Bis nächsten Freitag - Peter Turrini - E-Book

Bis nächsten Freitag E-Book

Peter Turrini

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Drei Freitage, zwei alte Freunde, ein Gasthaus - wo Realität auf Zukunftsängste und Geister der Vergangenheit trifft Über die Angst vorm Vergessenwerden 18 Uhr – um diese Zeit treffen sich Werner, Dozent, und Richard, Buchhändler, an drei aufeinanderfolgenden Freitagen im Gasthaus "Zur tschechischen Botschaft". Sie haben sich ewig nicht mehr gesehen, jahrelang aus den Augen verloren und sind ihre eigenen Wege gegangen. Sie sind alte Freunde, und man merkt schnell: Es verbindet sie so einiges, über das sie in der beinahe leeren Gaststube bei dem ein oder anderen Bier reden. Sie schwelgen in Erinnerungen an die gemeinsam verbrachte Jugend und diskutieren –mitunter auch heftig –, denn bei Themen wie Politik, die Pandemie oder der Umgang mit Schicksalsschlägen könnten ihre Meinungen nicht konträrer sein. Zwischen Erinnerungen an Vergangenes und der Frage nach dem Morgen Während draußen der Feierabendverkehr vorbeizieht, müssen sie zusehen, wie ihnen im Älterwerden zwischen den Fingern zerfällt, was ihr Leben ausmacht: Die Überzeugungen und Hoffnungen, die Liebe und die Karriere, die Verlässlichkeit ihres Körpers. "Wir sind abgesetzt", klagen sie, doch dieses Gefühl schweißt sie nicht zusammen, im Gegenteil. Wo der Dozent mit Wut und Zynismus gegen seine Ängste ankämpft, verliert sich der Buchhändler in Wehmut und Resignation. Und immer mehr wird ihnen bewusst, dass diese Gaststube mit der resoluten tschechischen Kellnerin und dem taubstummen Peterchen mehr ist als bloß ein in die Jahre gekommenes Lokal. Es ist eine Zwischenstation an der Ausfahrtsstraße ihres eigenen Lebens, ein Ort, der auf diese beiden Männer gewartet hat. Was bleibt von uns übrig, wenn wir einmal nicht mehr da sind? Peter Turrini beweist einmal mehr, dass er zur Elite der Theaterautoren unserer Zeit zählt, und erschafft mit "Bis nächsten Freitag" eine Alltagssituation, die bei genauerem Hinsehen viel mehr verbirgt, als sie auf den ersten Blick erahnen lässt. In seinen beiden Protagonisten spürt er einer der prägenden gesellschaftlichen Stimmungen unserer Zeit nach: der Angst vor dem Bedeutungsverlust, dem Misstrauen gegenüber den Strukturen und einer traurigen Wut auf die Verhältnisse. ********************************************************* URAUFFÜHRUNG am 16.11.2023 im Theater in der Josefstadt *********************************************************

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 81

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Peter Turrini

Bis nächsten Freitag

Theaterstück

Inhaltsverzeichnis

Das erste Treffen

Das zweite Treffen

Das dritte Treffen

Epilog

Gespräch mit dem Autor

Der Autor

Impressum

Personen der handlung:

Werner Hahn, Dozent für Romanistik, 65 JahreRichard Nowak, Buchhändler, 64 Jahre

Jana Zelničková, Kellnerin im Gasthaus „Zur tschechischen Botschaft“, 44 Jahre

Petříčku (Peterchen), 25 Jahre

Braut und Bräutigam, ein kleinwüchsiges Paar

Ort der handlung:

Das Gastzimmer des Restaurants „Zur tschechischen Botschaft“. Das Lokal liegt an einer Ausfahrtstraße der Stadt. Die Einrichtung des Gastzimmers wirkt, als wäre schon seit geraumer Zeit nichts mehr verändert worden.

Zeit der handlung:

Gegenwart.

