Hex Files - Wilde Hexen - Helen Harper - E-Book

Hex Files - Wilde Hexen E-Book

Helen Harper

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Beschreibung

Licht! Kamera ... und etwas Zauber-Action!

Ivy Wilde, die faulste Hexe von Oxford, befindet sich noch immer in den bürokratischen Fängen des Heiligen Ordens der Magischen Erleuchtung. Was tatsächlich nur noch so semi-schlimm ist, denn so kann Ivy ungehindert Zeit mit Raphael Winter, ihrem saphirblauäugigen Untergang, verbringen. Als er dann noch ihre Fähigkeiten benötigt, um für ihn am Set der Serie Verwünscht (Ivys absolute Lieblingsshow!) zu spionieren, ist Ivy sofort Feuer und Flamme. Denn wenn man etwas so sehr liebt, dann kann der Auftrag auch nicht schwer werden. Oder gefährlich. Oder etwa doch ...?



"Ich LIEBE dieses Buch, es hat so viel Spaß gemacht, es zu lesen!" Under The Covers

Band 2 der Hex-Files-Serie von Helen Harper!

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Seitenzahl: 389

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Hierarchie des Heiligen Ordens der Magischen Erleuchtung

1

2

3

4

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6

7

8

9

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Epilog

Die Autorin

Die Romane von Helen Harper bei LYX

Leseprobe

Impressum

HELEN HARPER

Hex Files

WILDE HEXEN

Roman

Ins Deutsche übertragen von Andreas Heckmann

Zu diesem Buch

Ivy Wilde, die faule Hexe des Westens, befindet sich noch immer in den bürokratischen Fängen des Heiligen Ordens der Magischen Erleuchtung. Was tatsächlich nur noch so semi-schlimm ist, denn so kann Ivy ungehindert Zeit mit Raphael Winter, ihrem saphirblauäugigen Untergang, verbringen. Als er dann noch ihre Fähigkeiten benötigt, um für ihn am Set der Serie Verwünscht (Ivys absolute Lieblingsshow!) zu spionieren, ist Ivy sofort Feuer und Flamme. Und wenn man etwas so sehr liebt, dann kann der Auftrag auch nicht schwer werden. Oder gefährlich. Oder etwa doch …?

Hierarchie des Heiligen Ordens der Magischen Erleuchtung

Erste Stufe

Neophyt

Zelator

Theoreticus

Practicus

Philosophus

Zweite Stufe

Adeptus Minor

Adeptus Major

Adeptus Exemptus

Dritte Stufe

Magister Templi

Magus

Ipsissimus

1

2

Nachdem der Ipsissimus gegangen war, schwiegen Winter und ich so lange, dass die Stille schwer und unbehaglich wurde.

»Wie ist es Ihnen ergangen?«, fragte er schließlich.

»Gut.« Ich zögerte. »Und Ihnen?«

»Gut.«

Wieder breitete sich verlegenes Schweigen aus. Seufzend kratzte ich mir den Nacken. Das könnte auch besser laufen. »Wie geht es Prinzessin Parma Periwinkle?«, erkundigte ich mich nach seiner Katzengefährtin mit dem albernen Namen.

»Prima. Allerdings wird sie während der Ermittlungen in Oxford bleiben. Reisen bekommen ihr nicht.«

»Mmm.« Ich zermarterte mir das Hirn auf der Suche nach einem Gesprächsthema. »Haben Sie eine neue Stelle angetreten?«, fragte ich schließlich. Winter runzelte die Stirn. »Sie waren doch für Diebstahl zuständig. Mord ist eine ganz andere Baustelle.«

Er zuckte vage die Achseln. »Mir wurde ein anderes Ressort zugewiesen. Ich bin weiter in der Arkanen Abteilung, aber nachdem unser gemeinsamer Auftrag neulich mit dem Tod eines Adeptus Exemptus zu tun hatte und wir den Fall lösen konnten …«

»… haben Ihre Vorgesetzten Ihre Fähigkeiten erkannt«, beendete ich seinen Satz, »und Ihnen einen noch namhafteren Posten überlassen.« Er nickte, und ich hob eine Braue. »Sollen Sie Abteilungsleiter werden?« Wer Chef der Arkanen Abteilung war, hatte wirklich berauschende Höhen erklommen.

Winter tippte nervös mit dem Fuß auf. »Bei uns gibt es viele fähige Hexen. Und Magus Phelps dürfte nicht so bald in den Ruhestand gehen. Ich bin weiter nur auf der Zweiten Stufe, Ivy.«

»So wie viele Abteilungsleiter.«

»Nicht bei uns.«

Ich schürzte die Lippen. »Also arbeiten Sie an Ihrer Beförderung auf die Dritte Stufe?« Höher konnten Hexen nicht steigen. Winter würde diese Stufe zweifellos bald erreichen, obwohl er noch recht jung war.

»Wollen Sie mir davon abraten?«, erwiderte er kühl. »Ehrgeiz ist keine Krankheit, wissen Sie.«

Ich hob die Hände. »An so was würde ich nie denken! Sie wären sicher ein guter Ressortleiter, Rafi.« Absichtlich nannte ich ihn beim Vornamen, um zu sehen, wie er reagierte. Außer einem schwachen Flackern in seinen Augen war nichts zu bemerken. »Und Ihre Fähigkeiten sind Ihren Aufgaben bestimmt mehr als angemessen.« Er sah mich an, als glaubte er, ich würde mich über ihn lustig machen.

Wie waren wir nur an diesen Punkt gekommen? Verlegen verzog ich das Gesicht. »Und Sie wollen wirklich nichts trinken?«

»Haben Sie Tequila da?« Seine Stimme klang seltsam. Sofort fiel mir ein, dass wir Tequila getrunken hatten, bevor wir miteinander im Bett gelandet waren.

Ich schnappte nach Luft. »Nein. Aber ich kann welchen besorgen, falls Sie …«

3

Ich nahm Brutus mit. Nicht, dass ich Eve nicht zugetraut hätte, sich in meiner Abwesenheit um ihn zu kümmern; eher misstraute ich Brutus, was Eve anging. Er war nicht sonderlich begeistert, wie eine gewöhnliche Katze in seine Transportbox geschoben zu werden, doch seine Laune besserte sich, als ich ihm mitteilte, dass es nicht zum Tierarzt ging. Allerdings verschwieg ich ihm, wie lange es dauern würde, bis wir endlich in Tomintoul angekommen wären. So viele Hexen es auch gab: Keine hatte je einen Besen zum Fliegen gebracht. Vielleicht würde uns das eines Tages mal gelingen.

Um den Eindruck zu erwecken, eine arme Nichthexe und bereit zu sein, unsinnig viele Stunden zum Mindestlohn zu arbeiten, nahm ich den Zug und reiste scheinbar allein. Die Fahrt in den Norden Schottlands dauerte lange, und ich musste mehrmals umsteigen. Es war schön, einfach dazusitzen und sich zu entspannen. Etwa im Stundentakt kam jemand mit einem Wagen durch den Zug und verkaufte Junkfood, bot aber auch Tee an, der so stark war, dass der Löffel darin stand. Ich kam zu dem Schluss, meine Zeit schon so manches Mal viel schlechter verbracht zu haben. Jedenfalls bis zu dem Moment, als sich in Crewe jemand neben mich setzte.

Ich habe nichts gegen andere Personen. Meine Teilnahmslosigkeit wird zwar bisweilen als Menschenfeindlichkeit missdeutet, aber eigentlich bin ich gar nicht so schlimm. Sonst wäre ich eine lausige Taxifahrerin. Wenn ich aber neben einem Mann sitze, der die Beine fast so weit spreizt, wie es anatomisch nur möglich ist, mich gegen das Fenster drängt und dann einschläft, wobei sein Kopf auf meine Schulter sackt, werde ich doch recht empfindlich.

Zweimal wollte ich ihn mir vom Leib schieben, aber allen Bemühungen zum Trotz blieb er, wo er war. Schlimmer noch: Als ich ihm schließlich einen kräftigen Stoß in die Rippen gab, begann er obendrein zu schnarchen, und nicht auf die feine Art. Nein, er klang wie ein Warzenschwein, das den Teufel aus dem Schlaf reißen will.

Auch Brutus war verärgert und schlug mit scharfen Krallen aus seiner Transportbox nach dem raumgreifenden Unhold, konnte aber ebenfalls nichts gegen ihn ausrichten, was schon erstaunlich war. Ich schüttelte den Kopf. So ging es nicht weiter. Ich hätte meinen lauwarmen Tee in seinen Schoß schütten können, doch das wäre bloße Verschwendung eines leckeren Getränks gewesen.

Ich brauchte etwas Organisches. Nach der Aufhebung unserer magischen Bindung hatte ich mich ein, zwei Wochen mit Kräuterkunde beschäftigt – nicht, weil mir diese Magie besonders gefiel, sondern weil Winter sie so schätzte. Am Ende hatte ich mich allerdings nur noch geärgert, weil nie die nötigen Kräuter zur Hand waren, und meine Bemühungen bald eingestellt.

In der vagen Hoffnung, vielleicht ein paar nützliche Krümel aufzutun, kramte ich in meinen Jackentaschen. Leider waren sie leer, von zerknülltem Bonbonpapier mal abgesehen. Dann entdeckte ich unter dem Sitz vor mir Chipsreste. Sie waren sicher nicht perfekt geeignet, mit etwas Glück aber penetrant aromatisiert, am besten mit Cheese & Onion. Der Rest eines Eiersandwichs mit Mayonnaise oder ein Garnelenschwanz wären zwar noch besser gewesen, aber dafür war der Zug etwas zu sauber. Ich musste mit dem arbeiten, was ich hatte.

Ich streckte ein Bein an Brutus’ Transportbox vorbei aus, erwischte ein paar Chipskrümel und schob sie mit den Zehen zu mir, was angesichts meiner beengten Lage eine stramme Leistung war. Dann skizzierte ich die nötige Rune.

Binnen Sekunden erfüllte die Magie ihre Aufgabe, und ein grausiger Geruch nach verrottetem Gemüse und verwesendem Fisch stieg auf. Wer zuvor dort gesessen hatte, war offenbar nicht mit Cheese & Onion zufrieden gewesen, sondern hatte zu Chips mit Garnelen-Aroma gegriffen. Das wäre mir nie in den Sinn gekommen, doch für die Situation war es perfekt.

Der Geruch wurde zur Gestankwolke. Endlich würgte auch mein nerviger Reisegefährte mitten in einem Schnarcher und riss die Augen auf. Ja, es war ekelerregend. Ich wandte den Kopf in seine Richtung und gab mich möglichst verlegen. »Tut mir sehr leid«, murmelte ich, »aber ich habe eine Magen-Darm-Grippe und schreckliche Blähungen.«

Er zog die Mundwinkel herunter, und ihm schien leicht übel zu sein.

»Keine Sorge«, beschwichtigte ich ihn. »Das ist zwar ansteckend, dauert aber selten länger als ein paar Stunden. Am späteren Nachmittag riechen Sie kaum noch was, und die Wahrscheinlichkeit, dass Sie sich meine Symptome einfangen, liegt nur bei zwanzig Prozent.« Ich hielt inne. »Oder doch eher bei fünfunddreißig.«

Der Mann presste die Lippen aufeinander. Dann nahm er wortlos seine Tasche und suchte sich einen neuen Platz, hoffentlich in einem anderen Waggon.

Gut gemacht, Ivy! Ich lächelte in mich hinein, obwohl der von mir geschaffene Geruch langsam überwältigend wurde und eine Familie am anderen Ende des Gangs schon beunruhigt dreinsah. Eilends hob ich den Zauber auf und war mir sicher, dass der Gestank blitzschnell verschwinden würde. In diesem Moment tauchte ein vertrautes Gesicht über einer Lehne vor mir auf, und eisblaue Augen funkelten mich an.

»Da hat wieder ein Mann die Beine breit gemacht«, erklärte ich hastig. »Ein bekanntes Phänomen und schwer zu bekämpfen. Am besten vertreibt man den Übeltäter sofort. Je weniger Diskussionen, desto besser.«

Winters Funkeln wurde nur durchdringender. Vermutlich ärgerte ihn, dass ich mich an ihn gewandt hatte, statt mich streng an unsere abgesprochene Geschichte zu halten, derzufolge wir einander nicht kannten.

Ich zuckte die Achseln. Wenn er wirklich glaubte, dass die TV-Produktionsfirma sich damit abgab, einen Nobody wie mich zu beschatten, irrte er sich gewaltig. Niemand würde solche Mühen auf sich nehmen. Dennoch sah er nicht glücklich aus.

Ich kam zu dem Schluss, jetzt sei der perfekte Moment für ein Nickerchen, lehnte mich zurück und vermied es, Winter erneut anzusehen. Aber es war schön, ihn in der Nähe zu wissen.

Zwar hatte Winter Tomintoul als »hübsch« bezeichnet, doch als wir endlich ankamen, war davon kaum etwas zu erkennen. Es war dunkel und kalt, und kein hilfsbereiter Chauffeur holte mich mit einer Limousine ab und brachte mich an meinen Bestimmungsort. Um ehrlich zu sein: Ich wusste nicht mal, wo ich hinmusste.

Alle, die mit mir ausgestiegen waren, verschwanden sofort; auch Winter schritt davon, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Wahrscheinlich hatte ihm sein nahezu fotografisches Gedächtnis ermöglicht, sich alle Straßen des Städtchens zu merken, und sicher wartete eine nette Frühstückspension auf ihn. Ich dagegen hatte einen schweren Koffer, Brutus in seiner Transportbox – und keinen blassen Schimmer.

Da ich niemanden um Hilfe bitten konnte, lief ich das entlang, was mir die Hauptstraße zu sein schien. Zu dieser Nachtzeit hatte offenbar alles geschlossen. Ich kam an ein paar Teestuben, einer Galerie und einem dunklen, menschenleeren Pub vorbei. Brutus knurrte gereizt.

»Ich weiß, ich weiß, aber mir fällt der Name des Hotels nicht ein«, brummte ich. Meine Begeisterung, Teil des Verwünscht-Teams zu sein, war längst verflogen.

Als ich schon umdrehen wollte, um mit dem Zug in die Zivilisation zurückzukehren, kam ein Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren aus einer Nebenstraße und blieb kurz stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Trotz seiner etwas ungepflegten Erscheinung trat ich hoffnungsvoll auf ihn zu. »Hallo!«

Er hob den Kopf und taxierte mich. »Touristin oder TV?«, fragte er mit starkem schottischem Akzent.

Prima. »TV!«, antwortete ich strahlend. »Ich bin hier wegen der neuen Verwünscht-Staffel, weiß aber nicht, wo die Crew wohnt.« Ich streckte die Hand aus. »Ivy.«

Er schüttelte sie kurz und ohne jede Begeisterung. Tatsächlich hatte ich das deutliche Gefühl, es wäre ihm lieber, ich würde ihn in Ruhe lassen. »Gareth.« Er hob eine buschige Braue. »Sind Sie wichtig? TV-Bonze oder so?«

»Klar! Ich bin für die Produktion unverzichtbar – ohne mich wären die alle verloren.«

Er ließ sich meine Worte durch den Kopf gehen. »Sagten Sie nicht gerade, Sie wüssten nicht, wo Sie hinmüssen?«

Ha! Gareth war cleverer, als er aussah. »Sie haben mich ertappt. Ehrlich gesagt: Mein Fahrer ist nicht aufgetaucht, um mich abzuholen.« Ich beugte mich vor und raunte ihm düster zu: »Da werden Köpfe rollen.«

Er musterte mich kurz. »Interessante Wortwahl.«

Ich runzelte die Stirn. »Warum?«

»Weil schon Köpfe gerollt sind. Buchstäblich.«

Moment mal. »Meinen Sie damit …?«

»Die Kandidaten. Oder genauer gesagt den Kerl, der es letzte Woche geschafft hat, hier umzukommen. Seit Jahrzehnten gab es in dieser Gegend keinen verdächtigen Todesfall, und kaum ist Ihre Firma ein paar Tage vor Ort, tauchen in den Highlands Leichenteile auf.« Er zog einen Flachmann aus der Jackentasche, nahm einen Schluck und schüttelte sich.

»Woher wissen Sie davon?«, fragte ich vorsichtig. Wider Erwarten hatte ich die Akte gelesen und wusste, dass Verwünscht und die Polizei die Todesumstände von Benjamin Alberts geheim hielten. Tomintoul mochte eine Kleinstadt sein, in der sich Gerüchte wie ein Lauffeuer verbreiteten, aber woher wusste Gareth, dass das Opfer enthauptet und seiner Glieder beraubt worden war? Bestimmt war diese Information nur dem inneren Kreis der Ermittler bekannt. Sogar ich hatte vermieden, darüber länger nachzudenken, um nicht noch Albträume zu bekommen.

Gareth knurrte leise, und unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. »Hat man Ihnen nicht von mir erzählt? Ich hab ihn doch gefunden. Ein entlaufenes Schaf hab ich gesucht und …« Er verstummte, und seine Pupillen weiteten sich bei der zweifellos schrecklichen Erinnerung an den verstümmelten Leichnam, auf den er unverhofft gestoßen war.

Plötzlich ergaben sein nächtliches Umherziehen und der Flachmann Sinn. Ich fuhr zusammen. »Tut mir leid.«

Er trat seine Zigarette aus. »Ich hab vor drei Jahren aufgehört und mag den Geschmack nicht mal.« Mit gebleckten Zähnen sah er mich an, und seine Schultern sackten herab, als er zu erkennen schien, dass mein Mitgefühl für ihn so herzlich wie ehrlich war. »So ein Anblick lässt einen an allem zweifeln, was man zu wissen glaubt«, murmelte er.

Das konnte ich mir gut vorstellen. Ich straffte die Schultern. Winter würde begeistert sein, dass ich bereits Fühlung zu einem so wichtigen Zeugen wie Gareth aufgenommen hatte. Ich musste freilich sehr vorsichtig vorgehen. Bei seinem Geisteszustand würde ich ihn nur verschrecken, wenn ich ihn zu hart und mit zu großen Erwartungen befragte.

»Was Sie erlebt haben, ist auch mir nicht ganz fremd«, sagte ich leise und dachte an die Leiche von Adeptus Diall, die ich mit Winter inspiziert hatte und die mir manchmal noch Albträume bereitete. »Aber so schlimm wie bei Ihnen war es nicht annähernd. Falls Sie darüber reden möchten, kommen Sie zu mir. Manchmal hilft es, mit einem Fremden zu sprechen, und ich nehme nicht an, dass es hier oben viele Traumatherapeuten gibt.«

Er blinzelte und wirkte überrascht, dass ich so viel Anteil an seiner Lage nahm. Ich unterdrückte meine plötzlich aufflackernden Schuldgefühle. Schließlich war ich hergekommen, um einen Auftrag zu erledigen. Auch wenn es mir nicht gefiel: Damit Winter und ich dem Verbrechen auf den Grund gehen und weitere Morde verhindern konnten, musste ich zäher werden.

»Danke«, sagte Gareth leise und wies die Straße runter. »Ihre Kollegen wohnen im ›Hook & Eye‹, anderthalb Kilometer in diese Richtung, gleich am Stadtrand.«

Anderthalb Kilometer? Gute Güte. Ich unterdrückte eine Bemerkung und murmelte ein paar Dankesworte. »Komm, Brutus«, sagte ich seufzend. »Auf geht’s.«

Er antwortete nicht und war vermutlich eingeschlafen. Für manche ist das Leben ganz in Ordnung, dachte ich verschnupft, winkte Gareth zum Abschied zu und schlurfte davon. Ich brauchte wirklich ein Bad und ein Bett. Zwar hatte ich den ganzen Tag nur in Zügen gesessen, war aber dennoch todmüde. Wenigstens geht es mir nicht wie dem armen Gareth, dachte ich und nahm mir noch fester vor, alles mir Mögliche zu tun, um herauszufinden, was hier los war. Ein blutrünstiger Mörder ging um.

Jemand weckte mich durch heftiges Armrütteln. Einen verschlafenen Moment lang glaubte ich, es sei Winter, schrie bestürzt auf und suchte mich vor etwas zu schützen, das nur ein Guss eiskaltes Wasser ins Gesicht sein konnte. Dann merkte ich, dass mein menschlicher Wecker eine weibliche Stimme hatte, und begriff, dass es meine Zimmergenossin war, die bei meiner Ankunft schon tief geschlafen hatte.

Vorsichtig blinzelte ich, sah in das beklommene Gesicht einer braunhaarigen Frau und musterte sie im Ganzen. Trotz ihrer lässigen Kleidung – sie trug Jeans und Bluse – wirkte sie ungemein schick. Ihr Haar war zu einem akkuraten Dutt gebunden, und ihre Brille war so sauber, dass ich mich in den Gläsern spiegelte.

»Uahhh!« Das sollte »Guten Morgen« heißen, doch danach klang es selbst in meinen Ohren nicht.

»Aufstehen«, drängte mich die Frau mit großen Eulenaugen. »Der Bus fährt in zehn Minuten.«

Ich stöhnte gequält. Dann kann ich noch sieben Minuten liegen bleiben, überlegte ich. Meine Mitbewohnerin aber gab nicht klein bei.

»Du hast das Frühstück versäumt. Ich hielt es für klüger, dich schlafen zu lassen. Aber Armstrong feuert dich sofort, wenn alle auf dich warten müssen. Den letzten Set-Runner hat er an die Luft gesetzt, weil er vergessen hatte, ihm Milch in den Kaffee zu tun.«

Ich wusste schon, dass Armstrong der neue Regisseur von Verwünscht war und hinter der Idee steckte, die aktuelle Staffel mit Survival-Elementen aufzumotzen.

Zwar hätte ich schnellstens aus dem Bett kommen sollen, um gerade Armstrong auf keinen Fall zu verärgern, doch erst die Erwähnung von Kaffee brachte mich auf Touren. Mühsam setzte ich mich auf und sah mich um. Tatsächlich gab es in der Ecke einen Wasserkocher. Wenn ich mich beeilte …

»Ich bin Amy«, sagte sie und wuchtete meinen Koffer vom Boden auf meine Beine, was ganz schön wehtat. »Also los!«

»Ivy«, brummte ich und hob halbherzig die Hand. »Kannst du den Wasserkocher einschalten?«

Amy warf mir einen besorgten Blick zu. »Dafür ist keine Zeit! Wir sehen uns unten. Komm bloß nicht zu spät!« Damit hetzte sie aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

Na, die Frau hatte Energie! Gähnend versuchte ich, wach zu werden. »Brutus«, murmelte ich, »kannst du den Wasserkocher einschalten? Ich könnte wirklich einen Kaffee vertragen. Je stärker, desto besser.«

Soweit ich es erkennen konnte, war es draußen stockdunkel. Aber es war ja nicht mal fünf Uhr. Dieser Gedanke ließ mich erschauern, und ich öffnete den Koffer, um mir etwas zum Anziehen zu suchen.

»Brutus?«

Noch immer keine Antwort. Ich zog einen BH an, streifte einen Pulli über und sah mich um. Mein Gefährte war nirgends zu sehen. Stirnrunzelnd dachte ich: querköpfige Katze. Dann klingelte das Telefon am Bett, und vor Schreck entfuhr mir ein leiser Schrei.

»Ivy«, meldete sich Winter, »Sie müssen aufstehen, oder Ihr Auftrag ist vorbei, ehe er begonnen hat.«

Ich rümpfte die Nase. Zwar erfüllten mich freudige Gefühle, wann immer ich an Winter dachte, aber musste er in aller Frühe so putzmunter klingen?

»Woher wissen Sie, dass ich noch im Bett bin?«, fragte ich misstrauisch. »Beobachten Sie mich?«

»Ich bin nicht in der Nähe, sondern wohne woanders. Aber ich kenne Sie – so einfach ist das.«

Eilig fuhr ich in eine Jeans. »Tss, tss. Nur zu Ihrer Information: Ich bin hellwach und kann es kaum erwarten, loszulegen. Gestern Abend habe ich sogar schon einen ganz besonderen Zeugen kennengelernt. Das hätten Sie bestimmt nicht geschafft. Er heißt Gareth und …«

»Erzählen Sie mir das später, Ivy. Wenn Sie nicht in sechzig Sekunden im Bus sind, müssen Sie zu Fuß gehen.« Er legte auf.

Kaum zog ich mir die Jeans über die Hüften, hupte es laut: der Bus. Ich verzog das Gesicht, fuhr mir durchs Haar, kam zu dem Schluss, dass mir keine Wahl blieb, und flitzte aus dem Zimmer.

Der Motor lief schon, der Bus war brechend voll, und ich erntete befremdete Blicke. Als ein mitleidiger Mann auf meine Hose deutete, merkte ich, dass mein Reißverschluss offen stand. Mit dummem Grinsen zog ich ihn hoch und quetschte mich auf einen freien Sitz.

Atemlos lächelte ich der Frau neben mir zur Begrüßung zu und überprüfte mein restliches Outfit. Den Pullover hatte ich falsch rum an. Hoppla. Achselzuckend zog ich ihn aus und richtig wieder an und gab mir dabei alle Mühe, meiner Nachbarin dabei nicht den Ellbogen in die Rippen zu stoßen. Niemand blinzelte auch nur, aber das hier war schließlich die Welt des Reality-TV. Nacktheit war hier garantiert jeder gewohnt.

»Ich hab verschlafen«, verriet ich meiner Nachbarin unnötigerweise, nachdem ich mich hergerichtet hatte.

»Das sehe ich«, murmelte sie, blickte auf meinen Set-Ausweis, an den ich im letzten Moment gedacht hatte, begriff, wie unwichtig ich war, und wandte sich zum Fenster. Das hätte ich für unfreundlich gehalten, wären im Bus Unterhaltungen zu hören gewesen. Doch anscheinend hatten alle ein Schweigegelübde abgelegt. Vielleicht waren sie aber auch alle Morgenmuffel. Das wäre mir nur recht.

Der Bus zuckelte auf einer einspurigen Straße aus der Stadt. Ich schüttelte mein Haar aus, verdrehte den Hals nach den Mitfahrern und fragte mich, ob ich jemanden kannte. Offenbar wurden Belinda Battenapple, Showmasterin von Verwünscht, und die übrige Stammbesetzung der Sendung – unter ihnen der mysteriöse Trevor Bellows – mit anderen Fahrzeugen zum Set gebracht. Nicht eine Folge von Verwünscht hatte ich je versäumt, und doch wäre ich munter an all diesen Menschen vorbeigegangen, ohne sie zu erkennen. Das war vermutlich eine gute Sache.

Ich machte mir bewusst, dass es wohl auch dann keine gute Idee wäre, mich von der Welt der Stars fasziniert zu zeigen, wenn mir Belinda begegnen sollte. Danach lehnte ich mich im Sitz zurück und schloss die Augen. Als ich beinahe eingeschlafen war, blieb der Bus ruckelnd stehen.

»Einweisung in zwei Minuten!«, rief ein übereifriger Kerl von vorn. »Raus mit euch, Leute!«

Ich stemmte mich hoch, folgte den anderen aus dem Bus und versuchte, so zu wirken, als wüsste ich, was ich tat. Das ging nicht lange gut. Kaum fasste ich den Set ins Auge, waren all meine Bemühungen um Ungezwungenheit dahin.

Überall hetzten Leute mit Ausrüstungsgegenständen oder Klemmbrettern herum. Es waren mindestens vierzig Personen, alle sehr beschäftigt. Das Logo von Verwünscht prangte auf Pkws und Lkws und war sogar zwischen den Bäumen aufgehängt. Ich stand inmitten des Ganzen und gaffte mit offenem Mund wie eine Schwachsinnige.

»Zum Podium!«, rief der Mann aus dem Bus. »Sofort!«

Prompt unterbrachen alle ihre Arbeit und machten sich auf. Einige maulten; anscheinend war ich nicht die Einzige, der das frühe Aufstehen missfiel. Noch immer hoffte ich, jemand würde mir sagen, wo es superstarken Kaffee gab; stattdessen wurden wir zu einer aufwendig dekorierten Bühne geführt.

Eine gestresste Frau erkletterte mithilfe anderer das Podium, griff zu einem Megafon und wandte sich an uns alle. »Guten Morgen!«, rief sie. »Willkommen zum ersten Drehtag der neuen Staffel von Verwünscht, der Highlander-Staffel!«

Sollte sie eine begeisterte Reaktion erwartet haben, hatte sie sich geschnitten. Es gab dünnen Beifall, doch niemand wirkte beeindruckt. Nur ich stieß einen Jubelschrei aus und ignorierte das Stirnrunzeln ringsum. Einige verdrehten zudem die Augen, aber ich lächelte froh. Es brauchte einiges, um mich vor elf Uhr zum Lächeln zu bringen, aber am Set von Verwünscht zu sein, genügte.

Vom Bühnenrand schrie jemand der Frau etwas zu. Sie nickte und rief ins Megafon: »Begrüßen wir jetzt unseren Regisseur und Mann der Stunde, Morris Armstrong!«

Diesmal fiel der Beifall etwas begeisterter aus, doch ich hatte noch immer den Eindruck, die Crew tat nur, was von ihr erwartet wurde, hatte aber keinerlei Bedürfnis, dem Regisseur der erfolgreichsten TV-Show zuzujubeln.

Interessiert sah ich einen großen Mann auf die Bühne springen. Mit der Menge zugewandtem Rücken murmelte er der Frau etwas zu. Hinter mir raunte jemand: »Der hat schlechte Laune. Gestern war er kurzfristig zu Finanzverhandlungen im Süden und konnte für die Rückfahrt kein Erste-Klasse-Ticket mehr bekommen, sondern musste mit dem Fußvolk reisen.«

Ich hörte unterdrücktes Lachen. Schleichende Furcht befiel mich. Als Morris Armstrong sich dann umdrehte, biss ich mir auf die Unterlippe und blickte zum Himmel. Der neue Regisseur war natürlich der Mann, der sich im Zug neben mich gesetzt und den ich mit dem magisch erzeugten Gestank vertrieben hatte. Nicht nur hatte ich die perfekte Gelegenheit versäumt, mehr über das zu erfahren, was vorging, nein: Ich hatte ihm überdies Anlass gegeben, mich für eine wandelnde Petrischale zu halten, die es unbedingt zu meiden galt.

Um seinem schweifenden Blick zu entgehen, machte ich mich möglichst klein. Vermutlich müsste ich mich nicht in seine Nähe begeben, denn ich war nur ein einfacher Set-Runner, und er würde mich nicht beachten. Und dass er in den Mord verwickelt war, hielt ich für äußerst unwahrscheinlich.

Dennoch fürchtete ich Winters Reaktion, falls ich gefeuert wurde, ehe ich nur den Mund aufgemacht hatte. Seine eisige Verärgerung im Zug ergab jedenfalls plötzlich einen Sinn.

Armstrong hielt sich nicht mit dem Megafon auf. »Ich weiß, dass die meisten von euch seit Wochen hier sind, Vorgespräche mit den Teilnehmern führen und alles vorbereiten. Und ich weiß, dass die Dinge schwieriger waren, als sie hätten sein sollen, und dass es … Komplikationen gab.« Komplikationen? So ließ sich ein grausiger Mord wohl auch beschreiben. »Die Polizei untersucht die Angelegenheit noch, und ich bitte euch alle, sie dabei nach Kräften zu unterstützen.«

Er nickte ein paar Leuten rechts von ihm zu, die – wie mir jetzt erst auffiel – um einiges amtlicher wirkten als das Filmteam und zudem grimmig dreinsahen. »Aber«, fuhr Armstrong lauthals fort, »nichts wird die Produktion von Verwünscht aufhalten. Wir sind das beste Fernsehformat der Welt! Wir haben Millionen Zuschauer! Wir werden weiter von Erfolg zu Erfolg schreiten, und nichts wird uns aufhalten!«

Hinter ihm hätte ein Schlagzeuger sitzen sollen. Zumindest einen Beckenschlag aus Gründen der Theatralik hätte Armstrong bei dieser Ankündigung verdient gehabt.

»Ihr alle kennt eure Aufgaben und wisst, was zu tun ist. Um Punkt zwölf kommt der erste Kandidat, und die Kameras werden eingeschaltet. Wir schreiben Geschichte, Leute! Vergesst das nicht!« Nach diesen Worten reckte Armstrong die Faust zum Himmel und verließ die Bühne.

Mrs Megafon kehrte zurück und spendete dem abgehenden Regisseur demonstrativ Beifall. »Großartig, echt großartig! Wir sind froh, einen so zupackenden Chef zu haben. Alle Set-Runner begeben sich jetzt direkt zum Wohnwagen von Mr Armstrong, um sich persönlich von ihm einweisen zu lassen. Die Übrigen gehen wieder an die Arbeit!«

Verflixt und zugenäht.

4

Außer mir gab es drei weitere Set-Runner: Amy, meine hilfsbereite Zimmergenossin, und zwei sehr junge Männer, die so wirkten, als hätten sie gerade erst die Schule beendet. Ich musterte beim Händeschütteln die Akne des einen, der sich mir murmelnd als Mazza vorstellte. Unwahrscheinlich, dass seine Eltern ihm diesen Namen gegeben hatten.

Der andere war fast so piekfein wie Tarquin und hatte ebenfalls schlaffes Haar. Auch seine teure Kleidung wies ihn als trotziges Mitglied der Oberschicht aus. Ich war mir sicher, er würde George, William oder Henry heißen, und als er sich als Mondschein vorstellte, musste ich mich sehr beherrschen, um ernst zu bleiben. Das konnte nicht sein wirklicher Name sein, oder? Nach dem Augenrollen zu urteilen, mit dem er auf mein unterdrücktes Grinsen reagierte, war er schmerzliche Reaktionen auf seinen Namen gewöhnt, aber immerhin schienen es ihm nichts auszumachen.

Wir eilten zu einem großen silbernen Gefährt, bei dem es sich wohl um Mr Armstrongs Wohnwagen handelte. Ich tat mein Möglichstes, um hinter den anderen zu bleiben, aber da wir nur zu viert waren, konnte ich mich nicht lange verbergen.

Mondschein ging voran, erklomm die Stufen und klopfte an. Von drinnen kam eine gedämpfte Antwort, und er trat achselzuckend ein, gefolgt von uns dreien.

Der Wohnwagen war weit geräumiger und luxuriöser als erwartet. Ehrfürchtig musterte ich die vornehme Einrichtung und die glänzenden Oberflächen und kam zu dem Schluss, sehr gut so leben zu können.

Nicht nur ich war beeindruckt. Mazzas Miene glich der eines kleinen Jungen, der zum ersten Mal ein Eis bekommt. Er stieß einen leisen Pfiff aus und errötete sogleich. Dann warf er Amy einen raschen Blick zu und errötete noch mehr. Er war mir von den dreien am sympathischsten.

Armstrong kam vom anderen Ende des Wohnwagens, trocknete sich die Hände an einem Tuch ab, warf es zu Boden und starrte unsere kleine Gruppe an, als hätte er völlig vergessen, warum er uns herbefohlen hatte. Dann hellte sich seine Miene auf. »Ihr seid die Set-Runner.«

Wieder trat Mondschein vor. »Genau.« Er streckte ihm die Hand entgegen. »Ich bin Mondschein.«

Armstrong betrachtete ihn ausdruckslos. »Das bist du nicht.«

»Doch. Ich weiß, es ist ein seltsamer Name, aber …«

Der Regisseur hob die Hand, und Mondschein verstummte. »Ich nenne niemanden Mondschein. Du bist Nummer Eins und hörst fortan auf diesen Namen.« Er zeigte auf Amy, dann auf Mazza. »Nummer Zwei. Nummer Drei.« Schließlich wandte er den Kopf zu mir. Kaum hatte er mich erblickt, klappte er den Mund zu.

»Nummer Vier«, half ich ihm für den Fall, dass er sich plötzlich nicht mehr auf die Zahlen besinnen konnte.

Armstrongs Augen wurden schmal. Ich hielt den Atem an und rechnete damit, umstandslos vom Set geworfen zu werden. Stattdessen brummte er etwas in sich hinein und nickte kaum merklich. Zweifellos hatte er mich erkannt, wollte das aber noch nicht zeigen.

»Eure Aufgabe ist enorm wichtig«, bellte er. »Ihr seid zwar nur Laufburschen, aber jeder muss irgendwo anfangen. Ich habe diese Arbeit einst auch gemacht.« Sein Blick glitt ins Unbestimmte, als erinnerte er sich selig der goldenen Zeit, als er noch Handlanger war und sich nicht um riesige schimmernde Wohnwagen und jede Menge Geld zu sorgen hatte.

Dann riss er sich aus seinen Gedanken. »Als Set-Runner habt ihr überall Zugang. Natürlich arbeiten Sicherheitsleute für uns, um Trophäenjäger und fanatische Fans abzuhalten und auch«, ihn schauderte, »die Presse. Das heißt aber nicht, dass die raffinierteren Vertreter dieser Gruppen keine Wege finden, sich Zugang zu verschaffen. Der Set soll jedoch für Außenstehende absolut unzugänglich sein. Meiner Erfahrung nach lässt sich das nie hundertprozentig erreichen. Diese Gegend wurde wegen ihrer langen geschichtlichen Verbindung zur Hexerei ausgesucht. Hätte ich die Wahl gehabt, würden wir anderswo drehen. Es gibt hier für Fremde zu viele Möglichkeiten, sich einzuschleichen. Und wir können uns, Gott sei’s geklagt, nicht komplett verbarrikadieren.«

Nervös hob Amy die Hand. »Sir? Mr Armstrong?«

»Was denn?«, fuhr er sie an.

»Tragen nicht alle einen Ausweis?«

Er straffte sich und sah fast unheimlich auf sie herab. »Das macht diese Leute so heimtückisch! Und hier kommt ihr ins Spiel. Zu euren Aufgaben gehört es, den Überblick über diese Ausweise zu behalten. Immer wieder werden Mitglieder des Filmteams zu euch kommen, weil sie ihre Ausweise verlegt haben. Ich habe bereits eine Mail an alle geschrieben: Wer seinen Ausweis verliert, ist verloren.« Er funkelte Amy so zornig an, als habe sie es gewagt, ihren Ausweis zu vergessen. »Kapiert? Es gibt keine Kopien oder Ersatzausweise. Ich lasse meinen Set von niemandem besudeln, der nicht zum Team gehört und einen Ausweis gestohlen hat.«

Zur Bekräftigung drohte er Amy mit dem Finger. »Achtet besonders auf Leute, die Journalisten sein könnten. Dass diese Vögel der Welt all unsere Geheimnisse enthüllen, bevor wir sie senden, ist das Letzte, was wir brauchen.«

Diesmal war es Mondschein, der etwas zu fragen wagte. »Was ist mit dem Mord?«

»Mit welchem Mord?«, fuhr Armstrong ihn so heftig an, dass Mazza einen Schritt zurücktrat und gegen mich stieß.

»Äh … Der Kandidat, der …«

»Ich weiß, wen du meinst«, rief Armstrong auftrumpfend. »Aber was ihm passiert ist, hat nichts mit uns zu tun. Gar nichts, verstanden? Sein Tod ist bedauerlich, steht aber in keinem Zusammenhang mit Verwünscht. Über dieses Thema wird nicht weiter diskutiert. Und jetzt verschwindet!« Einen Moment standen wir alle nur da. »Raus!«, donnerte Armstrong.

Ich wandte mich ab, um aus der Tür zu kommen, solange meine Trommelfelle noch intakt waren.

»Du nicht, Nummer Vier. Du bleibst hier.«

Oha. Offenbar war ich seiner Aufmerksamkeit doch nicht entgangen. Vielleicht sollte ich dankbar dafür sein, nicht in Gegenwart der anderen gefeuert zu werden.

Seufzend trat ich beiseite, um sie gehen zu lassen. Amy schien um mich besorgt zu sein, und ich lächelte ihr beruhigend zu. Dann folgten Mazza, der auf der Unterlippe herumkaute, und der unbekümmerte Mondschein. Die Tür schlug hinter ihnen zu, und ich reckte das Kinn in die Luft. Morris Armstrong mochte zum Rumschreien neigen, aber ich war nicht eingeschüchtert. Jedenfalls nicht sonderlich.

Er ließ sich in einen Sessel sinken, der für seinen mächtigen Leib zu eng war. »Mondschein«, brummte er. »Wo treiben die bloß solche Dummköpfe auf?«

Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und war mir nicht sicher, ob er eine Antwort erwartete. Zum Glück gab er mir dazu keine Gelegenheit, sondern hob den Kopf und musterte mich mit plötzlich müden Augen. Mich traf die Erkenntnis, dass er nach dem Tod des Kandidaten und angesichts seiner neuen Rolle als Regisseur unter großem Druck stand. Sollte diese neue und wahrscheinlich verbesserte Version von Verwünscht in die Hose gehen, würde man das zweifellos ihm anlasten. Das weckte zwar kaum Mitleid in mir, doch ich begriff sein arges Schwanken zwischen begeisterten Reden und furchtbarem Zorn nun besser.

»Ivy Wilde.« Armstrong ließ sich meinen Namen auf der Zunge zergehen. Ich hätte Nummer Vier bevorzugt, denn so wäre ich wenigstens anonym gewesen. »Sie sind eine Hexe.«

Die schlichte, ungeschminkte Wahrheit. So viel zum Thema verdeckte Ermittlungen. Dennoch hatte Leugnen keinen Sinn. »Stimmt«, gab ich vorsichtig zu.

»Warum sind Sie hier?«

»Ich bin ein großer Fan der Serie … seit der allerersten Folge.«

Armstrong verzog den Mund. Offensichtlich glaubte er mir nicht. »Wer war Ihr Lieblingskandidat?«

Das war einfach. »Ally«, gab ich zurück.

Er schnaubte. »Das sagen alle.«

So ging das nicht. »Dann fragen Sie mich was anderes.«

»Welches war der beste magische Trick, den Verwünscht je gesendet hat?«

Dass er von Tricks sprach, verriet mir weit mehr über ihn, als ihm vermutlich lieb war. »Für die meisten Leute war das vermutlich die Folge, in der sich drei Kandidaten zusammengetan haben, um es mit vereinten Kräften im Mai in Knightsbridge schneien zu lassen.«

»Und Sie sehen das anders?«

»Das Wetter war für die Jahreszeit ohnehin zu kühl, und der Schneeschauer ging nur an einer Stelle nieder. Jeder Neophyt des Ordens hätte das gekonnt. Nein, der beste Zauber war in der vierten Staffel, als Jonathon als erster Kandidat rausgewählt wurde. Er hat eine Schnittverletzung an Beckys Zeigefinger magisch geheilt.«

»Danach hat er drei Tage geschlafen.«

»Richtig«, pflichtete ich ihm bei. »Aber nur wenige Hexen selbst der Zweiten oder sogar Dritten Stufe können heilen. Der menschliche Körper ist zu komplex, und es gibt zu viele Möglichkeiten zu scheitern. Wir reden hier über das Nähen von Wunden und einen ungehinderten Blutkreislauf. Tatsächlich ist das Schließen eines kleinen Schnitts«, langsam erwärmte ich mich für mein Thema, »schwieriger als das Schienen eines gebrochenen Knochens, weil dafür weit mehr Fingerspitzengefühl erforderlich ist.«

Armstrong kratzte sich am Kinn. »Wissen Sie, was aus Jonathon geworden ist?«

Allerdings. »Er wurde in den Orden aufgenommen und schnell auf Stufe Zwei befördert. Inzwischen arbeitet er im Dschungel Südamerikas und hilft dort den Einheimischen.«

Armstrong schloss halb die Augen, doch mir war klar, dass er mich weiter musterte, als sei er ein Habicht und ich eine Maus. »Gehören Sie dem Orden an?«

Ich verneinte ohne Zögern.

»Die wollen herkommen, ohne zu begreifen, was wir hier machen.«

Das konnte ich mir nicht vorstellen. »Könnte dieser Wunsch eine Folge des Mordes an Benjamin Alberts sein?«

Armstrongs Lider schnellten hoch. »Furchtbar, was ihm zugestoßen ist. Aber mit Verwünscht hat das nichts zu tun.«

»Woher wissen Sie das?« Ob er mir wegen dieser Frage den Kopf abreißen würde? »Schließlich war er nur wegen der Dreharbeiten für die neue Staffel hier.«

Armstrong schien kurz in sich zusammenzusinken. »Weil ich dann erledigt wäre, ehe ich überhaupt angefangen habe.« Er fuhr sich durchs Haar. »Und weil die Polizei keine Hinweise hat, die seinen Tod mit uns in Verbindung bringen.«

»Abgesehen davon, dass er Kandidat dieser Sendung war«, wandte ich beharrlich ein.

Er betrachtete mich. »Sie scheinen viel über die Geschehnisse zu wissen.«

Ich wies unbehaglich auf den Platz, an dem die anderen drei gestanden hatten. »Es gibt viele Gerüchte.«

Armstrong kniff die Lippen zusammen. »Ja, vermutlich.« Dann besann er sich darauf, wer er war und weswegen ich vor ihm stand. »Gestern saß ein Ordenshexer im Zug.« Seine Stimme wurde hart. »Und Sie ebenfalls.«

Ich schluckte schwer. Immerhin machte er keine Bemerkung über meine angeblich ansteckende Stinkerkrankheit. »Stimmt.« Ich traf eine rasche Entscheidung. Sehr wahrscheinlich hatte er mich bei meinem Gespräch mit Winter beobachtet. »Das war Adeptus Exemptus Raphael Winter, und es tut mir leid. Er folgt mir. Letzten Monat haben wir gezwungenermaßen gemeinsam ermittelt, und jetzt vermutet er offenbar, dass ich nichts Gutes im Schilde führe.« Ich schlug den Blick nieder. »Das macht mein Arbeitsverhältnis hier wahrscheinlich hinfällig.«

»Ist er Ihretwegen hier?«, fragte Armstrong scharf.

Ich sah auf und schöpfte wieder Hoffnung. »Ich glaube schon. Es sei denn, Sie meinen, er wäre wegen des Todesfalls hergekommen.«

Armstrong verschränkte die Arme. »Der Heilige Orden der Magischen Erleuchtung mag TV-Serien wie unsere nicht. Seine Mitglieder wären gern die Einzigen, die Zauber wirken.«

Ich verkniff mir die Bemerkung, bei Verwünscht gehe es um so schwache Zaubereien, dass sie dem Orden völlig egal waren, solange er aus dem Spiel blieb. Doch es war besser, den Mund zu halten und abzuwarten, was Armstrong tun würde.

»Kann ich Ihnen trauen, Ivy Wilde?«, wollte er wissen.

Jetzt ging es um alles oder nichts. Ich straffte die Schultern und sah ihm in die Augen. »Das können Sie. Überprüfen Sie meine Biografie. Ich bin kein Ordenslakai.« Bestimmt kannte er meinen Lebenslauf schon, aber diese Bemerkung sollte meiner Antwort Gewicht verleihen.

Armstrong schien zu überlegen und stand auf. »Sie nehmen zu diesem Winter Kontakt auf, beobachten ihn und finden heraus, was er tut. Und Sie erstatten mir Bericht. Eine Einmischung des Ordens lasse ich nicht zu, unter keinen Umständen.« Er funkelte mich an. »Verstanden?«

Ich blinzelte hektisch. »Äh, ja, aber …«

»Machen Sie das einfach. Wenn Sie es im Fernsehen zu etwas bringen wollen, müssen Sie Berge versetzen, um zu ermitteln, was er vorhat, und mich auf dem Laufenden zu halten.«

Winter wollte, dass ich Verwünscht ausspionierte und ihn auf dem Laufenden hielt, und der Regisseur von Verwünscht verlangte, dass ich Winter beobachtete und alles meldete. Eine äußerst vertrackte Lage. Hoffentlich bedeutete das nicht, dass ich schwerer arbeiten musste. Es galt schon jetzt viel zu viele Spuren zu verfolgen.

»Okay.« Ich zögerte. »Es könnte sein, dass ich neben meinen Set-Runner-Pflichten etwas Zeit brauche, um …«

»Das erledigen Sie in der Freizeit«, fuhr Armstrong mich an. »Niemand soll merken, dass uns ein Ordenshexer beobachtet. Das Team ist schon angespannt genug.«

Einen Versuch war es immerhin wert gewesen. »Natürlich. Zu Befehl.« Ich lächelte, um ihm zu zeigen, dass ich auf seiner Seite war, aber er sah mich nicht mehr an. Seine Aufmerksamkeit war auf etwas vor dem Fenster gerichtet.

»Großartig«, flüsterte er. »Einfach großartig.«

Ehe ich den Kopf wenden konnte, um zu sehen, wovon er sprach, öffnete sich die Tür seines Wohnwagens, und ein überaus extravagant gekleideter Mann trat ein.

Trevor Bellows. Selbst, wenn ich sein Gesicht nicht erkannt hätte: Sein Aufzug hätte ihn verraten. Er trug eine lange purpurne Robe, die gar nicht so anders aussah als die Gewänder der Ordenshexen, deren Kleidung freilich nicht mit Sternen bestickt war. Auf seinem Kopf saß ein kegelförmiger Hexenhut mit kunstvoll gekrümmter Krempe. Offen gestanden: Ich staunte, dass er keinen Besen dabeihatte. Als ich aber bemerkte, was er in den Armen hielt, klappte mir die Kinnlade runter.

»Ich grüße Sie«, sagte Bellows mit seltsam piepsiger Stimme, die weder zu seiner Kleidung noch zu seinem Auftreten passte.

Brutus schnurrte.

Armstrongs Brauen schnellten in die Höhe. »Ist das eine Katze?«

Bellows schob seine Brille höher und warf dem Regisseur ein Lächeln zu. »Ihnen kann man auch nichts vormachen! Aber ja.« Er hielt Brutus in die Höhe. Hätte ich so etwas versucht, würde er mir ein Auge auskratzen. »Das ist eine Katze. Ich brauche einen Gefährten, der mir bei meinen Zaubersprüchen hilft, und das ist das perfekte Geschöpf dafür.«

Staunend beobachtete ich, wie mein Kater Bellows die Hand leckte, als sollte alle Welt sehen, wie sehr er den Mann mochte.

»Wo haben Sie den her?«, verlangte Armstrong zu erfahren.

Gute Frage. Verdammt gute Frage.

»Es war Schicksal«, erwiderte Bellows selbstgefällig. »Als ich heute Morgen aufstand, lag er auf meiner Türschwelle. Katzen spüren starke Magie, müssen Sie wissen. Offenbar fühlte er sich von mir angezogen.«

Ich streckte Brutus eine Hand entgegen. Erwürgen würde ich ihn. Prompt drehte er den Kopf und fauchte mich an.

Bellows wandte sich mir zu und musterte mich mit schimmernden Augen von oben bis unten. Etwas an seiner Miene gab mir das Gefühl, dreckig zu sein. »Er mag Sie nicht«, verkündete er. »Ärgern Sie sich nicht darüber. Sie können ja nichts dafür, über viel weniger Magie zu verfügen als ich.«

Ich ballte die Fäuste, und Brutus sah weg und gab der Brust des sogenannten Hexers in offenkundiger Bewunderung einen Kopfstoß.

»Wer sind Sie überhaupt?«, fragte Bellows. »Ich dachte, Kandidaten dürfen vor Drehbeginn nicht aufs Filmgelände.«

»Das ist Ivy Wilde«, erklärte Armstrong, und die leichte Schadenfreude in seiner Stimme bildete ich mir sicher nicht ein.

Alle vorgebliche Freundlichkeit verschwand aus Bellows’ Zügen. Seine Augen wurden schmal, und er musterte mich erneut von Kopf bis Fuß. »Sie sind blond«, erkannte er.

Meine Mundwinkel zuckten. »Ja.« Wie … scharfsinnig.

Er schniefte. »Und schlampig.«

Ich verschränkte die Arme. Falls ich aussah, als sei mein kleiner Finger in eine Steckdose geraten, war das meine Sache. »Gestern ist es spät geworden«, meinte ich reserviert und unterdrückte den Drang, ihm die Ellbogen zu verdrehen. Es würde der magischen Untersuchung nicht guttun, wenn ich den einzigen Magieberater der Sendung beleidigte.

»Aber, aber, Kinder«, sagte Armstrong. Offensichtlich genoss er jede Sekunde dieser Begegnung. »Ich muss telefonieren. Ihr zwei geht jetzt besser.«

Bellows schürzte die Lippen. Er schmollte tatsächlich. »Aber ich möchte mit Ihnen die Pläne für nächste Woche besprechen, wenn wir …«

»Später. Das erörtern wir später.« Armstrong nahm uns am Ellbogen und drehte uns zur Tür. Dabei warf er mir einen bedeutungsvollen Blick zu. »Erstatten Sie mir morgen früh vor Drehbeginn Bericht über die ersten Erkenntnisse«, verlangte er. Damit waren wir entlassen.

Kaum waren wir draußen, trat Bellows zu mir. Brutus hatte er weiter im Arm. »Hör mal, Mädchen«, flüsterte er, um nicht belauscht zu werden, »niemand nimmt mir meinen Job weg. Ich bin hier der Fachmann für Magie, und wenn du auch nur daran denken solltest, mein Handeln zu kommentieren, hier anzugeben oder etwas zu tun, das auch nur in die Nähe eines Zauberspruchs kommt, landest du vor der Tür, ehe du auch nur Abadarabacadra sagen kannst.«

Ich blinzelte ihn an. »Meinen Sie Abrakadabra?«