Bluthochzeit kroatischer Art - Ranka Keser - E-Book
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Bluthochzeit kroatischer Art E-Book

Ranka Keser

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Beschreibung

Wenn scharfe Zungen blutige Wunden hinterlassen … „Bluthochzeit kroatischer Art“ von Ranka Keser jetzt als eBook bei dotbooks. Mörderisches Kroatien: Mala Šuma ist ein kroatisches Dörfchen, in dem die Uhren anders ticken als in den großen Städten: Die Männer treffen sich abends auf ein Bier in der Kneipe und die Frauen verbringen ihre Tage am liebsten mit Klatsch und Tratsch. Das neue Lieblingsopfer der scharfen Zungen ist Ljiljana: 38 Jahre alt und trotz zweier unehelicher Kinder frisch verlobt mit dem vermögenden Boris. Als der Bräutigam nur wenige Stunden nach der Heirat ermordet aufgefunden wird, steht das Dorf Kopf – Verdächtigungen und Beschuldigungen fliegen hin und her. Nur gegenüber Marko Ban, dem ermittelnden Inspektor, sagt niemand ein Wort. Frustriert will dieser den Fall zu den Akten legen. Doch dann geschieht ein weiterer Mord, der alles ändert … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Bluthochzeit kroatischer Art“ von Ranka Keser. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 497

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Über dieses Buch:

Mala Šuma ist ein kroatisches Dörfchen, in dem die Uhren anders ticken als in den großen Städten: Die Männer treffen sich abends auf ein Bier in der Kneipe und die Frauen verbringen ihre Tage am liebsten mit Klatsch und Tratsch. Das neue Lieblingsopfer der scharfen Zungen ist Ljiljana: 38 Jahre alt und trotz zweier unehelicher Kinder frisch verlobt mit dem vermögenden Boris. Als der Bräutigam nur wenige Stunden nach der Heirat ermordet aufgefunden wird, steht das Dorf Kopf – Verdächtigungen und Beschuldigungen fliegen hin und her. Nur gegenüber Marko Ban, dem ermittelnden Inspektor, sagt niemand ein Wort. Frustriert will dieser den Fall zu den Akten legen. Doch dann geschieht ein weiterer Mord, der alles ändert …

Über die Autorin:

Ranka Keser, 1966 in Rijeka (Kroatien) geboren, lebt seit ihrem dritten Lebensjahr in Deutschland. Sie arbeitet als Autorin und Journalistin in München und leitet Schreibseminare für angehende Autoren.

Die Website der Autorin: www.ranka-keser.de

***

Aktualisierte Neuausgabe August 2016

Dieses Buch erschien bereits 2002 unter dem Titel Sag nicht hopp, bevor du springst im Milena Verlag.

Copyright © der Originalausgabe 2002 Milena Verlag

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de

Titelbildabbildung: Thinkstockphoto/Lenorlux

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-501-3

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Ranka Keser

Bluthochzeit kroatischer Art

Kriminalroman

dotbooks.

Personen

Nirvana Reljac, eine ungewöhnliche Frau in einem gewöhnlichen Dorf, deren Ehe eigentlich nur noch auf dem Papier besteht.

Arsen Reljac, Nirvanas Mann, der die enorme Begabung hat, seine Frau ständig zu verletzen.

Marko Ban, der ermittelnde Inspektor, Junggeselle mit einer Schwäche für Modellflugzeuge und Meerschweinchen.

Boris Klić, ein Mann mit vielen Facetten und einem Hang zu Ignoranz und Unzuverlässigkeit.

Ljiljana Tomić, liebt das Geld und die Freiheit. Die meisten Nachbarn sind neidisch auf sie, was ihr aber nicht viel ausmacht.

Renata Hlača, Nirvanas beste Freundin, eine Frau, die man gern als Freundin hätte, aber nicht als Feindin.

Andrej Hlača, Renatas Mann, ein Kettenraucher, der auf alles eine Antwort hat.

Nikola Horvat, Marko Bans Vorgesetzter. Eine rauhe Schale mit einem weichen Kern.

Ines Margan, das lebende Radio von Mala Šuma. Wenn sie keine Neuigkeit weiß, dann niemand.

Josip Margan, Ines’ Mann. Steht unter ihrem Pantoffel, aber für ihn gibt es Schlimmeres als das.

Anita Kaštelan, die sich notfalls mit Gewalt durchsetzt. Genießt das Leben, so gut sie kann.

Marijan Kaštelan, Anitas Mann. Macht auf Macho, was den anderen nur ein müdes Lächeln abringt.

Sabina Juretić, eine kluge ältere Frau, die keine Gelegenheit auslässt, ihren Mann zu belehren.

Benko Juretić, Sabinas Mann. Ein netter, einfacher Kerl, der für sein Leben gerne plaudert.

Vedrana Juretić, Benkos Schwester, die psychisch krank ist und das ausspricht, was alle denken.

Vilim Božić, ein einsamer Greis. Verbringt seine Tage mit Puzzlen.

Ivan Prodan, Nirvanas Vater. Sammelt Müll und ist wegen seiner Ruppigkeit nicht besonders beliebt.

ElizaČaval, Arsens Schwester, Besitzerin des Dorfladens und eine chaotische Hausfrau.

LukaČaval, Elizas Mann. Ein fröhlicher Typ, der dennoch gern auf die Welt und das Leben schimpft.

Marinka Petrović, wird geschätzt wegen ihres scharfen Verstandes.

Tereza Petrović, Marinkas Tochter. Hat sich entschlossen, ins Kloster zu gehe, was ihre Mutter, die Atheistin ist, nicht freut.

Vlado Dorić, Besitzer des Dorfwirtshauses Krokodil. Ein Ekelpaket, der seiner Frau das Leben schwer macht.

Tanja Dorić, Vlados Frau. Kümmert sich um die Kinder und füttert die Tiere.

Boško Klić, Boris’ Vater. Ein gutmütiger Mann, der gerade seinen zweiten Frühling erlebt.

Zora Klić, Boris’ Stiefmutter. Ist nicht die Hellste, tut mit Vorliebe ständig ihre Meinung kund.

Valter und Matija, ihre Hobbys sind Saufen und Leute beobachten.

Je tiefer du dich bückst, desto mehr sieht man deinen Arsch

Das Gesicht des Mannes war nicht zu erkennen. Er wandte der Gestalt den Rücken zu. Es war dunkel. Nur eine schmutzige Laterne warf trübes Licht auf die stille Straße. Die Gestalt griff nach einem Gegenstand. Der Mann drehte zögernd den Kopf, als fürchtete er, dass seine Ahnung wahr sein könnte. Die Gestalt holte zu einem kräftigen Schlag aus. Die Augen des Mannes waren plötzlich weit aufgerissen, aber sein Gesicht blieb immer noch verschwommen. Er wusste, dass er dem Tod ins Gesicht sah. Der lange Gegenstand, den die Gestalt in der Hand gehalten hatte, schlug mit einem dumpfen Geräusch auf den Kopf des Mannes. Sein Kopf wurde zu einem Vulkan und das Blut zu Lava. Er sank zitternd auf die Knie, fiel dann schwerfällig vornüber und regte sich nicht mehr. Die Gestalt ließ den Gegenstand neben dem Mann fallen und lief davon.

***

Nirvana wurde von ihrem eigenen Zucken wach. Es geschah sonst nie, dass sie schweißgebadet oder schreiend aus solchen Träumen erwachte. Vielmehr war es ein Zucken oder Winden, das sie in die Realität zurückbrachte. Durch die Ritzen in den Rollos schien die Sonne. Sie wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht, ihre Haare klebten an der Stirn und an den Wangen. Sie lag da und starrte an die Decke. Was für ein trostloser Anblick! Jeden Morgen, wenn sie aufwachte, sah sie als erstes diesen hässlichen Fleck an der Decke. Er war groß wie eine Wassermelone, die Farbe blätterte allmählich ab. Im Dach war ein Leck, es tropfte vom Dachboden langsam in ihr Schlafzimmer. Irgendwann würde sie mit getrockneter Farbe im Mund aufwachen.

Nirvana fühlte sich seltsam, als sie da lag und schwer atmend die Decke anstarrte. Hin und wieder hatte sie Träume, die sich bewahrheiteten. Beim ersten Mal war sie fünf gewesen. Sie hatte geträumt, ihre Mutter würde weggehen und nicht mehr wieder kommen. Zwei Tage nach diesem Traum kam die Mutter in ihr Zimmer und sagte, sie werde für eine Weile das Haus verlassen. Danach hatte Nirvana die Schritte ihrer Mutter draußen auf den Steinplatten gehört, die sich entfernten. Damals hatte sie zum ersten Mal dieses seltsame Gefühl. Das Gefühl, dass sie nicht einfach nur geträumt hatte. Später hatte sie mehrmals solche Träume gehabt, die eine Art Vorahnung waren. Sicher, manchmal träumte sie auch von Dingen, die dann nicht wirklich geschahen. Aber immer, wenn sie hinterher dieses bestimmte Gefühl hatte … so wie jetzt. Es war ein Gefühl von Beklemmung. Als wäre es eine Erinnerung.

Sie quälte sich aus dem Bett und ging ins Bad. Arsen hatte mal wieder Zahnpastaflecken im Waschbecken hinterlassen. Entweder waren es diese Zahnpastaspritzer oder seine Haare. Sie hatte es ihm wohl schon hundert Mal gesagt, aber es war ihm egal. Es machte sie müde, immer dasselbe zu sagen, ihn immer wieder von Neuem darauf aufmerksam zu machen. Lieber putzte sie es selbst weg.

