Blood Destiny - Bloodlust - Helen Harper - E-Book

Blood Destiny - Bloodlust E-Book

Helen Harper

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sie fürchtet weder Tod noch Teufel!

Mackenzie Smith hat nun endlich ihre wahre Wyr-Form gefunden - und das ist kein Zuckerschlecken! Ihre Gefühle, ihre Herkunft und Fähigkeiten sorgen für ordentlich Verwirrung. Zudem obliegt ihr eine riesige Verantwortung: Sie muss den fragilen Frieden zwischen Wandlern, Magiern und den Fae bewahren, um den tödlichsten und furchterregendsten Gegner der Anderwelt zu Fall zu bringen. Dass ihr Seelengefährte, sie bis aufs Blut hasst, macht die Sache nicht leichter. Um ihr Happy End zu bekommen, muss Mack jetzt also nichts weiter tun, als Corrigans Herz zurückzuerobern, den Feind zu zerstören und die Welt zu retten. Klingt schwierig bis tödlich? Das ist es auch ...

"Action, Humor und jede Menge Herz! Ich kann nicht fassen, wie unglaublich gut diese Geschichte geschrieben ist. Die Figuren haben so viel emotionale Tiefe, und die Story ist einfach nur großartig!" GOODREADS

Das fünfte und letzte Buch der mitreißenden "Blood-Destiny"-Serie!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 392

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

TitelZu diesem BuchZitat123456789101112131415161718192021222324252627EpilogLeseprobeDie AutorinDie Romane von Helen Harper bei LYXImpressum

HELEN HARPER

Blood Destiny

Bloodlust

Roman

Ins Deutsche übertragen von Andreas Heckmann

Zu diesem Buch

Sie fürchtet weder Tod noch Teufel!

Mackenzie Smith hat nun endlich ihre wahre Wyr-Form gefunden – und das ist kein Zuckerschlecken! Ihre Gefühle, ihre Herkunft und Fähigkeiten sorgen für ordentlich Verwirrung. Zudem obliegt ihr eine riesige Verantwortung: Sie muss den fragilen Frieden zwischen Wandlern, Magiern und den Fae bewahren, um den tödlichsten und furchterregendsten Gegner der Anderwelt zu Fall zu bringen. Dass ihr Seelengefährte, sie bis aufs Blut hasst, macht die Sache nicht leichter. Um ihr Happy End zu bekommen, muss Mack jetzt also nichts weiter tun, als Corrigans Herz zurückzuerobern, den Feind zu zerstören und die Welt zu retten. Klingt schwierig bis tödlich? Das ist es auch …

Man muss persönliche Verantwortung übernehmen.

Die Umstände, die Jahreszeiten oder den Wind kann man nicht ändern, aber sich selbst.

Das liegt in der eigenen Verantwortung.

Jim Rohn

1

Mein mörderischer Kopfschmerz wollte einfach nicht weichen. Natürlich half es wenig, dass das Gezänk am Tisch mit jeder Meinungsverschiedenheit lauter wurde.

»Damit verschwenden wir unsere Zeit.« Hohn troff von Staines’ Lippen.

Ob ich als Vorsitzende des Rats, der Endor das Handwerk legen sollte, den WerBären zu einem Charme-Lehrgang zwingen konnte? Vielleicht in der Schweiz, mit einem Haufen Teenager aus reichem Hause? Oder in Timbuktu?

»Es ist kaum unsere Schuld, dass er letzte Woche nicht auf unsere Ebene zurückgekehrt ist. Nicht alles lässt sich vorhersehen. Schließlich sind wir nicht Gott.«

Ich beschloss, ihn mit der kompletten Magierdelegation auf den Lehrgang zu schicken. Sie würden nach all den Jahren, die sie an der Akademie Zauberei studiert hatten, gewiss gute Schüler sein und dort bestens reinpassen.

»Selbstverständlich nicht«, sagte Staines verschnupft.

»Ihre ungemein beredte und gnädige Majestät die Sommerkönigin ist der Ansicht, wir sollten endlich untersuchen, auf welchen Ebenen sich dieser Abschaum verbirgt.«

»Und dafür meldet ihr euch freiwillig? Und beginnt mit den ersten paar Hunderttausend?«

Beltran warf Lucy einen vernichtenden Blick zu. »Zum Glück können wir die Auswahl auf eine kurze Liste möglicher Bereiche beschränken und euch als Schlägertrupp und nicht etwa Hirn der Operation die Untersuchung überlassen. Höchste Zeit, dass auch die Bruderschaft sich der Herausforderung stellt.«

Um der Fairness willen würde ich die Elfen in ein militärisches Ertüchtigungslager schicken, vorzugsweise in Sibirien. Nicht dass sie nicht zu kämpfen wussten, aber manchmal musste man sie nötigen, Befehle auszuführen und sich ihrerseits der Herausforderung zu stellen.

An Staines’ Schläfe trat eine pulsierende Ader hervor. Ich beobachtete sie fasziniert.

»Willst du damit andeuten, wir wären dumm? Was denkt ihr denn, wo ihr ohne unsere Hilfe jetzt wärt? Unsere Strategie und Taktik haben die einzige Möglichkeit eröffnet, Endor zur Strecke zu bringen.«

»Strategie und Taktik, die wir dem Drako Wyr verdanken, nicht euch«, stellte der Elf mit wohlüberlegter Nonchalance fest. »Außerdem habt ihr damals versagt. Ist euch das etwa entfallen?«

Aus Lucys Kehle drang ein tiefes Knurren. »Wenigstens waren wir da. Während ihr euch in den Wäldern versteckt hattet.«

»Versteckt haben wir uns wohl kaum. Wenn wir uns nicht eingemischt und die Menschen mitgebracht hätten, wäre alles viel schlimmer geworden. Ich denke eher, wir haben gerettet, was zu retten war. Wir müssten nicht hier sein, sondern könnten stillvergnügt in Tir Na Nog bleiben und euch die Jagd auf Endor überlassen. Aber wir sind nicht so herzlos, euch jede Hoffnung auf einen Sieg über ihn zu rauben.«

»Nicht so herzlos? Warte mal kurz«, unterbrach Larkin ihn. »Wann hat euch das Schicksal anderer Gattungen je geschert? Ihr seid doch nur hier, weil ihr etwas von ihr wollt.« Er wies mit dem Kopf auf mich. »Ihr seid die unbeständigsten, unzuverlässigsten, seelenlosesten Geschöpfe überhaupt!«

»Noch seelenloser als der Totenbeschwörer, dessentwegen wir alle hier sind?«

»Rede nicht so mit ihm!«

»Ich spreche mit ihm und dir und jedem anderen, wie es mir passt. Welchen Nutzen bietet ihr Magier denn?«

Max stieß seinen Stuhl zurück. »Sag das noch mal.«

»Welchen Nutzen bietet ihr Magier …«, begann der Elf.

Blaues Licht flackerte auf Max’ Haut. »Ich werde dich vernichten.«

»Mich vernichten? Du kannst nicht mal den einfachsten Verfolgungszauber schaffen – geschweige denn etwas, das mir schaden könnte.« Er lächelte hämisch. »Oder doch?«

»Ist der Papst Katholik? Scheißen Bären in den Wald?«

Larkin legte Max begütigend eine Hand auf den Arm.

»Was denn?« Max sah seinen Freund kurz an, dessen Blick zum WerBären Staines zuckte. Als Max begriff, was er gesagt hatte, besaß er immerhin den Anstand, leicht zu erröten.

