Bitter Moon Poetry - Hagen Bretschneider - E-Book

Bitter Moon Poetry E-Book

Hagen Bretschneider

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Welt ist aus den Fugen. Sie gleicht einer ausgehängten Tür. Sie ist verrückt geworden. Bretschneider, Prophet des Desasters, wütet gegen das Verbrechen der Gleichgültigkeit, gegen die mitunter ins Groteske umschlagende Grausamkeit der Gegenwart. Der Mensch ist Angst. Der Mensch ist Verlassenheit. Der Mensch ist Verzweiflung. Rücksichtslos geht es runter. Bis in die tiefsten Niederungen. Jede Geschichte ist eine weitere quälende Drehung an dieser Spirale des Niedergangs. Es ist die Tortur einer Daumenschraube. Ein dichter, temporeicher Sprachteppich. Ein unbequemer Sitzplatz, auf dem sich Burroughs, Sartre und Houellebecq verstört aneinander klammern.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 309

Veröffentlichungsjahr: 2016

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



IMPRESSUM

© 2016 Hagen Bretschneider

Autor: Hagen Bretschneider

Umschlaggestaltung, Illustration: Hagen Bretschneider

Satz: m.göke, Hannover

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-7345-5048-5 (Paperback)

ISBN: 978-3-7345-5049-2 (Hardcover)

ISBN: 978-3-7345-5050-8 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Hagen Bretschneider

Bitter Moon Poetry

Willkommen

Willkommen, ihr Bodenwellen-Reiter auf den großporigen

Teerstraßen, den Minenfeldern der urbanen Seele

Zu einer Reise in die dunklen Ströme des Herzens

Dies ist das Infarkt-Finale nach dem Spaßterror

Denn hier ist er schließlich angelangt, der kleine Junge,

Der den Höllenhund mit glutroten Augen

Unter seinem Bettchen entdeckt hat

„Wo ist zuhause, Mama?“

Aber keiner kommt hier lebend raus

Denn dies ist das Ende des Lebens

Und der Beginn des Überlebens ...

Nico Walser

meridies.

 

Atemzentrum

Chemiekombinate husten schwefelgelben Auswurf in den Himmel

Glasschachteln und Vierkant-Riesen recken sich in den Smog

Das wild wuchernde Plankton der Vorstadt, monströse Termitenhügel,

Asphaltbänder, Häuserteppiche, urbane Endlosigkeit, Kleinfamilienhölle

Gigantische Wohnpyramiden, Betontempel, Siedlungs-Cluster

Babylonische Betonquader, terrassierte Kegel, Trabanten-Koller

Reißbrettmonster, Mammut-Erektionen, Geometrierausch, Suburbia-Neurose

Die Blumenkübelzone, Bäume aus Aluminium, Plastikteller mit Sushi

Babymützchenboutique, Ökoweinshop, Designersträuße, die nach Friedhof riechen

Die Flaniermeile für die Beautyfarm-Zombies, die sich in der neoliberalen

Konkurrenzgesellschaft nach oben geleckt haben wie die Fliegen am Honigglas

Die gestaltlose parasitische Gallerte aus Menschenmasse

Verbannte Vororthelden, Stadtrand-Nomaden, Freeway-Fetischisten

Schaumstoffwesen, Sekundärmenschen, unverdaute Fremdkörper

Populistische Poltergeister, Lehrer in Cordhosen, Mattscheiben-Voyeure

Somnambule Freischwimmer in mausgesteuerten Seifenopern,

Pillen- und putzsüchtige Mütter zwischen Wal-Mart und Waschmaschine,

Rentner in Unterhemden, die ihr Lungenkrebssputum auf die Straße husten,

Ein Talibanbart, der nervös an seinem Rucksack herumnestelt

Manchmal verschwindet ein Kind vom Spielplatz ...

Luc Thuillier, obsessiv rasenmähender Reihenhausbesitzer,

Überlegt, wie er seinem Heizungsproblem mit radioaktivem Müll beikommt

Suraj Sharma, indischer Programmierer, der auf Yoga schwört,

Trägt ein Jahr lang rote Socken, um sich neu zu erden

Hélène Duc, eine kleinkarierte Fanatikerin der Angepasstheit,

Die nicht in die Welt hinausgeht, weil sie nicht weiß, wo sie beginnt,

Schielt mit flinken Eichhörnchenaugen auf die Straße

Mit einem Paukenschlag prallt eine Limousine gegen einen Straßenköter

Die Schwalben spielen Engelflug, ausgelassene Tiefflieger,

Die sich heiter und schwerelos den Luftwirbeln überlassen,

Die sich auf den Wind werfen und mit spitzem Geschrei

Den auf zwei Füßen aufrecht gehenden Menschenpark verspotten ...

Duc holt Karton und Pappe aus dem Keller, faltet ein Flugzeug,

Öffnet das Fenster und wirft es mit Schwung hinaus in die Luft

Der Papierflieger fällt wie ein Stein auf die Straße ...

 

Poly-Ich

Menschliche Ölsardinen in ihrer urbanen Dose

Die Straßen verglühen unter dem aufgerissenen Himmel

Rasende Motoren, knirschende Getriebe, verwundete Spatzen

Fallstromvergaser, Beschleunigungspumpen, brennende Kopfstützen

Viehtransporter vollgestopft mit geduldig blökenden Schafen

Wohncontainer-Giganten und Shoppingcenter wie Reißverschlusszacken

Alice im Wunderland, Lolita im Bikini, stielaugenbedingte Auffahrunfälle

Ein Kommando syrischer Terroristen bringt eine Schule in seine Gewalt

Eine frisch betrogene Frau schmeißt sich dem nächsten Sextäter an den Hals

Im Schaufenster ausgestellt ein Schokoladen-Jesus in lila Stiefeln,

Zu jeder Bibel gibt es gratis einen Lippenstift und eine Zahnbürste ...

Bruno Madinier, der eine esoterische Endzeitsekte leitet, schlägt den Vater eines

12-Jährigen zu Brei, der seinem Sohn die teuren Turnschuhe zerschnitten hat

Mathieu Amalric, ein Don Juan mit schlackerndem Bauchfett, betrachtet,

Die Nasenspitze knorpeltief eingedrückt, einen Mini-String, kämmt sich

Umständlich mit einem winzigen Kamm die Haare, zupft sich die Brauen

Und schneidet sich mit einer Miniaturschere die Härchen aus den Nasenlöchern

Rauschgoldengel, Kokainhäschen aus Zelluloid, bonbonbunt, comicartig,

Die Röcke bis zur Schamhaargrenze hochgerutscht ...

Die kosmetisch behandelte Wohlstandsgesellschaft, das Leben keimfrei,

Die Liebe schmerzfrei, light und auf mittlere Frequenz gedimmt ...

Materialfetischismus, angelsächsische Raserei, hedonistischer Konsum

Koffeinbrause, Chicken-Nuggets, Kartoffel- und Fleischabfall, Zivilisationsplunder

Der Pullover aus Bangladesch, Lifestyle-Brainwash, Tristesse globale

Hypothesen und Prothesen, Brüste und Hüften, Sprünge und Spiralen

Meteorologen in rosa Hemden auf der Suche nach dem Wetter von morgen

Hollands Windmühlen versinken in den Fluten des Meeres ...

