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Eine Academy, an der nichts so ist, wie es scheint. Ein Spiel auf Leben und Tod. Ein magischer Blutpakt. Und über allem steht die Frage: Wie weit bist du bereit, für deinen persönlichen Erfolg zu gehen? Als Sally ein Stipendium der mysteriösen School of Honor and Success erhält, scheint sich ihr endlich die langersehnte Chance zu bieten, sich zu beweisen und Anerkennung zu erfahren. Bald schon muss sie allerdings feststellen, dass es auf der Academy nicht mit rechten Dingen zugeht. Und dann sind da noch Jason und Lorne, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber beide auf Sally eine starke Anziehung ausüben und durch ein dunkles Geheimnis miteinander verbunden zu sein scheinen. Es beginnt ein Spiel auf Leben und Tod.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Copyright © 2025 by
Lektorat: Ela Bloom
Korrektorat: Lillith Korn
Layout Ebook: Stephan Bellem
Buchsatz: Astrid Behrendt & Julian Behrendt
Kartenillustration: Magali Volkmann
Bildmaterial: Shutterstock
Umschlag- und Farbschnittdesign: Alexander Kopainski
Bildmaterial: Shutterstock
Druck: Booksfactory
ISBN 978-3-95991-356-0
Alle Rechte vorbehalten
Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining
im Sinne von §44b UrhG ausdrücklich vor.
Karte des Campus
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Stipendium
Sally
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Danksagung
Drachenpost
Für Alina,
du machst unsere Welt perfekt.
Irgendwann werden sie dich sehen.
Sie werden sich in deinem Glanze sonnen
und vor dir niederknien.
Verbleibe im Schatten, bis die Zeit gekommen ist und du heraustreten kannst
ins Licht.
Grammy, du glaubst nicht, was heute passiert ist«. Sally warf die Tür hinter sich ins Schloss, schleuderte ihren Rucksack in die Ecke und begrüßte ihre Großmutter liebevoll. Diese saß, wie immer um diese Tageszeit, mit einer Tasse Tee am Küchentisch und löste Kreuzworträtsel. Sie sah überrascht auf und wechselte ihre Brille, um Sally besser erkennen zu können.
»Jason Baker hat mich soeben auf eine Party eingeladen. Heute Abend. Ist das zu fassen?«, platzte es aus Sally heraus.
»Baker? Ist das nicht der …«
»Ja, genau, der. Der Quarterback der Safford High.« Sally setzte sich zu ihr an den Tisch und goss sich ebenfalls eine Tasse Tee ein. Die alte Dame musterte sie dabei eingehend, so wie sie es stets tat, wenn sie versuchte, die Gefühle ihrer Enkelin zu ergründen. Sally lächelte. Sie liebte ihre Großmutter und schätzte es, wie viel Mühe sie sich gab, sie zu verstehen. Seit dem tragischen Autounfall vor ein paar Jahren, bei dem ihre Eltern ums Leben gekommen waren, hatte Grammy sie bei sich aufgenommen. Ihr Großvater war schon recht früh verstorben, weshalb sie allein lebte. Damit war in dem kleinen Haus ausreichend Platz vorhanden und Sally hatte sogar ihr eigenes Zimmer bekommen. Aber es war nicht immer leicht gewesen – für beide nicht. Besonders finanziell hatten sie zu kämpfen, da Grammy lediglich eine kleine Rente bezog. Und seit ihre körperlichen Beschwerden prägnanter geworden waren und sie eine Pflegekraft hatten engagieren müssen, blieb kaum etwas übrig. Sally jobbte am Wochenende im Diner um die Ecke und besserte damit ihr Taschengeld auf. Außerdem konnte sie so ein wenig Geld für die Universität zurücklegen, denn leider hatte sie bisher keinen der begehrten Stipendienplätze erhalten.
»Und? Wirst du hingehen?«, fragte Grammy, nestelte beiläufig an ihrer Brille herum und nippte dann an ihrem Tee.
»Um ehrlich zu sein, ich bin nicht sicher. Ich meine, es ist Jason Baker …«, antwortete Sally wahrheitsgemäß.
Grammy zog die Augenbrauen hoch. »Ja und? Du bist Sally Pearson«, kam postwendend die bereits erwartete Antwort.
Sally betrachtete die alte Dame liebevoll und nickte. Grammy hielt so große Stücke auf sie. Aber von der Highschool hatte sie einfach keine Ahnung. Jason war der begehrteste Junge der Schule, Klassenbester und Quarterback der Bulldogs. Sally hingegen war die gesamte Schulzeit das gewesen, was man als Außenseiterin bezeichnete. Sie hatte neben der Schule, dem Streben nach guten Noten und dem Job im Diner keine Zeit für Freundschaften gehabt. Zeitweise hatte sie sich damit einsam gefühlt. Nachdem sie jedoch im Laufe der Zeit diverse Streitereien und Rivalitäten innerhalb und zwischen den Cliquen mitbekommen hatte, war sie froh, diesen nicht ausgesetzt zu sein. Stattdessen verbrachte sie ihre Zeit lieber mit der Investition in ihre Zukunft. Ständig steckte sie die Nase in ihre Bücher oder widmete sich ihrem Hobby – dem Schreiben. Am liebsten versank sie in ihren selbst erschaffenen Fantasiewelten und dachte sich neue Abenteuer aus, die sie zu Papier brachte. Schon lange träumte sie davon, mit einer ihrer Geschichten den Durchbruch zu schaffen. Sie wollte Lesungen vor Hunderten von Menschen halten, die gebannt an ihren Lippen hingen und sie mit tosendem Applaus feierten. Hiervon angetrieben, hatte sie ihre fertigen Manuskripte bei unterschiedlichen Verlagen eingereicht – stets in der Hoffnung, einen Vertrag zu erhalten. Bisher jedoch ohne Erfolg. Eine Absage folgte der nächsten, was Sally maßlos frustrierte. Deshalb hatte sie sich einen Plan B zurechtgelegt: Wenn es mit dem Schreiben nicht klappte, wollte sie Human- oder Rechtsmedizin studieren. Da die Anforderungen hierfür hoch waren, war sie stets fleißig gewesen. Dies hatte ihr zu hervorragenden Schulnoten verholfen, aber beliebter hatte sie das nicht gemacht.
Jason Baker hatte sie in all den Jahren auf der Safford High keines Blickes gewürdigt. Dies hatte sie nicht gestört, denn er war gar nicht ihr Typ: zu attraktiv – wie aus einem Werbekatalog entsprungen. Solche Männer, das wusste Sally, hielten sich gerne alle Optionen offen, statt sich fest an eine Person zu binden. Aber als er heute vor ihr gestanden hatte, waren ihre Knie weich geworden und ihr Magen hatte sich vor Freude zusammengezogen.
»Sally?« Grammys Blick ruhte auf ihr. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie mit ihren Gedanken abgeschweift war.
»Ich denke nicht, dass ich gehen werde. Joe hat mich heute Nachmittag für die Schicht im Diner eingeteilt und anschließend hatte ich mir vorgenommen, an meiner neuen Geschichte weiterzuschreiben. Es ergibt auch einfach keinen Sinn. Was sollte Jason Baker von mir wollen?«
Mit diesen Worten stand Sally auf, lief in den Flur und holte ihren Rucksack, um in ihr Zimmer zu gehen.
