Blauer Spargel - Walter Bachmeier - E-Book

Blauer Spargel E-Book

Walter Bachmeier

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Beschreibung

Während einer Streifenfahrt hört der Abensberger Stadtpolizist Otto Glatzer von einem Mord in seiner Stadt Abensberg. Er soll von den Ermittlungen ausgeschlossen sein, da es nicht sein Aufgabengebiet ist. Otto darf dann aber doch helfen, da er seine Omschberger kennt und weiß, wie sie ticken. Er sammelt Informationen und gibt diese auch an seinen Freund und Vorgesetzten Willi Windl weiter. Er stößt dabei auch auf seltsame Verhältnisse in der Familie des Toten, in der beinahe jeder mit jedem ein Verhältnis hat. Das Fahrzeug des Nachbarn Karl Wiesner wird laut Zeugenaussage am Tatort zur Tatzeit gesehen. Der Tote hatte diesem durch Anschläge auf dessen Spargelfelder erheblichen Schaden zugefügt. Auch das Fahrzeug des Stiefbruders des Toten weist Tatortspuren auf. Der Tote hatte auch ein Verhältnis mit seiner Stiefschwester und mit seiner Stiefmutter. Die Abensberger Politesse Petra versucht durch Schmeicheleien und mit ihren Verführungskünsten Informationen von Otto zu bekommen. Sie ist auch die Freundin des Stiefbruders des Toten, was sie aber vehement abstreitet. Zunächst führt eine Spur, eine goldene Haarspange, die Otto am Tatort findet, zu Petra als Beteiligte, was sich aber zunächst als falsche Spur zeigt. Bei Ottos weiteren Ermittlungen zeigt sich, dass die Tatwaffe, ein Spargelmesser, eindeutig vom Hof des Toten stammt.

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Blauer Spargel

Blauer SpargelKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Weitere Bücher des AutorenImpressum

Blauer Spargel

 Es war heiß, sehr heiß an diesem Tag Ende Juni. Die Sonne brannte vom stahlblauen und wolkenlosen Himmel herunter, das man meinen konnte, sie würde dafür bezahlt. Kein kühles Lüftchen wehte durch die alte Stadt von Abensberg. Überall saßen die Leute in den Straßencafés und genossen einen Eisbecher oder einen Eiskaffee. Auch die Biergärten waren gut besucht. Man konnte annehmen, dass die halbe Stadt nur damit beschäftigt war, sich irgendwie abzukühlen. Der Eisverkäufer vor dem alten Rathaus machte Rekordumsätze und es war ihm anzusehen, wie sehr er sich darüber freute. „Do geht iatz no oana“, murmelte er und goss sich einen eisgekühlten Klaren ein. „Aaaah! Des duat guat!“, entfuhr es seinem Mund, als er ihn trank 

Kapitel 1

 „Leichenfund am Schützenheim in Abensberg!“ Otto war wieder einmal mit seinem Streifenwagen unterwegs, als er diesen Funkspruch mithörte. Da er Zeit hatte, denn die Parksünder konnten warten, fuhr er mit seinem Wagen dorthin. Es war heiß an diesem Juniabend, sehr heiß. „Eigentli waar des Weda no guat fürn Spargel, do dat er wachsn wia da Teifi. Aba mei, es is hoit a so, dass de Spargelzeit an Johanni rum is“, dachte Otto. Otto war Stadtpolizist in Abensberg und in seiner Dienststelle lediglich für kleinere Delikte, wie Fahrraddiebstahl, Sachbeschädigung oder grobem Unfug zuständig. Die größeren Gesetzesverstöße übernahmen die Kollegen aus Kelheim. So auch diesmal. Eigentlich hatte Otto an dem vermutlichen Tatort nichts zu suchen, aber er war der Meinung, dass er als Abensberger Stadtpolizist zumindest über die Lage der Dinge Bescheid wissen musste. Er hatte soeben noch am Abensberger Einkaufszentrum die Parkplätze kontrolliert, vor allem die Behindertenparkplätze erhielten sein besonderes Augenmerk. Diese waren nicht nur hier, sondern auch an anderen Stellen im Stadtbereich sehr oft von Autos zugeparkt, die eigentlich keine Berechtigung dazu hatten. Diesen Autofahrern steckte er gerne einen Strafzettel hinter den Scheibenwischer. In seinen Augen war es unverantwortlich und rücksichtslos, ausgerechnet diese Parkplätze zu belegen.

Als er nun diesen Funkspruch vernahm, schaltete er sofort sein Blaulicht und das Martinshorn ein und fuhr mit hohem Tempo hinaus zur Münchner Straße, wo sich das Schützenheim befindet. Als er dort ankam, trafen auch die Kollegen aus Kelheim ein und er fuhr hinter ihnen her bis sie am Tatort, der sich ganz hinten hinter einer großen Garage befand, ankamen. Er wartete gar nicht erst ab, bis die Kollegen ausgestiegen waren, sondern schaltete sein Sondersignal aus, verließ das Fahrzeug und wollte schon auf den Zivilisten zugehen, der dort stand. Seiner Meinung nach war dies der Anrufer, der die Polizei benachrichtigt hatte. Aber die anderen Beamten, die nun ebenfalls ausstiegen, hielten ihn davon ab: „Halt Otto! Das ist nicht dein Ressort! Dafür sind wir zuständig.“

„Das ist mir egal! Das hier ist mein Revier und ich muss doch schließlich wissen, was in meiner Stadt los ist!“

„Fahr zurück in dein Büro und warte, bis eine alte Oma kommt, der man das Fahrrad gestohlen hat. Das ist deine Zuständigkeit.“

„Ich bin aber jetzt nicht im Büro, ich habe Streife zu fahren.“

„Dann mach das und verschwinde hier!“

Otto schob den Beamten zur Seite und ging auf die anderen Kollegen zu, die soeben das Areal großzügig absperrten: „Weiß man schon, wer der Tote ist?“

