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Blütenstaub Worte wie Staub im Licht schwebend, flüchtig, leuchtend. Dieses Buch ist keine gerade Erzählung, sondern ein Mosaik aus Gedanken, Bildern und Stimmen. Zwischen Rosen und Bienen, Kindheit und Vergänglichkeit, Liebe und Erinnerung entfalten sich Szenen, die zart miteinander verwoben sind. Blütenstaub lädt dazu ein, innezuhalten und Sprache nicht nur zu verstehen, sondern zu fühlen. Es ist ein poetisches Werk über das, was bleibt, wenn alles vergeht, und über das Leuchten, das wir in uns tragen. Für alle, die sich von Worten berühren lassen wollen wie von einer Melodie.
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Seitenzahl: 93
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Dieses Buch wurde in der Schweiz verfasst und folgt den geltenden Bestimmungen des Schweizer Urheberrechtsgesetzes.
Vorwort
Nachtschön
Liliensaft
Mauerblume
Blumenmeer
Rosenbeet
Löwenzahn
Blütenstaub
Vorwort
In den Zeilen von Blütenstaub entfaltet sich eine Welt, in der Worte wie Samen in der Erde des Lesers keimen. Fitim Halili fängt in seinen Geschichten die flüchtigen Momente ein, die unser Leben prägen – Begegnungen, Erinnerungen, das zarte Blühen von Hoffnung selbst in den kargsten Böden. Jedes Kapitel gleicht einer Blume, deren Duft und Farbe uns an das erinnern, was wir oft übersehen: die stille Schönheit im Alltäglichen, die Kraft von Wurzeln, die tiefer reichen, als das Auge sieht.
Die Geschichten in diesem Buch erzählen von Menschen, die sich gegen das Vergessen stemmen, von Orten, die mehr sind als Geografie, und von Gefühlen, die wie Blütenstaub durch die Luft wirbeln – unsichtbar und doch spürbar. Ob es die einsame Frau in der kleinen Hütte ist, der stumme Dialog zwischen Tanz und Flöte am Meer, oder der Löwenzahn, der trotzig aus dem Asphalt wächst – Halili verwebt das Fragile mit dem Standhaften, das Vergängliche mit dem Bleibenden. Blütenstaub ist eine Einladung, langsamer zu lesen, zu verweilen, sich in den Zwischenräumen der Sätze zu verlieren. Es erinnert uns daran, dass selbst das Kleinste – ein Tropfen Wasser, ein verlorenes Wort, ein Blick – die Macht hat, Spuren zu hinterlassen. Wie der Blütenstaub, der unbemerkt auf unserer Haut landet und doch Teil von uns wird.
Möge dieses Buch Sie zum Innehalten bringen, zum Nachspüren und zum Erinnern an das, was vielleicht längst zu Staub geworden ist – aber nie ganz verschwunden.
Die Nacht lag schwer auf dem Dorf.
Der Himmel war klar, doch die Sterne glühten nicht warm. Sie funkelten kalt wie tausend Splitter aus Glas, die sich über den Dächern verstreuten. Der Wind kroch durch die Gassen, fuhr in die Ritzen der Häuser, brachte das Klirren loser Schindeln mit sich und ein Pfeifen, das wie ein Klagelied klang. Niemand war draußen.
Hinter den Fensterläden flackerten Kerzenflammen, geduckt, als fürchteten sie selbst den Atem der Dunkelheit. Das Dorf wirkte, als hielte es den Atem an – starr, lauernd, als erwarte es etwas.
Am äußersten Rand, wo die Felder begannen, stand eine kleine Hütte.
Schlicht gebaut, das Holz vom Frost gezeichnet. Drinnen brannte ein schwaches Licht, das mehr mit der Dunkelheit rang, als dass es sie vertrieb.
Dort lebte eine Frau. Jung noch, doch ihre Einsamkeit verlieh ihrem Blick eine Schwere, die älter wirkte. Man mied sie.
Man sagte, der Frost folge ihr, wohin sie auch gehe. Dass ihre Gegenwart die Milch verderben lasse, das Korn erfrieren, selbst mitten im Sommer. Niemand wusste, woher sie kam. Niemand fragte mehr danach. Sie saß am Tisch. Vor ihr stand ein kleiner Krug, daneben Bündel getrockneter Kräuter, sorgfältig gebunden.
Auf dem Fensterbrett Schalen mit Wasser, darin Blüten, deren Farben im Lampenschein gedämpft schimmerten.
Manche waren welk, andere frisch, als wären sie eben erst gepflückt. Jede wirkte, als flüstere sie etwas in den Raum.
Ein Klopfen. Zögerlich, dreimal, kaum hörbar. Die Frau verharrte. Kein Besucher klopfte so, außer jemand, der sich fürchtete. Langsam erhob sie sich, legte die Hand an die Tür und öffnete. Draußen stand eine Mutter. Ihr Gesicht verweint, die Wangen vom Frost rot gezeichnet, die Hände verborgen unter einem Tuch, das mehr Löcher als Wärme hatte. Sie zitterte – ob vor Kälte oder Angst, ließ sich nicht sagen.„Bitte,“ hauchte sie, und ihr Atem stand als weiße Wolke in der Luft. „Bitte, komm. “Die Frau musterte sie still.
„Wohin?“ „Zu meinem Sohn.“ Die Stimme der Mutter war brüchig. „Er… er atmet kaum noch. Fieber. Die Haut so grau wie Asche. Die anderen sagen, es sei Gottes Wille. Sie sagen, es sei zu spät.“ Ihre Lippen bebten. „Aber ich kann nicht nur warten. Ich kann nicht nur zusehen.“
Die Frau drehte sich, nahm vom Fensterbrett eine Blume. Violett, mit Blüten, die ein eigenes, stilles Leuchten trugen. Die Mutter sog scharf die Luft ein.
„Nicht die… Man sagt, sie bringt den Tod.“
„Man sagt vieles, wenn die Herzen gefroren sind,“ erwiderte die Frau ruhig.
„Doch du bist hier.“
Die Mutter senkte den Kopf, Tränen traten in ihre Augen. „Sie werden es wissen, wenn ich dich hole. Sie werden mich eine Närrin nennen. Oder Schlimmeres.“
„Und trotzdem bist du gekommen,“ sagte die Frau leise. „Deine Angst ist groß, aber deine Liebe größer.“
Ein Zittern lief durch die Schultern der Mutter. „Wenn er stirbt, ohne dass ich es versucht habe… das würde mich verfolgen, bis ich selbst im Boden liege.“
Die Frau nickte kaum merklich, als habe sie diese Antwort erwartet. Sie nahm den Krug, die Blume, und gemeinsam gingen sie hinaus.
Die Straßen lagen still und dunkel. Doch hinter den Vorhängen spürten sie die Blicke. Unsichtbar, kalt, misstrauisch.
Jeder Schatten schien ein Zeuge, jeder Windstoß ein Flüstern: Siehst du? Sie ist es wieder. Die, die man meidet.
Die Mutter beschleunigte ihre Schritte. Die Frau folgte langsam, die Blume in den Händen, als trüge sie etwas Schweres und Kostbares zugleich.
Das Haus war klein, kaum mehr als eine Kammer. Der Boden aus Lehm, die Wände mit Stoff behangen, um den Frost draußen zu halten. Doch die Kälte kroch dennoch herein, lag in den Balken, in den Tüchern, in der Luft. Ein schwaches Feuer brannte im Herd, kaum mehr als eine Glut. Auf dem Bett lag der Junge. Sein Gesicht fahl, die Lippen spröde. Die Brust hob und senkte sich flach, als suche er die Luft vergeblich. Die Mutter kniete neben ihm, nahm seine Hand, die heiß und kraftlos war. „Siehst du?“ flüsterte sie. „So liegt er seit Tagen. Kein Arzt konnte helfen. Kein Gebet hat geantwortet.“
Die Frau stellte den Krug auf den Tisch.
Mit beiden Händen nahm sie die Blume, deren Blüten im Lampenschein wie dunkles Feuer glommen. „Man nennt sie Nachtschön,“ flüsterte die Mutter, und ihre Stimme bebte. „Man sagt, sie nimmt mehr, als sie gibt.“
„Sie kennt keinen Tod,“ erwiderte die Frau. „Nur das Leben.“ Sie stellte die Blume in eine Schale, goss Wasser darüber. Für einen Moment war es, als atmete das Wasser selbst auf. Ein Zittern ging durch die Oberfläche, als sei darin eine Kraft erwacht. Die Frau tauchte die Finger hinein, hob sie langsam, Tropfen perlten über ihre Haut. Sie ließ sie auf die Lippen des Kindes fallen.
„Erster Tropfen,“ flüsterte sie. „Erinnere dich: Das Leben hat dich gekannt.“
Keine Reaktion.
Sie schöpfte erneut, ließ die Tropfen schwerer fallen.
„Zweiter Tropfen. Erinnere dich: Du bist mehr als das Fieber, mehr als der Schlaf.“
Ein leises Stöhnen. Die Mutter keuchte.
„Er hat sich bewegt!“ „Ruhig,“ sagte die Frau sanft. „Das Herz hört nur, wenn die Angst schweigt.“ Ein drittes Mal schöpfte sie. Tropfen glitten über die Stirn, wo der Schweiß glänzte.
„Dritter Tropfen. Erinnere dich: Dein Atem gehört dir. Niemand darf ihn nehmen.“
Die Brust des Kindes hob sich tiefer, länger. Die Mutter weinte, ihre Tränen fielen auf seine Wange. „Mein Junge… bitte, komm zurück.“
Die Frau schöpfte ein viertes Mal. Sie führte seine kleine, schlaffe Hand empor, ließ die Tropfen in die Faust rinnen.
„Vierter Tropfen. Erinnere dich: Du bist gehalten, selbst wenn die Nacht dich umschließt.“
Die Finger zuckten, als wollten sie das Wasser halten.
„Er hört dich!“ schluchzte die Mutter.
Zum letzten Mal schöpfte sie. Die Tropfen fielen auf sein Herz.
„Fünfter Tropfen. Erinnere dich: Dein Herz schlägt, weil es geliebt wird.“
Ein tiefer Atemzug. Seine Brust hob und senkte sich kräftiger. Dann öffnete er die Augen.
„Mutter…?“ hauchte er.
Die Mutter schrie auf, presste ihn an sich, küsste seine Stirn, seine Hände. „Mein Herz! Mein Kind, du bist zurück!“ Die Frau legte die Blume zurück in die Schale. „Er lebt,“ sagte sie schlicht. „Die Blume hat ihn gehört.“
Doch draußen im Frost regte sich etwas.
Schritte. Stimmen. Immer näher.
Die Tür wurde aufgestoßen. Ein Schwall Kälte drang ins Haus, Fackeln flackerten, Funken stoben. Männer und Frauen traten ein, dicht gedrängt, Kinder an sich gedrückt. Ein ganzer Schwarm von Angst und Misstrauen.
„Da ist sie!“ rief einer. „Sie hat den Jungen verhext!“ Die Mutter stellte sich vor das Bett. „Nein! Sie hat ihn gerettet! Seht doch, er atmet!“ Die Blicke folgten dem Kind. Für einen Augenblick lag Stille im Raum. Doch dann schnaubte ein Mann: „Täuschung! Wer heilt, kann auch krank machen.“
„Seit sie da ist, erfriert das Korn,“ rief eine Frau. „Das ist kein Zufall!“ „Und ohne sie,“ schrie die Mutter, „wäre er jetzt tot!“ Ein Murmeln ging durch die Menge, Stimmen wurden lauter, überschlügen sich.
Da trat der Dorfälteste vor. Seine Gestalt gebeugt, das Gesicht von Falten durchzogen, die Stimme schwer von den Jahren. Er hob die Hand, und das Stimmengewirr verstummte.
„Ihr alle habt gesehen, wie unsere Winter härter wurden,“ sagte er. „Wie das Korn schwarz wurde, wie Kinder krank wurden, ehe der Sommer kam. Ihr alle habt die Stille gespürt, die über uns liegt, als hätten die Götter uns vergessen.“
Er wandte sich zur Frau mit der Blume.
„Und dann kam sie. Niemand weiß, woher.
Niemand kennt ihren Namen. Aber seit sie hier ist, sind die Nächte kälter. Das Wasser gefriert schneller. Tiere verenden. Sagt nicht, ihr hättet es nicht bemerkt.“
Ein leises, zustimmendes Raunen ging durch die Menge.
„Heute hat sie ein Kind gerettet,“ fuhr er fort. „Doch wer sagt uns, dass nicht sie es war, die den Tod gebracht hat? Wer gibt, kann auch nehmen.“
„Lüge!“ schrie die Mutter. „Ohne sie wäre mein Sohn verloren!“ „Wir können nicht warten, bis die Nacht uns alle verschlingt,“ donnerte der Alte.
„Wir können nicht riskieren, dass ihre Blüten uns mehr nehmen, als sie uns geben. Ich will kein zweites Grab sehen, das ihr Schatten fordert. Darum sage ich: Sie soll gehen. Heute Nacht. Solange die Kälte sie noch trägt.“
Ein Chor von Stimmen erhob sich, erst zögernd, dann laut, bis die Wände bebten: „Sie soll gehen! Sie soll gehen!“ Die Mutter sank weinend nieder. „Nein! Ihr dürft sie nicht verjagen! Sie hat mein Kind gerettet!“ Die Frau legte eine Hand auf ihre Schulter.
„Lass es,“ sagte sie leise. „Ihre Kälte ist größer als jedes Wort.“
Sie nahm die Blume, wandte sich zur Tür.
Die Menge wich zurück, als fürchteten sie, von den Blüten berührt zu werden.
Draußen umfing sie die Nacht. Der Wind griff nach ihrem Haar, wirbelte Flocken von Reif auf.
Am Waldrand kniete sie nieder, grub mit bloßen Händen in die gefrorene Erde, legte die Blume hinein und deckte sie zu.
„Blühe,“ flüsterte sie. „Auch hier, wo die Kälte herrscht.“
Dann stand sie auf, und die Dunkelheit nahm sie auf wie eine von ihren eigenen.
Der Geruch kam zuerst.
Nicht der von Blumen, die Leben verheißen, sondern von Eisen, heiss gewordenem Gummi, kaltem Schweiss.
Ein scharfer, kaum greifbarer Stich lag in der Luft, süsslich, floral fast – als wolle ihn jemand verhöhnen mit einer Erinnerung an Reinheit. Lorenzo blieb stehen.
Man nannte ihn Lupo. Nicht, weil er heulte, sondern weil er biss, wenn es Zeit war. Vier Männer waren da. Drei lebendig, einer halbtot. Die Stimmen hallten zwischen Betonpfeilern, vermischten sich