»Sally Pearson!« Grammy drehte sich auf ihrem Stuhl um und griff nach ihrem Gehstock, der ans Tischbein neben ihr gelehnt war. Mahnend hob sie ihn in die Höhe, bevor sie sich darauf abstützte und schwerfällig aufstand. »Diese Einstellung hast du weder von mir noch von deinen Eltern vermittelt bekommen. Warum sollte sich dieser Junge denn nicht für dich interessieren? Du bist hübsch, klug, zielstrebig und hast das Herz am rechten Fleck. Was würde sich ein Mann mehr wünschen?«
Sally lächelte schief. Wenn Grammy wüsste, wie die Welt heutzutage war, sie käme wohl nicht mehr darin zurecht.
»Und«, fuhr Grammy fort, die ihre Standpauke noch nicht beendet hatte, »auch wenn ich nicht mehr, wie sagt ihr so schön ›auf dem neusten Stand‹ bin, eins weiß ich gewiss. Diese Welt hat mehr zu bieten als Arbeit, Sally. Versteh mich nicht falsch. Ich bin unglaublich stolz, wie ehrgeizig und zielstrebig du bist. Und deine Eltern wären es auch. Aber das Leben hat so viele Facetten. Nimm dir doch ab und zu mal ein wenig Zeit, ein Teenager zu sein. Schau mich an. Ich kann das alles nicht mehr. Aber ich habe mein Leben gelebt und deine Eltern bis zu ihrem frühen Tod auch.«
»Da hast du wohl recht, das haben sie. Und uns keinen Penny hinterlassen. Vielleicht hätte größerer Ehrgeiz und dafür weniger Leben nicht geschadet. Dann hätten meine Eltern sicher mehr aus sich machen können und für uns wäre es nicht so schwer gewesen. Ich möchte jedenfalls nicht so enden und ein Leben lang jeden Penny umdrehen müssen. Ich werde etwas erreichen und jemand werden.«
»Bist du denn nicht schon jemand?« Grammys Blick wurde traurig. Sofort bekam Sally Gewissensbisse. Warum wurde sie immer so aufbrausend, wenn es um ihre Eltern ging? Grammy konnte schließlich am wenigsten dafür und hatte genauso hart gekämpft, um in den letzten Jahren über die Runden zu kommen. Aber nach der unendlichen Trauer über den Tod ihrer Eltern hatte sich bei Sally ein Gefühl von Wut und Unverständnis eingestellt. Sie waren einfache, normale Leute gewesen. Ihr Vater arbeitete als Müllmann und ihre Mutter an der Kasse eines Supermarktes. Als solche hatte sie nie viel verdient und sich auch selten etwas leisten können. Was aber nicht daran lag, dass sie nicht klug genug gewesen wären. Im Gegenteil, sie waren mit einem einfachen Leben zufrieden und lebten lieber, als sich – nach ihrer eigenen Aussage zufolge - in einem gut bezahlten Job »zu Tode« zu schuften. Und wo hatte sie das hingebracht? Schon als kleines Mädchen hatte Sally viele ihrer Schulkameraden beneidet, die tolle Urlaube mit ihrer Familie gemacht hatten und sich neue Klamotten von teuren Marken hatten leisten können. Sie selbst hatte nicht selten Secondhand-Sachen getragen und war hierfür nur müde belächelt worden. Schon damals war sie zur Außenseiterin geworden – dabei hatte sie doch nur dazugehören wollen.
»Tut mir leid, Grammy, das hab’ ich doch nicht so gemeint. Weißt du was, vielleicht hast du recht und ich schau nachher mal bei dieser Party vorbei.«
Grammys Gesicht erhellte sich. Zufrieden nickte sie, setzte sich wieder auf ihren Stuhl und nippte an ihrem Tee.
Sally stand noch eine Weile da und beobachtete sie. Wieder einmal wurde ihr schmerzlich bewusst, wie schnell ihre Großmutter in den letzten Jahren gealtert war. Sie wirkte so gebrechlich.
Grammy schien die Blicke auf sich zu spüren.
»Sag mal, hast du nicht was zu tun?«, fragte sie und wandte sich noch einmal zu Sally um. Ein neckisches Grinsen lag auf ihrem Gesicht.
»Wieso? Ins Diner muss ich erst in einer Stunde und …«
»Als ich jung war, hat es ewig gedauert, sich für eine Party vorzubereiten. Die Haare, das passende Kleid finden …«
Sally riss den Mund auf. Mist. Daran hatte sie gar nicht gedacht. Sie schnappte sich ihr Handy und zog den Zettel mit der Nummer, den Jason ihr heute zugesteckt hatte, aus der Hosentasche. Schnell verfasste sie eine kurze WhatsApp-Nachricht.
»Hallo, Jason. Ich bin heute Abend dabei.«
Sofort wurden die Häkchen blau. Jason hatte ihre Nachricht gelesen. Prompt folgte seine Antwort.
»Prima. Ich hol dich um acht Uhr ab. Schickst du mir noch deine Adresse?«
Sallys Herz schlug bis zum Hals. Sie teilte ihren Standort und verschwand dann in ihr Zimmer. Grammys Einwand war berechtigt, sie hatte noch viel zu tun, wenn sie neben Jason Baker nicht völlig unattraktiv aussehen wollte. Sie sah schon die Schlagzeile in der Abschluss-Schulzeitung: »Der Quarterback und das hässliche Entlein« oder »Leidet Jason Baker an Geschmacksverirrung?«
Sally schüttelte sich bei dem Gedanken. Sie mochte diese Art von Aufmerksamkeit überhaupt nicht. Viel lieber wollte sie wegen ihrer Fähigkeiten oder ihres Wissens bewundert werden. Nicht, weil sie den begehrtesten Jungen der Schule begleitete. Aber als Jasons Date war es unausweichlich, im Fokus der anderen zu stehen. Vielleicht eröffneten sich ihr dadurch neue Chancen. Schließlich hatte sie noch kein Stipendium erhalten. Etwas Vitamin B in den richtigen Kreisen konnte daher hilfreich sein. Es war damit unverzichtbar, dass sie auf dem Ball absolut umwerfend aussah, sodass alle sagen würden: »Jason hat erkannt, was für ein Potenzial in ihr steckt.« Jasons Begleitung zu sein, würde ihr zum Abschluss der Highschool die einmalige Gelegenheit bieten, gesehen zu werden. Wenn sie es richtig anstellte, dann war sie nächste Woche bei der anstehenden Abschlussfeier der Absolventen keine Außenseiterin mehr und ihre Mitschüler würden bei der Übergabe ihres Abschlusszeugnisses aufstehen und applaudieren. So wie sie es sich sehnlichst wünschte.
Sally spielte die Szenen immer wieder in ihrem Kopf durch und merkte, wie ihr Selbstvertrauen wuchs. Was hatte sie doch für ein ungemeines Glück, dass Chelsea Newton, die leitende Cheerleaderin, sich erst vor Kurzem von Jason getrennt hatte. Diese Neuigkeiten hatten schnell die Runde gemacht. Es war ein ziemlicher Skandal, da beide Favoriten für den Titel der Ballkönigin und des Ballkönigs waren. Aber Jason würde es auch ohne Chelsea schaffen, da war Sally sich sicher. Vielleicht würde er nun mit ihr zum Ball gehen. Dann würde sie an seiner Seite sein, wenn er gekrönt wurde. Sie – Sally Pearson.