Sie wollte nicht mehr an den Traum denken. Von einem Mord hatte sie noch nie geträumt. Aber sie sollte sich da nicht hineinsteigern. Das war doch Unsinn!

Sie drehte die Dusche auf und wusch sich Schweiß und Angst weg, mit dem Duft exotischer Früchte.

Später stand sie auf der Terrasse und streckte sich. Meistens drehte sie sich auch nach düsteren Träumen auf die andere Seite und schlief weiter. Sie stand nur früh auf, wenn sie irgendetwas quälte, wenn sie zu viel grübelte. Mit der Zeit hatte sie herausgefunden, dass das Grübeln auch nichts besser machte.

Sie setzte Kaffee in einer Mokkakanne auf, und während das Wasser sich erhitzte, blickte Nirvana auf die Dächer des Dorfes. Als Mädchen hatte sie sie manchmal gezählt, immer und immer wieder. Damals waren es zehn Häuser gewesen, heute zwölf. Hinzu kamen noch die beiden Ruinen aus dem Zweiten Weltkrieg, die damals die Italiener angezündet hatten, um einen Doppelmord der Kroaten zu rächen. Um diese beiden Ruinen kümmerte sich niemand mehr, wahrscheinlich wusste man nicht einmal, wem sie heute gehörten. Als Kind hatte Nirvana darin gern Verstecken gespielt.

Ihr Haus stand auf einem Hügel und sie konnte das gesamte Dorf überblicken. Wenn sie über das Geländer schaute, sah sie die enge Asphaltstraße. Genau gegenüber stand Ljiljanas Haus. Seit Ljiljana mit Boris zusammen war, hatte das Haus einen neuen Anstrich in hellgrün und ein neues Geländer. Außerdem hatte sich Ljiljana auch einen großen Balkon gegönnt, der zum Wohnzimmer hinausging. Auf diesem Balkon standen auf jeder Seite zwei große Säulen in Akropolisoptik, die als Blumentöpfe dienten. Rechts neben Nirvana wohnte die alte Marinka mit ihren beiden Ziegen und weiß Gott wie vielen Hühnern. Links unten war der kleine Laden. Und hinter ihr der Wald und die Wiesen. Manchmal sah sie sich auf den Wiesen und zwischen den Bäumen herumtoben. Das war lange her.

Sie schaute auf die Uhr, die sie immer am Handgelenk trug. Kurz vor acht. Vielleicht würde sie später Renata anrufen und sie auf einen Kaffee einladen. Sie drehte sich um und ging in die Küche, um den Kaffee zuzubereiten. Zwei volle Teelöffel schüttete sie ins Wasser und ließ ihn dann noch einmal aufkochen. Sie nahm die Kanne von der Herdplatte, und während das Kaffeepulver auf den Boden der Mokkakanne sank, ging sie wieder hinaus, um die Pflanzen zu gießen.

Nirvana drehte den Wasserhahn neben dem Garten auf und ließ die große Gießkanne volllaufen. Zuerst kamen die Petunien auf der Terrasse an die Reihe.

Ines fuhr mit ihrem alten Skoda vorbei, hob kurz die Hand, ohne dabei zu lächeln. Nirvana nickte ihr zu. Ines fing um neun Uhr an zu arbeiten, aber sie brach immer pünktlich um zehn nach acht auf und war somit um halb neun in der Stadt. Nirvana fragte sich, was sie eine halbe Stunde vor Öffnung des Wollgeschäftes machte. Vielleicht die Wollknäuel täglich neu nach Farben sortieren? Oder wollte sie einfach weg von ihrem schweigsamen Ehemann und der bettlägerigen Mutter? Josip arbeitete nachmittags beim Juwelier und hatte die Aufgabe, sich in der restlichen Zeit um die alte Schwiegermutter und die gemeinsame Tochter zu kümmern.

Nirvana füllte die Gießkanne nochmal auf und nahm sich nun der Glockenrebe an. Unten kamen die ersten Kunden in den Dorfladen. Sie sah gerade Tanja zwei Laibe Brot nach Hause tragen. Die Spitzen der Brote lugten aus der alten Ledertasche hervor. Tanjas Gesten waren hektisch und sie hatte es immer eilig. Kein Wunder, bei dem Vieh und einem beschissenen Ehemann. Nirvana fragte sich, wie sie von den Einnahmen der Spelunke Krokodil leben konnten. Das lag wohl mehr an Tanjas Fleiß und Organisationstalent. Als Tanja damals Vlado heiratete, hatten alle den Kopf geschüttelt.

Ein schwarzes Auto fuhr die Dorfstraße herauf. Es hielt vor Ljiljanas Haus an. Wer mochte das wohl sein? Man kannte schließlich die Freunde und Bekannten der Nachbarn, aber dieses Auto hatte sie noch nie hier gesehen. Nirvana kam sich etwas idiotisch vor, wie sie da auf der Terrasse stand und hinüber starrte. Also nahm sie ihre Gießkanne und goss die Blumen, die eigentlich schon ausreichend mit Wasser versorgt waren, doch so hatte sie den besten Ausblick auf Ljiljanas Haus. Aus dem schwarzen Auto stieg ein Typ. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Sonnenbrille und Gel im Haar. Nirvana musste sich das Grinsen verkneifen. Was für ein Wichtigtuer! War es ihm nicht peinlich, so offensichtlich auf Mafioso zu machen? Er sah aus wie eine Kopie der Blues Brothers, war übergewichtig und hatte ein Tattoo am Hals, das von Weitem aussah wie ein Regenwurm. Aber wahrscheinlich sollte es eine Schlange darstellen. Er läutete bei Ljiljana. Nirvana wunderte sich, dass niemand öffnete, denn samstags arbeitete Ljiljana nicht. Anscheinend waren auch die Kinder nicht da. Er hämmerte kräftig an die Tür. Dann drehte er sich um und ging zurück zu seinem Auto. Als er fast angekommen war, hob er den Kopf und sah zu Nirvana herauf. »Was gibt’s zu glotzen, du Dorfweib?«

Sie war so überrascht, dass ein paar Sekunden vergingen, bevor sie antwortete: »Natürlich gibt’s was zu glotzen. So einen lächerlichen Pseudomacker wie dich sieht man nicht alle Tage.« Kaum hatte sie den Satz zu Ende gesprochen, bereute sie es auch schon. Es war gar nicht ihre Art, sich so auszudrücken.

Er zeigte ihr den Mittelfinger und stieg in sein Auto. »Idiot«, murmelte sie vor sich hin. Die Mafiosokopie gab kräftig Gas und brauste davon. Nirvana ging ins Haus und rief Renata an, um sie zum Kaffee einzuladen.

***

Renata lehnte sich zufrieden in dem Terrassenstuhl zurück. »Ich freue mich auf die Hochzeit.«

Nirvana nippte an ihrer Mokkatasse. »Wirklich? Aber du kannst Ljiljana doch gar nicht leiden. Also kann es dir eigentlich egal sein, dass sie heiratet.«

»Aber ich bin schon lange auf keiner Hochzeit mehr gewesen. Eigentlich bin ja auch nicht ich zur Hochzeit eingeladen, sondern Andrej.«

»Jetzt sei nicht so empfindlich. Sie hat euch beide eingeladen.«

Renata winkte ab. »Aber nur, weil sie und Andrej als Kinder befreundet waren.« Sie dachte eine Weile nach. »Und vielleicht, weil wir Nachbarn sind.« Verschwörerisch beugte sie sich über den Tisch hinweg Nirvana zu. »Sie soll fünftausend Kuna für das Kleid ausgegeben haben.«

»Sie? Ich glaube eher, Boris hat fünftausend Kuna ausgegeben.« Nirvana versuchte, gelassen zu klingen. »Na ja. Von mir aus hat er eine Million ausgegeben. Wen interessiert’s?«

»Kannst du dich erinnern, wie sie früher herumgelaufen ist?« Renatas Gesicht verzog sich zu einer Fratze.

Nirvana zuckte mit den Schultern. »Na ja, dass ihre Eltern kein Geld hatten, dafür konnte sie schließlich nichts.«

»Ja, aber seit sie sich Boris gekrallt hat, kommt sie sich vor, wie die edelste Stute im Stall.« Renata schloss die Augen, als sie in die Sonne blickte. »Sie wirft mit dem Geld um sich wie eine Verrückte. Und dass Boris das alles mit sich machen lässt, spricht ja auch irgendwie gegen seine Intelligenz. Ich sage nur: Chantal.«

Nirvana verschluckte sich vor Lachen an ihrem Kaffee. »Ja, das ist schon schwer zu verstehen. Sie kauft sich diesen Pudel für ein Heidengeld und er spaziert nachts damit herum.«

»Angeleint, als wären wir in der Stadt.«

»Ljiljana sagt, weil es eine Hündin ist. Chantal soll ja nicht von irgendeinem x-beliebigen Köter besprungen werden.«

»Wenn ich mir einen Pudel anschaffen und Andrej sagen würde, er soll spät abends mit ihm Gassi gehen, angeleint, ich glaube, der würde mir sonst was erzählen. Boris spinnt, dass er das mitmacht, und Ljiljana dreht immer mehr durch. Sie macht auf Pariser Comtesse oder so.«

Nirvana schenkte ihnen aus der verbeulten Mokkakanne noch einmal nach und sah ihre Freundin dabei prüfend an. »Früher mochte ich Ljiljana eigentlich ganz gern, aber sie ist wirklich immer hochnäsiger geworden.« Sie streckte die Beine auf dem ihr gegenüber stehenden Stuhl aus. »Früher hat sie den Mund nicht aufgekriegt. Jetzt denkt sie wohl, endlich ist sie wer.«

»Sie tut mir leid.« Der gehässige Ton in Renatas Stimme war nicht zu überhören.

