Mord auf der Liebesinsel - Walter Bachmeier - E-Book

Mord auf der Liebesinsel E-Book

Walter Bachmeier

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Beschreibung

Die Enkelin Sabrina des pensionierten Polizisten Gerhard Feiler findet auf der Liebesinsel in Abensberg eine männliche Leiche. Es handelt sich dabei um einen alten Bekannten Feilers Paul Schneider. Gerhard verspricht dem Toten, dass er seinen Mörder finden wird. Bei seinen Ermittlungen lernt er Evelyn, die junge Freundin des Toten, kennen. In ihm erwacht der "zweite Frühling". Als er der Lösung des Mordes nahe ist, wird Evelyn überfallen und schwer verletzt. Ein weiterer Mord passiert.

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Mord auf der Liebesinsel

Titel SeiteKurztitelTitelKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Weitere Bücher des Autoren:

Kurztitel

Reihe, Band, Nr.

Titel

Untertitel

Autor

Impressum

Texte: © Copyright by Max Mustermann Umschlag:© Copyright by … Verlag:Name des Selbstverlegers

[Musterstr. 5]00010 [email protected]

Druck:epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin

ISBN 978-3-****-***-*

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieser Mann also war Schilcher. Kann man ihm trauen? Ist er in der Lage, kaltblütig einen Menschen zu erschießen? Gerhard kam zu dem Schluss, dass er diesem Mann nicht vertrauen könne und ihm durchaus ein Mord zuzutrauen war.

Kapitel 1

Paul nahm den Anruf entgegen, den ihm sein Handy mit einem durchdringendem Musikton meldete. Er lauschte kurz in den Hörer, nickte ein paarmal, ohne daran zu denken, dass dies sein Gesprächspartner nicht sehen konnte. „Ich komme sofort!“, sagte er, bevor er das Handy zusammenklappte. „Ich muss nochmal weg!“, rief er seiner Freundin Evelyn zu, bevor er die Wohnung verließ. Sein Verhältnis mit Evelyn begann, als er feststellen musste, dass sich seine achtundzwanzigjährige Frau Sandra anderweitig orientiert hatte. Evelyn war zunächst in der Produktion tätig, wurde dann aber von ihm in die Rezeption versetzt, da sie durch ihre Ausbildung zur Hotelfachfrau für diese Tätigkeit durchaus geeignet war. Außerdem benötigte er einen Ersatz für Sandra, die diesen Job zuvor innehatte. Evelyn war ihm bei einem Rundgang durch die Firma aufgefallen, denn sie bestach nicht nur durch ihre schüchterne und zurückhaltende Art, sondern sie war außergewöhnlich hübsch, mit halblangen blonden Haaren, die zwar durch eine Haube verdeckt, aber dennoch zu erahnen waren. Ihre strahlenden tiefblauen Augen hatten ihn ebenso beeindruckt, wie ihr fein gezeichnetes Gesicht, die zarte Haut und ihre zierliche, beinahe mädchenhaft Figur.

Er fuhr mit seinem Wagen bis zum Kuchlbauer Weißbierstadel, stellte es dort ab und ging, den Anordnungen das Anrufers folgend, zur Liebesinsel in der Abens. Es war bereits zweiundzwanzig Uhr, als er an den Parkbänken auf der Insel wartend stand. War er zu früh? War der Anrufer zu spät? Er hatte es dringend gemacht. Er wollte ihn sprechen! Unbedingt jetzt! Was wollte der Anrufer von ihm? Er sagte etwas von Pauls Geheimnis! Ein Geheimnis, das Paul Ruhm, Reichtum und Ansehen gebracht hatte. Ein Geheimnis, von dem nur wenige wussten. Wollte ihn der Mann erpressen? Unsinn, niemand konnte ihn erpressen! Aber sein dunkles Geheimnis, wer wusste noch davon? Paul überlegte und kam dabei auf einen Namen. Schilcher! Schilcher wusste davon. Aber wo war der? Seit damals hatte er nichts mehr von ihm gehört. Sollte er der unbekannte Anrufer sein? Wie auch immer, Paul ließ sich nicht mit einem Geheimnis erpressen, das bald keines mehr sein sollte. Er hatte bereits alles entsprechende in die Wege geleitet. Die Firma würde wohl draufgehen dabei. Aber das war ihm egal. Paul hatte vorgesorgt, gut vorgesorgt. Seine und Evelyns Zukunft war gesichert. Die anderen? Der Rest der Familie? Sie hatten ihn ohnehin nur ausgenutzt und auf seine Kosten gelebt. Wieder und wieder schaute Paul auf seine Uhr. Schon fünf Minuten über der Zeit! Paul war es nicht gewohnt, warten zu müssen. Er war ein Mensch, der Unpünktlichkeit hasste. Er hörte leise Schritte hinter sich, die auf dem Kopfsteinpflaster klappernde Geräusche verursachten. Als er sich umdrehte, sah er ihn: „Du? Was willst du hier?“

„Das wirst du gleich sehen.“ Der Mann kam auf Paul zu, nahm ihn in den Schwitzkasten und stach zu. So sehr sich Paul auch wehrte und strampelte, es half nichts. Mit leisem Knirschen durchdrang das Eisen das Brustbein des Opfers und mit einem weiteren Knirschen trat es am Rücken wieder aus. „Warum? Warum tust du das? Was habe ich dir getan?“, röchelte Paul.

„Das fragst du noch?“ Der Mann wartete noch ein paar Minuten, bis Paul sich nicht mehr rührte. Mit einem letzten Blick und einem höhnischen Grinsen im Gesicht wandte er sich ab und ging.

Kapitel 2

Am frühen Vormittag, es war etwa zehn Uhr, spazierte Gerhard Feiler mit dem Jagdhund Vroni, der seiner Nachbarin gehörte und seiner Enkelin Sabrina über die Gillamooswiese. Gerhard war zu der Zeit, als er noch nicht in Pension war, Stadtpolizist in Abensberg. Stets war er gewissenhaft und vorbildlich. Er war etwa einmeterfünfundsiebzig groß, schlank, und hatte, trotz seines Alters, immer noch eine sportliche Figur. Dies kam vermutlich davon, dass er regelmäßig Sport trieb. Er war in der Judoabteilung des TSV Abensberg. Er ging regelmäßig zum Training, denn es war ihm ein großes Anliegen, auch zu zeigen, dass man selbst im Alter noch gut mithalten konnte. Auch die Tatsache, dass die Judoabteilung im internationalen Vergleich ständig an den Spitzenplätzen zu finden ist, machte ihn stolz und es war ihm eine Freude, Mitglied bei diesem Verein zu sein. Seine Enkelin hatte zurzeit Ferien und durfte sich deshalb bei ihrem Großvater aufhalten. Sabrina war ein fröhliches und aufgeschlossenes Mädchen, das ebenso wie ihr Großvater dem Judosport frönte. Sie war jetzt zwölf Jahre alt, schlank, aber trotzdem kräftig, hatte dunkelbraune Haare, fast schwarze Augen und ein fein geschnittenes, ebenmäßiges Gesicht, das stets zu lachen schien. Sabrina lief mit dem Hund an der Leine voraus und Gerhard hatte trotz seiner Fitness Mühe, ihr zu folgen. Irgendwann waren sie aus seinen Augen verschwunden, aber Gerhard wunderte dies nicht weiter.