Sally war bei ihrer Schicht im Diner nicht bei der Sache, sodass Joe, ihr Chef, sie eine Stunde eher nach Hause schickte. Zum Glück mochte er Sally und machte keine große Sache daraus.
Zu Hause angekommen, hüpfte sie unter die Dusche und stand anschließend in Unterwäsche grübelnd vor dem Kleid, das sie ein paar Stunden zuvor aus ihrem Schrank genommen hatte.
Es war ein »kleines Schwarzes«. Elegant geschnitten und figurbetont würde es ihre leichten Kurven perfekt in Szene setzen. In den letzten Jahren hatte sie sich nie viel aus ihrem Äußeren gemacht – es hatte auch keinen Anlass dafür gegeben. Aber heute war das anders. Aufgeregt schlüpfte sie hinein und betrachtete sich im Spiegel. Ihre welligen dunkelblonden Haare hatte sie mit einem Glätteisen gebändigt und ein wenig dezentes Make-up aufgetragen. Zufrieden lächelte sie, als es draußen hupte.
Ein kurzer Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass es Jason war. Irgendwie hatte sie es noch nicht so richtig glauben wollen. Aber dort saß der Quarterback am Steuer seines schwarzen Cabriolets, dessen Lack in der Abendsonne mit seinem Lächeln um die Wette strahlte. Er winkte ihr zu.
Schnell warf sie einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel und eilte die Treppe hinunter und mit einem knappen »Bis später, Grammy!« aus dem Haus.
Jason hielt ihr bereits die Beifahrertür auf. Er wirkte überrascht.
»Du siehst hübsch aus«, sagte er und zwinkerte ihr zu.
»Ich … oh … danke dir!«, stotterte Sally und stieg ins Auto.
Im Vorbeigehen atmete sie seinen Duft ein. Er roch nach Geranie und Sandelholz. Letzteres kannte Sally nur allzu gut. Ihr Vater hatte zu seinen Lebzeiten ein Eau de Toilette getragen, das diesen Bestandteil enthielt. Nur war der Geruch bei Jason wesentlich prägnanter.
»Dein Parfüm – welche Marke ist das?«, fragte sie, als er sich elegant neben ihr auf den Fahrersitz schwang und seine Sonnenbrille aufsetzte.
»Ich glaube, er heißt ›Scandal‹ von Jean Paul Gaultier. Wieso fragst du? Zu aufdringlich?« Jason wirkte irritiert.
»Nein, mir gefällt es«, antwortete Sally wahrheitsgemäß und spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Schnell wechselte sie das Thema. »Verrätst du mir, wohin genau wir fahren?«
»Bei den Bulldogs ist es Tradition, dass vor dem Abschlussball noch eine inoffizielle Feier stattfindet. Hierzu sind nur ausgewählte Gäste eingeladen. Die Partys sind legendär – das wird dir gefallen«, erklärte Jason, ohne den Blick von der Straße zu wenden.
Sie waren bereits knappe zwanzig Minuten gefahren, als die Häuser am Straßenrand immer herrschaftlicher wurden. Prunkvolle Türme und aufwendige Verzierungen schmückten die Fassaden. Die dazugehörigen Grundstücke erinnerten eher an Parkanlagen – mit ihren saftig grünen, gepflegten englischen Rasenflächen und den zu penibel gestutzten Hecken. Sally dachte darüber nach, wie ihr Leben verlaufen wäre, hätte sie mit ihren Eltern auch in so einer großen Villa gelebt. Vielleicht wäre dann vieles anders gelaufen. Einfacher.
In einer Stichstraße bogen sie durch ein schmiedeeisernes Tor auf eine lange Kiesauffahrt ab.
Sally blieb der Mund offen stehen, als sie am Ende der Einfahrt, gut versteckt hinter hohen Bäumen, ein akkurat instandgehaltenes Herrenhaus entdeckte. Eine große Steintreppe, deren Säulen von zwei Löwen gekrönt wurden, führte zur doppelflügligen Eingangstür.
»Wo sind wir hier?«, erkundigte sie sich.
»Hier wohnen die Chesterfields. Du kennst doch sicher meinen besten Freund Jonas?«
Sally nickte. Sie kannte ihn vom Sehen. Gemeinsame Kurse belegten sie jedoch keine. Aber sie fand ihn eher unsympathisch. In ihren Augen war er ein reiches und verwöhntes Diplomatenkind. Seine Eltern stifteten der Safford High regelmäßig größere Geldsummen, weswegen bei ihm schon das ein oder andere Auge mehr zugedrückt wurde, wenn er sich mal wieder nicht an die Regeln hielt.
»Seine Eltern sind eher selten zu Hause«, sprach Jason neben ihr weiter, wie um zu erklären, warum Jonas hier solche Partys veranstalten konnte.
»Ich wusste nicht, dass sie so reich sind«, sagte Sally mit Blick auf das Anwesen. »Wie kommt es dann, dass Jonas an keine Privatschule, sondern eine öffentliche geht?«
»Seine Eltern waren der Meinung, dass dies den Charakter formen und positiv beeinflussen würde.«
»Verstehe. Das klingt vernünftig.« Sally betrachtete erneut das Gebäude. »Das Haus ist wirklich ein Traum.«
»Warte erst, bis du den Garten gesehen hast«, erwiderte Jason, nahm sie bei der Hand und zog sie hinter sich her.
Sie liefen durch ein kleineres Tor seitlich des Hauses und betraten einen breiten Pfad. Die Büsche entlang des Weges waren mit Girlanden und Lampions geschmückt. Musik drang zu ihnen herüber und wurde mit jedem Schritt lauter. Als sie um das Haus herumgelaufen waren, verschlug es Sally die Sprache. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Vor ihnen lag ein riesiges parkähnlich angelegtes Grundstück. Überall sorgfältig gepflegter englischer Rasen. Ein gigantischer Pool, in dem ein paar Leute Wasserball spielten, zierte die Mitte des Gartens. An der Seite waren massive Felsen mehrere Meter hoch aufgeschüttet worden, über die ein Wasserfall nach unten ins Becken stürzte. Unterhalb der Steine war eine Lagune angelegt, in der eine indirekt beleuchtete Bar inmitten des Pools gebaut worden war. Hier saßen Schüler, halb im Wasser, auf Barhockern und genossen kreativ aussehende Cocktails. Seitlich war ein großer künstlicher Strand mit Palmen und Gräsern arrangiert. Sally schätze ihn auf die doppelte Größe der Turnhalle ihrer Schule. Überall standen Sonnenschirme und Liegen, auf denen Leute saßen oder lagen und die letzten Sonnenstrahlen genossen. Sally ließ ihren Blick weiter schweifen. Ein wenig versteckt hinter dem Wasserfall entdeckte sie noch eine zweite Bar - aus Bambus gebaut - mit einem Strohdach. Alles in allem ein kleines Paradies.