»Sie tut dir leid? Sie macht mit Boris den Fang des Jahrhunderts, aber sie tut dir leid?«

»Ach, komm schon. Boris kauft ihr einen neuen Golf und sie kriegt nicht einmal mehr einen Gruß über die Lippen. Das ist doch lächerlich.«

»Als wir zusammen in die Schule gingen, war sie ganz anders. Sie hat mich immer abschreiben lassen. Tja, war sowieso umsonst. Ich bin seit zwanzig Jahren Hausfrau und sie arbeitet bei der Bank. Außerdem war sie nicht nur ziemlich schlau, sondern auch hübsch.«

»Gutes Stichwort. Hast du gemerkt, dass ihr Hintern immer fetter wird?«

Nirvana dachte einen Augenblick ernsthaft über die Frage nach. »Nein.«

»Was? Du hast nichts gemerkt? Ich bitte dich!«

Nirvana zuckte mit den Schultern. »Nichts gemerkt. Leider.«

»Mich würde auch mal interessieren, was es mit den Vätern von Aljoša und Kevin auf sich hat.«

»Wie meinst du das?« fragte Nirvana überrascht.

Renata beschloss, im Flüsterton weiter zu sprechen. Eine etwas späte Erkenntnis, wenn man bedachte, dass Ljiljanas Haus nur einen Steinwurf entfernt lag. »Glaubst du, sie weiß, wer die Väter sind?«

»Renata! Sie hat zwei Kinder von zwei verschiedenen Männern, na und? Es liegen zehn Jahre zwischen den Kindern. Wahrscheinlich hat sie einfach nur Pech gehabt.«

Renata verzog ungläubig den Mund. »Ich weiß nicht recht. Man hat sie nie mit einem Mann zusammen gesehen. Das ist doch alles nicht normal.«

»Natürlich würde es mich auch interessieren, wer die Typen sind …«

»Und dann diese übertriebenen Namen, die sie den armen Kindern gegeben hat. Aljoša und Kevin! Einfach unmöglich.«

»Vielleicht plädiert sie so für die russisch-amerikanische Freundschaft«, witzelte Nirvana.

Renata klopfte mit den Fingern auf den Tisch. Ihr Blick wirkte ein wenig wie der einer Irren, die sich gerade an ihre Identität zu erinnern versucht. »Es ist schon bemerkenswert, dass Boris sie mit zwei unehelichen Kindern heiratet.«

»Irgendetwas wird er an ihr finden, sonst würde er sie nicht heiraten.«

»Du versuchst doch immer, in jedem Menschen etwas Gutes zu sehen.« Es klang für Nirvana wie ein Vorwurf, eine Kritik an ihrer Naivität und Kompromisslosigkeit. Sie kannte Renata schon ihr ganzes Leben lang und sie waren schon immer Freundinnen gewesen, aber manchmal verletzten sie Renatas Seitenhiebe.

»Weißt du, was ich wirklich an ihr mag?« Nirvana setzte sich aufrecht hin und versuchte, selbstbewusst auszusehen.

Renata schaute erwartungsvoll, sagte aber nichts. Abwesend führte sie die Mokkatasse zum Mund.

»Mir gefällt, dass sie tut, was sie für richtig hält. Sie pfeift auf Regeln und Normen. Ich finde das mutig.«

Renata zuckte mit den Schultern. »Du bist doch auch so. Du gibst nichts darauf, was die Leute von dir denken.«

Nirvana sann darüber nach. »Aber Ljiljana ist viel stärker als ich. Sie hat zwei uneheliche Kinder, erzieht sie allein und ist zufrieden. Sie ist ausgebrochen aus der Norm und hat ihr Leben selbst in die Hand genommen.«

Renata kniff die Augen zusammen und sah sie aufmerksam an. »Was ist los? Krach mit der besseren Hälfte?« Geräuschvoll ließ Renata die Tasse auf den Untersetzer krachen. Renata hatte ihre Neugier noch nie verbergen können.

»Ach, Quatsch. Das hat doch damit nichts zu tun.« Nirvana lachte eine Spur zu schrill.

Renata blieb ernst und sah sie immer noch bohrend an. Nirvana hatte den Eindruck, dass Renata nichts von dem verstand, was sie gesagt hatte. Deshalb beschloss sie, den Unbekannten nicht zu erwähnen, der heute Morgen bei Ljiljana aufgekreuzt war.

***

Arsen kam spät nach Hause. Die Arbeit bei der Technischen Untersuchung war manchmal sehr anstrengend. Allerdings war die nervliche Belastung durch die Leute, die mit allen Mitteln versuchten, ihr Auto durchzubringen, weit höher als die körperliche Belastung.

Letzte Woche war wieder so ein Fall gewesen. Eine Oma mit Hütchen und Handschühchen hatte Arsen davon zu überzeugen versucht, dass ihr alter Klapperkasten noch mindestens fünfzehn Jahre vor sich hatte.

»Aber sehen Sie denn nicht, dass der Rost vorne an den Pedalen schon Löcher gefressen hat?« Arsen hatte verzweifelt mit dem Kopf geschüttelt.

Die Dame war unbeeindruckt geblieben. »Na und? Ich fahre nie bei Regen.«

Arsen hatte gelacht, und die Dame hatte ihm im Flüsterton versprochen, am nächsten Tag eine große Portion Steaks und Filets vorbeizubringen. Ihr Schwiegersohn sei Metzger. Arsen hatte eingewilligt. Am nächsten Tag kam sie nicht. Arsen war nicht sehr erstaunt darüber. Wie oft versprachen die Leute irgendwelche Dinge. Wenn sie nicht gleich etwas herausrückten oder ihm dezent einen Umschlag zuschoben, konnte man die Sache gleich vergessen. Arsen war hart. Er ließ die alten Karren durchfallen, wenn die Besitzer nicht großzügig waren. Die Dame kam zwar nicht am nächsten Tag, aber dafür am übernächsten. Sie winkte ihn zum Parkplatz und hielt ihm ein riesiges Paket entgegen, gefüllt mit dem Besten von Kalb und Rind. Sie entschuldigte sich mehrfach, dass sie es am Vortag nicht geschafft hatte. Arsen war zufrieden, und Nirvana auch, als er das Fleisch nach Hause brachte.

So schlug man sich eben durch in diesem Land. Eine ordentliche Dienstleistung bekam man nur, wenn man sich gefällig zeigte. Wer nicht konnte, hatte Pech. Eine einigermaßen gute Stelle bekam man auch nur durch gute Beziehungen oder sehr viel Glück. Kompetenz kam gleich nach Vitamin B. Aber das Schlimmste war, dass junge Leute früher dafür gekämpft hatten zu studieren oder einen guten Job zu finden. Heute nicht mehr. Sie dachten nicht darüber nach, wie aus einer miserablen Situation eine erträgliche zu machen sein könnte. Wer konnte, ging ins Ausland, wer nicht konnte, kämpfte mit seinem mickrigen Gehalt ums Überleben. Die Menschen waren allgemein lethargischer geworden.

»Du kommst spät. Es ist schon nach zehn. Ihr habt doch nur bis acht geöffnet.« Nirvana stellte den Teller auf den Tisch und sah Arsen an.

Er setzte sich an den Küchentisch und starrte angewidert auf seinen gefüllten Teller. »Was ist das?«

Sie legte ihm das Besteck hin. »Was ist was? Gemüseauflauf. Ich hab dich was gefragt, Arsen.«

Er sah genervt auf und seufzte so laut, als wäre es seine Henkersmahlzeit. »Wir hatten viel Arbeit, Mann. Ich konnte nicht früher.« Wieder ein freudloser Blick auf den Teller. »Glaubst du, ich bleibe freiwillig länger oder was? So viel Spaß macht mir die verdammte Arbeit auch nicht. Hör mal, was hast du da wieder für eine Vegetarier-Pampe gekocht?«

Nirvana sah ihn von oben herab an. Sie verschränkte die Arme und versuchte, gleichgültig auszusehen. Warum musste er immer in diesem Ton mit ihr reden? »Du brauchst nicht so aggressiv zu sein. Aggressivität macht alt.« Sie ging aus der Küche.

»Nirvaaanaaa!« Er schrie so laut, dass sie glaubte, die Wandteller wackeln zu sehen. In solchen Momenten wäre sie am liebsten davongerannt. Wie Thelma. Aber woher sollte sie eine Louise nehmen, die mit ihr rannte? Mit Renata konnte sie da nicht rechnen. Die schätzte ihr gemütliches Heim. Ja. Davonrennen wäre nicht schlecht. So weit fort wie möglich.