Staines verzog angewidert das Gesicht. »Der Elf hat nicht unrecht. Was die Bruderschaft betrifft: Wir helfen nur aus.« Er sah die beiden Magier an. »Machen wir uns nichts vor: Als Totenbeschwörer fällt Endor allein in eure Zuständigkeit – ihr solltet euch glücklich schätzen, dass wir bereit sind, euch zu helfen.«

Plötzlich stand mir ein Bild von Staines vor Augen, der vorsichtig mit einem auf dem Kopf balancierten Buch durch ein Zimmer ging, während Max und Larkin in einer Ecke Blumen arrangierten. Ich schnaufte vernehmlich. Alle drehten sich um und starrten mich an. Also verdrängte ich das Bild, starrte zurück und beschloss, nun sei es Zeit, mich in den Streit einzumischen.

»Wer gehen will, tut das bitte jetzt. Niemand wird zur Verantwortung gezogen, falls seine Organisation sich aus dieser …«, – Zeitverschwendung? Katastrophe? Zerstörung dessen, was der Rest meines glücklichen Lebens hätte sein können? – »… aus dieser Ratsrunde zurückzieht«, beendete ich den Satz und beglückwünschte mich zu meinem ruhigen Ton.

Alle schauten mich nur an. Ich wies nach links. »Da ist die Tür.«

Keiner rührte sich.

»Gut. Also kein Gejammer mehr darüber, wer hier sein sollte und wer nicht. Keine fiesen Kommentare mehr. Kein Gezänk. Ihr sagt nur dann etwas, wenn es uns dabei helfen kann, Endor zu finden und zu vernichten.«

Ergebenes Schweigen. Doch mir fiel auf, dass Staines’ Schläfenader schon wieder pulsierte. Na, egal.

»Wie sieht es mit den Baumnymphen aus?«

Max und Lucy antworteten gleichzeitig. Mit erhobener Hand hieß ich sie schweigen. Hätte ich bloß daran gedacht, Schmerztabletten mitzunehmen.

»Max?«

»Wir haben Schutzzauber um all ihre großen Habitate gelegt. Sie werden durch eine erhebliche Macht verteidigt, die allerdings zur Erschöpfung unserer …«

»Maximal fünf Worte, Max.«

Er sackte leicht in sich zusammen. »Keine Aktivität an den Bannkreisen«, murmelte er.

»Lucy?«

Sie antwortete mit betont ausdrucksloser Miene. Die Gestaltwandler betrachteten mich demnach wohl nicht mehr als Freundin. Ich mühte mich, dies nicht als ärgerlich anzusehen. Nein, es ärgerte mich nicht. Überhaupt nicht. Nicht im Geringsten. Der plötzliche Schmerz in der Brust rührte eindeutig von einer Magenverstimmung, nicht von der Tränenflut, die ich zurückhalten musste.

»Keine Hinweise auf Scheusale.«

»Und bei dir, Beltran?«

»Auch nicht.«

»Gab es Meldungen von anderen Gattungen der Anderwelt? Irgendwas Widerspenstiges?«

Alle schüttelten den Kopf.

»Wurde jeder gewarnt?«

Staines räusperte sich. Ich nickte ihm zu. Wenigstens war der Hierarchie-Mist der Bruderschaft mal zu was gut.

»Alle Anführer, Lords, Ladys und Ratsmitglieder wurden über die Lage informiert. Auch im Andernetz stehen Warnungen – mit Nummern, die man anrufen soll, falls es Hinweise auf das Wiederauftauchen des Totenbeschwörers gibt.«

»Gut. Leitet alle erfolgversprechenden Anrufe an mich weiter.« Ich sah Beltran kurz an. »Wie würdest du die Zahl von Ebenen eingrenzen, auf denen Endor sich aufhalten könnte?«

»Das hängt davon ab, wer schon da ist und wo er sich wohlfühlt. Zugegeben, es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, aber wir müssen irgendwo anfangen.«

Ich schürzte die Lippen. »Einverstanden. Sobald du eine brauchbare Liste hast, teile sie zwischen euch, den Magiern und den Gestaltwandlern auf und beginnt mit der Suche.« Ich warf ihnen allen einen entschlossenen Blick zu. »Besucht die Ebenen immer zu dritt, wobei jede Gruppe einen Vertreter schickt. Bei Sicherheitsbedenken entscheidet selbst, ob ihr mehr Leute mitnehmt. Aber falls ich auch nur von einem Übergriff, einer Streiterei oder einem bösen Blick zwischen euch höre, nehme ich mir die Beteiligten persönlich vor. Und das wird ihnen nicht gefallen. Wir müssen zusammenarbeiten, wenn wir Endor aufspüren und erledigen wollen.«

Alle wirkten unfroh über diese Ankündigung, widersprachen aber nicht.

»Haltet den Verfolgungszauber aufrecht – für den Fall, dass Endor plötzlich wieder hier auftaucht«, wies ich die Magier an, und sie nickten.

»Sollte es keine neuen Entwicklungen geben, treffen wir uns in einer Woche hier wieder.«

Einen Moment lang rührte sich keiner. Ich funkelte alle verärgert an, und sie standen auf und machten sich auf den Weg. Als Larkin Beltran auf den Fuß trat und der Elf das Gesicht verzog, dachte ich kurz, die Streitereien würden wieder losbrechen. Aber der Magier entschuldigte sich ungelenk, und Beltran machte nur eine gereizte Handbewegung. Lucy nahm für ihren Abgang den langen Weg um den Tisch herum und hielt bloß kurz inne, um mir einen Zettel hinzulegen. Im Zimmer stand nur noch der Rasierwasserduft der Magier, die ihr Aftershave wahrscheinlich nur so ausgiebig aufgetragen hatten, um die feinen Nasen der Gestaltwandler zu düpieren. Ich genoss die selige Stille, doch dann fiel mir Lucys Zettel ins Auge.

Das zusammengefaltete Stück Papier musste von Corrigan stammen. Erst vor drei Tagen hatte in diesem Zimmer die furchtbare Besprechung stattgefunden, während der ich ihn vor der Hälfte der Anderwelt-Größen praktisch fallen gelassen hatte. Trotz der unmittelbaren und sehr realen Gefahr durch Endor hatte ich seither eigentlich nur an den Ausdruck in seinen Augen denken können, als er begriffen hatte, was geschah. Immer wieder hatte ich überlegt, ob es richtig von mir gewesen war, den Forderungen des Erzmagiers und der Sommerkönigin nachzugeben. Mal fand ich, ich hätte die beiden zum Teufel schicken sollen; dann wieder dachte ich, mir sei keine Wahl geblieben.

Vorsichtig berührte ich den Zettel und zog die Finger zurück, als hätte ich mich verbrannt. Er hatte gesagt, er wolle nichts mehr mit mir zu tun haben. Aber ich wusste gut, dass Zeit und Abstand erzürnte Gemüter beruhigen konnten. Vielleicht wollte er sich über das aussprechen, was sich zwischen uns entwickelt hatte, und meine Ansicht hören. Oder nur wiederholen, er halte mich für Abschaum, der es nicht wert sei, die Sohlen seiner schicken Budapester zu berühren.

Wieder streckte ich die Hand aus und ignorierte tapfer das Zittern meiner Finger. Lächerlich – ich war immerhin ein Drache! Da durfte ich mich nicht vor einem Stück Papier ängstigen. Entschlossen nahm ich den Zettel, faltete ihn auseinander und starrte auf die hingekritzelten Worte. Enttäuschung und Erleichterung kämpften in mir. Die Nachricht kam von Tom, nicht von Corrigan. Ich sollte mich Donnerstagabend vor der Stadt mit ihm treffen, um mit dem Verwandlungstraining zu beginnen. Erst ein einziges Mal hatte ich Drachengestalt angenommen, und da waren meine Gefühle so außer Kontrolle gewesen, dass es ganz unfreiwillig passiert war. Die Dracheninstinkte hatten meinen Körper und Geist so völlig ergriffen, dass ich zu ängstlich gewesen war, mich ihnen je wieder zu überlassen. Aber wenn wir Endor besiegen wollten, durfte ich mich nicht länger wie eine erschrockene kleine Maus verhalten, sondern musste mit dem Training anfangen. Toms langjährige Gestaltwandlerkenntnisse würden mir helfen. Schniefend versuchte ich, mir einzureden, ich nähme die ganze Sache lässig. Gar kein Problem.

Ich stand auf, schob den Zettel in die Gesäßtasche meiner Jeans, nahm meinen Rucksack, verließ das Zimmer und trat in das belebte Restaurant Alcazon. Sofort drehten sich praktisch alle Köpfe in meine Richtung, und schlagartig wurde es still. Mein Ruf eilte mir offenbar voraus. Ich straffte den Rücken, funkelte alle an und fragte mich, warum ich so plötzlich Gegenstand des Anderwelt-Interesses geworden war: weil alle von meiner sogenannten Geheimidentität wussten? Oder weil ihnen allen klar war, dass ich sehr öffentlich die Gelegenheit ausgeschlagen hatte, die Geliebte des Oberhaupts der Bruderschaft zu werden? Beide Vorstellungen waren nicht angenehm, und so schaute ich mich noch zorniger um. Die meisten Gäste sahen eilends weg. Nachdem ich jahrelang um größte Unauffälligkeit bemüht gewesen war, genoss ich dieses Aufsehen ganz und gar nicht.

Ich biss die Zähne zusammen, schritt aus und hoffte, weit einschüchternder und selbstbewusster zu wirken, als mir zumute war. Fast schon an der Tür aber trat mir eine Gestalt in den Weg. Ich runzelte verärgert die Stirn, bis mir klar wurde, wer oder besser was meine Flucht verhinderte. Mein Mut schwand. Ich hatte das schreckliche Gefühl zu wissen, worum es hier gehen würde. Kurz flammte Hitze in meinem Bauch auf.

»Sie stehen mir im Weg«, knurrte ich.

Die schlanke, bleiche Frau senkte den Kopf ein wenig, doch ihre rubinroten Augen verrieten, dass sie mir so bald keinen Platz machen würde.

»Ich hatte gehofft, wir könnten mit Ihnen sprechen.« Ihre Stimme klang so kalt, wie sich ihre Haut bestimmt anfühlte.

Ich drängte an ihr vorbei und gab mir Mühe, bei der Berührung ihres untoten Körpers nicht zu erschauern. Ungünstig, dass zwei weitere Vampire auftauchten. Sie hatte also nicht das königliche ›wir‹ benutzt.

»Setzen Sie sich bitte zu uns an den Tisch?«

Ich drehte mich zu ihr um und ging meine Möglichkeiten durch. Ich könnte sie und ihre Blutsaugerfreunde komplett ignorieren und ihnen leicht ausweichen, falls sie sich mir ernstlich in den Weg stellten. Aber jeder im Restaurant würde unseren kleinen Austausch genau verfolgen. Wenn die Vampire so versessen darauf waren, mit mir zu reden, war es vermutlich besser, das schnellstens hinter mich zu bringen.

»Sagen Sie mir doch hier draußen alles Nötige.«

Sie hob eine elegante Schulter zu einem halben Achselzucken, und der Anflug eines Lächelns geisterte über ihre Lippen. »Gut. Wir möchten Ihre Dienste in Anspruch nehmen.«

»Die stehen nicht zum Verkauf.«

»Wir zahlen gut. Mag sein, dass Sie Ihren Ekel vor dem, was wir sind, nicht verbergen können, Miss Smith, aber Sie werden staunen, was wir Ihnen im Gegenzug für einen kleinen Gefallen bieten können.«

»In diesem Fall bin ich mir sicher, dass viele andere weit schärfer darauf sind, Ihnen zu helfen.«

»Möglich. Aber uns hat die Kunde von Ihren Heldentaten erreicht, und Sie scheinen die notwendigen Fähigkeiten zu besitzen, um unser kleines Problem zu lösen.«

Ich würde mich nicht herauswinden können, ohne mit Gewalt zu drohen. Und das käme in der schicken Atmosphäre des Alcazon nicht gut an. Das Problem war: Ich glaubte zu wissen, was sie als Nächstes sagen würde. Doch ich stellte mich dumm – mir blieb keine andere Wahl.

»Um welches Problem handelt es sich?«

Sie blinzelte matt. »Um einen vermissten Vampir.«

Ich hatte es gewusst! »Vielleicht ist er ja tot.« Ich hielt inne. »Ach, Verzeihung, tot seid ihr ja alle«, setzte ich sarkastisch hinzu. »Vielleicht ist er nicht mehr untot.« Witzigerweise war genau das der Fall.

»Dieser Vampir ist besonders stark. Nur wenige könnten ihn zur Strecke bringen, und wir bezweifeln, dass er nicht mehr ist. Er ist ein wichtiges Mitglied unserer kleinen Gruppe, und wir hätten ihn gern zurück. Sie werden ihn für uns aufspüren.« Das war keine Bitte.

»Ich bin gerade sehr beschäftigt und habe keine Zeit, nach einem vermissten Blutsauger zu suchen.«

»Sie sind ihm bereits begegnet. Als Sie in unser Haus gekommen sind und uns bestohlen haben.«

»Ich habe euch nicht bestohlen«, fauchte ich. »Außerdem glaube ich, dass ihr bei dieser Sache besser weggekommen seid.« Der Gedanke an Thomas und Brock bereitete mir noch immer Herzweh. »Warum sollte ich den Kerl finden wollen, der für den Tod meiner Freunde verantwortlich ist?«

»Sie wissen also, von wem ich rede?«

Oha. »Ich erinnere mich nur an einen Vampir, mit dem ich in jener Nacht gesprochen habe. Bald darauf tauchte er in der Akademie der Magier auf. Und ich habe kein Interesse, euch zu helfen, den Aufenthaltsort dieses Dreckskerls zu ermitteln.«

Außerdem wusste ich sowieso nicht, wo Aubrey war. Seit meinem letzten Besuch im Alcazon vor drei Tagen hatte ich ihn nicht gesehen. Keine Ahnung, wo er sich versteckte.

»Wie Sie schon erwähnten, sind wir Untote. Das erlaubt uns mehr als nur flüchtige Einblicke in die Welt der Verstorbenen und all derer, die damit handeln. Und zu denen gehören auch …« – sie hielt inne und tippte sich mit blutroten Fingernägeln an den Mundwinkel; ein bösartiger Schimmer ließ ihre Augen leuchten – »… Totenbeschwörer.«

Mist. Woher hatten die Vampire denn diese Information? »Mit anderen Worten: Wenn ich Ihren Freund finde, finden Sie meinen Totenbeschwörer?«

»Ganz genau.«

Ich musterte sie argwöhnisch. Wusste sie, was Aubrey widerfahren war? Es konnte kaum Zufall sein, dass sie sich an mich gewandt hatte. Sicher war genug Anderweltlern seine Verwandlung in ein Mitglied der Lebenden aufgefallen, und jemand hatte diese Pikanterie ausgeplaudert. Ich seufzte innerlich. Mein Kopf tat noch immer viel zu weh, um mich damit auseinanderzusetzen.

»Ich denke drüber nach«, brummte ich. Von wegen.

»Großartig«, sagte sie, als hätte ich eingewilligt, ihn sofort zu ihr bringen. »Er heißt Aubrey. Er kann … gefährlich sein, wenn man ihn auf dem falschen Fuß erwischt, aber Sie schaffen das ganz sicher.«

»Ich sagte: Ich denke drüber nach.«

Sie lächelte frostig. »Hier, meine Karte. Melden Sie sich jederzeit.«

Blutrot natürlich. Und nur eine Telefonnummer drauf, in Schwarz. Ich nahm die Karte bloß an einer Ecke und mit den Fingernägeln. Wer wusste schon, womit sie imprägniert sein mochte.

»Prima«, sagte ich mit geheucheltem Lächeln. »Ich muss los.«

»Ich kann es kaum erwarten, von Ihnen zu hören.«

Ja, ja. Ich schlängelte mich an ihr vorbei und achtete darauf, sie nicht zu berühren. Die beiden Vampire weiter vorn starrten mich mit verschränkten Armen ausdruckslos an. Ich hätte sie gern aus dem Weg geschoben, aber sie wichen im letzten Moment beiseite und ließen mich kommentarlos durch. Da ich wusste, dass sie meinen Abgang genauso beobachteten wie das ganze Restaurant, zwang ich mich zu einem so lässig wie selbstbewusst wiegenden Gang. Auch das Atmen nicht vergessen, dachte ich und griff nach der Türklinke, um nach draußen zurückzukehren. Zu meinem Unglück aber stieß in diesem Moment jemand die Tür von außen auf; die Türkante knallte mir ins Gesicht und traf Nase und Wangenknochen. Unwillkürlich traten mir Tränen in die Augen.

»Oh, tut mir sehr leid!« Das verschwommene Bild eines Kellners tauchte vor mir auf. Nach der Panik in seiner Stimme zu schließen, machte er sich größte Sorgen, was ich mit ihm anstellen würde, da er gewagt hatte, die Tür in dem Moment aufzustoßen, in dem ich sie hatte aufziehen wollen. Mack Smith – ein schlimmeres Ungeheuer als alle anderen.

Ich versuchte, mir meine Schmerzen nicht anmerken zu lassen, atmete laut und verärgert aus, murmelte »Nichts passiert« und schob mich an ihm vorbei in die Wirklichkeit zurück.

2

Meine Augen brannten noch, als ich ins Tageslicht trat. Ein kleiner, fester Knoten der Frustration hatte sich in meinem Magen eingenistet. Über das zu reden, was die anderen machten, war schön und gut, aber es war höchste Zeit, dass auch ich anfing, etwas zu tun. Solange ich aber keine konkreten Informationen besaß, konnte ich herzlich wenig unternehmen. Ich hatte allen im Rat Aufgaben übertragen; nun blieb mir nichts anderes, als abzuwarten, bis ihre Arbeit Früchte trug. Das gefiel mir nicht. Ich wollte nicht zu lange über das nachdenken, was die Vampirin vorgeschlagen hatte, und hatte auch keine Lust, mich in elenden Dingen zu suhlen, die ich nicht ändern konnte, in meinem kompletten Versagen Corrigan gegenüber zum Beispiel. Und herumzulungern und auf die unvermeidlichen Probleme zu warten, die mein Verwandlungsunterricht bei Tom ans Licht bringen würde, war auch keine attraktive Aussicht. Geduld war eindeutig nicht meine Stärke.

Ich könnte zur Buchhandlung Clava gehen und dort einige Stunden aushelfen. Bestimmt würde das dauernde Gezänk zwischen Mrs Alcoon und Slim Unterhaltung bieten, aber nachdem ich dem Streit der Magier, Gestaltwandler und Elfen eine gute Stunde hatte zuhören müssen, zweifelte ich daran, weitere Diskussionen aushalten zu können. Ich hatte die beiden gebeten, etwas über Totenbeschwörer auszugraben – auf die minimale Chance hin, dass eins der Bücher, zu denen sie Zugang hatten, Hinweise auf Endors Aufenthalt lieferte. Allerdings hatten sie schon zwei Tage recherchiert und nicht das Geringste gefunden, und ich rechnete nicht damit, dass sich in den letzten vierundzwanzig Stunden daran etwas geändert hatte.

Stattdessen beschloss ich, die Spinnweben aus dem Kopf zu bekommen und zu Baluds kleinem Laden zu spazieren. Er hatte die Aufgabe, eine Waffe aufzutun, die Endor besiegen konnte. Sein Fehlen bei der Besprechung am Morgen ließ mich vermuten, dass er noch nichts entdeckt hatte, aber immerhin bot sich mir so ein vages Ziel.

Die Sonne brannte sommerlich vom Himmel. Jeder Passant warf einen tanzenden Schattenfleck aufs Pflaster, und die Straßen waren voller zufriedener Touristen mit glühenden Gesichtern. Nichts davon machte mich sonderlich glücklich. Ich tat große Schritte, um mein Ziel rasch zu erreichen. Energisch weigerte ich mich, irgendwem auszuweichen. Die Entschlossenheit musste in meiner Miene gestanden haben, denn praktisch alle traten beiseite. Einmal schien ein mürrischer Teenager zu einer Mutprobe entschlossen, hielt auf mich zu und wollte seinen Kurs offenkundig beibehalten. Als er keinen Meter mehr von mir entfernt war, ließ etwas in meiner Miene ihn sich eines Besseren besinnen, und er sprang mit einem schweren Seufzer zur Seite. Ich wusste, dass ich mich idiotisch benahm, aber wenn ich schon sonst nichts in meinem Leben kontrollieren konnte, dann doch meine Laufrichtung. Nur gut, dass ich in diesem Moment die Gasse erreichte, in der Baluds Laden lag – vielleicht hätte sonst doch jemand beschlossen, sich mit mir anzulegen.

Die schmale Straße war wie üblich ausgestorben. Ich klopfte energisch an die Tür. Als nicht sofort jemand öffnete, klopfte ich wieder. Von drinnen kamen ein Klappern und gemurrte Kraftausdrücke. Immerhin war der kleine Troll zu Hause.

Als die Tür endlich aufging und Balud herausspähte, blieb ich mit in die Hüften gestemmten Armen auf der Schwelle stehen. »Haben Sie die Mitteilung nicht bekommen?«

Er musterte mich, ohne zu blinzeln.

»Hallo? Balud? Gerade hat der Rat getagt. Warum waren Sie nicht da?«

Er knallte die Tür zu. Ich konnte noch rechtzeitig zurückspringen, um nicht erneut eine Tür ins Gesicht zu bekommen. Gut. Vielleicht musste ich mich etwas beruhigen und netter sein. Ich klopfte erneut, diesmal behutsamer.

Die Tür öffnete sich ein wenig. »Tut mir leid«, rief ich durch den schmalen Spalt. »Ich hatte einen schlechten Tag. Eine schlechte Woche. Eigentlich ein schlechtes Jahr. Ich wollte nicht so gereizt klingen.«

Schweigen. Ich versuchte es erneut. »Ich hab mich bloß gefragt, ob Sie bei der Suche nach etwas, womit wir Endor besiegen können, ein Stück vorangekommen sind. Sie wissen doch, der Totenbeschwörer? Der uns womöglich alle umbringt, wenn wir ihm nicht das Handwerk legen?«

Die Tür öffnete sich ein wenig weiter.

»Sie meinten, Sie wollten nach Materialien schauen, die uns helfen könnten«, säuselte ich schmeichelnd. »Wo Sie doch den besten Laden für Waffen der Anderwelt führen.«

Schmeichelei bewirkt Wunder. Eine kleine, knotige Hand glitt durch den Spalt und winkte mich rein. Dankbar trat ich über die Schwelle, und die Tür knallte hinter mir zu. Ich fuhr erschrocken zusammen.

»Gut möglich, dass das mal der beste Waffenladen war«, knurrte der Troll. »Aber das ist er nicht mehr.«

Ich runzelte die Stirn. »Wie meinen Sie das?«

Er hielt mir einen A5-Hochglanzflyer hin. »Da.«

Ich überflog ihn: Werbung für Wolds Waffenschmiede. Größte Auswahl, beste Preise, hieß es reißerisch. »Der Laden des Batibats ist noch immer geöffnet?«, fragte ich erstaunt.

