Bite the Bride (Darkthorn Archives 1) - Penny Juniper - E-Book

Bite the Bride (Darkthorn Archives 1) E-Book

Penny Juniper

0,0
12,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Was, wenn du dir Gefühle für einen Vampir einfängst? Und er obendrein dein Ehemann ist ... Studentin Katherine Campbell hasst Vampire. Doch beim Versuch, ein Zauberbuch aus der geheimen Universitätsbibliothek zu stehlen, befreit sie einen Fluch. Gerettet wird sie ausgerechnet von ihm: Ethan Hawthorn, seines Zeichens Chef-Bibliothekar, mächtiger Vampir, unnatürlich attraktiv und ihr größter Feind an der Darkthorn University. Um den Fluch in Schach zu halten, muss ihr chronisch miesgelaunter Retter sie regelmäßig beißen – absolut illegal seit 1899. Das Schlupfloch? Eine Heirat. Von jetzt an muss Ethan alles mit Kat teilen. Auch sein Bett. Egal, wie sehr Kat an seiner Selbstbeherrschung zerrt. Egal, wer noch Interesse an ihr und dem Fluch zeigt. Fest steht, er wird seine Frau um jeden Preis beschützen. Auch, wenn ihre Ehe nur ein Fake ist. Oder nicht? »Bite the Bride« ist eine Vampir-Romantasy mit düsterem Setting: eine Dark Academia der schottischen 1920er Jahre. #HatersToLovers #FakeMarriage #TouchHerAndDie #ForcedProximity #GrumpyxSunshine Persönliche Leseempfehlung von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Beril Kehribar: »Wenn ihr schon immer wissen wolltet, was passiert, wenn eine spitzzüngige Heldin und ein grumpy Vampir eine Fake-Ehe eingehen, lest dieses Buch! Es ist witzig, magisch und - Vorsicht! - bissig.« Dies ist der erste Band der »Darkthorn Archives« von Penny Juniper. Die Romane können unabhängig voneinander gelesen werden, zum besseren Verständnis empfiehlt sich aber die Lektüre in der chronologischen Reihenfolge.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Penny Juniper

Darkthorn Archives 1. Bite the Bride

Was, wenn du dir Gefühle für einen Vampir einfängst? Und er obendrein dein Ehemann ist …

Studentin Katherine Campbell hasst Vampire. Doch beim Versuch, ein Zauberbuch aus der geheimen Universitätsbibliothek zu stehlen, befreit sie einen Fluch. Gerettet wird sie ausgerechnet von ihm: Ethan Hawthorn, seines Zeichens Chef-Bibliothekar, mächtiger Vampir, unnatürlich attraktiv und ihr größter Feind an der Darkthorn University. Um den Fluch in Schach zu halten, muss ihr chronisch miesgelaunter Retter sie regelmäßig beißen – absolut illegal seit 1899. Das Schlupfloch? Eine Heirat. Von jetzt an muss Ethan alles mit Kat teilen. Auch sein Bett. Egal, wie sehr Kat an seiner Selbstbeherrschung zerrt. Egal, wer noch Interesse an ihr und dem Fluch zeigt. Fest steht, er wird seine Frau um jeden Preis beschützen. Auch, wenn ihre Ehe nur ein Fake ist. Oder nicht?

»Wenn ihr schon immer wissen wolltet, was passiert, wenn eine spitzzüngige Heldin und ein grumpy Vampir eine Fake-Ehe eingehen, lest dieses Buch! Es ist witzig, magisch und – Vorsicht! – bissig.« SPIEGEL-Bestsellerautorin Beril Kehribar

WOHIN SOLL ES GEHEN?

Widmung

Hinweis des Verlags

Playlist

Buch lesen

Danksagung

Content Note

Viten

Für alle Kämpferherzen da draußen.Gebt niemals auf!Seid niemals leise!

VORBEMERKUNG FÜR DIE LESER*INNEN

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell aufwühlende Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Content Note. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und / oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde, oder suche dir professionelle Hilfe.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Penny Juniper und das Cove-Team

PLAYLIST

Sergei Prokofiev, André Previn, London Symphony Orchestra – Romeo and Juliet, Op 64, Act 1: Dance of the Knights

The Bryan Ferry Orchestra – Crazy In Love

CHINCHILLA – Little Girl Gone

Muse – Kill Or Be Killed

Carpenter Brut – Night Stalker

Coheed and Cambria – The Suffering

Benny Goodman – Sing Sing Sing

5 Seconds of Summer – Teeth

Cherry Poppin’ Daddies – Zoot Suit Riot

Muse – Euphoria

Sufjan Stevens – Mystery of Love

Deichkind – Porzellan und Elefanten

Billy Talent – White Sparrows

Vitamin String Quartet – Easy On Me

Max Raabe und Palastorchester – Cheek to Cheek

HIM – Vampire Heart

PROLOG

Ich bin tot.

Diesmal wirklich.

Der Vampir hat seine Hand an meiner Kehle und drückt zu.

Die Situation ist für keinen von uns beiden neu. Im Gegenteil. Doch als mein Gatte mich die letzten paar Male an Orten erwischt hat, an denen ich absolut nichts zu suchen hatte, fiel sein Griff um meinen Kehlkopf nicht annähernd so fest aus wie jetzt. Und dieser mörderische Glanz in seinen Augen ist neu.

Ich bin so was von tot.

Auf meinem Grabstein wird stehen:

HIER RUHT KATHERINE E. CAMPBELL

1903 – 1925

SIE HAT’S DRAUF ANGELEGT.

Ich schlucke, oder versuche es, und bewege meine Lippen, um etwas zu sagen, mich zu erklären, doch meinem Mund entringt sich nur ein röchelndes Krächzen.

»Ich habe es dir schon so oft gesagt, Katherine«, flüstert er jetzt, wobei sich sein Gesicht so dicht vor meinem befindet, dass ich seinen warmen Atem auf meinen Lippen spüre, »ich finde dich, egal wo du bist.«

Seine Stimme ist so dunkel wie der Schatten in seinen Augen, und gegen meinen Willen flammt die Hitze in mir auf, die seine Berührungen todsicher jedes verdammte Mal entfachen.

Ich gebe mir Mühe, ihn wütend anzufunkeln, fest entschlossen, mich nicht einschüchtern zu lassen. Doch das ist etwas schwierig, wenn ich nicht weiß, ob es tatsächlich Furcht ist, die mich lähmt, … oder dieses völlig widersinnige Verlangen, das mich geradezu überschwemmt. Verlangen, das ich nicht fühlen sollte, aber es trotzdem tue, insbesondere nach dem, was vor ein paar Nächten in seinem Arbeitszimmer geschehen ist und was mich seither verfolgt wie ein sündiger Fiebertraum.

Er lockert den Druck um meine Kehle und ich atme rasselnd ein. Sinke gegen das kalte, dunkle Holz des Eingangsportals in meinem Rücken.

Meine Brust hebt und senkt sich in hektischen Atemzügen.

»Man könnte sich wundern, wieso du dir die Mühe machst«, stoße ich heiser hervor. »Immerhin bin ich nur ein Mensch, oder? Unzulänglich, schwach … und abstoßend.«

Und das ist doch das ganze Problem zwischen uns, oder? Ich bin nur ein Mensch. Und er ist ein Prinz unter den Vampiren, mächtig, stark und nahezu unbesiegbar. Für ihn bin ich ein niederes Wesen. Ein Mängelexemplar. Diese animalische Anziehung, die mich seit Wochen verrückt macht, ist absolut einseitig. Und ich täte gut daran, das nicht zu vergessen.

Er drückt mich zwar gerade gegen die schwarz lackierte Tür zur verbotenen Bibliothek, aber eher wie ein lästiges Insekt, von dem er nun endgültig genug hat.

Seine Augen werden starr. Raubtieraugen sind das, mit diesen irritierend kobaltblauen Iriden, die sich auf mich geheftet haben wie auf eine Zielscheibe. Mich nicht loslassen. Mich gnadenlos abscannen, sich in meinen Blick bohren, als könnten sie mir direkt in die Seele blicken und all meine Geheimnisse ans Tageslicht zerren.

Ich keuche. Schlucke. Dränge die Erinnerungen zurück an all die verbotenen Dinge, die wir getan haben und die mich überhaupt erst in diese demütigende Situation gebracht haben.

Ich mag seinen Ring an meinem Finger tragen, und in den Augen des Staates und nach dem Willen seiner Hive-Queen mögen wir Mann und Frau sein. Doch für ihn bin ich nichts weiter als ein Klotz am Bein. Eine lästige Pflicht. Eine weitere Last, die ihm aufgebrummt wurde und die er genauso erfüllt wie all die Pflichten in seinem langen Vampirleben: distanziert, methodisch und – Wortspiel beabsichtigt – verbissen.

Er hat mehr als einmal deutlich gemacht, was er von mir hält.

Für meinen Ehemann bin ich im besten Fall eine Last – und im schlechtesten Fall ein Fehler, den er bereut.

Der Druck um meine Kehle wird wieder stärker.

Himmel, warum nur sehne ich mich so sehr nach einem weiteren Biss von ihm?

»Abstoßend«, murmelt er düster.

Die raue Kuppe seines Daumens drückt gegen meinen Kehlkopf, streicht dann fast zärtlich über meine empfindliche Haut. Ich schlucke gegen seine Berührung.

»Du hast ja keine Ahnung«, grollt er und seine Pupillen schrumpfen auf Stecknadelgröße zusammen. Ich gefriere innerlich.

Okay, das war’s. Ich habe ihn einmal zu viel provoziert. In der Sekunde, als er zu mir herabtaucht, bin ich mir sicher, dass er seine Klauen ausfahren und mir die Kehle aufschlitzen wird, und zur Hölle mit dem verdammten Gesetz und den Tonnen an Papierkram, die dieser Ausrutscher nach sich ziehen wird. Er wäre nur zu froh, mich los zu sein. Und er wäre nicht der Einzige. Wenn man mal ganz ehrlich ist, gibt es da draußen niemanden, der mir auch nur eine einzige Träne nachweinen würde.