Ästhetischer Darwinismus, kannibalischer Narzissmus, kollektive Schockstarre

Der Lack der Welt, schattenlos und porentief gereinigt vom Schmutz des Realen

Elektrifizierte Lebensläufe, desinfizierte Gehirne, verkantete Sinne

Die gewaltige Konformitätsmaschine, die Unterwerfung des Individuums

Das Leben in Horden, das Menschenmeer, das sich kochend selbst verzehrt

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die fragmentierte Identität

Standardisierung, Linealisierung, Sterilisierung, Ameisenisierung

Das Leben ist leer, der Tag ist lang ...

 

Leerlaufdrehzahl

Milchiger Himmel, ziegelrote Wolken, grauer Industrieteppich

Skelette von Stahlträgern, gelbe Erde, schwarze Baracken

Fenster, zerschlagen oder blind, starren mit toten Augen auf die Straße

Waghalsig gestapelte Türme von Autowracks, die Reste einer Feuerleiter,

Fettige Ölkanister, das fensterlose Gehäuse eines Straßenbahnwagons,

Feiner Staub in der Farbe von Kinderkot bedeckt einen Lieferwagen,

Wie das Herz eines Sauriers ein Motorblock ohne Kolben und Ventile,

Schwarz und ölverschmiert auf schwere Holzblöcke gewuchtet,

Rohrzangen und schwere Ketten, die in schwarzer Schmiere versinken,

Nägel von der Dicke eines Unterarms und rostüberzogene Kugellager,

Kardanwellen und Pleuelstangen, abgenützt, abgebaut, ausgedient

Greifer befördern den Schrott auf das Laufband und in den Schredder,

Wo er gepresst, zerschlagen und in faustgroße Stücke gerissen wird

Unsichtbare lnnenwelten, unterkühlte Irrealität, instabile Monotonie

Einbeinige Parkenten, die im Kreis schwimmen, Hundekot in allen Farben,

Rotznasige Blagen, die in Rosenbeete kacken, ein zuckersüchtiger, ständig

Süßigkeiten in sich hineinstopfender Junge, der mit Steinwürfen Tauben tötet

Schwanenfütterer und Regenschirmaufspanner mit geringem gesellschaftlichen

Nutzwert, die mit vogelartigen Bewegungen durch den Stadtpark flanieren

Penetrant vitale Jogger und verdrossene Ehemänner, die in

Bademantel und Schluffen von ihren Hunden spazieren geführt werden

Ein unvorsichtiges Karnickel landet frisch gehäutet auf dem Grill

Sandrine Bonnaire, eine diätsüchtige, halb tot geliftete Literaturstudentin,

Wirft einen Brombeerbonbon in den Brunnen und bemerkt nicht,

Dass über ihrem Haar eine riesige schwarze Sonne erstrahlt ...

Vom Licht entzündete Engel mit marmornem Uterus und kupferne

Kriegshelden steigen von ihren Sockeln, zerren die Musen ins Gebüsch

Und stoßen mit ihren polierten Metallpenissen in die steinernen Schamlippen

Ein gegenwartsgehetzter Grübler lacht der leeren Flasche ins Gesicht

André Antoine, ein Träumer, der mit großer Geschwindigkeit träumt,

Spielt Violine, als würde es kein Morgen geben ...

In seinen Augen spiegeln sich psychedelische Regenbögen,

Von Chemiefabriken und Ölraffinerien in den Himmel gemalt ...

Die G-Saite ist aus dem Darm eines unschuldigen Mädchens gedreht ...

Die Luft, das grüne Glas, zerbricht ...

 

Antikörper

Die Sonne wandelt hinter den Häuserreihen die Straßen herunter

Stücke herausgerissenen Himmels hängen an den Spitzen der Zweige

Das Licht ist eine Spinne, kriecht unter die Lider und webt dort seine Netze

Der urbane Bienenstock, Fremdkörper, Antikörper, Schwellkörper, Hohlkörper

Metallbrillen, dunkelrot, mattgrün, schmutzabweisend, gehärtet, entspiegelt

Die Straßen sind Schützengräben, das dumpfe Hirn will Geschwindigkeit ...

Alphamännchen hinter schweren Autotüren, der Körper eine Hülle aus Blech

Der rollende Uterus, der Kokon aus Metall und Glas, das bessere Ich ...

Der Asphalt knistert elektrisch, ein angefahrener Hund sinkt winselnd in den Tod

Ich-Anarchisten, Evangelisten, Gehirntrainer, Schlipsträger, Bratwurstesser,

Feierabendrassisten, die ihre geistige Konkursmasse in die Welt brüllen

Ein Greis rotzt ins Taschentuch und schreit nach dem Abfalleimer

Brigitte Fossey, die immer mit demselben Ziel apathisch ihre Wege geht,

Streut Vogelfutter aus der Handtasche bis sie Federn hustet

Die globale Kosmetikmafia, kernseifenweiße Unterwäsche, Zahnbürstenerotik

Die mitleidlose Glücksindustrie, massenmedial aufgeputschte Sehnsüchte

Moorleichen im Menschenzoo, Madenspiele, Bäuerinnensuche

Das Medienproletariat, das Humangehege, Zotenlärm und Zickenkrieg

Feuchtgebiete, Schoßgebete, blumenkohlige Hämorrhoiden, Wundschorf

Die Achse der Mösen, vaginale Selbstbestimmung, Bahnhofstoilettenpoesie

Ostdeutsche Swingerclubs, islamistische Terrorzellen, Hobbyköche, Volksmusik

Das Fußballstadium ist gefüllt mit Kannibalen schreiend nach Blut und Bier

Leben mit Einbauküche, Onanieren nach Dienstschluss, Telefonsex

Fake-Eier, Labor-Burger, glutenfreies Bier aus Kichererbsen

Bizarre Parallelwelten, Orte ohne Selbst, Selbst ohne Ort, neurotisches Elend

Die alltägliche Bestialisierung, die Kleintierzüchtung der Zivilisation

Die Schäume-Räume der Moderne, Verhaustierung, neurobiologische Apartheid

Normannen und Nomaden, jeder ist ein Doppelgänger des anderen

Der tägliche Griff in die Steckdose, Wahl zwischen Irrsinn und Wahnsinn

Schablonen, Hoden und Elektroden, Testosteron-Krisen, Ich-Prothesen

Gérard Barray, grässlich einsam im Grundrauschen der Stadt,

Beobachtet, wie der Wind Zeitungsblätter über den Rasen weht

Resigniert verfolgt er das Fischgewimmel, wirft seinen Blick wie eine Angel aus,

Zerrt, was er sieht, zu sich herauf, begutachtet es verständnislos

Und wirft es wieder fort, seinen Schmerz vertraut er den Tauben an ...

 

Gleichstrom

Ruhelos jagt das Kapital um den Erdball

Goldrausch-Visionen, Spekulationsblasen, Eiterblasen, Seifenblasen

Schattenzocker, Finanz-Wikinger, aufgeblasenes Hongkong-Ambiente

Das Regiment der Aktentaschen, der Mikrokosmos der Finanzelite

Jean-Baptiste Maunier, eine größenwahnsinnige Kröte mit Rundbrille,

Tänzelt im Jackett, unten herum nur in Boxershorts, mit einem Golfschläger

Vor seinem Tempel herum und atmet die Abgase der freien Marktwirtschaft

Urban Entertainment Center, City-Boutiquen, Flagship-Stores

Sprechende Einkaufswagen, kalorienarme Geflügelwurst, Darmverschluss

Klebriger Smog, gelbe Hunde ohne Fell, abgehustete Schleimhäute

Mongolenpferde und Motorräder, Kohorten aus Chrom und Blech,

Benzin und Benzodiazepin, Esso für die Limousine, LSD für die Ladies

Pierre Morel, ein junger Arzt, der eine Vorliebe für rohe Leber

Zum Frühstück hat, sucht für sein Staatsexamen ein Raucherbein

Schaufensteraugen, Blitzlichtjapaner, Spatzen in Wartestellung

Wellness-Buddhismus, Verschwörungstheoretiker, Gardinenbügler

Stop-and-Go zwischen Schwiegermutterlektüre und Mallorca-Reiseführer

In Dosen konserviert der letzte Atemzug des Sozialismus ...

Libidinöse Fernsteuerung, sexuelle Karambolagen, kollektive Tristesse

Imperiale Hinterbacken, harte Eierstöcke, missglückte Analrasuren

Somnambule Lolitas und Stadthäschen mit rutschenden Spaghettiträgern

Likörsüchtige Landfrauen gekrümmt unter der Last riesiger Einkaufstaschen

Katholisch kopfoperierte Rentnerinnen mit geschliffener Optik um den Hals

Fuchshaarige Diven mit Dogge, das Gehirn in Katzenfell gewickelt

Die Motorik der trivialen Welt, sedierte Wohlstandsträume, Familienfinsternis

Auf dem Friedhof der Atem vergangener Zeiten, das kalte Fleisch der Toten

Zink-Urnen wie Blindgänger, ein Leichenhemd, ein Sargriff schwarz wie Kohle

Ein streunender Hund schlabbert Regenwasser aus einem offenen Schädel

Ein Metallmonster mit bezahnter Schaufel zertrümmert das Gräberfeld

Eingesammelt werden Schulterblätter, Kniescheiben, Wadenbeine

Im Lehm das blasse Gesicht eines Träumers

Wer da entsorgt wird, lief einmal aufrecht und verliebt ...

Musik sickert aus dem Schweiß des Asphalts

Betörend, berauschend, verletzend

Eine Tonart für jeden Schrei ...

 

Flohzirkus

Krähen sitzen zu Hunderten auf den Stromleitungen,

Die den Himmel wie Spinnennetze durchziehen

Zelte, Bretterbuden, Container mit Imbissständen, Wechselstuben

Technosound, Bier mit Schokoladengeschmack, Wodka mit Büffelgras

Krummbeinige Zwerge schlagen Purzelbäume im Pferdemist

Verrotzte Kinder mit Bürstenhaarschnitt streiten sich um Schlachtabfälle

Fingerlange Sardinen, Rochen von der Größe eines Kopfkissens

Der Fischhändler schlägt mit gefrorenem Grinsen die Tintenfische zu Tode

Rote Kugeln in holländisch beschrifteten Kisten, eingelegte Gurken,

Verzerrte Klänge von raubkopierten Jacques-Brel-Kassetten,

Gartenzwerge, ein röhrender Hirsche groß wie eine deutsche Dogge,

Känguruh-Hoden, explodierende Mangos, Champagner in Dosen

Israelische Uzi, die Bronzestatue des polnischen Nationalhelden Pilsudski,

Ein deutscher Wehrmachtshelm mit Durchschuss, Semtex,

Schweizer Messer aus China, ein Zippo-Feuerzeug mit Hakenkreuz,

Nachtsichtgeräte der Roten Armee, die Borduhr einer Mig-21,

Ein komplettes Chirurgenbesteck, eine Anstecknadel mit SS-Runen,

Das vergilbte Foto von einem kapitalen Ochsen, ein geöffneter Lammschädel,

Küchenfertiges Hirn und kleine runzlige Würste mit kleinen rosa Aftern

Jerzy Skolimowski, der Metzger, ein nach Schweiß riechender Staubsack,

Pinkelt in den brummenden Kühlschrank und scheucht die Fliegen vom Speck

Auf seiner Stirn baumelt eine Locke wie ein Stück Darm ...

Ein schlaksiger Junge, der wie ein Vogel auf einem Teppichberg hockt,

Spuckt Kaugummis in den Mittag, die Hinterhöfe sind finstere Hinterhalte,

Aus denen es dumpf herausweht wie von einem Friedhof,

Ein Schreinermeister zimmert Kindersärge, stapelweise, roh, billig

Männer und Frauen schwirren dicht in der Luft wie Mücken, eine Herde von

Schafen, die auf einer staubigen Ebene unter brennender Sonne im Kreise treibt

Zwischen sie fahrend, mit gesträubten Flanken sie beiseite stoßend,

Sägezahnig und rotäugig die wilden erzkonservativen Keiler,

Bonzen und Rinnsteinganoven, Amtsanarchisten und Staatsterroristen

Mit dicken Bäuchen und Gewehrsammlungen an den Wohnzimmerwänden

Andrzej Zulawski, der im Menschen nur ein Auslaufmodell sieht, das sich selbst

Auf die Müllhalde der Geschichte befördert, greift lustlos in die Chipstüte

Eines Tages wird er in eines der schwankenden Boote am Fluss kriechen

Und sich wegspülen lassen ...

 

Ego-Maschine

Die Genetik der Moderne, die Dämonie des Tempos

Der nackte Wirbel der Zahlen, die zerfaserten Ordnungslinien der Welt,

Die mächtigen Ströme der durchgetakteten Gegenwart, das organisierte Geld

Die Haut der Stadt, der verbrauchte Himmel, das Karussell der Fragmente

Leben mit Rissen in den Wänden, Stein gewordenes Schicksal ...

Aufgeständerte Autobahnen, turmartige Wohnmaschinen, ruinierte Gebisse

Stinkende Schlachtviehtransporte, Kernkraftwerke im Dauerstress,

Satellitenschüsseln, die groß genug sind, um mit dem Mars Kontakt aufzunehmen

Die Eisenbahntrasse verläuft wie eine schartige Messerwunde

Durch die verwickelten Eingeweide der Stadt, aus den Hallen

Der backofenheißen Bahnhöfe steigt ein zäher Brei empor

Kollidierende Kolonnen, ausgebremste Hektiker und ausbremsende Rentner,

Eingesargt in ihr Fleisch und in ihre Designer-Kleidung, mit Pillen aufgeblähte Wesen,

Die sich zufällig auf derselben Strecke des historischen Zeitstrahls

Bewegen, die sich ins Gedärm der Stadt hineinbohren wie Würmer ...

Pornosauger und Bibelleser, Fußballfetischisten und Bürgerwehrfaschisten,

Zahnspangen-Trutschen und Stilettostöcklerinnen, die sich von Popcorn ernähren

Irgendwer schleift eine Kleiderpuppe über den Boden, bis sie ein Bein verliert ...

Das alltägliche Mittelklasseglück, die kollektive Krankheit der Zuversicht

Nervtötende Lebensbejahungsparolen, Lächeln bis zum letzten Atemzug

Isabelle Adjani, die nachts gern mit erfundenen Problemen Hotlines anruft,

Schließt sich frustriert in ihrem Zimmer ein und masturbiert,

Weil ihre Babymützchenboutique rote Zahlen schreibt

Pascal Laugier, ein bewamster Mittsechziger, der sich vor seiner Frau fürchtet

Wie vor einem riesigen Vogel, der ihn wie einen Apfelkern aufpicken könnte,

Onaniert traurig in den Vorgarten vor ihrem Fenster ...

Eine Walze rasselt auf der frisch geteerten Schotterung die Straße auf und ab

Behelmte Bauarbeiter schleppen eine Kiste Bier über den Parkplatz

Wie ein wütendes Ungeheuer frisst sich ein Bagger durch das Häusermeer

Die Abrissbirne schlägt einen ganzen Altstadtblock weg, alle Zimmer stehen offen,

In allen Ecken stehen Schuhpaare, die Tapeten hängen in Fetzen herunter

Wie die abgezogene Haut eines menschlichen Körpers

Der Möbelwagen steht schon seit Tagen an der Ecke

Im Fernseher sitzt eine Porzellanpuppe und kündigt den Spätfilm an

Die Zeit ist eine Drehtür und zieht weiter ...

 

Öldruck

Der Angriff der Gegenwart, die Erdbeben der Spätmoderne

Trabantenstädte, labyrinthische Autobahnzubringer, Einkaufszentren

Ein Himmel, der sich wie ein fiebriger Auswurf über alles legt

Verstauchte Finger, Nasenschleimhautentzündung, Gebärmutterhalskrämpfe

Ein überfüllter Bus, eine eiserne Missgeburt, nur Stehplätze

Niemand ist freiwillig eingestiegen, niemand kennt den Zielort

Für immer auf den Füßen, für immer gegen Fremde gequetscht

Für immer unter dem Blick anderer, kein Ausstieg in verwunschene Orte

Die Luft ist dick und verbraucht, jeder geschlossene Raum ist ein Sarg ...

Aurélie Amblard, die auf dem Dach eines verlassenen Kinos wohnt

Und ihre Lebensgefährten mit dem Pendel aussucht,

Starrt fassungslos auf ihren Rucksack, er sieht aus wie ein Fötus

Sie lässt ihn auf den Boden fallen, unter dem der Diesel blubbert ...

Der Bus hält auf einem staubigen Platz, die Türen öffnen sich,

Der Dampf von hitzestarrendem Plastik strömt aus ...

Mahmoud Zemmouri, der Fahrer, ein blasser Mann in der lauten Welt,

Steigt aus, vom langen Sitzen entzündet leuchtet sein After ...

Farbe blättert von den umliegenden Häusern, vermischt sich und setzt sich in

Feinen Fäden auf Schultern und Wangen ab, eine Lawine aus rissigem

Asphalt rauscht heran, Hupen brüllen, Auspuffrohre rotzen Dieselruß

Zemmouri hört es nicht, er hat nur Ohren für das, was aus dem ölschwarzen

Metallblock kommt, hingebungsvoll beugt er sich über die Zylinderreihen,

Hört den Bauplan der Maschine, den Atem des Motors,

Das harmonische Orchesterspiel des mechanischen Systems

Ein beschädigtes Triebwerk rührt ihn mehr als ein beschädigtes Leben ...

Er arbeitet, wohnt, isst und schläft in seinem Bus, zu Beethoven-Sonaten

Sieht man ihn um Verkehrsinseln kreisen, durch Industriebrachen und

Vorstädte fahren, Frau und Kinder besuchen ihn ausschließlich im Bus ...

Eine schwarz vermummte Gestalt, ein dunkler Apostel, ein von Gott autorisierter

Exekutor des Jüngsten Gerichts, schlägt ihm mit kalter Brutalität eine

Eisenstange ins Gesicht, zertrümmert ihm die Zähne, prügelt ihn ins Koma

Am Eingang zum Güterbahnhof stehen Viehwaggons vor dem Prellbock

Durch die offenen Schiebetüren weht der Gestank nach Urin und Kot

Das Vieh steht, die Körper mit Untergangsstimmung gesättigt,

Leib an Leib in Angst und Schweiß, Mäuler schäumen, Zungen schwimmen ...

 

Luftschacht

Magnetische Stürme, koronale Massenauswürfe, Teilchenschauer

Die Stadt sprengt ihre Mauern und lässt den Asphalt brennen

Die Spatzen flüchten in die schwarzen Schatten der Berge

Die Bäume reiben aneinander wie die haarigen Beine der Heuschrecken

Die Straßen wiederholen sich wie die Rippen eines riesigen Skeletts

Startlöcher und Stirnfalten, Staublungen und Stolperfallen

Bürgersteigkanten und Treppenhäuser werden bezwungen,

Der Landtag, McDonald’s und der internationale Flughafen ...

Gérard Jugnot, Verkäufer von Rasenmähern und Motorsägen,

Der sich nach nichts mehr sehnt als nach einem Ich, das ihm allein gehört,

Schiebt sich eine Kaugummikugel in den Mund, unter ihm das betäubende

Rauschen der Abwasserströme, die sich unter der Straßendecke hinwälzen

Mühsam schleppt er sein Spiegelbild von einem Schaufenster zum nächsten,

Unschlüssig, an welche Wand er sich lehnen soll, seit Jahren jagt er seine

Erinnerungen, jetzt begreift er, dass seine Erinnerungen ihn gejagt haben ...

Böse kaut er auf seinem vom Tabak gebräunten Schnurrbart herum

Und schließt sich dem murmelnden Draußen, dem Fließband, an ...

Die Hüften einer voluminösen Frau schaukeln im Takt der Straße,

Bis ihr Rücken in der Finsternis der Kathedrale versinkt ...

Auf dem Schoß des Bischofs sitzt ein Mädchen, wenige Jahre alt, von einem

Schmetterling notdürftig verhüllt, das mit zwei Fingern Segen und Fluch erteilt

Benoît Jacquot, der Kirchenfürst, wischt sich den Schweiß von der Stirn

Wenn er in den Spiegel schaut, blickt er auf Völker nackter Männer und Frauen,

Die ihm unter Folterschmerz und Ekstase die Hände entgegenstrecken ...

Kein Tropfen Wasser in seinem Körper, der nicht zuvor in unzähligen

Anderen seinen Dienst tat, in Schnaps, Mörtel und Marmelade

Er spitzt den trockenen Echsenmund, feiert die Wiedergeburt und behauptet,

In den Augen von Schweinen den Blick verlorener Menschen zu sehen,

Im Verlauf der Wanderung seiner Seele die gepanzerten Körper von Reptilien

Bewohnt zu haben und aus diesen schäbigen Inkarnationen durch

Schüsse erlöst worden zu sein, er wäre schon ägyptischer Grabräuber,

Irischer Mönch und jüdischer Arzt gewesen, habe Städte wie Babylon, Troja

Und Karthago aus dem Stein wachsen und in den Staub sinken sehen

Der große Zeiger der Turmuhr wandert jede Minute mit einem Ruck weiter,

Bebt ein bisschen, bleibt stehen, wandert weiter ...

 

Gummifinger

Warteschleifen, Warmlufteinbrüche, Weltenlärm

Moleküle aus dem Chaos, zelluläre Kopiermaschinen, fötales Dasein

Inertialsysteme, Beschleunigungsgeneratoren, Scheinkräfte

Kollektive Metamorphosen, Krümmungssprünge, Konformitätsverstärker

Quellcodes, Mundschleimhäute, der genetische Flickenteppich,

Der Sog der Masse, die Synchronisierung der Gefühle, das große Stolpern

Autokolonnen wachsen wie Schorf aus den Gefäßwänden der Erde

Manchmal hebt sich ein Kanaldeckel einen Spalt ...

Das Leben entkrustet sich Schicht um Schicht zu Blut und Schleim

Überall tropft und wächst und wogt es, glitschige Kohorten flutschen über

Den Asphalt, erklimmen Kaugummiautomaten und Telefonzellen,

Die vollverglasten Aquarien der Hochfinanz und den Fernsehturm,

Verschwinden im Spinnennetz der Kanalisation und tauchen wieder auf

Schwanzlurche, Scheibenzüngler und Schaufelkröten steigen aus dem

Erdmantel, Veteranen der Evolution, Geschöpfe zwischen Wasser und Land,

Wesen aus einer anderen Weltzeit unterwegs zwischen flüssig und fest

Eine springflutartige Überschwemmung, ein Dammbruch zäh und unnachgiebig

Aufpumpte Schallblasen, ohrenzerreißende Paarungsrufe, Amplexus axillaris

Hochzeitstänze, Ringkämpfe, fladenförmige Laichteppiche, Eier-Piraterie

Klammerreflexe, Knoten, Fehlpaarungen mit Treibholz und toten Fischen

Ein Schlauch, ein Quaken, ein Quietschen, ein Wispern, ein Wimmern

Daniel Auteuil, der sein Leben mit dem Verteilen von Werbeprospekten fristet,

Wird von der rauschenden Strömung erfasst, gestoßen, geschoben und

Von einem Wirbel davongetragen, rings um ihn klecksen Augen und Lippen,

Tausende Zungen, Schwimmblasen und aufquellende Gallertschichten

Sprudelnde Luft, glasiges Perlen, Lichtpunkte, Flutwasser, Fiebertanz

Der Rest der Welt dreht sich schneller als der Kern

Jeder Körper ist eine Welle, jeder Schritt ein Fallen

Eine Klaue reißt an seinem Haar, splitterndes Stirnaufschlagen, Hirn fließt

Zurück bleibt ein zusammengedrücktes Knäuel stumm gemachtes Fleisch,

Von der Speiseröhre der Stadt umspeichelt und verdaut

Namenlose Wolken formen im Vorübergleiten den Himmel

Die Erde ist ein winziger Steinklumpen,

Der sich unaufhörlich um ein anderes Gestirn dreht

Unbedeutend ...

 

Erdbeereis

Der Frühlingsrausch stampft das Leben aus der Erde

Sonnenlicht überflutet in prächtigen Säulenbündeln die Stadt

Der Himmel ist eine Decke aus dufterfüllter Flüssigkeit

Gazellen mit Strohhalmkaffeebechern, Eiscreme und Campari

Erdbeeren, die wie platzende Farbkugeln aus den Tiefkühltruhen steigen

Fingerdicke Wespen, die ihre Flügel wie Ventilatoren kreisen lassen und Tulpen,

Die sich verschwenden bis sie durchsichtig sind wie brüchige Seide und sterben

Berstende Fenster und Bäume, die von Frauen bestiegenen Penissen gleichen

Nomaden der Liebe in der Kristallkugel der Verzauberung oder in der

Seifenblase der Illusion, marmorglatte Schenkel, rotlackierte Zehen, fettig

Geschminkte Augenlider, explodierende Erregung, ekstatischer Atemtausch

Der Käfig der Sehnsüchte, die Herrschaft der Körper,

Die Schlacht der Paare und Geschlechter, der Abgrund des Wollens

Manische sexuelle Aktivität, Narzissmus, Todesnähe, Martyrium

Bruno Crémer, der es zu Sonnenbrille und Krawatte gebracht hat,

Lässt sich hinaufejakulieren ins Paradies, auf schimmernde Goldwiesen

Und schmarotzt zwischen Haut und Saft und Mädchenbrüsten

Sophie Quinton, die Überstunden als unterbezahlte Putzkraft schiebt

Und keine Lust mehr hat auf die eisigen Kanten ihrer eingefrorenen Ehe

Mit geregeltem Geschlechtsverkehr, saugt die Atome der Frühlingsluft

In die Lungen und segelt wie funkelnder Liebesstaub durch die Männerträume

Zweisamkeitstaumel, Schmetterlingsschwärme, Amokläufe

Fiebriges Hin- und Herverweben zwischen Zeiten und Welten

Zwei wilde Symphonien, multitonal, barbarisch, chaotisch, wild, brutal

Ein orchestraler Exorzismus, eine ewig flackernde Kopulation

Crémer und Quinton steigern sich zu einem wuchtigen Fortissimo,

Reißen wie an einem rohen Stück Fleisch an ihrer Liebe, taumeln ineinander,

Reißen sich, den immer entfesselteren Wahnsinn der Liebe im Blick,

Die Hüllen ab, lassen sich lachend im Gewitter nassregnen,

Überschlagen sich, fressen einander auf und zerfetzen sich im Streit

Im Hirn reißt ein Nerv, Quinton wechselt das Kostüm

Sie will nicht die Röhre für die Selbstwerdung eines anderen sein

Die Glut, die Ekstase löscht sie mit seinem Blut

Sie schneidet ihm die Genitalien ab und läuft noch tagelang mit den

Liebesreliquien in der Handtasche durch die Stadt ...

 

Rinnsteinpoet

Betonschornsteine über Betondächern, Straßen öffnen und schließen sich

Menschen-Material, Maschinen, industrielle Mondlandschaften,

Eine von Jahrhunderten schonungsloser Ausbeutung durchpflügte Zone,

Ein Himmel, dem die Umweltverschmutzung das letzte Blau genommen hat

Die Spatzen pfeifen wie Autoreifen, Hüftspeck knackt, Brüste hüpfen

Heizdeckenverkäufer, Hitzköpfe, Zylinderköpfe, Regenwürmer in Panik

Fuchshaarige Kleinstadtfrauen mit den Lippen von Schlaganfallpatienten

Sexualforscher mit Stoppuhren, Schürzenjäger, Steigbügelhalter, Spaltschlüpfer

Über dem Friedhof wartet der Himmel, über der Stadt der Polizeihubschrauber

Von der Haustür blättert der Lack ab, der Lichtschalter ist kaputt ...

Das Sonnenlicht döst auf dem Sessel, der Fernsehapparat schweigt ...

Die hirnfarbene Rauhfasertapete, der transparente Acryl-WC-Sitz

Krumme Lebenswege, seelische Unbehaustheit, Ich-Schmerz im Gedärm

Frédéric Febvre, seit geraumer Zeit Übersetzer von Gebrauchsanweisungen,

Hackt mit der Schreibmaschine Löcher ins Papier

An der Wand schnarrt eine Uhr im Sekundentakt

Jede Zigarette ist eine niederbrennende Brücke zur Welt

Die Kindheit ist versperrt, das Ich ein erstickter Kontinent,

Ein mythisches Inselreich versunken unter dem Meeresspiegel,

Das große Abenteuer ein Pickel, das Glück ein leichtes Mädchen

Ketchuprote Lippen, einstürzende Magenwände, zwitschernde eiserne Vögel

Die Flut der Menschheit, schaumgekrönte Brecher, Strand- und Treibgut

In seinem Kopf drehen sich immer schneller die Zahnräder

Die Welt ist ein Schiff, das irgendwann bei strahlendem Sonnenschein

Und leichtem Wellengang auf einem Riff zerschellen wird ...

Febvre schneidet sich die Brust auf und hält sein erigiertes Herz in die Sonne

Resigniert schleudert er das letzte Buch aus dem Fenster

Zum Denken zu nervös, zum Schreiben zu verzettelt,

Das Papier zu weiß, die Augen zu starr, der Blutdruck zu niedrig,

Die Worte unverdaulich verklebt, gallertartig, nass, ätzend wie Säure

Zerebrale Knallfrösche, Silbengewürm, rhetorischer Schaum

Verwirrte Protokolle eines pathologischen Geistes,

Nicht mit Tinte getränkt, sondern mit dem Eiter uralter Wunden

Kapitulation im Kampf gegen papiersüchtige Ameisen

Blut auf dem Papier, die Ergießung eines geschrumpften Herzens ...

 

Zeitkapsel

Plattenbauwucherung so weit das Auge reicht

Der Rand des Himmels füllt sich mit blauem weichem Sand

Die polaren Spannungen des Daseins, die erschöpfte Existenz der Lebenden

Das humane Experimentierfeld, die hypnotische Wirkung der Sinnlosigkeit

Wagenrennen mit Airbag und Navi, Schlipsträger verharrt in Denkerpose,

Daten-Zombies, die ins Leere starren und nach Plastiksternen greifen,

Prostituierte, die sich über die Vorzüge des Mozzarella unterhalten,

Gören ohne Geldsorgen, Frauen in Fetzen, die sich in der Dusche ertränken,

Weinerliche Vorstadt-Rassisten, die sich die Welt auf Kleingartengröße wünschen,

Koksende Polizisten, Journalisten mit dem eigenen Blut auf der Kamera,

Böller, Brandsätze, Sprengkörper, Kinder unter goldfarbenen Rettungsfolien,

Verkohlte Betten, in Qualen verrenkte Körper, die Kopfhaare verschmort,

Ein rußiges Gekröse, die Augäpfel verkocht, die Haut auf Brust und Bauch

Zu einem ledrigen Panzer verbrannt, die Finger zu Krallen verkrümmt

Kein Blick ist ein Blick, der Himmel ist nichts als Himmel ...

Langsam blättert eine Zeitung ihre Todesanzeigen auf ...

Denis Ménochet, der sehenden Auges in ein Auto lief und seither an Krücken geht,

Rupft sich das letzte Haar aus der Kopfhaut, als wolle er einen Kosmos von

Kleinlebewesen vertreiben, ein Taxi wirft ihm verbranntes Benzin ins Gesicht

Der Himmel zerfällt wie eine langsame Lawine

Zu einem immer dicker werdenden Rand aus weichem blauem Sand ...

Bérénice hatte langes welliges Haar, nichts ist ihm jemals wieder so durch die

Hände geflossen, solche Haare hatte er im Lager gesehen, in der Todesfabrik,

In einer Halle, in der abgeschnittene Zöpfe, Locken und Büschel lagen,

Zu einem Haufen zusammengeworfen oder in Leinensäcke gestopft,

Rohmaterial für Matten, Perücken und Matratzen ...

Die Haut, die zuerst zerriss, war die Tür, ein gewöhnlicher Kleinbürgertag,

Im Morgengrauen waren sie gekommen, die Schlächter und Folterknechte,

Blonde glatthaarige Bürgersöhne, die Schuhe eingeschmiert mit dem Bauchfett

Der Getöteten, um den Hals als Kette die abgeschnittene Finger von Kleinkindern

Heimtückischer Gestapogeruch, stahlbekappte Stiefel, Knüppelhiebe

Unter einer Maske aus geronnenem Blut war er in einer Zelle aufgewacht

Nach dem Krieg hat er in umgepflügten Städten nach ihr gesucht

Sie war in einem Krematorium verraucht ...

Sein Mantel hat die Farbe des zerstörten Himmels,

Seine Finger die des weichen blauen Sandes

 

Ich-Klinik

Fahles Gelb dringt durch die Risse im Himmel

Christliche Schwangerschaftsberatung, Sonnenstudio, Nagelstudio

Männer, die auf Automaten starren, Fassaden, hinter denen niemand wohnt

Das von schrankenloser Nachkriegsbebauung verwüstete Stadtzentrum

Der Bahnsteig erinnert an den Pausenhof einer Gesamtschule

Klappmesser, Crack, eine Schlampe muss Zigarettenfilter kauen

Pierre Cosso, ein gefürchteter Schläger, der seinen eisenharten Schädel

Zwischen Aufzugstüren hielt und seitdem ein verstümmeltes Ohr hat,

Tötet ein Mädchen mit einem Bolzenschussgerät ...

Vor Jahren malte er sich die Auslöschung seiner Schulkameraden aus

In einer Reihe aufgestellt sollten sie durch Kopfschuss hingerichtet werden

Der Zug steht wie ein aus dem Streckennetz geratener,

Von den Behörden vergessener Irrläufer im Bahnhof, ein rostiges Insekt

Ein Eisenbahner klopft mit einem Hammer an die Räder

Ein kinderloses Ehepaar zusammengesunken auf einer Bank

Juliette Binoche, die einen halben Finger in der Rolltreppe verloren hat,

Spricht davon, sich zu erhängen, ihr Ehemann trägt bequeme Kleidung

Frauen erhängen sich nur selten, sie nehmen Schlaftabletten ...

Frauen stellen das Essen warm, hängen die Betten in die Fenster

Und bürsten das Erbrochene aus dem Teppich ...

Bruno Madinier, ein schweigsamer Mann mit weichem Händedruck,

Der pünktliche Züge und geschlossene Türen liebt,

Verliert sich in den schimmernden Tiefen kristalliner Strukturen,

In kubischen, hexagonalen, orthorhombischen oder monoklinen Systemen,

In winzigen Kristallgärten, deren Blüten im Gegenlicht silbergrün glimmen,

Ein zeitloses Bild der Welt, das ihn den Hass für den Augenblick vergessen lässt

Der Wunsch kommt auf, eine Bakterie zu sein

Sie führt ein beschauliches und friedliches Leben

Durch das Protonenkonzentrationsgefälle wie von einer Turbine angetrieben

Erforscht sie neue Welten, neues Leben und neue Zivilisationen,

Dringt in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat ...

Sie wächst, indem sie ihrer Umgebung einfache Nahrung entnimmt

Dann pflanzt sie sich eintönig durch Zell- und Querteilung fort

Die Qualen der Liebe bleiben ihr für immer unbekannt ...

Solange die Bedingungen günstig sind, fährt sie mit der Fortpflanzung fort

Dann stirbt sie ...

 

Bodeneffekt

Die Metropole, der Brutkasten, der Auspuff, das darwinistische Bestarium

Wie zerschlagene Flaschen liegt die Wirklichkeit in Scherben herum

Jäger und Sammler in Nadelstreifen, gläserne Aufzüge, Fensterstürze

Flüchtige Ficks zwischen Buchhaltung und Gehaltsabrechnung

S-Bahnen, die wie Maden über die Haut der Vororte kriechen

Ein Strichjunge zieht sich schon auf dem Bahnsteig aus

Und masturbiert mit flinker Hand in ein fleckiges Tuch

Im Schließfach die Leiche eines Säuglings, die Nabelwunde noch frisch,

Der Name auf der Haut noch nicht getrocknet ...

Dominique Rocheteau, der den ganzen Tag auf einem bunten Wolldeckenhügel

Sitzt und Frikadellen isst, beneidet die Fische, die dicht gedrängt auf

Ihren Tischen sterben, schutzlos ausgeliefert dem Anschwärmen

Der Fliegen, den Griffen der Käufer, dem Messer des Händlers ...

Gebannt starren die Spekulanten nach der Invasion der Bush-Krieger

In den Irak auf den riesigen Monitor mit den aktuellen Aktienkursen

Bettelgötter mit verrotzten Haarspiralen kriechen durch den Schmutz der Welt

Rinnsteingestalten, die schweigend auf farbverschmierten Dielenbrettern

Und aufgeschlitzten Matratzen herumliegen und ihren Tod ausbrüten

Stadtneurotiker, die verzweifelt piranhahafte Frustmorde begehen

Drogenmischer, die in dreckigen Küchen Crystal Meth brauen

Überirdische Wesen, die auf einer anderen Wirklichkeitsfrequenz existieren

Engelsköpfe süchtig nach außerirdischem Kontakt,

Die über Kloschüsseln hängen wie über offene Gräber

Erloschene Gesichter wiederbelebt im Schein aufglimmernder Pfeifen,

Die in Unterwäsche vor staunenden Spiegeln kauern

Großstadtartisten, die im übernatürlichen Licht aufgegebener Textilfabriken

Unter dem Himmel hängen und die schwebende Musik des Alls hören

Sonnen-Kinder aus dem Magma-Sperma, die sich waschen im Blut der Slums

Gangster des Mülls, die barfuß gehen und Kälte nicht fühlen

Aasfresser, die hungern und nicht weniger werden,

Deren Krankheitskeime im Blut eine Flammensäule verzehrt

Mottenkönige, die steif wie leere Mülltonnen in den Ecken hocken

Barden des Elends, sanft lächelnd wie Kinder vor dem Weihnachtsfest

Die Hunde machen sich davon, um eine andere trostlose Gegend

In dieser Stadt aufzusuchen ...

 

Nagelhaut

Die Menschen riechen nach Parfümnamen

Der Himmel riecht nach Schuppenbildung und Haarausfall

Der Figaro um die Ecke, Nackenpinsel, Ohrhaartrimmer, Gehirne in Töpfen

Sonnenschein strömt staubbeladen durch schwere Gardinen

Girlies im Glitzerfummel, betäubende Fahrstuhlmusik im Südsee-Sound

Modellier- und Manikürscheren, Heizwickler, versengtes Haar

Am Schwenkarm hängt eine Trockenhaube wie ein Blütenkelch von der Decke

Alban Ceray, kugelrunder Feinkosthändler mit Wurstfingern,

Der seinen Körper mit einer Gänseleber-Diät ruiniert, versinkt im Frisiersessel

Vincent Lacoste, der Haararchitekt, der Frisuren schneidet,

Die kein Haarwuchs zerstören kann, arbeitet wie ein Spinnentier

Mechanisch und wortlos schlägt er eine erste Schneise bis zum Scheitel,

Rodet die Gegend um die Ohren, seift die Hirnschale ein und wischt den

Schädel mit einer Serviette blank, bis er matt wie eine Elfenbeinkugel schimmert,

Bis das Gesicht vulgär wie ein schlaffes Geschlechtsorgan herabhängt

Im Augenwasser schwappt eine Stubenfliege, auf dem Weg zum Mund

Bricht ihm der Henkel der Kaffeetasse, Ceray zieht den Kopf

Wie eine Schildkröte ein, die man auf den Rücken gedreht hat ...

Ertrinken in Seifenschaum, Federbetten, Gartenteichen

Zwischen dampfenden Schaumwolken glitzert eine Unkrautharke

Ein alter Mann auf dem Rücken liegend im Kartoffelfeld,

Ein schlotternder Sack fest verschnürt und fertig für das Sterben

Verzinktes Wetter tief über der Ebene, ein Sturm naht ...

Die Knochen, brüchig vom Starrsinn der Zeit, schaudern in der Kälte

Wie eisiges Wasser glucksen die Jahrhunderte in den Schläfen

Silberweiß und blutig ragt der Bart in die Höhe

Voll Blut von den Blasen an den wundgelaufenen Füßen auch die Socken

Das Gesicht wird in den Boden gezogen, mit Erde gefüttert, mit Frost gefüllt

Seife im Ohr, Waschpulver im Mund, die Wangen roh wie Koteletts

Die Fliege schrubbt ihre Flügel mit den Hinterbeinen,

Faltet ihre Vorderbeine wie ein Mensch, der sich die Hände einseift,

Streicht sich sorgfältig über den lappigen Kopf und bürstet sich die Haare

Ceray tastet mit zwei Fingern nach ihr, packt und zerdrückt sie

Zwischen Daumen und Zeigefinger zu einem matschiggrauen Mus

Heißes Ekelgefühl

 

Menschenaffen und Affenmenschen

Hadernd mit dem Kontostand, mit dem Wetter, mit dem Schnupfen

Die Ampeln springen von Rot auf Grün, dann wieder von Grün auf Rot

Der erschrockene Raum, das überdrehte Draußen, das monotone Innen

Die kapitalistischen Mühle, der an Rankings und Ratings angedockte Zeitgeist

Die traumlosen Codes der Waren, die Wunden in der Haut der Zivilisation

Zeitmanagement-Gurus, Burnout-Experten und Lifestyle-Ingenieure, die

Zärtlich die rot glühenden Augen der Apparate unter dem Schädeldach tätscheln

Das narzisstische Selbst, botoxgeblähte Lippen, Schönheitsdurst, Blutdurst

Der Darwinismus von Beauty & Fashion, die Hot Spots des Affenkörpers,

Das liquidierte Individuum, das eliminierte Nichtidentische ...

Erwachen im brennenden Sitz des Autowracks, die Kinder fangen Feuer

Und drehen sich wie Kreisel, im Kofferraum schreit die Katze nach Luft

Bäume mit Wundverband, ein Frosch im Rollstuhl,

Die Hunde wären lieber Wölfe, die Ameisen lieber Vögel ...

Eine Frau, die häusliche und einfältige Form des Menschen, wartet auf Grün

Sorgfältig prüft sie ihre Fingernägel, Minuten später ist sie tot ...

Scharfe TV-Bilder für schärfere Liebe, Staubsauger für schnelleres Wohnen

Der Fahrstuhl stürzt ab, die Toilette ist verstopft, irgendwer fällt aus dem Fenster

Im ersten Stock das Gebrüll der Kameraden, Marionetten einer sinnentleerten

Pflichterfüllung, der Blick immer hungrig, die Hand schnell in der Hose

Fäkalsprache, Spindsaufen, Anpimmeln, Stromschläge, Jukebox, Hitlergruß

Rollmöpse mit Frischhefe und rohe Schweineleber bis zum Erbrechen ...

Ein Rekrut löffelt die braune Suppe aus der Toilettenschüssel,

Einem anderen wird mit einem Paddel eine Banane in den After getrieben,

Dem nächsten wird der Hintern mit der Bohnermaschine poliert ...

Im zweiten Stock kommt volltrunken der Alte nach Haus, dickwanstig,

Feistwangig, schlachtbankgefärbt, mit gigantischen Stierhoden

Frau und Kinder erdrückend, das Abendessen ist eine Orgie in Tierblut

Der Nachwuchs verkohlt im mörderischen Streit zum Schlackehaufen

Eifersüchtig nimmt er sein Messer, geht in die Kneipe

Und tötet seinen Nachbarn, schnell und schmerzlos wie immer ...

Dampfende Tröge, der Geruch von Blut, Federn und Schnaps

Sechs Tage die Woche hängt er Hühner an Haken,

Schneidet die Köpfe ab und wirft sie in Plastikkübel

Kein Tropfen im Grundwasser schreit ...

 

Speiseröhre

Der Himmel wölbt sich wie ein Zwerchfell über die Stadt

Seifenfabriken, Rohstofflager, Schmieröl, Schweinefetttanks

Quiekende Viehtransporter, neugierige Rüssel, Hiebe mit dem Gummischlauch

Verschmierte Helligkeit strömt durch das verrostete Dach

Ein enger Korridor, runzlige Wände scharlachrot wie Därme

Die Türen gleichen ovalen, grobschlächtig vernähten Wunden

Kurz hinter der Schleuse legt sich ein dicker Film auf die Zunge

Zwei Angestellte beim Frühstück, Wurstbrot, die Kittel blutverschmiert

Jean-Marc Thibault, der Schweine-Baron, der Fleisch produziert wie Schrauben,

Immer billiger, immer schmutziger, schüttet sich ein Bier in sein Seelenloch

Gestank nach verbranntem Haar und versengter Haut

Laufgänge, klinisches Grün, Rinder groß wie Mittelklassewagen

Motorsägen kreischen, irgendwer kotzt in die Darmwanne ...

Hals aufschneiden, Rektum aufbohren, enthäuten, aufschneiden, zerlegen

Brüllen, Schreie, Stampfen, niemand weiß, ob von Tier oder Mensch

An der Decke kreisen die Schwärme blanker Haken

Massige Körper schnellen in die Höhe und gondeln in den Tod

Mit langer Klinge öffnet der Anstecher die Hauptschlagader

Ein stumpfes Würgen und aufspritzendes Blut sprenkelt die Kacheln

Osteuropäische Söldner, Ritter in Kettenhemden und Eisenhandschuhen,

Zwacken mit überdimensionierten Gartenscheren Ohren und Hörner ab,

Reißen die verdrehten rotgeäderten Augen aus ihren Höhlen,

Durchtrennen die Kiefer, ziehen das Fell über die Ohren, schlagen die Köpfe ab

Ein Zwerchfell schwer wie ein nasser Wollpullover klatscht schmatzend auf

Die Fliesen, Tibor Pálffy, der Vorarbeiter, greift nach einer verschmierten

Cola-Flasche und genehmigt sich einen kräftigen Schluck Zwetschgenbrand

Fettiges Gekröse, gestopfte Würste, geronnenes Kälbergequiek

Lamellenförmiges Zahnfleisch, gallertartiger Ohrbelag, gelbes Wasser

Lungen und Pansen, die im kalten Raum wie atmende Körper dampfen,

Ein trächtiger Uterus, ein Kalb nackt in der schützenden Fruchtblase

Graue Zungen, aufgeschnittene Hodensäcke, gekappte Samenleiter

Die Männer, die sich die gefrorenen Hände im dampfenden Fleischhaufen

Wärmen, haben die Gesichtsfarbe von rohem Fleisch, nass und blutig

Tropfende Wände, kaltes Fett, schwarze Pfützen

Niemand weiß, wie tief sie sind ...

 

Stromkreis

Durch den Himmel geht ein Schatten, der nach den Gesichtern greift

Das Schlachtfeld des Bewusstseins, die Komödie der Normalität

Desinfizierte Sonntags-Christen im Hades der Tiefgaragen

Asphaltierte Botanik, lackierte Straßen, Mauerblick, Sonnenschwund

Frauenbeine sind nichts als Frauenbeine, Vögel nichts als Vögel ...

Im Stadtpark brennen die Bäume, hinter einer Säule explodiert ein Regenbogen

Der innere Bauplan, die Pforten der Wahrnehmung, die Bergwerke des Traums

Albert Dupontel, der aus Furcht vor seiner Frau tagelang Straßenbahn fährt,

Gerät in die Spirale des Schlafes und versinkt ins Untergründige

Der dampfende Maschinenraum, das fauchende Röhrenwesen, gigantische

Darmverschlingungen, ohrenbetäubendes Hämmern, beißender Qualm

Die Turbine, das stählerne Ungetüm, aus dem blaue und gelbe Kabel quellen,

Rumort wie eine Dampflokomotive, die Funken und Feuer spuckt

Dupontel, ein verwildertes Hausschwein mit speckigem Fleisch,

Wird gemeinsam mit anderen Schweinen in den Tunnel getrieben

Die Strömung des Wassers, die ihn weitertreibt, ist nicht sehr stark

Manchmal gelingt es ihm, die Beine auf den Boden zu bringen

Dann kommt eine Welle und er wird ein paar Meter tiefer gezogen

Manchmal sieht er das weiße Fleisch eines seiner Gefährten,

Der durch den Sog roh nach unten gezogen wird

Sie kämpfen im Dunkeln, aufgeblähte Leiber im Strudel, in völliger Stille,

Kurz unterbrochen vom Scharren der Hufe an den Metallwänden

Ganz langsam drehen sie sich zu Tode in immer kleiner werdenden Kreisen

Ein Schwein, hysterisch vom Blutgeruch eines vor ihm geschlachteten Tieres,

Jagt ihn weiter in das kalte Getriebe, in den Bauch der Finsternis,

In die Vorhölle mit ihren messerscharfen Flügelrädern

Rasendes Tosen und Toben erfüllt die Luft, Tod im Sekundentakt

Später liegt sein Kopf abgeschnitten auf einer Wiese

Der Schädel ist der Länge nach in zwei Hälften geteilt

Dennoch hat eine Hälfte nicht das Bewusstsein verloren

Allmählich dringen Ameisen in die offenliegende Gehirnmasse

Sein einziges Auge beobachtet den Horizont

Die Grasfläche dehnt sich unendlich aus

Auf den Wiesen blühen Blumen, die roten für die Schweine ...

Die Bäume sind schamlos grün, die Sonne gelb und feige ...

 

Druckpuls

Bauchnabelnde Kleinstadtmädchen, Lollipop lutschende Knirpse,

Tagelöhnertrupps in ranzigen Wohnwägen und windschiefen Zelten

Ein Eisverkäufer bugsiert seinen Blechwagen durch eine Wolke von Fliegen

Ein Neonazi lässt die Hose herunter und uriniert auf Kinder aus Vietnam

Der Marktplatz ist von Menschen gefüllt, deren Augenhöhlen leer sind

Lebendes Material, nassglattgekämmt, gescheitelt, beschnurrbartet

Unter einem Zelt hat Jean-Louis Coulloc‘h, ein geschäftstüchtiger Arzt,

Der Flüchtlinge aus Syrien als lebende Blutkonserven verschachert,

Einen zum OP-Stuhl umgebauten Einkaufswagen aufgebaut,

Eine Stehlampe und ein paar rostige chirurgische Bestecke

In einem Glaszylinder schwimmt eine Leberzirrhose mit Verfettung

Hinter ihm wird Erbsensuppe aus der Gulaschkanone verteilt ...

Auf dem Gesicht des Mediziners macht sich ein Lächeln breit,