Blood Destiny - Bloodfire - Helen Harper - E-Book

Blood Destiny - Bloodfire E-Book

Helen Harper

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Beschreibung

Das Feuer in ihrem Blut brennt heiß!

Mackenzie Smith ist anders - schon ihr Leben lang. Als einziger Mensch wurde sie mitten im idyllischen Cornwall in einem Rudel Gestaltwandler aufgezogen. Doch auch wenn sich Mac nicht transformieren kann, etwas Seltsames fließt in ihrem Blut. Ihr feuriges Temperament und ihr Kampfgeist machen sie zu einer kühnen Kämpferin. Und dennoch ist ihre Präsenz in dem Rudel eine tödliche Gefahr für all seine Mitglieder: Denn sollte die Bruderschaft - die die Herrschaft über die Wandler innehat - jemals herausfinden, dass Mac ein Mensch ist, sind sie alle dem Tod geweiht. Da wird John, der Anführer ihres Rudels und Macs Ziehvater, brutal ermordet, ... und plötzlich steht die junge Frau im Fokus der Bruderschaft. Allem voran dem Lord-Alpha Corrigan, dessen grünen Raubkatzenaugen keiner von Macs Bewegungen zu entgehen scheint ...

"Action, Humor und jede Menge Herz! Ich kann nicht fassen, wie unglaublich gut diese Geschichte geschrieben ist. Die Figuren haben so viel emotionale Tiefe, und die Story ist einfach nur großartig!" Good Reads

Band 1 der erfolgreichen Romantic-Fantasy-Reihe Blood Destiny!

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Seitenzahl: 377

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Inhalt

TitelZu diesem BuchErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes Kapitel Fünftes KapitelSechstes KapitelSiebtes KapitelAchtes KapitelNeuntes Kapitel Zehntes KapitelElftes KapitelZwölftes KapitelDreizehntes KapitelVierzehntes KapitelFünfzehntes KapitelSechzehntes KapitelSiebzehntes KapitelAchtzehntes KapitelNeunzehntes KapitelZwanzigstes KapitelEinundzwanzigstes KapitelZweiundzwanzigstes KapitelDreiundzwanzigstes KapitelVierundzwanzigstes KapitelFünfundzwanzigstes KapitelSechsundzwanzigstes KapitelSiebenundzwanzigstes KapitelAchtundzwanzigstes KapitelNeunundzwanzigstes KapitelDie AutorinDie Romane von Helen Harper bei LYXImpressum

HELEN HARPER

Blood Destiny

Bloodfire

Roman

Ins Deutsche übertragen von Andreas Heckmann

Zu diesem Buch

Das Feuer in ihrem Blut brennt heiß!

Mackenzie Smith ist anders – schon ihr Leben lang. Als einziger Mensch wurde sie mitten im idyllischen Cornwall in einem Rudel Gestaltwandler aufgezogen. Doch auch wenn sich Mac nicht transformieren kann, etwas Seltsames fließt in ihrem Blut. Ihr feuriges Temperament und ihr Kampfgeist machen sie zu einer kühnen Kämpferin. Und dennoch ist ihre Präsenz in dem Rudel eine tödliche Gefahr für all seine Mitglieder: Denn sollte die Bruderschaft – die die Herrschaft über die Wandler innehat – jemals herausfinden, dass Mac ein Mensch ist, sind sie alle dem Tod geweiht. Da wird John, der Anführer ihres Rudels und Macs Ziehvater, brutal ermordet … und plötzlich steht die junge Frau im Fokus der Bruderschaft. Allem voran dem Lord-Alpha Corrigan, dessen grünen Raubkatzenaugen keiner von Macs Bewegungen zu entgehen scheint …

Erstes Kapitel

Ich lief den Strand knapp unterhalb des Spülsaums entlang. Über mir kreischten Möwen, der Himmel war blau und wolkenlos, die Morgensonne war eben aufgegangen. Meine Füße hinterließen schwache Abdrücke im Sand, die das Meer bald wegspülen würde. Allein mit den Elementen! Vom Hochgefühl des Augenblicks überwältigt, spurtete ich los, bis ich zu fliegen glaubte. Mein Herz schlug rasch und gleichmäßig, ich sog die Salzluft tief ein und atmete vernehmlich aus.

Mack.

Lass mich in Ruhe.

Mack.

Halt den Mund.

MACKENZIE!

Ich drosselte das Tempo. Was gibt’s?

Ich will die Ostgrenze kontrollieren. Im Dorf heißt es, dort sind seltsame Geräusche zu hören. Kommst du mit?

Ich überlegte, ob ich John abwimmeln sollte. In letzter Zeit war es ruhig gewesen, und die wenigen Vorfälle, denen wir nachgegangen waren, hatten sich als harmlos erwiesen: nur Wildtiere aus unserer Gegend. Kurz überlegte ich, am Strand zu bleiben und mein Laufpensum zu absolvieren. Dann lächelte ich reumütig. Wem wollte ich etwas vormachen?

Mackenzie?

Auf Johns leicht verärgerte Nachfrage knurrte ich etwas wenig Überzeugendes.

§ 22, Mack.

Wohl eher Befehl, gab ich zurück. Ich komme.

Das Wort des Rudelführers ist Gesetz. In seinem Satz lag eine gehörige Portion Selbstironie. Dann unterbrach er unsere mentale Verbindung.

John hat Glück, dass ich mich immer an die Regeln halte, dachte ich mir – an einige jedenfalls. Ich verließ den Strand und joggte durch den Wald. Trockene Kiefernnadeln knirschten unter den Sohlen. Ich sprang über moosbewachsene Felsen und hielt mich Richtung Osten. Obwohl das Grundstück offiziell nur vierzigtausend Quadratmeter maß, betrachteten wir ganz Cornwall als unsere Spielwiese, jedenfalls bis an die Grenze von Devon, wo ein anderes Rudel herrschte. Die Ostgrenze, von der John gesprochen hatte, verlief allerdings gleich jenseits des Bodminmoors. Einige Jahre zuvor hatten wir dort Probleme gehabt, weil irgendein schlaues Kerlchen mit Digitalkamera Alexander in seiner Tiergestalt geknipst hatte. Damals war er noch ein Kind gewesen, hatte also zum Glück noch nicht seine volle Größe gehabt, und das Foto war zudem so unscharf, dass es bei den Betrachtern Zweifel und Debatten auslöste, doch die Sensationspresse hatte einen großen Tag, als sie die Aufnahme drucken und Exklusivgeschichten über das »Untier« verbreiten konnte.