Mir, der Nervensäge, der rasenden Möchtegern-Reporterin, die ständig alles besser weiß und bereits ein Leben zu viel zerstört hat.

Niemand wird mich vermissen. Mein Vater nicht, Lily nicht und ganz bestimmt nicht mein Ehemann, dem ich aufgezwungen wurde.

Umso überraschter keuche ich auf, als er plötzlich seinen Mund auf meinen presst. Meine Lippen mit seinen aufzwingt in einem wütenden Kuss, der mir im wahrsten Sinne des Wortes den Atem raubt. Mit einem besitzergreifenden Ruck zieht er mich an sich, und ich stöhne überrascht auf, als er mit einer wilden Entschlossenheit meinen Mund mit seinem erobert.

Zwei Fragen tauchen verschwommen am Rande meiner Wahrnehmung auf, während ich wimmernd gegen ihn schmelze, in seinem wütenden Kuss versinke und mein bewusster Verstand davonstrudelt wie ein glitschiges Stück Seife in einem Waschbecken. Nämlich, ob ich nicht vielleicht doch etwas grundlegend missverstanden habe.

Und ob er sein Versprechen aus der Nacht unserer Hochzeit doch noch wahr macht – und mich mit diesem Kuss vernichtet.

KAPITEL 1

Das erste Arkane Gesetz: Bei jeder magischen Transaktion muss stets ein gleichwertiger Austausch stattfinden.

MAGNUS DARKTHORN, GESETZE DER MAGIE, SEITE 13

ZWEI MONATE VORHER

KAT

Die Corvus Bibliothek erstrahlt im Schein des Blutmondes wie ein antiker griechischer Tempel. Im Erdgeschoss zeichnen sich die Fenster mit den gotischen Bögen scharf von der Schwärze der altehrwürdigen Mauern ab. Sie sind noch hell erleuchtet. Dabei ist es schon zehn Minuten nach zehn.

Sieht so aus, als würde mein Erzfeind heute Überstunden machen.

»Wie lange noch?«, wispert Jo ungeduldig, die sich neben mir in das Gebüsch duckt und fröstelnd ihren Kaschmirmantel enger um sich zieht.

»Er muss jeden Moment rauskommen«, flüstere ich zurück und spähe angestrengt auf das massive Eingangsportal der Bibliothek.

Jo wirft mir einen skeptischen Blick zu, und ich unterdrücke nur mit Mühe den Drang, die Augen zu verdrehen. Dabei rechne ich es ihr eigentlich hoch an, dass sie überhaupt mitgekommen ist, um Schmiere zu stehen. Auch wenn sie mir seit Tagen damit in den Ohren liegt, dass mein Plan überhaupt keine gute Idee ist.

»Gehen wir noch mal alles durch.«

Sie schnaubt. »Echt jetzt? Noch mal? Das haben wir doch schon zehn Mal gemacht.«

Ich werfe ihr einen stummen Seitenblick zu. Jo verzieht das Gesicht.

»Okay, von mir aus. Hawthorne schließt ab. Wir warten, bis er weg ist, und du brichst in die gruseligste Bibliothek der ganzen Uni ein, während ich hier draußen sitzen bleibe, mitten im gruseligsten Teil des gesamten verdammten Campus, und aufpasse, dass dich niemand überrascht.«

Ich grinse zufrieden. »War das so schwierig?«

»Das kostet dich was, Campbell.« Jo verschränkt schmollend die Arme vor der Brust. »Ich könnte meinen Abend mit angenehmeren Dingen verbringen.«

Es steht ihr auf der Stirn geschrieben, dass sie jetzt lieber bei ihrem Verlobten wäre, der sie verbotenerweise bis zum Morgengrauen durchvögelt, anstatt mit mir in einem Jasmingebüsch zu hocken und sich eine Blasenentzündung zu holen.

»Vielen Dank für deine große Opferbereitschaft«, säusele ich.

»Kein Ding. Du kommst einfach mit auf die ›Shadows & Swing‹-Soirée und wir sind quitt«, entgegnet sie, ohne mit der Wimper zu zucken.

Diesmal verdrehe ich wirklich die Augen.

Josephine Rosewood und ich sind nicht wirklich befreundet, zumindest wenn man mich fragt. Genau genommen wohnen wir zufällig im selben Wohnheim, und sie schleppt mich drei Mal die Woche in ihre Lerngruppe, die im Grunde eine Selbsthilfegruppe für menschliche Studentinnen ist. Aber da es in meinem Leben nicht unbedingt von Leuten wimmelt, die ich um Hilfe bitten kann – genauer gesagt, musste ich Jo damit bestechen, sie auf die angesagteste Tanzveranstaltung der Uni zu begleiten – , konnte ich nicht wählerisch sein.

Immerhin ist heute die einzige Gelegenheit, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Der Blutmond zeigt sich nur alle siebenundfünfzig Jahre so klar und rot am Himmel wie heute Nacht, und sämtliche Vampire der nördlichen Hemisphäre sind die ganze Nacht damit beschäftigt, ihm zu huldigen.

Alle außer einem, wie es aussieht.

Jo holt gerade Luft, zweifellos für eine weitere kritische Nachfrage, als sich am Eingang der Bibliothek etwas bewegt.

»Da ist er ja«, flüstere ich, und ein zufriedenes Lächeln zupft an meinen Mundwinkeln.

Eine große, dunkle Gestalt schiebt sich aus dem Eingangsportal. Mein Körper spannt sich an, während ich den finstersten Vampir der Darkthorn University dabei beobachte, wie er einen mürrischen Blick in Richtung Vollmond wirft.

Ethan Hawthorne, Master des Corvus Vampir College und arroganter Schnösel par excellence.

Selbst auf zwanzig Meter Entfernung von einem Gebüsch aus betrachtet wirkt er gigantisch, wie er mit seinen fast schon lächerlichen ein Meter siebenundneunzig auf der Treppe stehen bleibt und in den Himmel starrt. Grundsätzlich könnte man ihn für gutaussehend halten, wenn man auf große, breitschultrige Typen mit dunklen Locken und noch dunklerem Blick steht. Allerdings weiß ich aus praktischer Erfahrung, dass Hawthorne ein aufgeblasener Wichtigtuer ist und er das, was ich heute Nacht vorhabe, mehr als verdient.

Natürlich trägt er auch heute seinen prätentiösen knielangen Mantel. Gerade klappt er seinen Kragen hoch, wie ich es schon so oft an ihm beobachtet habe. Als hätte er etwas zu verbergen. Und das hat er wahrscheinlich auch. Vampire haben immer etwas zu verbergen. Im Hüten ihrer Geheimnisse sind sie Weltmeister.

Doch zumindest heute Abend werde ich ihm eines seiner Geheimnisse entreißen. Ich beiße mir aufgeregt auf die Unterlippe, und meine Hand gleitet in die Tasche meiner Jacke, umfasst das warme Metall des schmiedeeisernen Schlüssels, den ich schon seit ein paar Tagen mit mir herumschleppe wie einen Sprengsatz, der nur darauf wartet, hochzugehen.

»Willst du das wirklich durchziehen?«, flüstert Jo und bringt es fertig, noch aufgeregter zu klingen.

Ich antworte nicht. Mein Blick klebt an Hawthorne, der gerade einen Schlüsselbund aus seiner Manteltasche zieht, an dem mehrere Schlüssel ähnlicher Machart baumeln. Alt und handgeschmiedet, mit langen Bärten und schnörkeligen Griffen. Routiniert schließt er die Tür zur Bibliothek ab. Man hört den metallenen Mechanismus bis zu unserem Versteck im Gebüsch einrasten.

Hawthorne steckt den Schlüssel wieder ein, zieht anschließend eine goldene Taschenuhr an einer Kette aus seinem Mantel und wirft einen Blick darauf. Dann steckt er sie hastig wieder ein und setzt sich in Bewegung.

Jo und ich schauen ihm nach, wie er mit langen Schritten über die kopfsteingepflasterten Straßen der Shadow Lanes davoneilt, die nahezu verlassen im roten Mondlicht liegen. Lediglich ein paar weitere verspätete Vampire hasten wie Hawthorne in Richtung des steinernen Torbogens, der auf den Campus und damit zum Rest der Universität führt.

»Ob er auf dem Ball tanzen wird? Was meinst du?«, fragt Jo.

Ich schnaube und schüttele den Kopf.

Der Blutmondball in Dunagle Castle in der Nähe des Unistädtchens St. Bellbook ist das wichtigste Ereignis für sämtliche Hives im Vereinigten Königreich. Wahrscheinlich bekommt Hawthorne allein für seine Verspätung von seiner Vampirkönigin einen gigantischen Anschiss. Ein Gedanke, der mir sehr gefällt.

»Der hat zu viele Stöcke zu tief in seinem Arsch stecken, um zu tanzen«, brumme ich und richte mich langsam aus meiner hockenden Position auf.

Mir völlig egal, was Hawthorne und seine Blutsaugerkumpane bei ihrer Blutmondparty veranstalten. Der springende Punkt ist, während sie ihre albernen Menuette tanzen, sich mit Blut in Kristallgläsern zuprosten und artig ihren Hofknicks zu Ehren ihres jeweiligen Vampirmonarchen vollführen, sind sie nicht im Noir.

Und genau da muss ich hin. Hinab ins Noir – das Labyrinth, das sich unter unseren Füßen erstreckt wie ein weit verzweigtes Spinnennetz. Eine geheime Welt unter der Universität mit ihren eigenen Regeln; eine Welt, die streng verboten ist für Menschen.

»Falls er zurückkommt, oder sonst jemand, kontaktiere mich umgehend«, zische ich und hole zur Erinnerung ein leeres kleines Pergament aus meiner anderen Jackentasche.