Sie ging zurück in die Küche und sah ihn gespielt mitleidig an. »Was?«

»Wenn du Vegetarierin sein willst, dann ist das deine Sache. Aber ich will nicht jeden Tag diese verdammten Gemüsebreie.«

»Ich bin keine Vegetarierin«, stellte sie fest, »ich bin nur der Meinung, dass wir nicht jeden Tag Fleisch essen müssen. Erstens können wir uns das kaum leisten, und zweitens ist es ungesund.« Sie lehnte am Türrahmen und steckte die Hände in ihre Jeans. »Glaub mir, das ist besser für dich.«

»Vier Mal in der Woche will ich mein Fleisch. Das ist wohl nicht zu viel verlangt. Gestern hast du mir so einen Auberginenmatsch vorgesetzt, und heute das hier.« Sie sahen einander an. Seine grünen Augen funkelten wütend. »Du hättest dir vor zwanzig Jahren eine Arbeit suchen sollen, dann hätten wir jetzt mehr Geld.«

»Bist du beim Friseur gewesen?«, fragte sie, betont fröhlich. Manchmal ging er darauf ein. Wenn sie tat, als hätte sie selbst allerbeste Laune, dann ließ er sich erweichen und hörte zumindest auf, sie anzuschnauzen. Doch es kam vor, dass sie einfach nicht die Energie hatte und sich überwinden konnte, ihm und sich diesen Gefallen zu tun.

Endlich fing er an zu löffeln. »Jaaa, in der Mittagspause.« Nachdem er den ersten Bissen seiner Mahlzeit hinuntergeschluckt hatte, verzog sich sein Gesicht zu einer hässlichen Grimasse.

»Sieht gut aus. Deine Haare haben mir schon immer gefallen, weißt du? Ich wollte auch immer blond sein. Ich habe es gehasst, diese durchschnittlichen braunen Haare zu haben.«

»Dann färb sie doch.« Er warf ihr einen flüchtigen Blick zu und rührte in seinem Essen herum.

»Eigentlich hättest du jetzt etwas Nettes über meine Haare sagen sollen, anstatt diesen miesen Vorschlag zu machen.«

»Deine Haare sind schön«, sagte er hölzern.

»Danke für das spontane Kompliment.« Nirvana stieß sich vom Türrahmen ab und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Sie trank es aus der Flasche. Früher hätte sie das nie getan, aber irgendwie hatte es sich so eingebürgert, weil Arsen auch immer aus der Flasche trank. Ob etwas dran war, dass Ehepaare sich immer ähnlicher wurden?

»Ich habe heute in einem englischen Krimi gelesen, dass Arsen ein Gift ist. Wusstest du das?«

Er lächelte leicht und so kurz, dass sie nicht sicher war, ob er es wirklich getan hatte. »Ja, wusste ich.« Seufzend schob er den Teller beiseite. Die Hälfte hatte er übrig gelassen.

Nirvana schüttelte den Kopf. »Warum haben deine Eltern dir diesen Namen gegeben?«

Er zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück. »Keine Ahnung. Vielleicht haben sie es aus einem englischen Kriminalroman. Außerdem kommt der Name doch recht häufig vor, zumindest in Kroatien.« Er nahm sich eine Zigarette aus der zerknautschten Packung und zündete sie genüsslich an. »Ausgerechnet du musst mich nach meinem komischen Namen fragen. Deine durchgeknallte Hippie-Mutter hat plötzlich Silvana durch Nirvana ersetzt. Also, entschuldige bitte …«

»Ich mag es nicht, wenn du so über sie sprichst.« Sie versuchte, autoritär zu klingen. »Sie ist vielleicht kein Vorbild an Tugendhaftigkeit. Aber sie ist immer noch meine Mutter!«

Arsen blies im Zeitlupentempo den Rauch aus und musterte seine Frau dabei. »Hast du heute die Zeitung gekauft?«

»Ja, aber nur, weil heute die Fernsehübersicht drin ist. Die Zeitungen werden auch immer teurer.«

»Alles wird teurer, nicht nur die Zeitung.«

Nirvana griff nach der Zeitung auf der Fensterbank und warf sie Arsen zu. Er fing sofort an, darin zu blättern, ohne sie weiter zu beachten. Eine Weile stand sie so da mit dem Bier in der Hand. Wie wenig Respekt er für sie empfinden musste, wenn es ihn nicht störte, dass sie neben ihm stand, während er las. Sie ging ins Wohnzimmer, ließ sich auf die Couch fallen und schaltete den alten Fernseher ein, der eine Minute brauchte, bis das volle Bild zu sehen war. Als sie ihn damals gekauft hatten, waren sie fasziniert davon gewesen, dass der Ton sofort zu hören war, sobald man ihn einschaltete.

Wieder eine von diesen indischen Billigserien. Früher waren abends immer gute Serien oder Filme zu sehen gewesen. Jetzt liefen oft irgendwelche langweiligen Reportagen oder Dokumentationen. Es fehlte hinten und vorne an Geld, aber Hauptsache man startete immer irgendwelche überflüssigen Misswahlen und ließ die Schönheiten über die Laufstege stolzieren. Außerdem waren sie ständig dabei, die Touristen zu zählen. Das war das Einzige, was dieses Land einigermaßen aus der Misere holen konnte. Jeden Abend bekamen es die Zuschauer vorgesetzt: man hielt den Touristen das Mikrofon unter die Nase und fragte sie, wie ihr Urlaub sei. Derartig überrumpelt sagten natürlich alle dasselbe: »Ganz wundervoll, ein schönes Land, nette Menschen, schöne Strände …« Nirvana fragte sich, was die Fernsehjournalisten den Zuschauern damit eigentlich beweisen oder sagen wollten. Ihr war es ziemlich egal, was die Touristen dachten. Sie konnte sich jedenfalls keine Reisen leisten, und diese Leute entfachten manchmal Neid in ihr.

Sie hörte, wie Arsen in der Küche herumhantierte. Sie hatte vergessen, Bier zu kaufen, die letzte Flasche hielt sie gerade in der Hand. Bestimmt fing er deswegen gleich zu nörgeln an. Aber nein, er sagte nichts. Mit einem Glas Mineralwasser kam er ins Wohnzimmer und legte sich auf die andere Couch. Er starrte in den Fernseher. Sie beobachtete ihn dabei. Er sah noch immer gut aus. Eigentlich hatte er sich in diesen neunzehn Jahren Ehe kaum verändert. Er war noch immer schlank und muskulös.

»Arsen? Kann ich dich mal etwas fragen?«

Er wandte den Blick nicht vom Fernseher. »Hmhm.«

»Was hat dir damals an mir gefallen? Warum hast du dich in mich verliebt?«

Verwirrt drehte er dem Kopf in ihre Richtung. »Hä?«

»Nun sag schon.«

Er seufzte, wie so oft, wenn sie eine ihrer Fragen stellte. »Du hast ein schönes Gesicht gehabt.«

»Gehabt? Vielen Dank!«

»Du hast gefragt, warum ich mich damals in dich, na ja, damals eben. Wir reden doch von damals, oder?«

»Warum fällt es dir eigentlich so schwer, das Wort verliebt auszusprechen?«

»Ach, Nirvana«, stöhnte er.

»Was?«

»Wir sind doch keine zwanzig mehr, Mann.«

»Was hat denn das damit zu tun?«

Er wackelte eine Weile mit seinen Kopf hin und her. »Natüüürlich war ich verliebt in dich.«

Sie setzte sich aufrecht hin. »Ach, darum geht es doch gar nicht. Ich … ach, vergiss es einfach.«

Sie starrten in den Fernseher, sahen zu, wie die indische Familie nach zwanzig Folgen dem Liebespaar alle Steine aus dem Weg räumte, was das Schicksal ihnen immer wieder auferlegte. Die Familie hatte den ganzen Tag nichts zu tun, außer Gespräche miteinander zu führen und Tee zu trinken.

»Ich habe Tea einen Brief geschrieben. Du könntest auch ein paar Worte hinzufügen.«

Er stöhnte. »Wozu denn? Du schreibst in unser beider Namen und grüßt sie herzlich von mir.«

»Mein Gott, Arsen«, sie schlug mit den Handflächen neben sich auf die Couch, »sie ist deine Tochter. Glaubst du, sie würde sich nicht freuen, wenn du ihr ein paar Zeilen schreibst?«

»Meine Tochter hat mich nicht gefragt, ob sie nach London gehen darf. Sie ist einfach gegangen.«

»Tea ist volljährig«, sagte Nirvana in energischem Ton, »sie muss dich nicht fragen.«

Er zuckte mit den Schultern. »Von mir aus. Also habe ich als Vater meine Pflicht erfüllt. Sie ist ja jetzt volljährig.«

Nirvana beugte sich nach vorne und stützte die Arme auf ihre Knie. Ihre Locken fielen über die Wangen. »Sie hat es bestimmt nicht leicht dort. Sie schreibt zwar, sie hätte sich schon ein bisschen eingewöhnt und die Familie sei ganz nett, aber mit der Sprache hapert es halt und sie kennt niemanden. Sie vermisst nun mal ihre Eltern und ihre Freunde. Und natürlich auch dieses Dorf.«

»Tja, gegen Mala Šuma ist London natürlich ein Kaff.« Er verzog den Mund, sah sie von der Seite an.

»Hör auf, sarkastisch zu sein«, fuhr sie ihn an. »Ich kann nicht glauben, dass du so wenig Verständnis für Tea aufbringst.«

Eine halbe Minute verging. Es war still, denn die junge Frau im Fernsehen streichelte gerade schweigend die Hand ihres Verlobten, während sie sich schweigend ansahen. Die Uhr im realen Wohnzimmer tickte laut über der Kommode.