Plötzlich hört er ein lautes Gebell und einen schrillen Schrei. „Sabrina!“, er lief los in die Richtung, aus der er den Schrei und das noch immer anhaltende Gebell des Hundes hörte. Er rannte den Weg entlang, überquerte die Abens über die kleine Brücke hinüber zur Liebesinsel. Als er an den Parkbänken ankam, blieb ihm beinahe das Herz stehen. Das stand Sabrina vor einem Bündel, das offenbar ein Mensch war, und hielt sich die Hände vor das Gesicht. Der Hund stand daneben und bellte. Schnell eilte er auf das Mädchen zu, packte es und zog es zur Seite. Das Mädchen schrie immer noch und schien sich nicht beruhigen zu wollen. „Bleib hier stehen und rühr dich nicht vom Fleck.“, sagte er zu ihr. Danach ging er zurück, nahm den Hund bei der Leine, die das Mädchen vorhin fallen hatte, lassen und zog ihn zu Sabrina. „Hier nimm!“, er drückte dem Mädchen die Leine in die Hand. Danach ging er zurück zu dem Bündel, unter dem sich eine große Blutlache auf dem Kopfsteinpflaster gebildet hatte. Er blieb davor stehen und sah es sich an. „Das ist ein Mensch! Das ist tatsächlich ein Mensch! Ob der wohl tot ist?“Gerhard beschloss, die Polizei anzurufen, das Bündel anzufassen, wagte er nicht. Er griff in seine Hosentasche, in seine Hemdtasche, aber nichts. Er hatte das Handy zuhause liegen gelassen.„Sabrina!“, fiel ihm ein!„Die muss doch ein Handy dabei haben!“Er ging zurück zu ihr: „Sabrina! Hast du dein Handy dabei?“ Sabrina hatte alle Hände voll zu tun, den Hund an der Leine festzuhalten, da er immer wieder zu dem Mann zog, der unweit von ihnen auf dem Boden lag. Gerhard nahm ihr die Leine aus der Hand und Sabrina zog ihr Handy aus der Jeanstasche. Sie sah ihren Großvater fragend an: „Wen soll ich anrufen? Die Polizei? Ist der Mann tot? Soll ich einen Arzt rufen?“

„Ruf erst einmal die Notrufnummer an! Da muss zuerst ein Arzt her, ich weiß nicht, was los ist.“

Sabrina drückte die Notruftaste, und als sich jemand meldete, konnte sie nur sagen: „Hier liegt ein Mann! Ich weiß nicht, was mit ihm ist!“ Gerhard dauerte dies zu lange, deshalb nahm er ihr das Handy aus der Hand. Er meldete sich vorschriftsgemäß und gab alles Relevante durch. Die Stimme am anderen Ende bestätigte und meinte nur, dass er dort bleiben solle, wo er jetzt war. Gerhard klappte das Handy wieder zusammen und gab es Sabrina zurück. „Du bleibst jetzt mit Vroni hier! Hast du mich verstanden?“ Sabrina nickte nur kurz. Gerhard begab sich zurück zu diesem Bündel Mensch. Er ging um den Blutfleck herum, besah sich den leblosen Körper und erschrak, als er das Gesicht des Menschen sah. Die Augen erstarrt und weit aufgerissen, lag der Tote auf der Seite.

Gerhard sah den Eisenstab, der augenscheinlich von einer Baustelle stammte, denn es war ein Stück, das aussah wie Baustahl. Etwa zwanzig Zentimeter ragte das Eisen noch aus der Brust und am Rücken sah er ebenfalls noch ein kleines Stück, das scharf und spitz geschliffen schien.„Um Gottes willen!“, schoss es durch seinen Kopf.„Das ist doch Paul! Paul Schneider!“Paul Schneider war Inhaber einer der größten Firmen in Abensberg. Zugleich auch ein großer Gönner und Sponsor des TSV. Er hatte dazu beigetragen, dass so mancher Traum des Vereins verwirklicht werden konnte. Nun lag er da, tot, mit einer Eisenstange in der Brust.„Wer war das? Wer hat Paul so gehasst, dass er ihn umbrachte?“

Von Weitem hörte Gerhard das Martinshorn des Notarztfahrzeugs. Er ging zurück zu Sabrina, die immer noch weinte, und legte seinen Arm um ihre Schulter: „Ist ja schon gut, Mädchen. Der Arzt wird gleich hier sein und dann sehen wir weiter.“ Sabrina schmiegte sich an ihn und sah ihn mit verweinten Augen an: „Ist der Mann tot? Ist er wirklich tot? Wer macht denn so was? Was hat der Mann getan?“ Gerhard zuckte hilflos die Schultern: „Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. Soweit ich weiß, hat der Mann niemandem etwas getan.“

„Kennst du ihn?“

„Ja, ich kenne ihn und ich glaube nicht, dass er dieses Ende verdient hat.“ Inzwischen war der Notarztwagen auf der Gillamooswiese zum Stehen gekommen und die Sanitäter rannten mit einer Bahre zu ihnen hin. Gerhard hörte sie, wie sie über die Brücke liefen und als er sie sah, winkte er ihnen.

Der Notarzt, der die beiden Sanitäter begleitet hatte, kam zu Gerhard: „Was ist los? Was ist passiert?“ Wortlos zeigte Gerhard auf den am Boden liegenden Toten: „Das ist Paul Schneider. Ich glaube, er ist tot.“ Der Arzt ging zu dem leblosen Körper, ungeachtet dessen, dass er dazu in die Blutlache steigen musste. Er untersuchte ihn kurz und nickte Gerhard zu: „Sie haben recht, der Mann ist tot. Wir müssen die Polizei rufen.“ Er stand auf und ging mit den beiden Sanitätern zurück zu ihrem Fahrzeug. Sabrina zupfte Gerhard am Ärmel: „Opa, gehen wir wieder nach Hause? Mir gefällt es hier nicht.“

„Geh du schon mal mit Vroni heim. Ich muss noch etwas hierbleiben, denn die Kollegen werden sicher noch Fragen haben.“

„Kollegen? Opa, du bist doch schon längst nicht mehr bei der Polizei!“

„Weißt du Sabrina, für mich sind das immer noch meine Kollegen, auch wenn ich nicht mehr im Dienst bin.“ Sabrina schüttelte den Kopf: „Das verstehe ich nicht.“

„Musst du auch nicht, ich verstehe es ja selbst manchmal nicht.“ Sabrina nahm die Leine und zog daran: „Komm Vroni, wir gehen heim.“

Gerhard sah den beiden nach, wie sie auf dem Weg zurück zur Wiese gingen. Als sie aus seinem Blickfeld verschwunden waren, setzte er sich auf eine der Parkbänke und sah zu dem Toten hin: „Das hast du nicht verdient Paul! Das hast du sicher nicht verdient. Ich werde tun, was ich kann, um den Kerl zu fassen, der dir das angetan hat!“, flüsterte er leise vor sich hin. Gerhard saß eine ganze Weile, bis er die Martinshörner der Polizeifahrzeuge hörte. Bald darauf kamen etliche Beamte in Uniform und zwei Männer in Zivil, die Gerhard noch aus seiner Dienstzeit bei der Polizei kannte. Einer von ihnen kam auf Gerhard zu und reichte ihm die Hand: „Servus Gerhard, was ist passiert?“

„Servus Albert, das da ist passiert.“, dabei zeigte er auf den leblos daliegenden Körper. Da der Kollege nicht auf das Gesicht sehen konnte, fragte er: „Wer ist das?“

Albert Gradinger war in der Zeit, als Gerhard noch als Stadtpolizist tätig war, sein direkter Vorgesetzter und hatte es mit der Zeit zum Kripobeamten geschafft. In dieser Funktion war er auch der Vorgesetzte Karls, Gerhards Sohn.