„Nein, keine Ahnung! Jetzt geh da weg, du stehst im Weg!“ Mittlerweile war noch ein Fahrzeug eingetroffen, dem ein paar Mann entstiegen, an den Kofferraum gingen und von dort weiße Overalls herausholten. „Schaut ganz noch SpuSi aus“, dachte sich Otto. Augenscheinlich hatte er recht gehabt, denn die Männer holten noch ein paar kleine Koffer aus dem Fahrzeug und begaben sich hinter die Garage, wo offenbar der Tote lag. Beinahe hilflos musste Otto zusehen, wie seine Kollegen ihre Arbeit machten. „Mi braucht iatz woih koana.“, murmelte er vor sich hin, was ihm ein zivil gekleideter Mann sofort bestätigte: „Otto fahr zurück und mach deine Arbeit, du wirst hier nicht gebraucht.“

Der Mann war sein Vorgesetzter, Kriminalhauptkommissar Willi Windl, der ihm gegenüber weisungsberechtigt war. Otto wollte aber nicht weg, denn er war immer noch der Meinung, dass ihn diese Sache sehr wohl etwas anginge. „Das kannst du nicht machen Willi! Ich muss doch wissen was hier passiert ist. Vielleicht kann ich euch ja helfen.“

„Kannst du nicht! Also verschwinde und mach deinen Job!“

Achselzuckend wandte Otto sich ab und ging zu seinem Fahrzeug. „Otto! Bleib mal stehen!“, rief ihm ein Kollege der SpuSi zu. Otto drehte sich um und sah den Mann auf sich zukommen: „Ja, was ist?“

„Sag mal, sagt dir der Name Valentin Zangl etwas?“

Otto überlegte. Der Name kam ihm bekannt vor. „War da nicht etwas? Da war doch was im letzten Jahr?“

Plötzlich fiel es ihm ein: „Natürlich, das ist doch der junge Mann, den ich letztes Jahr dabei erwischte habe, als er die Folien von den Spargelbifang zog.“

Der Kollege sah ihn verständnislos an: „Wie? Wie meinst du das? Folien vom Spargelbifang?“

Otto versuchte zu erklären: „Schau mal. Dir ist doch sicher schon mal aufgefallen, dass auf den Feldern schwarze und weiße Plastikfolien in langen Streifen liegen?“ Der Kollege nickte: „Das ist wohl, damit die Erde nicht zu nass wird und der Spargel besser wächst?“

„Nein, du Depp! Das ist dafür, damit der Spargel weiß bleibt, wenn er aus der Erde kommt. Wenn die Folie nicht drauf ist, dann wird der Spargel blau sobald er Tageslicht bekommt. Deshalb sind die Folien drauf.“

„Aha? Und dann?“

„Dann ist der Spargel minderwertig und niemand kauft ihn.“

„Das heißt also, dass der Tote so eine Art Anschlag auf die Felder verübt hat?“

„So könnte man es nennen.“

„Warum hat er das getan?“

„Ganz einfach, weil sein Vater einer der größten Spargelbauern hier in der Gegend ist und das Angebot bestimmt nun mal den Preis des Spargels.“

„Was wiederum heißt?“

„Das heißt, wenn die anderen Bauern keinen Spargel verkaufen können, weil er schlechte Qualität hat, dann steigt der Preis und derjenige, der gute Qualität hat, verdient mehr daran.“

„Hat er das dann im Auftrag seines Vaters gemacht?“

„Das glaube ich nicht, denn sein Vater ist ein grundanständiger Kerl, der würde so etwas nie tun. Aber warum fragst du? Ist der Tote etwa …?“

Der Kollege nickte: „Ja, das ist Valentin Zangl. So steht es zumindest in seinem Ausweis.“

„Himmelarschundzwirn! Ausgerechnet der Zangl! Wer bringt das seinem Vater bei?“

„Schon passiert, ein Kollege ist schon unterwegs.“

„Na gottseidank! Ich dachte schon, ich müsste das tun.“

Der Kollege grinste: „Du bist doch gar nicht für den Fall zuständig? Du fängst doch nur Fahrraddiebe?“

„Ach leck mich doch am Arsch!“, damit wandte sich Otto zornig ab.

Die Kollegen zogen ihn gerne damit auf, dass er nur Stadtpolizist und damit für minderschwere Vergehen zuständig war. Auch Otto war mit seiner Situation unzufrieden, denn die anderen ließen es ihn spüren, was sie von seiner Dienststelle hielten. In ihren Augen war er nur ein kleiner Polizist, den man hierher versetzt hatte, weil er sonst zu nichts gebrauchen war. Dass dem aber nicht so war, wollte Otto schon öfter beweisen, was ihm aber nicht sehr oft gelang, denn es gab kaum Vorfälle, bei denen er sich profilieren konnte. Diesmal aber, da war er sich sicher, hatte er die Gelegenheit zu zeigen, was er konnte. Schließlich hatte er sich ausreichend weitergebildet, wie er meinte, denn Sachbücher und Fachliteratur über die Themen hatte er genügend zu Hause. Außerdem war er ein absoluter Krimifan und konnte so manche Tricks und Kniffe den Kommissaren aus dem Tatort oder anderen Krimis abschauen. „Iatz liegts an mia, das i do draus wos mach. Aba i brauch mehra Infos.“, ging durch seinen Kopf.

In Gedanken sprach er noch bayrisch mit sich selbst, aber im Dienst wurde erwartet, dass er hochdeutsch spricht. Auch mit seiner Frau redete er hochdeutsch, denn sie kam eigentlich aus dem Norden und verstand den bayerischen Dialekt kaum. „Sag mal Kollege, der Tote, also Valentin, wann ist er denn umgebracht worden? Ist er überhaupt umgebracht worden und wenn ja, womit?“

Wieder grinste ihn der Kollege an: „Geh zu deinen Fahrraddieben. Da bist du besser aufgehoben. Deine Fahndungserfolge darin sind schon legendär.“

Beleidigt wandte sich Otto ab: „Warts nur ab, dir werd ich‘s zeigen!“ Otto ging zu seinem Fahrzeug, das nun umringt von den anderen Einsatzfahrzeugen mitten auf der Wiese hinter dem Schützenheim stand.