Das erste Treffen

(Früher Abend. Im Gastzimmer des Restaurants „Zur tschechischen Botschaft“. Im Hintergrund die Theke, im Vordergrund Tische mit Stühlen. Jana, die Kellnerin, zapft ein Bier. An einem der Tische im Eck des Raumes sitzt Petříčku (Peterchen) vor einem Schminkspiegel. Er schminkt sich als Clown, sehr langsam. In der anderen Ecke des Raumes sitzt der Buchhändler Richard Nowak. Es ist still im Lokal, von draußen hört man das Rauschen des abendlichen Verkehrs, sehr gedämpft.

Der Buchhändler trinkt sein Bier aus und schaut immer wieder zur Tür oder auf seine Uhr. Die Kellnerin kommt zu ihm und stellt ihm ein frisches Bier auf den Tisch.)

 

Die Kellnerin:

Ich hab mir gedacht, du brauchst Nachschub. Ist dir das recht?

Der Buchhändler:

Danke, Jana.

Die Kellnerin:

Dein Freund sollte ja längst da sein. Soll ich sein Gedeck wegtragen und dir schon die Suppe bringen?

Der Buchhändler:

Warte, bitte. Mein Freund arbeitet in der Universität, er ist Dozent an der Romanistischen Fakultät. Akademiker kommen immer um eine viertel Stunde zu spät. Das ist das berühmte akademische Viertel.

Die Kellnerin:

Es hat geheißen ein Tisch für zwei Personen um 18 Uhr. Jetzt ist es dreiviertel sieben. Das sind drei akademische Viertel.

Der Buchhändler:

(schaut auf seine Uhr)

Es ist fünf Minuten vor dreiviertel sieben. Er wird schon kommen.

Die Kellnerin:

Gut. Ich will ja nur, dass du nicht verhungerst. (Die Kellnerin geht zurück zur Theke. Der Dozent kommt in das Gastzimmer, er ist sehr gut gekleidet. Er schaut sich um, sieht den Buchhändler und geht auf ihn zu.)

Der Dozent:

Das ist ein Wahnsinn, der Verkehr da draußen. Da sehnt man sich ja förmlich nach St. Corona zurück. Stille auf den Straßen, schweigender Asphalt, keine Menschen. Ein Labsal. Lange nicht gesehen. Wie geht’s, wie steht’s?

(Er stutzt und sieht Peterchen in der Ecke des Gastzimmers, der sich als Clown schminkt.)

Der Dozent:

Wer ist denn der da hinten?

Der Buchhändler:

Der? Der ist harmlos. Irgendein Verwandter oder Bekannter von der Kellnerin. Der tut keinem Menschen etwas. Servus übrigens. Setz dich doch.

(Der Dozent setzt sich.)

Der Dozent:

Entschuldige bitte, aber das wirkt auf mich sehr obskur, dieses Lokal. Schon der Name „Zur tschechischen Botschaft“ ist irgendwie merkwürdig.

Der Buchhändler:

Das Essen ist ausgezeichnet.

(Die Kellnerin kommt mit einer Speisekarte an den Tisch, öffnet die Karte und legt sie vor den Dozenten hin.)

Die Kellnerin:

(zum Dozenten)

Schön, dass Sie gekommen sind. Ihr Freund hat schon sehr gewartet. Er hat Rindsuppe genommen, mit Frittaten. Fritátovými nudlemi. Gibt es aber auch mit Leberknödel. Játrovým knedlíčkem. Oben steht es auf Deutsch, drunter auf Tschechisch.

Der Dozent:

Ich habe derzeit eigentlich keinen Hunger.

(Sie klappt die Speisekarte zusammen.)

Die Kellnerin:

Kein Problem. Zum Trinken?

Der Buchhändler:

Nimm das Kozel, ein tschechisches Spitzenbier.

Der Dozent:

Kann man in einem inländischen Lokal auch ein inländisches Bier kriegen?

Der Buchhändler:

Magst du Pils?

Der Dozent:

Ein Pils ist immer fein.

Der Buchhändler:

Jana, bitte bring meinem Freund ein Budweiser Pils.

Die Kellnerin:

Ein Budweiser Pils für den Herrn Professor.

Der Dozent:

Ich bin kein Professor, ich bin Dozent.