„Das ist Paul, Paul Schneider.“

„Was ist passiert?“, der Kollege schien unbeeindruckt, aber Gerhard sah ihm an, dass es ihn schon etwas getroffen hatte. Er erzählte ihm, was er wusste, bis jemand von der Spurensicherung auf sie zukam: „Wir haben da was. Da sind Fußspuren.“

„Wo? Wo sind Fußspuren?“, Gerhard schien aufgeregt, deshalb bremste ihn Albert aus: „Das geht dich nichts an. Halt dich zurück.“ Der Beamte von der Spurensicherung antwortete trotzdem: „Mitten im Blutfleck sind Fußspuren. Da muss jemand nach der Tat hineingetreten sein.“ Gerhard war erleichtert: „Das? Das war nur der Notarzt, er musste ja zu ihm hin.“ Nun kam auch der Gerichtsmediziner auf sie zu: „Darf ich stören?“ Albert wandte sich ihm zu: „Was hast du für mich? Todesursache, Tatzeit, na du weißt schon.“

„Ja ich weiß, aber du weißt auch …“

„Jaja, ich weiß, Genaues nach der Obduktion. Aber was du jetzt hast, kannst du mir schon verraten?“

„Ja kann ich. Also die Tatwaffe ist ein abgesägtes Stück einer Baustahlstange. Sie wurde, vermutlich um die Tat damit auszuführen, vorne scharf geschliffen.“

„Ja und? Die Todeszeit?“

„Genaues kann ich noch nicht sagen. Aber es dürfte etwa zwölf Stunden her sein. Plusminus einer Stunde.“ Albert sah auf seine Uhr: „Jetzt ist es elf Uhr. Also zwischen zweiundzwanzig und vierundzwanzig Uhr?“

„Ja so in etwa.“ Gerhard hatte aufmerksam zugehört: „Das heißt also, der oder die Täterin müsste ein Alibi für diese Zeit haben?“ Albert fuhr herum und drückte ihm den Zeigefinger an die Brust: „Du hältst dich heraus! Du bist in Pension! Verstanden?“ Gerhard hob abwehrend beide Hände: „Das würde ich mich doch nie trauen, dass ich dir die Arbeit wegnehme!“

„Na dann ist es ja gut.“

„Wenn du nichts weiter von mir willst, dann kann ich ja gehen.“

„Kannst du, und wenn ich noch Fragen habe..“

„Weißt du, wo du mich findest!“, grinste ihn Gerhard an. „Ja, sicher beim Kuchlbauer.“, grinste Albert zurück. Gerhard wandte sich ab und machte sich auf den Weg nach Hause. Als er vorne beim Weißbierstadel ankam, sah er Sabrina auf einer Bank sitzen. Sie machte einen unruhigen Eindruck: „Sabrina! Was machst du hier noch? Ich habe doch gesagt, dass du nach Hause gehen sollst.“ Sie sah ihn an und Gerhard bemerkte, dass sie weinte: „Ach Opa, mir ist nicht gut. Ich möchte nicht alleine nach Hause gehen.“

„Komm her.“ Sie stand auf und Gerhard nahm sie in die Arme. Dabei merkte er, wie das Mädchen zitterte. Er drückte sie ganz fest und strich ihr über die Haare: „Hat dich das so erschreckt? Hast du Angst?“

„Ja Opa, fürchterliche Angst. Was ist, wenn der Mörder uns gesehen hat und in der Nacht zu uns kommt und dich und mich umbringt?“

„Warum sollte er das tun? Er hat uns nicht gesehen, glaub mir, der ist längst über alle Berge.“

„Wirst du ihn fangen und einsperren Opa?“

„Ja, das werde ich. Ich werde den Kerl fangen und einsperren. So lange, dass er nicht mehr herauskommt.“

Sie sah ihn wieder an: „Ganz bestimmt Opa? Du sperrst ihn ganz bestimmt ein?“

„Ganz bestimmt.“ So sicher war Gerhard seiner Sache zwar nicht, aber er schwor sich, zumindest seinen Teil dazu beizutragen, dass der Kerl gefasst werden würde. „So, aber jetzt gehen wir heim.“ Gerhard nahm Sabrina die Hundeleine ab und sie liefen nach Hause.

Kapitel 3

Gerhards Haus war ein gemütliches, kleines Einfamilienhaus, das er sich vor langer Zeit gemeinsam mit seiner Frau Susanne gekauft hatte. Schon beim Betreten des Hauses umfing den Besucher eine wohlige Atmosphäre, die noch aus der Zeit war, als Susanne noch lebte. Gleich hinter der Haustüre befand sich das Bad und daneben führte eine Treppe ins Obergeschoss, wo Sabrina ihr Zimmer hatte und ein zweites Zimmer als Rumpelkammer benutzt wurde. Unter dem Treppenaufgang befand sich Gerhards kleines Büro, in dem er alte Akten und Bücher, die er nicht mehr benötigte abgestellt hatte. Auch ein kleiner Schreibtisch mit einem Computer befand sich darin, den er eigentlich nur selten nutzte, der aber für seine Enkelin ein willkommenes Gerät gegen Langeweile war. Sie beschäftigte sich oft damit, wenn sie bei ihrem Großvater zu Besuch war.

Nach dem Treppenaufgang befand sich die Türe zu Gerhards Allerheiligsten, dem Schlafzimmer, in dessen Bett er niemals eine andere Frau schlafen ließ, da er Susanne immer noch nachtrauerte und ihr versprochen hatte, dass es niemals eine andere nach ihr geben würde. Es war sehr konservativ eingerichtet, noch mit furniertem Holz, was aber der Heimeligkeit keinen Abbruch tat. Gegenüber dem Schlafzimmer befand sich das Wohnzimmer, das ebenfalls noch für die jetzige Zeit altmodisch eingerichtet war. Die Wand, die der Türe gegenüber war, wurde durch ein großes Fenster, und eine Glastüre, die in den kleinen Garten führte, durchbrochen. Alles in allem waren die Möbel aus einem Kaufhauskatalog, aber Gerhard wäre es nie in den Sinn gekommen, neue Möbel zu kaufen. Die Wohnung war beinahe noch so eingerichtet, wie er es damals mit Sabine beschlossen hatte. Nichts deutete darauf hin, dass er vermögend gewesen wäre, denn ein kleiner Polizist hat nicht gerade ein großes Einkommen, sodass Luxus möglich wäre. Selbst die kleinen Andenken, die sie sich auf diversen Reisen gekauft hatten, standen noch in der Vitrine des Schranks und draußen im Flur auf der kleinen Kommode, die als Schuhschrank diente. In der Küche, die neben dem Wohnzimmer war, hatte Susanne damals alles so eingerichtet, dass sie bequem darin kochen und arbeiten konnte. Die Essecke befand sich gleich rechts neben der Türe und als einzige Neuerung hatte Gerhard einen Mikrowellenherd gekauft, als Susanne noch lebte. Alles andere stammte ebenfalls aus dem Kaufhauskatalog.