Jo hält stirnrunzelnd ein ebenso leeres Stückchen Pergament hoch, das sie aus der Tasche ihres Kaschmirmantels hervorgezogen hat.

Kein Zweifel, als Tochter eines schwerreichen Industriellen hat Jo im Gegensatz zu mir kein Stipendium gebraucht, um an der Darkthorn University, Schottlands angesehenster magischen Hochschule, angenommen zu werden. Allerdings sind menschliche Studentinnen wie sie und ich bis vor ein paar Jahren überhaupt nicht zugelassen worden, daher nehme ich ihr ihren Reichtum nicht übel.

»Wie funktioniert das noch mal?«, fragt sie skeptisch und wedelt mit dem Pergament.

Ich seufze. »Wenn Hawthorne zurückkommt oder irgendjemand die Bibliothek betritt, schreibst du in großen Buchstaben MAYDAY auf das Pergament«, sage ich. »Dann weiß ich, dass ich abhauen muss.«

»Und das taucht dann wirklich auf deinem Pergament auf?«, fragt Jo.

»Ja, das taucht da wirklich auf. Das ist ein total simpler Runenzauber«, erkläre ich ungeduldig.

Das müsste Jo eigentlich wissen, schließlich sitzen wir beide im selben Hexologie-Seminar und das kam im ersten Semester Runenkunde dran. Genau genommen handelt es sich bei diesem Pergament um die allerniedrigste Form der Magie, die nicht einmal einen gleichwertigen Austausch erfordert. Das bedeutet, selbst Nichtmagische wie Jo und ich können diesen Zauber problemlos verwenden. Der einzige Knackpunkt ist das Pergament, das heutzutage kaum zu bekommen ist. Es war pures Glück, dass der Magieshop südlich der Witchywood Alley, in der zwielichtigen Ecke von St. Bellbook, wo ich mich für diese Mission ausgerüstet habe, noch zwei Exemplare vorrätig hatte.

»Okay«, murmelt Jo.

Ich nicke einmal knapp, stecke das Pergament ein und setze mich in Bewegung.

»Überleg’s dir lieber noch mal«, zischt mir Jo hinterher, doch ich ignoriere sie und überquere hastig den Platz vor der Bibliothek.

Dabei beglückwünsche ich mich selbst, dass ich meine übliche Garderobe heute Abend durch bequeme Hosen und Schuhe ausgetauscht habe. Ein kurzer Rock oder eines meiner geliebten Kleider wäre bei dieser Aktion absolut fehl am Platz.

Dabei trage ich gerne Kleider. Auch wenn es gewisse Leute zu stören scheint, dass ich zum Beispiel Beine habe und diese auch gerne zeige, weil wir nun mal im zwanzigsten Jahrhundert leben und die Mode sich seit dem Mittelalter weiterentwickelt hat.

Ich eile an einem der vielen Blutspende-Plakate vorbei, die überall auf dem Campus aushängen:

KEEP THE PEACE – GIVE BLOOD

Am Eingangsportal zücke ich den Schlüssel. Mein Puls erhöht sich, als ich ihn vorsichtig in das Schloss schiebe.

Lieber nicht dran denken, dass ich, um überhaupt an diesen Schlüssel zu gelangen, mich in die schmierigste Kellerbar in St. Bellbook begeben musste, wo junge Damen wie ich nicht mal bei hellem Tageslicht etwas zu suchen haben.

Ich denke auch nicht daran, dass mein geheimnisvoller Auftraggeber sich für diese Operation nicht persönlich hat blicken lassen. Stattdessen überreichte mir der ebenso schmierig aussehende Wirt den Schlüssel nebst einem Briefumschlag, garniert mit einem anzüglichen Grinsen, das ich geflissentlich ignorierte.

Und schon gar nicht denke ich an die möglichen Konsequenzen meines Plans. Wenn ich erwischt werde, fliege ich von der Uni, völlig egal wie gut meine Noten sind oder dass mein bisheriges Leben absolut unkriminell verlaufen ist.

Aber ich habe keine Wahl. Ich muss meinen Plan durchziehen. Ich darf mich nur nicht erwischen lassen, so einfach ist das.

Adrenalin flutet meine Adern, als ich den Schlüssel im Schloss herumdrehe. Die massive Tür springt auf. Hastig schlüpfe ich durch den sich öffnenden Spalt und ziehe sie wieder hinter mir zu, den Schlüssel fest in meiner Faust.

Mein Herz hämmert in meinen Ohren, als ich das Foyer der Bibliothek durchquere. Die Spindreihen und die leere schmiedeeiserne Garderobe liegen einsam in der Dunkelheit da. Niemand ist hier.

Zumindest hoffe ich das.

Konzentrier dich, befehle ich mir selbst. Ich stecke den Schlüssel wieder in meine Jacke und durchquere die nächste Tür, um in den Hauptsaal zu gelangen.

Wie immer überkommt mich ein freudiger kleiner Schauer, als ich durch die Tür trete. Selbst im fahlen Schein der Notbeleuchtung ist die Corvus Bibliothek eines der beeindruckendsten Gebäude auf dem gesamten Campus.

Hohe Decken wölben sich majestätisch über dem Saal, bedeckt mit einem wunderschönen Deckenfresco voller Engel und Teufel, die leicht bekleidet in einem himmlischen Wolkenmeer umhertollen. An den Wänden reihen sich Regale aus dunklem, poliertem Holz, die bis zur Decke reichen, hie und da versehen mit langen Leitern und über und über gefüllt mit Büchern in allen Formen und Größen. Die vielfarbigen Einbände schimmern matt unter der Notbeleuchtung, die einen milchigen Schein auf die marmornen Bodenfliesen wirft.

Die Säulen, die den Saal säumen, sind allesamt mit Raben aus dunklem Marmor verziert, deren schlanke steinerne Gestalten mit leeren Augen und langen Schnäbeln auf mich herabblicken.

In der Mitte des Raumes erstreckt sich ein langer, massiver Lesetisch, auf dem noch ein paar vergessene Notizen herumliegen. Die grünen Messinglampen an den Leseplätzen sind ausgeschaltet. Der Saal ist leer. Die Stille wird nur vom leisen Echo meiner Absätze auf dem Boden durchbrochen, während ich mal wieder nicht anders kann, als die einzigartige Atmosphäre in mich aufzusaugen wie ein gieriger Schwamm.

Ich liebe Bibliotheken. Diese hier hat einfach etwas ganz Besonderes an sich. Die Luft ist erfüllt vom dezenten Duft alter Pergamente, Ledereinbände und polierten Holzes, in den ich mich am liebsten einwickeln würde wie in eine gemütliche Decke.

Zusätzlich ist die Corvus Bibliothek auch noch fantastisch sortiert. Also genau das Richtige für eine Recherche-Enthusiastin wie mich. Gebt mir alte Archive, Mikrofilme und eingestaubte Folianten und ich bin so glücklich wie ein Kind im Süßigkeitenladen.

Doch natürlich hat auch dieser Ort einen Haken. Genau wie alles in meinem Leben einen Haken hat.

An der Stirnseite des Saals, unter einem der mit schwarzem Onyxglas verdunkelten Fenster, steht ein Schreibtisch. Gefertigt aus massivem schwarzen Holz, dominiert er den gesamten Raum, scheint das wenige Licht zu schlucken. Er steht etwas erhöht auf einem Podest und ragt so über den langen Lesetisch zu seinen Füßen, als wäre er der Thron für den König der Unterwelt.

In meinem Magen bildet sich ein wütender Knoten.

Hawthornes Schreibtisch ist nicht durchgehend besetzt, aber an ein paar Stunden am späten Nachmittag und nach Sonnenuntergang findet man den Chefbibliothekar höchstpersönlich dort vor, entweder in Folianten vertieft, deren dicke, handgeschöpfte Seiten er vorsichtig mit einer Pinzette umblättert, oder wie er auf irgendeiner Bestandsliste mit zackigen Bewegungen Dinge durchstreicht.

Oder aber, wie er Studierende davon abhält, Wissen zusammenzutragen. Denn wenn Hawthorne eine Sache beherrscht, ist es Gatekeeping.

Vor zwei Jahren fand ich das zum ersten Mal heraus. Ich war ein naives, frischgebackenes Erstsemester – und eine von zwanzig weiblichen menschlichen Studentinnen, die zum allerersten Mal zum Studium an dieser Uni zugelassen wurden. Menschliche Männer können bereits seit Kriegsende 1918 hier studieren. Die allermeisten Frauen, egal ob magisch oder nicht, dürfen im Vereinigten Königreich bis heute noch nicht einmal wählen. Aber wenigstens lassen sie uns endlich an die Universitäten.

Ich jedenfalls konnte mein Glück kaum fassen, die heiligen Hallen der Academia zu betreten.

Als ich jedoch das erste Mal meinen Fuß in diese Bibliothek setzte, starrten mich die Hexen, Werwölfe und Vampire an den Leseplätzen erstaunt und ein wenig pikiert an. Der magische Teil der Bevölkerung ist über die zunehmende Gleichberechtigung Nichtmagischer nach wie vor gespalten. Und wie ich außerdem schnell lernte, wagen sich die wenigen Menschen an der Universität so gut wie nie in die sogenannten Shadow Lanes hinein, einen von einer alten Burgmauer eingefassten Teil der Universität, wo sich die paranormalen Colleges und unter anderem auch diese Bibliothek befinden. Und wo der magische Teil der Bevölkerung anscheinend lieber unter sich bleibt.

Doch schon damals kümmerte es mich nicht, wem ich mit meiner Anwesenheit auf die paranormalen Zehen trat, und auch jetzt recke ich mein Kinn trotzig in die Dunkelheit hinein, als ich an Hawthornes Schreibtisch vorbeimarschiere.

Die Corvus Bibliothek hat einen Präsenzbestand. Das bedeutet, man kann kein einziges der vielen wunderschönen Bücher ausleihen, die sich in den barocken Regalen bis zur hohen Decke stapeln. Man darf sie nur an den Leseplätzen lesen und muss sie im Anschluss sofort wieder an ihren Standort zurückstellen.