Der Kollege rief ihm noch hämisch nach: „Ruf mich an, wenn du die Hundertermarke bei den Fahrraddieben überschreitest!“

Otto winkte heftig nach hinten ab: „Leck mich doch am Arsch!“ Als er einsteigen wollte, bemerkte er zu seinem Verdruss, dass er gar nicht wegfahren konnte. Er schaute sich um, konnte aber nicht erkennen, zu welchen Beamten nun welches Fahrzeug gehörte. Kurzerhand stieg er ein und betätigte das Martinshorn. Prompt kam Willi angerannt und rief schon von Weitem: „Otto, schalt das Ding aus! Sofort!“

Als Willi bei ihm ankam, wollte er wissen: „Was soll das Otto? Warum schaltest du deine Anlage ein?“

„Ich muss hier raus! Ihr wollt mich ja nicht. Schau dich mal um, ich bin völlig eingeparkt.“

„Du fährst jetzt nicht weg. Ich brauch dich noch.“

„Ach? Jetzt auf einmal? Woher kommt der Sinneswandel?“

„Der Doc hat festgestellt, dass dieser, na wie heißt er noch?“

„Valentin Zangl, heißt er.“

„Ach so ja, dieser Zangl, also er wurde umgebracht. Quasi erstochen, verstehst du?“

„Ja und jetzt? Was willst du jetzt von mir?“

„Du kennst doch die Abensberger. Weißt du etwas über ihn? Kannst du dir vorstellen, wer so etwas tut?“

Otto kratzte sich am Kopf: „Naja, ich weiß nicht so recht. Aber als ich ihn letztes Jahr auf dem Feld vom Wiesner Karl erwischt habe, hat der ihm gedroht, dass er ihn beim nächsten Mal umbringen würde.“

„Wie erwischt? Was hat er getan?“

„Er hat die Planen von den Bifang gezogen, sodass der Spargel unweigerlich blau werden musste, sobald die Sonne aufgeht.“

„Bei diesem Bauern? Dem Wiesner?“

„Nicht nur bei dem. Auch bei anderen hat er das gemacht und dabei einen Riesenschaden verursacht.“

„Dann nimm dir mal den Wiesner vor. Verdächtig ist er allemal.“

„Wer hat ihn eigentlich gefunden?“ Willi war geistig abwesend, denn er dachte nach: „Wie, was, wen?“

„Wer Valentin gefunden hat, habe ich gefragt.“

„Einer vom Schützenverein, Karl heißt er, glaube ich.“

„Karl? Gernot Karl?“

Willi nickte: „Ja, ich glaube, so heißt er. Gernot Karl.“

„Wie kam er denn hierher? Er hat doch hier normalerweise nichts zu tun?“

„Das fragst du ihn am Besten selbst. Du kannst ja gleich die Zeugenbefragung bei ihm durchführen. Kennst du ihn?“

„Ja, natürlich. Ich bin hier auch Mitglied und da kennt man sich eben.“

„Kannst du dir vorstellen, dass er …?“

„Nein, auf keinen Fall! Er kannte doch den Valentin gar nicht.“

„Trotzdem, du sagst doch selbst, dass er hier eigentlich nichts zu suchen hat.“

„In Ordnung, schick‘ ihn mir morgen in die Dienststelle.“

„Wieso morgen? Du machst das heute noch!“

Otto schüttelte bedauernd den Kopf: „Nein Willi, ich hab jetzt Feierabend. Schau mal auf die Uhr.“

Willi sah auf seine Armbanduhr: „Tatsächlich schon nach acht! Du machst das aber trotzdem heute noch.“

„Geht auch nicht.“ Otto zeigte auf die Fahrzeuge, die ihn immer noch blockierten. „Ich komm hier nicht heraus.“

„Dann gehst du mit ihm eben ins Schützenheim zur Befragung.“

„Wie soll ich das machen? Dort wimmelt es von Schützen?“

„Irgendein Eckchen wird es da wohl geben.“

„Da gibt es ein Büro im oberen Stock. Vielleicht kann ich mit ihm da rein. Da muss ich aber erst die Standaufsicht fragen.“

„Da wird nicht lange gefragt. Du lässt dir den Schlüssel geben und dann gehst du mit dem in das Büro.“

„Na gut, dann wart ich drinnen auf ihn.“

„Nein, du nimmst ihn gleich mit, sonst haut der noch ab!“

Otto sah sich um und sah Gernot inmitten einer Gruppe Leuten stehen, die heftig miteinander diskutierten. Es waren Schützen, die neugierig geworden waren, nachdem sie das blitzen der Blaulichter gesehen hatten, das  man bis vorne zum Parkplatz sehen konnte. „Gernot!“, rief er und als dieser nicht reagierte, noch einmal: „Gernot!“ Gernot sah sich um, und als er erkannte, wer ihn da rief, kam er sofort zu Otto: „Was wilsch? Brauchsch mi?“ Gernot stammte ursprünglich aus dem schwäbischen und war nach seiner Pensionierung aus der Bundeswehr nach Mainburg gezogen. Da es dort keine Möglichkeit gab, mit Großkaliberwaffen zu schießen, trat er eben der Königlich privilegierten Schützengesellschaft Abensberg bei. Er war ein gutmütiger Mensch und niemand, der ihn nicht kannte, hätte geglaubt, dass er Feldwebel bei der Bundeswehr war. Seiner Statur nach hätte er besser in ein Wirtshaus als Wirt oder als Koch gepasst, denn sein Bauchumfang war beträchtlich und kam dadurch, dass er nicht groß war, erst richtig zur Geltung. Gernot trug gerne Jeans, ein kariertes Hemd und darüber einen langärmligen braunen oder blauen Pullover. Otto nahm Gernot am Arm und dieser schüttelte die Hand sofort wieder ab: „Lass mi, i mog des ned! Was willsch von mir?“

„Du hast doch den Toten gefunden?“

„I woisch neda, ob der scho dot war, i hob blos den Nodruf gwählet und dann isch der Notarzt komma und der hot gseit, dass der dot isch und hot nacha eich angruaffa!“