Als sie zuhause ankamen, brachte Sabrina den Hund zurück zu Frau Eisele, seiner Nachbarin, die froh war, wenn der Hund mal ausgeführt wurde. Sabrina folgte Gerhard in die Küche, wo dieser im Kühlschrank nachschaute, was er wohl heute für sie beide kochen könnte. Sabrina stand neben ihm und sah ihn an: „Du Opa?“, fragte sie mit zuckersüßer Stimme. Gerhard kannte dies schon und lächelte sie an: „Was möchtest du denn? Ein Eis oder Gummibärchen?“

Sie sah ihn ernsthaft an: „Nein Opa! Wir essen doch gleich, da darf ich nichts Süßes vorher essen. Das weißt du doch.“ Gerhard legte verlegen eine Hand auf den Mund: „Ach Gott, daran habe ich jetzt gar nicht mehr gedacht. Aber was möchtest du dann?“

„Ich möchte gerne an deinen Computer. Darf ich?“

„Du willst wohl wieder mit deinen Freunden reden?“

„Chatten Opa, chatten nennt man das heute.“

„Ach so ja, daran habe ich auch wieder nicht gedacht. Wo habe ich nur meinen Kopf?“

„Du bist aber schon sehr verwirrt heute Opa, kommt das von dem Toten?“, meinte sie altklug.

„Wie? Nein, ja vielleicht?“

„Was ist jetzt, darf ich oder darf ich nicht?“

„Meinetwegen, aber pass auf, auf welche Seiten du gehst. Nicht dass du mir wieder so einen Bazillus auf den Rechner holst.“

„Aber Opa,“ sie stampfte leicht mit dem Fuß auf. „Das heißt nicht Bazillus, das ist ein Virus.“

„Umso schlimmer! Viren sind heutzutage gegen alles Mögliche resistent. Da muss man schon sehr aufpassen.“

„Aber Opa, Papa hat dir doch so ein Programm draufgemacht, da kann gar nichts passieren.“

„Ich gebe mich geschlagen!“, Gerhard hob beide Hände und grinste Sabrina an.

„Opa, du verarscht mich!“

„Das würde ich mich niemals trauen!“, grinste er sie wieder an.

„Ich gehe jetzt in dein Büro.“

„Gut mach das! Aber keine Bazillen auf meinen Computer.“

„Opa!?“ Sabrina verschwand und Gerhard widmete sich wieder dem Kühlschrank. Er suchte und suchte, fand aber nichts, was ihm, geschweige denn Sabrina, schmecken würde. Schließlich gab er auf: „Was soll‘s? Dann gibt es heute eben Pfannkuchen.“ Im Grunde genommen war ihm heute eher nach einer deftigen Schlachtplatte. So mit Blut- und Leberwurst, gekochtem Wammerl und einem Stück Kasseler Rippchen. Dazu Sauerkraut und Bratkartoffeln. Aber dazu war es heute schon zu spät, selbst wenn er die Sachen noch einkaufen würde, hätte er es nicht mehr geschafft, rechtzeitig fertig zu werden. Er setzte sich auf einen Küchenstuhl und seufzte: „Also gut, dann eben Pfannkuchen.“

Seine Frau war vor ein paar Jahren gestorben und so war er gezwungen, für sich selbst zu sorgen. Lediglich seine Schwiegertochter, Sabrinas Mutter, kam ab und zu vorbei, um ihm die Wäsche zu machen und zu kochen. Gerhard stand auf, suchte ein Kochbuch und blätterte darin, um ein Rezept für Pfannkuchen zu finden. Als er endlich eines gefunden hatte, legte er das Buch auf den Tisch und begann damit, streng nach Buch, den Teig anzurühren. Als er so mitten in der Arbeit war, kam Sabrina in die Küche: „Du Opa? Was essen wir denn heute?“ Gerhard drehte sich zu ihr um und sie begann plötzlich, laut loszulachen: „Opa! Wie siehst du denn aus? Kochst du etwa mit der Nase?“

Unvermittelt fasste er sich an die Nase: „Was ist denn da?“

„Mehl! Du hast eine ganz weiße Nase vom Mehl.“

„Das glaube ich dir nicht!“

„Warum denn nicht? Schau dich doch im Spiegel an.“

Gerhard lief ins Bad und sah im Spiegel, dass er tatsächlich ein wenig Mehl auf seiner Nase hatte. Woher das kam, war ihm im Moment unerklärlich, aber es befand es auch nicht für wichtig. Trotzdem wischte er sich mit einem Waschlappen übers Gesicht und ging freudestrahlend wieder in die Küche. Sabrina war verschwunden, aber wahrscheinlich hatte sie gerade mal wieder jemanden Wichtigen, mit dem sie plaudern musste.„Plaudern? Das heißt nicht plaudern! Das heißt, wie heißt das nochmal?“, überlegte er.„Naja ist ja auch egal.“Plötzlich ein Ruf aus seinem Büro: „Opa! Opa! Komm mal! Komm schnell!“ Gerhard ließ sofort den Schneebesen fallen, den er soeben in die Hand genommen hatte und rannte aus der Küche: „Was ist los? Ist was kaputt?“

Sabrina kam aus seinem Büro: „Mensch Opa, wo bleibst du denn so lange?“ Sie packte ihn an der Hand und zog ihn in sein Büro. Dort stellte sie sich vor den Schreibtisch und zeigte auf den Bildschirm: „Da! Opa, das ist doch unser toter Mann?“ Neugierig beugte sich Gerhard vor und zog den Bildschirm zu sich: „Ja, das ist Paul Schneider. Da steht es auch geschrieben. Aber warum regst du dich darüber so auf?“ Sie zeigte auf den jungen Mann, der neben Paul stand: „Da! Das ist der Mörder! Der hat den Herrn Schneider umgebracht. Du musst sofort in diese Firma und ihn verhaften!“ Gerhard besah sich das Bild und las, was darunter stand. Dann lachte er kurz auf und legte seinen Arm um ihre Schultern: „Kind, du musste erst lesen, bevor du etwas behauptest. Das ist Marinus, der Sohn von Paul.“

„Das ist mir egal! Der hat ihn umgebracht, auch wenn es sein Vater war.“

„Warum hätte er das tun sollen?“

„Er wollte die Firma und die junge Frau daneben ist sicher seine Freundin. Mit der wollte er die Firma haben.“

„Du hast aber eine mächtige Fantasie Sabrina, das muss ich dir lassen.“ Er zeigte auf die Frau, die zwischen den beiden stand: „Schau mal, das ist Sandra Schneider, das ist die Frau von Paul.“

„Das ist mir auch egal. Sieh mal wie sie diesen Mari.., wie heißt er nochmal?“

„Marinus heißt er und sie ist seine Stiefmutter.“

„Das ist mir auch egal! Schau nur, wie sie ihn anschaut! Die haben doch was miteinander!“

Achselzuckend gab Gerhard auf: „Na gut, wenn du meinst, dann fahre ich noch heute zur Familie Schneider und verhafte ihn.“ Sie stellte sich vor ihn, verschränkte beide Arme und nickte: „Das lob ich mir Opa! Endlich hörst du mal auf deine Enkelin.“