»Sie wird nie mehr zurückkommen. Kapierst du das nicht?«

Nirvana schoss einen scharfen Blick in seine Richtung ab. Sie wünschte, er hätte das nicht gesagt und er würde es nie wieder sagen. »So ein Unsinn! Was redest du denn da?«

»Jeder, der bisher von hier wegging, ist nicht mehr wiedergekommen. Jedenfalls nicht mehr, um hier zu leben. Unsere Verwandten und Schulfreunde von damals, wo sind sie jetzt? In der Schweiz, Deutschland, Österreich, Italien und so weiter. Ein paar sind sogar am Ende der Welt, in Australien oder Kanada.« Er nahm sich bedächtig eine Zigarette aus der Packung. »In England verdient Dorotea als Babysitter drei Mal so viel wie hier als Hotelfachfrau, obwohl sie dafür jahrelang in die Schule gegangen ist. Sie wird es sich zehnmal überlegen, ob sie zurückkommt.«

Nirvana stand erbost auf. »Ich will so was nicht hören.« Sie verschwand mit schnellen Schritten in die Küche.

Wütend spülte sie das Geschirr, knallte die Teller lautstark auf das Abtropfgestell. Glaubte Arsen wirklich, was er da sagte? Würde sie ihre Dorotea nur noch einmal im Jahr sehen, plaudernd über die alten Zeiten in Mala Šuma; zwischen Koffern und blassen, englischen Kindern? Tea war das Wertvollste, das sie hatte. Wer, außer ihr, war so wichtig für sie? Arsen, dem sie offensichtlich nur noch auf die Nerven ging? Ihr Vater, der sie noch nie richtig verstanden hatte? Im Grunde verstand sie niemand. Die einen hielten sie für ein bisschen verrückt, und den anderen schien sie auf die Nerven zu gehen.

***

Als sie aufwachte, war es schon zehn Uhr vorbei. Ein paar Leute aus dem Dorf hatten jetzt sicher ein Gesprächsthema: Bei Nirvana waren um zehn Uhr die Vorhänge noch zugezogen. Gute Hausfrauen standen vor acht Uhr auf. Die Seite neben ihr war leer. Es war Samstag und Arsen hatte frei. Eigentlich schlief er am Wochenende aus, vor zehn stand er fast nie auf.

Nirvana dachte an die Hochzeit, die heute in einer Woche sein würde. Die Leute im Dorf fragten sich, warum Ljiljana mit achtunddreißig Jahren noch heiratete. Gerade so, als würde sich das gar nicht mehr lohnen. Als wäre das nur etwas für verliebte Teenager. Ljiljana hatte Glück. Früher war sie eine von ihnen gewesen, war gerade so über die Runden gekommen. Nun hatte sie einen Mann, der als selbständiger Fliesenleger arbeitete und damit viel Geld verdiente. Boris war in seinem Job sehr gefragt und manchmal mehr als ein halbes Jahr im Voraus ausgebucht.

Nirvana versuchte sich vorzustellen, wie die temperamentvolle Ljiljana mit dem ruhigen Boris zurechtkommen sollte. Vielleicht würden sie einander besser verstehen als andere, die angeblich so viel gemeinsam hatten.

***

Vor dem Laden hockten Matija und Valter. Die beiden Freunde waren morgens die ersten Kunden bei Eliza. Seit dreißig Jahren lebten sie von der Sozialhilfe und setzten diese in Bier um. Um diese Zeit, wenn der Alkohol seine volle Wirkung noch nicht zeigte, waren sie einigermaßen höflich. Nachmittags jedoch vermied man den Kontakt mit ihnen besser, da sie oft ausfallend wurden. Sie widerten Nirvana an. Matijas zahnloser Mund war immer fransig und trocken. Valter hatte tagein, tagaus dasselbe an. Sein rotkariertes Hemd trug er im Sommer aufgekrempelt und im Winter mit einer Jacke darüber. Wenn man ihnen aus Platzmangel notgedrungen näherkommen musste, schlug einem der Gestank von Alkohol, Nikotin und ungewaschenen Körpern entgegen.

Sie saßen auf Obstkisten aus Holz, die sie umgedreht auf den Boden gestellt hatten. Neben ihnen, vor dem Eingang des Ladens, standen Getränkekisten und leere Kartons herum.

»Wunderschönen guten Morgen, Fräuleinchen«, krächzte Matija. Sein Kumpan grinste.

Nirvana blieb stehen und sah sie an. »Fräuleinchen? Was ist das denn für ein idiotisches Wort? Bin ich einen Meter groß oder was?«

Die beiden lachten, als hätte sie den Witz des Jahrhunderts erzählt.

Nirvana betrat das Geschäft – und fiel beinahe in Ohnmacht. Vedrana stand da und machte Eliza das Leben zur Hölle, wie so oft. Alle wussten, dass Vedrana harmlos war, aber manchmal trieb sie einen zur Verzweiflung. Das Problem war, dass Vedrana grundsätzlich aussprach, was das ganze Dorf dachte. Hin und wieder war es sogar lustig, aber für manch einen im Dorf hatte es dank Vedrana schon unangenehme Enthüllungen gegeben.

Sie drehte sich um, als sie Nirvana kommen hörte. Nirvana versuchte, ein Lachen zu unterdrücken. Vedrana war geschminkt wie eine in die Jahre gekommene Hafenprostituierte. Blauer Lidschatten bis zu den Augenbrauen und dunkelrotes Rouge. Ihr Mund war über den Rand hinaus lila geschminkt. Nirvana warf Eliza einen Blick zu, und diese biss sich auf die Lippe.

»Also, was kosten nun die Kekse?«, krächzte Vedrana.

»Hab ich doch schon zweimal gesagt«, antwortete Eliza ruhig, »acht Kuna zwanzig.«

»Du verdammte Halsabschneiderin! Als du klein warst, hab ich dir Bonbons geschenkt. Wie oft hab ich dir Bonbons geschenkt, als meine Mutter noch den Laden hatte, hä? Sag schon.« Sie erwartete tatsächlich eine Antwort.

Eliza zuckte hilflos mit den Schultern. »Ja, Vedrana, das stimmt. Aber die Zeiten haben sich geändert.«

Wenn Vedrana im Laden war, ging nichts mehr voran. Lange Wartezeiten waren vorprogrammiert, weil sie entweder wegen der Preise mit Eliza stritt oder stundenlang in ihren vielen Taschen nach dem Geld kramte. Nirvana sah sich gelangweilt um. Der Laden war weiß getüncht, an den Wänden hingen Werbeposter für Eiscreme oder Gewürze. Luka, Elizas Mann, hatte die hellen Holzregale selbst gebaut. Eliza war zwar nicht die Fleißigste, aber sie machte ihren Job gewissenhaft, deshalb waren die Regale immer gut gefüllt. Eliza hatte keine Kasse, sondern warf das Geld lose in eine Schublade.

Sabina betrat den Laden. Sie nickte Nirvana kurz zu. Nirvana freute sich immer, Sabina zu sehen. Sie war in letzter Zeit sehr gealtert, und Nirvana hasste es, wenn die Menschen um sie herum alterten. Das zeigte ihr, wie vergänglich das Leben war. Sabina ging nun sogar etwas gebückt.

Vedrana regte sich immer noch auf. »Ich sag’s ja. Du kannst von den Menschen keine Dankbarkeit erwarten. Je tiefer du dich bückst, desto mehr sieht man deinen Arsch. Die Bibel predigt Unterwürfigkeit, aber die Leute nutzen das nur schamlos aus.«

Sabina gähnte demonstrativ. »Ja genau, Vedrana. Du bist die Unterwürfigkeit in Person. Na mach schon. Ich will heute noch dran kommen.«

»Ja ja, keine Hetze!« Sie warf theatralisch ihren Kopf zurück und stützte die Hände in die Hüften. »Los, Elizabeta. Gib mir die Kekse. Dann muss ich eben auf die Milch verzichten, wenn die Kekse so teuer sind.« Eliza holte die Kekse vom Regal. Vedrana riss sie ihr wütend aus der Hand, noch bevor sie die Packung auf den Tresen legen konnte, und verstaute sie in ihrer großen Netztasche. Sie nahm ein paar Scheine, die sie in einem blauen Briefkuvert aufbewahrte, und knallte sie Eliza auf den Tresen. Gerade als die Frauen aufatmen wollten, riss Vedrana unvermittelt ihren Rock hoch und bot einen knapp sitzenden, sexy Slip zur Schau, auf dem Love stand. Weißes Fleisch quoll über das bisschen Stoff. »Ich wette, niemand in Mala Šuma hat so eine scharfe Unterhose, hä?« rief sie euphorisch in den kleinen Laden. Ihr Mund war weit aufgerissen. Sie lachte aus vollem Hals.

Nirvana und Eliza grinsten mitleidig. Sabina seufzte gequält und drehte den Kopf zur Seite. Endlich schob sich Vedrana in Richtung Tür und verschwand in der heißen Junisonne.

»Die Unterhose hat sie bestimmt von irgendeiner Wäscheleine geklaut«, kommentierte Eliza.

»So eine arme Kreatur«, stöhnte Sabina.

»Das würdest du nicht sagen, wenn du jeden Tag mit ihr zu tun hättest«, sagte Eliza, nicht ohne eine Spur Selbstmitleid. »Was bekommst du, Nirvana?«

»Ein halbes Brot und eine Packung Reis.«

Während Eliza das Gewünschte vom Regal holte und vor sie hinstellte, fragte sie: »Wie geht es meinem großen Bruder?«

»Arsen ist heute ziemlich früh aufgestanden. Als ich ihn vorhin gesucht habe, fand ich ihn tatsächlich beim Holzhacken.«

»Er hackt Holz? Im Juni?«

»Es ist eine Menge liegen geblieben über den Winter. Wir haben uns im Herbst mit dem Einkauf verschätzt.«

»Seit ihr eigentlich auch auf die Hochzeit eingeladen?«

»Ja, und ihr?«

»Schon, aber wir gehen nicht hin.« Eliza wandte den Blick ab.

