Black Winter - Ana D. Rocky - E-Book

Black Winter E-Book

Ana D. Rocky

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Beschreibung

 Wir sind deine Stiefbrüder auf Zeit und wir teilen. Alles. Auch in diesem Winter. Wenn wir in deine Finsternis hinabsteigen, dich zurück an unseren Hof holen und dir zeigen, was es heißt, sich vollends zwischen uns fallen zu lassen. Brenne im Feuer des Hexers. Kämpfe im Ring des Punchers. Blute im Thronsaal des Teufels. Tanze im Gemach des Harlekins. Vertraust du uns, kleine Knospe? Dass wir dich retten? Aber pass auf deine Seele auf, denn wir verschlingen deine. Willst du sie zurück? Dann komm zurück in den Pitch und blühe für uns.  Ein Winter. Dunkle Wochen. Vier Brüder. Und eine Knospe … Wir sind keine Könige. Wir sind keine Helden. Wir sind die Moratas! Und unsere Abgründe sind tief. Moralisch mehr schwarz als grau. Verdorben, zerstört und süchtig.  Sage, der Puncher. Phoenix, der Hexer. Angel, der Teufel und Rocco, der Harlekin . Unsere Mädchen kommen, unsere Mädchen gehen, es bleibt der Pitch. Ein Ort für Sünde, Absolution und Freiheit. An dem wir sind, wer wir sind. Im Sommer spielten wir dort ein gefährliches Spiel. Mit unserer Stiefschwester. Ihr Blut klebt an unseren Händen. Weil wir nicht aufhören konnten, gemeinsam die Masken fallen ließen. Sie stieg in unsere Welt hinab, jetzt wir in ihre Finsternis. Bekämpfe Feuer mit Feuer. Flores, wir kommen dich holen. Und wenn du es zulässt, werden wir dich vielleicht auch retten. Wenn ihre Vergangenheit, zu unserer Gegenwart, zu meiner Zukunft wird. Dark Romance. Bully Romance. Dark Sensual. Du willst nicht teilen. Sie schon. Düster, Sinnlich, Atmosphärisch, Morata-Brüder Band 2 der Black-Reihe  Alle Folgebände handeln von denselben Hauptfiguren - Enthält direkte Sprache und explizite Szenen – Bitte verantwortungsvoll lesen  

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Seitenzahl: 479

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Dark Reverse Harem
Impressum
Widmung
Stell dir vor ...
Soundtrack
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
Epilog
Danksagung
Nachwort
Dark New Adult
Über die Autorin
Über den Verlag
Leserwarnung

Dark Reverse Harem

Was erwartet dich in diesem Buch?

Die weibliche Hauptfigur geht mit mehr als einem Mann eine sexuelle Beziehung ein. Für diese Männer ist SIE die EINE und wenn es ein Happy End geben sollte, ist das aller Wahrscheinlichkeit nach nicht klassisch westlich. Deswegen heißt es auch »umgekehrter Harem«. Es wird geteilt. Und glaub mir:

Du willst definitiv geteilt werden.

Impressum

1. Auflage

Copyright © Ana D. Rocky, Deutschland

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: Sternfeder Verlag

Lektorat & Korrektorat: Sternfeder Verlag

Herausgeber: Sternfeder Verlag

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich.

Jede Verwendung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig.

Personen und Handlungen sind frei erfunden und etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen rein zufällig.

Mehr über den Sternfederverlag:

Instagram: @ sternfeder.verlag

www.sternfederverlag.de

[email protected]

Mehr über die Autorin Ana D. Rocky:

www.facebook.com/Lettersymphonic

Instagram: @ lettersymphonic

www.lettersymphonic.com/shop/

[email protected]

Widmung

Höre nicht auf zu scheinen, nur weil es andere blendet!

Verlorene Jungs, werdet niemals erwachsen.

Stell dir vor ...

... kleine Blume. Du bist im Sommer über dich hinausgewachsen. Für einen flüchtigen Moment konntest du atmen, die Wärme auf deinen lindgrünen Blättern spüren. Die Sonne gab dir ein Gefühl von Freiheit, Zugehörigkeit und Lebendigkeit.

Doch dann kam der Nebel und deine Sicht wurde getrübt. Plötzlich warst du einsam, verlorst die Orientierung und wurdest von der herabstürzenden Isolation schmerzlich getroffen.

Furcht war es, die dich lähmte, weil du kein unbeschriebenes Blatt bist. Du hast Ecken, Kanten, Bedürfnisse, strahlst in der Dunkelheit, liebst verboten und sündig.

Deine Vergangenheit verfolgt dich bis heute.

Wie weit würdest du dich in ihr bewegen, um dich endlich aus ihren Fängen zu befreien? Würdest du noch einmal sterben, um zu leben?

Eine ausführliche Leserwarnung findest du am Ende dieses Buches. Pass auf dich auf!

Soundtrack

Black Winter Vibes

The Sound Of Winter | Bush

Threesome

Pain | Boy Harscher

Sage (der Puncher)

The Sound Of Silence | Disturbed

Phoenix (der Hexer)

Black Celebration | Depeche Mode

Angel (der Teufel)

The Sisters Of Mercy | Neverland

Rocco (der Harlekin)

I Want To Break Free | Queen

Flores (die Knospe)

Hurts Like Hell | Fleuri

Friends

Every Rose Has It´s Thorn | Poison

Vollständige Playlist auf Spotify unter:

Black Winter Soundtrack

von Ana D. Rocky

Prolog

It hurts like hell

Ich machte mich auf zu den verlorenen Jungs.

Und brannte in ihrem Feuer. Einen Sommer lang.

Vom ersten Tag an züngelten die Flammen lichterloh.

Für dich, mein Teufel. Du verewigtest dich auf meiner Haut.

Für dich, mein Puncher. Ich stand in deinem Ring.

Für dich, mein Harlekin. Du machtest mich zu deiner Muse.

Für dich, mein Hexer. Wir hatten einen epischen Tanz.

Alles Schall und Rauch?

Denn ich liebte, liebte, liebte, liebte ... und verlor!

Angel, Sage, Rocco und Phoenix: Sagt mir,

ist mein Licht erloschen? Oder wird mich die kalte Wintersonne erneut in eure Höllen führen?

Weil ich unwiderruflich eure Knospe bin?

1. Kapitel

Black Celebration

Anfang August 2023 ...

»Flores ... Fuck! Nimm die verfluchte Kurve! Flores ...«

Ich schlage auf das Lenkrad, brülle verzweifelt ihren Namen, bis meine Stimme versagt und ich bei laufendem Motor aus dem Wagen springe.

Direkt neben dem Mustang fällt die Straße schräg ab, sodass ich kopflos den Abhang hinabrutsche, mich am Wurzelgeäst entlang hangele, auf das sich mehrmals überschlagende Fahrzeug starre. Immer wieder verschwimmt mein Sichtfeld, weil ich voll drauf bin. Koks und die abgefuckte Steigerung Crystal ätzen durch meine Venen, weshalb mein Herz überdosiert. Scharfe Zweige schlagen mir ins Gesicht, schneiden in mein Fleisch. Doch ich stoppe keine Sekunde und falle Meter für Meter durch den Nebel, dem ohrenbetäubenden Krach hinterher.

»Flores ...« Erneut krächze ich heiser ihren Namen, bis mich eine unheilvolle Stille umgibt. Am Fuße der Klippe kommt das Auto auf dem Dach zum Erliegen. Einige Male schaukelt es hin und her, dann regt sich nichts mehr und der aufleuchtende Warnblinker wird zu meinem Ticken der Zeit. Sie läuft mir elendig davon.

Atemlos erreiche ich das Ende des Gefälles, verdränge die tiefen Schnitte auf meiner nackten Brust, das Blut, welches mir unaufhörlich aus der Nase tropft. Mehrmals hintereinander hämmere ich mir gegen die Schläfen, damit ich wach bleibe, nicht endgültig krepiere. McGhee braucht mich. Und ich sie! Verfluchter Fuck. Was habe ich angerichtet?

Auf allen vieren krieche ich durch das scharfkantige Dünengras, direkt vor die eingequetschte Fahrgastzelle. Ein Mix aus roter Suppe und Speichel verlässt meine Kehle. Still spreche ich den Namen des Mädchens, das blutüberströmt zwischen Glasscherben und verbeultem Aluminium liegt.

»Baby ..., kannst du mich hören?« Verzweifelt beiße ich mir auf die Faust. »Komm schon ..., mach die Augen auf. Du musst!«

Flatterig öffnen sich ihre Lider und ich breche zusammen, bin nicht imstande, die Erschütterungen in meiner Brust zurückzuhalten. Weil sie lebt. Weil sie mich sogar jetzt noch für ihren verfickten Erlöser hält. Dabei habe ich den grünen Schimmer in ihren Augen nicht verdient. Ich bin der Zerstörer! Das Monster unter ihrem Bett.

»... June ...«, atmet sie flach, röchelt und hustet zeitgleich. »... Der Name für meine Schwester.« Zittrig greift sie nach meiner Hand, verschränkt ihre Finger mit meinen. Nie wieder will ich sie loslassen. »Mum bat mich darum ...« Ihre Augen verdrehen sich und dunkelrotes Blut steigt aus ihrem Mundwinkel empor.

»McGhee, verfluchte Scheiße, bleib wach! Hörst du? Bleib. Wach!«

»... P h o e n i x ...«

Nur ein Hauch, aber er reicht aus, um mir einen markerschütternden Ton zu entlocken. Flores Körper krampft sich zusammen. Panisch rüttele ich an der verzogenen Tür, öffne sie mit meinen letzten Kraftreserven Zentimeter für Zentimeter. »Bleib wach«, flehe ich unaufhörlich. »Bitte ..., bleib wach.« So vorsichtig, wie ich kann, schiebe ich meine Arme unter ihre Beine und den Oberkörper, hebe sie behutsam auf meinen Schoß. Am Nullpunkt angekommen, wiege ich uns beide durch die Nacht, vergrabe mein Gesicht in ihrer Halsbeuge.

»Wieso nur bist du mir gefolgt? Wieso zum Teufel bist du mir in die verfluchte Hölle gefolgt?!« Ich bekomme keine Antwort, keinen Atemzug. Kein gebrandmarktes Mädchen aus New Salem, das mir Teile seiner Vergangenheit offenbarte.

In den letzten noch funktionierenden Arealen meines drogenverseuchten Junkie-Hirns fische ich hektisch nach der korrekten Abfolge für Erste-Hilfe-Maßnahmen. Fahrig wische ich mir mit dem Handrücken das Blut von der Nase. 120 Beats pro Minute! So viel braucht es, um das Herz eines Menschen am Leben zu halten. Flach lege ich Glorias Tochter auf den Erdboden.

»Baby, du musst jetzt mitmachen! Ohne dich schaffe ich das nicht.« Mit meinen Fingern reiße ich die Fetzen ihres rot getränkten Shirts entzwei, drücke mit den Handballen mittig auf ihren zarten Brustkorb. Eins, zwei, drei, vier ... Die Zahlen fliegen durcheinander. Fünfzehn, sechszehn neunzehn ... Bin ich bereits bei dreißig angekommen? Kaum noch bei Verstand, verschließe ich ihre Nase, lasse meinen Atem in ihre Lunge fließen. Dass Blaulicht unterwegs ist, bekomme ich nur am Rande mit. Mechanisch wiederhole ich meine Abfolge, durchlebe Todesangst, Wut, Verzweiflung, die schiere Ohnmacht. Kombiniert mit einer riesengroßen Abscheu gegen mich selbst! Weil ich das Mädchen unter mir auf so viele Weisen beschmutzte.

Vielmehr bin ich Faust und sie ist das arme Gretchen, das am Ende stirbt, weil nicht einmal Gott sie retten konnte.

Erinnerungen an die Metapher hämmern sich in meinen Schädel, bevor ich sie das erste Mal im Pitch hatte. Unserem Ort für Sünde und Absolution. In den ich sie egoistisch hinabsteigen ließ, denn ich wollte ihre Seele von Anfang an. »Fick dich, Wichser auf der goldenen Wolke!«, schleudere ich der vermeintlichen Macht da oben entgegen. Zehn, elf, zwölf ... »Du bekommst Flores nicht!«

Ein rasselndes Atemgeräusch ertönt wie ein Erdbeben, gefolgt von weit aufgerissenen Augen, die mich in meinen Albträumen verfolgen werden. Und doch habe ich niemals etwas Schöneres gesehen.

»McGhee ...« Nur ihr Name verlässt meine Kehle und er bedeutet alles. Mit meiner Stirn berühre ich ihre, schluchze, klammere mich an das Leben. Die Zeit entgleitet mir. Hilflos sauge ich ihren Atem wie mein verfluchtes Elixier auf. Nichts ist mehr von Bedeutung.

»Gib sie frei, Junge. Damit wir ihr helfen können.«

In Zeitlupe wird mir mein Anker aus den Armen genommen und ich lasse es widerstandslos geschehen. Wie paralysiert starre ich dem Notarzt hinterher, der mit seinem Trupp eilig davonstürmt. Je mehr Distanz er zwischen Flores und mich bringt, desto besser. Schwallweise landet Kotze auf meiner Jeans, vermischt sich mit der ganzen Abartigkeit, die mir aus den Poren fließt. Ich habe sie ohne Schutz gefickt und hell Yeah ..., es war das geilste Gefühl, was ich jemals hatte. Wieder kotze ich, sehne den endgültigen Blutsturz herbei.

Mit voller Wucht werde ich am Hals gepackt und zurück auf die Füße gezerrt. »Das ist alles deine Schuld! Du hast sie dazu getrieben!« Die Faust meines Lieblingsbruders landet in meiner Fresse. »Wie konntest du sie vögeln und ihr beim Abspritzen erzählen, dass du Amber geschwängert hast?!« Wieder trifft mich ein Kinnhaken, der mich kraftlos zu Boden schickt. »... Bist du überhaupt noch da drin, Phoenix?«

Was wiegt schwerer, der körperliche Schlag, oder die niederschmetternde Enttäuschung im Blick der einzigen Person, die meine Verbindung zum Leben ist?

Rocco tritt vor mich. Mit schwankendem Fixpunkt blicke ich zu ihm hinauf. »Geh zu ihr, Roc. Flores wird dich brauchen, mich kannst du nicht mehr retten.« Seine Haare stehen in alle Himmelsrichtungen ab, weil er sich permanent hindurchfährt. Er liebt mich und ich ihn. Doch auf dem Weg, den ich beschritten habe, wird er stehen bleiben müssen. Es ist eine Reise ohne Wiederkehr. »Na los!«, brülle ich mit zu Fäusten geballten Händen. »Mach, dass du wegkommst!«

Die Blaulichtsirene übertönt das, was sein Mund spricht, den Schmerz in seiner Stimme. Rocco lässt mich zurück und entscheidet sich für das einzig Richtige. Lass sie fliegen und nie wieder fallen.

Seinen Platz nimmt Sage ein, der vor mir in die Hocke geht, sachlich die Fakten benennt. »Du brauchst Hilfe, Kleiner.«

»Hau ab!«, spucke ich dem Zweitältesten von uns entgegen. »Ich bin raus. Aus allem! Der Hexer ist an seiner verfluchten Magie verreckt!«

Wieder übergebe ich mich, krempele mein Innerstes nach außen. Nüchtern nimmt er die Abartigkeit zur Kenntnis und wartet ab, bis kein Mageninhalt mehr kommt. Ohne Vorwarnung packt er mich am Oberarm, schleift mich wie eine leere Hülle hinter sich her. Im Zickzack stolpere ich den Abhang hinauf, habe keine Chance, mich aus Sages unerbittlichem Griff zu befreien. Oben angekommen, lande ich hart mit dem Rücken auf der Motorhaube meines Wagens, rutsche schlaff auf den Asphalt.

»Verschwinde von hier, Phoenix. Die Cops sind unterwegs!« Diesmal ist es Angel, der schneidend zu mir spricht.

»... Fick dich! Sollen sie doch kommen. Ist mir scheißegal.«

Im Schoß meiner versifften Jeans landet der Spender, den ich mir vorhin samt Shirt vom Leib gerissen habe. Dicht tritt er vor mich.

»Das kann ich nicht zulassen. Nicht für den Junkie-Bastard, sondern für unsere kleine Schwester, Holly. Putsch dich auf und verkrieche dich in irgendeinem Loch, bis ich alles geregelt habe und mich zu gegebener Zeit bei dir melden werde.«

Der Nebel um uns herum wird zum Nebel in meinem Kopf. »... Ist Rocco bei ihr?«

»Ja, er ist mit Petit in die Klinik gefahren.«

Das reicht mir als Antwort vom Thronfolger der verschissenen Familie Morata. Nacheinander halte ich mir die Nasenlöcher zu, rotze geronnenes Blut hinaus, ersetze es durch die Gier nach weißem Pulver. Der Schmerz, der mir durch die Schleimhäute fegt, ist mörderisch. Zuckend komme ich zurück auf die Füße, bin unfähig, die Verkrampfungen zu kontrollieren. »... Das habe ich alles nicht gewollt.«

»Schon klar«, antwortet Sage. »Genauso wenig wie bei Mia.«

Der finale Schwerthieb sitzt. Niemals war die Kluft zwischen uns größer, oder die Abscheu, mit der mich meine Brüder betrachten. Phoenix Morata bedeutet Overdose. Mia überlebte im letzten Sommer nur knapp meine Welt. Amber erwartet ein Baby, von dem sie behauptet, es sei meines. Flores ist in sechs Wochen tiefer als alle vor ihr gesunken. Sie ist in mein Reich vorgedrungen, hat uns beide entfesselt. Weil ich die Stiefschwester wollte, verdorben bis ins Mark bin. Rot! Niemals Blond!

Halbtot falle ich auf den Fahrersitz, starre auf die verwaiste Straße vor mir. »... Lasst mich nie wieder in ihre Nähe! Habt ihr kapiert? Keine Absolution für den Wichser.«

Erneut durchbricht Blaulicht die trügerische Ruhe um uns herum, weshalb ich in meine eigene Sünde hinabsteige, nichts von dem wahrnehme, was mir Sage und Angel nachbrüllen. Blitzschnell verlasse ich die Unfallstelle. Mein Ziel? Der Long Island Expressway und von dort durch den Midtown-Tunnel. Weg aus den Hamptons. Weg aus New York. Denn der Irrsinn in mir ist grenzenlos. Die Schuld. Das Verlangen. Unser Blut, das sich vermischte. Und mehr.

Würde ich Flores erneut in meine Flammen zerren? Um schreiend meinen Namen über ihre Lippen kommen zu hören? Weil ich nicht nur zusehe, sondern die schwarze Messe mit ihr zelebriere? Want to feel your touch tonight. Take me in your arms. Forgetting all you couldn’t do today. Fucking ja! Lasst. Mich. Nie. Wieder. In. Ihre. Nähe!

2. Kapitel

Ficken und Fighten

Anfang September 2023 ...

Blut spritzt, ich ducke mich weg, schlage erneut zu. So geht das im Wechsel, bis die Meute außerhalb der Fighting-Zone kaum noch zu bändigen ist. Sie rufen meinen Namen, wedeln mit ihren Dollarnoten, sind berauscht vom Adrenalin. Dabei bin ich es, der schweißüberströmt den Punch des Gegners erwartet und der Gefahr ins grün und blau geschlagene Auge blickt.

Tänzelnd bewege ich mich auf der Stelle, kreise die Schultern, provoziere den einen Meter neunzig großen Hünen vor mir. »Na, komm, du dreckiger figlio di puttana!«, fletsche ich die Zähne, taxiere ihn finster. »Schlag zu und zeig mir, was du draufhast.«

Stehe ich im Ring, bin ich ein freigelegter Nerv, die irre Ausgabe von Sage Morata. Meine Deckung bleibt unten und Hunter Collins brüllt vom Rand, ob ich nicht ganz dicht bin. Er ist der Manager meiner illegalen Boxkämpfe, hat dafür gesorgt, dass der Wahn eine Steigerung erfährt. Ich kämpfe Bar Knuckle, ohne Bandagen, barfuß, gegen ein berüchtigtes Gang-Mitglied. Das Preisgeld ist hoch, wobei das nicht meine Motivation ist. Ich will Informationen und Schutz. Die weitgespannte Macht der Mara Salvatrucha. Ein Zusammenschluss von Banden, die in Mittel- und Nordamerika im Untergrund agieren. Mehr kann ich für Phoenix nicht tun, als Verbündete zu suchen, die auf ihn aufpassen und mich bei Problemen informieren. Im Gegenzug erwarten die Maras, dass ich den Besten besiege und zukünftig für sie in den Ring steige. Angel und Rocco wissen davon nichts. Das ist allein die Bürde des Bruders, der immer zwischen den Stühlen sitzt und dem die la famiglia alles bedeutet.

Der Typ verpasst mir einen Aufwärtshaken, befördert meinen Kopf überstreckt in den Nacken. Der Schmerz entfesselt den Abgrund, die Wut auf einen Monat Stillstand. Bellezza liegt seit der Not-OP im Koma.

»M o t h e r f u c k e r ...« Ich spucke auf den Boden, reiße völlig dem Wahn verfallen meine Arme in die Luft, lasse die aus den Lautsprechern dröhnenden Metalriffs den Rest erledigen. Auge-Kopf-Faust ..., eine präzise aufeinander abgestimmte rhythmische Abfolge. Fließend platziere ich meine Schläge. Das Nasenbein bricht, die Leber wird bearbeitet, der perfekt platzierte Kinnhaken dirigiert meinen Gegner auf die Bretter. Zuckend liegt er vor mir und ich warte auf den Kick, denn es gibt genau zwei Situationen, in denen Entspannung für mich funktioniert. Wenn ich fighte und wenn ich ficke. Doch nichts passiert, mein Schwanz hängt schlaff in der Hose, der Puls bleibt auf Normalniveau, die Jubelrufe dringen nicht zu mir durch.

Der für den Kampf lächerlich herausgeputzte Ringrichter erklärt mich zum Sieger. Unbefriedigt streiche ich mir die nassen Haare aus dem Gesicht, verlasse die Arena und schiebe mich durch die Massen. Hände klopfen mir auf den Rücken, gratulieren dem Champion, wollen etwas von Ruhm und Ehre abbekommen. Dass wir den Glanz teuer bezahlen, wissen sie nicht. Wir verfaulen von innen.

Hunt boxt mir gegen die Schulter, kippt eine Wasserflasche über meinem Kopf aus. »Du bist wahrhaftig der beste Puncher aller Zeiten. In nicht einmal drei Runden hast du ihn geknackt.«

»War zu leicht.« Wie ein begossener Pudel schüttele ich mich, verteile Schweiß und Wasser im engeren Umkreis. »Wer steht als Nächstes auf der Liste?«

»Wie viele Kämpfe waren es im letzten Monat?«

»Keine Ahnung, hab aufgehört zu zählen.«

»Ich nicht. Du bist zwanzig Mal angetreten und somit fast pausenlos.«

»Na und«, stelle ich trocken fest, zucke desinteressiert mit den Schultern, wische mir etwas Blut von der Lippe. »Du warst heiß auf die neue Saison. Außerdem bringt es Kohle und Abwechslung. Also mach dir nicht ins Offiziers-Hemdchen deines Dads, ich bin in Topform.«

Mein Kumpel macht einen Schritt auf mich zu. Wir beide sind gleichgroß, von ähnlicher Statur. Mit dem Unterschied, dass er die Haare raspelkurz trägt. »Unbestritten bist du der Champ, aber wenn du mir übertrainiert umkippst, bringt das niemandem etwas. Du bist auf der Jagd. Pass auf, dass du dein Blei am Ende nicht selbst frisst.«

Mit der Faust klopfe ich mir dreimal gegen die linke Brustseite. »Hab’s gespeichert.«

Ohne ihm weitere Beachtung zu schenken, jogge ich die Metalltreppe hinauf. Hunt kümmert sich um die Formalitäten, weshalb ich mich in die Umkleide verziehe. Dort entledige ich mich meiner Shorts, betrachte mich nackt in den vorhandenen Spiegeln. Ein paar Blessuren habe ich heute davongetragen. Bewusst. Damit ich sehe, dass ich keine Maschine bin. Manchmal entfällt mir das. Funktionieren. Angels Wingman sein. Zusehen, wie Gloria immer weiter verzweifelt, weil ihre Tochter nicht aufwachen will. Mit der Lüge leben, die uns der Thronfolger so oft eingebläut hat, dass ich sie mittlerweile selbst glaube. Dann lieber die Fäuste sprechen lassen, bevor ich mich an das Krankenbett stelle, unserem Opfer beim tiefen Schlaf zusehe.

Frustriert wechsele ich hinüber in den Duschbereich, ziehe an der Kette, die von der Decke baumelt.

»Netter Knackarsch.«

»Wenn man an den Teufel denkt ...« Halb drehe ich mich zu meinem Bruder. »Bist du nicht damit beschäftigt, Drogen zu verticken?«

Angel grinst überheblich. »Schon erledigt.« Und wird plötzlich ernst. »Petit ist aufgewacht.«

Das Wasser prasselt auf meinen Kopf, wäscht den klebrigen Schweißfilm von meiner Haut, aber nicht die Schuld. »Warst du bei ihr?«

Er zögert, weil er dazu genauso wenig in der Lage ist. »Nein, ich weiß es von Gloria. Das Krankenhaus hat sie angerufen und Charles mich vor einer Stunde. ... Petit erinnert sich nicht an den Unfall.«

»Sind wir nicht gesegnete Glücksschweine? Wie streunende Katzen fallen wir immer wieder auf die Füße.« Der abfällige Ton in meiner Stimme ist unüberhörbar. »Was schlägt der Crown Prince nun vor?«

»Das, was Stiefbrüder so tun. Ihr Zeit geben, bis sie sich vollständig erholt hat.«

Tropfnass stelle ich mich vor ihn. »Erzähl mir nichts. Seit wann bist du mit irgendeiner Tugend gesegnet? Geduld gehört sicher nicht zu deinem Repertoire.«

Angel leckt sich die Lippen, knackt mit seinen Fingerknöcheln. »Doch, wir pausieren. Kein Hintergedanke.«

»Ja klar«, lache ich rau. »Auch du bist auf der Jagd.«

Er kann nicht wissen, wie ich das meine. Wir alle liegen auf der Lauer, in unterschiedlichen Gräben und spielen Capture the red Flag. Die Frage ist, ob wir weiterhin im Team antreten, am Ende ein Gewinner die Fahne schwenkt, oder es gänzlich anders kommt. Unterschätze niemals den Gegenspieler. Es gibt immer einen. Und wenn es der eigene Kopf ist.

Mein Bruder macht auf dem Absatz kehrt. Er hat alles gesagt. Ich liebe ihn. Ich liebe Rocco. Ich liebe Phoenix. Ich verabscheue mich. Ficken und Fighten. Sage Morata.

3. Kapitel

Weil Wendy die verlorenen Jungs verlor

Anfang November 2023 ...

Der erste Schnee ist gefallen. Eine zarte Puderschicht bedeckt die Erde, Konturen, Formen und Farben. Alles ist verschleiert. Tief atme ich aus, betrachte den feinen Hauch, der an der kalten Luft kristallisiert und in die Welt hinausfliegt.

Ich hatte einen Sommer. Mein Herz klopft. Mein Kopf schweigt. Aufgewacht bin ich im Winter. Gefangen in meiner Blase aus Erinnerungen, die mich durch die trüben Tage geleiten. Sie streicheln mich, schlagen mich, verletzen mich mit den Splittern eines vierteiligen Mosaiks.

»Schatz, du musst das nicht tun. Charles und ich haben dich gern bei uns.«

Ein müdes Lächeln stiehlt sich auf meine spröden Lippen. »Der Physiotherapeut meint, ich bin fast vollständig wiederhergestellt. Daher wird es Zeit, dass ich meine Komfortzone im gemachten Nest verlasse. Außerdem setze ich auf Dauer Speck an, weil du mich wie eine Weihnachtsgans mästest.« Mit der Hand hebe ich meinen Wollpulli ein Stück an. »Siehst du, ein Röllchen nach nur einem Monat.«

Dass Gloria trotz der rötlichen Narbe lacht, die sich senkrecht über meinen Bauch, hinauf zum Brustbein schlängelt, ist ein gutes Zeichen. Sie verarbeitet. Genauso wie ich. Fester zieht sie die Strickjacke um ihren Körper, setzt sich zu mir auf einen Metall-Gartenstuhl, der in der Rückenlehne eine blühende Rose trägt. Verspielte Stahlformen halten das Konstrukt an vier Ecken in der Balance. Sie sorgen für Sicherheit und Stabilität, weil sie miteinander verbunden sind. Bricht eine Strebe, brechen sie alle.

»Woran denkst du, Cakepop?« Automatisch greife ich nach dem Softpack Zigaretten, der neben mir auf dem kleinen Bistrotisch liegt, und ernte ein sofortiges Kopfschütteln. »So schmal bin ich nun auch wieder nicht mehr, oder?«

»Tut mir leid, June«, erwidere ich peinlich berührt, streiche mit schmalen Fingern über Mums wohlgeformten Babybauch. »Nimm dir bloß kein Vorbild an deiner großen Schwester.«

Seit ich aus dem Gracie Square Hospital entlassen wurde, rauche ich wie ein Schlot, weshalb ich die meiste Zeit entweder hier draußen verbringe oder durch den direkt gegenüberliegenden High Line Park schlendere. Die Ärzte meinen, dass der Glimmstängel zu meinem Traumaverarbeitungsritual gehört und man mich lassen solle. Trotz kollabierter Lunge.

»Ich will nicht, dass du ausziehst.«

»Mum ..., normalerweise wäre ich zurück nach New Salem gegangen. Mit Hunderten Meilen zwischen uns. Jetzt bin ich nur ein paar Autominuten entfernt.«

»Aber zu welchem Preis?« Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Wie die, die ich heimlich vergieße, wenn ich von ihnen träume. »Ich bin mit dir gestorben, als wir um dein Leben bangen mussten. Habe neben dir gewacht, weil ich bei dir sein wollte, wenn du zu uns zurückkehrst. Wurde schier verrückt, weil du deine Zeit gebraucht hast. Und dann bist du heimlich, still und leise aufgewacht, mit dem Namen deiner Schwester auf den Lippen. Erzähl mir, was in dieser Nacht genau passiert ist? Warum zum Teufel bist du in dieses verdammte Auto gestiegen?«

Jedes traurige Wort transportiert all die Emotionen an die Oberfläche, die ich seit meiner Rückkehr nicht an mich heranlasse. Funktionieren! Die drei Affen sein! Weder sehen, hören oder sprechen. Etwas mühsam stehe ich auf, setze einen Fuß vor den anderen, laufe hinüber zur verzinkten Balustrade und halte mich am Handlauf fest. Jeder Winkel in diesem verwunschenen Stadthäuschen in West Village erinnert mich daran, dass ich Nimmerland niemals erreicht habe. Weil Wendy die verlorenen Jungs verlor!

Mit der Handfläche fange ich eine einsame Schneeflocke auf, beobachte ihr Vergehen auf meiner Haut. In Minnesota gehörte das zu meinem Ritual, bis alles dunkel wurde, wir nach Oklahoma, New Salem geflüchtet sind. Dort war die Kälte zu jeder Jahreszeit mein Feind. Erst ein Sommer in den Hamptons konnte diesen Kreislauf durchbrechen. Weil ich seine Bellezza war, seine Petit, seine Fleur ... und seine Flores!

»Bitte verzeih, ich wollte dich nicht unter Druck setzen. Du wirst dich erinnern, da bin ich sicher.«

Halb über die Schulter blickend, streiche ich mir eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. »Muss ich es denn? Pneumothorax, angerissene Milz, diverse Rippenprellungen, mittelschweres Schädel-Hirn-Trauma ... Der Abschlussbericht beschönigte nichts. Und damit bin ich glimpflich davongekommen. Ein Hoch auf meinen Schutzengel. Findest du nicht?« Deutlich schwingt mein berühmter Unterton mit, sodass ich mir augenblicklich auf die Zunge beiße.

Sich an den unteren Rücken fassend, steht Gloria ebenfalls auf, reduziert die Distanz zwischen uns. Dafür, dass sie erst knapp die dreißigste Schwangerschaftswoche erreicht hat, nehmen ihre körperlichen Beschwerden täglich zu. Mich bekam sie mit Mitte zwanzig und es folgten achtzehn Jahre Flores Bloom-McGhee. Ihr persönliches Damoklesschwert. Wiederholt zerrte es sie vor das Grab der eigenen Tochter, um ihr dann hämisch den Stinkefinger zu zeigen, weil sie umsonst um Jahre gealtert ist. Wer kann das schon von sich behaupten? Zweimal dem Tod ein elendiges Schnippchen geschlagen zu haben!

Liebevoll nimmt sie meine kühle Hand. »Du bist hier zu jeder Tages- und Nachtzeit willkommen. Wann immer dich das Bedürfnis packt, hier ist Platz.«

»Bald wird hier alles mit Spielzeug vollgestellt sein, Mum. Ihr werdet jeden Zentimeter benötigen.«

»Ich glaube, du überschätzt Junes anfängliche Wünsche. Essen, schlafen, schreien und wieder von vorne. So wie bei dir. Du hast mich permanent auf Trab gehalten. Und da es bei Charles Kindern ähnlich abgelaufen ist, stelle ich mich auf eine explosive Mischung ein.«

Der Vergleich lässt mich schlucken. Aus der Tasche ihrer Strickjacke zaubert sie eine Silberkette mit passendem Anhänger hervor, stülpt mir das Geschmeide über den Kopf. Automatisch erstarre ich. Wie sich das Material des Hexers auf meiner Haut angefühlt hat, habe ich nicht vergessen. Was es mit mir anstellte. Mit ihm. Ich saß vor dem Glastisch in seinem Zimmer, danach umwabert mich ein schwarzes Loch.

»Deine Eintrittskarte in die Casa de Morata. Nicht verlieren.« Ein Anflug von Übelkeit erfasst mich! »Na komm, ich koche dir einen letzten Kaffee, bevor es ernst wird, ich dich ziehen lasse.«

»... Geh schon vor, ich bin gleich da.«

Gloria küsst mich auf die Stirn und verschwindet im Haus. Mit der Zunge lecke ich mir über die Lippen, gehe vor dem Geländer in die Hocke, starre durch die pulverbeschichteten Streben auf gefrorene Heckensträucher. Heute ist der 04. November 2023. Vor exakt vier Monaten ließ mich der Engel hinein und ich dieselbe Anzahl an Stiefbrüdern. Fest kneife ich die Augen zusammen, sehe Neon & Pitch. Das, was wir taten. Was sie mir mit jedem Stoß zurück in meinen Körper vögelten: Lebendigkeit.

Ist die Fahrkarte in eure Welt erloschen? Nicht ein einziges Mal habt ihr mich besucht. Wie damals, als ebenfalls niemand kam. Weil die Knospe jetzt den Makel trägt und Eintagsfliegen nach erfolgtem Paarungsritual sterben? ... Dabei hätte ich euch so gebraucht.

»Seid gegrüßt, holde Maid.« Ertappt zucke ich zusammen, stoße mir die Stirn am Metall. »Des Ritters Augen sehen unziemliche Dinge. Denn nur im Pulli wird es die Lady frösteln, gar erkälten oder Schlimmeres.«

»Der Sensenmann wird mich ebenfalls kein drittes Mal wollen, Noah. Sogar dann nicht, wenn ich nackt vor ihm tanzen würde. Er hat etwas anderes für mich geplant.«

Irritiert blickt er auf mich hinab. Nach wie vor trägt er die Haare kinnlang hinter die Ohren gestrichen und hat ein Faible für farbenfrohe Kleidungsstücke. Der Hoodie ist ein Mix aus bunten kleinen Karos. Ohne Hemmungen zieht er mich zurück auf die Füße, direkt in wärmende Arme. »Sollte er sich wieder vor deine Haustür wagen, mache ich ihn kalt.«

»Klar, weil du der Held in Strumpfhosen bist.«

»Darin würdest du mich sicher gerne sehen, was?«

Seine hervortretenden Grübchen sind ein Zeichen dafür, dass ihm unsere Konversation gefällt. Mehr als das, Noah lässt keine Gelegenheit aus, wenigstens einmal am Tag nach mir zu sehen. Zur völligen Euphorie von Gloria, die ihn bereits im Sommer adoptiert hatte. Dass er die Leere in mir nicht ansatzweise füllt, weiß er nicht. Mit seiner unkomplizierten Art bringt er mich auf andere Gedanken, versorgt mich mit Homeschooling-Lernstoff, exklusiv von seinem Lehrer-Dad zur Verfügung gestellt. Oder wir ringen mit Charles um die Weltherrschaft, weil der fucking Nerd-Alarm trotz der Kopfverletzung uneingeschränkt funktioniert. Meine Schachzüge sind präzise, strategisch, vernichtend. Regelmäßig dränge ich die Männer in die Ecke, lasse sie vor mir kapitulieren. Mit dem Ergebnis, dass die Püppchen vom Brettspiel verteilt auf dem Fußboden landen.

»Ein Königreich für deine Gedanken, Flores.«

Ich löse mich von ihm, trotte zurück zum Bistrotisch und genehmige mir die heiß ersehnte Kippe, huste die Enge in meiner Brust geflissentlich weg. »Wieso bist du heute hier?«

»Oh, was für eine zuvorkommende Frage. Sie klingt wahnsinnig einladend, weil man überhaupt nicht das Gefühl bekommt, ein ungebetener Gast zu sein.«

Gekonnt formt er einen Schneeball, wirft ihn vor meine Füße, sodass ich kurz geneigt bin, es ihm gleichzutun. Doch der Moment verstreicht ungenutzt. Stattdessen asche ich monoton die Glut von der Spitze, räuspere mich.

»Vor ein paar Tagen hattest du mir den Flyer einer Univeranstaltung gezeigt. Wenn ich mich korrekt erinnere, war darauf das heutige Datum gedruckt. Daher nahm ich an, dass du mit deinem Pflichtbesuch heute aussetzen würdest.«

Energisch flattern blonde Haare durch die Luft, dennoch lässt er die fade Beschreibung seines Motivs unkommentiert. »Der Poetry Slam findet erst heute Abend statt. Komm doch mit, wenn du dich fit genug fühlst. Heather wurde als Erstsemester-Frischling ausgewählt, sich der Meute mit ihrer unnachahmlichen Art zu stellen. ... Sie vermisst dich.«

Drohende Schatten steigen hinter dem blonden Surfer empor, verdunkeln mein Irrlicht: der Crown Prince und seine Knights! So werden Charles Moratas Söhne im universitären Fachjargon genannt. Etwas, das ich von ebendieser Heather erfuhr. Noahs Schwester, die innerhalb eines zufälligen Wimpernschlags im Sommer zu meiner Freundin geworden ist. Weder war ich imstande, mit ihr zu sprechen, noch über eine Handvoll abzählbarer Textnachrichten, zu kommunizieren. Gleiches gilt für Emma und Danielle, meine verrückten Mädels aus New Salem. Ungeöffnete Briefe stapeln sich auf dem Nachtschränkchen, die ich jeden Morgen betrachte, ihnen still die Geschichte von Flores und den verlorenen Jungs bis zum Tag meines Blackouts erzähle.

Gefangen im Sog, schweifen meine Gedanken erneut ab und mein Blick wandert durch das fehlende Blattwerk in die Ferne. Tänzelnde Buchstaben reihen sich auf einem imaginären Blatt Papier aneinander. Meine neue Methode, ohne Risiko Druck abzubauen, weil es nur in Flores Kopf geschrieben steht:

04.11.2023 | I don’t know why we need to break so hard ...

Sage, Phoenix, Angel und Rocco ... 1500 Meilen hat es gebraucht, um zu euch ins Strandhaus zu kommen. 48 Stunden, bis ich wusste, dass mir ein dunkler Sommer bevorsteht. Nach 96 Stunden entschied ich mich für den Weg hinab in eure Sünde und Absolution. Ich gab mich euch nicht nur mit dem Körper hin, sondern auch mit den Resten meiner geschundenen Seele, konsumierte Drogen, wurde aus Niedertracht verprügelt. Täglich belog ich meine Mum, mich selbst und hielt jedes Erlebnis in meinem Tagebuch fest. Ihr schenktet mir den schönsten Geburtstag meines jungen Lebens und ich erlebte nur wenig später die größte Angst, weil meine Geheimnisse gestohlen wurden. Mein Herz verliebte sich. In dich, dich, dich und vor allem in dich! Jetzt blutet es. Versteckt. Totenstill. Unbemerkt. Allein ...

»Erde an Flores. Bist du hier, bei mir, oder in welchen Sphären treibst du dich schon wieder herum?«

Blinzelnd kehre ich zu Noah zurück und bleibe dennoch im Schrecken gefangen. Es hat sich ausgezaubert. Wie recht Phoenix doch hatte.

»Der Kaffee ist fertig!«

Gloria flötet eine perfekte Werbeunterbrechung und verhilft mir damit unwissentlich zur Flucht. Etwas zu fest stopfe ich den Zigarettenstummel zwischen seine abgebrannten Kumpels, klopfe die Boots an der rot verklinkerten Fassade ab, husche ins Innere. Nach wenigen Schritten falle ich direkt hinein in die gemütliche Landhausküche. Auf dem rustikalen Esstisch steht bereits eine dampfende Tasse mit goldbrauner Flüssigkeit in Wartestellung. Durchgefroren rutsche ich auf die Bank mit dem plüschigen Sitzkissen, wärme meine Hände an der Emaille, stibitze mir ein selbst gebackenes Plätzchen vom Teller.

»Es freut mich, dass du es doch geschafft hast, Noah. Gestern sind die letzten Kartons aus dem Zwischenlager eingetroffen, da könntest du mir tragen helfen. Charles wird sich leider etwas verspäten, daher passt das prima.«

Mum drückt ihm ebenfalls eine Tasse in die Hand und ich schüttele mich von Kopf bis Fuß: Grüner Tee.

»Stets zu Diensten, Gloria.«

Wenn er jetzt salutiert, flüchte ich und nehme mir einen Uber zur neuen Wohnung. Dabei meint er es nett, ohne Sarkasmus oder schmutzige Hintergedanken. Nicht zum ersten Mal stelle ich mir daher die Frage, ob ich ihn benutze, weil er mir seine Augen und Ohren in die Welt hinaus leiht. Vermutlich würde Rocco mit einer tiefgründigen Gegenfrage um die Ecke kommen, unbeschönigt von mir wissen wollen, ob wir uns nicht alle gegenseitig benutzen. Ich vermisse unsere Gespräche und ... mehr.

»... Bin dabei!« Das aus zwei Worten bestehende Statement prescht aus mir heraus. »Jemand muss Heather die Daumen drücken und seelischen Beistand leisten, damit sie den Dichterwettstreit gewinnt.« Insgeheim ist es ein Vorwand. Ein selbstzerstörerischer, armseliger, verlorener Versuch, zu verstehen. Und der Startschuss für die Rückkehr. Schon am Montag trete ich mein letztes Jahr an einer fremden Highschool an, besuche zweimal die Woche erste Uni-Vorlesungen. Wegen meiner mathematischen Hochbegabung hat Charles seine umfassenden Beziehungen spielen lassen und mich in das Programm der akademischen Akzeleration eingeschleust. Weil er felsenfest an mich glaubt, ich mich für June und gegen New Salem entschieden habe. Mit allen Konsequenzen, die das mit sich bringt.

Ein echtes Lächeln stiehlt sich auf Noahs Gesicht. Nervös nippe ich am Café au Lait. Das Leben hört nicht auf zu passieren. Egal, wie tief die äußeren und inneren Narben auch sein mögen. Es läuft auf der anderen Spur weiter. Mit der Nuckelpinne, anstatt eines Mustang Shelby GTs.

Zwei Stunden später trockne ich die Tränen meiner Mum. Wir sitzen auf einer Holzbank vor einem leicht zugigen Fenster mit Blick auf eine kleine Dachterrasse, die ich ausschließlich über das Schlafzimmer erreiche. Ihr Kopf liegt an meiner Schulter, die Rollen sind vertauscht.

»Das Gästezimmer bietet ausreichend Platz für dich und deinen Babybauch. Wenn dir eine surrende Heizung nichts ausmacht.«

Fest schnäuzt sie ins Taschentuch, betrachtet die überschaubaren Räumlichkeiten, die ich ab jetzt mein Eigen nenne. »... Ich hatte kaum Gelegenheit, mich darauf einzustellen. Du hast das quasi über Nacht entschieden. Wirst du wirklich zurechtkommen?«

»Ich versuche es«, antworte ich ehrlich. »Aber du musst mich ziehen lassen, weil wir angekommen sind. Erinnerst du dich an deine Worte auf der Geburtstagsparty? Ob das jemals für mich gilt, werde ich erst herausfinden, wenn ich in den Ring steige. Sonst bin ich wieder nur Statist, verstehst du?«

Aus einer übervollen Handtasche kramt Gloria einen rechteckigen, in Zeitungspapier umwickelten Gegenstand hervor und überreicht ihn mir mit zittrigen Fingern. »Du hast dich verändert, Schatz. Seit du aus dem Koma erwacht bist, nehme ich das jeden Tag bei dir wahr. Wir streiten nicht, sind häufig einer Meinung, sogar deine geliebten Splatterfilme verschmähst du. Nicht, dass mich das stört, aber es verwirrt mich.«

»Manchmal verändern einschneidende Erlebnisse unwiderruflich.« Die einsetzende Stille zwischen uns dehnt sich, ist kaum erträglich. Sogar Noah hört im Schlafzimmer auf, die letzte Lichterkette an die Wand hinter dem Bett zu nageln. »Was versteckt sich unter der Druckerschwärze von vorgestern?«

Gloria räuspert sich, steigt auf meinen Themenwechsel ein. »Holly kam auf die Idee, aber mehr verrate ich nicht.«

»Hast du mit ihr gesprochen?«

»Du weißt doch, immer wieder sonntags. Mehr lässt der Caitlyn-Dämon nicht zu. Wir können froh sein, wenn sie überhaupt zur Hochzeit kommen darf.«

Vorsichtig lege ich das Geschenk neben mich, kaue auf meiner Unterlippe herum. »Es ist wegen mir! Wegen der Selbstmörderin, die nach gescheitertem Versuch in die Zwangsjacke gesteckt wurde. Caitlyn schützt Holly so vor der verrückten Witch.«

»So ein Quatsch, Flores. Das liegt weit in der Vergangenheit und gehört zu einem Abschnitt in deinem Leben, den du hinter dir gelassen hast. Charles Ex-Frau sucht einen Grund, ihn fertigzumachen. Wenn ihr endgültig das Sorgerecht zugesprochen wird, hebelt das den Ehevertrag aus und die Hälfte von Morata Intelligence gehört dann ihr. Dafür geht sie über Leichen.«

»Mum ..., da ist etwas, was ich dir bisher nicht erzählt habe.« Die Wahrheit liegt mir auf der Zunge, während die Nagelhaut an meinem Daumen immer fisseliger wird. Es macht mich fertig, alle weiter an der Nase herumzuführen. Nur durch mich und das verbotene Spiel mit ihren Söhnen hat Caitlyn überhaupt Kanonenfutter für diesen Schachzug bekommen. Holly ist der Kollateralschaden meiner Taubheit, die vier Brüder gestillt haben. »... Ich ... habe ... mit. Wir sind ...« Scheiße! »Ich werde die Therapie mit Mrs. Thompson nicht weiterführen.«

Keine Lüge verlässt meine Lippen und dennoch legt meine Armseligkeit Zeugnis ab. Bittere Galle schwappt in meinen Mund. Innerhalb von Sekunden huschen über Glorias Gesicht unzählige Emotionen. Voran Unglaube, Angst und Enttäuschung.

»Wieso gerade jetzt, wo du wieder so viel zu verarbeiten hast?«

»Weil es mich regelrecht anwidert, seit vier Jahren permanent den Flores-Bloom-McGhee-Spiegel vorgehalten zu bekommen. ... Ich bin austherapiert.«

»Und die Tabletten? Diese Diskussion hatten wir schon einmal. Du warst es, die den Auslassversuch stoppte, weil es nicht anders funktionierte.«

»Keine Ahnung«, zucke ich gleichgültig mit den Schultern. »Das werde ich spontan entscheiden.«

»Flores ..., bitte. Dieser Schritt will gründlich überdacht werden.«

Ehe wir in eine Grundsatzdiskussion verfallen, stehe ich dreist inmitten ihres Versuches auf, mich umzustimmen. Die letzten Worte bewusst ausblendend, blicke ich auf meine Armbanduhr. »Die Zeit ist gerast. Machen wir Schluss für heute, damit Noah pünktlich zu seiner Veranstaltung kommt.«

»Aber Charles«, stammelt sie wegen meiner unterkühlten Art völlig überfordert. »Es wird sicher nicht mehr lange dauern, bis er vorbeikommt und wir könnten die Zeit nutzen, die Vor- und Nachteile deiner Entscheidung aufzulisten.«

»Stopp! Jetzt sind wir tatsächlich nicht einer Meinung. Ich bin erwachsen und es gibt keinen Verhandlungsspielraum. Noah fährt dich nach Hause, du ruhst dich aus und verbringst einen gemütlichen Abend mit deinem zukünftigen Ehemann. Das hier«, wedele ich ausladend mit dem Arm, »verdanke ich per Fingerschnippen ihm. Zusätzlich bringt dich der CEO so dermaßen zum Strahlen, dass du mich zeitweise mit deinem Lichtkranz blendest, obwohl er dich ungeplant zur Marshmallow-Frau gevö ... Entschuldige, gekrönt hat.«

Mein Vokabular bringt mir ein deutliches Kopfschütteln ein und der klägliche Versuch, mir selbst eine positive Grundstimmung zu verleihen, bleibt mittig im Hals stecken. Für einen Moment laufen ihre Lippen spitz zu, bis sie einen schmalen Strich bilden, der vergrämte Ausdruck in meiner Brust sticht.

»Scheint bedauerlicherweise in der Familie zu liegen. Der Jüngste hat sich für immer bei mir ins Abseits katapultiert. Man(n) steht für seine Taten ein!«

»Es gehört sich nicht, über abwesende Personen zu lästern.« Mehr als ein Flüstern ist es nicht, trotz dass ich mir innerlich vor Zerrissenheit die Seele aus dem Leib brülle. Fast jede Nacht wache ich schweißgebadet auf, weil mir die Tür vor der Nase zugeschlagen wird und sich blonde Haare wie Schnüre um meine Kehle wickeln.

»Phoenix ist ein elendiger Junkie!« Selbstgefällig lehnt Noah mit verschränkten Armen im Türrahmen zum Schlafzimmer. Dass er sich zu uns gesellt hat, habe ich überhaupt nicht mitbekommen. »Kurz nach deinem Unfall wurde die Sache mit Amber bekannt und er ist wie ein Feigling untergetaucht. Entschuldigt den Ausdruck: Ficken ja, für die Konsequenzen einstehen, nein! Trotz Blutsverwandtschaft ist der Apfel meilenweit vom Stamm gefallen. Bestimmt steckt mehr hinter seiner Flucht als nur die Tatsache, dass er bald ein Daddy sein wird.«

»Genug!«, zische ich und springe von der mit Schaumstoff gepolsterten Holzbank auf. »Ihr habt alle keine Ahnung. Phoenix ist nicht ...«

»Noch eine Hiobsbotschaft?« Gloria beäugt mich kritisch, unterbricht die Offenbarung, die sich beinahe verselbstständigt hätte.

Erste Kopfschmerzen bahnen sich an. In kreisenden Bewegungen massiere ich mir die Schläfen, winke frustriert ab und frage mich, welche Steigerung es zu den drei Affen gibt? Ich kenne sie: Mutter, der Mann mit dem Koks ist da! Unwillkürlich ziehe ich die Nase hoch. Manchmal ist die Gier nach dem weißen Pulver kaum auszuhalten, dass ich einige Male kurz davorstand, mir von Charles eine gewisse Nummer geben zu lassen. Um den Teufel, um Abhilfe zu bitten.

Getriggert zerre ich zwei Winterjacken von den Kleiderbügeln einer winzigen Garderobe, drücke beiden die gesteppten Daunen in die Hand. »Ihr solltet jetzt los, sonst steckt ihr mitten in der Rushhour fest. Noah, schickst du mir Adresse und Uhrzeit? Wir treffen uns dann dort. Du musst wegen mir keinen Loop fahren.«

Der Protest schwelt in ihm, dennoch schweigt er. Weil ihm klar ist, dass seine abfälligen Bemerkungen und Mutmaßungen über den Unfall keine Begeisterungssprünge bei mir auslösen. Immer mal wieder macht er Andeutungen, die ich ignoriere. Dabei steht alles im Polizeibericht: Schwerer Unfall auf der Patchgoue-Mount Sinai Road. Ein Fremdverschulden wird ausgeschlossen. Keine Substitution illegaler Substanzen. Die verunfallte Fahrerin leidet unter partieller Amnesie. FILE CLOSED.

Zum Abschied umarmen wir uns knapp, das Türschloss knackt, schnurstracks verlässt mich mein Mut. Denn von »Flores, home alone« wurde im Verborgenen die Fortsetzung gedreht. Ohne Gastdarsteller, mit einer überschaubaren Anzahl von Set-Mitarbeitern. Keinen blassen Schimmer, welches Rating die Jury für diesen Film am Ende übrig hat.

Wie ein rohes Ei balanciere ich das umweltbewusst verpackte Einweihungsgeschenk zum Sofatisch, lege es behutsam auf die Platte. Bevor ich es öffne, gleite ich mit den Augen über meine eigene kleine Oase. Dreieinhalb Räume, zusammengewürfelte Möbel, alte Holzdielen, fast jede Wand ist in einer anderen Farbe gestrichen und mit Lichterketten dekoriert. Nachdem klar war, dass ich das Nest mit gestutzten Flügeln verlassen würde, hatte Charles das Apartment aus dem Hut gezaubert, mich auf den ersten Blick verzaubert. Jetzt bin ich hier, zucke mit den Schultern, suche nach der Magie. Sie ist verpufft, so wie ich selbst.

Etwas umständlich knie ich mich vor den Tisch, da die Narbe zwickt, sobald ich meine Bauchmuskeln anspanne. Einmal, zweimal ..., das Zeitungspapier segelt zerrissen durch die Luft und ich bebe auf der Stelle. Holly hat sicher nicht die traurige Flüssigkeit für mich gewollt. Unaufhaltsam sammelt sie sich, bis ich kaum noch etwas von uns erkennen kann. Still wispere ich die Namen, fahre mit den Fingerspitzen über unsere Gesichter, höre das Lachen, die Ausgelassenheit, schmecke das Chlorwasser. Spüre die Sonne auf meiner empfindlichen Haut.

Verfluchter Dreck! Wütend löse ich das Foto von der Poolsause aus dem verschnörkelten Rahmen, giere wie eine Ertrinkende nach Sauerstoff. Das. Bin. Nicht. Mehr. Ich. Krampfhaft umklammere ich den Schnappschuss, will ihn zerstören. In seine Einzelteile zerlegen, ungeschehen machen. Geschlagen sacken meine Schultern hinab und ich drücke das Bild gegen meine schmerzende Brustseite. So vergehen die Minuten, in denen ich mir trostlos und einstudiert aufsage, dass Zeit alle Wunden heilt. Willkommen im Kopf von Mrs. Thompson, wo sogar verfickte Einhörner existieren, wenn man nur fest genug daran glaubt. Bullshit! Das Smartphone in meiner Gesäßtasche stimmt mir vibrierend zu.

...

Deine Mum besteht darauf, dass du nicht mit der Subway fährst. In einer Stunde hole ich dich ab.

...

Mit dem Pulloverärmel wische ich mir die Nässe aus dem Gesicht.

...

Okay.

...

Kein Veto. Keine Rebellion. Keine Kraft. Nur das Herz. Es wehrt sich gegen seine Besitzerin. Wer braucht schon Therapie, wenn es einen Ort zwischen Sünde und Absolution gibt? Neon & Pitch rufen nach mir. Sie haben Erinnerungen für mich, aber ich kann dort nicht hin. Denn wir sind jetzt drei Schwestern. Zwei echt, eine unecht. Blut ist dicker als Wasser. Holly, Flores und June.

4. Kapitel

Kinky Things

»Hattest du schon mal einen Schwanz im Mund?« Breitbeinig lehne ich gegen das Multimedia-Pult im Hörsaal, die Hose sperrt gerade so weit auf, dass es reicht. Mit der Hand führe ich den Hinterkopf einer kleinen Brünetten, die vor mir kniet, mich schmatzend, wie Speedy Gonzales lutscht. Ohne Vorwarnung stoppe ich ihre Unfähigkeit, übernehme selbst das Tempo, stoße mich in ihren Rachen, bis sie würgt. »So funktioniert das. Wenn das deine heile Welt übersteigt, verschwinde.«

»... Angel«, keucht sie, wischt sich die hervorquellende Spucke von den Lippen. Zeitgleich zieht die Wimperntusche Schlieren, sodass mein Auge nicht mehr mitisst. »Ich bekomme das hin.«

Erneut umfasst sie mein bestes Stück, doch ich schüttele den Kopf. Petit hätte mir das Teil stückchenweise abgebissen, wäre ich so mit ihr umgesprungen.

»Kate, hau ab!«

»Katherine ...«

»Wie auch immer. Du bist durchgefallen.« Sprachlos blickt sie mit verschmierten Waschbäraugen zu mir hinauf und ich zerre mir den Jeansstoff zurück an Ort und Stelle. »Muss ich es buchstabieren?«

Genervt drehe ich mich weg und warte darauf, dass der Frischling Leine zieht. Applaudierend erhebt sich Sage von seinem Logenplatz in der vordersten Reihe und schlendert auf uns zu.

»Mach dir nichts draus«, ruft er ihr im Vorbeigehen zu. »Übung macht den maestro.«

»... Es tut mir leid.«

Schnellen Schrittes flattert der Reinfall außer Sichtweite, was mich dazu animiert, ihr einen vernichtenden Blick hinterherzuschicken. Ab Körpermitte abwärts stehe ich nach wie vor unter Hochspannung.

»Maßlosigkeit ist eine Todsünde. Hat dir das niemand beigebracht? Die Pussys pflastern deinen Weg.«

Unbeeindruckt zucke ich mit den Schultern. »Und wenn schon. Ich bin wie Gandalf der Weise in meinem letzten Jahr an der LUN. Wer in den Pitch will, muss an mir vorbei.«

»Du bist alles«, lacht mein Bruder, »aber keine Figur aus einem Film mit FSK zwölf. Deine Passion steht auf dem Index.« Anstatt mir locker auf die Schulter zu klopfen, wie er es immer macht, wenn er den Nagel auf den Kopf getroffen hat, richtet er sein Bandana. »... Mia wurde am Campus gesichtet. Sie ist aus Rehap zurück und hat sich direkt nach Phoenix erkundigt. Wohl nichts aus ihrem Atemstillstand gelernt.«

Bei der Erwähnung seines Namens verdunkelt sich mein Sichtfeld. Der Junkie-Bastard schwebt über unseren Köpfen, obwohl aktuell keiner von uns die Gosse kennt, in der er vor sich hinvegetiert. Das letzte Mal wurde er zugedröhnt auf einer Party in der Bronx gesichtet. Angespannt reibe ich mir den Nacken, betrachte die terrassenförmig angelegten Sitzreihen, verstaubte Uni-Professoren, die sich mit ihren Porträts an den Wänden verewigt haben, den Schneegriesel hinter den Fenstern. »Dann hätten wir unsere Kandidatin. Mia steht seit dem letzten Sommer auf meiner Liste. Dass sie sich vorher fast ins Nirwana katapultiert hat, war verdammt ärgerlich. Ich will sie ficken!«

»Und wen vögelst du wirklich, wenn sie unter dir liegt, du dir von den Kates dieser Welt einen abschmecken lässt? Zufällig eine Rothaarige?« Sage stellt sich vor mich. »Geben wir die Stiefschwester frei? Wie entscheidest du dich? Falls ja, erwarte ich einen gebührenden Zapfenstreich.«

In meiner Boxershorts zuckt es. Petits Rekonvaleszenz ist vorüber. Der Arzt prognostizierte zwei Monate nach Rückkehr aus dem Koma. Nicht mehr und nicht weniger hat sie bekommen. Schwungvoll wird die Hörsaal-Tür aufgestoßen und der tattooed Guy betritt das Parkett. Rechts und links gestützt von Cordy und Blair, die dämlich kichern. Ohne Umschweife werden wir Zeuge von Rocco Moratas Ventil, den tiefen Fall unseres kleinen Bruders zu kompensieren. Der Sommer hat Spuren bei ihm hinterlassen. Bei uns allen.

»Wer von euch Wichsern will mitmachen?«

Blair landet auf dem Tisch, während Cordelia ihre Krallen ausstreckt und nach dem Puncher verlangt. Mit kreisenden Schultern nimmt mein Bruder drei Stufen auf einmal und steigt in die Party ein, drängt den dunkelhaarigen Vamp eiskalt gegen die Wand. Und ich? Ich betrachte den Rudelfick regungslos aus der Ferne, streife die nicht vorhandenen Falten aus meinem Hemd glatt. Der eine vögelt ununterbrochen, der andere bestreitet dreimal so viele Underground-Fights, der Kleinste hat Koks gegen Crystal getauscht. Der Thronfolger wichst seinen Schwanz, bis er blutig ist, weil er nicht aufhören kann, ihr gedanklich erneut in die Haut zu ritzen.

Zähneknirschend drehe ich der Orgie den Rücken zu, sammele meine Materialien zusammen. Als Doktorand ist es meine Aufgabe, selbst zu unterrichten, Lehr-Assistent meines Doktorvaters zu sein, an einem eigenen Forschungsprojekt zu arbeiten. Darüber hinaus trage ich die Prinzenkrone der Familie Morata, verticke harte Drogen und bin nebenbei eine perverse Wildsau. Kurzum: Ich bin der Heiland im Teufelsgewand, je nachdem, wer gerade vor mir steht.

»Werdet fertig!«, ertönt meine Stimme tief und schneidend über das wilde Gestöhne hinweg.

»A n g e l«, zieht Rocco meinen Namen in die Länge. »Sei kein spießiger Spielverderber. Blair lässt sich gern teilen.«

»Hast du gesoffen? Die Rolle des Phönixes steht dir nicht.«

Er grinst überheblich, weshalb mir der Geduldsfaden reißt. »Raus mit den Weibern!« Fast bebt der Boden, so laut und deutlich spreche ich die Worte. »Sofort oder ihr könnt euch das exklusive Nutzen unserer Schwänze endgültig von der Backe putzen.«

Drohend beobachte ich, wie die beiden pikiert in meine Richtung starren, dann wieder zu Rocco und Sage. Dass wir die Freundinnen überhaupt noch durchziehen, nachdem Amber unter Gezeter und Tränen bekräftigt hat, dass nur Phoenix der Daddy sein könne. Er wäre der Einzige gewesen, mit dem sie es ohne Gummi getrieben hätte. Zum ersten Mal sind mir die verfluchten Hände gebunden, weil ich dem Hosenscheißer in seinem kaputt gesnieften Kopf so etwas durchaus zutraue.

»Fünf ..., vier ..., drei ...« Meine Finger zählen rückwärts, bis der Hörsaal um zwei Bitches ärmer ist.

»Was hat der Devil himself so Wichtigeszu verkünden, dass er uns nicht einmal Zeit für einen Quickie spendiert?«

Lässig fläzt sich Rocco mit halber Arschbacke auf den Tisch, auf dem Blair vor einer Minute für ihn Hündchen spielte. Je näher ich herantrete, desto intensiver erkenne ich seinen alkoholgetrübten Blick. Er ist der Nächste, der abdriftet, wenn ich nicht etwas unternehme.

Tief sauge ich die Luft durch die Nase ein, strecke meinen Rücken, räuspere mich: »Hiermit rufe ich offiziell die zweite Runde aus! Wir holen Petit zurück an den Hof. Sie braucht das genauso wie wir.« Über die sorgenvollen Gespräche zwischen Charles und Gloria, denen ich manchmal beiwohnen musste, erzähle ich nichts.

Niemand sagt einen Ton, weil jeder von uns abwägt, sich an das viele Blut erinnert. Doch haben wir ebenfalls ihre Lust gesehen, sich gänzlich auf uns einzulassen. Über die Grenzen des Vorstellbaren zu gehen. Unser Mädchen zu sein.

»... Fleur wäre dabei fast draufgegangen. Wer sagt, dass es diesmal nicht endgültig passieren wird?« Rocco nimmt die Cap ab, spielt mit der Kugel in seiner Zunge. »Phoenix hatte recht, sie hält uns nicht stand.«

»Du irrst dich und er sowieso. Petit lebt und empfindet, wenn sie die Macht über sich selbst abgibt. Habt ihr das nicht bei ihr gespürt, hautnah miterlebt? Sie ist bereit. Für alles und mehr.«

»Fuck, das ist nicht dein Ernst, Mann. Der Feuerteufel hat versucht, sich das Leben zu nehmen. Und wir kennen nicht alle Details, die sie dazu getrieben haben. Was, wenn wir damit Dinge aus ihrer Vergangenheit triggern?«

»Und ob es das ist, Rocco«, erwidere ich schneidend. »Denn ich rede hier weiterhin vom Paradoxon der unfreiwilligen Freiwilligkeit, wie wir das den ganzen Sommer über praktiziert haben. Nur steigern wir das, weil es der einzige Weg für sie sein wird, sich selbst endgültig zu entkommen. Es gehört zu Petits DNA und es ist an der Zeit, dass sie das vollends versteht.«

Mein Bruder springt auf. »Hast du das mit den Fesseln vergessen? Die Panik? Das Zittern? Ihre komplette Veränderung?«

Wie ein Leopard umkreise ich ihn, wähle meine Worte mit Bedacht. »Keine Sekunde davon und dennoch frage ich mich, was passiert wäre, hätten wir die Limits vorher mit ihr abgesprochen? Sehr sicher bin ich mir, dass sie uns vertraut hätte.«

»Sag mir, kombiniert das dein Schädel, weil du ihr die Initialen des Angel Morata auf die linke Herzseite geritzt hast?!«

»Zur Hälfte. Die anderen fünfzig Prozent schlussfolgert mein Schwanz.«

Prompt verkörpert Sage die Schweiz. Mit breitem Kreuz bringt er sich in Position, wirft uns warnende Blicke zu. »Zu unseren Lustspielchen gehört weit mehr, als nur ein simples Fesselspiel zu veranstalten, oder ein bisschen Dope auf ihren Lippen zu verteilen, damit die Hemmungen fallen. Wir würden sie antreiben, Sachen mit ihr anstellen, die ihr vermeintlich nicht gefallen. Weil wir davon ausgehen, dass sie sich tief verborgen, genau nach diesen Berührungen sehnt. Bellezza muss klar sein, dass wir uns nicht zurückziehen werden, sollte sie freiwillig mit uns auf ein neues Level steigen.«

»Drehen wir den Spieß um«, verkünde ich feierlich. »Diesmal bekommt Petit das Codewort. Was sagst du dazu, Roc? Wir nehmen deine Idee, wandeln den Black Summer in den Black Winter. Wir geben ihr Sicherheit und stehlen zeitgleich ihre Angst, sich vollkommen ausgeliefert zu fühlen. Ihr obliegt das Setzen der Grenze.«

Der Zweitjüngste streicht sich über den Zweitagebart, reckt das Kinn, überragt mich um ein paar Zentimeter. »Ich habe Phoenix versprochen, auf sie aufzupassen. Seitdem behalte ich Fleur aus der Ferne im Auge. Im Klartext: Wenn du entgegen ihren Limits aktiv wirst, frisst du deine Drogen selbst. Hast du das kapiert? Dann wirst du den Winter nicht überleben.«

Schweigend schiebe ich mir den Hemdsärmel nach oben, halte mir die Smartwatch vor die Lippen und permanent Augenkontakt mit Rocco. Ich sagte, ich würde mich bei ihm melden. Jetzt ist es an der Zeit. Blind drücke ich auf Phoenix Kontakt, hinterlasse eine Nachricht:

»Wir setzen das Spiel fort, gehen All-in. Was meinst du, auf welche Kinky Things fährt deine McGhee noch ab? Ein paar Ideen schwirren schon durch den Schädel des Thronfolgers. Ich schicke dir ein Video. Oder willst du lieber Live dabei sein? Schwing deinen Arsch zurück nach Hause. Wir brauchen den Hacker!«

Die Verwirrung wegen meines Schachzuges ist perfekt, obwohl jeder bereits am Anfang des Sommers wusste, dass sechs Wochen nicht ausreichen würden, um der Dunkelheit in diesem Mädchen gerecht zu werden. Ich will wissen, was sie vor uns versteckt. Ich will die bittersüße Angst schmecken. Ich will das Feuer entfachen und den ultimativen Kick erleben. Wenn sie mich ritzt, während ich in ihr bin. Phoenix wird der Trigger sein. Und er wird offenbaren, was sie vor uns verheimlicht.

5. Kapitel

Das moralische Kreuz ist gedreht

Der Pick-up rollt auf den Campus-Parkplatz der Lincoln University und wir haben exakt null Worte miteinander gewechselt. Dass mich Noah die ganze Fahrt über verstohlen von der Seite betrachtet, entgeht mir nicht. Permanent öffnet und schließt sich mein Mund, weil ich vor Nervosität keinen Ton herausbekomme. Stattdessen starre ich aus dem Seitenfenster auf eine schier unendliche Anzahl hochpreisiger Fahrzeuge, die im frühabendlichen Flutlicht in ihrer gesamten Pracht erstrahlen.

»Wir könnten immer noch umdrehen, einen vor Fett triefenden Burger kaufen und den ersten Abend in der eigenen Wohnung mit Glutamat feiern. Heather würde es verstehen, wenn ich deinetwegen einen Rückzieher mache.«

Kurz denke ich über seinen Vorschlag nach, schüttele den Kopf. Für den Moment möchte ich so weit weg wie möglich von diesem Foto sein. »Wenn nicht jetzt, wann dann«, murmele ich daher leise vor mich hin.

»Sagte schon John F. Kennedy, aber mit deutlich mehr Überzeugung und Enthusiasmus.«

»Immerhin ein Anfang, oder?«

»Ja, Flores. Es ist schön, dass du wieder da bist. Neben mir sitzt und ...« Weiter spricht er nicht. Ich schlucke. Mutig beugt er sich über die Mittelkonsole zu mir, küsst mich vorsichtig, aber nicht keusch. Noahs Lippen sind weich, warm, sicher. Flüchtig berühren sich unsere Zungen, vollführen einen langsamen Walzer und keinen Metal-Pogo, bis ich den Kopf wegdrehe, aus dem Auto steige. Er hat alles, was sich ein Mädchen von einem Kerl wünscht und doch nichts. Für mich.

Fester schlinge ich die schwarz-rot karierte Winterjacke um meinen Körper, ziehe mir die Wollmütze mit dem gigantischen Bommel tief in die Stirn. Dass meine Füße nur in knöchelhohen Chucks stecken und die Löcher in meiner Boyfriendjeans für eine permanente Belüftung sorgen, lässt meine Zähne klappern. Schnell zünde ich mir eine Zigarette an, puste den Qualm durch die Luft, sodass Noah die volle Breitseite Nikotin abbekommt.

»Sorry«, entgegne ich rasch. »War keine Absicht, dich mit meinem Mist zu verpesten.«

Die Glut leuchtet auf, während wir uns langsam auf den Weg machen, Noah die Doppeldeutigkeit meiner Entschuldigung durchaus versteht. Eine Freundschaft mit mir bedeutet einen stetigen Wechsel zwischen Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt sein.

»Wir können ruhig langsamer laufen. Kein Problem für mich.«

»Ihr müsst mich nicht immerzu in Watte packen. Ich bin achtzehn und keine einundachtzig.« Prompt lege ich einen Zahn zu, stapfe durch den knirschenden Schnee und versuche, mich von der Umgebung nicht einschüchtern zu lassen. Was gar nicht so leicht ist. Allein das riesige Rundbogen-Tor zu passieren, fühlt sich wie der Zugang zu einer anderen Welt an. Altehrwürdiges Flair prescht mir sofort entgegen. Die Elite! Sie ist hier, verteilt sich wie ein Geschwür überall. Getriggert entwickeln meine Füße ein Eigenleben. Schritt für Schritt dringe ich weiter in das Machtzentrum der privilegierten Söhne und Töchter vor. Eine kleine Gruppe kreuzt meinen Weg, nimmt kaum Notiz von der gesellschaftlich niederen Kaste.

»Warte, Flores, du kennst dich hier doch überhaupt nicht aus.«

Meine Lunge fiept, dennoch laufe ich weiter, wandele gedanklich auf der gelben Ziegelsteinstraße. Die mich direkt hinein in die Smaragdstadt führt, und der Tatsache, dass ich verdammt noch mal keine verfluchte Ahnung habe, was ich hier mache. Ziemlich sicher bin ich mir, dass nicht die Rubinpantoffeln auf mich warten, mit denen ich mich nach Hause wünschen kann, weil es nirgendwo schöner ist. Ich rotiere! Zwischen dem Licht der Laternen, unzähligen Gebäuden, quer verlaufenden Gehwegen. Mir selbst. Noah schließt zu mir auf, ich schnippe die Kippe in den Schnee, reiße ihn wie von Sinnen an mich. Verzweifelt offenbare ich ihm meine Zerrissenheit, die sich nicht länger kontrollieren lässt. Viel zu fest kralle ich mich in seinen Nacken, drücke mich gegen seinen Körper, atme in seinen Mund.

»Wie willst du mich?«, flüstere ich heiser. »Gleich hier an Ort und Stelle?« Mit der Hand gleite ich tiefer, beiße deutlich zu fest in seine Unterlippe, bis ich vor mir selbst erschrecke und zurückweiche. »... Es ... tut mir leid.«

Noah wischt mit dem Zeigefinger über meine Verdorbenheit, die nach Eisen schmeckt. »Bist du zu einem Vampir geworden? Falls ja, dann bitte bis zum Schluss der Veranstaltung warten.«

Selbst jetzt betrachtet er mich mit einer Wärme, die mir nicht zusteht. Was muss passieren, damit er endgültig die Schnauze von mir und meiner wirren Art voll hat?

»Hey, du brauchst vor Scham nicht die Schneeflocken auf dem Boden zu zählen. Es braucht schon mehr, um mich aus der Bahn zu werfen. Nur würde ich wirklich gerne meiner Schwester seelischen Beistand leisten, bevor wir uns auf die körperliche Sache konzentrieren. Die ich zugegebenermaßen, lieber im Bett mit dir zelebrieren würde.«

»Ich bin ein hoffnungsloser Fall, Noah. Je eher du das verstehst, desto besser.«

»Du hattest schlicht die falschen Vorbilder und warst volle sechs Wochen dem D-Faktor