»Jason!«
Jonas kam auf sie zu. Jason streckte seinem Kumpel die Hand entgegen und dieser schlug ein. Sally hingegen wurde von ihm nur mit einem abschätzigen Blick bedacht. Auch Jason machte keine Anstalten sie als seine Begleitung vorzustellen. Sally versuchte, ihre Verunsicherung darüber zu überspielen, streckte den Rücken durch und reichte Jonas die Hand.
»Hi, ich bin Sally Pearson, vielen Dank für die Einladung.«
»Einladung?«, wiederholte Jonas spitz. »So kann man das auch nennen. Jason, kannst du mir mal bitte in der Küche bei der Einweisung des Personals helfen?«
Jason nickte und folgte seinem besten Freund ins Haus und ließ Sally ohne ein weiteres Wort zurück.
Sie verspürte ein ungutes Gefühl in der Magengegend, wollte sich jedoch auf keinen Fall etwas anmerken lassen. Um sich abzulenken, schlenderte sie um den Pool und beobachtete die vielen Menschen, die eine Unmenge Spaß zu haben schienen. Sie grölten, tanzten zur Musik und lachten. Einige warfen sich gegenseitig ins Wasser, andere räkelten sich in der Sonne und genossen einen Drink. Die meisten von ihnen kannte Sally nur vom Sehen, manche gar nicht. Da sie keinen Bikini dabeihatte, machte sie sich auf den Weg zur Strandbar. Sie zog ihre hohen Schuhe aus und tauchte ihre nackten Füße in den feinen Sand ein. So stellte sie sich den Strand in der Karibik vor, warm und weich. Ein herrliches Gefühl.
An der Strandbar angelangt entdeckte sie ein bekanntes Gesicht.
»Hey, Bryan, was machst du denn hier?«, begrüßte sie den Jungen hinter der Bar, den sie aus einem ihrer Kurse kannte.
»Sally, hi.« Bryan lachte ein wenig verlegen und zuckte mit den Achseln. »Na ja, was macht jemand wie ich auf so einer Party? Ich verdien mir etwas dazu. Bist du etwa eingeladen?«
Sally schluckte und fühlte sich direkt unwohl in ihrer Haut. Sie hasste diese Zwei-Klassen-Gesellschaft. Andererseits war es auch ein schönes Gefühl, mal auf der anderen Seite zu stehen und dazuzugehören. Da die Gäste hinter ihr in der Schlange bereits ungeduldig wurden und spitze Kommentare über den »unfähigen, viel zu langsamen Barkeeper« verlauten ließen, entschied sie sich für einen Cocktail und verabschiedete sich zügig von Bryan. Ihre Wahl war auf eine Virgin Piña colada gefallen. Dieser passte zu dem sommerlichen Flair und sah zudem ansehnlich aus mit dem Ananasstreifen am Glasrand, dem Schirmchen und dem quietschpinken Strohhalm. Dass es hier auch Champagner und alkoholhaltige Cocktails gab, obwohl sie alle noch keine einundzwanzig Jahre alt waren, erstaunte Sally kaum. Wahrscheinlich wieder eines dieser Privilegien, bei denen großzügig weggeschaut wurde.
Sally setzte sich an den Rand des Pools, ließ die Beine ins kühle Nass baumeln und nahm genussvoll einen tiefen Schluck ihres Mocktails. Er schmeckte fantastisch.
»Sally! Ich habe gar nicht gewusst, dass du auch kommen würdest«, ertönte eine hohe Stimme hinter ihr, die sie nur allzu gut kannte. Sie drehte sich um.
Dort stand sie. Wie aus einem Modekatalog entsprungen, bildschön, makellose Figur, mit einem Bikini, der nur das Nötigste bedeckte, und einer Sonnenbrille von Prada, die sicher so teuer war wie Sallys ganzes Monatsgehalt vom Diner. Jasons Ex.
»Chelsea, hi!«
»Dir ist doch klar, dass das Personal hier nicht fürs Rumsitzen bezahlt wird?«
Sally riss die Augen auf. Hatte Chelsea das gerade wirklich zu ihr gesagt?
»Ich wurde eingeladen, Chelsea. Von Jason, wenn du es wissen willst!«, erwiderte sie mit hochrotem Kopf.
»Von Jason? Dass ich nicht lache. Er muss unter kurzfristiger Geschmacksverirrung leiden. Oder er braucht einen Lückenbüßer. Sei’s drum. Irgendwann kommt er eh wieder angekrochen. Das tun sie alle.«
Sally kochte vor Wut. Was bildete diese Kuh sich ein?
»Du hast ihn abserviert, Chelsea. Wieso sollte Jason also nun zu dir zurückkommen?«, startete sie den verbalen Gegenangriff und merkte, dass die Gespräche um sie herum verstummt waren. Nur die Musik aus den Lautsprechern und das Tosen des Wasserfalls waren zu hören. Alle Augen waren auf sie gerichtet.
Chelsea schob sich die Sonnenbrille aus dem Gesicht in die Haare hinauf und warf Sally einen vernichtenden Blick zu.
»Ich nehme an, dass dies eine rhetorische Frage war. Natürlich weil ich die beste Partie bin und du hier nichts verloren hast. Wir haben alle unseren Platz in der Gesellschaft und deiner ist nun mal nicht hier und wird es auch niemals sein.« Chelsea trat einen Schritt vor und schüttete Sally langsam von oben herab ihren Cocktail über den Kopf.
Sally quietschte, sprang auf und ging auf sie los. Chelsea jedoch reagierte geistesgegenwärtig und stieß Sally von sich, woraufhin diese das Gleichgewicht verlor und rückwärts in den Pool stürzte. Vor Schreck schrie sie auf und schluckte Wasser. Keuchend und prustend kämpfte sie sich wieder an die Oberfläche.
Chelsea lachte affektiert und nach und nach stimmten alle Umstehenden mit ein.
»Wir brauchen hier ein Handtuch und bringt ihr doch endlich eine Schürze, damit sie das tun kann, wofür sie bezahlt wird«, rief sie laut in die Runde.
Das Gelächter schwoll weiter an. Chelsea, die nun anscheinend das Interesse an dieser Konversation verloren hatte, drehte sich auf dem Absatz um, marschierte zu einer der freien Sonnenliegen und streckte sich dort genüsslich aus.
Immer noch hustend schwamm Sally zum Beckenrand und hielt sich daran fest. Ihr Herz pochte wie wild und ihr war übel. Zudem machte das enge Kleid es ihr unmöglich, einigermaßen galant aus dem Pool zu klettern. Tränen stiegen in ihr auf. Schnell schloss sie die Augen. Sie wollte nicht weinen. Diese Blöße würde sie sich nicht geben. Nicht vor denen.
Plötzlich griffen Arme nach ihr. Bryan kniete am Beckenrand, ein Handtuch über der Schulter, und zog sie langsam aus dem Wasser.
»Ich bring dich nach Hause, Sally.«
»Aber … wo ist Jason?«
»Meinst du etwa den Typ dort vorne, der gerade grölend mit Jonas eine Schürze in die Höhe hält?«
Sallys Augen weiteten sich. Ihr wurde schwindelig, als sie Jason sah, der das Stück Stoff nun lachend Chelsea präsentierte, die in das Gelächter einstimmte und Sally einen triumphierenden Blick zuwarf.