Die Kellnerin:

(zum Buchhändler)

Richie, was ist höher? Professor oder Dozent?

Der Dozent:

Ein Universitätsprofessor ist höher. Aber die Professoren an unseren Universitäten sind in der Mehrzahl Bandwürmer, die durch den After von Vorgesetzten so lange hochkriechen, bis sie selbst Vorgesetzte sind. So weit die objektive Beschreibung der Situation an den hiesigen Universitäten. Mein Vorgesetzter am Institut für Romanistik ist in mehrfacher Hinsicht ein akademischer Armleuchter. Er ist ein Kriecher und er kennt sich in seinem eigenen Fach nicht aus. Eine Studentin hat ihn gefragt, wie er zur Junime steht. Das war eine Vereinigung von politischen und künstlerischen Geistern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Rumänien. Die Junime hat damals das Land nachhaltig geprägt und einzelne Mitglieder dieser Junime sind bis heute im Bewusstsein vieler Rumänen verankert. Aber der Herr Professor weiß das nicht, weil in seinem Kopf nichts verankert ist. Außer Blödheit.

Die Kellnerin:

(zum Buchhändler)

Richie, soll ich mit dem Bier vom Herrn Dozenten deine Suppe gleich mitbringen?

Der Buchhändler:

Bitte.

Der Dozent:

Richie?

Die Kellnerin:

Richie, das kommt von Richard. Wenn man bei uns jemanden mag, dann verwendet man die Verkleinerungsform. Ich zum Beispiel heiße Jana, aber meine Freunde sagen Janička. Meine Tochter heißt Jitka, Jituška. Und wie heißen Sie?

Der Buchhändler:

Er heißt Dr. Werner Hahn.

Die Kellnerin:

Für Werner fällt mir jetzt keine Verkleinerung ein.

(Die Kellnerin geht in Richtung Küche.)

Der Buchhändler:

Und wie geht’s am Institut?

Der Dozent:

Sie hassen mich, weil ich ihnen sage, was ich denke. Die Leute können die Wahrheit nicht ertragen.

Der Buchhändler:

Und wer sagt dir, dass deine Meinung die Wahrheit ist?

Der Dozent:

Ich verbreite keine Meinungen, ich rede von Tatsachen.

(Kurzes Schweigen.)

Der Dozent:

Die Kellnerin hier ist auch irgendwie merkwürdig.

Der Buchhändler:

Jana ist ein besonderer Mensch.

Der Dozent:

Das hast du schon vor fünfzig Jahren gesagt. Immer hast du dir die Geschichten der anderen angehört und dann hat es geheißen, der ist ein besonderer Mensch, oder die ist ein besonderer Mensch. Für dich waren scheinbar alle etwas Besonderes. Du bist immer vor dem Eisentor des Erzbischöflichen gestanden und hast dich mit den Mädchen vom Realgymnasium unterhalten. Nachher hast du erzählt, wie besonders die Hilde ist und wie besonders die Waltraud ist.

Der Buchhändler:

Ich habe eben gern mit ihnen geredet und ich glaube, sie auch mit mir.

Der Dozent:

Aber geschmust und gevögelt haben sie mit mir. Weißt du noch, wie wir dich genannt haben?

Der Buchhändler:

Du hast mich so genannt.

Der Dozent:

Der dicke Jesus. Jetzt reg dich nicht auf, du hast immer gelacht, wenn ich das gesagt habe.

Der Buchhändler:

Ja, ich glaube, ich habe zu oft in meinem Leben mitgelacht.

Der Dozent:

Jetzt wird er moralisch. Erinnerst du dich an den Gottlieb? Der saß vorne in der ersten Bank und hat diese dicken Brillen aufgehabt. Als wir die junge Biologielehrerin bekommen haben, die mit dem Atombusen …

Der Buchhändler:

Frau Professor Waltraud Wohlgemut …

Der Dozent:

… ist der Gottlieb mit der Bank und dem Sessel immer näher zum Katheder gerückt und hat ihr auf den Busen gestarrt.

Der Buchhändler:

Er hat schwere Augenprobleme gehabt.