Wenn man allerdings ein Buch aus der sogenannten Geheimen Sektion ausleihen will, dem hinteren Teil der Bibliothek, zu dem niemand außer Hawthorne Zugang hat und in dem die richtig interessanten Bücher stehen, mit vitalen Informationen über alte Magie und die Geschichte der Uni, muss man persönlich bei ihm anfragen.

Genau das tat ich an meinem ersten Tag in der Corvus Bibliothek vor fast genau zwei Jahren. Er schaute mich von seinem Platz hinter seinem monströsen Schreibtisch aus an, als könnte er gar nicht verstehen, was ich hier wollte.

»Bedaure, die Abhandlung über noctarine Runen von Collins und Archibald können Sie nicht über diesen Standort beziehen, Ms …« Er kniff die Augen zusammen und las meinen Namen auf meinem Bibliotheksausweis, den ich ihm auf seinen Schreibtisch gelegt hatte. »… Camelle?«

»Campbell«, entgegnete ich zuckersüß. »Katherine Campbell. Und warum kann ich das Buch nicht beziehen? Laut Katalog befindet es sich doch hier, in dieser Bibliothek, oder etwa nicht?«

Ich hielt ihm meinen Zettel mit der Signatur des Buches hin, das ich dringend für mein Hexologie-I-Seminar brauchte. Ich war eine von vier menschlichen Teilnehmerinnen ohne jegliche magischen Fähigkeiten und damit ohnehin schon im Nachteil. Ich brauchte das Buch dringend. Hawthorne allerdings schaute von seinem erhöhten Platz auf mich herab, als sei ich vollkommen durchgeknallt.

»Tut mir leid, keine Ausleihe an Nichtmagische«, sagte er kühl, wandte sich wieder seinen Bestandslisten zu, und mir blieb der Mund offen stehen.

Ich schwöre, der einzige Grund, warum er mich in dem Moment aus der Fassung bringen konnte, war, dass ich es in meiner ersten Uniwoche einfach nicht besser wusste. Ethan Hawthorne, Master des prestigeträchtigen Corvus College für Vampire, verabscheut Menschen. Ihm ist es ein inneres Blumenpflücken gewesen, mich auflaufen zu lassen. Und er würde auch in Zukunft nichts unversucht lassen, um mir das Leben schwer zu machen.

Die Hände zu Fäusten geballt, durchquere ich den schummrigen Lesesaal. Heute Nacht jedenfalls werde ich ihm mit Vergnügen alles heimzahlen, auch wenn das lediglich eine Nebenmission ist.

Quid pro quo, Mr Gatekeeper.

Schließlich erreiche ich die schwarz lackierte unscheinbare Tür am anderen Ende des Saales, die zwischen zwei steinerne Säulen in die massive Granitwand eingelassen ist.

Ich halte inne und betrachte die Inschrift, die über dem schwarzen Türrahmen in den Stein darüber gehauen wurde und links und rechts von einem stilisierten Raben flankiert wird.

Der Eingang ins Labyrinth. Für Vampire eine völlig normale Tür, durch die sie täglich ein und aus gehen. Es gibt auf dem gesamten Unigelände zahllose Türen wie diese, um Vampiren sonnenunabhängig Zugang zu sämtlichen Gebäuden zu ermöglichen. Doch für mich ist diese Tür wie der versteckte Eingang in eine altägyptische Grabkammer.

Mein Hals wird trocken, als ich den Schlüssel aus meiner Jackentasche ziehe und ihn in das ebenfalls schwarz lackierte Schloss stecke.

Was ich hier tue, ist genau genommen illegal. Aber in anderem Licht betrachtet setze ich mich lediglich über ein jahrhundertealtes und unfaires Gesetz hinweg, das sich zweifellos ein paar paranormale alte Säcke ausgedacht haben, um zu verhindern, dass Menschen – und Frauen insbesondere – bloß keinen Krümel ihrer Macht abbekommen. Von daher hält sich mein schlechtes Gewissen in Grenzen.

Mein Herz pocht hart in meinen Ohren, als der Schlüssel im Schloss einrastet.

Jeder Vampir trägt einen solchen Schlüssel mit sich. Niemals darf ein Mensch, oder jemand anderes, der im Noir keinen Zutritt hat, einen in die Hände bekommen.

Tja … jetzt halte ich einen in meiner Hand. Allerdings hängt auch die bange Frage in meinem Hinterkopf, ob er wirklich funktioniert. Ob er auch bei der Tür zum legendären Noir passen würde.

Doch die Tür schwingt auf, und ein kalter, etwas muffiger Luftzug weht mir entgegen, als ich hindurchtrete.

Vaters Worte hallen kurz durch meinen Hinterkopf, dass mich meine verdammte Neugier eines Tages noch umbringen wird, doch ich blende sie aus.

Neugier ist die wichtigste Tugend einer guten Journalistin. Dazu eine ordentliche Portion Sturheit. Beides Eigenschaften, die ich laut meinem Vater im Überfluss besitze – auch wenn das in seinen Augen nichts Positives ist. Seiner Meinung nach sollte ich mich auf meine häuslichen Fähigkeiten besinnen und das verdammte Essen auf den Tisch bringen, anstatt ständig auf der verdammten Schreibmaschine herumzuhacken.

Mein Chefredakteur beim Bellbook Archane Chronicle ist ähnlicher Ansicht wie mein Vater. Wenn es nach ihm ginge, hätte ich den Job dort niemals bekommen. Daher ist es besser, wenn er von meiner nächtlichen Einbruchaktion nie erfährt, denn dann hätte er endlich einen Grund, mich zu feuern. Ein Jammer, denn das Ganze gäbe eine verdammt gute Titelseite ab:

Unbekannter Meisterdieb bricht ins Noir ein und stiehlt kostbares Zauberbuch. Vampire bis auf die Knochen blamiert. Alle Details auf Seite 2.

Im Halbschatten hinter der Tür entdecke ich eine Wendeltreppe, die tief in einen dunklen Schacht hineinführt. Aufgeregt ziehe ich die Taschenlampe aus meinem Rucksack und leuchte hinab. Der Lichtkegel glänzt an den metallenen Stufen und verliert sich in der Finsternis. Es geht tief nach unten.

»Dann mal los«, murmele ich entschlossen und setze mich in Bewegung.

Ich hasse Vampire. Seit meine Mutter mit einem von ihnen durchgebrannt ist, bin ich absolut kein Fan von dieser blutsaugenden Spezies.

Pech für mich allerdings, denn sie sind überall. Vampire besetzen die wichtigsten Positionen in der Gesellschaft, halten die Zügel in Politik und Wirtschaft fest in ihren manikürten Fingern. Keine wichtige Entscheidung in dieser Welt wird getroffen, ohne dass ein Vampir mitgemischt hat. Doch wie kann man eine solche Vormachtstellung über Jahrhunderte aufrechterhalten, wenn ein Sonnenstrahl reicht, damit man zu Staub zerfällt?

Die simple Antwort: Man geht in den Untergrund.

Sämtliche Städte dieser Welt sind unterhöhlt von verzweigten Geflechten aus Tunneln, Gängen und Katakomben, in denen sich Vampire und andere nachtaktive Paranormale unabhängig von der Tageszeit bewegen können. Die Antwort auf die Frage, wie Vampirpolitiker mitten am Tag einer Parlamentsdebatte beiwohnen können oder wie die blutsaugenden Studenten der Darkthorn University an Vorlesungen teilnehmen können, die stattfinden, während draußen die Sonne scheint.

Der Ursprung des Labyrinths unter unserer Uni hat allerdings einen anderen Hintergrund, als Vampiren die Fortbewegung zu erleichtern. Damals, im finsteren Mittelalter, haben ein paar machtgierige Zauberer einfach ein bisschen zu tief gegraben, auf der Suche nach der Quelle der Magie, oder was auch immer Mystisches sie hier unten zu finden hofften.

Sie weckten jedoch etwas auf, das besser im Dunklen geblieben wäre. Etwas mit Klauen, Zähnen und Tentakeln, das sie angriff, sich seinen Weg an die Oberfläche grub, dunkle Magie um sich warf und drohte, das Gefüge der Realität zu vernichten. Richtig dumm gelaufen also. Der Hohe Magier Magnus Darkthorn opferte sich heldenhaft, um das Böse zu bannen – oder so ähnlich geht die Legende über unseren Unigründer, die man in kitschigen Touristenbroschüren nachlesen kann.

Angeblich treiben hier unten noch immer gefährliche magische Dinge ihr Unwesen. Also genau die Art Gruselgeschichte, die ich ebenfalls verbreiten würde, wenn ich Menschen und andere Nichtmagische aus meinem geheimen Labyrinth fernhalten will.

Während ich zügig den Gang hinablaufe, tanzen dennoch kalte Schauer mein Rückgrat hinauf, und das Echo meiner Schritte hallt an den Wänden wider. Es klingt unnatürlich tief und voll, als wäre dieser Gang nur ein winziger Teil eines gigantischen Klangkörpers, der tief in den Bauch der Erde hineinragt.

Ich schüttele den Kopf und trabe weiter.

Das hier ist nur ein Gang, nichts weiter, rufe ich mich zur Ordnung. Sämtliche dunkle Magie, die es gibt, ist sicher in Zauberbüchern eingesperrt, und es geistern auch keine fiesen Flüche herum, die nur darauf warten, dass sich ein Mensch hier herunterwagt, um gefressen zu werden. Das sind alles nur Gerüchte. Gut, es ist ein kleines bisschen gruselig hier unten, aber das ist kein Grund, schneller zu laufen. Und in den Schatten hinter mir verbergen sich auch keine winzigen leuchtenden Augen, die verschwinden, sobald ich mich umsehe.

Das bilde ich mir alles nur ein.