„Gut, dann komm jetzt mit in die Küche zum Essen. Du musst mir ein wenig dabei helfen.“

„Was gibt es denn?“

„Pfannkuchen mit .., was möchtest du dazu?“

„Preiselbeeren! Ich möchte Preiselbeeren!“

„Gut, gnädiges Fräulein, dann eben Pfannkuchen mit Preiselbeeren.“ Gerhard machte dazu eine leichte Verbeugung, wie ein Butler, worauf Sabrina kicherte: „Opa, du machst dich lächerlich.“

„Iich lächerlich? Dass ich nicht lache! Jetzt aber auf. Pfannkuchen backen!“

Die beiden gingen in die Küche und buken die Pfannkuchen. Dass dabei der eine oder andere etwas dunkler wurde als geplant, machte ihnen nichts aus. Sabrina musste nur fürchterlich lachen, als Gerhard versuchte einen Pfannkuchen so zu wenden, wie er es mal bei einem Fernsehkoch gesehen hatte. Es kam, wie es kommen musste. Eine Hälfte des Eierkuchens kam zurück in die Pfanne, die andere Hälfte landete auf dem Ofen. Schließlich saßen sie erschöpft am Küchentisch und genossen die Pfannkuchen mit Preiselbeeren. Da Sabrina ausnahmsweise still war und nichts fragte oder sagte, hatte Gerhard die Gelegenheit, über den Mord nachzudenken. Dabei kam ihm ein Gedanke: „Du Sabrina, sag mal, wie bist du eigentlich auf die Seite der Firma gekommen?“ Sabrina hatte den Mund voll und fragte kauend zurück: „Welche Firma? Was meinst du?“

„Na die Seite von der Firma Schneider, auf der du vorhin warst?“

„Ach das? Das war ein Kinderspiel. Ich hab nur mit meinen Freunden gechattet und ihnen erzählt, was da passiert ist.“

„Und dann?“

„Dann hat mir Ferdi, du kennst ihn doch, Ferdinand Schreiner aus meiner Klasse. Also der hat mir dann den Link geschickt und da habe ich ganz einfach draufgeklickt. Das wars!“

„Das war alles?“

„Nicht ganz. Ferdi hat mir dann auch noch geschrieben, dass dieser Marinus noch einen Bruder hat, der aber gaaanz weit weg wohnt.“

„Aha?“

„Nichts aha! Also du musst mir das schon glauben. Der Marinus hat seinen Vater umgebracht!“

„Das schreibst du aber deinen Freunden nicht, hoffe ich.“

„Nö, das behalte ich für mich. Schließlich wollen doch wir beide den Fall lösen.“

„Meinst du nicht, dass wir deinen Papa auch einweihen sollen, in unser Geheimnis?“

„Papa? Der arbeitet doch mit diesem Albert zusammen. Den habe ich heute schon gesehen, als er auf die Wiese gefahren ist. Wenn ich dem Papa erzähle, was wir wissen, sagt er das doch gleich dem Albert und du bekommst Ärger.“

„Ich muss aber mit deinem Vater darüber reden, der muss uns vielleicht bei ein paar Kleinigkeiten helfen.“

„Du kennst doch deinen Sohn, Opa. Der rennt gleich zu seinen Chefs und erzählt ihnen alles.“

„Das glaube ich diesmal nicht.“ Sabrina begann damit, den Tisch abzuräumen: „Ich stell das gleich in die Spülmaschine, dann brauchst du nicht abzuspülen.“

„Gut und nachher zeigst du mir nochmal die Seite der Firma Schneider.“

„Das kannst du doch selbst, Opa. Das ist doch ganz einfach.“

„Klar kann ich das selbst, aber du bist doch unser Fachmann.“

„Fachmann? Fachfrau wolltest du wohl sagen!“

„Ja gut, dann eben Fachfrau.“

Es dauerte nur wenige Minuten, bis Sabrina den Tisch abgeräumt und alles in die Spülmaschine verfrachtet hatte. Sie schaute Gerhard an: „Fertig! Gehen wir?“ Willig folgte er ihr in sein Büro. Dort setzte sie sich auf seinen Bürostuhl und rief die Seite der Firma Schneider auf. Plötzlich fiel ihr etwas ein: „Oh Opa! Ich sitze auf deinem Stuhl!“

Sie stand auf und forderte ihn auf: „Setz dich doch.“ Während Gerhard sich setzte, holte Sabrina einen Stuhl aus einer Ecke des Zimmers. Inzwischen hatte Gerhard es selbst geschafft, die Seite aufzurufen: „Wo finde ich ..? Ach ja, da ist sie ja!“

Er hatte nach der Seite gesucht, auf der er mehr Infos über die Firma nachlesen konnte. Da stand es schwarz auf weiß, dass Paul Schneider mit der jungen Sandra Schneider, die früher seine Sekretärin war, verheiratet sei. Sie arbeitete aber immer noch in der Firma als seine Sekretärin. Der Sohn hatte aufgrund seiner sehr guten Ausbildung bereits Prokura bekommen und leitete das Geschäft ganz im Sinne seines Vaters, der aber immer noch als alleiniger Inhaber gelistet war. Langsam las Gerhard weiter, bis er auf einen Namen stieß: „Edwin Schneider“, las er laut. „Da gibt es noch einen Edwin. Das muss der Bruder sein. Den muss ich mir mal genauer ansehen!“

„Aber Opa, ich hab dir doch gesagt, dass der Bruder ganz weit weg wohnt. Wie willst du dir denn den ansehen?“

„Das weiß ich noch nicht mein Kind, aber irgendwo wird er ja wohl sein. Ganz weit weg heißt ja nicht, dass er unerreichbar wäre.“

„Aber wie willst du das anstellen? Stell dir mal vor, wenn der in Amerika wohnt, willst du dann nach Amerika fahren?“

„Fliegen heißt das, fliegen.“

„Meinetwegen auch fliegen.“

„Nein, aber ich denke, die Familie kann mir darüber Auskunft geben.“

„Wie willst du die denn fragen? Willst du da hingehen und sagen: Guten Tag ich bin Herr Feiler und ich war früher mal Polizist. Würden Sie mir ein paar Fragen beantworten?“ Gerhard grinste sie an: „So direkt nicht, aber ungefähr so.“ Sabrina schüttelte den Kopf und fasste sich an die Stirn: „Opa du spinnst!“

Gerhard wandte sich ab: „Ich muss jetzt los.“

„Wo willst du denn hin?“

„Das sage ich dir, wenn ich wieder da bin.“

„Opa?“, ihre Stimme klang streng „Opa, mach keinen Blödsinn!“

„Ich mach keinen Blödsinn, das weißt du doch!“

„Opa, ich kenn dich doch! Du hast wieder dieses Glitzern im Auge. Du hast wieder etwas vor, das nicht ganz astrein ist.“

„Reg dich nicht auf, Sabrina, es wird schon gut gehen.“ Er verließ sein Büro und das Haus. Draußen ging er zu seinem Auto, stieg ein und fuhr weg. Dabei überlegte er:„Wie stelle ich das jetzt am Dümmsten an?“

Kapitel 4

Ganz entgegen seiner Gewohnheit fuhr er die Straubinger Straße etwas zu schnell Richtung Stadtausfahrt. Noch bevor er zum zweiten Kreisel kam, überholte ihn ein Streifenwagen und setzte sich vor ihn. Er verringerte seine Geschwindigkeit und bremste so Gerhard aus. Als er stehen blieb, musste auch Gerhard stehen bleiben und zusehen, wie der uniformierte Kollege ausstieg. Er kam auf Gerhard zu, deutete ihm an, dass er das Fenster herunterkurbeln solle, und blieb schließlich neben ihm stehen. Er deutete an seine Mütze und beugte sich zu ihm herunter: „Na Gerhard? Hast du es so eilig? Wo willst du denn hin?“

„Ach Franz, du bist es! Ich muss zum Supermarkt, etwas einkaufen. Ich habe heute etwas vergessen.“

„Zum Supermarkt? Soso. Du willst nicht nach Gaden?“

„Was soll ich in Gaden?“

„Naja vielleicht willst du zufälligerweise zur Firma Schneider?“

„Da hört sich doch alles auf, Franz! Was soll ich bei der Firma?“

„Ein paar Fragen stellen?“

„Welche Fragen?“

„Du hast doch den Toten heute Vormittag gefunden, da liegt es doch nahe, dass du ..“

„Nichts liegt nahe! Wie kommst du überhaupt auf sowas?“

„Pass mal auf, das bleibt aber unter uns: Albert hat mir gesagt, dass ich ein Auge auf dich haben soll, damit du keinen Blödsinn machst.“

„Albert hat das gesagt? Wie kommt er denn auf so etwas?“

„Das musst du am Besten wissen.“ Ungeduldig klopfte Gerhard auf das Lenkrad: „Ich muss jetzt weiter, Sabrina wartet zuhause auf mich!“ Er wartete gar nicht erst ab, bis sein Freund und Nachfolger vom Auto weg trat, und gab Gas. Franz konnte gerade noch zur Seite springen, damit Gerhard ihn nicht überrollte. Er rief ihm noch etwas nach, aber Gerhard war schon zu weit weg, als dass er das noch gehört hätte. Zügig fuhr er weiter über die Brücke, die zur B 16 führte, fuhr dann gleich rechts weg und dann gleich links nach Gaden. Da er wusste, wo die Firma ist, war er innerhalb ein paar Minuten dort. Er fuhr die Straße entlang bis zum Eingangstor, wo ihm die Einfahrt durch eine Schranke verwehrt blieb. Gezwungenermaßen blieb er stehen und wartete. Es dauerte auch nicht lange, bis ein grau uniformierter Mann aus einem Häuschen neben der Schranke kam, der ein schwarzes Bändchen am Revers trug. Gerhard hatte vorhin das Fenster nicht wieder geschlossen und wartete ab, was der Mann denn von ihm wollte. Augenscheinlich war es der Pförtner, der ihn nun fragte: „Wo wollen Sie hin?“

„Zur Geschäftsleitung.“

„Haben Sie einen Termin?“

„Nein habe ich nicht, aber es ist wichtig.“

„Sind Sie von der Polizei?“

„Könnte man so sagen, ja.“

„Ihre Kollegen waren heute schon mal da, was wollen Sie noch?“

„Wir hätten da nur noch ein paar Fragen.“

„Darf ich Ihren Ausweis sehen?“

„Aber selbstverständlich.“ Gerhard zog seinen alten Dienstausweis hervor und gab ihn dem Pförtner. Dieser besah ihn sich von allen Seiten und nickte: „Gut, warten Sie einen Moment.“ Während Gerhard wartete, ging ihm so einiges durch den Kopf:„Gut, dass ich den Ausweis habe. Normalerweise dürfte ich das gar nicht. Aber ich war damals schlau genug, mir einen Neuen ausstellen zu lassen. Ich hatte behauptet, meinen Ausweis verloren zu haben und bekam problemlos einen Neuen.“

Plötzlich ging die Schranke hoch und der Pförtner winkte ihn durch. Gerhard öffnete das Beifahrerfenster: „Wo muss ich hin? Wo ist die Geschäftsleitung?“

„Fahren Sie vorne gleich rechts, dann die Straße hinunter. Es ist das letzte Gebäude links.“

„Danke!“ Gerhard fuhr, wie ihm gesagt wurde, und blieb vor dem Gebäude stehen. Es war nicht besonders groß und unterschied sich kaum von den anderen, an denen er soeben vorbeigekommen war. Er stieg aus und betrat das Bürogebäude. Drinnen saß an einem Tresen eine auffallend junge, hübsche Frau, mit einer schwarzen Armbinde, die ihn anhielt: „Wo wollen Sie hin?“

„Zur Geschäftsleitung.“

„Das geht jetzt nicht, Frau Schneider hat noch Besuch. Bitte warten Sie.“, dabei zeigte sie auf ein paar Sessel, die in der kleinen Halle standen. Gerhard durchzuckte es wie ein Blitz: „Frau Schneider? Habe ich richtig gehört? Frau Schneider ist jetzt der Chef hier?“

„Die Chefin!“, lächelte die Dame. Gerhard setzte sich und überlegte:„Das ist ja eigentlich logisch, dass seine Frau jetzt den Laden übernimmt. Ich dachte eigentlich, dass der Sohn …“

Plötzlich hörte er aus dem Flur, der hinter einer Ecke des Tresens begann, einen lauten Streit. Eine männliche und eine weibliche Stimme stritten sich heftig. Gerhard konnte aber nichts verstehen, so sehr er sich auch anstrengte. Danach hörte er eine Türe, die heftig zugeschlagen wurde. Eine weibliche Stimme unterbrach ihn: „Kommen Sie jetzt bitte? Frau Schneider hat jetzt Zeit für Sie.“ Gerhard erhob sich und folgte der jungen Dame. Er konnte es nicht lassen, ihre Figur von hinten zu begutachten:„Die sieht aber gut aus. Die würde ich auch nicht von der Bettkante schubsen. Hautenge Jeans, eine leichte Bluse, naja vielleicht zu leicht? Der Paul hatte schon immer einen guten Geschmack.“Die junge Frau blieb stehen, drehte sich um und lächelte ihn wieder an, dabei blitzten ihre schneeweißen Zähne. Sie öffnete eine Türe und deutete ihm an, hineinzugehen: „Bitte, Frau Schneider erwartet Sie.“ Gerhard betrat das Zimmer und sah sich kurz um:„Tolle Einrichtung. Zweckmäßig, aber gut.“An den Wänden standen nussbaumfarbige Schränke,„Wahrscheinlich echtes Holz?“, dachte er. An der rechten Seite große Fenster und in einer Ecke ein riesiger Philodendron, der schon an der Decke aufgehängt war, damit er nicht umfallen konnte. Geradeaus eine braune Sitzecke und rechts davon ein riesiger eichefarbiger Schreibtisch, hinter dem sich nun eine sehr attraktive, junge Frau in schwarzem Kostüm erhob: „Herr Feiler, nehme ich an? Von der Polizei?“

„Ja, ich hätte da noch ein paar Fragen.“

„Aber ihre Kollegen waren doch schon da und haben mich befragt?“

„Das ist schon richtig, aber es haben sich neue Gesichtspunkte ergeben und da muss ich noch einmal nachfragen.“ Sie sah ihn verwundert an: „Neue Gesichtspunkte? Welche denn?“

„Nun ja,“ Gerhard schien verlegen „wir haben gehört, dass Sie noch einen .., wie soll ich sagen?“

„Stiefsohn?“

„Ja, einen Stiefsohn haben.“ Sie lachte kurz auf: „Aber das habe ich doch bereits Ihren Kollegen erklärt.“ Gerhard tat erstaunt: „Wie? Davon hat man mir gar nichts gesagt?“

„In Ihrer Behörde scheint es auch überall drunter und drüber zu gehen. Habe ich recht?“

Gerhard lächelte sie an: „Ja, die Behörden, Sie haben recht, selbst bei uns ist nicht immer alles so, wie es sein sollte.“

Sie zeigte auf die Sitzgruppe: „Setzen Sie sich doch.“

„Danke.“ Gerhard nahm Platz und sah auf die Türe, die sich nun öffnete. Herein kam wieder dieses bezaubernde Wesen von der Eingangstüre. Sie hatte ein Tablett in den Händen, auf denen zwei Tassen und ein Kännchen mit Kaffee standen. Diese stellte sie nun vor Gerhard auf den Tisch. Frau Schneider nahm eine Tasse und stellte sie vor Gerhard hin. Dann nahm sie das Kännchen, schaute kurz zu dem Mädchen und nickte: „Danke, Frau Zimmermann. Das wäre es dann.“ Das Mädchen drehte sich um und Gerhard hätte sich beinahe erwartet, dass sie einen Hofknicks machte, aber nichts dergleichen geschah. Frau Schneider sah ihn an: „Ich darf doch?“ Als Gerhard nickte, schenkte sie ihm ein: „Ein Stück Zucker oder zwei?“

„Zwei bitte.“

„Milch?“

„Nein, danke.“ Sie schenkte auch sich selbst Kaffee ein und lehnte sich in dem großen Sessel, in dem sie nun saß, zurück. Sie verschränkte die Finger beider Hände und sah Gerard erwartungsvoll an: „Nun? Fragen Sie. Was wollen Sie noch wissen?“ Gerhard vermied es, sich ebenfalls zurückzulehnen, obwohl er es gerne getan hätte. Stattdessen beugte er sich leicht nach vorne und sah die Frau an: „Frau Schneider. Mich würde zunächst interessieren, warum Sie die Geschäftsleitung übernommen haben und nicht Marinus?“ Sie sah ihn unverwandt an: „Das hatten mein Mann und ich vorher so besprochen.“

„Wie vorher?“

„Naja, dass im Falle seines …“, sie stockte.

„Seines Todes?“, half ihr Gerhard.

Ihr stiegen Tränen in die Augen, die sie mit dem Fingerrücken wegwischte: „Ja im Falle seines Todes sollte ich die Firma leiten.“

„Warum nicht Marinus?“ Sie lächelte: „Wissen Sie, Marinus ist ein sehr netter Kerl. Zu nett für das Geschäft, sie verstehen?“

„Nein, leider nicht. Er hatte doch Prokura oder nicht?“

„Ja schon, aber das nützt wenig in den Verhandlungsgesprächen mit Kunden.“

„Und da war Ihr Mann der Meinung, dass Sie ..?“

„Ja, er war der Meinung, dass ich bessere Voraussetzungen hätte, um mit den Kunden …“

„Weil Sie eine Frau sind?“

Sie nickte: „Unter anderem, ja.“ Gerhard überlegte:„Sie sieht fantastisch aus. Dieses Schwarz steht ihr sehr gut. Dazu die langen, blonden Haare, diese Augen! Selten habe ich so schöne Augen gesehen. Soll ich ihr das sagen? Nein, besser nicht. Schließlich bin ich ja quasi in offizieller Mission hier und das käme wohl nicht sehr gut an.“Sie schien seine Gedanken zu erraten: „Dieses Kleid, das hat mir Paul noch gekauft. Er meinte, es stünde mir gut. Nie hätte ich damals gedacht, dass ich es so bald anziehen müsste.“, sagte sie. Dabei stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie tat ihm leid, sehr leid. Beinahe wäre er aufgestanden, um sie in die Arme zu nehmen und zu trösten, aber dies wäre wohl auch nicht gerade gut angekommen. Er lenkte ab: „Dieser Streit vorhin, war das Marinus, mit dem Sie eine Auseinandersetzung hatten?“

„Ja, das war Marinus.“

„Worum ging es bei diesem Streit, wenn ich fragen darf?“

„Ist das wichtig für Sie?“

Gerhard nickte: „Ich denke schon, dass es wichtig ist.“ Sie überlegte kurz: „Na gut, es ist besser, wenn Sie es von mir erfahren. Der Streit mit ihm ging um die Leitung der Firma. Er ist der Meinung, dass diese bei ihm besser aufgehoben wäre, als bei mir.“

„War das nicht vorher so abgesprochen? Sie hatten doch vorhin so etwas erwähnt?“

„Ja, das ist schon richtig, aber Marinus und mein Mann hatten schon damals eine heftige Auseinandersetzung deswegen. Schließlich hat sich mein Mann dann doch durchgesetzt.“

„Hatte Marinus eine Begründung dafür?“

„Wofür?“

„Na, dass er jetzt die Vereinbarung nicht gelten lässt? Ist es das Geld?“ Sie lachte kurz auf: „Das Geld? Wo denken Sie hin? Marinus und ich teilen uns die Gewinne. Er erhält die gleiche Summe wie ich.“

„Was ist dann der Grund dafür?“

„Der Name und die Macht! Er ist der Meinung, dass nur er als gebürtiger Herr Schneider das Recht habe, die Firma weiter zu führen.“

„Gibt es denn ein Testament?“

„Ja, aber ich weiß leider nicht, was drin steht.“

„Könnte es sein, dass Ihr Mann vielleicht doch ..?“

„Marinus als Erbe eingesetzt hat?“

„Vielleicht?“ Wieder lachte sie kurz auf. Gerhard fiel auf, dass sie ein Helles, ein perlendes, beinahe ein ansteckendes Lachen hatte. „Das glaube ich nicht! Das hätte Paul mir gesagt.“

„Was ist mit dem zweiten Sohn? Warum ist er nicht hier?“

„Edwin? Nein, der kommt gar nicht infrage! Der bekommt sicher seinen Pflichtteil und das war es dann schon. Er hat der Firma genug geschadet.“

„Geschadet? Wie meinen Sie das?“

Sie beugte sich leicht vor. „Er hat den Namen der Firma in den Dreck gezogen. Er hat alles getan, um den guten Ruf, den mein Mann hatte, zu ruinieren“, erklärte sie.