»Bring mich nach Hause, Bryan, bitte!«
Sally wusste nicht, wie es ihr gelungen war, am nächsten Morgen aufzustehen und sich anzuziehen. Den Rest der Nacht hatte sie kein Auge zugetan und sich stattdessen von einer Seite auf die andere gewälzt und so viel geweint, wie seit dem Tod ihrer Eltern nicht mehr. Warum nur hatte sie nicht auf ihr Bauchgefühl gehört und war zu Hause geblieben? Man hatte sie vorgeführt – vor so vielen Mitschülern. Sie schämte sich abgrundtief. Grammy, die ein schlechtes Gewissen zu haben schien, Sally zu dieser Party überredet zu haben, bot ihr an, sie für die letzte Schulwoche an der Safford High krankzumelden, was Sally dankbar annahm. Sie würde niemandem an dieser Schule jemals mehr unter die Augen treten können. Diese Geschichte würde sich verbreiten wie ein Lauffeuer und sie würde zum Gespött der Schule werden. Zum heutigen Abschlussball würde sie daher mit Sicherheit auch nicht gehen.
Sie musste dieses furchtbare Erlebnis abhaken und hinter sich lassen. Stattdessen wollte sie an ihrem Ziel weiterarbeiten und sich auf die Uni konzentrieren. Die anderen würden es noch irgendwann bereuen, es sich mit Sally Pearson verscherzt zu haben. So viel stand fest.
Nachdem sie geduscht hatte, fühlte sie sich trotz der schlaflosen Nacht schon besser. Um ein wenig frische Luft zu schnappen, entschloss sie sich, mit dem Fahrrad in die Stadt zu fahren und ein paar Lebensmittel für die kommenden Tage zu besorgen. Mit der großen Sonnenbrille ihrer Großmutter im Gesicht, hoffte sie, dass niemand ihre übermüdeten und verquollenen Augen sah. Zudem blickte sie auf dem Weg nicht großartig nach links oder rechts. Zu groß war die Sorge, dass sie jemand erkannte und auf die Vorkommnisse vom gestrigen Tage ansprach.
Als sie wieder in die Einfahrt ihres Zuhauses einbog, kam ihr ein Junge entgegen, der etwa in ihrem Alter war. Er hatte kurz rasierte Haare, trug Bluejeans, eine Lederjacke und darunter ein weißes T-Shirt, über dem eine Gliederkette mit Anhänger baumelte. Sally kannte ihn nicht. Sicherlich hatte er sich im Haus geirrt. Als sie ihn ansprechen wollte, sah er zu Boden. Dabei erhaschte Sally einen flüchtigen Blick auf den Anhänger an seiner Kette: ein Amulett mit einer weißen Vier auf einem schwarzen, umgekehrten Herzen. Grübelnd schaute sie ihm hinterher. Das Zeichen kam ihr bekannt vor.
Sie stieg vom Fahrrad, schob es in den seitlich vom Haus gelegenen Schuppen und schloss ihn ab. Anschließend schlenderte sie zum Briefkasten und öffnete ihn. Heute lag lediglich ein Brief darin und es schien keine Rechnung zu sein, wie Sally erleichtert feststellte. Sie nahm das Kuvert in Augenschein – keine Briefmarke. Oben links in der Ecke war ein Stempel, der vier aufgefächerte Spielkarten zeigte. Allesamt Asse: Herz, Karo, Pik und Kreuz. Pik! Das war das Zeichen, welches sie bei dem Jungen auf dem Amulett gesehen hatte: eine Pik-4. Seltsam. Sie drehte sich um und blickte die Einfahrt hinunter und die Straße entlang. Doch der Junge war nicht mehr zu sehen.
Sally wandte sich erneut dem Brief zu und betrachtete den Stempel genauer. Unter den Assen stand »Academy of Honor and Success«. Was für ein eigenartiger Name. Sie erinnerte sich nicht daran, von dieser Universität gehört zu haben.
Achselzuckend steckte sie den Brief in die Hosentasche und schloss die Haustür auf.
»Hi, Grammy«, begrüßte sie ihre Großmutter, die am Küchentisch saß und wieder Kreuzworträtsel löste. Beim Blick auf ihre leere Tasse verzog Sally das Gesicht. Vor lauter Rätselspaß vergaß die alte Dame mal wieder zu trinken. Sally goss eine Kanne Tee auf und stellte diese mit liebevoll tadelndem Blick neben ihr auf den Tisch. Grammy blickte auf und lächelte schuldbewusst.
»Findet heute nicht der Abschlussball statt?«, erkundigte sie sich.
»Doch, aber ich werde mit Sicherheit nicht hingehen«, wehrte Sally ab. Sie wollte über dieses Thema nicht mehr sprechen, denn wieder kamen die Gefühle der gestern erfahrenen Kränkung und Blamage hoch. Nein! Sie wollte damit abschließen. Also lief sie ohne ein weiteres Wort in ihr Zimmer und schloss die Tür.
Sie kämpfte die Tränen hinunter, die bei der Frage ihrer Großmutter erneut an die Oberfläche gelangt waren, und ließ sich vorneüber auf ihr Bett fallen.
Schniefend nahm sie das Kuvert zur Hand und öffnete es. Der Brief, den sie aus dem Umschlag zog, wirkte formell. Das Papier war schwer und ein Wasserzeichen, das ebenfalls die vier Asse zeigte, war eingraviert.
»Sehr geehrte Ms. Pearson,
wir freuen uns, Ihnen ein Stipendium an der Academy of Honor and Success zu offerieren. Erschließen Sie Quellen unendlichen Wissens und erwecken Sie all Ihre schlummernden Potenziale. Jetzt ist Ihre Zeit gekommen, sich einen Platz in der Gesellschaftselite zu sichern. Viele große Köpfe unserer Nation haben, wie Sie, diese Chance erhalten und genutzt.
Hierzu benötigen wir lediglich ihr Einverständnis. Wenn Sie anschließend den Brief zurück an die Stelle legen, wo Sie ihn gefunden haben, wird unser Bote ihn holen.
In freudiger Erwartung Ihrer Zustimmung.
Hochachtungsvoll,
Magret Thornton
Direktorin der Academy of Honor and Success«
Einverständniserklärung:
Hiermit erkläre ich, Sally Pearson, dass ich das Stipendium an der Academy of Honor and Success antreten möchte:
O Ja
O Nein
Sally faltete das Schreiben zusammen und rollte sich auf den Rücken. Irgendwie hatte sie sich einen Stipendienbescheid anders vorgestellt. Musste man sich auf einen solchen Platz nicht bewerben? Denn das hatte sie nicht getan – war ihr bis eben der Name der Universität nicht einmal geläufig gewesen.
Sally nahm ihr Handy und öffnete Google. Sie tippte »Academy of Honor and Success« in die Suchleiste ein und staunte, als sie auf Anhieb einen Treffer erzielte: Die Homepage der Academy.
Fasziniert durchstöberte sie die Website, die auf den ersten Blick einen seriösen Eindruck machte. Die Academy befand sich in Arkansas, verborgen in den Tiefen eines ansonsten unbewohnten Waldgebiets. Sie war in einer massiven, ehrfurchtsgebietenden Burg, mit mächtigen dunkelgrauen Mauern aus altem Stein untergebracht. Zahlreiche Zinnen zierten die hohen Türme, auf welchen Sally Wasserspeier in Form von Raben entdeckte. Ihre ausgebreiteten Flügel ragten bedrohlich über die Mauern hinaus, als wollten sie die Academy vor Eindringlingen schützen. Eine Burgmauer säumte das gesamte Grundstück, welches mehrere Hektar Land umfassen musste. Hier gab es sogar einen See.
Sally stöberte durch die Bilder. Vom Gebäudeinneren gab es nur wenige: Große Hallen mit hohen Gewölbedecken, Klassenräume mit riesigen Bücherregalen, die bis zur Decke reichten. Über allem lag eine Aura des Mystischen, als ob die Burg selbst ein lebendiges Wesen wäre, das die Geschichten und Geheimnisse ihrer Mauern bewachte. Ein inspirierender Ort, bei dessen Anblick Sally neue Einfälle für ihre Bücher in den Sinn kamen. Sie klickte weiter zu den Referenzen und Rezensionen. Auch hier fand sie ausschließlich positive Äußerungen über den Unterricht, die Professoren und die Schule. Sally scrollte runter und entdeckte eine Wall of Fame – eine Auflistung mit Frauen und Männern, die die Academy besucht hatten und berühmt geworden waren. Sie sah Politiker und sogar ein Foto eines ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten. Die übrigen Gesichter kamen ihr nur zum Teil bekannt vor. Jedoch sprachen die Titel unter den Bildern für sich: Oberstaatsanwälte, Richter, Diplomaten, Gründer und Inhaber von multimilliardenschweren Unternehmen. Allesamt einflussreiche und ranghohe Leute.
Sally schluckte. Sie musste zugeben, dass diese Homepage ihr imponierte. Und für diese Academy sollte sie ein Stipendium erhalten? Ohne Bewerbung?
Bei jeder anderen Universität würde sie nebenbei arbeiten müssen. Grammy brauchte ihre Rente für die häusliche Pflege, wenn Sally nicht mehr bei ihr wohnte. Da wäre ein Stipendium ein Sechser im Lotto.
Der Gedanke, Grammy allein zu lassen, fiel Sally schwer. Aber sie musste endlich raus aus Safford. Es war mit zu vielen schmerzlichen Erinnerungen verbunden.
Gedankenverloren betrachtete sie die WhatsApp-Status ihrer Mitschüler. Der Abschlussball hatte bereits begonnen. Auch Jason hatte einen neuen Status eingestellt. Noch bevor sie überlegen konnte, hatte sie ihn angeklickt. Auf dem Bildschirm erschien ein Foto von ihm und Chelsea. Chelsea sah umwerfend aus in ihrem blauen Tüllkleid, das einem Disneyfilm entsprungen schien. Überall glitzerte und funkelte es. Die Haare fielen ihr in langen goldenen Locken über die Schulter und sie blickte mit ihrem gewinnenden Chelsea-Lächeln in die Kamera. Wenn der Mensch hinter dieser Fassade nur nicht so einen hässlichen Charakter hätte, dachte Sally. Jason stand im Smoking neben ihr und strahlte. Er sah fantastisch aus. Sallys Magen verkrampfte sich. Sie warf das Handy aufs Bett und nahm den Brief erneut zur Hand. Entschlossen traf sie ihre Wahl: Ja! Sie würde das Stipendium antreten und Studentin an der Academy of Honor and Success werden. Und nicht nur das – sie wollte auf die Wall of Fame. Mal sehen, wer dann blöd aus der Wäsche guckte. Sollte Jason doch mit seiner Chelsea unglücklich werden.
Sie stand auf, steckte die Einverständniserklärung in einen neuen Umschlag, beschriftete ihn, lief nach unten und legte ihn zurück in den Briefkasten. Anschließend warf sie sich auf ihr Bett, zog sich Kopfhörer auf die Ohren und hörte Musik, bis sie einschlief.
Sally starrte auf ihren gepackten Koffer. Sie hatte ihn in der letzten Stunde dreimal wieder geöffnet und kontrolliert, ob sie an alles gedacht hatte. Nun unterdrückte sie den Zwang, es ein weiteres Mal zu tun.
Die vergangenen Wochen hatte sie damit verbracht, eine akribisch durchdachte Packliste zu erstellen. Mit Sicherheit würde sie in der Academy nicht viel Platz für ihre privaten Sachen haben.
Nicht nur einmal war ihr der Gedanke gekommen, voreilig gehandelt zu haben. Immerhin trat sie ein Stipendium einer Academy an, von der sie bis vor Kurzem weder gehört noch gelesen hatte. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Außerdem fühlte es sich wie ein Abenteuer an. Ein Abenteuer, das sie nach den Erlebnissen der letzten Wochen dringend brauchte.
Grammy war unglaublich stolz gewesen, als Sally ihr von dem Stipendium berichtete. Von welcher Academy dieses stammte, von dem Boten und dem mysteriösen Umstand der fehlenden Bewerbung erzählte Sally jedoch nichts. Sie wollte nicht, dass Grammy sich sorgte. Denn logisch erklären konnte Sally das alles auch nicht.
Es klingelte an der Tür. Ihr Taxi war da.
»Na dann«, sagte sie zu sich selbst und griff den Koffer.
Mit schwerem Herzen betrachtete sie ein letztes Mal den Raum, in dem sie so viele Jahre verbracht hatte. Neben den schwierigen Zeiten waren es auch schöne Momente gewesen. Wenn sie jedoch etwas erreichen wollte, musste sie gehen. Sie schloss die Tür hinter sich und zog ihr Gepäck hinter sich her in die Küche, wo ihre Großmutter bereits auf sie wartete.
Der Abschied fiel Sally schwer. Sie drückte Grammy herzlich an sich und rang sich dabei zu einem Lächeln durch. Grammy zwinkerte ihr aufmunternd zu, wobei ihre Nasenflügel leicht bebten. Sally wusste, dass sie die Tapfere nur spielte, um es ihr nicht noch schwerer zu machen.
»Du tust das Richtige«, sagte Grammy mit bemüht fester Stimme, »deine Eltern wären stolz auf dich und ich bin es auch.«
Bevor sie den Kampf gegen die aufsteigenden Tränen verlor, wandte Sally sich ab, lief zum Taxi und stieg ein. Es gelang ihr gerade noch, dem Fahrer die Zieladresse zu nennen. Dann rutschte sie tief in den Sitz und ließ ihren Emotionen freien Lauf.
Acht Stunden später befand sich Sally wieder in einem Taxi. Die lange Anreise saß ihr in den Knochen: Knappe zwei Stunden Taxifahrt bis zum Flughafen in Tucson, ein viereinhalb-stündiger Flug mit Zwischenstopp, eine Stunde auf Gepäck und Taxi am Zielflughafen Little Rock in Arkansas warten und nun noch mal eine Stunde Fahrt bis zur Academy. Wenigstens waren die Anreisekosten im Stipendium enthalten.
Fernab jeglicher Zivilisation bog das Taxi schließlich inmitten eines Waldstücks auf einen holprigen und für Autos nicht unbedingt geeigneten Pfad ab. Sally zweifelte kurz daran, dass sie zur richtigen Adresse gefahren waren, als der Fahrer vor einer großen, schmiedeeisernen Pforte anhielt. In beide Torflügel eingearbeitet, entdeckte Sally die vier Ass-Spielkarten: Kreuz, Pik, Herz und Karo.
Sie war da!
»Ab hier müssen Sie laufen, Miss.«
Sally sah den Fahrer irritiert an.
»Das Gebäude ist nicht mal zu sehen. Es scheint noch ein ganzes Stück weit weg zu sein und ich habe schweres Gepäck …«, versuchte sie, ihn zu überzeugen.
»Anweisung der Zentrale. Tut mir leid.«
Sally fluchte leise vor sich hin und stieg widerwillig aus. Der leicht übergewichtige Mann half ihr beim Entladen des Koffers, nahm sein Geld entgegen und fuhr anschließend, schneller, als es auf diesem Weg für das Auto gesund war, davon.
»Schöner Mist«, schimpfte Sally. »Das ist genau das Richtige nach so einem langen Anreisetag – ein Spaziergang durch den Wald mit einem überfüllten Koffer im Schlepptau.« Sie schob den Ärger beiseite und ergab sich ihrem Schicksal.
Auf der Suche nach einer Klingel sah sie sich um, konnte jedoch keine entdecken. Lediglich zwei Kameras, die am oberen Teil des Torpfostens befestigt waren, starrten sie an. Ein roter Punkt signalisierte die Aktivität. Sally winkte, in der Hoffnung, dass jemand sie sehen und ihr öffnen würde.
Sie hatte Glück – denn kurz darauf vernahm sie ein Klicken und beide Torflügel schwangen mit einem lauten Quietschen auf.
Das hatte funktioniert.
»Willkommen, Sally Pearson«, erklang eine weibliche, junge Stimme aus den Kameralautsprechern, als ob man auf sie gewartet hätte. Sally zuckte zusammen.
Sie schüttelte sich und musste über ihre Schreckhaftigkeit lachen. Mit Sicherheit saß dort eine Studentin mit den Fotos sämtlicher Neuankömmlinge vor einem Monitor. Bei dem Gedanken daran grinste Sally. Ob ihr solche Aufgaben ebenfalls bevorstehen würden? Vielleicht war es eine Art Strafaufgabe für unangemessenes Verhalten?
»Folge einfach dem Pfad. Du kannst die Academy nicht verfehlen«, ertönte die Stimme abermals und riss Sally damit aus ihren Gedanken.
Sie nickte und marschierte los. So weit sie blicken konnte, verlief eine hohe Mauer mit Stacheldraht gekrönt. Aus ihren Recherchen wusste sie, dass das gesamte Grundstück eingezäunt war. Sie schluckte. Es erinnerte an ein Gefängnis.
Schnell verdrängte sie den Gedanken. Sicherlich diente diese Vorrichtung dem Schutz der Academy. Vandalismus und Diebstahl waren heutzutage selbst an Universitäten keine Seltenheit.
Sally folgte dem mit Wurzeln durchzogenen Waldweg. Es duftete nach Tannen, Moos und dem Regen, der, gemäß Wetterbericht, in den letzten Tagen gefallen war. Vogelgezwitscher drang zu ihr hinunter, was Sallys Laune verbesserte. Sie musste zugeben, es war ein idyllischer Ort. Keine Stadt, kein Straßenlärm. Weit und breit keine Menschenseele in Sicht. So konnte man sich optimal von Ablenkungen abschirmen und auf das Studium konzentrieren.
Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis am Ende des Waldwegs zwischen den Bäumen Gebäudeumrisse zu erkennen waren. Mittlerweile war Sally aus der Puste und Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Jetzt verstand sie, warum der Taxifahrer nicht weiterfahren durfte. Dieser Weg war definitiv nicht für normale Autos geeignet, jedenfalls nicht, wenn man an seinen Stoßdämpfern hing. Selbst zu Fuß mit Gepäck war es aufgrund der Unebenheiten und Wurzeln eine Herausforderung.
Die Dämmerung setzte langsam ein. Sally beschleunigte ihr Tempo. Sie wollte diesen Wald, so schön er war, um jeden Preis vor Eintritt der Dunkelheit verlassen. Zudem hatte sie den gesamten Weg das Gefühl gehabt, nicht alleine zu sein. Immer wieder hatte sie sich umgesehen und zwischen den Ästen der Bäume nach weiteren Kameras Ausschau gehalten. Entdeckt hatte sie jedoch nichts und niemanden. Wahrscheinlich waren es Tiere oder sie war nach dem langen Tag mit den Nerven durch. Nichtsdestotrotz wurde es Zeit, diesen Wald für heute zu verlassen. Sie gönnte sich keine Pause und lief schnurstracks auf das Gebäude zu, das nun nach und nach Form annahm. Es sah genau so aus wie auf den Bildern, die sie im Netz gefunden hatte. Fahles Licht fiel durch die mit Vorhängen verdeckten Fenster. Sally erinnerte sich an eine Reportage über antike Schlösser und Burgen in Schottland, die sie mit Grammy im Fernsehen angesehen hatte. Die Anwohner der umliegenden Dörfer sowie die Bewohner der Gemäuer hatten betont, dass es dort spuken solle. Alte Hofherren, ein verschmähter Geliebter der Hausherrin oder eine unglückliche Adelstochter, die mit einem Mann vermählt werden sollte, den sie nicht liebte, und die deshalb vom höchsten Turm in den Tod gestürzt war – die Geschichten waren vielfältig gewesen. Sally schauderte und lachte dann über sich selbst. An Geister glaubte sie nicht. Allerdings wäre es toller Stoff für neue Bücher. Sie hatte sich jedoch vorgenommen, während der Studienzeit nicht zu schreiben. Ihre Entscheidung stand fest. Mit einem Medizinstudium erhoffte sie sich bessere Erfolgschancen. Damit würde das Schreiben ein Hobby bleiben, ein Hobby, das warten musste.
Weitere fünfzehn Minuten später hatte sie ihr Ziel erreicht.
Der Anblick der Academy verschlug ihr die Sprache. Aus dieser Entfernung erkannte sie nun die kunstvollen Verzierungen, die in den grauen Stein eingearbeitet worden waren. Fenster und Türen wurden durch eine abweichende Anordnung der Steine elegant hervorgehoben.
Das Gebäude musste einige hundert Jahre alt sein, befand sich jedoch in erstaunlich guten Zustand.
Sallys Blick fiel auf die steinernen Raben, mit ihren gespreizten Flügeln und dem aggressiv aufgerissenen Schnabel. In der Dämmerung wirkten sie bedrohlich echt, als würden sie sich jeden Moment in die Tiefe stürzen und angreifen.
»Herzlich willkommen, Sally Pearson«, erklang die Stimme aus dem Lautsprecher des Eingangsportals. Sally wirbelte herum. Eine junge Frau war aus einem der Nebeneingänge herausgetreten und kam lächelnd auf sie zu. Sie hatte schwarze, schulterlange Haare und war sportlich gekleidet.
»Mein Name ist Kate. Kate Watson«, sagte sie und streckte ihr die Hand entgegen.
Sally schüttelte sie verhalten.
»Jeder Neuzugang auf der Academy bekommt einen Paten in der ersten Woche an die Seite gestellt. Ich bin deine Patin. Ich zeige dir, wo du schläfst, wo die Unterrichtsräume sind, wo wir essen und wo wir heimlich feiern, wenn die Schulleitung nicht im Hause ist.«
Kate grinste verschwörerisch. Sally mochte sie auf Anhieb gut leiden.
»Na, dann los, Pearson, ich zeig dir dein Zimmer, damit du deinen Koffer loswerden kannst, und danach führ ich dich herum.«
»Gern«, erwiderte Sally. Ihr Blick war an Kates Kette hängen geblieben. Sie ähnelte der des Jungen, den sie vor ihrer Haustür gesehen hatte. Allerdings wirkte sie filigraner und zeigte eine Herz-10, statt einer Pik-4.
»Alles klar bei dir, Pearson?«, fragte Kate ein wenig irritiert.
»Entschuldige. Was hattest du gesagt?«
»Ob du deinen halben Hausstand eingepackt hast? Bei den Furchen, die dein Koffer auf dem Weg hinterlassen hat, könnte man meinen, du importierst einen blinden Passagier.«
»Mist, ich wusste, ich hätte Fridolin nicht so viel füttern dürfen.«
Kate sah Sally verdutzt an. »Wer ist Fridolin?«
»Mein Hund.«
»Du hast einen Hund da drin?« Kate blickte ungläubig auf ihren Koffer.
»Ich hab’ ihn seit meiner Geburt stets bei mir.«
»Wie alt bitte soll der … Sag mal, nimmst du mich auf den Arm?«
Sally kicherte: »Ein wenig. Fridolin ist ein Plüschhund.«
Kate verdrehte die Augen – dann lachte sie.
»Komm jetzt, Pearson – ich seh schon – das kann ja lustig werden mit dir.«
Mit diesen Worten zog sie Sally hinter sich her ins Gebäude.
Sie betraten die imposante, wenn auch spartanisch eingerichtete, runde Eingangshalle. Alles war in Marmor gefasst. Der Schein der Dämmerung, der durch die Oberlichter fiel, verlieh den weißen Steinen einen warmen Ton. Rings herum an den Wänden standen Steinsäulen mit filigranen Verzierungen. Eine pompöse, geschwungene Treppe führte im hinteren Teil hinauf zur oberen Etage, von der ein durch ein Geländer eingefasster Balkon wie eine Kanzel in die Halle hineinragte. Auch hier waren die vier Asse eingearbeitet worden.
»An diesem Ort finden unsere Feste und Versammlungen statt«, erklärte Kate. »Dort oben sitzen Schulleitung und Professoren«. Sie wies in Richtung des Vorbaus.
»Was hat es mit den Spielkarten auf sich?«, stellte Sally endlich die Frage, die ihr seit Erhalt des Briefes auf den Lippen brannte und über die sie trotz einschlägiger Internetrecherchen nicht viel hatte finden können.
»Sie stehen für unsere Academybereiche – die Grundpfeiler der Universität sozusagen. Die Gründer der Einrichtung waren der Auffassung, dass das wahre Leben wie ein Kartenspiel sei. Es gibt fünf verschiedenen Arten von Menschen, die basierend auf ihren Persönlichkeitsmerkmalen und ihrem Berufswunsch in Kategorien eingeteilt werden. Die Herzen sind Personen, die stark gefühlsbasiert agieren. Sie ergreifen Berufe, in denen sie ihrer Passion nachgehen können. Die Motive können dabei sowohl selbstlos als auch egoistischer Natur sein. Herzen tun alles, damit es ihnen selbst gut geht und, wenn es sich vereinen lässt, ihrem Umfeld auch. Ganz im Gegensatz zu den Karos, hier ist der altruistische Ansatz stets im Vordergrund. Karos sind daher häufig in sozialen Berufen angesiedelt. Piks ähneln den Herzen und sind ebenfalls sehr emotionsgetrieben, aber dabei wesentlich mutiger und tapferer. Bei ihnen könnte man sagen: Harte Schale, weicher Kern. Zumindest bei einigen. Oft kommen sie jedoch eher gefühlskalt rüber. Man weiß nie so wirklich, was sie über einen denken. Sie findet man vermehrt in der Politik, bei der Polizei oder im militärischen Bereich wieder. Womit wir bei den Kreuzen wären: Sie sind die rationalsten unter uns. Gelehrte oder Wissenschaftler in der Gesellschaft sind häufig aus diesem Academybereich.«
»Aber sprachst du nicht eben von fünf Sparten?«, fragte Sally interessiert.
»Sehr gut, Pearson«, feixte Kate. »Wollte nur sichergehen, ob du auch aufpasst. Fast alle von uns tragen mehrere Merkmale in sich – mehr oder weniger stark ausgeprägt. Aber zumeist überwiegt eins deutlich. Es gibt jedoch auch Personen, bei denen mehrere oder auch alle Charakterzüge gleich stark vorhanden sind, nur nicht so intensiv. Hier entscheidet die Academy, welcher Farbe sie zugeordnet werden.«
»Und wer sortiert die Studenten in die jeweiligen Gruppen ein? Muss ich dafür irgendeinen Test machen? Ich meine, wie werden diese Charakterzüge herausgearbeitet?«
»Oh, nein, nein.« Kate hob abwehrend die Hände. »Das passiert bereits, bevor du aufgenommen wirst. Du erhältst nur dann ein Stipendium, wenn man in dir das Potenzial sieht, ein Ass in einer bestimmten Farbe zu werden.«
»Meinst du das im übertragenen Sinne?«
»Ich meine es so, wie ich es sage«, erwiderte Kate.
Sally kratzte sich verwirrt am Kopf.
»Schau mal.« Kate nahm den Anhänger ihrer Kette und zeigte ihn Sally. »Ich bin ein Herz – genauso wie du. Im letzten Jahr konnte ich mich zur 10 hocharbeiten. Bei jeder Farbe existieren neun Zahlen von 2 bis 10. Daneben gibt es den Buben, die Dame, den König und das Ass. Wobei dir Letzteres an der Academy nicht begegnen wird.«
»Wieso nicht?«, wollte Sally wissen.
»Weil die Asse die erfolgreichsten Abgänger dieser Schule sind. Von ihnen gibt es alle drei Jahre vier Stück – eins pro Farbe.«
»Wieso nicht jedes Jahr?« Sally war verwirrt. »Und warum vier? Heißt das, es schaffen lediglich vier Leute pro Jahrgang den Abschluss?«
»Natürlich nicht.« Kate winkte ab. »Die Academy of Honor and Success ist bekannt dafür, dass sie die hellsten Köpfe der ganzen Welt hervorbringt. Die Studenten kommen von überall her, um hier einen Abschluss zu erlangen. Mit diesem ist ihnen eine gute bis sehr gute Anstellung sicher. Die Abbruchrate ist allerdings hoch. Circa ein Drittel hält dem Druck nicht stand oder wird unehrenhaftentlassen. Schau: Ein Kartendeck besteht aus den Zahlen 2 bis 10 sowie den Bildern Bube, Dame, König und Ass. All das versteht sich natürlich pro Farbe.