„Kommst du mit ins Schützenheim? Ich muss dich befragen.“

„wanns denn sei muaß?“

„Ja, Gernot, es muss. Schließlich bist du ein wichtiger Zeuge.“

Gernot drehte sich um und ging zu seinem Auto. „Was willst du mit deinem Auto? Komm doch gleich mit!“

„Des goat itta, i muaß mein Bischdol raushola, de derf i ned do drin lossa!“ Gernot ging weiter zu seinem Auto, öffnete den Kofferraum und holte einen kleinen Koffer heraus. Damit kam er zu Otto und sah ihn auffordernd an: „Geh ma?“

„Ja, gehen wir.“

Die beiden liefen über die große Wiese hinter dem Schützenheim, auf dem nun neben den Fahrzeugen der Polizei auch noch eine Menge Leute herumstanden. „Was hast du heute für eine Waffe dabei?“ „Heit han i mei Glock 17 mitgnomma. De hob i scho lang nimma gschossa und bald isch doch wieda Meisterschaft. Do muaß i träniera!“ Bald waren sie an der uralten Türe des Schützenheims, das 1868 gebaut wurde, angelangt. Ein Einbrecher hat aber keine Chance, diese Türe aufzubrechen, denn das gesamte Gebäude ist mit einer Alarmanlage bestens ausgestattet. Leider war die Türe noch immer mit dem Vorhängeschloss abgesperrt und auch die Alarmanlage war sichtbar eingeschaltet. Otto lief zurück auf die Wiese und rief: „Standaufsicht! Wo ist die Standaufsicht?“

Einer der Männer, die herumstanden, löste sich aus einer Gruppe und kam auf Otto zu: „Was ist? Was willst du?“

„Sperr mal auf! Du hast doch den Schlüssel?“

„Ja, schließlich hab ich heute Aufsicht.“

„Na, dann komm endlich und sperr auf!“

Der Mann folgte Otto willig nach vorne und öffnete die Türe, nachdem er zunächst die Alarmanlage ausgeschaltet, das Vorhängeschloss aufgesperrt und die alte Türe mit einem mittelalterlichen großen Bartschlüssel aufgeschlossen hatte. Er ging voraus und machte überall das Licht an. Otto hielt ihm die Hand hin: „Den Schlüssel bitte, Josef.“

Der Mann, er hieß Josef Wolfgang, sah ihn befremdet an: „Was willst du mit dem Schlüssel?“

„Ich muss mit Gernot nach oben ins Büro, ihn befragen.“

„Ich sperr euch auf.“ Josef stieg die Treppe, die in einem leichten Bogen nach oben führt, voran und sperrte die Türe zum Büro auf. Er ging hinein, hielt Otto und Gernot die Türe auf und wollte ebenfalls hinein. Otto hielt ihn mit der flachen Hand zurück, die er auf Josefs Brust legte: „Tut mir leid, Josef, da kannst du jetzt nicht mit rein.“ Josef zuckte nur mit den Schultern, wandte sich ab und verließ das Büro. „Lass den Schlüssel bitte hier, damit ich nachher wieder zusperren kann.“

„Das geht nicht Otto, ich brauch den Schlüssel unten für den Scheibenraum und die Kasse. Sag mir Bescheid, wenn du fertig bist.“ Josef stieg die Treppe wieder hinunter und Otto sah ihm nach. „Des is aa so a Scheiß, de Standaufsicht. Aba es huift nix, oana muaß es ja macha. Gsetz is Gsetz.“, dachte Otto.

Eigentlich müssen ja zwei Personen zur Standaufsicht da sein, aber der andere würde wohl später kommen. Otto ging in das Büro und zeigte auf einen der Stühle: „Setz dich, Gernot.“ Gernot setzte sich an den Tisch und Otto holte einen anderen Stuhl zu sich. Während er sich setzte, sah er sich kurz in dem Raum um. Es ist ein relativ kleiner Raum, etwa fünf mal fünf Meter groß, in dem sich ein Schreibtisch mit einem PC drauf und noch ein anderer Tisch befindet. An der Wand gleich hinter der Türe steht ein großer Einbauschrank und an der anderen Wand, die sich nun hinter Otto befand, ist ein großer Glasschrank angebracht, in dem die Vereinsfahne sichtbar aufgehängt ist. Otto zog einen kleinen Schreibblock aus seiner Tasche und sah Gernot auffordernd an. Dieser erwiderte seinen Blick standhaft und meinte nach kurzer Zeit: „Also, wos isch jetz? Wos willsch vo mia?“

„Ganz einfach Gernot. Ich will von dir zunächst mal wissen, was du da hinten zu suchen hattest.“

„No, ganz oifach. I bin so wia imma zeitich do gweah. Natürli war no itta aufgsperrt und i han ned neikenna.“

„Ja und dann?“

„Und dann? Jo nacha han i gmerkt, dass i aufs Heisla muass und weil no zua war, bin i halt nach henna gfahra.“

„Und dort hast du den Toten gefunden?“

„I han doch gseit, dass i blos den Mo gfunda han. Ob der jetz dot war, wois i itta.“

„Gut Gernot, du bist also nach hinten gefahren und dann?“

„Nacha hon i mei Auto abgstelld, bin ausgstiaga und hinta des Heisla ganga. Wia i mein Hosn runterzogn han, da han i eahm gsea!“

„Den Toten?“

„Frog itta so bled! Den Mo natürtli, nur den Mo!“

„Dann hast du die Polizei angerufen?“

„Noi! Erscht han i den Notarzt angruaffa, der isch dann kemman und hot dann eich ongruaffa.“

„Das war alles?“

„Jo, des war alls.“ Otto hatte alles mitgeschrieben, klappte seinen Block zu und stand auf. „Gut, Gernot. Du kommst morgen früh zu mir in die Dienststelle, du musst das Protokoll unterschreiben.“, sagte er. „Morga friah? Des goat itta, da han i koi Zeit net!“

„Wieso nicht? Du bist doch in Pension?“

„Und do glaubsch du, das i desweng Zeit han? Vergiss es! Grad weil i in Pension bin, han i koi Zeit ned!“