„Wie soll ich das verstehen?“

„Sehen Sie, er bekam jeden Monat Geld auf sein Konto, eine Art Apanage. Die hat er genutzt, um die wildesten Partys zu feiern, richtige Saufgelage. Er hat nichts ausgelassen, um mit dem Namen der Firma in Zusammenhang gebracht zu werden. Er ist ein Säufer, ein Verlierer, einer, dem man nicht mal seinen Hund zum Gassigehen anvertrauen würde. Als er dann noch wegen Drogenmissbrauchs vor Gericht stand, war es aus. Paul hat ihm die Zuwendungen gestrichen.“

„Und dann?“

„Ja dann hat er Paul geschworen, dass er dies noch bereuen werde. Er hat ihn beschimpft, bedroht und einmal hätten sie sich beinahe geprügelt.“

„Wo ist dieser Edwin heute?“

„Soweit ich weiß, ist er auf dem Weg nach München. Er war, wie er sagte, ein paar Tage in London. Wegen irgendwelcher Geschäfte.“

„Was könnten das für Geschäfte sein?“ Sie zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung. Vielleicht Drogengeschäfte oder so etwas. Nichts, was man als legales oder ehrliches Geschäft bezeichnen könnte. Auf jeden Fall wieder etwas, das der Firma schadet.“

„Sind Sie sicher, dass er in London war?“

„Was heißt sicher? Er hat gesagt, dass er in London ist. Wo er wirklich war, kann ich natürlich nicht sagen.“

„Frau Schneider, mich beschäftigt nun etwas ganz anderes: Warum sind Sie heute hier? Ich meine, Ihr Mann ist doch heute ums …“

„Sie meinen, ich sollte nicht hier sein, weil mein Mann umgebracht wurde?“

„Naja, das liegt doch eigentlich nahe, oder?“

„Ja schon, aber mein Mann hatte so viel Arbeit zu erledigen, das ist jetzt alles liegen geblieben und irgendwer muss das doch jetzt machen oder?“

„Könnte das nicht Marinus erledigen?“

„Marinus? Nein, auf keinen Fall. Er hat zwar Prokura und ist deshalb zeichnungsberechtigt, aber da sind Entscheidungen zu treffen, die nur ich treffen kann.“

„Welche Entscheidungen sind das zum Beispiel?“

„Nun, mein Mann hat sich entschieden, einen unserer leitenden Mitarbeiter zu entlassen. Es muss sein, verstehen Sie? Die Kosten, der Mann wird uns einfach zu teuer.“

„Und nun müssen Sie ihn entlassen? Weiß er denn schon davon?“

„Ja mein Mann hat es ihm schon lange angekündigt.“

„Und wie hat er darauf reagiert?“

„Wissen Sie, bei uns ist es wie bei allen großen Firmen, wenn jemand gehen muss, dann bekommt er eine Abfindung. Einen goldenen Handschlag, Sie verstehen?“

„Ja ich verstehe, aber wie hat er reagiert? War er böse? War er wütend? Hätte er einen Grund gehabt Ihren Mann …?“

„Umzubringen? Nein auf keinen Fall! Es ist nur – er wollte ..“

„Er wollte mehr als einen goldenen Handschlag?“

Sie nickte: „Ja, er wollte, wenn ich es so vergleichen darf, einen diamantenen Handschlag.“

„Also mehr als vereinbart war?“

„Ja, er wollte mehr, viel mehr und er drohte sogar mit einer Klage.“

„Mit welcher Begründung?“

„Er meinte, dass er viel für die Firma getan hätte, neue Patente, neue Erfindungen, von denen mein Mann profitieren würde.“

„Und, ist das so?“

Wieder nickte sie: „Zugegebenermaßen ja. Aber es stand in seinem Arbeitsvertrag, dass alle Erfindungen und Patente auf die Firma laufen würden und er keinerlei Ansprüche erheben könnte.“

„Noch eine letzte Frage: Was produzieren Sie eigentlich?“

„Wir, das heißt unsere Firma produziert Elektronikbauteile für die Autoindustrie. Kleinteile sozusagen, die aber in keinem der neuen Fahrzeuge fehlen dürfen.“

„Wollte Ihnen diese Erfindungen schon mal jemand abkaufen?“

„Davon können Sie ausgehen! Vor allem die Autoindustrie hat uns regelrecht belagert. Sie wollten unbedingt die Pläne und die Patente haben. Es wurde uns eine Menge Geld dafür geboten.“

„Warum hat ihr Mann nicht verkauft?“

„Verkaufen? Das wäre unser Ruin gewesen und außerdem, die Mitarbeiter, unsere langjährigen Mitarbeiter. Die wären sozusagen von heute auf Morgen auf der Straße gestanden. Das hätte mein Mann nie getan.“

„Wie ist es mit der Konkurrenz? Hat da jemand angefragt?“

„Unsere Mitbewerber? Ja, jede Menge! Sie glauben gar nicht, was da für Anfragen gekommen sind. Einer war sogar dabei, der gedroht hat, unsere Produkte zu kopieren.“

„Und? Hat er?“

„Nein, das geht gar nicht, denn wir haben ein spezielles Sicherheitssystem, das es unmöglich macht, unsere Produkte zu kopieren.“

„Wie funktioniert das?“

Sie lachte ihn an: „Glauben Sie im Ernst, dass ich Ihnen das verrate? Dann könnte ich gleich zusperren.“

Die Türe ging auf und Frau Zimmermann kam herein. Frau Schneider fuhr sie sofort an: „Können Sie nicht anklopfen!? Hat Ihnen das mein Mann nicht gelernt!?“

„Doch, schon, aber …“

„Was aber? Was wollen Sie eigentlich hier!?“ Frau Schneider reichte ihr einen Stapel Akten: „Marinus, entschuldigen Sie, Herr Schneider hat mir das für Sie gegeben.“

„Marinus? Warum bringt er mir die nicht selbst?“ Verschüchtert sah sie Frau Zimmermann an: „Er meinte ..,“.

„Was meinte er!?“

„Nun er meinte, dass er Ihnen heute nicht mehr …“

„Nicht mehr was?!“

„Nun, nicht mehr über den Weg laufen wolle.“

„Das hat er gesagt?“

„Ja, so oder so ähnlich.“

„Da hört sich doch alles auf!“ Sie sprang auf, schaute zu Gerhard und entschuldigte sich: „Sie verzeihen? Ich muss das sofort abklären.“

Auch Gerhard stand auf: „Ich wollte sowieso gerade gehen.“ Er reichte ihr die Hand: „Auf Wiedersehen Frau Schneider.“

„Auf Wiedersehen.“ Sie verließ das Büro und Gerhard folgte ihr. Er sah, wie sie die nächste Türe aufriss und das Zimmer betrat. Durch die Türe hörte er: „Was soll das? Warum gehst du mir aus dem Weg? Warum kannst du mir die Akten nicht selbst bringen?“ Er hörte eine leise Antwort, die aber augenscheinlich die Wut Frau Schneiders nicht bremsen konnte: „Du bringst mir das in Zukunft wieder selbst! Vergiss nicht, dass ich hier die Chefin bin und du nur Angestellter! Deine Kündigung ist schneller geschrieben, als du denkst!“ Eilig ging Gerhard weiter, denn er wollte nicht unbedingt als Lauscher an der Wand dastehen. Vorne an der Rezeption stand Frau Zimmermann mit ernster Miene. Gerhard ging auf sie zu: „Dicke Luft da drinnen, wie?“

Sie nickte: „Das kann man wohl sagen. Paul hätte das sicher nicht gewollt.“

„Paul? Sie nannten Ihren Chef Paul?“

„Ja, aber nur, wenn wir alleine waren.“

„Soll das heißen, dass Paul und Sie ..?“

Sie nickte: „Ja, aber sagen Sie es bitte nicht weiter. Ich wäre meinen Job hier sofort los.“