte eine kleine Verletzung, nichts Schlimmes, aber er musste zu Hause bleiben. Sonst ist in Peershof alles gesund. Auch unsere Fohlen entwickeln sich prächtig. Nur Bettina ist ein bisschen traurig, dass Tom nur noch am Wochenende nach Hause kommt, seitdem sein Studium begonnen hat. Dafür schreiben sie sich jeden Tag endlose Briefe …“

„Das interessiert sie doch gar nicht!“, wehrte Bettina ab.

„Wenn man im Krankenhaus liegt und sich langweilt, interessiert einen alles. Also weiter:

Bei uns zu Hause in Wedenbruck gab’s vorgestern eine gewaltige Aufregung: Moischele, unser kleiner Shetti, war verschwunden. Mutsch war total verzweifelt, sie glaubte an einen Diebstahl. Zum Glück hatte es am Abend vorher geregnet und wir entdeckten die Spuren seiner winzigen Hufe auf dem lehmigen Weg hinter unserem Garten. Er hatte einen Durchschlupf gefunden und stand friedlich malmend bei Hansens im Garten neben dem Korb mit den frisch geernteten Birnen! Ich glaube, er wird ein gelehriger Schüler von Zottel werden!

So, liebe Franca, ich glaube, jetzt habe ich dir alles berichtet, was sich hier so tut. Ich hoffe, ich habe dir damit so viel Appetit aufs Wiederkommen gemacht, dass du ganz schnell gesund wirst! Es grüßt dich herzlich, im Namen der ganzen Klasse und all unserer Pferde,

deine Bille

Zufrieden damit?“

„Hm, kann so bleiben“, erklärte Florian großmütig. „Wenn du auch ein paar wichtige Sachen ausgelassen hast.“

„Zum Beispiel?“

„Dass wir demnächst eine Woche Außendienst haben, um Koppelzäune und Unterstände zu reparieren.“

„Das ist auch besser so“, meinte Nico lachend. „Franca hasst solche Arbeiten, da bleibt sie gleich freiwillig noch eine Woche länger im Krankenhaus!“

„Auch wahr. Aber dass wir im Landesgestüt waren …“

„Dass sie bei der Besichtigung nicht dabei war, macht sie höchstens traurig“, widersprach Bettina. „Ich finde, der Brief ist genau richtig. Sie wird sich nach Groß-Willmsdorf versetzt fühlen und sich alles genau vorstellen. Das tolle Herbstwetter, die bunten Bäume, die Mittagsstille, die Pferde auf den Koppeln, die Freunde und Schulkameraden, einige in der Reithalle, andere beim Ausritt, wieder andere in der Klasse bei den Hausaufgaben. Simon, wie er den Parcours springt …“

„Und Zottel, wie er Bille beim Malen stört und seine Nase an ihrem Rücken reibt“, fügte Nico hinzu. „Höchstens über unsere lieben Lehrer hättest du noch was schreiben können!“

„Ignaz der Schreckliche hat Franca schon vorgestern einen langen Brief geschrieben“, wandte Bille ein. „Er hat ihn der Klasse vorgelesen und dann musste jeder von uns seinen Namen auf ein großes Blatt Papier schreiben und sich selbst zeichnen. Das Produkt hättest du sehen müssen! Wir haben uns schiefgelacht.“

„Er ist schon ein toller Lehrer, unser Ignaz Albert. Man sollte ihn in Gold aufwiegen.“

„Das würde sich bei seinem gewaltigen Gewicht auf jeden Fall lohnen. Wenigstens für den, der das Zeug dann kriegt“, stellte Florian fest. „Okay, kleb deinen Brief zu und komm, es wird Zeit, dass wir zur Studierstunde einschweben. Und gleich anschließend haben Florentine und ich Training beim großen Boss.“

„Nicht nur du.“

Bille packte ihr Schreibzeug zusammen, stopfte es in Zottels Satteltasche und stieg auf. Auf dem Dressurplatz drüben beendete die Voltigiergruppe ihre Arbeit. Aus der Ferne näherte sich eine Gruppe Reiter dem Schulstall. Hubert brachte Feodora auf den Parcours hinaus. Jamaika hatte für heute genug getan, Simon ließ sie am langen Zügel gehen.