Auf diese Idee war ich noch gar nicht gekommen. Endor hatte die Batibats gezwungen, für ihn zu arbeiten, auch in Wolds Laden – und am Haughmond Hill, wo Corrigan und ich gegen ihn angetreten waren. Ich hatte Alex die Sache untersuchen lassen, um möglichst viel rauszufinden. Tatsächlich gab es nur eine Quelle für das, was wir überhaupt von Endors Masterplan wussten: das, was das Batibat in Wolds Laden Alex erzählt hatte. Ich hatte vermutet, das Geschäft sei nach unseren Entdeckungen geschlossen worden, und angenommen, Alex habe alle womöglich nützlichen Informationen zusammengetragen, die sich dort bekommen ließen. Dennoch würde es nicht schaden, dem Laden noch einen kurzen Besuch abzustatten und zu schauen, ob er etwas übersehen hatte.

»Ja, Mädchen«, rief Balud, »er ist weiter geöffnet. Und unterbietet mich bei jeder Gelegenheit.« Er wedelte mit dem Flyer vor meinen Augen herum. »Wie soll ich mit solchen Preisen mithalten? Das ist skandalös!«

»Meinen Sie, Endor hat noch Kontakt zu ihr?«, überlegte ich nachdenklich. »Unwahrscheinlich, dass er das riskiert oder sie ins Vertrauen zieht. Aber vielleicht hat sie eine Idee, wo er sich verbirgt.« Längst hätte ich sie überprüfen sollen!

Balud sah mich an, als wäre ich nicht bei Trost. »Hast du gehört, was ich gesagt habe? Sie drängt mich aus dem Geschäft.«

»Ach ja, das.« Ich nickte knapp und gab mich so forsch wie nüchtern. »Darüber kann ich mit ihr reden. Vielleicht bitte ich sie um eine weniger aggressive Preispolitik?«

»Oder du sorgst dafür, dass sie ihren Laden schließt und nie mehr ein Geschäft eröffnet.«

Unwahrscheinlich, dass der Kapitalismus so funktionierte. Trotzdem nickte ich langsam. »Ja, auch darum könnte ich sie vielleicht bitten.«

Balud musterte mich argwöhnisch aus schmalen Augen. Ich lächelte. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Versprochen.«

Er ächzte in skeptischem Einverständnis. »Was ist mit deinem Gesicht passiert?«

»Hm?« Ich war kurzzeitig verwirrt.

»Du hast einen faszinierenden Bluterguss im Gesicht.«

»Ich bin gegen eine Tür gelaufen.«

Er hob die Brauen. »Tatsächlich?«

»Tatsächlich«, antwortete ich mit leisem Aufbegehren.

Er winkte mich mit dem Finger heran. »Komm mit.«

»Eigentlich wollte ich schauen, ob Wold …«

»Bis vor fünf Minuten hattest du vergessen, dass es sie gibt. Die kann noch eine halbe Stunde warten.«

Wahrscheinlich hatte er recht. Da ich nun aber einer aussichtsreichen Spur folgen konnte, wollte ich es möglichst rasch tun. Balud warf mir einen unheilvollen Blick zu. Ich seufzte. »Na gut.«

Er führte mich zu einem kleinen Zimmer im hinteren Bereich des Hauses. »Hier rein.«

Ich drückte die Tür auf. Sie knarrte drohend, und ich sah den Troll misstrauisch an. Er verdrehte die Augen und schob sich an mir vorbei. Achselzuckend folgte ich ihm und gab mir Mühe, flach zu atmen. Es roch modrig und nach Schimmel und war so dunkel, dass ich praktisch nichts sah. Ich hörte ein Krabbeln und Fluchen, dann war es so gleißend hell, dass ich blinzeln musste, um mich an die abrupte Veränderung zu gewöhnen. Balud drückte mir etwas in die Hände. Ich sah nach unten: ein kleiner, gesprungener Handspiegel.

»Na los. Schau rein.«

Ausnahmsweise tat ich, wie mir geheißen, und musterte mein Spiegelbild. Oha! Ein purpurner Bluterguss reichte quer über die Nasenwurzel bis unter mein rechtes Auge. Es sah aus, als hätte ich einige Schläge ins Gesicht bekommen. Ich betastete die Stelle vorsichtig und zuckte zusammen.

»Wow.«

»Allerdings.«

Auch mein Auge schwoll beunruhigend zu. Kein Wunder, dass der Teenager mir vorhin so unversehens ausgewichen war. Selbst ich musste zugeben, dass ich furchterregend aussah.

»Sie haben vermutlich kein Eis, womit ich das kühlen könnte?«

»Nein.«

»Nicht mal gefrorene Erbsen?«

»Nein.«

»Ein Steak vielleicht?«

Sein Blick war Antwort genug. Ich ließ den Spiegel sinken. Na gut. Dagegen war wohl nicht mehr viel zu machen.

»Aber ich habe eine schöne Auswahl an Sturmmützen«, bemerkte Balud.

Ich warf ihm einen raschen Blick zu. Er hob begütigend die Hände. »Schon gut – war nur eine Idee.«

Räuspernd sah ich mich um. »Was ist das für ein Raum?«

»Mein Büro. Ich habe hier etwas, das dich interessieren könnte. Ich wollte es dir auf der Ratsversammlung zeigen, aber dann wurde der Flyer unter der Tür durchgeschoben und hat mich abgelenkt.« Er schob Unterlagen hin und her, nahm erst ein Bündel in die Hand, dann ein anderes. »Es muss hier irgendwo sein.«

Staub wirbelte auf. Unwillkürlich rang ich nach Luft, und meine Augen begannen zu brennen. Balud hielt inne und sah zu mir hoch. »Machen deine Augen das immer?«

»Ob sie tränen? In letzter Zeit ziemlich oft, ehrlich gesagt.«

»Nicht das.« Seine Stimme klang seltsam.

Verblüfft musterte ich ihn. »Was dann?«

Er sah mich weiter an, zuckte die Achseln und wandte sich wieder seiner Beschäftigung zu. »Vergiss es.«

»Balud …«, begann ich mahnend.

»Da ist es!« Triumphierend hielt er ein fleckiges Blatt hoch.

Von Neugier gepackt, überflog ich es. Einen Moment war ich wie vor den Kopf geschlagen. »Die Palladium-Figur? Aber das ist doch …«

»Nein, nein, nein«, brummte Balud. »Vor ›Palladium‹ gehört kein Artikel – es geht nicht um die Statue, sondern um das Metall. Man sagt ja auch Gold, nicht das Gold. Oder Silber, nicht das Silber. Oder eben Palladium. Das ist ein Element, ähnlich wie Platin. Meinen Recherchen zufolge haben die Menschen es erst vor wenigen Jahrhunderten entdeckt. Hier steht aber, es wurde schon im fünfzehnten Jahrhundert verwendet, um einen Totenbeschwörer zu vernichten, der im ländlichen Frankreich umherzog. Heute wird es für Schmuck benutzt, in der Zahnheilkunde, in Katalysatoren von Autos.«

»Sprache ist schon irgendwie seltsam«, sagte ich mehr zu mir als zu Balud.

»Und du bist ein seltsames Mädchen.«

»Tun Sie mir einen Gefallen, Balud, und nennen Sie mich Mack.«

Er zuckte die Achseln. »Ja – Sprache ist schon irgendwie seltsam. Warum haben deine Eltern dich Mackintosh genannt?«

Ich warf ihm einen bösen Blick zu. »Sie wissen genau, dass ich Mackenzie heiße.« Ich konzentrierte mich wieder auf das fleckige Papier. »Sie meinen, das funktioniert? Eine Waffe aus Palladium setzt Endor zu?«

»Ich muss noch weiter recherchieren. Aber offenbar haben wir eine probate Waffe entdeckt.«

»Und haben Sie davon welche?«

»Wovon?«

»Waffen aus Palladium«, erklärte ich ungeduldig. »Je mehr wir unter uns verteilen, desto besser.«

Er stieß ein Lachen aus. »Warum sollte ich Waffen aus Palladium besitzen? Das ist ein weiches Metall. Solange man sich nicht gegen einen Totenbeschwörer verteidigt, ist es zu keinem Kampf tauglich. Außerdem ist es sehr teuer.«

Ich holte tief Luft und zwang mich zur Ruhe. »Könnten Sie ein paar Waffen aus diesem Metall herstellen?«

»Mädchen, ich bin ein hervorragender Waffenschmied. Ich kann alles herstellen.«

»Prima. Dann fangen Sie mit fünfzig Stück an, in bunter Mischung: einige Schwerter, einige Dolche, aber auch Kugeln und Pfeile. Ich schätze, Bogen und Revolver brauchen nicht aus Palladium zu sein, nur die spitzen, gefährlichen Teile, die in den Leib dringen.«

Balud hob den Zeigefinger. »Und woher bekomme ich das Metall? Soll ich mal bei meinem Palladiumhändler um die Ecke vorbeischauen?«

»Sie sagten, es wird für Schmuck, in der Zahnheilkunde und für Autos verwendet. Also muss es frei zugänglich sein. Bestellen Sie’s einfach online.«

»Und wer zahlt das?«

Verblüfft musterte ich ihn. »Hier geht es darum, die Welt zu retten! Wen interessiert da, wer zahlt?«

Balud zuckte die Achseln. »Jemand muss die Bestellung bezahlen. Und das Zeug ist wirklich nicht billig.«

»Gut«, sagte ich verärgert. »Ich besorg Ihnen das Geld. Indem ich mein Sparschwein schlachte oder so.«

»Sagt das Mädchen, das sich letzten Monat keine zwei Silberdolche leisten konnte.«

»Ich besorg Ihnen das Geld, okay?«

Ich musste nur die Mitglieder des Rats dazu bringen, Mittel lockerzumachen. Wie schwer konnte das sein? Zwar waren die Magier ziemlich pleite, aber die Gestaltwandler hatten jede Menge Geld, und die Elfen waren sicher reich. Es dürfte nicht weiter schwierig werden. Und wenn ich mit dem Rat sprach, konnte ich vermeiden, direkt mit der Sommerkönigin oder dem Erzmagier zu verhandeln. Oder mit Corrigan. Er hatte gesagt, er wolle mich nie mehr sehen, und ich würde seinen Wunsch respektieren. Vorerst. Wenn Endor aber ausgeschaltet wäre … Ich presste die Lippen zusammen.

»Ich kläre das und komme wieder. Gibt es noch was?«

Er reckte den Kopf hoch. »Ich glaube, dein Bluterguss schwillt immer mehr an.«

Ich warf ihm einen düsteren Blick zu. »Wie dem auch sei. Ich gehe zu Wold.«

»Sag ihr, sie soll ihren Laden zumachen oder du wirst zum Drachen und deckst sie mit Feuer ein!«

»Das soll ein Geheimnis bleiben«, brummte ich gereizt.

»Kein sonderlich gut gehütetes Geheimnis.«

Knurrend machte ich kehrt und fand allein hinaus.

3

Es kostete mich weit über eine Stunde, um mit der U-Bahn zu Wolds Laden zu kommen. Ich fing mir manchen seltsamen Blick ein, sicher eine Folge des großen Blutergusses, der nun in meiner Wange zu pochen begann. Mein Auge schwoll immer mehr zu, und bald war mein Sehvermögen beeinträchtigt. Ich konnte nur hoffen, dass die seitliche Begrenzung meines Sichtfelds nichts und niemand Unerwünschtem erlaubte, mich unversehens zu attackieren. Einmal gab mir eine freundliche Frau mit Lachfalten um die Augen, die einen tiefen inneren Schmerz kaschierten, die Visitenkarte eines Frauenhauses.

»Es ist nie zu spät, um Hilfe zu bitten.«

Ich lächelte nur matt und bedankte mich. Einem fremden Menschen zu erklären, dass ich tatsächlich gegen eine Tür gelaufen war, erschien selbst mir lächerlich. Der Bluterguss würde hoffentlich weit genug zurückgehen, ehe ich wieder ins Alcazon müsste, um mich erneut mit dem Rat oder anderen Anderweltlern zu treffen. An nichts lag mir weniger als daran, dass mein krasser Ruf sich noch mehr verfestigte. Mir war klar, dass die Folge davon vermutlich nur ein Haufen ärgerlicher Herausforderer wäre, die sich nur mit mir messen wollten, um ihre Tapferkeit zu beweisen. Auf diesen Aufwand konnte ich gut verzichten.

Ich musste den Rat indes wegen Geld für den Erwerb des Palladiums konsultieren, das Voraussetzung zur Herstellung eines unschlagbaren Waffenarsenals war. Eine sorgfältig formulierte Mail würde wohl reichen. Auf diese Weise müsste ich mit niemandem reden, denn mein Kopf war dem Ansturm ihrer Einwände heute wohl noch nicht gewachsen. Ich kam zu dem Schluss, dieses kleine Problem zu lösen, wenn ich wieder zu Hause war, und konzentrierte mich auf die anstehende Aufgabe, das Batibat dazu zu bringen, mir beim Aufspüren von Endor zu helfen. Der Erfolg, den Alex in der vergangenen Woche bei Wold gehabt hatte, legte nahe, auch ihn an diesen Bemühungen zu beteiligen. Deshalb suchte ich, kaum dass ich aus der U-Bahn gestiegen war, ein Telefon. Ich musste mir wirklich endlich ein Handy zulegen.

Schließlich fand ich vor dem Bahnhof eine vertraute rote Telefonzelle, kramte in meinen Taschen nach Kleingeld und steckte es in den Apparat. Der übliche Song der Beach Boys kam aus dem Hörer, dann sprang die Voicemail an.

»Hallo, Kumpel, leider kann ich nicht ans Telefon, aber hinterlass eine Nachricht – ich ruf umgehend zurück.«

Ich verdrehte die Augen. »Alex, ich bin’s, Mack. Triff dich bitte möglichst bald mit mir im Laden des Batibats. Schnellstens, um genau zu sein. Ich muss mit Wold noch mal über Endor reden, und dein Fachwissen wäre sehr erwünscht.«

Ich legte auf. Es ging weniger um sein Fachwissen als darum, dass er sehr männlich war, was das Batibat wohl dazu gebracht hatte, ihm Geheimnisse anzuvertrauen. Eigentlich aber kam es darauf nicht an. Alles, was sich von ihr zusätzlich darüber erfahren ließe, wie ich Endor aufspüren konnte, wäre gut. Und es war klar: Je früher ich den irren, Tote beschwörenden Serienmörder fand, desto eher konnte ich mein Leben wieder in die Spur bringen. Oder Corrigan dazu veranlassen, mir zu vergeben, damit wir dort weitermachen konnten, wo wir aufgehört hatten.

Ich machte mich auf den Weg zum Laden. Zum Glück hatte auf dem Flyer, mit dem Balud so ungeniert gewedelt hatte, eine Adresse gestanden, und die Londoner Stadtbezirke stellten dankenswerterweise an den Bahnhöfen Stadtpläne auf, um verlorenen Seelen wie mir die Orientierung zu erleichtern. Wolds kleines Reich lag natürlich in einer ruhigen Seitenstraße, die von der baumbestandenen Durchgangsstraße abzweigte. Es war die Art von ruhiger Wohnzeile, in der unheimliche Scheusale der Anderwelt herumlungern konnten, ohne fürchten zu müssen, von nervtötenden Menschen belästigt zu werden. Kaum war ich in die Straße gebogen, stieg mir der penetrante Gestank von verwesendem Fleisch in die Nase, und die Schatten wurden unvermittelt dunkler. Oha! Es kam mir sogar so vor, als habe sich der Himmel unversehens dramatisch verdunkelt, doch das bildete ich mir sicher nur ein.

»Hier gibt’s böse Buben«, murmelte ich leise und blieb plötzlich stehen, weil mir eine Gestalt auffiel, die ein Stück vor mir an einer Mauer lehnte. Interessant. Ob das ein wartender Kunde war? Oder ein Wachmann? Vorsichtig griff ich hinter mich, zog die Dolche aus dem Futteral an meinem Rücken und verbarg sie in den Falten meiner Ärmel. Es konnte nicht schaden, vorbereitet zu sein.

Kaum war ich drei weitere Schritte gegangen, stieß die Gestalt sich von der Mauer ab. Die Schatten verbargen noch immer die Identität, doch es handelte sich eindeutig um einen groß gewachsenen Mann.

»Nicht näher kommen«, rief eine abweisende Stimme.

Meine Mundwinkel hoben sich. Großartig. Kein Kunde, sondern jemand, den ich aushorchen konnte, sobald ich ihn vermöbelt hatte. Den ganzen Tag wollte ich schon Spannung abbauen. So wurde ich vielleicht sogar mein Kopfweh los. Die Lage schien sich zu bessern.

Ich ging weiter.

»Sie haben mich gehört«, knurrte die Stimme. »Kehren Sie dahin zurück, wo Sie hergekommen sind.«

Holla, wie unheimlich. Ich nahm die Dolche fester in die Hände, verlagerte das Gewicht und ging weiter. Langsam gewöhnten meine Augen sich an die Dunkelheit. Sollte ich schauen, um wen es sich handelte? Oder erst mein Silber fliegen lassen und dann fragen? Hitziges Kribbeln tanzte durch meine Adern. Ob vielleicht etwas mit mir nicht stimmte, da ich mich so nach etwas Action sehnte? Innerlich zuckte ich indes die Achseln. Niemand ist vollkommen.

Leider trat die Gestalt in diesem Moment einen Schritt vor in einen trüben Sonnenfleck, und ich merkte, um wen es sich handelte: nur um einen Gestaltwandler. Corrigan hatte ihn vermutlich geschickt, damit er den Laden beobachtete. Mein gesundes Auge blinzelte ihn an. Er sah aus wie ein Wolf, schlank und muskulös, hatte aber eine zottelige Mähne. Ich entspannte mich, fluchte innerlich jedoch ein wenig.

»Schon gut«, rief ich und steckte die Waffen ein. »Ich bin’s. Äh, Mack. Mack Smith. Ich bin in offizieller Angelegenheit hier.«

»Ma’am, ich bitte Sie jetzt noch mal. Drehen Sie um und gehen Sie. Dieses Gebiet ist tabu.«

Meine Augen wurden schmal. Was sollte das jetzt? Ich war Vorsitzende des Rats und ermittelte gegen den Boss des Batibats. Dieses Gebiet war für mich sicher nicht tabu. Und ich war sicher keine ›Ma’am‹.

»Vielleicht hast du mich nicht verstanden«, erwiderte ich und bemerkte die heiße Wut in meiner Stimme. »Ich bin Mack Smith. Ich habe jedes Recht, hier zu sein. Wenn du mir nicht glaubst, ruf deinen Boss an und vergewissere dich.«

»Ich weiß, wer Sie sind, Miss Smith, und habe strikte Weisung, Sie nicht näher kommen zu lassen.«

Ich blieb abrupt stehen, vor allem aus Bestürzung. Im Ernst? Zwar war Corrigan enorm sauer auf mich, durfte mich aber nicht davon abhalten, meine Arbeit zu machen. Für wen hielt er sich? Ich hatte über das Oberhaupt der Bruderschaft schon manches gedacht, ihn aber nie für kleinlich gehalten. Glaubte er tatsächlich, ein erbärmlicher Wolf ließe mich meinen unsichtbaren Drachenschwanz zwischen den Beinen einziehen und umdrehen? Es sah so aus, als würde ich hier noch Spaß bekommen.

Ich zog die Dolche wieder raus und ging weiter auf den Mann zu. »Du kommst schon noch auf die Idee, mir aus dem Weg zu gehen.«

»Ma’am …«

»Nenn mich nicht so.«

Ich ließ ein Messer durch die Luft sausen und traf den Unterschenkel. Der Werwolf schrie vor Schmerz, griff nach dem Heft und zerrte die Waffe aus seinem Fleisch. Um ehrlich zu sein: Ich hatte nicht sehr energisch geworfen, und eigentlich heulte er nur wegen der Messerspitze. Ich wollte ihn nicht böse verwunden; schließlich befolgte er offenkundig nur einen Befehl – so dumm der sein mochte –, und Silber bereitete Gestaltwandlern schon dann furchtbare Schmerzen, wenn sie es nur berührten. Aber ich musste mich Corrigans Herablassung gegenüber behaupten: Komm mir gefälligst nicht in die Quere.

Vorsichtig nahm ich dem Gestaltwandler den Dolch ab und trat über seinen sich krümmenden Körper weg. »Tut mir leid«, brummte ich. »Klär das mit deinem Boss.«

Ich ließ ihn liegen, schob beide Waffen wieder in das Futteral am Rücken und ging sehr wachsam zur Ladentür. Corrigan war sicher nicht so dumm zu denken, ein armseliger halbwüchsiger Wolf könne mich aufhalten, ob er nun Mitglied der großen, Furcht einflößenden Bruderschaft war oder nicht. Hier musste es weitere Gestaltwandler geben, und ich würde nicht zulassen, dass einer von ihnen mich auch nur im Ansatz ausstach. Beim Betrachten von Wolds eingetretener Ladentür ahnte ich, wo sie sich aufhielten. Und das verärgerte mich wirklich.

Mit der Schuhspitze drückte ich die Tür vorsichtig auf, bis Platz war, um hineinzuschlüpfen. Aus dem Gebäude drangen gedämpfte, aber wütende Stimmen. Bingo. Ich arbeitete mich langsam vor und achtete darauf, möglichst leise zu sein, um zu erfahren, was mich erwartete. Trotz der offenbaren Verwüstung, die Corrigans Leute hinterlassen hatten, war klar, dass das Batibat einen erheblich aufgeräumteren und saubereren Laden führte als Balud. Natürlich lebte Balud auch nicht in der dauernden Angst, dass ihm ein verrückter Totenbeschwörer all seine Lebenskraft raubte. Das allein gab wohl schon genug Ansporn, täglich alles abzustauben.

Die Stimmen drangen aus einem Zimmer am Ende des Flurs, dessen Tür halb offen stand. Ich schob mich heran und achtete darauf, dicht an der gegenüberliegenden Wand zu bleiben, um keinen Schatten zu werfen, der meine Anwesenheit vorzeitig verraten konnte. Was mochte Corrigan im Schilde führen? Ein paar Worte drangen an mein Ohr. Anscheinend redeten nur Gestaltwandler.

Um besser mithören zu können, schlich ich an die Tür und neigte den Kopf zur Seite.

»Früher oder später sagst du uns sowieso alles«, bellte eine stählerne Stimme.

Dieser Satz stammte ja wohl aus einem Hollywoodfilm. Sonderlich feinsinnig waren die Kerle wirklich nicht.