Nirvana holte ihren Geldbeutel hervor und sah sie verwundert an. »Aber warum denn nicht?«

Eliza zuckte verlegen mit den Schultern. Sie tat geheimnisvoll.

»Was ist los?« hakte Nirvana nach.

»Wir haben einen Termin in Zagreb, bei einem Spezialisten.« Sie sah abwechselnd zu Nirvana und Sabina und wurde ein bisschen rot dabei. »Danach wissen wir mehr.«

Nirvana langte über die weiß gestrichene Holzplatte und legte ihre Hand auf die von Elizas. »Das ist ja toll. Vielleicht klappt es ja.«

»Ich würde mich sehr für dich freuen, Eliza«, meinte Sabina leise.

»Danke, ihr beiden. Luka und ich dachten schon über eine Adoption nach, aber er will lieber ein eigenes Kind. Männer sind da irgendwie eitel, glaube ich.«

»Tja, davon verstehe ich nichts.«

»Von Männern?«, grinste Eliza.

»Das auch«, grinste Nirvana, »aber ich meinte die Adoptionssache. Jedenfalls wäre es schön, wenn’s klappt.«

»Ja«, sagte Eliza. Ihre Augen leuchteten, wie es Nirvana nur selten bei Erwachsenen gesehen hatte.

***

Nirvana zwängte sich in das rote Kostüm, sie versuchte es zumindest. Mittlerweile war es sechs Jahre alt und entschieden zu eng. Sie hatte es für die Hochzeit von Eliza und Luka gekauft. Damals war es wie für sie gemacht gewesen. Verdammt. Ein neues Kostüm zu kaufen war unmöglich. Sie sparten seit einem Jahr für eine neue Waschmaschine. Nirvana seufzte, zog den Bauch ein und strich den Rock glatt. Zur Feier des Tages hatte sie sich ein bisschen geschminkt. Sie zog die schwarzen Pumps an und ging zu Arsen ins Wohnzimmer. Nirvana hasste hohe Schuhe und in ihrem ganzen Leben hatte sie nur zwei Paar davon besessen. Darin laufen konnte sie auch nicht. Sie sah dann aus wie John Wayne, den man in Stöckelschuhe gepackt hatte. Sie stellte sich zwischen Arsen und den Fernseher und sah ihn an. Er blickte zu ihr hoch und grinste. »Pass auf, dass dir nach dem zweiten Gang nicht die Knöpfe weg springen.«

Sie nickte. »Ich weiß. Es sieht furchtbar aus.«

»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht solltest du nur einen anderen Rock dazu anziehen, das ist alles. Sonst ist es in Ordnung.«

»Ich fühle mich einfach unwohl in so einer Aufmachung. Das weißt du genau. Ich hasse hohe Schuhe. Ich hasse enge Röcke. Ich hasse diesen weiblichen Stil.«

»Dann zieh etwas anderes an«, meinte Arsen genervt.

Sie sah ihn eine Weile durchdringend an. »Alle Frauen ziehen sich zu einer Hochzeit so an.«

Er zuckte mit den Schultern.

»Du hast Recht. Nur weil alle sich so zurechtmachen, muss ich das nicht auch tun. Ich bin nicht jede. Oder?«

»Nein«, meinte Arsen gespielt hilflos, »das bist du wirklich nicht.«

Sie ging mit großen, uneleganten Schritten zurück ins Schlafzimmer.

»Beeil dich, Nirvana«, brüllte er nach einer Weile. »Mein Anzug wird langsam staubig, während ich hier auf dich warte!«

»Du siehst unglaublich gut aus in dem Ding«, brüllte sie zurück. »Zum Glück haben Luka und du die gleiche Größe. Dunkelblau war schon immer deine Farbe. Ist nett von ihm, dass er dir seinen Anzug leiht.« Sie kam zurück ins Wohnzimmer.

»Das ist nicht dein Ernst«, murmelte er, nachdem sie sich erneut vor ihm aufgebaut hatte. Schwarze Jeans und eine schlichte weiße Bluse, dazu schwarze Slipper.

»Warum? Ich fühle mich darin wesentlich wohler.«

»Das mag schon sein, aber Ljiljana wird denken, du nimmst ihre Hochzeit nicht ernst.«

»Unsinn.«

»Ich weiß nicht, Nirvana. Es ist so … einfach.«

»Wir sind doch auch einfache Leute.«

Er schloss für ein paar Sekunden die Augen. »Wenn du meinst, dass es in Ordnung ist …«

»Ja, das meine ich. Komm schon. Es wird Zeit.«

***

Ljiljanas Gäste fanden sich in ihrem Haus ein. Später sollten der Bräutigam und seine Gäste eintreffen und die Braut abholen. Nirvana stand im Türrahmen und schaute sich um. Fast ganz Mala Šuma war hier. Anita und Ines saßen natürlich zusammen und schnatterten wie zwei Schulmädchen. Ganz im Gegensatz zu Tanja und Vlado: Die saßen nebeneinander und waren beide in Gedanken weit weg. Jetzt war Vlado noch nüchtern, also noch einigermaßen umgänglich.

Renata und Andrej waren auch schon da und winkten ihnen zu. Nirvana und Arsen gingen hinein und setzten sich. Renata saß da mit smaragdgrünen Rüschen und schwang ihre übereinandergeschlagenen Beine im Takt auf und ab. Es war unmöglich, sich bei der lauten Musik zu unterhalten. Der Akkordeonspieler, den Nirvana noch aus der Schulzeit kannte, sang so inbrünstig, dass er viel lauter war als sein Instrument. Nirvana nahm sich ein Glas und füllte es mit Rotwein. Sie passte auf, dass kein Tropfen auf die schneeweiße gestärkte Tischdecke fiel. Die Gläser waren aus feinstem Kristall. Ljiljana hatte in letzter Zeit offenbar viel eingekauft.

Endlich machte der Musikant eine Pause. Die Leute applaudierten. Nirvana mochte nicht, ihre Arme waren schwer von dem halben Glas Rotwein.

Im Flur klatschten die Leute Beifall. »Ich glaube, unsere junge Braut kommt gerade aus dem Mädchenzimmer«, meinte Renata höhnisch. »Die lässt’s krachen, was? Hochzeit mit allen Schikanen, als wär sie zwanzig.«

Nirvana füllte ihr Glas noch einmal und trank. Ljiljana kam gerade an ihrer Tür vorbei. Sie blieb stehen und strahlte über das ganze Gesicht. Sie scheint glücklich zu sein, überlegte Nirvana. Ob sie und Boris sich gut verstehen werden? Ob Boris sie liebt, richtig liebt? Ob sie in zwanzig Jahren noch miteinander reden werden?

»Ich hab gar nicht mitgekriegt, dass der Bräutigam schon da ist«, sagte Nirvana.

»Ja, die stehen draußen herum. Hab sie durchs Fenster gesehen.«

»Hochzeiten machen mich immer irgendwie traurig«, sagte Nirvana, »sie haben etwas von Tod, von Beerdigung. Irgendetwas stirbt, aber ich weiß nicht, was.« Sie kippte den letzten Tropfen Rotwein hinunter.

Renata sah sie an und zog die Augen zusammen. »Manchmal hast du wirklich einen Knall.«

***

Nachdem die Zeremonie auf dem Standesamt und in der Kirche beendet war, ging es endlich ins Restaurant. Natürlich war es das Beste vom Besten. Ein Eliterestaurant, das Nirvana nur vom Hörensagen kannte. Die riesige Halle mit dem imposanten Kronleuchter und den Ölbildern an den blassblauen Wänden wirkte geradezu majestätisch auf sie. Die Ölbilder hatten die besten Zeiten hinter sich. Sie waren grau vom Staub, der sich eingefressen hatte und die Motive waren alles andere als modern. Schiffe in Seenot und Landschaften im Frühling. Einige der Gäste waren erst jetzt hinzugekommen. Die meisten aber hatten sich schon in der Kirche und auf dem Standesamt gelangweilt. Arsen und Nirvana sahen, dass auf jedem Platz ein Kärtchen stand. Als sie näher herangingen, sahen sie, dass es Vor- und Nachnamen waren.

»Ich glaub, ich spinne«, murmelte Arsen, »die schreiben einem vor, wohin man sich setzen soll. So was Blödes hab ich ja noch nie gesehen.«

Schließlich fand Nirvana ihre beiden Plätze. Sie steuerte auf die Mitte des Saales zu, wo man mit dem Rücken zu einem großflächigen Fenster saß. Arsen kam hinterher und sah sie von der Seite an. »Was ist?«, fragte Nirvana eine Spur zu laut. Einige Augenpaare wandten sich in ihre Richtung. »Was passt dir denn jetzt schon wieder nicht?«

Arsen setzte sich neben sie und räusperte sich. »Könntest du bitte in normaler Lautstärke reden, ja? Außerdem dreh es bitte nicht so, als wäre ich immer schwer zufrieden zu stellen. Ich finde zufällig diese Plätze vollkommen daneben. Sie sind zu nah an der Band. Außerdem dachte ich, wir würden neben Renata und Andrej sitzen.«

»Ich kann schließlich auch nichts dafür. Warum musst du mir an allem die Schuld geben?«

»Tu ich doch gar nicht.«

»Du merkst es nicht einmal, was?«

Er sah nach vorne den Gästen entgegen, die hier und da noch eintrudelten. »Ich finde, es ist nicht gerade der richtige Zeitpunkt oder Ort, um über unsere Probleme zu diskutieren.«

»Du diskutierst überhaupt nicht mehr mit mir, egal wie ideal der Zeitpunkt oder der Ort ist.«

Anita und Marijan kamen an.