„Fertig?“, fragte Bille und wandte sich zu den Freunden um.

„Wir schon.“ Nico grinste. „Nur Flori muss Florentine noch die Nase pudern.“

„Weiber! Hör einfach nicht hin“, brummte Florian und tätschelte seiner Stute zärtlich den Hals. „Die sind ja bloß eifersüchtig!“

Dann sprang er in den Sattel und galoppierte an den drei Mädchen vorüber, als wäre er von einer Abschussrampe abgefeuert worden.

„Kavalierstart – oder wie soll ich das verstehen?“, murmelte Nico und drückte Sylvester die Sporen in die Flanken. „Das können wir schon lange!“

Sylvester schoss hinter Florentine her und hatte sie bald überholt. Nicht umsonst war er einst ein Ass auf der Galopprennbahn gewesen.

„Lass die Kinderchen sich ruhig austoben!“ Bille sah lachend zu Bettina hinüber. „In unserem Alter hat man das nicht mehr nötig.“

„Du sagst es.“

Als die beiden Mädchen den Hof erreichten, war von Nico und Florian nichts zu sehen. Ihre Pferde standen, flüchtig am Paddockzaun angebunden, am Stall. Bille sah sich kopfschüttelnd nach den beiden um.

„Was ist denn hier los?“

„Still, hör mal!“

Bettina zeigte zum Heuboden hinauf. Kichern und Geflüster drangen nach unten.

„He, was macht ihr da oben! Warum sind eure Pferde noch nicht abgesattelt?“

„Keine Zeit, wir prügeln uns“, kam Florians Stimme geschäftig von oben.

„So, prügeln nennt man das heutzutage! Kommt sofort da runter!“, rief Bille mit gespielter Strenge. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“

„He, was ihr auch immer gleich denkt! Omas!“

„Seid ihr erst mal in unserem Alter!“

„Mit euren blöden siebzehn! Noch nicht mal erwachsen! Wir mit unseren sechzehn Jährchen“, Florian stieg bedächtig die Leiter hinunter, „sind da besser dran!“

„Das musst du mir näher erklären“, sagte Bettina lachend. „Wieso besser?“

Florian kratzte sich am Hinterkopf.

„Na ja, wir bilden sozusagen die goldene Mitte. Mit einem Bein noch voll in der überschäumenden Jugend, mit dem anderen winkt schon der Ernst des Lebens!“

Bille und Bettina lachten.

Nico verdrehte die Augen. „Das hast du schön gesagt. Du solltest Politiker werden. Fang mich auf!“

„Auch das noch. Ich breche zusammen!“

„Danke!“

„Und das im Zeitalter der Emanzipation! Mich hast du noch nie aufgefangen, wenn ich vom Heuboden runterkam!“

„Simon! Bist du fertig?“

Bille trat an ihren Freund heran, der die Stute Feodora in die Stallgasse führte und abzusatteln begann.

„Komm, ich helfe dir.“

„Endlich Verstärkung!“, seufzte Florian übertrieben. „Steh mir bei, großer Bruder, heute schaffen sie mich wieder!“

Simon beachtete Florian nicht, er war viel zu sehr mit der Stute beschäftigt, deren linken Vorderfuß er jetzt vorsichtig anhob.

„Sie hat sich angeschlagen und ein bisschen das Fell aufgeritzt. Siehst du, hier. Es ist nicht weiter schlimm, aber ich wollte doch lieber kein Risiko eingehen.“

„Wie ist das passiert?“, fragte Bille und betastete das verletzte Bein der Stute besorgt.

„Sie hat ein Stück Mauer mitgenommen. Sie lahmt zwar nicht, aber ich habe gespürt, dass sie sich ganz schön wehgetan hat.“

„Warte, ich hole das Blauspray. Wir machen lieber gleich etwas drauf!“

Bille brachte Feodoras Sattel und Trense in die Sattelkammer, dann ging sie an den Apothekenschrank und holte das Spray zum Desinfizieren der Wunde heraus. Simon kam ihr nach.

„Bleib da, ich bring’s schon!“

Simon lächelte und trat so dicht an Bille heran, dass ihre Nasenspitzen sich berührten. „Ich dachte, wir tragen die Dose lieber zu zweit“, sagte er und nahm Bille in die Arme.

Bille lachte leise. „Wenn ich es mir genau überlege, hast du recht. Sie ist wirklich zu schwer für einen allein!“

In der Stallgasse wurde getuschelt. Dann ertönte Florians mahnende Stimme.

„Bille! Los, beeil dich, die Studierzeit fängt gleich an!“

„Glaub ihm kein Wort, wir haben noch zwanzig Minuten!“

Bille schlang ihre Arme fester um Simons Hals. „Ich kann nicht, ich bin beschäftigt“, rief sie laut.

„Morgen machen wir einen Ausritt zusammen“, flüsterte Simon. „Da haben wir wenigstens unsere Ruhe. Komm!“

Sie kehrten in die Stallgasse zurück, taten so, als sähen sie die ironischen Gesichter der anderen nicht, und beugten sich über Feodoras verletzten Fuß. Die kleine Schnittwunde wurde mit Blauspray besprüht, dann tastete Simon noch einmal den Fuß ab.

„Alles in Ordnung. Wir können sie in die Box bringen.“

„Musst du Nathan noch reiten?“

„Ja, aber jetzt mache ich erst mal Teepause. Frau Engelke hat da vorhin etwas von frischem Apfelkuchen gemurmelt.“

„Ja, dann – bringst du mir einen mit?“

„Ich werde ihn mir von der Seele reißen oder besser gesagt, vom Munde. Was tue ich nicht alles für dich!“

„Oh, wenn du gerade dabei bist, dann könntest du mir natürlich auch San Pietro satteln, wenn ich aus der Studierzeit komme!“

„Okay, ich habe heute meinen sozialen Tag.“

Über den Hof näherten sich schlurfende Schritte. Der alte Petersen kam mit einem Armvoll frisch gewaschener Pferdedecken vom Wäscheplatz. Bettina hielt ihm die Tür auf.

„Wusste gar nicht, dass dein Zottel jetzt auch in die Schule geht, Bille“, brummte er und warf ächzend den Stapel Decken auf die Futterkiste.

„Zottel? Wieso?“

„Er macht gerade seine Hausaufgaben.“

„Hausaufgaben?“

„Na ja, er liest da irgendwas. Mit der Nase auf ’m Papier.“

Noch während er sprach, liefen Nico und Bettina beunruhigt nach draußen. Ein Schreckensschrei alarmierte Bille aufs Höchste.

„Bille! Dein schöner Brief! Er muss dir aus der Tasche gefallen sein; Zottel hat ihn total zerfetzt! Geh am besten mal rüber!“

Bille stürzte zur Stalltür und starrte auf Zottel, der sich in seiner Arbeit nicht stören ließ. Mit einem Huf hielt er den Briefbogen am Boden fest, während er mit den Zähnen Stückchen für Stückchen abriss.

„O nein! Das darf doch nicht wahr sein! Zottel, gib sofort den Brief her!“

„Viel ist nicht mehr übrig.“

Bettina half der Freundin, die Schnipsel unter Zottels Huf hervorzuziehen.

„Kannst eine Art Puzzle draus machen und in einem Umschlag an Franca schicken. Mit Zottels Namen als Absender“, meinte Nico. „Da hat sie wenigstens was zu lachen.“

„Gut, aber einen neuen Brief schreiben muss ich ihr trotzdem“, seufzte Bille.