„Das verstehe ich jetzt nicht?“

„Do kon i dir au net helfa, des isch dei Broblem!“

Gernot stand auf und wollte das Büro verlassen, als ihn Otto noch einmal zurückrief: „Wart einmal Gernot. Wann kommst du wieder zum Schießen hierher?“

„Des wois i doch heit no ned! Vielleicht morga? Vielleicht übermorga oder au erscht nächschte Woch?“

„Dann hilft es nichts, du musst morgen zu mir kommen.“

Gernot ging ganz nah an Otto heran: „Jetz pass amal auf, Otto! I han dir gseit, dass i koi Zeit net han. Wenn du was von mir willsch, dann musch du scho zu mia kemma! Hosch mi vastanda?“

„Gut, ich schick dir einen Kollegen, denn ich kann hier auch nicht weg.“

„Mach, was du willsch, Otto. I komm jedafalls net zu dir!“

„Wie du willst, Gernot.“

„Sag amol, Otto, warum redsd du eigentlich so gschwolla mit mia? Kosch du net normal schwätza?“

„Doch Gernot, das kann ich schon, aber im Dienst .., du verstehst?“

„I vaschtoa gar nix.“

„Macht nichts, Gernot, musst du auch nicht. Gehst du jetzt zum Schießen?“

„Noi, i fahr hoim. I hon koi Luscht mehr!“

„Ich schick dir dann morgen jemanden vorbei, der die Unterschrift abholt. Ist das in Ordnung?“

„Sag i doch. Aba net zbald, gell? I mecht längr schloffa!“

„Ist in Ordnung, Gernot.“

Nachdem Gernot das Büro verlassen hatte, ging auch Otto hinaus. Schon auf der Treppe kam ihm Josef entgegen: „Bist du fertig mit deinem wichtigen Gespräch?“

„Siehst du doch. Du kannst jetzt wieder zusperren.“

„Brauch ich nicht! Wenn du die Tür ins Schloss gezogen hast, ist sie ohnehin zu.“ Otto verließ das Schützenheim und ging wieder nach hinten zum Streifenwagen. Die anderen waren schon wieder abgezogen und so konnte er mühelos mit seinem Wagen wieder hinausfahren. „Jetzt aber heim zu Mutti!“

Kapitel 2

Als er aus der Ausfahrt des Schützenheims fuhr, bog er sofort nach rechts ab in Richtung Bundesstraße. Nach gut einem Kilometer kam er an die Auffahrt zur B 16. Dort bog er links ab und fuhr zu seiner Dienststelle in Kelheim. Er stellte sein Fahrzeug ab und wollte soeben in sein Privatauto steigen, als Willi aus dem Gebäude kam: „Otto! Warte mal!“

„Was gibt es?“

„Hast du den Herrn Karl befragt?“

„Habe ich.“

„Und? Was sagt er?“

„Das kannst du in meinem Bericht morgen lesen.“

„Nun red schon! Ich will nicht bis morgen warten.“

„Wirst du aber müssen, ich hab jetzt Feierabend! Servus!“

Willi wandte sich wortlos ab und ging zurück in das Dienstgebäude. Otto stieg in sein Auto und fuhr nach Hause. Er wohnte zwar in Abensberg und es wäre sicher einfacher gewesen, wenn er mit seinem Streifenwagen direkt nach Hause fahren hätte können. Aber es ist nun mal so, dass es nicht erlaubt ist, den Streifenwagen in der Privatgarage zu parken.

Als er zu Hause ankam, stand seine Frau schon in der Türe: „Wo bleibst du denn so lange?“

Entschuldigend hob er die Schultern: „Du weißt doch, der Dienst …“

„Aber anrufen hättest du zumindest können! Du weißt doch, dass ich mir Sorgen mache, wenn du …“

Er ging auf sie zu und gab ihr einen kleinen Kuss auf die Wange: „Entschuldige, aber es gab so viel zu tun. Außerdem passiert mir doch nichts. Hier in Abensberg gibt es nicht so viele, die mir was antun würden.“

„Aber ..“

„Kein aber, jetzt bin ich ja da!“

„Dein Essen steht in der Mikrowelle!“

„Was gibt es denn?“

„Nicht viel, nur Gulasch mit Nudeln.“

„Kein Salat?“

„Der Salat ist nicht mehr genießbar! Schau mal auf die Uhr! Es ist schon nach zehn!“

„Was schon so spät? Mach du mir doch das Essen warm, ich hab noch was zu erledigen.“

„Soweit kommt‘s noch! Erst kommt der Herr spätabends nach Hause, dann soll ich mich noch um sein Essen kümmern?“

„Bitte Hilde, tu mir doch den Gefallen. Ich muss noch in den Keller in mein Büro, etwas schreiben.“

„Jetzt? Mitten in der Nacht? Ich glaub, du hast sie nicht mehr alle! Mach dein Essen warm und dann ab in die Dusche!“

„Das muss aber sein, sonst habe ich morgen zu viel am Hals!“

„Was ist es denn so wichtiges, dass es nicht bis morgen warten kann?“

„Ich muss ein Protokoll schreiben und meinen heutigen Bericht.“

Seine Frau überging das Gesagte: „Mach dein Essen warm! Los, auf geht’s!“

„Aber …“

„Nix aber! Tu, was ich dir sage!“

Widerwillig ging Otto in die Küche und schaltete die Mikrowelle ein. Es dauerte natürlich nur wenige Minuten, das wusste Otto, aber er konnte es nicht lassen und ging in den Keller in sein Büro. Dort schaltete er seinen PC ein und wartete darauf, dass er hochfuhr.

Plötzlich ein Schrei von oben: „Otto! Otto, komm sofort da rauf! Dein Essen ist warm!“

„Ich habe noch zu tun!“, rief er nach oben.