Immerhin, über meinem Kopf verbreiten magische Illuminatio-Sphären schummriges Licht, sobald ich in ihre Nähe komme. Sehr praktisch, denn so kann ich die Batterie meiner Taschenlampe schonen. Außerdem sind sie ein Zeichen dafür, dass dieser Gang regelmäßig benutzt wird und es sehr unwahrscheinlich ist, dass sich irgendetwas Gefährliches aus einem Schatten auf mich stürzt.

Um mich zu orientieren, werfe ich einen Blick auf die Karte, die mir der schmierige Wirt zusammen mit dem Schlüssel überreicht hat. Eine stilisierte Blaupause der Corvus Bibliothek, die sich etwa zwanzig Meter über meinem Kopf befinden muss.

Entschlossen folge ich dem eingezeichneten Weg einen weiteren verlassenen Gang hinab, der ebenfalls überhaupt nicht gruselig ist, auch wenn es mich wundert, dass hier nicht wenigstens ein paar Totenköpfe und abgenagte Knochen herumliegen.

Jetzt bloß nicht durchdrehen, Kat. Das Schwarze Grimoire ist zum Greifen nah.

Ich beschleunige meine Schritte, und ein altbekannter und wohlgepflegter Zorn mischt sich in meine beklemmende Gruselstimmung.

Im Grunde ist Hawthorne schuld an meinem Einbruch hier.

Schlimm genug, dass er mir nur ausgesprochen widerstrebend Bücher aus dem öffentlich zugänglichen Katalog aushändigt. (Nach seiner ersten Ablehnung kam ich tags darauf mit einem etwas erzürnten Schreiben meiner Professorin wieder, woraufhin Hawthorne mir zähneknirschend das Exemplar Nocturne und Runen von Collins und Archibald über seinen Schreibtisch schob. Den Rest des Tages trug ich ein triumphierendes Lächeln in meinem Gesicht spazieren.)

Doch die Vampire des Corvus College sitzen auf einem noch viel größeren Schatz, den sie hier im Noir verstecken.

Darkthorns Archiv – eine geheimnisvolle Bibliothek voller Zauberbücher, in der der Nachlass unseres Unigründers aufbewahrt wird. Niemand hat dort Zutritt. Nicht einmal der Dekan.

Genau dorthin sollen mich der Plan und der geheimnisvolle Schlüssel führen.

Ich beiße meine Zähne noch fester zusammen, als ich mich dem Ende des Ganges nähere und mir vorstelle, wie Hawthorne eine Ader an der Stirn platzt, wenn er mich jetzt sehen könnte. Dieser aufgeblasene Lackaffe hat es absolut herausgefordert.

An jenem Tag vor zwei Jahren nämlich, an dem er mir das Buch von Archibald und Collins ausleihen musste, musterte er mich von oben bis unten mit seinen irritierend eisblauen Augen, verzog dann abschätzig den Mund und sagte mit sirupdunkler Stimme: »Sie sollten sich eine andere Universität suchen, Ms Campbell.«

»Ach, und wieso das?«, entgegnete ich und nahm das Buch entgegen, das er mir mit seiner großen, sehnigen Hand hinhielt.

»Sie haben keinerlei magische Fähigkeiten«, sagte er knapp. »Sie sollten lieber Platz machen für Studierende, die die nötige Befähigung mitbringen und tatsächlich hierhergehören.«

Ich war so empört, dass mir wie bei einem Karpfen der Mund aufklappte. »Was bilden Sie sich eigentlich ein?«, stieß ich hervor, doch Hawthorne ließ sich nicht beeindrucken.

»Es ist eine simple Tatsache«, fuhr er emotionslos fort. »Ihr Studienplatz ist eine fatale Verschwendung von Ressourcen. Jemand wie Sie sollte sich lieber einen Ehemann suchen und das Studium der Magie denjenigen überlassen, die Ahnung davon haben.«

Selbst heute, zwei Jahre später, schnürt sich mir noch immer die Kehle zu, sobald ich an seine Worte denke. Hoffentlich explodiert diesem arroganten Angeber der Kopf, wenn er herausfindet, dass heute Nacht jemand in seine kostbare magische Bibliothek eindringt.

Und er wird es herausfinden, das ist absolut sicher. Man kann kein gefährliches Zauberbuch stehlen, ohne dass jemand davon Wind bekommt. Allerdings, wenn das geschieht, bin ich längst weg und habe alle Spuren verwischt – und endlich genau die Fähigkeiten, an denen es mir so tragisch mangelt.

»Für dich, Lily«, murmele ich, als ich das Ende des langen Ganges erreiche. Der Eingang zum geheimnisvollen Archiv ragt vor mir auf, zwei mächtige Türflügel, so dunkel, dass sie das wenige Licht zu verschlucken scheinen. Mit angehaltenem Atem ziehe ich den Schlüssel aus meiner Jackentasche.

Meine Mission ist simpel. Ich muss meine beste Freundin retten. Die eine Person, die für mich einer Schwester am nächsten kommt. Dazu muss ich ein Zauberbuch stehlen.

Nur deshalb bin ich hier.

Schuld flammt schmerzhaft in mir hoch, legt sich um meinen Hals wie eine brennende Schlinge. Das hier ist meine einzige Chance. Was mit Magie zerstört wurde, kann nur durch Magie geflickt werden.

Ich darf jetzt nicht versagen.

»Nur für dich«, wiederhole ich entschlossen, schiebe den Schlüssel in das altmodische Schlüsselloch und drehe ihn herum.

Doch er rührt sich nicht.

Stirnrunzelnd starre ich das Schloss an. Rüttele ein wenig am geschmiedeten Messinggriff in meiner Hand. Nichts passiert. Es klemmt. Was zur Hölle?

Ich stoße einen unterdrückten Fluch aus und versuche erneut, den Schlüssel herumzudrehen, doch etwas im Mechanismus verhakt sich. Ein Widerstand, der sich … falsch anfühlt.

Und magisch.

Misstrauisch schnuppere ich in der Luft. Es riecht nach Metall. Und Schwefel. Jemand verwendet Magie, um zu verhindern, dass ich die Tür öffne.

Und das bedeutet, ich bin nicht allein.

Erschrocken fahre ich herum, der Kegel meiner Taschenlampe schlingert den Gang hinab. Niemand zu sehen. Der Gang ist leer …

Halt.

Ich gefriere innerlich, als ich weit hinten im Schatten eine Bewegung wahrnehme. Nur mit Mühe unterdrücke ich einen Aufschrei, als ein dumpfes Knurren ertönt. Meine Nackenhaare stellen sich senkrecht, Adrenalin schneidet durch mich hindurch wie eine Klinge.

Sämtliche Gruselgeschichten, die man sich über das Noir erzählt, fallen mir wieder ein. Und plötzlich erscheinen sie mir nicht mehr abwegig, sondern beißend real. Besonders, als das Knurren lauter wird, sich in ein fauchendes Zischen verwandelt und ich das Geräusch von Krallen auf kaltem Steinboden vernehme. Wie etwas Großes und Hungriges, das schnell näher kommt.

Ein gigantischer pelziger Körper schnellt aus den Schatten hervor, und ich schreie auf. Ich sehe gesträubtes Fell, ledrige Ohren, blutrote Augen und gefletschte Zähne. Eine Ratte, größer als ein verdammtes Rindvieh, kommt wie von einem Katapult geschossen auf mich zugaloppiert. Meine Taschenlampe fällt auf den Boden. Ich pralle mit dem Rücken gegen die Tür.

Mist!

Hier gibt es doch Monster. Und jetzt hat mich eines von ihnen gefunden und beschlossen, dass ich ein prima Abendessen abgebe.

Ich reiße meine Arme hoch, im vergeblichen Versuch, mich zu schützen, als plötzlich ein weiterer Schatten vor mir auftaucht wie eine rasende Sturmwolke.

Erneut pralle ich gegen die Tür, diesmal mit dem Hinterkopf. Ich sehe kurz Sterne und sinke zu Boden. Ein dumpfer Schlag ertönt. Dazu ein Winseln, als hätte jemand einen Hund getreten. Dann erstirbt der Sturm um mich herum, und die galoppierenden Schritte entfernen sich schnell. Anscheinend hat das Monster es sich anders überlegt und lieber Reißaus genommen.

Ich blinzele und schüttele den Kopf, richte mich langsam auf Hände und Knie auf – und erstarre.

Vor mir steht ein makellos poliertes Paar Schuhe, so schwarz wie Lakritz. Darüber ragen nachtschwarze Hosenbeine auf, natürlich mit akkurater Bügelfalte. Darüber der Saum eines kniehohen schwarzen Mantels. Ich schlucke und blicke an der langen Gestalt von Ethan Hawthorne hoch wie an einem Wehrturm, immer höher und höher, bis ich schließlich sein Gesicht erreiche, mit seinen scharf geschnittenen Wangenknochen und dennoch irritierend weichen Zügen.

Und seinem eiskalten kobaltblauen Blick, der sich wie Wurfdolche in mich hineinbohrt.

»Ms Campbell«, sagt er mit dunkler Stimme. »Ich hätte wissen müssen, dass ich Sie hier unten finden würde.«

KAPITEL 2

… während also für den großen Teil der nichtmagischen Studierendenschaft der Zugang zu wichtigen Unterlagen verwehrt bleibt, können sich Vampire stets darauf verlassen, genau diesen Zugang zu erhalten – ohne dass die Universitätsleitung auch nur das Geringste gegen diesen Missstand unternimmt.

»ZWEIERLEI MASS AN DER DARKTHORN UNIVERSITÄT« – BELLBOOK ARCHANE CHRONICLE VOM 25. JUNI 1924, EIN AUFKLÄRUNGSARTIKEL VON KATHERINE CAMPBELL

ETHAN

Der Bone-Eater heult wütend auf, bevor er mit gesträubtem Fell und angelegten Ohren im Dunkel des Ganges verschwindet.

Ich blicke ihm stirnrunzelnd nach. Normalerweise wagen sich diese Kreaturen nicht so weit an die Oberfläche. Doch so ausgezehrt, wie dieses Exemplar aussah, das gerade Ms Campbell bei ihrem Einbruch gestört hat, ist es der Hunger, der dieses Ungeziefer aus ihren Löchern treibt.

Die Dinge im Noir stehen wirklich schlecht, wenn sie sich bis hierhin wagen.

In mein Territorium.

Noch so ein Zeichen, dass die Welt sich schneller verändert, als mir lieb ist.

»Was war das?«, keucht Ms Campbell. Sie sitzt auf ihrem Hosenboden und starrt entsetzt in die Richtung, in die das Ungeziefer verschwunden ist.

»Ein Bone-Eater, eine Art Rattenmonster«, antworte ich betont ruhig. »Eine niedere magische Kreatur aus den Tiefen des Noir, immer hungrig und immer auf der Suche nach Nahrung. Frisst am liebsten die Knochen neugieriger Menschen.«

Ich wende mich ihr zu, sehr darauf bedacht, den in mir brodelnden Ärger nicht durchblicken zu lassen. Normalerweise ist es mir ein Leichtes, keinerlei Gefühlsregung nach außen zu zeigen. Gewissermaßen mein Markenzeichen.

Sie allerdings bereitet mir in dieser Hinsicht zusehends Kopfzerbrechen.

In den hundertsiebenundsechzig Jahren meiner Existenz hat noch niemals jemand dermaßen meine Geduld strapaziert wie Katherine Campbell. Und ich habe immerhin die Französische Revolution mitgemacht. Doch diese kleine menschliche Nervensäge hat es sich in den letzten zwei Jahren auf die Fahnen geschrieben, mir das Leben schwer zu machen.

So auch heute Abend.

Warum sollte ich sie sonst ausgerechnet hier vorfinden, in den Tiefen des Noir, direkt vor der Tür zu Darkthorns Archiv. Ich hätte es eigentlich schon wissen können, als auf dem Ball während der Eröffnungsrede vom Master des Umbra College der kleine magische Alarm in meiner Taschenuhr anfing zu zirpen, um einen Einbrecher zu melden.

Eine absolut dreiste Aktion. Nicht einmal die Wölfe des Vanir-Rudels würden es wagen, sich derart mit uns anzulegen.

Ms Campbell riskiert allerdings auch keinen kompliziert austarierten Friedensvertrag. Sie wird jedoch ihr Stipendium verlieren und selbstverständlich exmatrikuliert werden. Die Universitätsleitung versteht bei Regelbrüchen keinerlei Spaß. Gerade macht sie nicht den Eindruck, als würde sie das sonderlich kümmern, während sie meinem Blick mit dem üblichen trotzigen Funkeln in ihren Augen begegnet.

»Was machen Sie überhaupt hier?« Sie kniet sich hin und reckt ihr Kinn vor. »Müssen Sie nicht auf Ihrem Ball ein paar hochwohlgeborenen Vampiren die Stiefel küssen?«

Jetzt, da sie ihr Entsetzen abgeschüttelt hat, verzieht sich ihr Mund wieder in dieses abschätzige Schmunzeln, das sie bei jedem unserer Aufeinandertreffen irgendwann zeigt.

Als würde sie mich nicht ernst nehmen.

Mich, den Master des Corvus College, Queen Raven Blacks rechte Hand, den Vampir, vor dem die komplette Universitätshierarchie erzittert, nimmt eine dünne, vorwitzige Menschenfrau nicht ernst. Und das geht mir gehörig gegen den Strich. Dabei sollte es absolut insignifikant sein, was diese notorische Möchtegern-Reporterin von mir hält.

Doch jetzt muss ich mein Gesicht geradezu zwingen, reglos zu bleiben.

»Dummerweise muss ich das verschieben, Ms Campbell, denn Sie haben meinen Abend gerade sehr viel komplizierter gemacht.«

Ich reiche ihr meine Hand, um ihr aufzuhelfen. Eine Erziehung zum Gentleman wird man auch nach über hundert Jahren nicht los. Und der Anblick von ihr vor mir auf den Knien macht mich auf eine Art und Weise nervös, über die ich lieber nicht zu genau nachdenke. Und vor allen Dingen nicht jetzt.

Wo die Luft schon wieder geschwängert ist vom süßen Duft ihres Blutes.

Als sie meine Hand ergreift, rollt unvermittelt eine Welle aus Hitze und Blutdurst durch mich hindurch. So heftig, dass ich, kaum dass sie sicher auf ihren Füßen steht, meine Hand vor ihr zurückziehe, als hätte ich mich verbrannt.

Es hat schon seinen Grund, warum ich stets Abstand zu ihr halte.

Für eine Sekunde kneife ich meine Augen zusammen, zwinge meine Selbstbeherrschung, wieder Haltung anzunehmen. Meine Reißzähne, die sich mit einem schmerzhaften Ziehen in meinem Oberkiefer bemerkbar gemacht haben und hervorzutreten drohten, verstummen.

Als ich meine Augen wieder öffne, lehnt sich Ms Campbell gegen das schwarze Holz der Flügeltüren in ihrem Rücken und schaut mich aus verengten Augen an.

»Wie haben Sie mich gefunden?«, fragt sie.

»Glauben Sie im Ernst, dass es hier keine Alarmsicherung gibt?«, entgegne ich kühl und ziehe die Ärmel meines Mantels glatt. Ihr überraschtes Stirnrunzeln verrät mir, dass sie daran anscheinend nicht gedacht hat.

Sowohl der obere Bereich der Bibliothek als auch dieser Teil des Noir sind mit einer Vielzahl an Bannflüchen und stummen Alarmzaubern gesichert, die alle nacheinander hochgingen wie ein Jahrmarktsfeuerwerk, als Ms Campbell hier durchspazierte. Die Runenzauber in meiner Taschenuhr hörten gar nicht mehr auf zu blinken, während ich eilig aus dem Ballsaal hastete und dem echauffierten Blick von Queen Raven auswich, die nicht gerade begeistert war, dass ich mich vom wichtigsten Event des Jahres entfernte, kaum dass dieses begonnen hatte.

Allerdings würde auch die Königin des Corvus-Hive mir zustimmen, dass ein erneuter Einbruch in Darkthorns Archiv ein absoluter Notfall ist.

Jetzt zieht Ms Campbell ein Stückchen Pergament aus ihrer Hosentasche und wirft einen hastigen Blick darauf.

»Falls Sie sich wundern, warum Ihre kleine Freundin im Jasmingebüsch Sie nicht vor meinem Kommen gewarnt hat«, sage ich, »derart minderwertige Runenpergamente funktionieren hier unten nicht.«

Ihr Mund wird zu einem dünnen Strich, als sie das infernalische Stück Magiemüll wieder einsteckt. Ich hasse diese Dinger. In den Jahren nach Kriegsende wurde die Welt mit allerlei magischem Tingeltangel überschwemmt, mit dem auch Nichtmagische Zugang zu rudimentärer Magie erhalten. Insbesondere Menschen halten sich durch diese verfluchten Dinger immer wieder für unbesiegbar.

Wo doch genau das Gegenteil der Fall ist.

»Und jetzt?«, fragt sie trotzig.

»Ich könnte Sie fragen, was Sie hier unten im Noir überhaupt zu suchen haben. Aber wir beide kennen die Antwort, nicht wahr?«

Sie hält meinem Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken. Normalerweise habe ich diesen speziellen stechenden Blick für Kreuzverhöre reserviert. Die härtesten Typen und die zwielichtigsten Gestalten der Unterwelt sind unter diesem Blick nach wenigen Sekunden eingeknickt. Doch sie nicht, nein. Sie ist die sturste Person, die mir je begegnet ist.

Und sie setzt meinem Nervenkostüm empfindlich zu. Ich lebte hundertfünfundsechzig Jahre gewissermaßen in friedlicher Ahnungslosigkeit, bis ich eines schönen Abends kurz vor Schließung der Bibliothek von meiner Bestandsliste aufsah und eine zierliche blonde Menschenfrau vor meinem Schreibtisch stand, die mich mit einem jadefarbenen Blick durchbohrte.

Sie trug eines dieser neumodischen Kleider mit skandalös kurzem Rocksaum, die anscheinend gerade der letzte Schrei aus Paris sind. Noch vor wenigen Jahrzehnten bedeutete es für eine Dame den gesellschaftlichen Tod, wenn sie auch nur den Hauch eines Knöchels unter ihrem Kleid hervorlugen ließ. Heutzutage kann man froh sein, wenn die Ladys nicht in einem knappen Bananenröckchen zur Vorlesung erscheinen. Und auch Ms Campbells Röcke wirken mitunter, als wären sie mit purer Absicht so kurz, damit die Welt ja nichts vom Anblick ihrer wohlgeformten Beine verpasst.

An jenem Tag allerdings heftete sich mein Blick wie von selbst an ihren Hals, als sie an meinen Schreibtisch herantrat und mir den Zettel mit der Signatur des Buches reichte, das sie für ihr Seminar benötigte.

Sie hatte ihr blondes Haar hochgesteckt, und mein Blick verweilte einen sehr langen Augenblick an der Stelle, an der ihr Puls regelmäßig und ein wenig beschleunigt unter ihrer Haut pochte.

Das sah mir überhaupt nicht ähnlich. Ich starre niemals Frauen an, und schon gar keine Studentinnen, egal wie wenig sie anhaben. Ich musste mich mit Macht zusammenreißen, um mich aufs Wesentliche zu konzentrieren – nämlich, ihr mitzuteilen, dass sie auf gar keinen Fall irgendein Buch von mir bekommen würde, egal ob magisch oder nichtmagisch.

Ich habe nichts gegen Menschen, gewissermaßen war ich vor langer Zeit einem Menschen nicht allzu unähnlich, in meinem anderen Leben als Magier der neunten Stufe. Aber warum das Dekanat beschlossen hat, ausgerechnet Nichtmagische an einer magischen Universität studieren zu lassen, erschließt sich mir bis heute nicht. Schon gar nicht in hochgefährlichen Studiengängen wie Hexologie, wo ständig irgendetwas in die Luft fliegt oder sich eine kritische Masse entlädt. Menschen sind viel zu zerbrechlich. Es grenzt an ein Wunder, dass es bis heute keine Verletzten gab.

Oder Schlimmeres.

An jenem Tag zog Ms Campbell wutschnaubend von dannen. Seitdem besteht zwischen uns ein seltsamer Kleinkrieg. Jeden Mittwoch nach ihrem Hexologie-Seminar taucht sie vor meinem Schreibtisch auf und verlangt ein Buch aus der Geheimen Sektion. Da ich mich nach wie vor weigere, solche Bücher an Nichtmagische auszuleihen, lehne ich ihr Gesuch ein ums andere Mal ab.

Und wie ein Uhrwerk kehrt sie am darauffolgenden Donnerstag wieder, mit dieser entschlossenen Furche zwischen den Augenbrauen und einem Schrieb ihrer Professorin, was mir keine andere Wahl lässt, als ihr das gewünschte Buch doch noch auszuhändigen.

Im Hexologie-Department gelte ich aufgrund dieses andauernden Schlagabtausches mittlerweile als schwieriger Fall. Dabei halte ich mich lediglich an die Vorschriften. Keine Ausleihe an Nichtmagische. So will es die Sicherheitsrichtlinie der Universitätsleitung, um menschliche Studierende zu schützen.

Dieses ganze Hin und Her geht auch an mir nicht spurlos vorüber. Meine Augenbraue beginnt schon nervös zu zucken, sobald ich ihre schmale Gestalt aus den Augenwinkeln wahrnehme, wie sie an den Leseplätzen vorbei- und auf mich zumarschiert, als hätte sie eine Rechnung mit mir offen. Ich hatte gehofft, dass sie irgendwann einfach aufgibt, aber wie ich sehr schnell lernte, ist Aufgeben für Ms Campbell keine Option.

Das Buch jedoch, das sie jetzt haben will und weswegen sie mich seit Monaten genervt hat und offensichtlich bereit ist, ihr Studium zu riskieren, wird sie auf gar keinen Fall bekommen. Bücher über dunkle Magie sind selbst für Professoren tabu. Nicht einmal wenn der Dekan persönlich es mir befiehlt, würde ich Katherine Campbell das Schwarze Grimoire aushändigen.

»Sie könnten es mir auch einfach geben«, sagt sie jetzt und verschränkt die Arme vor ihrer Brust. Wenigstens trägt sie für ihren Einbruch angemessene Kleidung: eine eng geschnittene schwarze Hose, dunkle Halbschuhe und eine hochgeschlossene Jacke aus dunklem Stoff, der sich eng an ihren Körper schmiegt.

Zum Glück bedeckt der Kragen ihren Hals.

Diese zart geschwungene Linie aus milchig weißer Haut, an die ich ausgerechnet jetzt nicht denken sollte.

Die Reißzähne in meinem Kiefer pochen erneut, und ich zwinge einmal mehr den Drang zurück, meine Hand auszustrecken und sie zu berühren. Mich zu ihr herabzubeugen und meine Zähne in ihren Hals zu schlagen. Ich würde mir eher in die eigene Hand beißen, als es so weit kommen zu lassen.

Menschen zu beißen, ist absolut tabu.

»Sie werden mir bestimmt gleich mitteilen, warum«, entgegne ich so kontrolliert wie möglich.

Sie zuckt die schmalen Schultern. »Es würde die Dinge erheblich abkürzen.«

Um ein Haar muss ich laut auflachen. Ihre Dreistigkeit ringt mir beinahe Respekt ab. Beinahe.

Stattdessen trete ich einen Schritt näher.

»Sie dringen hier illegalerweise ein, in der festen Absicht, ein Buch zu stehlen, das nachweislich viel zu gefährlich für Ihresgleichen ist. Und jetzt, wo ich Sie dabei erwische, wollen Sie die Dinge abkürzen?«

Sie weicht unmerklich zurück, sieht aus großen Augen zu mir auf. Doch ich sehe darin kein bisschen Nachgeben, nur ihre übliche Sturheit.

Ihre Stimme ist leise, aber fest. »Ich studiere Hexologie, Mr Hawthorne. Ich weiß, was ich tue.«

Ein unwilliges Knurren entfährt mir. Keine Ahnung, ob es wirklich nur Dreistigkeit ist, die sie antreibt. Möglich, dass es auch ein übersteigertes Selbstbewusstsein ist. Oder ein Übermaß an Naivität. Vielleicht alles zusammen.

»Sie sind ein Mensch, Ms Campbell«, entgegne ich so ruhig, wie ich es unter den gegebenen Umständen fertigbringe. »Sie haben keinerlei magische Fähigkeiten. Sie studieren ein Fach, dessen Sie nicht befähigt sind. Und Sie glauben, ausgerechnet Sie könnten mit einem der gefährlichsten Bücher über dunkle Magie fertigwerden?«

Sie presst ihren Mund in einen Strich. Unsicherheit flackert über ihr Gesicht, doch nur für eine Sekunde, bevor sie ihre Augenbrauen entschlossen zusammenzieht.

»Vielleicht überrasche ich Sie ja.«

»Es würde mich eher überraschen, wenn Sie die Begegnung mit dem Buch überleben«, höhne ich, und das meine ich nicht mal scherzhaft.

Es hat seinen Grund, warum wir unsere Sammlung an Zauberbüchern in den Tiefen des Noir aufbewahren, weit aus der Reichweite neugieriger Hexen, Magier und solcher, die sich dafür halten.

Es hat seinen Grund, dass die Wände mit magisch versiegeltem Noctarinstahl verstärkt sind und es nur einen Eingang gibt, der ebenfalls mit unzähligen Bannflüchen, Zaubern und Runen gesichert wurde.

Und der Grund ist nicht, dass jemand wie Ms Campbell dumm genug ist, hier einzubrechen.

Es geht nicht darum, die Bücher vor Einbrechern zu schützen.

Es ist genau andersherum.

»Das ist wieder typisch Vampir.« Ms Campbells Miene verfinstert sich schlagartig. »Ihr haltet euch für die Spitze der Evolution, und alle anderen Spezies sind zu dumm, um auch nur zu atmen.«

Ich lasse ihre Beleidigung an mir abperlen. Ich habe weder Zeit noch Nerven, mit ihr zu diskutieren. Außerdem müssen wir hier verschwinden, bevor der Bone-Eater zurückkommt und am besten noch ein paar hungrige Freunde mitbringt. Oder Schlimmeres.

»Dieses Mal sind Sie zu weit gegangen«, sage ich. »Ich werde Sie melden müssen.«

Ihre Augen verengen sich, denn natürlich weiß sie, was das heißt. »Ach wirklich?«, fragt sie lauernd.

»Bedaure, Ms Campbell. Ich muss Sie bitten, mit mir zu kommen.«

Ich trete einen halben Schritt zurück und mache eine Handbewegung in den Gang zurück, aus dem wir gekommen sind.

Sie presst sich trotzig rückwärts gegen die schwarze Tür und verschränkt die Arme vor der Brust.

»Da müssen Sie mich schon zwingen, Mr Hawthorne«, sagt sie betont und mustert mich wie eine winzige Ein-Mann-Armee, die beschlossen hat, es ganz allein mit dem Rest der Welt aufzunehmen. Allerdings ist meine Geduld mittlerweile hauchdünn.

»Soll ich Sie über meine Schulter werfen und nach draußen tragen?«, knurre ich und trete wieder auf sie zu. »Denn das werde ich, machen Sie sich keine Illusionen.«

»Das würde Ihnen ähnlichsehen«, gibt sie zurück, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ihr Vampire hört niemals auf, euer verdammtes Machtmonopol auszunutzen, um die unterdrückten Massen auszubeuten.«

Herrje, sie klingt fast schon wie diese Kommunisten, die in ganz Europa die Universitäten mit ihren Flugblättern und Pamphleten tapezieren. Oder wie die Suffragetten, die sich vor das Pferd des Prince of Wales werfen, um das Wahlrecht zu erkämpfen. Mein simmernder Ärger, den ich in Ms Campbells Gegenwart ständig mühevoll im Zaum halte, verwandelt sich langsam, aber sicher in pochende Wut.

Absolut untypisch für mich.

»Machen Sie die Dinge nicht noch komplizierter«, sage ich zwischen zusammengebissenen Zähnen und wiederhole meine Geste in Richtung Gang. Natürlich rührt sie sich nicht.

»Ich habe einen Gegenvorschlag«, sagt sie stattdessen.

Ich stocke. Runzele die Stirn. Wann bin ich ihr eigentlich so nahe gekommen? Ich stehe so dicht vor ihr, sie muss ihren Hals geradezu verrenken, um zu mir aufzublicken.

Sie öffnet langsam den obersten Knopf ihrer Jacke. Und noch einen.

Mein ganzer Körper spannt sich an.

Der Stoff einer eng anliegenden petrolfarbenen Bluse kommt zum Vorschein. Und weiße, milchige Haut.

»Was soll das?«, frage ich, mit einem Mal sehr heiser. Der Duft ihres Blutes ist jetzt sehr viel stärker, süßer und gesättigter. Mit einem machtvollen Pochen treten meine Reißzähne aus meinem Kiefer.

»Sie könnten einfach vergessen, dass ich hier war«, sagt sie, während sie den nächsten Knopf teuflisch langsam öffnet. Und noch einen. Ihr Blick ruht auf mir wie eine Berührung. »Im Gegenzug können Sie das tun, was Ihnen schon eine Weile durch den Kopf geht.«

Was zur Hölle ist hier los? Bin ich in einem dieser unanständigen Filme gelandet? Und warum bin ich noch näher an sie herangetreten?