„Wir helfen dir dabei. Jeder schreibt einen Absatz, dann geht’s ganz schnell.“

„Nun ärgere dich nicht, Bille!“ Florian legte der Freundin kameradschaftlich die Hand auf die Schulter. „Zottel ist nun mal eitel. Wahrscheinlich hat ihm sein Bild nicht gefallen.“

Ein Kronprinz wird erwachsen

Das schöne Herbstwetter hielt an. Wenn Bille frühmorgens von Wedenbruck aus, wo sie wohnte, nach Groß-Willmsdorf hinüberritt und der Nebel in dichten Schleiern über der Landschaft lag, fühlte sie sich wie in eine Märchenwelt versetzt. Blitzende Wassertropfen schmückten Sträucher und Zäune, Spinnweben sahen aus wie mit Perlen besetzt, lautlos segelte das herbstbunte Laub von den Bäumen. In solchen Augenblicken durchflutete Bille ein Gefühl tiefer Dankbarkeit. Dankbarkeit, hier leben zu dürfen, von allen Plätzen auf der Welt gerade hier, in dieser Landschaft, mit diesen Menschen, Mutsch und Onkel Paul, ihrem Stiefvater, die sich jetzt auf den Weg zur Arbeit machten, zum Spar-Markt in Leesten drüben. Simon, der sie liebte, so wie sie ihn, und der jetzt drüben in Peershof mit der Morgenarbeit im Stall begann. Daddy Tiedjen, der Besitzer von Groß-Willmsdorf, der für sie wie ein zweiter Vater war. Und all die anderen. Und dann die Pferde! Zottel und der schöne Rappe Black Arrow, die ihr gehörten. Die Schulpferde, die Stuten und Fohlen.

Unvorstellbar, nicht das morgendliche Getschilp der Spatzen, das Wiehern und Schnauben zu hören, das Klappern der Tränkeimer! Und diesen unvergleichlichen Geruch in der Nase zu haben, nach dampfender Erde, Wiesen und frischem Dung! Wirklich, sie hatte allen Grund, dankbar zu sein.

Wenn sie dann das große alte Gutshaus betrat, durch die hohe Halle zu ihrem Klassenzimmer hinüberging, mit den „Internen“ zusammentraf, die aus dem Speisesaal vom Frühstück kamen, dann war auch dies wie ein Nachhausekommen. In der kurzen Zeit – noch keine fünfzehn Monate waren es –, in der das Reiter-Internat Groß-Willmsdorf bestand, waren sie zu einer Familie geworden, pferdebesessene Schüler und pferdebegeisterte Lehrer. Ihre kühnsten Träume waren in Erfüllung gegangen. Dass sie diese Träume Tag für Tag mit harter Arbeit bezahlte, darüber dachte Bille nicht nach. Oder doch ganz selten nur, wenn die Arbeit in der Schule, im Stall und auf der Reitbahn ihr über den Kopf zu wachsen drohte, die Glieder schmerzten und der Kopf hohl und leer schien vor Müdigkeit.

Aber jetzt war die Turniersaison so gut wie vorüber. Statt des harten Trainings gab es lange Ausritte durch die herbstliche Landschaft. Die Sonne schien und in den Gärten leuchteten Rosen und Herbstastern um die Wette. Die Apfelbäume waren schwer von Früchten. Die Zeit der Hubertusjagden stand vor der Tür und bald gab es Herbstferien.

Als Bille und Simon an diesem Tag von ihrem Ausritt auf den Hof zurückkehrten, lief ihnen Joy über den Weg, die seit einiger Zeit als Assistentin des Gutsverwalters in Groß-Willmsdorf arbeitete. Sie kam aus dem Fohlenstall.

„Habt ihr schon gehört? Morgen ist es so weit!“

„Was ist so weit?“

Bille und Simon fragten wie aus einem Munde. Dabei wussten beide nur allzu gut, worum es ging.

„Die Absetzer. Morgen ziehen sie in den Fohlenstall.“

„Schon?“

Bille sah, wie Simon unter seiner Sonnenbräune blass wurde.