Im benachbarten Exmoor gab es seit den achtziger Jahren ein ähnliches Problem. Als Elitesoldaten entsandt worden waren, um ihm auf die Spur zu kommen, hatte der befehlshabende Offizier, der das, was er für ein Tier hielt, nie hatte dingfest machen können, von der »fast menschlichen Intelligenz« des Wesens gesprochen. Ha! Bei Alexander jedoch hatten wir Glück, da es in London zeitgleich ein äußerst kniffliges Problem gegeben hatte, Wasserwichte nämlich, die die Vergnügungsdampfer auf der Themse heimsuchten – sonst hätte man uns wohl die Bruderschaft auf den Hals gehetzt, also das Gestaltwandler-Pendant zur Königlichen Familie und der gesamten Regierung Ihrer Majestät. Stattdessen kamen nur ein paar Magier, die tagelang mit Stöcken wedelten und alle warnten, es würden Köpfe in Cornwall rollen, wenn die in aller Öffentlichkeit diskutierten Gerüchte nicht verstummten. Das jedenfalls hatte man mir erzählt. John hatte mich nämlich dazu verdonnert, mich die ganze Zeit im Keller zu verstecken, aber zum Glück war die Magier-Episode bald vorbei. Cornwall galt der Bruderschaft vermutlich als zu provinziell, um sich damit zu befassen – trotz des bestürzenden Vorfalls. Doch den Gestaltwandler im Exmoor hatten sie, wie es hieß, nach den ersten Sichtungen zerrissen und als Warnung seine Körperteile in ganz Großbritannien verstreut.

Ich lief einen Bach entlang, bis er sich in die Hügel wand, sprang ans andere Ufer, begab mich dorthin zum vereinbarten Treffpunkt und fand John in der Nähe des Moors auf einer Lichtung kauernd.

»Du klingst wie ein Elefant im Unterholz«, murrte er.

Ich stemmte die Hände in die Hüften und hob eine Braue. »So dankst du mir, dass ich mein Lauftraining unterbrochen habe, um dir zu helfen, ein paar hyperaktive Karnickel aufzuspüren?«

»Das war mal.« Er richtete sich auf. Sein graumelierter Bart, seine Glatze und die Lachfalten um die Augen waren ein Hinweis auf die Weisheit und Erfahrung seines klugen Kopfes. Seit zweiunddreißig Jahren führte John das Rudel von Cornwall nun, und alle in der Meute mochten und achteten ihn, aber das hinderte mich nicht daran, ihn ein wenig aufzuziehen.

»Und was ist es diesmal? Sag nichts, ich weiß es: Ein Schaf hat sich im Moor verlaufen, und sein Blöken versetzt die Bauern in Angst und Schrecken.«

Er hielt mir etwas Kleines, schwarz Glänzendes hin. »Das wäre schön«, sagte er grimmig. »Aber schau mal.«

Ich nahm das Ding und besah es. Es wog fast nichts und war ganz glatt, und da war noch etwas. Ich hielt es ans Ohr und vernahm ein seltsames Läuten.

John musterte mich. »Du hörst etwas?«

»Logisch«, antwortete ich überrascht.

»Was denn?«

»Willst du behaupten, du hörst es nicht?« Ich war verblüfft, denn Johns Ohren waren so gut, dass er in fünfzig Schritt Entfernung ein Blatt vom Baum fallen hören konnte. »Es klingt wie Glocken, aber anhaltender. Wie das unendliche Echo eines Läutens.«

Er schürzte die Lippen und war offenbar unzufrieden. »Das ist ein Wichtelstein.«

»Der Stein einer Bergwerksfee? Kaum klopft sie dreimal, fällt der Bergmann tot um?«

»Du hast zu viele Märchen gelesen. Wichtel halten sich mitunter in alten Stollen auf und necken die Männer darin, aber meist sind sie echte Vorboten des Bösen. Ich glaube, seit über hundert Jahren wurde keiner mehr auf den Britischen Inseln gesichtet.«

»Ein ›echter Vorbote des Bösen‹ – welches Böse meinst du? Vampire? Schattenmänner?«

»Versuch es mit einem Bösen, das viele Tote und große Zerstörungen bringt.«

»Oh.« Ich hielt inne. »Also keine Karnickel.« Mich durchlief eine flüchtige Hitze.

John streckte den Arm aus, und ich gab den Stein in seine faltige Hand zurück.

»Und jetzt?«

Er runzelte stärker die Stirn und musterte mich besorgt. Ich hatte das unangenehme Gefühl, zu wissen, was er nun sagen würde, und verspürte einen Anflug von Nervosität.

Er seufzte schwer. »Ich muss der Bruderschaft Meldung machen.«

Seit ich alt genug war, um zu begreifen, wie es im Rudel lief, hatte John der Bruderschaft immer erst Meldung gemacht, nachdem ein Problem gelöst war und das Berichtete keine Maßnahmen mehr erforderte. Hier aber schien der Ärger gerade erst zu beginnen – und für mich bedeutete das gerade dann Gefahr, wenn die Bruderschaft anrücken sollte, um uns zu »retten«.

Ich musterte John ebenso hoffnungsvoll wie skeptisch. »Wirklich? Tod und Zerstörung können wir doch begegnen, ohne die Bruderschaft einzuweihen.«

Leider erwiderte er ungerührt: »Nein. Von Ereignissen von solcher Größenordnung müssen sie erfahren.«

»Kommen sie her? Muss ich gehen?«, fragte ich leise und grub meine Fingernägel schmerzhaft fest in die Handflächen.

Er antwortete wie aus der Pistole geschossen, und das beruhigte mich etwas. »Vermutlich nicht. Aber sollten sie eine Abordnung schicken, um sich mit uns zu treffen, können wir dich gut verbergen – sofern du nicht in eine Lage kommst, in der man von dir einen Gestaltwandel erwartet. Seit dem Besuch der Abordnung aus Birmingham im Herbst hat Julia die Lotion stark verbessert. Wenn du sie aufträgst, kann selbst das Oberhaupt der Bruderschaft nicht wittern, dass du ein Mensch bist.«

Das erleichterte mich gewaltig. Für mich war dies mein Zuhause – auch wenn die Bruderschaft das völlig anders sah. Und mich vermutlich dafür hinrichten würde, dass ich gewagt hatte, anderer Ansicht zu sein. Denn ich war ein Mensch – und Menschen durften von der Bruderschaft oder der Existenz von Gestaltwandlern nicht einmal wissen. Und siebzehn Jahre bei ihnen leben, das durften sie erst recht nicht.

Was die Lotion betraf: Gestaltwandler haben einen sehr ausgeprägten Geruchssinn. Als uns vor Jahren – ich war noch ein Kind – ein Mitglied eines anderen Rudels besuchte, begann Julia, jene Flüssigkeit zu entwickeln, die wir nun zuweilen verwendeten, um meinen allzu menschlichen Geruch zu überdecken. Sie hatte die Rezeptur immer weiter verfeinert. Dass ich all meine Zeit mit dem Rudel verbrachte, bedeutete zum Glück, dass der Großteil meines Menschengestanks durch das Zusammenleben mit den anderen neutralisiert worden war; die Lotion tat ein Übriges. Seit Jahren schon hatte ich fragen wollen, woraus sie bestand, mich aber stets eines Besseren besonnen. Unwissenheit ist mitunter ein Segen.

John betrachtete mich unverwandt. »Dass du nicht in Gefahr gerätst, dafür sorge ich schon.«

Ich zwang mir ein Lachen ab. »Ich kann allein auf mich aufpassen. Besser als die meisten Gestaltwandler.«

»Aber die Bruderschaft ist anders als die meisten Gestaltwandler. In Cornwall sind wir ein vorwiegend freundlicher und friedlicher Haufen, der sich nur ab und an eines wild gewordenen Karnickels erwehrt.«

Ich lächelte unwillkürlich.

»Unterschätze bloß nicht, was du über die Bruderschaft gehört hast«, fuhr John fort. »Diese Leute sind anders. Denk aber auch daran, dass sie nur deshalb streng und gnadenlos sind, weil sie es sein müssen. Hielte die Bruderschaft Rudel wie unseres nicht im Zaum, gäbe es bald Gestaltwandler, die …«, er hielt kurz inne, »… Ärger machen.«

Ich hatte durchaus schon von einigen Gestaltwandlern gehört, die mehr als nur Ärger gemacht hatten. »Aber du bist hier der Boss. Können die Bosse die Unruhestifter in ihrem Rudel nicht im Griff behalten?« Meine Stimme klang seltsam weinerlich, doch das ließ sich anscheinend nicht vermeiden. John dagegen war weiter ruhig und gefasst.

»Ein Großteil meiner Macht verdankt sich der Tatsache, dass ich notfalls auf die Bruderschaft zurückgreifen kann. Und auch Bosse können Unruhe stiften«, fügte er mit leisem Lächeln hinzu.

Ich nickte knapp und gab mir Mühe, meine fast panische Nervosität nicht weiter ansteigen zu lassen. Normalerweise versuchte ich zu vergessen, dass es in der Welt große, böse Dinge wie die Bruderschaft gab. Für meine Gesundheit war es nicht gut, immerfort an alle Eventualitäten zu denken. Also verkniff ich mir Fragen wie die, was passieren würde, wenn die Bruderschaft entdeckte, dass ich ein Mensch war. Würde sie dann bloß mich töten oder das ganze Rudel, weil es mir Unterschlupf gewährt hatte? Und was wäre gewesen, wenn meine Mutter das Rudel von Cornwall nicht gezwungen hätte, mich aufzunehmen? Was wäre, wenn sie noch am Leben wäre? Oder …

Nein, solche Fragen führten wirklich zu nichts.

»Na ja«, fuhr John fort, »nach allem, was ich hörte, ist das neue Oberhaupt der Bruderschaft sehr interessiert daran, dem Königreich seine Autorität aufzudrücken. Es hat schon verschiedene Rudel besucht, und sicher schaut es früher oder später auch bei uns vorbei – ob wir wollen oder nicht.« Er betrachtete mich aufmerksam. »Womöglich ist es besser, die Sache zu erledigen, solange wir eine gewisse Kontrolle über die Lage haben.«

»Wie dem auch sei«, schnaubte ich und brachte das Gespräch wieder auf den Wichtelstein. Gut möglich, dass wir angewiesen waren, unsere Herren und Meister über ihn zu informieren, doch ich war gespannt, ob es wirklich zu »vielen Toten und großer Zerstörung« kommen würde oder ob das bloß Panikmache war. »Wie ernst soll ich den Stein nehmen?«

John blickte unvermittelt grimmig drein. »So ernst wie möglich. Das Tun und Trachten der Anderwelt hat meist seinen guten Grund.« Er hielt den kleinen schwarzen Stein zwischen Daumen und Zeigefinger, betrachtete ihn wortlos, steckte ihn dann zurück in sein Hemd und knöpfte die Tasche zu.

Ich runzelte die Stirn. Wenn John die Lage als so ernst einschätzte, verdiente sie meine vollste Aufmerksamkeit. »Ich bleibe hier, durchstreife das Gebiet und sehe, was ich finden kann.«

»Bist du bewaffnet?«

Wie immer hatte ich meine Wurfmesser an die Arme gebunden. Und natürlich war da mein Blut. »Alles bestens.«

»Gut. Aber bei Sonnenaufgang bist du wieder am Wehrturm – sonst lass ich Anton nach dir suchen.«

Ich warf John einen verärgerten Blick zu. Anton und ich waren nicht gerade befreundet. Er lachte leise, nahm seinen breitkrempigen Hut vom Boden und wandte sich dem Turm zu.

Ich sah ihm nach, schaute mich dann um und merkte nun erst, dass ich vergessen hatte, nach den Gerüchten zu fragen, die er aufgeschnappt hatte und deretwegen er hergekommen war. Ich scharrte da und dort an Stellen, wo der Boden aussah, als habe dort jemand gegraben, und überlegte, ob die Gerüchte mit dem Stein zusammenhingen. Sicher, er machte ein seltsames Geräusch, aber es war nicht so laut, um aus der Entfernung bemerkt zu werden, und das Dorf lag mindestens zehn Kilometer weiter. Vielleicht gehörte der Wichtel, der sein kleines Geschenk hier hatte liegen lassen, zu den notorisch zu lauten Vertretern seiner Art. Ich zuckte die Achseln und musterte die Umgebung sorgfältig. Als ich trotz aller Bemühungen auf keine weiteren Steine oder Hinweise stieß, hielt ich kurz inne und setzte meine überscharfen Sinne ein, doch entweder war ich kein Superheld oder es gab nichts zu entdecken. Mein Blick fiel auf den Bereich rechts von mir, der trotz der Nachmittagssonne dunkel war und in dessen dichtem Gestrüpp alles Mögliche verborgen sein mochte. Hoffentlich keine Spinnen.

Schnüffelnd schlug ich mich durchs Unterholz. Es roch intensiv und feucht, aber nicht unnatürlich. Ich kämpfte mich weiter voran, spähte zwischen den vielen Kletterpflanzen und Bäumen hindurch und hatte plötzlich den Eindruck, vor mir befinde sich etwas. Sicher nichts Lebendiges und auch nichts Untotes, und doch schien da etwas zu sein, was nicht hierher gehörte. Ich blinzelte, konnte aber nicht erkennen, was es war. So musste ich mich weiter durchs Dornengestrüpp kämpfen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Das wäre leichter gewesen, wenn ich statt Laufshorts eine Jeans getragen hätte.

Ich holte tief Luft, wand mich behutsam durchs nächste Gesträuch und fuhr etwas zusammen, als scharfe Dornen meine Schenkel zerkratzten. Mit zusammengebissenen Zähnen schob ich mich vor und hoffte, der anstehende Fund wäre der Mühe wert. Als ich das hüfthohe Gebüsch durchquert hatte, war ich die leichte Irritation durch den Schmerz zwar gewöhnt, doch auf meinen Beinen zeichneten sich schon Blutstropfen ab. Leise verfluchte ich John, die Wichtel und die Welt allgemein, blickte auf und stellte fest, dass es sich bei dem, was ich entdeckt hatte, um ein schwarzes Tuch handelte. Seltsam. Ich vergewisserte mich, dass dies keine Falle war, doch tatsächlich schien es einfach nur vom Ast einer knorrigen Eiche zu hängen. Ich zog mehrmals daran, doch das Tuch war widerspenstig, und so zerrte ich fester und fiel, als es sich löste, prompt rückwärts in die Ginsterbüsche.

Ich fluchte laut und sah mich sogar um, ob jemand mich hatte stürzen sehen. Einigen im Rudel war zuzutrauen, dass sie das Ganze nur eingefädelt hatten, um sich auf meine Kosten zu amüsieren. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rappelte ich mich auf und betrachtete meine Beute.

Das Tuch war knapp drei Meter lang, und links und rechts waren silberne Fäden eingewebt. Dass ein Einheimischer den Stoff zurückgelassen hatte, war angesichts der dornigen Umgebung und ihrer unheimlichen Anmutung unwahrscheinlich. Ich roch an dem Stoff und würgte im nächsten Moment, als mir der unverwechselbare Gestank des Todes in die Nase drang. Dieses Tuch stammte auf keinen Fall von hier. Und sicher spielte mir auch niemand aus meinem Rudel einen Streich, denn der Geruchssinn der anderen war so fein, dass sie es kaum geschafft hätten, sich dem Gewebe wirklich zu nähern. Dennoch hatte das Tuch offenkundig etwas Anderweltliches an sich.

Erneut suchte ich nach Spuren, fand aber nichts, auch keinen Hinweis auf einen Pfad. Zwar war ich kein so guter Fährtenleser wie John, brachte in diesem Bereich aber doch einiges zuwege, obwohl mir die übermenschlich geschärften Sinne der Gestaltwandler fehlten. Und doch war nichts zu entdecken: Das Tuch schien vom Himmel gefallen zu sein. Das Geheimnis vertieft sich, dachte ich kryptisch. Aber John wäre vielleicht fähig, es ein Stück weit zu erhellen. Schließlich waren Wichtel sehr modebewusst und ließen dann und wann gern Unglückssteine für zufällig Vorbeikommende zurück.

Ein Blick zum Himmel verriet, dass es zu dämmern begann und der blaue Himmel sich schon leicht verdunkelte. Seufzend betrachtete ich das Gestrüpp, den einzigen Weg ins Freie, und beschloss, mich besser auf den Heimweg zu machen. Nach diesem Abenteuer würde ich bis auf Weiteres keine hübschen Röcke tragen. Dabei besaß ich gar keine Röcke oder Kleider, doch das bedeutete nicht, dass ich nicht die Wahl hätte haben mögen, sie vielleicht zu tragen und dabei nicht auszusehen, als wäre ich in einen Fleischwolf geraten.

Ich brauchte einige Zeit, um mich durchs Dornengestrüpp zu schlagen und auf die Lichtung zurückzukehren. Wieder sah ich mich kurz um, ob mir nicht etwas entgangen war, aber da war nichts. Um das Tuch nicht anzufassen, legte ich es mir auf die Schulter und machte mich auf den Weg zum Wehrturm im Westen. Die Unbeschwertheit, die ich beim Joggen empfunden hatte, war dahin. Unabhängig von der möglichen Visite durch die Bruderschaft nahm John dieses Vorzeichen offenbar sehr ernst. Ich beschloss, mich später in der Bibliothek des Turms über Wichtel kundig zu machen. Womöglich konnte ich auch einiges Nützliche über das Andernetz erfahren.

Ich war fast daheim, da kam Tom, mein Sparringspartner, angestürmt. Sein silbergraues Haar schimmerte im Dämmerlicht, und sein Lächeln passte zu seiner gutgelaunten Erscheinung. »Hallo, Red! Wo warst du den ganzen Tag? Und wonach stinkt es hier? Hast du wieder Gräber geöffnet?«

»Ich war laufen und dann mit John im Wald unterwegs. Dabei hab ich das hier gefunden.« Ich wies auf das widerlich stinkende Tuch. Er kam nicht umhin, sich vorzubeugen und tief Luft zu holen, fuhr aber sofort angewidert zurück. Tom gehörte zu denen, die erst im Bett furzen und dann der Verlockung erliegen, die Decke anzuheben und zu schnüffeln.

»Boah! Hast du in einem Kaninchenbau Bugs Bunnys Grabtuch gefunden?«

Meine jüngsten Heldentaten waren dem Rudel also nicht entgangen. Ich überlegte, Tom die Wahrheit zu sagen, dachte dann aber, es stehe mir wohl nicht zu, mich dazu zu äußern, da John seinen Fund den anderen gegenüber offenbar unerwähnt gelassen hatte. »So ähnlich.« Ich wedelte abwiegelnd mit der Hand. Tom zuckte grinsend die Achseln, begab sich an meine vom Tuch abgewandte Seite und legte mir locker eine Hand auf die Schulter.

Kameradschaftlich gingen wir auf den großen grauen Wehrturm zu, der etwas Festungsartiges hatte. Obwohl ich seit Jahren darin lebte, empfand ich weiter einen leisen Kitzel, wenn ich ihn vor mir aufragen sah. Die Geschichte von Cornwall war voll keltischer Mythen, und unser Turm erhob sich angeblich auf den Ruinen einer jahrhundertealten Burg. Natürlich handelte es sich nicht um ein Märchenschloss mit Türmchen und Spitzen, sondern um eine solide, sturmfeste Anlage, die auf mich so gastlich wie beruhigend wirkte. Das Eichentor am Eingang trug die Narben heftiger Gefechte und Attacken, die teils von den Gestaltwandlern herrührten, die einst hier lebten, teils von noch früheren Bewohnern. Auch das wellige Fensterglas verriet, dass das Gebäude schon sehr alt war. Hinter dem Turm und außer Sicht lag Julias kleiner Kräutergarten, in dem sie Pflanzen für all das zog, was sie zusammenbraute; vor dem Turm befand sich eine lange Auffahrt, deren rosa Schotter die unangenehme Eigenschaft hatte, in alle Richtungen zu springen und den Lack der Besucherautos zu zerkratzen. Aber egal: Dies war mein Zuhause, und ich mochte es sehr.

Beim Eintreten stieß ich auf Julia, die etwas ans Schwarze Brett heftete. Sie war klein und grauhaarig, etwas älter als John und sehr viel unheimlicher. Da sie ihr ganzes Leben im Cornwall-Rudel verbracht hatte, behandelte sie alle wie ungezogene Kinder. Mir warf sie nun einen vernichtenden Blick zu. »Mackenzie Smith, wage es nicht, unseren Turm zu betreten, solange du dieses … Ding dabeihast. Es stinkt wie der Hades.«

Unwillkürlich strich ich über das Tuch auf meiner Schulter und schrak etwas zurück, weil seine Berührung mich schaudern ließ. »Das muss ich John zeigen«, widersprach ich.

»Mir egal. Das kommt hier nicht rein und wird unseren Wohnbereich nicht besudeln. Außerdem ist John schon wieder weg.« Sie schnüffelte vorsichtig und funkelte mich weiter an, bis ich die Augen verdrehte und wieder nach draußen ging.

Um gerecht zu sein: Trotz seines etwas bedrohlichen Erscheinungsbilds und seines heruntergekommenen Inneren war der Turm stets sauber und roch nach Zitrone. Ich hatte Julia lange im Verdacht gehabt, Heinzelmännchen angeheuert zu haben, um das Gebäude nachts zu reinigen, doch es war mir nie gelungen, einen dieser Wichtel zu fangen und es zu beweisen. Während Tom die Treppe hinaufrannte, um aus ihrer Nähe zu kommen, betrat ich einen unbenutzten Schuppen an der Nordseite der Anlage, band das Tuch an einen Pfosten und stapfte zum Turm zurück, wo Julia mich schon erwartete.

»Wann kommt John zurück?«, fragte ich, wollte aber eigentlich wissen, ob er die Bruderschaft schon informiert hatte und ob deren Abgesandte wirklich in unsere verschlafene Gegend kommen würden, um den Vorfall zu untersuchen.

»Er meinte, er sei einige Zeit weg, Herzchen, aber zum Abendessen wohl wieder da.«

Ich machte ein finsteres Gesicht. Nun, da ich das nach Unheil riechende Tuch aus ihrem Dunstkreis entfernt hatte, war sie wieder dazu übergegangen, mich Herzchen zu nennen. Jeden nannte sie so. Sicher wollte sie niemanden bevormunden, aber Kosenamen aller Art brachten mich auf die Palme, ob sie nun »Süße«, »Kleine« oder auch »Red« lauteten (so nannte Tom mich immer). Mich »Mack« zu nennen fand ich in Ordnung. Wenn Julia oder John mich mit »Mackenzie« ansprachen, nahm ich das hin, aber wehe, jemand anderer kam mir damit. Mein rotes Haar war nicht das einzig Feurige an mir. Ich war mir ziemlich sicher, dass dem ganzen Rudel seit meinem Auftauchen im Turm meine Sprunghaftigkeit bewusst war. Und es war nicht allein meine Schuld, wenn ich mitunter aus der Haut fuhr. Obwohl meine Mutter mich beschworen hatte, mein Blutfeuer geheim zu halten, hatte ich es Betsy gegenüber erwähnt, einer gleichaltrigen Frau, die sich mitunter in einen Werluchs verwandelte und mit der ich als Neunjährige Blutsbrüderschaft geschlossen hatte. Ich schätze, damals war ich einfach nur froh gewesen, endlich eine Freundin gefunden zu haben. Als wir damals unsere Finger aneinanderdrückten, hatte sie geschworen, das Feuer in meinem Blut zu fühlen, und behauptete das noch heute. Natürlich hatte drei Stunden später das ganze Rudel gewusst, dass eine seltsame Hitze in mir war, die meine Gefühle beeinflusste und oft mein Handeln bestimmte. Ich war mir ziemlich sicher, dass die meisten im Rudel dachten, so sei es eben, wenn man ein zwar rothaariger, aber mickriger Mensch war, und meine beschränkte Erfahrung außerhalb der Gestaltwandlerwelt erlaubte mir nicht, mit Bestimmtheit das Gegenteil zu behaupten. Natürlich hatte ich Betsy seither kein Geheimnis mehr anvertraut. John dagegen hatte auf diese Nachricht hin lediglich eine Braue gehoben und mir freundlich nahegelegt, darauf zu achten, dass das Feuer mich nicht verzehre. Ha, ha!

Ich murmelte eine Erwiderung, begab mich in die Küche und hoffte, etwas zu essen zu finden und mich dort nicht niederlassen und so tun zu müssen, als freute ich mich, später mit dem ganzen Rudel das zu verspeisen, was Johannes, unser Koch, zubereitete. Betsy war in der Küche, spülte einen Teller ab und hob eine Braue, als sie mich eintreten sah.

»Du riechst … interessant, Mack.« Sie sah an mir vorbei. »Ist Tom bei dir?«

Ich zuckte die Achseln. »Vorhin war er noch da, aber er hat sich verdrückt, als Julia an mir herumzunörgeln begann.«

Kurz wirkte sie seltsam enttäuscht und wandte sich dann wieder zur Spüle. »Kommst du heute Abend auf ein Glas mit in den Hanging Bull?«

Ich nahm Brot und Käse aus dem Kühlschrank und setzte mich an den schartigen Holztisch. »Nein, ich recherchiere ein bisschen in der Bibliothek.«

»Gut möglich, dass dein junger Polizist auch kommt.«

»Wir haben nichts miteinander zu schaffen«, erwiderte ich und säbelte am Käse herum. Mit dem Dorfpolizisten hatte ich eine kurze Affäre gehabt. Er hieß Nick, und es hatte nicht lange gedauert. Offenbar suchte er nach einem Frauchen, das die Öfen daheim am Brennen hielt, während er das Dorf Trevathorn und dessen Umgebung vor kriminellen Elementen, die die Wäsche von den Leinen plünderten, und vor den Säufern des Orts schützte. Dieses Frauchen würde ich nicht sein. So hübsch er war: Hinterher hatte ich das Gefühl, ich sei noch mal davongekommen.

Kaum machte ich mich über mein Käsebrot her, kam leider Johannes in die Küche. Als er mich kauen sah, warf er mir einen unheilvollen Blick zu.

»Ich … äh … bin zum Abendessen auch da, Johannes. Ich brauch nur was Kleines zwischendurch«, sagte ich eilends.

Er knurrte missbilligend und machte sich ans Kartoffelschälen. »Glaubst du, du kannst mir was vormachen, Schätzchen?«

»Na, hör mal! Ich war den ganzen Tag unterwegs und hatte nichts zu Mittag. Niemals würde ich ein Essen versäumen, das du gekocht hast.« Ich hasste mich für diese Lüge – und Johannes dafür, dass er mich »Schätzchen« genannt hatte.

Betsy unterdrückte ein Lachen. »Achte darauf, dass sie eine doppelte Portion bekommt, Joe – zum Ausgleich für das Mittagessen.« Sie beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Ich zwang mir ein Lächeln ab. Das würde mir recht geschehen, nahm ich an. Auf ihrem Weg nach draußen zwinkerte Betsy mir zu, und ich schnitt eine Grimasse.

Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, stützte ich den Kopf in die Hände und betrachtete Johannes von unten herauf. Seine Kochkünste konnten meinem Gaumen nicht schmeicheln, doch er war ein Born des Wissens und tratschte – anders als Betsy – nicht herum. Ob ich ihn bitten sollte, mir weitere Einzelheiten über die Entdeckungen des Nachmittags zu erzählen? Das mochte mir eine stundenlange Recherche in der Bibliothek ersparen. »Was weißt du über Wichtel, Joe?«

Er blickte auf; es schien ihn zu besänftigen, dass ich Informationen von ihm erfragte. »Furchterregende Kerle sind das«, erwiderte er langsam. »Hast du einen gesehen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nur ein … Gerücht gehört.«

Er setzte sich mir gegenüber an den Tisch. »Wichtel bedeuten Ärger. Mein Großvater hat mal einen gesehen, der unten im Bergwerk dreimal geklopft hat und dann verschwunden ist. Opa war schlau genug, sofort ans Tageslicht zu fliehen. Zehn Minuten später ist ein Stollen eingebrochen und hat dreiundzwanzig Mann getötet.«

Das sprach allem Hohn, was ich vermutet hatte. »Dann bleiben sie also unter der Erde?«

»Meist. Sieht man aber einen an der Oberfläche, türmt man besser. Anscheinend wagen sie das nur, wenn sie etwas Großes aushecken.«

»Was ist mit Zeichen? Lassen sie welche zurück?«

»Es gefällt ihnen im Bergwerk, und oft finden sie dort besondere Steine.«

»Besondere Steine?«

Johannes betrachtete mich ernst. »Glatt wie Seide und schwarz wie das Herz einer Hexe. Wenn du einen findest, nützt es dir nichts, in die Berge zu fliehen, denn dann ist deine Zeit abgelaufen.«

Doch nicht ich hatte den Stein gefunden. Besorgt schürzte ich die Lippen. Vielleicht sollte ich John lieber folgen? Mir war klar, dass er allein auf sich achten konnte, aber dass eine Botschaft des Untergangs ausdrücklich ihm gegolten hatte, war keine gute Nachricht.

Da fiel mir noch etwas ein. »Was ist mit kleinen Materiestücken?«

»Materie? Davon weiß ich nichts, Mädchen.« Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und musterte mich mit verwitterter Miene und ernstem Gesicht. »Du passt hübsch auf dich auf, ja?«

Ich nickte und wusste zu schätzen, dass er nicht hatte wissen wollen, warum ich mich plötzlich für Wichtel interessierte, doch die Sorge um John nagte an mir. »Allerdings bin ich nun wohl doch nicht zum Abendessen hier, Joe.«

In seinen Augen flackerte Besorgnis auf. »Vielleicht ist das besser so, Liebchen.«

Ich stand auf und wandte mich zum Gehen. »Ich heiße Mack.«

Er wirkte verblüfft. »Was?«

»Vergiss es.«

Beim Verlassen der Küche prüfte ich die Armriemen, unter denen meine Messer steckten, und überlegte kurz, auch einen Bogen und Pfeile mit silbernen Spitzen mitzunehmen. Die Gestaltwandler würden das Edelmetall meiden; mir dagegen machte es nichts aus, und es war eine mächtige Waffe gegen alles, was nicht ganz von dieser Welt war. Doch womöglich würde ich einen Fehler begehen und John mit einem der Pfeile treffen. Ich war eine lausige Schützin, hatte aber genug über die Wechselfälle von Prophezeiungen gehört, um zu wissen, dass jeder Versuch, ein Verhängnis aufzuhalten, es genauso gut erst herbeiführen konnte. Vielleicht aber war das Vorzeichen der Wichtel gar nicht für John bestimmt, und mir war das entgangen? John war mindestens so sachkundig wie Johannes, wusste gewiss, wie der Stein funktionierte, hätte also sicher viel umsichtiger und behutsamer gehandelt, wenn er sich für den gehalten hätte, auf den das Verhängnis abzielte. Zweifellos aber hatte er bemerkt, dass das Vorzeichen ernst zu nehmen war, sonst hätte er nicht die Bruderschaft alarmiert! Er war schließlich nicht auf den Kopf gefallen.

Doch obwohl er das plötzliche Auftauchen des Steins ernst genommen hatte, schien John am Nachmittag nicht weiter um seine Sicherheit besorgt gewesen zu sein. Im Gegenteil: Er hatte gelacht und gescherzt. Ich hielt inne. Oder etwa nicht? Ich versuchte, mich zu erinnern, ob wir beide über die Karnickel-Abenteuer gelacht hatten oder nur ich allein.

Auf dem Weg nach draußen blieb ich stehen, um gegen die kalte Nachtluft meine Lederjacke anzuziehen und dann meinen treuen Jagdrucksack aufzusetzen. Als im Stockwerk über mir Schritte zu hören waren, rief ich die Treppe hinauf: »Julia?«

Es dröhnte mehrmals, und ich hörte ein Fluchen. Dann schaute ihr Kopf über das gewienerte Treppengeländer. »Ja, Herzchen?«

»Irgendwas stimmt nicht. Wohin ist John aufgebrochen?«

Meine Frage lag einen Herzschlag lang in der Luft, und in ihrer Miene flackerte etwas auf. War das Angst?

»Hat er nicht gesagt.« Wieder eine kurze Stille, dann räusperte sie sich. »Soll ich Alarm geben?«, fragte sie leise.

Ich dachte kurz nach. Vielleicht war ich nur paranoid. Doch falls John tatsächlich in Gefahr war, brauchte er alle Hilfe, die wir ihm geben konnten. Lieber wollte ich mich zur Idiotin machen, als das Risiko einzugehen, dass ihm etwas zustieß. Mochten Gestaltwandler ihre Zellen auch regenerieren und phänomenal schnell gesunden können: Es war möglich, sie tödlich zu verwunden.

Mit ernstem Blick sagte ich: »Das wäre das Beste. Ich gehe an den Strand, in die Nähe der alten Hütten. Lass die anderen von hier ausschwärmen und ihn suchen.«

Julia legte den Kopf in den Nacken und brüllte. Unfassbar, dass eine so kleine Frau solchen Krach schlagen konnte! Unmittelbar darauf hörte man die Gestaltwandler schon in den Saal hetzen. Doch ich durfte nicht auf sie warten. Das Feuer in meinem Innern loderte mit jeder Sekunde höher. Also schlüpfte ich in meine Jacke, setzte den Rucksack auf und verließ den Turm.

Zweites Kapitel

Realistisch betrachtet gab es nur wenige Orte, an die John gegangen sein konnte. Am Nachmittag waren wir schon im Osten gewesen – dort würde er sich nicht erneut aufhalten. Da seine Geduld mit den Einheimischen begrenzt war, hatte er sehr wahrscheinlich auch das Dorf gemieden. Nördlich des Turms verlief die Straße, südlich lagen Wald und Küste. In aller Regel vermieden es Schurken, versehentlich von einem Lkw überfahren zu werden, hielten sich also lieber im Süden auf. Und wo es Schurken gab, würde auch John sein – also wandte ich mich Richtung Küste. Zwar wünschte ich innig, bloß überzureagieren, war aber äußerst wachsam und umsichtig und achtete darauf, problemlos an meine Messer zu kommen und nicht damit an meiner Kleidung hängen zu bleiben, wenn ich sie am dringendsten benötigte.

Zu meinen unerklärlichen Fähigkeiten (mit denen ich leider vor niemandem angeben durfte) gehörten einige Tricks. Wie echte Gestaltwandler hörte ich die mentale Stimme meines Rudelführers und konnte ihm antworten, was zugegebenermaßen nur eine Nebenwirkung der Tatsache sein mochte, dass ich fast mein ganzes Leben in ihrer Gruppe verbracht hatte (so wie die Regelblutung bei Frauen sich auf einen gemeinsamen Rhythmus einzupendeln pflegt, wenn sie über lange Zeit auf engem Raum zusammenwohnen). Schade nur, dass die mentale Verständigung weder bei den anderen Mitgliedern des Rudels noch bei mir in beide Richtungen funktionierte, denn nur Rudelführer konnten ein mentales Gespräch in Gang setzen, und obwohl ich John nicht hätte hören dürfen, weil ich kein Gestaltwandler war, galt diese Regel auch für mich. Ich konnte keine Verbindung zu ihm herstellen, er zu mir aber schon.

Doch ich war auch eine sehr gute Fährtenleserin – für einen Menschen jedenfalls – und vermochte es oft zu spüren, wenn ich nicht allein war. Im Moment konnte ich nur darauf zurückgreifen, denn ohne den herausragenden Geruchssinn der Gestaltwandler besaß ich fast nichts, um John schnellstens zu finden. Dennoch war ich mir ziemlich sicher, dass sich gegenwärtig nichts da draußen im Dunkeln verbarg.

Mit höchster Aufmerksamkeit für die Dunkelheit ringsum trabte ich stetig den ausgetretenen Waldweg entlang. Irgendwo hinter mir hörte ich Gestaltwandler mit ihren Tierstimmen einander rufen. Ansonsten bemerkte ich nichts. Einmal verfing sich mein Haar in den Zweigen eines Baums, und fluchend blieb ich stehen, um mich zu befreien. Dabei sah ich etwas auf dem belaubten Boden glitzern, bückte mich, um es mir anzuschauen, und hob es mit der Manschette meiner Jacke auf. Kaum lag der Gegenstand in meiner Hand, loderte Hitze in meinem Magen auf: ein Wichtelstein. War es der, den John am Nachmittag gefunden hatte? Oder war er für mich bestimmt? Ich bewegte ihn hin und her. Er fühlte sich an wie der von John, doch ich wusste nicht, ob das immer so war oder ob es sich tatsächlich um ein und denselben Stein handelte. Schon wollte ich ihn ans Ohr halten, da merkte ich, dass er unangenehm feuchtkalt war. Behutsam nahm ich ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und führte ihn an die Augen. Es sah aus wie Blut. Vorsichtig schnüffelte ich daran, griff in meinen Rucksack, ohne ihn abzunehmen, und wühlte darin herum. Die ganze Zeit behielt ich dabei den Stein im Blick.

Endlich ertastete ich, wonach ich suchte: eine kühle Metalldose. Es schadet nie, bestens ausgerüstet zu sein. Ich nahm das Wasserstoffperoxid, drehte das Spray so, dass die Düse auf den Stein wies, und sprühte etwas auf die schwarze Oberfläche. Kaum hatte das Mittel den Stein berührt, schäumte es: Zweifellos handelte es sich um Blut. Die Hitze in mir loderte höher, und ich hatte das Gefühl, meine Organe würden brennen. Sofort spürte ich auch Panik, konnte sie aber ebenso niederhalten wie das Blutfeuer, da mir beides nicht helfen würde. Behutsam steckte ich den Stein in eine Seitentasche, wo er nicht verloren gehen würde.

Der Mond schien weiter vom Himmel und warf Licht und dunkle Schatten zwischen die mächtigen Bäume. In der Ferne hörte ich den Schrei einer Eule auf Beuteflug; ganz in der Nähe raschelte ein kleines Tier im Unterholz. Ich ignorierte all das und konzentrierte mich auf die Spur zu meinen Füßen. Dort war noch etwas anderes. Erneut griff ich in den Rucksack, zog meine Taschenlampe heraus und schaltete sie ein.

Er war hier vorbeigekommen. John war leichtfüßig und hinterließ kaum Spuren, doch ich kannte ihn und dieses Gebiet gut. Er hatte den Strauch rechts von mir gestreift, und aus dem Abstand seiner Fußabdrücke konnte ich schließen, dass er gerannt war, als wäre er auf der Flucht gewesen. Stirnrunzelnd leuchtete ich die Umgebung ab, erst in unmittelbarer Nähe, dann den Weg entlang. Weiter vorn musste etwas sein. Ich bewegte mich darauf zu und versuchte zu spüren, worum es sich handelte, aber vergeblich, denn ich war keine Gestaltwandlerin. Wohin war er gelaufen?

Wieder versprühte ich Wasserstoffperoxid, diesmal auf den Weg vor mir, hoffte aber, nichts zu finden. Erst roch ich nur die feuchtkalte Nacht mit ihrem leichten Duft nach Moschus, der vom Waldboden aufstieg, dann aber hielt ich den Atem an und blinzelte: Da und dort schäumte die Chemikalie – ein sicheres Zeichen für weiteres Blut. Doch es musste nicht von John sein, konnte auch von einem Wildtier stammen. Oder mehrere Tage alt sein. Dennoch loderte das stete Feuer in mir immer höher, und ich spürte die Flammen an meinen Magenwänden züngeln.

Mackenzie?

Fast hätte ich einen Freudensprung gemacht, doch gleich merkte ich, dass etwas anders war.

War das nicht …? Julia?

Ja. Ich bin es. Ihre Stimme klang niedergeschlagen.

Mir sackten die Knie weg. Nur Rudelführer konnten eine mentale Unterhaltung beginnen, und da ich mit Julia sprach, musste John tot sein. Er musste tot sein! Ich schnappte nach Luft, und Schmerz erfüllte mich. Am anderen Ende des Waldes erhob sich ein klagendes Heulen, dann Jaulen. Rasch stimmten die übrigen Mitglieder des Rudels ein, die nun bestürzt und traurig zusammenkamen. Ich konnte kaum atmen, fiel bäuchlings zu Boden und spürte kaum das feuchte Moos unter den Händen. Ein gewaltiges Schluchzen entrang sich meiner Brust. Es konnte nicht wahr sein – es durfte einfach nicht stimmen!

Doch.

Ich rappelte mich auf. Das Blutfeuer würde das nicht zulassen. Vielleicht ging es ihm dennoch gut.

Mit brennender Lampe stolperte ich voran, sprühte mitunter Wasserstoffperoxid auf den Boden, bewegte mich immer schneller und gab mir alle Mühe, die Trauer zu ignorieren, die in meiner Brust zu Knoten verklumpte. Immer stärker schäumte es; immer deutlicher wurden die Spuren. Es war eindeutig Johns Fährte, und nun erkannte ich auch seine Gangart, bei der das linke Bein etwas agiler ausschritt. Wenn er aber blutete und sich in Gefahr befand – warum hatte er nicht die Gestalt gewandelt? Dann nämlich hätte er kämpfen und sich regenerieren können …

Erst wenn ich es mit eigenen Augen sähe, würde ich glauben, dass er tot war.

Ein Spinnennetz legte sich an meine Wange, und ich machte mir nicht die Mühe, es wegzuwischen. Der Pfad führte zum Strand hinab und vom Turm weg. Wovon John auch immer gejagt worden war, hatte keine Spuren hinterlassen, und John seinerseits hatte dafür gesorgt, dass nicht auch wir ins Visier gerieten. Doch John war ein Wertiger und damit stark genug, fast alle Geschöpfe der Anderwelt abzuwehren, die es bis nach Cornwall schafften. Es ergab keinen Sinn. Ich biss die Zähne zusammen, hetzte weiter und erstieg den letzten Hügel, von dem es hinab zu den Dünen ging.

Nun erst gewahrte auch ich den starken Eisengeruch: So viel Blut musste geflossen sein, dass auch meine schwache Menschennase es witterte. Ich machte noch einen Schritt, und dann sah ich John. Oder das, was von ihm übrig geblieben war.

Sein Hut lag in einer Blutlache, die im schwachen Mondlicht nass und dunkel schimmerte. Was ich erst für Schlingpflanzen hielt, die von seinem Bauch ausgingen, waren seine Eingeweide, die unglaublich weit verteilt waren. Kaum hatte ich das erkannt, wurde mir übel. Johns sonst strahlende Augen starrten gläsern und blicklos und trübten sich bereits. Sein Mund stand weit offen, und einen schrecklichen Moment lang glaubte ich, er lache mich aus. Doch es war kein Lachen. Es war ein Schrei.

Ich fiel an Ort und Stelle zu Boden und vermochte mich nicht zu rühren. Taschenlampe und Spraydose entglitten mir. Dass von hinten etwas kam und mich unsanft wegschob, spürte ich mehr, als dass ich es hörte, und nahm kaum wahr, dass eine Bärengestalt einen Schritt vor tat und schwerfällig wieder zurückwich. Dass es sich um Anton handelte, bekam ich kaum mit. Auch andere kamen von hinten, aber keiner übertrat die Grenze des Bluts. Schließlich hoben zwei Arme mich hoch, zogen mich auf die Beine und führten mich von dem Toten weg. Meine Füße schlurften über den Boden. Alles ringsum wurde trüb, und selbst die Luft schien verschwunden zu sein. Es war vollkommen still, während die Welt langsam in einen schwarzen Strudel des Nichts versank.

Als ich zu mir kam, lag ich ein gutes Stück von der Leiche entfernt. Von Johns Leiche. Noch immer roch ich das gerinnende Blut. Ich würgte, musste mich übergeben und setzte mich auf, um das halb verdaute Käsebrot aus der Küche zu erbrechen. Bevor ich damit fertig war, schloss jemand seine Hand um meine Wange und drückte mich zurück auf den Boden.

In der Nähe knurrte ein Wolf.

Antons Gesicht tauchte undeutlich vor mir auf. Er musste wieder Menschengestalt angenommen haben. »Was. Hast. Du. Getan?« Seine dunklen Augen fixierten mich unerbittlich, und mit der anderen Hand gab er mir eine Ohrfeige.

Der Wolf knurrte erneut, warf sich auf Anton und zwang ihn, zur Seite zu rücken. Nun stand das Tier mit gebleckten Zähnen fauchend vor mir.

»Mag sein, dass sie deine Freundin ist, Tom, aber sie weiß was über diese Sache.« Anton versuchte, den in einen Wolf verwandelten Tom abzudrängen, doch der schnappte nur nach ihm. »Das wirst du nicht tun, du räudiger Hund. Ich wusste doch, dass wir den Menschen niemals trauen dürfen«, stieß Anton hervor. Eine zweite Gestalt gesellte sich zu ihm und gab ihm Deckung, indem sie Angriffshaltung annahm. Die Augen der beiden schimmerten gelb.

Ich stützte mich auf Tom, rappelte mich auf und betrachtete die drei seltsam unbeteiligt. Wieder stieg mir der Gestank in die Nase, doch nun reagierte ich so ungerührt wie ein Unfallchirurg. »Da war ein Stein. Ein Wichtelstein. Den hat er heute an der Ostgrenze gefunden. Dort habe ich John zuletzt gesehen.«

»Du Affe! Du lügst, sobald du den Mund aufmachst!«

»Das ist die Wahrheit«, widersprach ich ausdruckslos.

Betsy kam zu mir getrottet, witterte, bestätigte mit katzenhaftem Kopfnicken meine Worte und trottete leise wieder davon. Julias Stimme galt uns allen: Ihr müsst zurück zum Turm. Ich schicke einige mit einem Leichensack los, um alles einzusammeln … um John einzupacken und nach Hause zu bringen. Für euch Übrige ist es da draußen nicht sicher.

Anton knurrte.

Das ist nicht verhandelbar. Ihr tut, was ich sage.

Ich bemerkte flüchtig, dass ihre Stimme nicht ganz so gebieterisch klang wie die eines offiziell initiierten Rudelführers. Doch sogar Anton schien zu begreifen, was Ungehorsam für die Gruppe bedeuten würde, und gab klein bei, nicht ohne mich allerdings anzublaffen: »Das hier ist noch nicht vorbei, Mensch.«

Ich sah ihn nur an und vermochte nichts zu sagen. Also wandte ich mich um und machte mich auf den Rückweg.

Drittes Kapitel

»Red? Red? Mack?« Eine Hand rüttelte mich unsanft an der Schulter. »Mackenzie!«

Ich schaute zu Tom hoch, sah die panische Furcht in seinem Blick und fasste wieder die Fliesen des großen Saals ins Auge, ohne recht zu wissen, wie ich dorthin gekommen war.

Jemand versetzte mir eine schmerzhafte Ohrfeige, die mich fast vom Stuhl geworfen hätte. »Reiß dich zusammen, Herzchen. Das bringt doch nichts.«

Wütend sah ich Julia an, erhob mich so energisch, dass mein Stuhl umkippte, und machte einen drohenden Schritt auf sie zu. Sie lächelte leidenschaftslos. »Schon besser. Jetzt sag uns, was du weißt, Mackenzie. Konzentriere dich.«

Ich schüttelte den Kopf, um das Sirren im Ohr loszuwerden, und blickte mich langsam im Saal um. Alle waren sie da, das ganze Cornwall-Rudel. Einige wirkten verängstigt, andere wütend. Anscheinend musterten mich alle und warteten auf eine Erklärung.

Konzentriere dich. Auf das Feuer.

Ich nahm all meine Trauer und Angst, sperrte sie tief in mir weg und ließ mein Blutfeuer auflodern und mich wieder beleben. Wäre es mit John doch genauso einfach! Ich atmete tief ein, berichtete alles, was an diesem Tag geschehen war, und bemühte mich, nicht eine Kleinigkeit auszulassen.

»Uns fehlt jeder Beweis, dass etwas von dieser Geschichte stimmt«, knurrte Anton, kaum dass ich fertig war.

»Wir haben das Tuch«, erwiderte Julia sanft. »Alexander hat es untersucht, aber nichts Bemerkenswertes entdeckt, nur den Geruch nach Tod. Und Larch hat bestätigt, dass John um sieben Uhr abends gestorben ist. Zu diesem Zeitpunkt war Mackenzie noch im Turm – genau wie alle anderen, denn es war kurz vor dem Abendessen.«

»Also hat keiner von uns John ermordet«, sagte Tom nachdenklich.

»Stimmt«, bestätigte Julia. »So müssen wir uns immerhin nicht gegenseitig verdächtigen.« Bei diesen Worten sah sie Anton an. Er hielt ihrem Blick kurz stand und sah dann weg, und da wusste ich ohne jeden Zweifel, dass Julia die einzige rechtmäßige Anführerin unseres Rudels war.

»Und jetzt?«, fragte Betsy, kratzte sich verlegen am Hals und sah ängstlich drein. »Sind wir alle in Gefahr?«

Ich stellte den Stuhl, den ich umgeworfen hatte, wieder auf und musterte jeden einzelnen Gestaltwandler. »Jetzt finde ich heraus, wer oder was dieses Verbrechen begangen hat, und erdrossle den oder die Täter. Und dazu begebe ich mich zurück an den Tatort.«

Julia trat einen Schritt näher, um ihre Autorität zur Geltung zu bringen. »Niemand geht irgendwohin, solange die Lage nicht ganz sicher ist.«

In mir regte sich Wut. »Ich gehe, wohin es mir passt. Wer auch immer John umgebracht hat – ich lasse nicht zu, dass dieses Wesen auch nur eine Minute länger lebt als nötig.«

»Du tust, was ich sage. Solange wir nicht wissen, womit wir es zu tun haben, dürfen wir nicht riskieren, dass so was noch mal geschieht.« Sie legte mir die Hand auf die Schulter, und ich widerstand der Versuchung, mich ihr zu entziehen. »Du bekommst deine Rache noch, Mackenzie. So wie wir alle.«

»Worauf du einen lassen kannst«, murmelte Tom.

Das Telefon klingelte, und Julia schien etwas in sich zusammenzusacken. »Das wird die Bruderschaft sein. Ich habe angerufen und eine Nachricht hinterlassen, nachdem wir John gefunden hatten.« Sie drückte kurz meine Schulter und ging zum Telefon.