»Aber ich weiß doch gar nichts.«

Ich vermutete, dass Wold diese Antwort gegeben hatte, und schob mich etwas vor, um durch den Spalt an der Türangel zu schauen. Das Batibat kauerte auf einem Stuhl, den drei Gestaltwandler umstanden. Gerade holte der, der mir den Rücken zuwandte, aus und schlug dem Batibat ins Gesicht.

»Hör zu, du hässliches Miststück. Du sagst uns, wo dein Boss sich versteckt, und zwar auf der Stelle.«

Ich fuhr zusammen. Brutale sexistische Einschüchterung. Warum sie annahmen, auf diese Weise Informationen gewinnen zu können, über die das Batibat vermutlich überhaupt nicht verfügte, war mir schleierhaft. Eine Ranke aus Blutfeuer legte sich um mein Herz. Vielleicht war Corrigan gar nicht so nett und ausgeglichen, wie ich angenommen hatte? So oder so – ich würde das auf keinen Fall länger andauern lassen.

Ich schlug an die Wand, und die vier fuhren zusammen. Dann trat ich vor und riss die Tür so energisch auf, dass sie an die Mauer krachte. Die Gestaltwandler gingen in Angriffsposition und bleckten die Zähne. Wold, die dem Batibat am Haughmond Hill bemerkenswert ähnelte, warf sich mit weit aufgerissenen Augen auf dem Stuhl zurück, als wollte sie sich möglichst weit von der neuen Bedrohung entfernen.

»Er meinte ja, sie würde vielleicht auftauchen«, knurrte der rechte Gestaltwandler.

»Damit hatte er wohl recht«, gab ich zurück, tat einen Sprung, traf ihn mit einem Scherenschlag gegen die Brust und streckte ihn zu Boden. Stöhnend wollte er aufstehen, sackte aber wieder zusammen und hielt sich den Oberkörper.

Das vertraute Kribbeln in den Fingerspitzen meldete die Rückkehr meines grünen Feuers. Ich lächelte freudlos und schleuderte meinem linken Gegner, der schon die Gestalt wandelte, einen Lichtstrahl entgegen. Sofort flammte sein sich bildendes Fell auf. Der Mann schrie, stürzte zu Boden und rollte sich in dem vergeblichen Bemühen, das Feuer zu löschen, nach rechts und links. Damit blieb nur noch der Schlägertyp übrig. Er warf sich direkt auf mich, weil ihm anscheinend klar war, dass der Abstand zu klein und die Zeit zu kurz war, um seine effektivste Angreifergestalt anzunehmen. Aber es war egal, wofür er sich entschied. Ich nutzte meine Energie so, dass Thomas, mein alter Lehrer, stolz gewesen wäre, streckte einfach nur eine Hand aus und packte ihn an der Kehle.

»Das war fast enttäuschend einfach.« Ich zog sein Gesicht zu mir heran. »Jetzt sag mir: Was willst du damit erreichen, eins von Endors Opfern zu foltern?«

Er rang mit hervortretenden Augen nach Luft. Ich schüttelte ihn. »Das hab ich leider nicht verstanden. Du musst lauter sprechen.«

Hinter mir knarrte ein Dielenbrett. Hier waren offenbar mehr Gestaltwandler als angenommen. Schon wollte ich mit der freien Hand einen Dolch aus dem Futteral ziehen und nach der Person hinter mir werfen, als eine vertraute, mir den Magen aufwühlende Stimme erklang, die vor Abscheu triefte.

»Lass meinen Wolf los, Kätzchen.« Pause. »Sofort.«

4

Langsam drehte ich mich um und behielt den sich windenden Gestaltwandler dabei fest im Griff. Hatte ich Corrigan nicht aus dem Weg gehen wollen?

»Mylord«, sagte ich mit vor Gift triefender Stimme.

Das Oberhaupt der Bruderschaft machte ein überraschtes Gesicht und fixierte mich dann mit jadegrünen Augen hart und gefühllos. Ich empfand leise Befriedigung darüber, dass Corrigan dunkle Ringe um die Augen hatte, doch mich irritierte, dass er trotz seines offenkundigen Schlafmangels noch so gut aussah. Bis vor zehn Minuten hätte es mich erregt, ihm unverhofft zu begegnen; nachdem ich die Befragung des Batibats miterlebt hatte, waren meine Gefühle indes nicht mehr so eindeutig.

»Lass ihn los«, wiederholte er.

Ich hob die Brauen. »Zwingen Sie mich doch.«

Seufzend fuhr Corrigan sich mit gebräunter Hand durchs pechschwarze Haar. »Mackenzie, mach mein Leben nicht komplizierter, als es schon ist. Lass ihn los und verschwinde. Ich kümmere mich von jetzt an um die Angelegenheit.«

Ich knurrte. »Sie übernehmen die Sache? Was soll das heißen? Dass Sie dem Batibat mit glühenden Eisen zu Leibe rücken, um ihm alle erdenklichen Informationen abzupressen? Diese Frau ist ebenso Opfer wie wir! Wie können Sie es wagen, Ihre Leute hierher zu schicken, um sie wie einen feindlichen Kämpfer zu behandeln? Was gibt Ihnen das Recht? Die hoheitsvolle Bruderschaft, die angerückt ist, die Lage zu retten und Unschuldige zu foltern – verschafft Ihnen das Befriedigung?«

Aus seinen Augen sprühte blanke Wut, dann rasselten die Rollläden runter und verbargen seine Gedanken. »Jetzt hältst du uns wieder für Ungeheuer? Hast deine Meinung schnell geändert.« Er sprach leise, klang aber stählern und drohend.

»Was soll ich sonst denken? Das sind Gestapo-Methoden! So dürfen Sie niemanden behandeln, Corrigan!«

»Sie ist ein Batibat, im technischen Sinne also nicht mal eine Person«, erwiderte er sanft.

»Sie wissen, was ich meine. Was Endor getan hat und immer noch tut, ist nicht Schuld des Batibat!« Ich stieß die Worte hervor und war noch immer entsetzt, zu welchen Untaten Corrigan die Gestaltwandler hergeschickt hatte.

»Sie ist nicht völlig unschuldig«, mahnte er mich. »Wir wissen, dass er den Laden genutzt hat, um das Geld für seinen Feldzug zusammenzubekommen. Und gegenwärtig ist diese Frau unsere beste Spur.«

»Und diese Spur zu Brei zu schlagen, das soll helfen?«

Wold stieß ein Quieken aus. Ich drehte mich nicht zu ihr um, sondern packte den Hals des Gestaltwandlers noch fester. Er keuchte, gab aber sonst keine Geräusche von sich; sein Blick war auf seinen Herrn und Meister gerichtet.

Corrigan trat einen Schritt auf mich zu, und prompt roch ich sein Aftershave. Die vertraute berauschende Wirkung brachte meine Sinne kurz ins Wanken, und ein Wirbel heißen Blutfeuers stieg aus meiner Magengrube auf.

»Ich hab nicht gewusst, was hier geschieht.«

»Unsinn!«, donnerte ich. »Die Gestaltwandler hier waren angewiesen, nach mir Ausschau zu halten und mich nicht ins Haus zu lassen. Das haben Sie angeordnet. Nur Ihretwegen sind sie überhaupt hier.«

Corrigan ballte die Fäuste. »Raus hier.«

»Ich hab schon gesagt, dass ich nirgendwo hingehe, solange ich keine Antworten bekommen habe. Sie können nicht …«

Ich verstummte, als mir klar wurde, dass er nicht mich gemeint hatte. Die beiden Gestaltwandler am Boden rappelten sich unter Schmerzen mit niedergeschlagenem Blick auf und tippelten aus der Tür. Corrigan sah mich mit hochgezogenen Brauen an. Seufzend ließ ich den Wolf los. Er sackte zu Boden, stieß ein Jaulen aus, das nicht zu seiner Menschengestalt passte, und flüchtete auf allen vieren.