»Da, Honigbär, da stehen unsere Namen«, rief Anita ihrem Mann über die Schulter zu. »Ach, wie schade, dass Ines und Josip so weit weg sitzen.« Anita hob den Arm und winkte ihrer Busenfreundin Ines lächelnd zu. Nirvana spürte einen leichten Brechreiz.

»Na, können wir uns dazu setzen?«, fragte Marijan so freundlich, dass Nirvana ihn am liebsten geohrfeigt hätte. Marijans gute Manieren gingen über eine nette Begrüßung nicht hinaus. Er tat intelligenter, als er war, und das konnte Nirvana nicht leiden. Außerdem hatte er immer noch den Jargon eines Teenagers. Anita war ein Fall für sich. Es ließ sich schwer sagen, ob ihr Egoismus oder ihre Arroganz überwogen. Nirvana verfluchte im Stillen Ljiljana, die ihr die beiden aufgedrängt hatte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, diese idiotischen Kärtchen zu machen? Und dann auch noch so unpassend zusammengewürfelt! In Nirvana regte sich der Verdacht, dass Ljiljana das absichtlich inszenierte. Wie bei einer Gruppe neuer Schüler: Lernt euch doch untereinander ein bisschen näher kennen. Renata und Andrej saßen neben Ines und Josip. Renata schnitt eine genervte Grimasse in Nirvanas Richtung und eine Kopfbewegung zu Ines hin. Nirvana grinste. Und sie musste nun den ganzen Abend Marijan und Anita ertragen. Aber als sie schräg gegenüber Ines und Josip ansah, dachte sie, es hätte sie noch schlimmer treffen können.

Anita rutschte auf ihrem Stuhl herum und strich ihr Kleid glatt. »Super ist das hier«, meinte sie im Plauderton. »Aber unser Saal war noch schöner damals. Nicht, Marijan?«

Dieser nickte brav. Manchmal warfen sie mit Porzellan um sich, dass man es bis zum Laden hörte. Erstaunlich, welche Gefechte die beiden sich in den eigenen vier Wänden liefern konnten. Aber in der Öffentlichkeit waren sie immer das harmonische Ehepaar.

»Wo habt ihr denn Viviana gelassen?« Nirvana wollte höflich sein. Eigentlich waren ihr leere Phrasen zuwider.

»Sie übernachtet bei einer Freundin.« Anita schob sich mit ihren dunkelrot lackierten Nägeln ein Schokoküchlein in den dunkelroten Mund. »Wir wollten ein vierjähriges Kind nicht auf eine Hochzeit schleppen. Das ist zu verwirrend für Kinder, weißt du? Es gibt da unheimlich viele Sinneseindrücke und das kann ein Kind nicht alles verarbeiten. Ich denke, so viel Akustik schadet dem Gehör.«

»Ja, genau«, nuschelte Nirvana. Sie hörte Arsen kurz kichern.

»Manchmal haben wir sie zu meiner Mutter gebracht, aber da wollte sie nie bleiben. Marijan und ich haben uns immer darüber gewundert, denn meine Mutter ist ein wundervoller Mensch.« Für eine halbe Sekunde glaubte Nirvana ein unterdrücktes Lachen in Marijan aufglucksen zu hören. Anita nickte nachdrücklich. »Dann habe ich meiner Mutter nahe gelegt, sie sollte ihre Wohnung auch nach Feng Shui einrichten. Seitdem ist alles in bester Ordnung.«

»Und du glaubst wirklich, das liegt an diesem Peng Pfui?« Arsen lachte über seinen eigenen Witz. Nirvana konnte sich allerdings ein kleines Grinsen auch nicht verkneifen.

»Selbstverständlich!«, erboste sich Anita. »Meine Mutter hatte viele negative Energien. Sie sagt selbst, sie fühlt sich jetzt unheimlich wohl.«

»Du kennst doch deine Mutter.« Jetzt war der Zeitpunkt gekommen. Marijan kehrte den Macho raus. Er lehnte sich im Stuhl zurück und ließ seine Arme seitlich herunter baumeln. Dabei machte er sein Daniel-Craig-Gesicht, das zwar nicht so attraktiv war, aber dessen Unnahbarkeit hatte. »Sie glaubt alles, was du sagst. Verstehst du? Sie bildet sich das ein.«

»Du bist entsetzlich.« Anita liebte es, Wörter zu benutzen, die schwer oder gar nicht steigerungsfähig waren. War etwas einfach nur unangenehm, so war es für sie grauenhaft oder katastrophal. »Seit wir Feng Shui im Haus haben, bist du auch nicht mehr so müde. Das weißt du selbst. Es hat unheimlich viel gebracht.«

»Für dich ist alles, was aus China kommt, unheimlich toll.« Marijan kratzte seinen Bauch. »Feng Shui, Yoga, Sprichwörter. Sogar dieser elende Reisfraß.«

Anita wollte das Thema gern abhaken, das spürte Nirvana. Viel lieber berichtete Anita über neue Kleider, die sie sich gekauft hatte, oder über irgendwelche Elektrogeräte oder edlen Schmuck, den sie von Marijan geschenkt bekam. Die meisten Leute, die Nirvana kannte, kauften diese Dinge entweder auf Ratenzahlung oder es blieb ein Wunsch, der sich nie erfüllen würde, weil das Geld für diesen Luxus fehlte. Anita liebte es, den Glanz des Neides in den Pupillen der anderen zu sehen. Nirvana würde ihr diesen Triumph niemals gönnen.

»Warum bist du so komisch angezogen?«, fragte Anita plötzlich an Nirvana gewandt.

»Ich bin angezogen wie immer.«

»Eben.«

»Was willst du damit sagen?« Nirvana sah ihr in die Augen und lächelte dabei kein bisschen.

Anita zuckte für eine Sekunde zusammen, fing sich aber gleich wieder, mit einem Hauch roter Farbe im Gesicht. »Ach, nichts. Ich dachte nur … Macht man sich nicht ein bisschen hübsch, wenn man auf eine Hochzeit geht?«

»Ich bin hübsch.«

Die anderen drei lachten kurz auf. Das versetzte Nirvana einen Stich. Nicht wegen den beiden ihr gegenüber, sondern weil Arsen mitlachte.

»Du bist ja bescheiden«, tönte Marijan auf seine vermeintlich witzige Art. Nirvana ließ es auf sich beruhen.

Die Band fing an, ‚O Susannah‘ zu spielen. I came from Alabama, with my banjo on my knees … Das Essen wurde serviert. Selbstverständlich waren die Kellner aufmerksam und freundlich, wie es sich für so ein Haus gehörte. Zu Essen gab es etwas Undefinierbares. Eine Art Cremegulasch mit Pilzen und Gemüse. Wahrscheinlich etwas für feine Leute … Während des Essens erzählte Marijan von seiner Arbeit. Natürlich seien seine Kunden unglaublich zufrieden mit ihm und empfahlen ihn ständig weiter. Er könne sich vor Aufträgen gar nicht mehr retten, meinte er lässig. Nirvana musste widerwillig zugeben, dass das stimmte. Marijan verdiente gut, das wussten alle. Sie fragte sich allerdings, warum Männer so gern und oft von ihrer Arbeit erzählten. Merkten sie nicht, wann die Grenze der Langeweile für ihre Zuhörer erreicht war?

Nirvana brauchte eine Pause. Sie stand auf, ohne etwas zu sagen. Marijan war ohnehin so in sein Eigenlob vertieft, dass er nichts davon mitbekam. Und die anderen zwei schienen aus irgendeinem Grund an seinen Lippen zu hängen. Oder vielleicht taten sie nur so.

Sie betrat die Toilette und wäre fast in Ohnmacht gefallen. Alles in Marmor. Große, schattierte Spiegel mit vergoldeten Rahmen. Ein Wasserhahn, der keine Heiß- oder Kaltregulierung hatte. Sie hielt einfach ihre Hände unter den Hahn und ein lauwarmer Strahl lief gleichmäßig an ihrer Haut entlang. Hier spritzte das Wasser nicht in alle Richtungen wie bei ihr zu Hause. Hier war noch nicht alles vom Kalk zerfressen. Es wäre schön, ein solches Bad zu haben. Ihre gesamte Freizeit würde sie in diesem Raum verbringen. Träume, nichts als Schäume.

Gegen Mitternacht waren einige schon ziemlich betrunken, allen voran die Braut. Ljiljana griff nach dem Mikrofon, um sich bei allen herzlich zu bedanken. Ein unbeabsichtigter kleiner Rülpser folgte der freundlichen Rede. Die Leute applaudierten, als wäre es das Originellste, das sie je gehört hatten. Ljiljana stieg auf wackligen Füßen von der kleinen Bühne. Nirvana verzog dabei das Gesicht. Sie rechnete damit, Ljiljana über die drei Stufen fallen zu sehen. Ljiljana riss sich jedoch zusammen. Bedächtig setzte sie ihre kleinen Schritte, hielt dabei ihr teures, mit Chiffon und Spitze besetztes Kleid hoch. Es hatte jede Menge erstaunter Ausrufe gegeben, als Ljiljana in Weiß erschienen war. Schließlich hatte sie zwei Kinder, und in Weiß sollten nur Jungfrauen heiraten. Wenn man diese Sitte (oder Unsitte) ernst nähme, würden weiße Brautkleider in den Geschäften verschimmeln, dachte Nirvana.

Arsen machte die Runde und unterhielt sich hier und da mit den anderen Männern. Offenbar redete er mit jedem lieber als mit seiner Frau. Nirvana trank einen Rotwein nach dem anderen. Weniger aus Freude am Wein als aus Langeweile. Sie beobachtete Anita und Marijan. Die beiden schienen eine kleine Meinungsverschiedenheit zu haben.

»Du hältst dich ja für unheimlich schlau«, hörte sie Anita zischen. »Ich habe es satt, dass du mir jedes Wort im Mund umdrehst, du … du Idjöt.« Wie es aussah, waren sie mittlerweile zu betrunken, um die Schimpfwörter richtig auszusprechen.

»Du kannst dich nur nicht mehr daran erinnern, was du gesagt hast, du Furie!« Er wandte sich theatralisch ab und kippte einen Cognac nach. Nirvana merkte, dass die Leute sich plötzlich die Hälse ausrenkten und die Musik nun leiser spielte.

»Mit dir irgendwo hinzugehen ist unmöglich«, kreischte Anita gerade. »Du bist primitiv!« Das letzte Wort schleuderte sie ihm mit einer exorbitanten Genugtuung entgegen.

»Ha! Natürlich bin ich primitiv. Jeder, der nicht so zickig ist wie du, ist für dich primitiv!«

Einige der Gäste scheuten sich nicht, ein paar Schritte näher heranzukommen. Besonders, da man die einmalige Gelegenheit hatte, das verlogen harmonische Ehepaar einmal live beim Streiten erleben zu dürfen. Marijan war hässlich, wenn er wütend war. Sein Gesicht war rot und aufgebläht. Er fletschte förmlich die Zähne. Anita zog ihre Mundwinkel bis zu den Knien.

»Ich hätte jede haben können.« Marijan übertrieb maßlos, denn seit Nirvana ihn kannte, war er füllig und ungepflegt. »Aber nein, ich musste unbedingt ein Monster wie dich heiraten. Du kannst NICHTS! Du kannst nicht kochen, putzen, nähen oder sonst irgendwas. Du liegst nur faul auf der Couch herum und wirst immer fetter!« Er musterte sie demonstrativ von oben bis unten.

Anita sah ihn wutschnaubend an, dann kreischte sie in einer phänomenalen Lautstärke: »Ich weiß zumindest, wo Nordpol und Südpol liegen! Das habe ich wahrscheinlich kuchenfressend und auf der Couch liegend im Fernsehen gesehen.« Sie drehte sich um, ihrem Publikum zu. »Er fragt mich vor ein paar Tagen: ‚Sag mal, wo liegt das eigentlich – Nordpol und Südpol?‘« Sie fasste sich verzweifelt an die Stirn. »So dämlich ist er! Ich sag: ‚Das weißt du nicht, Schatz? Der Nordpol liegt in Ghana und der Südpol in Kanada.‘«

Die Hochzeitsgäste lachten, und auch Ljiljana schien sich gut zu amüsieren. Marijan stand auf, riss wütend sein Jackett vom Stuhl und verließ mit großen Schritten den Saal. Als er durch die schwere Eichentür verschwunden war, lachte Vlado laut los. Ausgerechnet Vlado, dieses Scheusal! Immer musste er sich über andere lustig machen, statt dass er vor seiner eigenen Tür kehrte. Sein Wirtshaus, das Krokodil, wurde nur von Alkoholikern besucht. Matija und Valter waren seine treuesten Gäste. Sie kamen aus dem Nachbardorf Zorići, weil es bei Vlado billiger war als in anderen Kaschemmen. Die arme Tanja hatte nicht genug mit drei Kindern, Vieh und Garten zu tun, sondern schluckte auch seine zahlreichen Affären. Irgendwann würde er Tanja noch mit AIDS oder so etwas anstecken. Tanja war einmal ein hübsches Mädchen gewesen, und sie war immer noch eine attraktive Frau. Sie war mit Nirvana in die Schule gegangen. Vlado hatte sie mit achtzehn geschwängert. Nirvana vermutete, dass es eher eine Vergewaltigung als eine Liebelei gewesen war. Nachdem ihre Eltern von der Schwangerschaft erfahren hatten, wollten sie für Tanja nur eines, die Ehe. Die Zeiten änderten sich, aber damals war es einfach noch so, dass ein uneheliches Kind ein ungünstiges Licht auf die Familie warf. Die heutige junge Generation konnte das kaum noch nachvollziehen.

Sie sah Renata und Andrej, wie sie ausgelassen auf der Tanzfläche herum hoppelten. Doch sie waren nichts im Vergleich zu Zora Klić, Boris’ Stiefmutter, deren füllige Brust durch das heftige Auf und Abhüpfen aus dem Dekolleté zu springen drohte. Ihr machte das wohl nicht viel aus. Zoras violett geschminkter Mund war den ganzen Abend über in die Breite gezogen. Sie amüsierte sich hervorragend. Ihr Mann dagegen sah der Hochzeit seines Sohnes ruhig, fast gelangweilt, zu. Beneidenswert, dachte Nirvana mit Blick zur Tanzfläche, wie man so ausgelassen sein konnte. Sie hatte noch nie gern getanzt. Sie kam sich dabei wie ein Affe im Zirkus vor.

Nirvana wurde langsam müde. Sie sah sich nach Arsen um. Als er in ihre Richtung blickte, winkte sie ihm zu und tippte mit dem Zeigefinger auf ihr linkes Handgelenk. Er kam zu ihr. »Du willst schon los?«, fragte er schroff.

»Es ist zwei Uhr.«

»Ja und? Die meisten sind noch hier.«

»Na gut. Noch eine halbe Stunde. Ich gehe ein bisschen raus an die frische Luft.« Sie verschwand nach draußen. Die Luft war angenehm kühl. Es war Vollmond. Sie spazierte um die Ecke und zündete sich eine Zigarette an. Eine männliche Person hatte sich über das Geländer gelehnt und blickte auf das Meer hinaus. Die Wellen peitschten gegen die schwarzen Felsen. Als Nirvana näherkam, erkannte sie Boris. »Hallo«, rief sie überrascht.

Er drehte den Kopf in ihre Richtung. »Oh, hallo.« Das Mondlicht war hell genug, um das Lächeln auf seinem Gesicht zu zeigen. Nirvana stellte sich neben ihn und sah ans Ufer, wo die Wellen einen weißen Schaum zurückließen. Sie liebte das Meeresrauschen. »Gefällt dir meine Hochzeit?«

Sie lächelte. »Ja.«

»Eigentlich wollte ich keine Hochzeit, weißt du. Furchtbar stressig das Ganze. Und teuer.« Er lächelte und seine weißen Zähne blitzten auf. Boris war kein schöner Mann. Er war mittelgroß und dünn. Sein Haar war schon etwas schütter und er hatte ein verlebtes Gesicht. So als hätte er in seinen achtunddreißig Jahren nur wenig Schlaf bekommen. Trotzdem war er ziemlich eitel. Vielleicht wusste er ja, dass er keine Schönheit war, versuchte aber, das Beste daraus zu machen. Er hatte sich einige Muttermale im Gesicht entfernen lassen und stemmte Gewichte im Fitnessstudio. Aber seine Zähne waren beneidenswert. Die schönsten, die Nirvana je gesehen hatte.

»Meine eigene Hochzeit ist lange her. Ich kann mich kaum noch daran erinnern.« Sie lächelte gequält.

»Na, na. Jetzt übertreibst du aber.«

»Hast du gesagt, ich untertreibe? Na, jetzt wirst du aber unverschämt.«

Sie lachten.

»Ihr werdet bei Ljiljana leben, oder?«

Er nickte. »Das ist besser. Mein Vater hat zwar ein großes Haus, aber wir wären eben doch bei meinem Vater. Außerdem ist es kein Geheimnis, dass ich mit meiner Stiefmutter nicht besonders gut klar komme.«

»Warum eigentlich?«

»Sie ist strohdumm. Klingt hart, aber so ist es nun mal. Ljiljana und ich wollen unsere Ruhe. Wir können streiten und Liebe machen, wenn uns danach ist.«

»Ha!« rief Nirvana lachend. »Bei zwei Kindern? Und eines von ihnen ist gerade mal fünf.«

»Der ist ja irgendwann auch mal im Bett.«

»Die Alten doch auch.«

»Du hast gewonnen. Ich sag dir die Wahrheit: Ich hab einen Riesenkrach mit meinem Vater. Vielleicht ist dir aufgefallen, dass er heute noch kein Wort mit mir geredet hat. Nicht mal gratuliert hat er mir.«

»Weil du Ljiljana heiratest und sie nicht der Inbegriff eines Mauerblümchens ist?«

Er grinste. »Schon in der Schule hattest du einen 1a Verstand. Sie ist eine Frau, die zwei uneheliche Kinder hat.«

»Mein Vater sagt, die Leute in Zorići waren schon immer arrogant. Er kann dieses Dorf nicht leiden. Er sagt, ihr wollt von allem immer das größte und beste Stück.«

»Da hat dein Vater vielleicht nicht Unrecht.«

Sie sahen eine Weile schweigend aufs Meer. Plötzlich sagte Boris: »Weißt du, dass ich dich als Kind gehasst und als Teenager geliebt habe?«

Dieser Satz kam unerwartet und war so komplex, dass Nirvana ihn nur anstarren konnte. Als sie sich etwas gesammelt hatte, meinte sie: »Warum hast du mich als Kind gehasst?«