Der Dozent:

Ob mit oder ohne Augenprobleme, auf jeden Fall hat er sich unter der Bank einen runtergeholt, lautlos. Die Kunst des lautlosen Abspritzens haben wir ja alle praktiziert, im Schlafsaal. Jeden Moment konnte die Aufsicht, der Präfekt kommen, und wenn wir beim Abspritzen laut geschrien hätten, wären wir aufgeflogen. Also betrieben wir die stille Onanie. Man wichst, bis es endlich kommt und presst die Lippen aufeinander. Und der Präfekt sagt freundlich: „Gute Nacht, Jungs.“ Und wir antworten alle ebenso freundlich: „Gute Nacht, Herr Präfekt.“ Du hast doch auch gewichst, oder?

Der Buchhändler:

Ja, aber ich habe nicht abgespritzt. Einer der Patres hat einmal gesagt, dass Onanieren mit Abspritzen die totale Sünde sei, Onanieren ohne Abspritzen aber eine lässliche. Daran habe ich Jahre geglaubt.

Der Dozent:

Ein Wahnsinn, was man damals alles geglaubt hat.

Der Buchhändler:

Wir könnten es ja nachholen.

Der Dozent:

Was?

Der Buchhändler:

Das Aufschreien beim Abspritzen.

Der Dozent:

Wie bitte? Wo?

Der Buchhändler:

Hier und jetzt.

Der Dozent:

Bist du verrückt? Dienstrechtlich gesehen bin ich Beamter. Ein Beamter, der in einem drittklassigen Lokal Lustschreie von sich gibt? So kurz vor meiner Pensionierung riskiere ich nichts mehr.

(Der Buchhändler gibt einen spitzen Schrei von sich, stöhnt und lacht. Die Kellnerin kommt mit der Suppe und dem Bier zum Tisch. Sie gibt ebenfalls einen spitzen Schrei von sich und lacht.)

Die Kellnerin:

Ich freue mich immer, wenn meine Gäste fröhlich sind.

(Sie serviert die Suppe und das Bier.)

Die Kellnerin:

Prost, Mahlzeit, die Herren.

(Sie geht zurück zur Küche. Der Dozent schaut ihr nach.)

Der Dozent:

Die ist wirklich merkwürdig.

(Der Buchhändler isst, der Dozent trinkt schweigend.)

Der Buchhändler:

Hast du die Nachricht vom Tod meiner Mutter bekommen?

Der Dozent:

Über deine Mutter lass ich nichts kommen. Mein Vater hat mich ja gehasst, dieses Arschloch hat ja nicht ein Wort mit mir geredet, immer nur geschwiegen. Meine Mutter hat er geschlagen und eines Tages war sie weg. Und mich hat sie bei diesem Irren zurückgelassen. Aber deine Mutter, die Frau Nowak, hat zu mir gesagt, wenn der Richard das nächste Mal vom Internat heimkommt, dann kannst du wieder mitkommen und bei uns bleiben, solange du willst. Das werde ich nie vergessen, nie in meinem Leben werde ich das vergessen.

Der Buchhändler:

Das hast du schon öfters gesagt. Hast du den Partezettel nicht bekommen?

Der Dozent:

Entschuldige bitte, aber ich hasse Begräbnisse. Nirgendwo wird mehr gelogen als bei Begräbnissen. Da stehen die trauernden Hinterbliebenen, die ganze verlogene Verwandtschaft am Grab, setzt ihre Betroffenheitsmiene auf und schluchzt. Lügen, nichts als Lügen. Wie bei einer Pressekonferenz der Regierung. Diese kollektive Maskerade halte ich nicht aus.

Der Buchhändler:

Es waren nur meine Schwester und ich beim Begräbnis.

(Schweigen. Der Buchhändler isst seine Suppe. Der Dozent beobachtet ihn.)

Der Dozent:

Muss ich mir jetzt schuldbewusst an die Brust klopfen?

Der Buchhändler:

Nein.

(Schweigen. Der Buchhändler isst seine Suppe fertig.)

Der Buchhändler: