Birnbäume blühen weiß - Gerbrand Bakker - E-Book

Birnbäume blühen weiß E-Book

Gerbrand Bakker

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Beschreibung

»Birnbäume blühen weiß, nicht rosa«, behauptet Gerson. Sein Vater widerspricht, die älteren Brüder, die Zwillinge Klaas und Kees, flachsen, die Stimmung im Auto ist gut. Bis an der nächsten Kreuzung der Unfall passiert. Als Gerson aus dem Koma aufwacht, spielen Farben für ihn keine Rolle mehr. Er hat sein Augenlicht verloren, und nichts ist mehr, wie es war. Gerbrand Bakker, dessen grandioser Roman Oben ist es still (2008) mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde, erzählt in Birnbäume blühen weiß die ungewöhnliche und berührende Familiengeschichte dreier Brüder – »eine literarische Entdeckung« (Süddeutsche Zeitung).

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Seitenzahl: 151

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Gerbrand Bakker

Birnbäume blühen weiß

Roman

Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann

Suhrkamp

Die niederländische Originalausgabe erschien 1999

unter dem Titel Perenbomen bloeien wit bei

Uitgeverij Piramide, Amsterdam, und 2001 auf Deutsch

beim Patmos Verlag, Düsseldorf.

2007 erschien eine vom Autor durchgesehene Neuauflage

– Grundlage des vorliegenden Bandes –

bei Uitgeverij Cossee, Amsterdam.

© 1999 und 2007 Gerbrand Bakker

und Uitgeverij Cossee BV, Amsterdam

Umschlagfoto: © Angela Kraft

ebook Suhrkamp Verlag Berlin 2010

© der deutschen Ausgabe

Suhrkamp Verlag Berlin 2010

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

www.suhrkamp.de

Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski

eISBN 978-3-518-73100-0

Schwarz

Früher haben wir es gespielt. Wir haben es jahrelang gespielt. Bis vor einem halben Jahr, das war das letzte Mal. Danach hatte es keinen Sinn mehr. Wir fingen immer draußen an, an der alten Buche, die vor dem Wohnzimmerfenster steht. Die Buche war der Startpunkt. Wir legten eine Hand auf die Rinde, und meistens war es Klaas, der abzählte. Klaas ist der Älteste von uns. Klaas ist zehn Minuten älter als Kees. Gerson ist drei Jahre jünger als wir und kam alleine, er hat keinen Zwillingsbruder. Er hat Zwillingsbrüder. Das sind wir, Klaas und Kees.

Bevor Klaas anfing abzuzählen, nannte einer von uns das Ziel. Küchentür. Kopfweiden. Hühnerstall. Manchmal auch ein Ziel weiter weg. Stacheldraht zwischen den beiden Grundstücken neben unserem Haus. Klofenster vom Nachbarn. Ab und zu auch ein lebendiges Ziel. Vater. Hund. Der Nachteil dieser Ziele war, dass sie sich bewegten. Vor allem das Ziel Hund konnte problematisch sein. Derjenige, der in seinen Ohren am schönsten pfiff, gewann. Nicht, weil er das Ziel erreicht hatte, sondern weil das Ziel ihn erreichte.

Gerson hatte immer die schwierigsten Ziele. Ziele, zu denen man ewig unterwegs war, mit Kurven und mit Hindernissen. Mit Balken über dem Graben und Elektrozäunen. Sträuchern. Grabsteinen. Ganz bestimmten Grabsteinen, deren Inschriften man schließlich mit den Fingern entziffern musste. Gerson war oft auf dem kleinen Friedhof, der schräg gegenüber von unserem Haus auf einem Hügel lag. Ein uralter Friedhof, auf dem nur selten ein neuer Grabstein hinzukam. Er kannte alle Grabsteine auswendig, von vorne bis hinten. Wir nicht. Wenn er sich einen Grabstein zum Ziel auserkoren hatte, mussten wir den Text mit unseren Fingern lesen, und das ist nicht einfach.

»Drei, zwei, eins, los«, sagte Klaas, wie immer sehr langsam. Bei drei schlossen wir die Augen. Bei zwei und eins versuchten wir, uns das Haus und die Umgebung wie ein Foto vorzustellen. Aber wie langsam Klaas auch abzählte, wir hatten nie genug Zeit, das Foto abzuziehen. Auf den Fotos in unseren Köpfen gab es immer graue, verschwommene Flecken. Diese Flecken waren die Orte, die wir blind nur mit viel Mühe fanden. Bei los nahmen wir die Hände vom Baumstamm. Während der ersten vorsichtigen Schritte stießen wir immer gegeneinander. Wir suchten ja alle drei dasselbe Ziel. Aber nach den ersten Schritten trennten sich unsere Wege. Wir hatten verschiedene Fotos in unseren Köpfen, wir gingen in unterschiedliche Richtungen. Wir versuchten, lautlos zu gehen. Nichts sollte uns ablenken, und nichts sollte den anderen verraten, wo wir waren.

Wenn es nicht windig war, herrschte eine enorme Stille. Gerade weil wir versuchten, die Schritte der anderen zu hören, sauste es in unseren Ohren. Wenn es windig war, raste der Wind immer mit Orkankraft durch die Bäume. Von welchem Baum kam welches Geräusch? Das prasselnde Säuseln, das stammte von der einsamen Pappel neben dem Schuppen. Das scharfe, kurze Rauschen mussten die gestutzten Weiden sein, die am Graben neben unserem Haus standen. Das dünne, fast knisternde Sausen gehörte zu der Zeder im Garten. Der Wind wies uns die Richtung, wir lernten die Geräusche der Bäume unterscheiden.

Keiner mogelte, da waren wir uns sicher, das hatten wir abgesprochen. Wenn einer von uns aus Versehen die Augen aufmachte – das kann ganz leicht passieren –, rief er: »Ich bin aus«, und die beiden anderen machten weiter.

»Ihr seid zu zweit«, sagte Gerson ab und zu, »ich muss alles alleine machen.«

Was er damit meinte, wollten wir wissen.

»Weiß nicht«, sagte er.

»Denkst du etwa, dass wir heimlich gucken?«, fragte Klaas.

»Nein. Aber ihr spürt einander. Ich glaube, dass ihr sogar mit geschlossenen Augen wisst, wo der andere ist.«

»Quatsch«, sagte Kees. »Ich weiß nicht, wo Klaas ist, und ich habe keine Ahnung, wo du bist.«

Gerson starrte dann brütend vor sich hin und sagte eine Weile nichts mehr. Wir sagten auch nichts. Wir wussten, dass er noch etwas sagen würde, wie lange es auch manchmal dauern mochte. Gerson beneidete uns. Er fühlte sich öfter alleine, besonders wenn wir zu dritt waren.

»Du weißt nicht, wo Klaas ist, aber du hast keine Ahnung, wo ich bin. Das ist nicht dasselbe.«

»Ich meinte aber wohl dasselbe«, sagte Kees.

»Ja, ja.«

»Ja.«

»Ich will noch mal neu anfangen«, sagte Gerson.

Und dann gingen wir zurück zur Buche. Wieder nannte einer das Ziel, wieder zählte Klaas sehr langsam ab, und wieder nahmen wir die Hände vom Baumstamm.

Wir spielten es oft, früher. Wir haben es unser Leben lang gespielt. Gerson konnte es gar nicht abwarten, endlich richtig laufen zu können. Als wir fünf waren und mit dem Spiel anfingen, sahen wir ihn manchmal, bevor wir die Augen schlossen, weinend auf der breiten Fensterbank stehen. Mit seinen Klebehändchen rieb er die beschlagenen Fenster wieder blank. Wenn es windstill war, konnten wir sogar sein Gebrüll hören. So gerne wollte er bei uns sein. Bei seinen großen Brüdern, die die Augen fest zukniffen und dann mit ausgebreiteten Armen in ungefähr dieselbe Richtung torkelten.

Es war kurz nach seinem vierten Geburtstag, als wir ihn zum ersten Mal mitspielen ließen. Damals und viele Male danach mogelten wir. Wenn wir die Augen zuhatten, sahen wir nämlich nicht, ob er in den Graben lief. Er konnte damals schon gut laufen und auch gut sprechen. Aber als er die Hände auf den Buchenstamm legte und die Augen schloss, sagte er nur ein einziges Wort. Wir verstanden ihn kaum.

»Was hast du gesagt, Gerson?«, fragte Klaas, der schon mit dem Abzählen angefangen hatte.

»Schwarz«, sagte Gerson. Sogar während wir redeten, machte er die Augen nicht auf. Er hatte sie so fest zugekniffen, dass seine Wangen fast seine Augenbrauen berührten und wir seine stumpfen Milchzähne deutlich sehen konnten. »Schwarz«, sagte er noch einmal. Er hatte dem Spiel einen Namen gegeben.

Wir wurden nicht besser. Wir nicht und Gerson nicht. Egal, wie oft wir Schwarz spielten, auch nicht, als wir ein paarmal hintereinander dasselbe Ziel finden mussten. Es blieb schwierig. Selbst nach dem zehnten Mal ging man immer noch nicht blind auf die Regentonne zu. Es war jedes Mal anders. Das hatte, glauben wir, mit den Geräuschen zu tun. Jedes Mal waren andere Geräusche da. Viel Wind oder eine leichte Brise, ein vorbeifahrendes Auto, Vögel, vor allem die Reiher, die so laut aus den hohen Bäumen am Friedhof kreischen konnten, Pferde auf der anderen Seite des Grabens, die anfingen zu traben, sobald sie uns sahen. Oder das Wetter. Sonne, Nieselregen, Platzregen, Schnee, Hagel. Es war jeden Tag anders. Immer wenn wir Schwarz spielten, fingen wir sozusagen von vorne an. Als wenn die Zeit, die wir mit offenen Augen verbrachten, das Spiel störte.

Ferien

Unser Vater hatte ein sehr altes, sehr kleines Auto. Früher hatten wir mal zwei Autos, das sehr alte, sehr kleine und ein großes glänzendes. Unsere Mutter war eines Tages in dem großen glänzenden weggefahren, und wir hatten beide nie wiedergesehen.

»Sie ist im Ausland«, sagte unser Vater, der Gerard heißt. »Bei einem anderen Mann. Einem ausländischen Mann.« Wir waren alt genug, unseren Mund zu halten, aber Gerson, der dafür noch nicht alt genug war, fragte: »Warum?«

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