»Was geht mir durch den Kopf, Ms Campbell?«

Meine Stimme klingt nicht mehr wie meine eigene. Mein Blick hat sich längst an ihren Hals geheftet. Ihr Puls flattert, ihre Halsschlagader schimmert verführerisch unter ihrer hellen Haut hindurch.

Und da ist noch etwas.

Die Art, wie ihre Augen sich eine Winzigkeit weiten, als ich näher trete. Wie sie sich dichter gegen die schwarz lackierte Tür presst, als ich den Abstand zwischen uns schließe.

Wie ihre Pupillen größer werden.

Ihr Puls beschleunigt sich und der Geruch ihres Blutes wird geradezu überwältigend. Ich schmecke es bereits an meinem Gaumen. Und noch ein weiterer Duft mischt sich dazwischen. Die süße, gesättigte Note ihrer Erregung.

Hölle, was geht hier vor sich? So etwas kann man nicht spielen. Oder?

Alle Hitze meines Körpers schießt in meine Lenden, und meine Reißzähne treten mit einem schmerzhaften Ruck aus meinem Kiefer.

Sie atmet leise ein.

»So, wie Sie mich ansehen, wollen Sie mich entweder beißen oder …«, flüstert sie. Ihre Kehle bewegt sich, als sie schluckt.

Oder.

Und ich weiß nicht, was schlimmer ist. Einen Menschen zu beißen, ist das Illegalste, was einem Vampir heutzutage einfallen kann. Die Alternative wäre nicht weniger kompliziert. Doch mein Verstand ist wie ausgeschaltet.

Meine Hand legt sich wie von selbst an ihren Hals, der Kontakt mit ihrer weichen Haut jagt durch meine Nervenenden wie ein Stromschlag. Sie keucht leise, als ich ihre Kehle sanft mit meiner Hand umschließe, ihren Kopf weiter zu mir heraufbiege, während Blutlust, der unbändige Drang, sie zu beißen, heiß und rot in meinen Adern brodelt.

Ein Grollen entringt sich meiner Kehle, als ich meinen Mund leicht öffne und die Spitzen meiner Reißzähne meine Unterlippe berühren.

Ms Campbells Blick ist wie erstarrt, ihre weit aufgerissenen Augen blicken wie gebannt in meine und ihr Puls beschleunigt sich weiter.

Beißen oder küssen?

Beides eine verdammt schlechte Idee. Doch bevor ich eine davon in die Tat umsetzen kann, bewegt sich Ms Campbell. Ihre linke Hand verwandelt sich in einen zuckenden Schemen.

Ein peitschender Schmerz bohrt sich zwischen meine Augen.

Und dann wird die Welt um mich herum schwarz.

KAPITEL 3

§ 134. Für Vampire und andere Nocturnale ist das vollständige Beißen in den Hals eines Menschen zum Zwecke des Blutsaugens verboten und wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet.

KÖNIGLICHES STRAFGESETZBUCH, ABSCHNITT B, REGELUNG VON NICHTMAGISCHEN UND MAGISCHEN STRAFTATEN SEIT 1899, NEUESTE FASSUNG VON 1923

KAT

Ich starre auf den ohnmächtigen Vampir zu meinen Füßen.

Und auf den mit chinesischen Schriftzeichen vollgeschriebenen Papierschnipsel, den ich ihm auf die Stirn gepresst habe. Winzige silberne Funken magischer Energie entladen sich noch daraus, doch Hawthorne bekommt nichts mit. Er ist völlig ausgeknipst.

Mein Atem geht stoßweise, mein Puls rast in meinen Ohren. Nicht zu fassen, dass mein völlig bescheuerter Plan funktioniert hat und ich Ethan Hawthorne mit einem billigen Bannzettel aus einem magischen Krimskramsladen außer Gefecht gesetzt habe.

Das Training damals mit Lily hat sich anscheinend doch gelohnt. Vermutlich wäre sie ziemlich stolz auf mich, wenn sie wüsste, dass all die Nachmittage, an denen sie mir geduldig erklärt hat, wie man auch ohne magische Fähigkeiten Magie verwenden kann, nicht völlig umsonst waren. Auch wenn wir beide wohl niemals gedacht hätten, dass ich damit mal einen ausgewachsenen Vampir umhauen würde.

Dummerweise habe ich jetzt noch mehr Ärger am Hals als ohnehin schon. Warum musste dieser aufgeblasene Schnösel hier überhaupt auftauchen?

Ich kämpfe mit einiger Anstrengung den Schwindel zurück, der mich zu überwältigen droht. Gehe langsam neben Hawthorne in die Knie. Der rührt sich nicht. Seine Augen sind geschlossen, doch er atmet gleichmäßig. Er scheint sich nichts getan zu haben, als er umgekippt ist, liegt friedlich da wie ein Drache, dem jemand einen Betäubungspfeil verpasst hat.

Ich starre ihn an, während mein ganzer Körper von innen heraus zu summen scheint.

Was zur Hölle habe ich da eigentlich gerade gemacht? Habe ich ernsthaft versucht, Hawthorne dazu zu verführen, mich zu beißen?!

Von allen dummen Ideen, die ich in meinem Leben hatte, war das bisher die dümmste. Und trotzdem, sie hat funktioniert, das erschüttert mich am meisten.

Doch eines ist klar: Hawthorne wird mich so was von verpfeifen, jetzt, wo er mich erwischt hat. Und wenn ich erst mal von der Uni geflogen bin, komme ich niemals wieder auch nur in die Nähe der Shadow Lanes und der Corvus Bibliothek. Meine einzige Chance, doch noch an das Schwarze Grimoire zu gelangen, bestand also darin, Hawthorne außer Gefecht zu setzen. Und dazu musste ich ihn möglichst dicht an mich heranlocken.

Und wie lockt man einen Vampir an? Richtig, indem man sein inneres Raubtier ein wenig reizt. Allerdings hätte ich nicht damit gerechnet, dass es so gut funktioniert.

Oder dass dieser seltsame … Nebeneffekt auftritt. Denn als er so dicht vor mir stand, dass ich sein Rasierwasser und diese dezente Note nach Anis riechen konnte und ich wie in Trance die Knöpfe meiner Jacke öffnete, veränderte sich etwas in seinem Blick. Normalerweise sieht er auf mich herab, als wäre ein besonders hässlicher Käfer in seine Bibliothek gekrabbelt.

Doch in diesem Moment glänzte Hunger in seinen Augen. Als wäre ich ein blutiges Steak und er hätte seit Wochen nichts gegessen. Ich konnte seinen Blick quasi fühlen, wie er von meinem Gesicht zu meinem Hals glitt, wo er mir am liebsten seine Fangzähne in die Haut geschlagen hätte.

Und – genau das wollte ich in diesem Moment.

Ich, Kat Campbell, die größte Vampirhasserin an der gesamten Uni, falle angesichts eines nicht vollkommen unattraktiven Vampirs in eine Art Opfertrance und recke ihm meinen Hals entgegen wie die großbusige Protagonistin aus einem von Pipers Groschenromanen.

Doch es war nicht nur das.

Mein Gesicht überzieht sich mit Hitze, während ich noch immer auf Hawthorne starre, der reglos auf dem Boden liegt, und sich mein Blick an seinen Mund heftet.

Sanfte, geschwungene Lippen. Sie sehen aus der Nähe betrachtet überraschend voll und anziehend aus. Und fühlen sich bestimmt verdammt gut an, wenn …

Du spinnst doch komplett, Kat. Du wolltest doch nicht ernsthaft, dass dieser … dieser Vampir dich küsst?

Doch. Und ich hätte ihn machen lassen. Verrückt, aber wahr. Mein Körper hatte anscheinend eigene Pläne.

Entsetzt dränge ich diese komplett verwirrenden Gedanken weit zurück in die hinterste Ecke meines Verstandes und klatsche mit beiden Händen vor mir in die Luft.

»Konzentration«, murmele ich. Mir bleibt nicht viel Zeit. Schnell vergewissere ich mich, dass Hawthorne noch atmet, und stehe dann auf. Vorausgesetzt es kommt kein weiteres gruseliges Monster des Weges, wird er in etwa zehn bis fünfzehn Minuten erfrischt und ein wenig verwirrt aus einem dumpfen Schlummer erwachen. Und dann bin ich hoffentlich schon längst mit dem Schwarzen Grimoire auf und davon.

Ich beuge mich vor, ignoriere diese seltsame Hitze in meinem Bauch und wühle vorsichtig in Hawthornes Manteltasche, bis ich seinen Schlüsselbund finde.

Meine Hände zittern nur leicht, als ich ihn aus dem irritierend warmen Stoff hervorziehe und mich wieder erhebe.

»Verbindlichsten Dank, Mr Hawthorne«, murmele ich, als ich mich der Tür zuwende. Mein Schlüssel ist offensichtlich verbrannt, als er mich mittels Magie daran gehindert hat, die Bibliothek zu betreten. Seltsam, dass er als Vampir überhaupt Magie wirken kann. Aber das ist nichts, worum ich mir ausgerechnet jetzt Gedanken machen sollte. Sein Schlüssel funktioniert jedenfalls, und als ich ihn im Schloss herumdrehe, öffnet sich die Tür. Ein leises Vibrieren läuft durch den mächtigen Türrahmen.

Mit angehaltenem Atem schiebe ich mich durch den sich öffnenden Spalt.

Auf der anderen Seite empfängt mich ein sanftes ätherisches Leuchten, als ich als wahrscheinlich erster Mensch meinen Fuß in die geheime unterirdische Bibliothek der Corvus-Vampire setze – in Darkthorns Archiv. Mein Atem stockt, ein eisiger Schauer rieselt zwischen meinen Schulterblättern herab, und für den Moment vergesse ich alles, als ich die gewölbeartige Halle vor mir in Augenschein nehme.