„Das ist mir egal! Entweder du kommst rauf und isst, oder ich schmeiße dein Essen weg!“

Da Otto doch Hunger verspürte, ging er, zwar widerwillig, aber dann doch gerne nach oben. Hilde hatte ihm den Teller bereits auf den Tisch gestellt, das Besteck und ein Glas Bier dazu. Es duftete verführerisch und so setzte sich Otto an den Tisch und begann zu essen. Hilde saß ihm gegenüber und beobachtete ihn dabei. Sie stützte ihren Kopf in die rechte Hand und fragte neugierig: „Was ist denn heute so wichtig, dass es unbedingt noch gemacht werden muss? Ist etwas besonderes passiert?“

Otto schüttelte den Kopf: „Du weißt, dass ich nicht darüber reden darf. Also lass mich in Ruhe essen.“

„Ach komm, Otto, mir kannst du es ja sagen. Ich erzähle es bestimmt nicht weiter.“

„Kommt nicht infrage. Ich habe diesmal die einmalige Chance zu beweisen, dass ich hier in Abensberg fehl am Platz bin und besser nach Kelheim in die Kripo passe.“

Hilde fuhr hoch: „Kelheim? Was willst du in Kelheim? Du hast doch hier einen ruhigen Job und da willst du dich nach Kelheim versetzen lassen? Ich glaub, du spinnst!“

„Wieso? Die Kollegen lachen schon über mich, weil ich hier nur Fahrraddiebe und Kleinkriminelle fasse. Ich will auch mal an etwas größeres ran. Es gibt auch mehr Geld, verstehst du?“

„Na und? Dass wir dann umziehen müssen, interessiert dich wohl nicht!“

Otto hatte seinen Teller leer gegessen und das Bier ausgetrunken. Er stand auf und ging in den Keller. Dort setzte er sich an seinen PC und begann zunächst das Protokoll zu tippen. Er wollte es am nächsten Tag in das entsprechende Formular in der Dienststelle in Kelheim übertragen. Ebenso verfuhr er mit seinem Bericht. Nach etwa zwei Stunden, es war bereits weit nach Mitternacht, speicherte er die beiden Dokumente auf einen Stick und schaltete den Rechner aus. Danach ging er nach oben in die Dusche und als er damit fertig war, ins Schlafzimmer. Hilde war natürlich schon eingeschlafen und murmelte irgendetwas von: „Na? Endlich fertig? Das nächste Mal schläfst du im Wohnzimmer.“ Otto legte sich in sein Bett und zog die Decke bis unters Kinn. Es dauerte nicht lange, da war er eingeschlafen. Nach einer traumlosen Nacht weckte ihn Hilde: „Aufstehen, du Schlafmütze! Der Kaffee ist fertig!“

„Eine Viertelstunde noch, Hilde, dann steh ich auf.“

Sie zog ihm die Bettdecke weg: „Nichts da! Raus jetzt! Das habe ich gerne! Bis mitten in der Nacht am Rechner sitzen und dann in der Früh nicht aufstehen wollen. Los jetzt! Raus aus den Federn!“

Mühsam, wie ein alter Mann, kletterte er aus dem Bett, stellte sich daneben und machte ein paar Kniebeugen. „Was soll das jetzt? Du bist nicht mehr der Jüngste!“, keifte ihn Hilde an.

„Na und? Nur weil ich über fünfzig bin, darf ich keine Morgengymnastik machen? Mein Arzt hat mir das sogar empfohlen.“

„Red jetzt keinen Blödsinn, Otto! Auf zum frühstücken!“ Langsam, ganz langsam schlurfte Otto in seinen Pantoffeln in die Küche. Dort setzte er sich im Schlafanzug an den Tisch und schon wieder war von Hilde zu hören: „Willst du dich nicht erst duschen und anziehen? Unappetitlich so was! Im Schlafanzug am Frühstückstisch.“ Otto schnaufte tief durch und dachte bei sich: „Irgendwann bring is um! Irgendwann drah ich ihr den Krong um! Net auszhoitn sowos!“

„Ich hör dich denken, Otto!“ Betont langsam stand Otto auf und verließ die Küche. Im Bad besah er sein Gesicht: „Na ja, da jingste bist aa nimma. Du soytast mehra auf di seiba schaung Otto.“

„Was ist jetzt? Bist du noch nicht fertig?“

„Ja gleich, ich hab‘s gleich!“

Otto nahm den Rasierapparat und fuhr damit über sein Gesicht. Das Ding surrte seltsam und plötzlich blieb es stehen. Kein Mucks mehr. Der Rasierer war kaputt. Otto drehte und wendete den Apparat, schüttelte ihn ein paar Mal, klopfte mit der Hand darauf und als alles erfolglos blieb, warf er ihn kurzerhand in den Mülleimer. „Was ist jetzt, Otto? Wo bleibst du?“

„Jaja, ich komm ja gleich!“ Er stieg in die Dusche und ließ kaltes Wasser über seinen Körper laufen. So blieb er eine Weile stehen und genoss das kalte Nass. Erst als Hilde wieder rief: „Wie lange brauchst du noch? Das Wasser kostet Geld!“ Glücklicherweise hatte er dies kaum gehört und so dachte er sich: „Hob mi doch gern! I dusch, so lang i wui! Zoihn muass i des sowieso seiba!“

Hilde riss die Badtüre auf. Otto hörte sie: „Ich hab gesagt, du sollst nicht so lange Duschen! Komm jetzt raus da!“ Otto stieg aus der Dusche, trocknete sich ab und ging ins Schlafzimmer, um sich dort frische Arbeitskleidung zu holen. „Irgendwann bring is um, wos hob i mia do blos ins Haus ghoit?“, dachte er wieder. Als er angezogen war, ging er in die Küche und setzte sich, um zu frühstücken. Hilde betrachtete ihn aufmerksam: „Du bist schlecht rasiert! Willst du so unter die Leute gehen?“

„Der Rasierer ist kaputt. Ich hab ihn weggeworfen.“ 

„Na und? Dann nimm doch einen Nassrasierer von mir!“

„Glaubst du, mir graust vor gar nichts?“

„Ach? Dir graust vor mir? Gut zu wissen, Herr Dorfpolizist!“

Sie beugte sich nach vorne, sodass Otto in ihren Ausschnitt sehen konnte: „Es gab mal Zeiten, da hat dir vor mir nicht gegraust! Kannst du dich noch daran erinnern?“

In Otto rumorte es: „Ach ja, richtig! Das war noch damals, als du noch jung und knackig warst! Ich glaube, ich glaube ich kann mich ganz fern daran erinnern.“

„Das sagt der Richtige! Schau dich doch mal an! Über fünfzig, Halbglatze, dicker Bauch und Plattfüße wie eine Ente! Ich weiß heute auch nicht mehr, welcher Teufel mich geritten hat, als ich beschloss, dich zu heiraten!“

„Vielleicht war es mein Beamtenstatus? Vielleicht hat dir auch die Uniform so gefallen?“

„Blödsinn! Beamtenstatus, Uniform! Wenn ich das schon höre! Du warst schon immer ein schlampiger Uhu und unverschämt!“

Otto stellte die Tasse, aus der er soeben getrunken hatte, auf den Tisch: „Meine Liebe Hilde, weißt du was? Ich glaube, wir sollten uns scheiden lassen.“

„Das ist doch …! Das ist doch die Höhe! Du willst dich scheiden lassen? Ausgerechnet du? Ich glaube, da müssen wir erst noch mal ein ernstes Wörtchen miteinander reden!“

„Aber nicht jetzt! Ich muss zur Arbeit, es ist schon spät!“

„Aber heute Abend! Du kommst mir nicht aus!“

„Warte nicht auf mich, es kann wieder spät werden!“

„Das wird dir nichts nützen!“

Otto stand auf, ging auf den Flur, setzte sich seine Mütze auf und verließ das Haus: „Es werd hechste Zeit, dass i do amoi aufram! So konn des ned weida geh! Ich mach mi no zum Deppn!“, dachte er. Er stieg in sein Auto und fuhr nach Kelheim.

Als er an der Dienststelle ankam, stellte er fest, dass er seinen Stick zu Hause vergessen hatte. „Zruck foar i jatz nimma, na muaß i hoit seiba aaf Moabuach foan. Es huift nix, de Zeit muaß I mia nehma!“ Er stieg in seinen Streifenwagen und fuhr damit nach Abensberg. Vor dem Rathaus stellte er sein Fahrzeug ab und ging in seine Dienststelle in der Dollingerstraße, deren Eingang aber in der Edelhardgasse ist. Dort setzte er sich an seinen Schreibtisch, schaltete den Computer ein und da fiel ihm plötzlich wieder ein, dass er den Stick noch brauchte, der zu Hause im Büro lag. Schnell stand er auf, ging hinaus, verschloss die Türe und fuhr mit seinem Streifenwagen nach Hause. Dort angekommen, sperrte er die Haustüre auf und wollte in den Keller, um den Stick zu holen. Hilde stand bereits im Flur, stemmte beide Fäuste in die Hüften und sah ihn mit funkelnden Augen an: „Was willst du hier? Ich denke, du hast es eilig? Hast du wieder mal etwas vergessen?“

„Ja, meinen Stick!“ Er ging die Kellertreppe hinunter und holte sich seinen Stick aus dem Büro. Als er nach oben kam, schaute ihn Hilde mitleidig an: „Da sieht man wieder mal, dass du langsam alt wirst! Alt und vergesslich! Pass auf, dass du deinen Kopf immer dabei hast!“ Otto wandte sich ab und ging zur Haustüre. Noch einmal drehte er sich um und schaute seine Frau an, die nun eine alte, bunte Kittelschürze und ein Kopftuch, das sie wie einen Turban gedreht hatte, trug. Er dachte sich: „Wia mei Oma! De schaugt aus, wia mei Oma! Womit hob i des blos vadient?“

Draußen stieg er wieder in seinen Streifenwagen und fuhr zurück zur Dienststelle. An der Türe stand eine Frau, gut aussehend, etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Sie hatte eine ansprechende Figur, halblange blonde Harre und wunderschöne blaue Augen, die Otto sofort auffielen, als sie ihn erwartungsvoll ansah: „Sind Sie der Wachtmeister, der hier zuständig ist?“

„Ja, der bin ich. Kommen Sie doch mit herein.“

Otto schloss die Türe auf, hielt sie offen und ließ die Frau eintreten: „Bitte, setzen Sie sich doch. Was kann ich für Sie tun?“ Die Frau kam der Bitte nach und nahm auf einem Stuhl gegenüber Otto Platz. Sie sah ihn noch einmal an und, als Otto ihr aufmunternd zunickte, begann sie zu reden: „Es geht um Valentin. Ich glaube, ich habe da etwas gesehen.“

Otto wurde hellhörig: „Was? Was haben Sie gesehen? Sie meinen schon den Valentin Zangl, sehe ich das richtig?“

Sie nickte: „Ja, um den armen Valentin. Jetzt ist er tot, nicht wahr?“

„Ja, leider, aber was haben Sie damit zu tun?“

„Ich glaube, ich habe den gesehen, der ihn umgebracht hat.“

„Ja? Wen denn?“

„Einer unserer Nachbarn, der Wiesner glaube ich, war es.“

„Was nun? Glauben Sie es oder war er es?“

Sie nickte heftig: „Ja unser Nachbar, der Wiesner! Der war es! Den habe ich gesehen.“

„Darf ich erst einmal um Ihren Namen bitten?“

Sie sah ihn verwundert an: „Wie? Sie kennen mich nicht?“

„Nein, ich wüsste nicht, woher.“

Sie richtete sich auf und setzte sich gerade hin: „Also ich bin die Carolin, die Stiefschwester von Valentin. Carolin März heiße ich.“

„Geben Sie mir Ihren Ausweis bitte?“ Sie kramte in der etwas überdimensionierten Handtasche, zog eine Geldbörse heraus, der sie ihren Ausweis entnahm: „Hier Herr …“

„Glatzer, Polizeihauptmeister Glatzer.“ Er nickte ihr aufmunternd zu: „Erzählen Sie weiter.“

„Also gut, Herr Glatzer. Ich war also vorletzte Nacht unterwegs. Mit einem Freund, verstehen Sie?“

Otto nickte: „Vermutlich hinter dem Schützenheim?“

Sie nickte heftig: „Ja, ja, hinter dem Schützenheim. Da ist es in der Nacht schön ruhig und man ist völlig ungestört. Aber in dieser Nacht? Also wissen Sie, das ist mir noch nie passiert.“

Otto wurde langsam ungeduldig: „Sie waren also mit ihrem Freund auf der dunklen Wiese hinter dem Schützenheim und dann? Was ist dann passiert?“

Sie wurde verlegen: „Müssen Sie wirklich alles wissen?“

„Ja muss ich, leider. Aber jetzt warten Sie einen Moment, wir machen gleich ein Protokoll.“ Otto beugte sich hinunter und zog aus einer seiner Schubladen ein Diktiergerät. Er stellte es vor sich auf den Schreibtisch und schaltete es ein: „Ich nehme ihre Aussage jetzt auf und schreibe das später ab. Ist das für Sie in Ordnung?“

Wieder nickte sie heftig: „Ja, ja natürlich, wenn sie meinen?“

Otto lächelte sie väterlich an: „Ja, ich meine. Also fahren Sie fort. Sie waren auf der Wiese mit ihrem Freund, richtig?“

„Ja und wir haben, naja, wissen Sie, ich erzähle eigentlich nie davon ..“

Otto wollte ihr auf die Sprünge helfen: „Sie haben also mit Ihrem Freund …“

Sie sprang hoch: „Nein, nein, das erzähle ich nicht!“

„Kommen Sie Frau März. Setzen Sie sich doch wieder. Da gibt es nichts, wofür Sie sich schämen müssten. Erzählen Sie ruhig weiter. Was Sie mit Ihrem Freund, oder er mit Ihnen gemacht hat, müssen Sie nicht so genau erzählen. Wichtig ist nur, dass Sie mir sagen, was Sie gesehen haben.“

Scheinbar beruhigt setzte sie sich wieder: „Gut, also mein Freund und ich wurden durch ein Licht aufgeschreckt. Ein Scheinwerfer, wissen Sie? Dann haben wir einen Motor gehört, ein Automotor war das.“

„Haben Sie das Auto gesehen?“

„Ja, nein, ja, ich weiß nicht …“

„Noch eine Frage, Frau März. Ihr Stiefbruder, also der Valentin, der hieß doch Zangl oder?“

„Ja, Valentin Zangl.“

„Was mich wundert ist, warum heißen Sie anders als Ihr Stiefbruder? Ihr Stiefvater ist doch Benedikt Zangl. Das ist doch richtig, oder?“

„Ja, das ist schon richtig und meine Mutter heißt jetzt auch Zangl. Katharina Zangl. Vorher hieß sie März. Darum heiße ich ja auch so.“

„Warum haben Sie dann immer noch den Mädchennamen Ihrer Mutter?“

Sie lachte kurz auf: „Mädchennamen? Nein, das ist nicht ihr Mädchenname. Sie hat den Namen von meinem richtigen Vater. Der hieß März. Viktor März. Aber der ist tot, verstehen Sie? Schon lange. Er ist gestorben, als wir noch Kinder waren.“

„Wir? Kinder? Wer denn noch?“

„Mein Bruder Anton und ich.“

„Heißt der auch März?“

„Ja, Anton März. Aber ist das denn wichtig?“

„Das weiß ich noch nicht, aber es könnte durchaus sein. Aber erst mal weiter. Sie sagten vorhin, dass Sie ein Auto gehört haben.“

„Ja, das sagte ich.“

„Und weiter? Was haben Sie gesehen?“

„Das Auto! Es kam von der Straße herunter, die nach hinten zu den Hundesportplätzen führt. Es kam direkt auf uns zu.“

„Was war das für ein Auto? Welche Marke? Wissen Sie das Modell? Die Autonummer vielleicht?“

„Nein, das weiß ich nicht! Wissen Sie, ich kenne mich da nicht so aus, aber ich weiß ganz genau, dass es das Auto vom Wiesner war. Ich seh das Auto doch beinahe jeden Tag. Er war es! Ganz sicher!“

„Wie heißt denn eigentlich Ihr Freund? Den muss ich auch noch befragen. Vielleicht hat er mehr gesehen als Sie?“

„Nein! Nein, das möchte ich nicht. Ich möchte nicht, dass mein Freund da hineingezogen wird.“

Verdutzt sah Otto sie an: „Aber warum denn nicht? Es passiert ihm doch nichts!“

„Trotzdem!“, antwortete sie trotzig und stand auf: „Ich muss jetzt gehen. Ich muss zur Arbeit!“

„Wo arbeiten Sie denn?“

„Bei meinem …, naja bei meinem Stiefvater. Ich mach seine Buchhaltung.“

Otto stand ebenfalls auf: „Eine Frage noch, bevor Sie gehen. Wie spät oder wie früh war es eigentlich,als Sie die Beobachtungen machten? Was haben Sie gemacht, als das Auto kam?“

Sie schaute Otto nachdenklich an und zögerte etwas, bevor sie antwortete: „Das weiß ich nicht mehr so genau.“

Sie nahm ihre Finger, um zu zählen: „Also zuerst waren wir in Regensburg beim Essen. Dann waren wir im Theater und danach, … Warten sie, es fällt mir gleich wieder ein. Ach ja! Danach waren wir noch in einem Café und dann sind wir zur Wiese gefahren. Da muss es etwa zwei oder drei Uhr in der Nacht gewesen sein und als das Auto kam, haben wir uns .., wir haben uns halt schnell angezogen und sind dann weggefahren.“

„Kann es sein, dass Ihr Freund schon etwas älter ist? Ich meine Essen gehen, Theater, Kaffee trinken, das macht man doch nicht mit einem jungen Mann?“

Sie lächelte Otto an: „Kann sein, vielleicht? Finden Sie es heraus!“

„Falls ich noch Fragen habe, wo kann ich Sie finden?“

„Zu Hause natürlich. Meine Adresse haben Sie ja.“

„Ach so, ja Ihr Ausweis.“ Otto beugte sich über den Tisch, nahm den Ausweis, den er dort abgelegt hatte. Er notierte sich die Adresse, denn das hatte er vorhin vergessen und gab ihn ihr: „Hier bitte. Ihr Ausweis.“

„Danke und auf Wiedersehen.“ Während sie das Büro verließ, schaute ihr Otto nachdenklich nach: