Blutige Geschäfte - Angelika Friedemann - E-Book

Blutige Geschäfte E-Book

Angelika Friedemann

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Beschreibung

Die Neider sterben wohl, doch niemals stirbt der Neid. Molière Martin Kuhlmann und sein Team müssen den Mord an einem russischen Unternehmer aufklären. Als die Gattin eines Senators entführt wird, bringt man die beiden Fälle zunächst nicht in Zusammenhang. Er und seine Kollegen erleben jedoch weitere Überraschungen. Die Spur führt sie zu alten Bekannten, zum Drogen-, Menschen- und Waffenschmuggel. Ein absurder Gedanke keimt in ihm auf.

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Blutige Geschäfte

Blutige SpurenImpressum

Blutige Spuren

Dienstag

Es goss in Strömen. Wasser tropfte von seinen Haaren in die Jacke. Die Schuhe versanken in dem weichen, schlammigen Waldboden, waren bereits voll Matsche.

„Schiet“, fluchte sein Kollege neben ihm. „Warum habe ich keinen ordentlichen Beruf gelernt, wo man brav acht Stunden im Warmen arbeitet?“, strich er die nassen, mittelbraunen, stets mit viel Gel frisierten Haare, nach hinten. Jetzt allerdings sah man nichts von der ansonsten so sorgfältig gestylten Frisur.

Trotz allem musste Martin Kuhlmann lachen. „Oliver, weil das langweilig ist. Der Wald wird ja dichter.“

„Wieso latscht bei dem Schietwetter eine Menschenseele hier entlang?“

„Frage die Männer, dann weißt du es. Seit Tagen nur Regen und das nennt sich Frühling.“

„Noch haben wir Winter“, korrigierte ihn Oliver. „Tapse ich zu den Arbeitern.“

„Moin“, rief ihnen Doktor Frank Mahlow zu, der in einem weißen Plastikanzug mit Kapuze steckte.

„Moin. Du siehst ja heute richtig neckisch aus“, lästerte Martin.

„Dösbaddel! Wenigstens sind meine Klamotten nachher trocken. Mann, zwischen 40 und 50. Todesursache vermutlich zwei Schüsse. Danach hat man dem Opfer mit einem scharfkantigen, rechteckigen Gegenstand das Gesicht zertrümmert. Keine Papiere, kein Handy, kein Schlüssel. Schmuck und Geld vorhanden. Er hat 4.300 Euro dabei plus Kleingeld.“

„Nicht schlecht. Plante wohl, shoppen zu gehen.“

Martin hockte sich hinunter und schaute auf den Toten, dessen Antlitz vom Blut fast reingewaschen war. Erkennbar trotzdem nur wenig. Ein schauriger Anblick. „Da wollte ihn jemand unkenntlich machen“, stellte er fest.

„Denke ich ebenfalls.“

„Wann?“

„Maximal 20 Stunden.“

„Wurde er hier liquidiert?“

„Kann ich dir noch nicht sagen, nichtsdestotrotz ich schätze - nein. Alles weggewaschen. Er lag so wie jetzt mit dem Gesicht nach oben. Sie suchen nach Hinweisen, den Tatwaffen.“

„Werden sie nichts finden.“ Martin musterte die Hände des Opfers, die in Plastikbeuteln steckten. „Der Ring ist auffällig. Die Fingernägel sehen wie manikürt aus und sauber. Wäre er gefallen, müssten die schmutzig sein, da gestern bereits alles unter Wasser stand.“ Er richtete sich auf, taxierte den Leichnam. „Nein, er wurde hier abgelegt“, zog er Bilanz. „Ist der Einschuss vorn oder hinten? Dunkel ist es obendrein“, brummte er.

„Ganz mutig in den Rücken geschossen. Da trug er indes keinen Mantel.“

„Er fällt ergo nach vorn, danach dreht man den Ermordeten und zerschlägt das Gesicht, lässt seine ganze Wut oder seinen Hass dabei heraus. Das muss eine immense Schweinerei gegeben haben. Blut en gros. Warum sind seine Outfits so fleckenlos?“

„Du bist wirklich gut. Das habe ich Fabian vorhin gefragt. Dessen ungeachtet, als man ihn drehte, lebte er vermutlich noch.“

„Gruselig. Er wurde also irgendwo im Inneren liquidiert, sehe ich das richtig?“

„Dampen deit't al, see de Voss, wenn't brennt, gifft't Füer, do harr he op't Ies scheten. Sie holen ihn ab“, deutete Frank auf zwei Männer, die einen Blechsarg trugen.

„Er wird von hinten angeschossen, gedreht, unkenntlich zugerichtet. Alles ist voller Blut und dann geht man hin, zieht ihn an, schafft ihn weg?“

„So in etwa. Ich hätte mit dem Abtransport gewartet, bis das Blut getrocknet ist. Weniger Sauerei.“

„Frank, warst du es? Danke für den Hinweis. Warum hast du ihn angezogen und die Klamotten nicht neben ihn geworfen?“

„Damit er ordentlich aussieht. Schaue ihn dir an, so sieht er eindeutig besser aus. Wenn ich mich nicht irre, ist an dem Mantel Blut. Das bedeutet, der wurde ihm angezogen, als das Blut noch nicht getrocknet war, unmittelbar nach den Misshandlungen. Nur falls es wirklich Blut ist. So nun spinne ich weiter. Der Mantel lag ja vorher an irgendeinem Ort und der Täter hat ihn angefasst. Mit viel Glück finden sie im Labor daran DNA für euch oder auch an seinem Jackett.“

„Mein Junior würde jetzt cool äußern. Ich benötige von dem Ring ein Foto, falls wir nicht so herausfinden, wer er ist.“

„Moin. Hier etwas zu finden, kannst du vergessen.“

„Moin, Fabian“, grüßte er den zweiten Chef von der Spurensicherung. „Das denke ich dito. Alles steht unter Wasser. Man wird ihn irgendwann hier abgeladen haben.“

„Hast du einen Vermissten?“

„Keine Ahnung. Wir müssen erst forschen. Was machen deine Zahnschmerzen?“

„Aspirin“, grinste er.

„Zahnarzt wäre besser.“

„Gehst du gern zum Zahnarzt?“

„Noch ja. Er hat nicht gebohrt“, amüsierte sich Martin. „Oliver kommt. Hauen wir ab. Ich habe alles bis auf die Haut nass.“

„Soll ja die nächsten Tage weiterregnen, quatschte der Wetterfrosch.“

„Dann saufen wir zu Hause bald ab. Unser gesamter Garten steht unter Wasser und Erika weint um ihre Pflanzen.“

„Frank, bei uns sieht es nicht viel anders aus. So fix kann es gar nicht versickern, wie es runterkommt, dabei hatte Vicky vor Kurzem alles neu angepflanzt. Es sah richtig toll aus. Sie meckert wie ein Rohrspatz, weil die Blüten alle abfallen, der Rest zu Wasserpflanzen mutiert.“ Sie gingen eilig Richtung Autos.

„Wann ist denn nun der große Tag?“, wandte sich Fabian Sprengler an Oliver.

„In vier Wochen, danach habe ich drei Wochen Urlaub. Kein Telefon, kein Dienst, kein Regen. Ich sollte mir dort einen Job suchen. Wärme, Sonne, blaues Meer, Bikinischönheiten und keiner, der mich nachts rausklingelt.“

„Wohin geht es?“

„Verrat ich nicht. Du kennst Martin nicht, der holt mich sogar von dort zurück.“

„Malediven. Hat mir seine Zukünftige verraten. Keine Angst, deine Hochzeitsreise störe ich nicht. Sie wollten uns als Ersatz diese Frau Schulze aufhalsen.“

„Die Braut, die alle Kerle auf dem Klo vögelt, die dich damals angeschwärzt hat?“, erkundigte sich der Gerichtsmediziner mit hochgezogenen Augenbrauen. „Hett'n Uhl setten.“

„Genau sie. Drei Abteilungen hat sie in den wenigen Monaten durch und alle sagen - bloß weg. Wolfram hat getobt, warum man ihm so eine dusselige Ziege schickt, die sogar zum Kaffee kochen zu dröge wäre. Jetzt weiß der nette Herr Klinger nicht wohin mit ihr.“

„Mensch, die arbeitet auf dem Klo“, Fabian sofort.

„Büten blank – binnen kraank, de Deern. Ich denke, sie arbeitet in der neuen Abteilung bei Superman Mann? Der fand sie doch sooo nett und willig?“

„War nach vier Wochen erledigt“, amüsierte sich Oberkommissar Oliver Gross. „Sie ist dusselig, faul, hat ´ne große Klappe und meckert jeden blöd an, tobte er. Wahrscheinlich hatte er genug von den Nummern auf den Klos. Sie hat sich umgehend unten beschwert, wie unfreundlich er wäre. Sollen sie mit ihr machen was sie wollen, Hauptsache zu uns kommt sie nicht, obwohl wir Ersatz für die Tiedt und Stefan benötigten, besonders nun ein neuer Mord. So hat sie mehr Zeit, Klinger und Siegfried auf den Toiletten zu befriedigen. Jetzt gehen sie wenigstens aufs Damenklo, wo man abschließen kann.“

„Mit Klinger auch?“

„Fabian, vor zwei Wochen hat sie einer der Damen dort erwischt. Als sie die beiden leise hörte, ist sie raus, hat eine andere Toilette aufgesucht.“

„Wieso hat man die drei Figuren überhaupt behalten? Ich hätte sie umgehend rausgeworfen, den Staatsanwalt und Klinger gleich mit.“ Frank Mahlow zog an der weißen Haube, die zu dem Plastikoverall gehörte, damit sein Gesicht nicht nass wurde.

„Sie wollten nicht schon wieder mit Schlagzeilen über das Personal in den Medien stehen. Das mit Marlene hatte gerade genug Staub aufgewirbelt. Klinger geht Ende des Monats. Vorzeitiger Ruhestand heißt die offizielle Version. Oberstaatsanwalt Siegfried wurde nur mit einer Geldstrafe belegt.“

„Mir tun sie trotzdem irgendwie leid. Sie werden von allen geschnitten. An ihrer Stelle hätte ich mich versetzen lassen.“

„Martin, du hättest so ein Mist erst nie angezettelt.“

„Een alleen stüürt keen noot, aver to hoop slaat wi den düvel doot. Martin, loot di nich argern.“

An den Autos angekommen, verabschiedete man sich. Martin setzte sich hinein, zog die Lederjacke aus, warf sie nach hinten und strich die nassen, schulterlangen, jetzt schwarz glänzenden Haare zurück. „Wir hätten Handtücher mitnehmen sollen.“

„Heute deinen witzigen Tag? Schalt die Heizung an, damit die Klamotten trocknen. In meinen Schuhen steht das Wasser.“ Oliver beugte sich vor, schlüpfte aus den Turnschuhen, zog die Socken aus, fluchte dabei.

„Fahren wir. Was war mit den Männern?“

„Waldarbeiter, die eigentlich fällen wollten. Auf dem Rückweg haben sie ihn gefunden. Gestern um die Zeit lag er noch nicht da, weil sie dort Bäume gekennzeichnet haben. Wer ist er?“

„Keine Papiere. Erschossen, danach das Gesicht unkenntlich geschlagen. Wir gehen davon aus, er wurde nicht dort ermordet. Seine Kleidung war zu sauber. Er hatte aber über viertausend Euro bei sich, einen goldenen Siegelring, eine Rolex, Platin, aber ohne Steinchen. Also kein Raubüberfall. Die Klamotten sehen teuer aus, dazu manikürte Fingernägel. Zwischen vierzig und fünfzig, untersetzt, um die 1,80 Meter, Schätze 80 bis 85 Kilo, dunkelblonde, kurze Haare.“

„Vollgefressener Geschäftsmann, der in etwas Illegales verwickelt war. Wer läuft mit so viel Geld herum?“

Martin schüttelte den Kopf. „Wollte wahrscheinlich Brötchen kaufen gehen. Du darfst die Vermisstenmeldungen durchsuchen. So ein Mann wird fix vermisst, nehme ich jedenfalls an.“

Oliver schaute seinen Vorgesetzten von der Seite an, während er die Socken zusammenknüllte. „Du grübelst doch was?“

„Der Ring hat eine Art Wappen und das habe ich schon irgendwo gesehen.“

„Wie sah das aus?“

„Acht Bärenköpfe oder so. In der Mitte noch so ein aufrechtes Vieh. Ich zeichne es nachher auf.“

„Sagt mir nichts. Ah, jetzt wird es langsam warm.“

Im Büro berichteten sie von dem Toten und Martin malte das Wappen von dem Ring rasch auf. „So sah es aus. Wir bekommen nachher noch eine Großaufnahme auch von der Uhr, Rolex, Platin.“

Weder Hauptkommissar Elmar Berg, Rita Weinert Polizeimeisterin, Beamtin auf Probe und die Jüngste im Team, oder Polizeikommissar Severin Hiller konnten jedoch etwas mit der Zeichnung anfangen.

„Sie haben von unten angerufen, weil sie jemand Neues für uns haben. Ein Mann, eine Frau.“

„Und weiter?“, erkundigte sich Oliver, hängte die nassen Socken über die kalte Heizung.

„Nichts“

„Klasse, wieder eine Frau“, freute sich Rita, strich ihre mittellangen hellbraunen Haare zurück, lächelte dabei Oliver zu.

„Wann?“

„Am Montag um 7.00 Uhr.“

„Frau Schulze und Herr Kretschmar“, lästerte Oliver, goss Kaffee in seine übergroße Kaffeetasse.

„Nie oder ich bin weg“, Martin ungehalten. „Was ist mir Frau Velbert?“

„Sie hat die Aussage unterschrieben. Nichts gestrichen, nichts hinzugefügt. Sie war mit der Schwester hier. Die ist ja ein völlig anderer Typ.“

„Ich weiß. Scheint eine toughe Deern zu sein. Mach die Akte fertig und bring sie hinunter, sonst tobt der Staatsanwalt. Wenigstens ein Fall abgeschlossen. Severin, wie weit bist du gekommen?“

„Ich bin die Liste fast durch. Nur noch drei Nummern.“

„Und?“

„Weiß ich noch nicht, da ich erst alle Namen haben will.“

„Beeil dich ein bisschen. Rita, sind die Protokolle fertig?“

„Liegen auf deinem Schreibtisch und der Bericht der Spusi ist gekommen. Steht nur das drinnen, was wir wussten. Die Analyse dauert noch. Babs meint, nicht vor morgen Mittag.“

„Gut, müssen wir bis dahin warten. War es vielleicht nur ein Herzversagen. Sie werden doch nicht in einem Kloster eine Novizin ermorden? Finde ich weit hergeholt.“

„Vielleicht konnte sie ein Kirchenlied noch nicht“, grinste Oliver.

„Dösbaddel! Such lieber nach dem Mann“, Martin grienend.

Martin Kuhlmann lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl weit zurück, strich durch seine dunkelbraunen Haare, bevor er die Hände hinter dem Kopf verschränkte. Grübelnd blickte er zu dem Gemälde an der gegenüberliegenden Wand: Der Seerosenteich von Monet. Es ärgerte ihn, dass ihm nicht einfiel, wo er dieses Wappen gesehen hatte und auf was.

Der Tote wurde nicht vermisst und an dem Tag lag die Geschichte vorerst auf Eis.

Er zeigte abends die Zeichnung seiner Frau, aber Viktoria konnte damit nichts anfangen. „Tötet keine Bären“, lachte sie.

„Du bist albern“, schmunzelte er.

Er legte sie auf den Esstisch, aß allein, da seine Familie bereits vor Stunden gegessen hatte.

Dorle, seine 15-jährige Tochter und Gero, sein 17-jähriger Sohn kamen herunter, setzten sich zu ihnen.

Sie nahm die Zeichnung. „Cool! Du kannst besser zeichnen als ich. Danke, Papa.“

Irritierte blickte er sie an, schluckte hinunter. „Was heißt das?“

„Wieso hast du das nicht für mich gemalt?“

„Du kennst das?“

Jetzt war sie es, die ihn verdutzt anblickte. „Papa, das nehmen wir gerade in der Schule durch. Russische Revolution und so. Ich dachte, deswegen hast du das für mich gezeichnet.“

„Dorle, langsam. Was hat das mit den Russen zu tun?“

„Romanow. Wieso weißt du das nicht? Warum hast du es dann gemalt? Ich habe mich heute eine Stunde damit herumgequält, weil wir ein Plakat erstellen müssen.“

„Wir haben bei einem Toten einen Ring gefunden, der dieses Wappen trug.“

„Hei cool. Ein toter Romanow, der Nachkomme vom Zaren. Der müsste ja dann mit dem Medwedew verwandt sein. Die haben damals für Millionen Schmuck mitgenommen, heißt es.“

„Gero, bitte“, schüttelte Martin den Kopf. „Dorle, du bist da sicher?“

„Papa, logo.“ Sie sprang auf. „Ich hole dir das Buch.“

„Was hat der Medwedew mit den Romanows zu tun?“

„Mama, angeblich soll er der Urenkel vom letzten Zar sein, hat irgendwo gestanden.“

„Blödsinn“, Martin sofort. „Der letzte Zar wurde samt Familie ermordet. Solltest du eigentlich in der Schule gelernt haben.“

„Hatte ich gerade Röteln.“

Vicky lachte laut, während Martin die Stirn krauszog, das Fleisch schnitt.

„Sicher mit Gelbfieber und Malaria. Sage das nächste Mal Masern oder Windpocken, das glaubt man dir eher“, brummte er, steckte das Fleisch in den Mund.

Dorle kam mit dem Buch und er schaute das an. „Genau. So sieht das Bild auf dem Ring aus.“

„Nu weißt du, warum man den ermordet hat. Der hat die Millionen von den Romanows. Der ist bestimmt Russe, oder?“

„Gero, das wissen wir noch nicht. Es erklärt trotzdem nicht, woher ich das Wappen kenne.“

„Aber am Samstag kommst du zu dem Spiel, oder?“

„Habe ich dir versprochen. Danach gehen wir Essen, damit Mama nicht kochen muss.“

„Papa, ich bin doch bei Bille.“

„Pech gehabt. So, es wird Zeit für euch. Ab in die Kojen. Dorle, nimm das Buch wieder mit. Danke.“ Beide Teenager gaben den Eltern einen Kuss auf die Wange, bevor sie über den Schmuck der Zarenfamilie redend nach oben gingen.

„Hast du gehört, Frau Wiedemann wurde entführt.“

„Die Frau von unserem Bausenator?“

„Ja. Sie kam vom Einkaufen zurück, da hat man ihr aufgelauert, haben sie gemeldet. Im Briefkasten fand er eine Lösegeldforderung. Wie viel haben sie nicht gesagt. Mehr wird noch nicht bekannt gegeben, um ihr Leben nicht zu gefährden.“

„Da werden Dieter und seine Jungs Nachtschicht schieben müssen. Wie sind die Kerle unbemerkt auf das Grundstück gekommen? Da wird alles überwacht, ist ringsherum ein meterhoher Zaun, Kameras.“

„Soll vor dem Haus passiert sein, wie ich es verstanden habe.“

„Wieso hält sie da?“

„Martin, ich weiß es nicht und will auch nicht verhört werden.“

Er lachte. „Korrekt. Eine blöde Angewohnheit. Beenden wir die Arbeit. Was sagt dein Sheikh?“

„Seine Frauen benötigen alles neu, von untendrunter bis zum Schmuck. Nur kein rosa und lila. Ich habe bis Donnerstagnachmittag Zeit, damit sie neu eingekleidet sind. Ein schnatternder Haufen, aber nett.“

Mittwoch

Erst am Nachmittag kam der vorläufige Bericht vom gerichtsmedizinischen Institut. Noch immer war er ein unbekannter Toter, nur eine Nummer.

Der Tod war am Montagmittag zwischen 11.00 und 14.00 Uhr eingetreten.

Zwei Schüsse in den Rücken aus relativ dichtem Abstand zum Opfer führten nicht direkt zum Tod. In direkter Folge hatte man das Gesicht des Opfers mit mehreren Schlägen zertrümmert. Erst danach trat der Tod rasch ein.

Er überflog die nächsten Zeilen, bis er das fand, was er suchte.

Erster Schuss: Führte zum beidseitigem Pneumothorax…, beide Lungen schrumpfen …

Zweiter Schuss: Durchschlug die eigentliche Lungenhöhle, beschädigte die Lungen nicht, da sie aufgrund des beidseitigen Pneumothorax bereits zusammengeschrumpft waren und sich so weiter apikal …

Grobe Abschätzung der Schussentfernung anhand der Einschussmorphologie: … drei Meter, waagerecht.

Das bedeutet, Opfer und Täter waren in etwa gleich groß, folgerte Martin.

Position Opfer - Schütze anhand der Bestimmung des Winkels …

Aussagen zur Analyse zwischen Einschuss …

Mögliche Waffe und Munition ...

Zwei eckige Gegenstände: der eine mit einer Seitenlänge von 174 mm, die andere 218 mm. Die übrigen Maße nicht feststellbar. Spaten - muss es in verschiedenen Breiten geben.

Noch wurde das Gewebe untersucht, ob man Partikel von den Gegenständen fand.

Direkte Gewalteinwirkung: Die Schädigung trat direkt am Ort der Gewalteinwirkung auf, sodass das Gewebe direkt am Auftreffort stark komprimiert wurde. Blut, was aus rupturierten Gefäßen austrat, wurde dabei nach rechts und links in das umgebende Gewebe …

Direkt am Auftreffort sind keine Hämatome vorhanden …

Er klappte den Bericht zu, den er gleich genauer lesen würde, und öffnete die Tür zu dem großen Büro. Der Raum war vor wenigen Wochen frisch renoviert worden, sah nun wesentlich heller und freundlicher aus. Die neuen sechs Schreibtische und Regale aus hellem Holz, neben einigen Pflanzen taten ihr Übriges dazu.

„Hört bitte kurz zu. Der Tote wurde durch zwei Schüsse, Kaliber 380 ACP, durch den Rücken, die die Lunge trafen, verletzt. Im direkten Anschluss daran hat man ihm das Gesicht mit zahlreichen Schlägen zertrümmert. Das war die endgültige Todesursache und der Todeszeitpunkt. Verstorben wäre allerdings in Kürze generell an den Schüssen. Daran müssen mindestens zwei Personen beteiligt gewesen sein. Der Fundort ist definitiv nicht der Tötungsort. Habt ihr etwas zu seiner Identität entdeckt?“

„Nichts. Kein Vermisster, auf den die Beschreibung passen könnte.“

„Rita, dann gib bitte den Ring und die Uhr an die Medien. Eventuell hilft der uns weiter. Ich lese mir den Bericht durch und ihr bekommt ihn danach. Da findet ihr mehr über seine Kleidung. Übrigens - alle teure Designermode, sogar die Unterhose.“

„Wieso vermisst man so einen Mann nicht?“

„Weil er Tourist oder Geschäftsmann war? Nur auf der Durchreise? Mensch Rita, stell dich nicht so doof an.“

„Elmar, bitte.“

„Ist doch wahr. Blöde Frage. Darüber grübelt sie seit einer Stunde, anstatt ihre Arbeit zu erledigen. Wir warten auf die Listen im Fall …“

„Kriegst´e ja gleich“, unterbrach sie ihn patzig. „Du nervst mit dem Schiet.“

„Ich benötige die nicht, sondern Strake. Er tobt nachher wieder herum“, konterte der Hauptkommissar. „Wir haben zu wenige Leute, das ist das Problem.“

„Rita, rede nicht in diesem Tonfall mit deinem Vorgesetzten. Du bist nicht zum Träumen hier, sondern zum Arbeiten. Etwas anderes zu dem Ring. Der ziert das kleine Wappen der Romanows. Das Vieh ist ein Greif und kein Bär. Der Greif war das Wappentier der Familien Romanow. Deckenmalerei mit dem Greif wurde in dem Romanow-Palast in Moskau erst vor wenigen Jahren entdeckt, restauriert und ist heute ein Museum. Es gibt diesen Greif zudem auf dem Dach in vergoldeter Form.“

„Hei echt cool, ein Nachkomme vom Zar“, jubelte Rita.

„Zaren. Soviel ich weiß, wurde die Familie erschossen, ergo wenn überhaupt, könnte es nur ein weitläufiger Verwandter sein. Von dem Schmuck der Romanows soll angeblich eine Menge verschwunden sein, vielleicht so ein Ring. Nur das glaube ich nicht, weil ich so einen ähnlichen Ring mit dem gleichen Wappen irgendwo gesehen habe. Sicher bei keinem Russen.“

„Die hat dieser Zar Michael eventuell immer an irgendwelche braven Leute verschenkt.“

„Der letzte Zar hieß Nicolaus“, Elmar genervt.

„Oh Mann, ist doch schietegal, wie der hieß. Es gab einen, der hieß Michael oder Peter oder so. Da soll eine Tochter überlebt haben, oder? Die haben über sie sogar einen Film gedreht.“

„Hallo, wir wollen jetzt nicht russische Geschichte durchnehmen. Lest das Zuhause nach. Wir haben einen Toten, der ermordet wurde. Dessen Namen möchte ich haben und nicht wissen, wo wer von den Romanows in den letzten hundert Jahren lebte. Das mit dieser Anastasia wurde übrigens nie bewiesen“, schüttelte Martin den Kopf. „Rita, die Arbeit wartet. Gib Gas und erledige endlich deine Aufgaben, sonst gibt es Ärger“, schloss er die Tür zu seinem Büro. Äußerte man den Namen Romanow, gerieten die Leute aus dem Häuschen. Warum eigentlich? Wegen des angeblichen Schmuckes? Dusselig.

Rita kam hereingestürzt und er schaute hoch. „Kannst du nicht anklopfen?“, meckerte er sofort los. „Deine Respektlosigkeiten reichen mir inzwischen.“

„Martin, ich muss mit dir sprechen. Sag mal, wann gehst du zum Personalchef, damit man mich endlich fest einstellt?“

„Gar nicht. Dir ist bekannt, der Termin dafür ist erst Mitte nächsten Jahres. Zudem treffe ich nicht diese Entscheidung. Was soll der Quatsch?“

„Du könntest mich doch zur Beförderung vorschlagen und dann würde ich endlich Beamtin.“

„Gewiss nicht. Du bist Polizeimeister auf Probe und das bleibt so, bis man dich eventuell nächstes Jahr in den Beamtenstatus übernimmt. Eine Beförderung muss man sich generell mit den Jahren verdienen. Nun erledige endlich deine Arbeit. Das nächste Mal klopfst du gefällig an.“

Er widmete sich dem leidigen Papierkram. Ohne einen Namen, eine Vermisstenanzeige kamen sie nicht weiter.

Eventuell fand man noch etwas an der Kleidung, aber das dauerte.

Sonntag

Martin stand im Bad, rasierte sich, sah Vicky im Spiegel zu, die die Haare zusammen wuschelte und hochsteckte.

„Warum grinst du so?“, fragte sie sein Spiegelbild.

„Es sieht lustig aus, wie du sie drehst, und knautschst.“ Er legte den Rasierapparat hin, drehte sich und nahm sie in den Arm. „Vielleicht sollte ich lieber mit dir duschen.“

Sie lachte. „Du warst gerade.“

„Na ja, ich dachte weniger an das Waschen.“

„Hattest du auch vorhin.“

„Aller guten Dinge sind drei. Kann ich noch zweimal.“

„Der Tag ist ja noch lang“, lachte sie.

Er klopfte an die Badezimmertür. „Papa, dein Typ wird verlangt“, reichte ihm Dorle das Telefon herein. „Verklickere ihnen, heute ist Sonntag und wir wollen nachher reiten gehen“, mäkelte sie.

Martin nahm ihr das Telefon ab, meldete sich, schloss die Badezimmertür von außen, hörte zu, holte ein Shirt aus dem Schrank.

„Ich bin in einer halben Stunde dort. Sind die anderen verständigt?“ „Ja, danke.“

Er betrat das Bad, öffnete die Duschtür. „Vicky, ich muss los. Sie haben Frau Wiedemann tot aufgefunden.“

„Oh je. Ich denke, er hat bezahlt?“

„Ich kenne nur die Meldungen aus den Medien. Nun ist sie tot.“ Er gab ihr einen Kuss. „Schade, ich hatte mir eigentlich den Sonntag anders vorgestellt“, grinste er, streichelte seitlich an ihrem nassen Körper hinunter.

„Los gehe, sonst müssen sie auf dich warten. Ich werde mir irgendwann einen Lover suchen.“

„Biest.“

Auf dem Weg parkten bereits jede Menge Autos. Er stieg aus, schaute zu dem Bismarckdenkmal, überquerte die Wiese, sprang über das Flatterband. Ein Tross Journalisten kam sofort von der Seite angerannt.

„Ich weiß noch nichts. Danke.“ Das hatte sich ja fix herumgesprochen.

Der Boden war noch von den andauernden Regenfällen der letzten Tage nass, obwohl heute die Sonne schien. Er umrundete einige Büsche und sah an der Seite etwas Weißes liegen, daneben eine Handtasche.

„Moin. Oliver, was ist das?“

„Das gehört der Frau, die sie gefunden hat. Sie hat vor Schreck alles fallen gelassen, ist schreiend zu dem älteren Herrn gelaufen, der uns benachrichtigt hat. Sie hat einen Schock erlitten. Der Notarzt müsste gleich hier sein.“

„Dieses kläffende Kleintier ist das ihr Hund?“

„Ja.“

„Hast du ihre Adresse, falls wir noch Fragen haben?“

„Von beiden.“

Neben dem abgedeckten Leichnam blieben sie stehen. „Moin.“

„Moin. Willst du sie sehen?“, erkundigte sich der Gerichtsmediziner.

Er nickte, obwohl er am liebsten abgelehnt hätte, da der Leichnam einen penetranten Fäulnisgeruch ausströmte.

„Seit wie vielen Tagen liegt sie hier?“ Er betrachte sie, hockte sich hinunter, schaute auf die Hände, die bereits verpackt waren. Ringe alle da, vermutete er, da er vier Stück zählte.

„Sie wurde am Tag der Entführung ermordet. Also sechs, falls ich mich nicht irre.“

„Wieso sechs? Ich denke, sie wurde am Dienstag entführt?“ Teure Uhr, teures Armband. Wieso hatten die Entführer das nicht mitgenommen?

„Montag“, stellte Oliver richtig.

Martin erhob sich, „Lass uns ein paar Meter zur Seite gehen.“ Er deckte das Tuch über die Frau. „Wie?“

„Keine Ahnung. Ich vermute erstickt, aber mehr nach der Obduktion und der genauen Analyse. So ist nichts zu sehen.“

„Strake kommt. Sein Gesichtsausdruck verrät uns, er kocht vor Wut.“

„Bei der Meute kein Wunder. Da haben die Journalisten aber schnell Wind von bekommen“, stellte Oliver fest.

„Moin. Wo liegt sie?“

Frank Mahlow schlug nochmals das Tuch beiseite und Reinhard Strake rümpfte die Nase. „Anaerobe bakterielle Zersetzung“, stellte er fest, ging einige Schritte rückwärts.

„Der Gestank kommt von der Fäulnis. Durch bakterielle Eiweißzersetzung entstehen schweflige Verbindungen; roter Blutfarbstoff Hämoglobin wird in Sulfhämoglobin umgewandelt. Als Folge die Bildung von übel riechenden Fäulnisgasen. Die Autolyse des Gewebes durch körpereigene Enzyme hat bereits eingesetzt.Aufdunsung, die Oberhaut ist zum Teil abgelöst, Haare und Fingernägel ausziehbar, dazu kommt die Verfärbung …“

„Frank, hör auf zu dozieren, da ich heute keine Nerven dafür habe. Seit wann ist sie tot?“

„Montag. Entführt und Exitus.“

„Du und dein Zynismus. Wie?“

„Keine äußerlichen Verletzungen, nicht einmal Merkmale, das sie gefesselt oder geknebelt war.“

„Wurde sonst etwas gefunden?“

„Sie suchen“, mischte sich Martin ein.

„Haben Sie einen Namen von dem toten Mann?“

„Bisher nicht.“

Sie schauten kurz zu, wie man das Opfer in den Sarg legte.

„Moin, Martin. Wir haben Reifenspuren gefunden. Kommt mit“, winkte ihn Fabian Sprengler zu sich. Er verabschiedete sich rasch von dem Staatsanwalt und eilte zu den Männern der Spusi.

„Moin.“

„Dort. Durch den Regen gut erhalten. Er muss über die Wiese gefahren sein, bevor er hier entlang ist.“

„Können die fünf Tage alt sein?“

„Jow, auch zwei Monate. Oliver, fünf Tage alte Reifenspuren und das bei dem Wetter? Kommt mit, ich zeige es euch“, ging er voraus, blieb stehen, deutete auf die Wiese. „Kiek hin, dann siehst du es. Wo der Regen hinkam, alles weg, hier jedoch seht ihr, ist er auf den Weg gefahren. Teilweise sind die Abdrücke weg, teilweise da.“

Martin hockte sich hinunter. „Sieht wie das Profil von meinem aus. Goodyear, 255er.“

„Könnte sein. Warst du´s?“

„Sicher. Fabian, eines Tages lynche ich dich und lege dich hier ab“, schmunzelte Martin. „Das muss nichts mit der Frau zu tun haben.“

„Hier fährt sonst keine Sau lang. Der wollte gucken, ob sie noch dort liegt.“

„So nach dem Motto, den Täter zieht es stets an den Tatort zurück?“, amüsierte sich Martin. „Sonst etwas?“

„Nichts. Spuren sind alle weggewaschen, falls es welche gab. Hier ist es porentief sauber. Da hat es selbst die kleinen, süßen Krabbeltiere verjagt.“

„Schiet, aber habe ich nichts anderes erwartet. Die Frau trägt keine Schuhe. Danke, Fabian.“

„Schuhe suchen wir.“

„Schaut nach Jacke oder Mantel. Am Montag war es kühl, hat geschüttet. Sie wird nicht so unterwegs gewesen sein. Handtasche haben Frauen immer dabei.“

Sein Handy meldete sich. Er hörte dem Kollegen Dieter Seidler zu, der den Entführungsfall Wiedemann bearbeitete. „Dieter, das kann nicht sein. Der Doc sagte, entführt und tot. Hast du es gehört?“ „Oliver und ich kommen gleich hin. Das soll er uns erklären. Der Doc müsste sich irren und das glaube ich weniger. Lass die Akte, die Aufzeichnungen bitte in mein Büro bringen. Danke. Bist du noch bei ihm?“ „Falls nicht, schönen Sonntag.“

Er schaute sich um, aber der Staatsanwalt schien es heute eilig gehabt zu haben, da er nirgends mehr zu sehen war.

„Frank, etwas anderes, wo sind die Tierchen an dem Leichnam.“

„Du hast noch nicht ausgepennt, da es dir erst jetzt auffällt. Sie liegt erst seit dieser Nacht hier.“ Er griff in den Koffer, hielt ihm einen kleinen Beutel hin. „Das lag unter ihr.“

Martin und Oliver schauten das an. „Ein Stück dieser riesigen Plastiktüten?“

„Exakt. Sie lag irgendwo in so einem Beutel verpackt und letzte Nacht hat man sie hergeschafft.“

„Wann hat er bezahlt?“

„Am Donnerstagabend.“

„Warum hat er sie nicht Donnerstagnacht weggeschafft?“

„Oliver, keine Ahnung. Montag ermordet, Donnerstag Geld kassiert, in der Nacht von Samstag zum Sonntag mit einem Auto, das 255er Reifen hat, entsorgt. Sie kann die Tage unmöglich in einer Wohnung oder einem Haus gelegen haben, weil das stinkt.“

„Wie sie erhalten ist, hat er sie nicht im Freien zwischengelagert“, mischte sich der Gerichtsmediziner ein, schloss seinen Koffer. „Gebt es Fabian mit. Sie müssen noch Proben nehmen.“

Sie verabschiedeten sich von den Kollegen, schlenderten zum Auto, nachdem sie mit den Männern der Spurensicherung geredet hatten.

„Dieter hat mir erzählt, am Donnerstagvormittag hat der Ehemann noch mit seiner Frau geredet. Erst danach sei er bereit gewesen, Lösegeld zu zahlen.“

„Haben sie das nicht aufgenommen?“

„Nein, da das an sein Handy ging und er draußen telefoniert habe. Er hat den beiden Beamten erst im Anschluss davon erzählt.“

„Da wollte wohl jemand die Scheidungskosten sparen?“

„Fragen wir ihn. Morgen müssen Rita und die Neue das Leben der Wiedemanns auskundschaften.“

„Kennst du die neuen Kollegen?“

„Ich weiß nicht einmal, wer sie sind, wie sie heißen. Warten wir ab, was der liebe Herr Klinger uns dieses Mal schickt. Schlimmer wie die nette Frau Schulze kann es nicht kommen.“

„Wieder jemand, der uns etwas anhängen will, vermutlich. Der Klinger hat die Schlappe gewiss nicht so einfach weggesteckt. Dafür muss er gehen.“

„Wir werden sie morgen völlig unvoreingenommen empfangen. Keine Vorverurteilung. Verstanden? Wir werden von dem Senator alle Bänder aus dieser Kamera mitnehmen, eventuell finden wir ein Auto mit den passenden Reifen.“

„Wie viel zahlte er?“

„Angeblich drei Millionen. Hat er selber von einer Brücke geworfen. Wie im Krimi. Erpresser wartet unten und die Polizei kommt zu spät. Geld weg, Erpresser weg, Opfer taucht nicht auf, nun tot.“

„Sicher im Tatort dauert es eine Stunde und alles ist aufgeklärt. Mann hat Geliebte, will Frau loswerden, sucht Doofen, der ein krankes Kind hat und Geld benötigt.“

Martin lachte laut. „So ungefähr. Suchen wir den Mann mit dem kranken Kind. Wie bist du hergekommen?“

„Silvie hat mich gefahren.“

Er stieg ein. „Wahrscheinlich wird uns dort bereits eine Meute Journalisten erwarten. Wenigstens hat es ihm Dieter bereits mitgeteilt.“

„Martin, warum vermisst eigentlich kein Mensch unseren Toten?“

„Ich vermute, er war Ausländer, war nur einen Tag hier, sonst hätte ein Hotel sein Verschwinden gemeldet.“

„Du denkst, sein Mörder hat ihn am Flugplatz abgeholt?“

„So ähnlich.“

„Das hieße, er hatte etwas Linkes zu laufen.“

„Ich tendiere zwar in diese Richtung, nur solange wir nichts wissen, wer er ist, pure Spekulation. Erklär mir, welcher normale Geschäftsmann so viel Geld in der Tasche hat? Mich ärgert seit Tagen, dass mir nicht einfällt, wo oder bei wem ich diesen Ring gesehen habe.“

„Angenommen du irrst dich nicht, warum gibt es davon mehrere?“

„Entweder hat einer der Romanows diese früher als eine Art Belobigung verschenkt, nur da sagte meine Tochter - Nein. Sie haben das Thema gerade in der Schule. Im Internet habe ich nichts darüber gefunden, nicht einmal, ob es überhaupt einen Ring mit dem Wappen gab. Die zweite Variante wäre, eine Art Geheimbund, Verein, hat die fertigen lassen. Erkennungszeichen oder so. Wir gehören alle einer elitären Clique an.“

„Nur ein Goldschmied hat sich bisher auf unseren Aufruf nicht gemeldet.“

„Kann zum Beispiel in Russland erfolgt sein, überall auf der Welt. Ich setzte momentan auf die Stewardessen. Ich vermute, er ist Erster Klasse geflogen, falls er geflogen ist. Da müsste sich doch jemand an ihn erinnern. Mit eigener Jacht, Flugzeug ist er nicht gekommen, das wissen wir. Eventuell hat er hier irgendwo gewohnt, allein und den Ring hat er nur zu gewissen Gelegenheiten getragen. Es gibt da zig Varianten. Hätten wir ein Gesicht, wäre die Identifizierung wesentlich einfacher. Schieben wir ihn etwas beiseite und kümmern wir uns um Frau Wiedemann. Wenigstens ist diese Klostergeschichte aus der Welt.“

„Niemand konnte ahnen, dass so ´ne junge Deern an einem Infarkt verstirbt.“

„Das stimmt, zumal keiner etwas von irgendwelchen gesundheitlichen Problemen wusste. Sie hat viel Sport getrieben, hatte angeblich nie Herz- oder Kreislaufbeschwerden. Trotzdem. Da vorn ist es.“

„Ist das ein Trubel“, stöhnte der Oberkommissar.

Martin zog sein Handy heraus, rief den Kollegen Seidler an. „Wir stehen vor dem Tor, Dieter. Lass es bitte öffnen, da hier hundert Journalisten herumlungern. Danke. Oliver, schaue nach Kameras und einem Briefkasten, auf deiner Seite.“

„Man spricht nicht mit dem Handy am Ohr.“

„Ich schon, Dösbaddel“, schmunzelte Martin.

Hupend, langsam rollend durchquerten sie die Menschenmenge vor dem Grundstück, fuhren auf dem Kiesweg weiter. Das Tor schloss sich hinter ihnen.

„Rechts und links Kameras, die sich mitbewegen“, stellte Oliver fest.

„Reichlich Fotomaterial. Schade, es steht kein Wagen draußen. Der Briefkasten auf meiner Seite ist innerhalb des Grundstücks zu öffnen.“

„Wo war er eigentlich am Montag?“

„Keine Ahnung. Ich kenne nur das wenige aus den Nachrichten, dachte, sie hätte man am Dienstag entführt, weil meine Frau es da erwähnte.“

Die Tür öffnete sich bereits, ehe sie die unterste Treppenstufe zu der alten Villa betraten. Ein älterer Mann verbeugte sich ein wenig, führte sie durch eine Art Halle in ein Wohnzimmer. Nobel, sogar mit Personal. Das Haus, der Besitz musste irgendwo anders herkommen. So viel verdiente kein Senator.

Dieter und der etwa 60-jährige Politiker erhoben sich. Das war also der werte Senator Gerd Wiedemann. Er hatte sich den Mann größer vorgestellt. Im Fernsehen kam er jedenfalls imposanter rüber.

Martin stellte Oliver und sich vor, ratterte den üblichen Beileidsspruch herunter. Der Mann nickte nur, fragte, ob sie Kaffee wollten. Selbst jetzt trägt er bereits Anzug und Krawatte, stellte Martin eher amüsiert fest. Muss vermutlich gleich vor die Presse. Würde ich erfahren, man hätte Vicky entführt oder getötet, würde ich garantiert keinen Gedanken an meine Klamotten verschwenden, sondern irgendetwas anziehen, mich weder stylen noch rasieren. Er verscheuchte rasch diese gruselige Vorstellung.

„Herr Wiedemann, wir benötigen alle Kassetten der Außenkameras der letzten Wochen. Hatte Ihre Frau ein eigenes Zimmer, dann würden wir das gern sehen.“

Der Mann blickte anscheinend irritiert zu ihm auf. „Selbstverständlich hatte meine Gattin eigene Räumlichkeiten.“

„Zeigen Sie die bitte meinem Kollegen.“

„Mein Butler wird Sie hinführen. Nehmen Sie bitte Platz.“

„Danke. Was ist am Montag und in den folgenden Tagen geschehen?“

„Als ich am Montagabend nach Hause kam, fand ich eine Lösegeldforderung im Briefkasten. Ich verständigte sofort die Polizei. Am Mittwoch erhielt ich einen Anruf, ob ich das Geld habe. Ich forderte ein Gespräch mit meiner Gattin. Donnertagvormittag wechselte ich einige Worte mit ihr. Sie äußerte, ihr gehe es den Umständen entsprechend gut, weinte. Abends warf ich das Geld in zwei Rucksäcken von der Brücke und seitdem warte ich auf meine Gattin.“

„Was äußerte Ihre Frau noch?“

„Wie gesagt, nur, es gehe ihr so weit gut.“

„Interessant. Wie konnten Sie mit einer Toten kommunizieren?“, erkundigte sich Martin im scharfen Tonfall, dem das gestelzte Gerede nervte.

„Wie bitte?“ Der Mann schaute zu Dieter Seidler und zurück zu Martin.

„Definitiv war Ihre Frau am Donnerstag bereits tot, Herr Wiedemann. Reden wir also Klartext.“

Der Butler kam mit einem Tablett, stellte Tassen ab, während er ihm Anweisung in Bezug auf die Räumlichkeiten seiner Gattin gab. Oliver ging mit dem Mann hinaus.

„Herr Wiedemann, welche Autos gehören zu diesem Haushalt?“

„Sie wollen nicht andeuten, Sie verdächtigen mich, meine Gattin entführt zu haben?“

„Ich frage nach Autos und deute nichts an. Fakt ist, Sie haben meine Kollegen und mich belogen. Sie können niemals am Donnerstag mit der entführten Frau gesprochen haben.“

„Entschuldigung, aber der Tod meiner Gattin hat mich sehr mitgenommen.“

„Am Donnerstag? Deswegen belügen Sie die Kollegen? Warum wurde der Tod dann nicht sofort von Ihnen gemeldet und woher wussten Sie davon?“

Der Mann strich durch seine dunkelblonden Haare, die sich bereits an einigen Stellen stark lichteten.

„Ich habe mich geärgert, weil ich überhaupt die Polizei eingeschaltet hatte, als am Dienstag das alle Medien aufgegriffen, ich ständig belagert wurde, man mein Telefon anzapfte, mir vorschreiben wollte, was ich zu sagen hätte. Da habe ich diesen Anruf erfunden.“

„Beginnen wir von vorn. Was ist seit Montag wirklich geschehen? Alles und ohne weitere Märchen.“

„Ich kam abends vom Dienst, da lag diese Lösegeldforderung im Briefkasten. Ich hatte mich bereits gewundert, als der Wagen meiner Frau draußen stand. Am Dienstag sagte ich der Bank Bescheid, dass ich drei Millionen in gebrauchten Scheinen benötigte. Am Donnerstag bekam ich eine SMS, wo ich das Geld wann zu übergeben habe. Ich kann die Ihnen zeigen. Ich bin abends hingefahren, habe die zwei Rucksäcke hinuntergeworfen und bin noch ein wenig herumgefahren. Die Geldübergabe fand bereits um 21 Uhr statt, nicht erst um elf Uhr nachts. Ich wollte nur, sie sollten Christine nichts antut.“

„Mit anderen Worten, die Kollegen konnten den Täter nicht schnappen, da der längst über alle Berge war?“

„Verstehen Sie das nicht? Ich wollte meine Frau unbeschadet zurück.“

„Die da bereits tot war. Wenn man vor einer Geldübergabe ein Lebenszeichen fordert, so hat das einen guten Grund“, Dieter wütend. „Sie haben unsere Arbeit manipuliert.“

„Haben Sie im Haus eine Überwachungsanlage, die mit einem Monitor verbunden ist?“

„Ja sicher. Klingelt jemand am Tor, kann man sehen, wer dort steht. Was hat das damit zu tun?“

„Wie öffnen Sie das Tor, wenn Sie nach Hause kommen?“, überhörte Martin die Frage.

„Mit einer Fernbedienung. Meine Frau oder mein Hauspersonal ebenso.“

„Wie viele Angestellte gibt es?“

„Nur das Ehepaar Seefeld. Sie sind seit Jahrzehnten für meine Familie tätig. Nach dem Tod meiner Eltern bei mir.“

„Wieso ist da den Angestellten nicht aufgefallen, dass dort der Wagen Ihrer Frau über Stunden parkte?“

„Da guckt niemand hin, ich auch nicht. Nur wenn es wie gesagt klingelt.“

„Herr Wiedemann, belehre ich Sie kurz“, ratterte Martin nun den üblichen Text herunter, der aussagte, er müsse sich oder Angehörige nicht einer Straftat beschuldigen.

„Was erlauben Sie sich, Herr …“

„Immer noch Kuhlmann. Sie sagen nicht die Wahrheit. Ihre Frau kommt vom Einkaufen, steigt aus welchen Gründen immer, aus. Sie wird von Unbekannt in einen Wagen gezerrt und der fährt weg. Das Auto Ihrer Frau steht ergo genau vor dem Tor. Sie kommen abends, fahren angeblich auf das Grundstück, nehmen aus dem Briefkasten, der nur von innen zugänglich ist, die Post. Wie sind Sie an dem Auto Ihrer Frau vorbeigefahren? Die Einfahrt ist nicht so breit, dass dort zwei Fahrzeuge aneinander vorbeikommen. Sie tischen uns eine Geschichte nach der anderen auf. Warum? Was haben Sie mit dem Verschwinden Ihrer Frau zu tun?“

„Sie sind unverschämt. Ich habe den Wagen meiner Frau etwas zurückgesetzt, damit ich hineinfahren konnte.“

„Würde ich jetzt auch sagen. Gut, das alles sehen wir ja auf den Aufnahmen.“

„Eventuell wurde die Kassette bereits überspielt. Herr Seefeld musste an dem Nachmittag diese wechseln, da die andere voll war. Sind keine Vorkommnisse gewesen, werden die Bänder überspielt.“

„Wieso wurde das Band, wie man Ihre Frau entführte, nicht überspielt?“

„Nicht sofort, sondern das geschieht umschichtig.“

„Aha, ich verstehe. Ihre Frau wurde entführt, das Band hat man aufbewahrt. Was in den Stunden und Tagen danach geschah, wurde überspielt, da Sie das als unwichtig klassifizierten?“

„Daran hat keiner gedacht. Das ist ein Automatismus.“

„Mein Automatismus sagt mir gerade, dass Sie uns bewusst eine Lüge nach der anderen erzählen. Wo waren Sie am Montag?“

„Das haben wir alles bereits überprüft“, Dieter nun.

„Haben Sie Kinder?“

„Zwei Söhne aus erster Ehe. Sie wollen ja nicht meinen Kindern etwas unterstellen?“

„Sie verstehen etwas falsch. Ihre Frau ist tot. Sie wurde ermordet. Wir sollen deren Entführer und Mörder finden. So wird es von der Polizei erwartet, verlangt, gefordert, wie immer man das Bezeichnen mag. Geben Sie mir bitte die Adressen Ihrer Söhne, da ich nicht erst suchen muss.“

Er nannte diese. „Meine Jungs haben nichts damit zu tun.“

„Sicher. Sie haben sich gut mit der Stiefmutter vertragen. Überall herrscht heikler Sonnenschein. Sie haben die Kollegen belogen, um Ihre Frau zu schützen, selbst als Sie wussten, sie ist tot? Wissen Sie, wie oft ich das schon gehört habe? Ich frage mich dabei immer, warum manche Leute so wenig Interesse daran haben, dass man die Täter findet? Händigen Sie mir bitte trotzdem alle Bänder aus“, erhob sich Martin.

„Sie werden nichts darauf finden, da …“

„Überlassen Sie diese Beurteilung bitte unseren Labors“, unterbrach er den Mann. „Ich möchte noch die Autos sehen, die zu diesem Haushalt gehören. Die von Ihren Söhnen schaue ich im Computer nach“, schmunzelte er, schaute zu Oliver, der gerade hereinkam. An seinem Gesicht erkannte er, er hatte etwas entdeckt, schüttelte nur leicht mit dem Kopf.

Sie nahmen vier Kassetten mit, schauten die drei Autos an und verabschiedeten sich, nicht ohne den Hinweis, er müsse am nächsten Vormittag, 10 Uhr, den Leichnam seiner Frau identifizieren.

„Ich fahre nach Hause“, verabschiedete sich Dieter. „Die Unterlagen bekommt ihr. Denkst du, er hat was damit zu tun?“

„Er belügt uns auf jeden Fall. Habt ihr die Söhne überprüft?“

„Nein, da wir sie ausgeschlossen haben. Warum sollten sie die Stiefmutter entführen? Geld haben sie genug, und wie er sagte, gab es da nie Reibereien mit ihr.“

„Schöne heile Welt, nur sie hatte einen Lover“, höhnte Oliver.

„Woher weißt du das?“, erkundigte sich Dieter.

„Fotos. In ihrem Terminkalender war für Mittwoch ein Termin bei einem Rechtsanwalt eingetragen.“

„Fragen wir ihn, was sie von ihm wollte. Gehen wir.“

Im Auto holte Oliver einige Fotos hervor. „Guck, das nennt man gute Ehe.“

Er blätterte die durch. „Sie muss etliche Jahre jünger als er gewesen sein.“

„Jede Woche zwei Termine in einem Schönheitssalon und dreimal in der Woche bei einem Fitnesstrainer. Telefonnummern habe ich. Dazu ihr Notizbuch, wo sie regelmäßig ein J eingetragen hatte.“

„Ist ihr Lover? Jochen, Johannes, James, Jacob.“ Martin fuhr los.

„Es gibt kein Handy von ihr, keine Brieftasche mit Papieren, Ausweis, Führerschein. Sie hatten getrennte Schlafzimmer, Bäder. Klamotten ohne Ende, aber nirgends Schmuck.“

„Sah es aus, als wenn man da gewühlt hätte?“

„Glaube ich nicht, sonst hätte man die Bilder von ihr und dem Mann entfernt. Notebook ist passwortgeschützt, kam ich nicht rein. Was gab´s bei dir?“

„Er schwindelt, räumte ein, ich lüge und erfindet das Nächste. Er hat Dieter und seine Leute wegen des Gesprächs belogen, da er nie mit seiner Frau gesprochen hat. Er hat sie wegen der Geldübergabe belogen. Er lügt sogar, was den Montag und sein Heimkommen betrifft.“

„Wollte er sie so loswerden?“

Martin überlegte einen Moment. „Nein, eher, als wenn er überfordert wäre. Ja sogar, als wenn er sie in Schutz nehmen, sich alles schönreden wollte. Gute Ehe, liebes treues junges Frauchen, das ihn nicht nur wegen des Geldes geheiratet hat. Nur ich weiß zu wenig über die Familie. Überprüfen wir sie alle. Mal hören, was die zwei Söhne erzählen, danach fahre ich dich nach Hause, die Sachen ins Büro. Den Anwalt nehmen wir uns morgen früh als Erstes vor.“

Bei Lutz Wiedemann war niemand daheim, so fuhren sie zu dem zwei Jahre älteren Bruder Gerhard. Eine Frau öffnete mit verweinten Augen, schniefte, man hätte sie bereits erwartet.

Martin und Oliver schauten sich kurz an, dachten das Gleiche - vorgewarnt.

Im Wohnzimmer standen vier Tassen, Kaffeekanne, Milch und Zucker bereit. Zu albern, dieses Theater, dachte Martin erzürnt, stellte Oliver und sich vor.

„Da Sie bereits über alles informiert sind, wissen, was Sie sagen müssen, kurz zu Ihrem Alibi vom Montag und gestern Abend“, erklärte er mürrisch, lehnte ab, sich zu setzen.

Sie war zuhause gewesen, er auf Arbeit und gestern Abend beide zusammen vor dem Fernseher. Alles war so tragisch, weil man sich sooo gut mit der Stiefmutter verstand, die Ehe sooo perfekt war und die gesamte Familie auf einer einzigartigen rosa Wolke schwebte.

Daheim fragte ihn Vicky, ob sie es sei. „Angeblich ja. Ich kenne die Frau nicht und morgen muss er sie identifizieren.“

„Warum bist du so knurrig?“

„Weil mich dieses verlogene Gelaber nervt. Jeder verkauft dir eine heile Familienwelt. Sie schwebten noch immer auf rosa Wolken, labert die Schwiegertochter, dabei hatte sie einen Lover. Es gab nie Streit, nie Ärger. Alles sooo harmonisch, aber sie haben getrennte Schlafzimmer, Bäder. Zeig mir eine Familie, wo es nie unter Ehepartnern Streit gibt. Das passiert nur da, wo man nebeneinander lebt, sich nichts mehr zu sagen hat. Deine oder meine Eltern sind fünfzig Jahre glücklich verheiratet, aber krachen tut es zuweilen trotzdem. Völlig normal. Wiedemann hat nur gelogen, biegt sich irgendwelche Geschichten zurecht. Eben Politiker.“

„Sollten bei uns getrennte Schlafzimmer eingeführt werden, lasse ich mich scheiden.“

„Hört sich gut an. Ich schleich ja wohl nicht durchs Haus, weil ich Lust auf dich habe.“

„Ach du.“

Gero kam herein. „Können wir los?“

„Fünf Minuten. Du kannst die Sachen ins Auto stellen, langweilst du dich nicht. Denk an das Wasser und meinen Rucksack. Danke.“

Montag

Morgens fuhr er eine Stunde früher ins Büro, fand dort bereits Oliver vor.

„Moin. Aus dem Bett gefallen?“

„So wie du. Ich wollte mir die Kassetten ansehen.“

„Ich dito. Trinken wir dabei Kaffee. Komm mit rüber.“

Auf seinem Schreibtisch lag eine Akte. „Die hat mir vorhin Dieter in die Hand gedrückt.“

„Ist er auch aus dem Bett gefallen?“ Martin hantierte an der Kaffeemaschine. „Welche Sorte möchtest du?“

„Kräftig. Der ist stinksauer, weil Senator Wiedemann sie belogen hat. Er meinte, da hängen wir dort tagelang rund um die Uhr herum, nur um von dem angelogen zu werden. Danach heißt es, die Polizei kriegt nichts in die Reihe und nun ist die arme Frau tot. Hast du gestern Abend Nachrichten gesehen?“

„Nein, wir waren erst reiten, danach bei meinen Eltern.“

„Wiedemann hat ein Statement gegeben, wie traurig alles wäre. Trotz der Geldübergabe habe man seine Frau ermordet. Alle sind sooo geschockt. Er will eine Belohnung aussetzen, hofft, man findet schnell die Mörder.“

„Hat er die gesagt?“

„Ja, ich hoffe, man findet die Mörder meiner Frau schnell.“

„Woher weiß er, es waren mehrere Täter?“

Oliver zuckte mit der Schulter, legte die Kassette ein, wartete bis Martin die Kaffeepötte hingestellt hatte und schaltete ein. Nur das Tor war zu sehen, keine Autos, die vorbeifuhren. Immer wieder spulte Oliver schnell weiter, aber das Bild änderte sich nicht.

Auf der zweiten Kassette war das gleiche Bild.

„Sag, was soll der Schiet?“, fluchte Martin erbost. „Da kam kein Postbote. Will uns der Kerl verarschen? Er fährt weg, er kommt nach Hause, das ist das einzige Vorkommnis, was sich da an zwei Tagen ereignet hat? Diese Bediensteten verlassen nie das Haus, kaufen nichts ein? Keine Journalisten waren dort?“

Oliver schob die nächste Kassette ein. Nun waren sie plötzlich bei Donnerstagabend.

„Wo ist der Rest?“

„Es gab nur die vier Kassetten.“

„Oh Mann, was soll der Schiet?“

Er kam um 18.54 Uhr nach Hause, fuhr an drei wartenden Journalisten vorbei und das Tor schloss sich. Die Kamera schwenkte auf die Journalisten. Er fuhr heraus, 20.21 Uhr, abermals folgte die Kamera. Er kam zurück. 23.32 Uhr. Sonst passierte nichts.

„Schieb bitte die Kassette von Dieter ein. Wiedemann will uns verarschen“, Martin wütend.

Severin, Elmar und Rita erschienen.

„Wir haben einen neuen Fall?“, erkundigte sich Severin.

„Das auch. Moin. Du und Rita, ihr dürft die gesamte Familie Wiedemann durchleuchten. Alles von der Geburt bis heute. Jedes Skandälchen, wirklich alles. Elmar, es gibt da einen Verein, der alles über die Romanows sammelt, verwaltet, in Museen aufstöbert. Schicke denen bitte das Foto von dem Ring. Wir möchten wissen, ob der real von der Familie stammt. Wenn ja, wem der zuletzt gehörte. Adresse liegt auf deinem Schreibtisch. Ist von meiner Tochter. Lass den Text von unserem Russen übersetzen, da sie vermutlich kein Deutsch können. Danach fährst du zum Senat. Wir wollen wissen, wann Herr Wiedemann, seit Montag dort war. Von anderen Personen benötigen wir die Bestätigung. Frage nach, ob es Drohungen oder dergleichen gab. Nimm den Neuen mit, falls er kommt. Oliver machen wir weiter.“

Diese Bilder waren nun völlig anders. Die Kameras blickten so, dass man Teile der Straße sah, vorbei fahrende Autos erkannte.

„Wir benötigen von allen die Nummernschilder. Soll die KTI heraussuchen“, gab Martin Anweisung.

„Die haben die Kamera nach der Entführung manipuliert. Guck, die bewegt sich ständig. Mal siehst du drüben die Büsche des Nachbarhauses, mal zeigt sie das entferntere Grundstück, dann schwenkt sie mehr zum Haus Wiedemann.“

„Fragen wir den netten Senator Wiedemann, warum.“

„War ein Versehen, wird er antworten“, Oliver grinsend.

„Logisch hat keiner bemerkt, weil alle dröge sind. Snaksch, da wollte man sichergehen, dass jemand nicht aufgenommen wird. Nun wollen wir wissen, wer das ist. Was will ich mit Aufnahmen, wo ich über Stunden nur die Spitzen des Zaunes sehe?“ Er blickte auf die Uhr, schüttelte den Kopf. „Pünktlich sind sie nicht.“

„Jetzt kommt sie. 12.56 Uhr.“

„Das bedeutet, man hat an dem Vormittag die Kassette gewechselt oder überspielt. Keiner hat zuvor das Haus verlassen. Die wollen uns echt verarschen. Stopp bitte kurz.“

Martin griff zum Telefon. „Moin, Dieter. Hast du die Kassette vom Vormittag Grundstück Wiedemann?“ „Habe ich mir gedacht. Danke. Wie ich sagte. Die war voll, wurde automatisch an den Anfang gespult und Seefeld hat nur auf Start gedrückt.“

„Was will ich mit einer Kameraüberwachung, die sofort alles vernichtet?“

„Mein Butler wusste ja nicht, dass das wichtig sein könnte“, äffte Martin Gerd Wiedemann nach. „Schauen wir, wie es weitergeht.“

Sie stellte den Wagen direkt vors Tor, das geschlossen blieb, ging zu der Klingel. In dem Moment sah man, wie sie jemand umklammerte, wegzog. Die Kamera folgte den Bewegungen, man erkannte eine Person. Etwa einen Kopf größer, völlig in Schwarz gekleidet, eine Kapuze von dem Shirt verdeckte das Gesicht, alles. Selbst die Hände der Person waren von schwarzen Handschuhen bedeckt. Sie wehrte sich, versuchte zu treten, verlor dabei einen Pumps, wurde in einen weißen VW-Transporter geschubst, der Mann stieg mit hinten ein, dann fuhr er davon.

„Spul zurück, wo sie aussteigt, und lass es im Zeitlupentempo weiterlaufen.“ Martin beugte sich vor. „Stopp. Was hat sie da in der Hand?“

„Etwas kleines Schwarzes.“

„Die Fernbedienung?“

„Könnte sein.“

„Die Fernbedienung geht nicht, sie lässt den Motor laufen, steigt aus, will klingeln, wird geschnappt. Spul weiter. Da hat jemand eventuell die Fernbedienung manipuliert.“

„Ich sage doch, der wollte die Scheidungskosten sparen, eventuell die Abfindung“, Oliver sofort.

Die Tür öffnete sich vorn im Büro und Martin blickte nochmals auf die Uhr. 47 Minuten zu spät.

Er stand auf, gab Oliver ein Zeichen und ging zu den beiden Personen, die sich als Oberkommissar Benjamin Wurt und Kriminalkommissarin Elke Theodor vorstellten, mit dem Vermerk, sie hätten unter warten müssen.

Martin stellte die Mitarbeiter seiner Abteilung vor, erkundigte sich, wo sie bisher gearbeitet hatten. Folgend gab er einige Erklärungen ab, woran sie gerade arbeiteten. Elke teilte er Rita und Severin zu, Benjamin Elmar.

Danach schauten sie diese Kassette weiter an.

„Der Entführer, ich gehe davon aus, es ist ein Mann, wenn man Größe und Statur beachtet, wusste, er wird gefilmt.“

„Hundert Pro. So, sie fahren weg. Der Motor läuft, Tür offen. Das schwarze Etwas und der Schuh liegen dort. Keiner von den Nachbarn, im Haus, hat bemerkt, dort steht ein Wagen mit laufendem Motor, geöffneter Tür? Den Schuh hat keiner gesehen? Das schauen wir uns nachher vor Ort an. Snaksch!“

Die Kamera schwenkte ständig hin und her, zeigte, wie jemand auf die Nachbargrundstücke fuhr, den Verkehr, die Auffahrt mit dem Auto.

Erst gegen 19.20 Uhr kam er nach Hause. Das Tor öffnete sich. Er parkte hinter dem Wagen seiner Frau, setzte sich hinein und fuhr das Auto auf das Grundstück. Er kam zurück, fuhr mit seinem Wagen hinein und das Tor schloss sich.

„Stopp. Spule zu der Stelle, wo er ankam“, gab Martin Anweisung. „Ich hab´s. Der Entführer ist mit der Frau zum Wagen gegangen und losgefahren. Wann hat er das Schreiben in den Briefkasten gelegt? Noch etwas, wo sind der Schuh und das schwarze Gerät abgeblieben? Das lag nicht mehr da, als er kam.“

„Das sind manipulierte Aufnahmen.“

Sie schauten sich die Szene nochmals genauer an.

„So sieht es aus. Bring die Bänder zur KTI, danach fahren wir zu ihrem Anwalt anschließend zu den Wiedemanns. Außerdem fehlt der zweite Pumps, da die Tote keine Schuhe trug. Fragen wir, wo der andere ist.“

„Wir sollten die Villa auf den Kopf stellen.“

„Kannst du vergessen. Doktor Siegfried jagt mich zum Teufel, wenn ich damit komme. Er ist Senator, der um seine geliebte Frau trauert.“

„Sicher, der nur lügt.“

„Da müssen wir mehr in der Hand haben. Belästigen wir den Mann zu intensiv, sind wir die Dösbaddel. Versuchen wir es vorerst auf die nette Art und schieben das Ehepaar Seefeld vor, die wir befragen müssen. Mit den Nachbarn müssen wir reden. Machen wir uns an die Arbeit. Ich warte am Auto auf dich. Ach, gib das Notizbuch, die Fotos der Toten ab, sie sollen alles auf Fingerabdrücke untersuchen. Denk an den Sender.“

Schnell überflog er die Akte Wiedemann, las dort das, was ihm Dieter erzählt hatte. Gute Ehe, keinen Streit mit den Stiefsöhnen, Ex-Ehefrau inzwischen ebenfalls neu verheiratet, wohnte in Frankfurt am Main. Alles harmonisch. Wiedemann hatte ausgesagt, er habe keine Feinde, keine Drohungen erhalten. Seine Frau hätte mit seiner Arbeit nur wenig zu tun, auch sie keine Feinde.

Fehlt nur noch die rosa Wolke, auf der alle schweben. Er klappte zu. Dumm Tügs!

Er betrat das große Büro. „Rita und Frau Theodor, besor…“

„Sagen Sie ruhig Elke, du, ist einfacher und geht fixer.“

„Besorgt mir bitte alles über Frau Wiedemann, ich meine, vor ihrer Heirat. Sie muss ja von irgendwas oder wem gelebt haben.“

„Sie war seine Wahlhelferin, damals hat sie als Tippse bei einer Spedition gearbeitet.“

„Woher wissen Sie das, Herr Wurt?“

„Irgendwo gehört. Sie hat man seinerzeit bei der Wahl öfter an seiner Seite gesehen, allerdings er mit der noch Ehefrau. Nach der Wahl folgten Scheidung und Heirat. Alles innerhalb eines Jahres.“ Er grinste leicht. „Meine Oma liest solche Klatschzeitungen en gros und hat sich fürchterlich darüber aufgeregt. Sagen Sie ruhig Ben, du. So nennen mich alle.“

„Ja, Omas sind zuweilen nützlich. Kürze ich das mit den Namen ab. Wir duzen uns hier normalerweise alle. Sollten wir infolge bei neuen Kollegen so handhaben, leben sie sich fixer ein. Oliver und ich sind bei einem Anwalt und danach bei den Wiedemanns. Solltet ihr etwas Besonderes finden, sagt uns Bescheid. Ben, frage bitte deine Oma, was sie sonst noch für Klatsch über den Wiedemann und seine Familie weiß. Ist eventuell nützlich. Ist etwas Interessantes dabei, bekommt sie einen schönen Blumenstrauß von mir. Elmar, du fährst bitte mit Ben nach dem Senat zu den Eltern von Frau Wiedemann, falls die hier irgendwo wohnen. Bis später.“

Bei dem Rechtsanwalt erfuhren sie, Christine Wiedemann war schwanger. Nun wollte sie eine Änderung des Ehevertrages. Mehr wusste er nicht, da er die Frau nie gesehen hatte. Das hätte sie nur am Telefon bei seiner Angestellten so von sich gegeben, einen Termin verlangt. Die Angestellte bestätigte das Telefonat.

„Oliver, rufe bitte im Büro an, sie sollen bei ihren Eltern nachfragen, wie der Frauenarzt von ihr heißt. Rita oder Elke soll mit ihm sprechen, in welchem Monat sie war und ob er etwas über den Erzeuger des Kindes weiß.“

„Mit dem Trainer, dem Schönheitssalon müssen wir auch noch sprechen.“

„Und dem anderen Sohn. Immer schön der Reihe nach. Jetzt Wiedemann und Nachbarn.“

Sie schauten die Einfahrt genauer an, krochen durch die Sträucher, die das Grundstück von außen umgaben, bis zu einer Mauer, auf der ein Stacheldrahtzaun thronte. Kein Schuh war zu finden, noch die Fernbedienung, nicht ein winziges Stückchen Papier lag herum.

„Schaue die Kameras an, sie verfolgen uns. Eindeutig, man hat sie am Entführungstag und danach manipuliert.“

„Porentief rein“, stellte Oliver nach einer Weile fest. „Gehen wir erst zu den Nachbarn oder erst zu dem Wiedemann?“

„Erst Nachbarn. Besonders die drei Leute interessieren mich, die wir auf dem Band gesehen haben.“

An der Villa gegenüber wurden sie von einer riesigen schwarzen Dogge empfangen. So warteten sie, bis jemand nach dem Hund rief, betraten das Grundstück.

Eine Frau, um die Fünfzig, empfing sie mit Gartenhandschuhen, in Shorts, Shirt und barfuß. Die Haare waren hinten zu einem Pferdeschwanz gebunden. Netter Anblick, trotz des Alters, registrierte Martin. Er stellte Oliver und sich vor.

„Wir haben damit gerechnet, als wir gestern hörten, was passiert ist. Gehen wir nach hinten.“

Sie lief vorneweg und er musterte die langen Beine.

„Nehmen Sie Platz. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Orangensaft, Wasser, Kaffee?“

Sie entschieden sich für Saft und sie verschwand im Haus, während der Hund sich zu ihnen legte, sie im Auge behielt. Der machte aus jedem Hackfleisch, dachte Martin, als er dessen Zähne sah, da er kurz gähnte.

Sie goss ein, setzte sich und trank hastig. „Entschuldigung, aber ich stehe seit zwei Stunden im Garten beim Umgraben. Was möchten Sie wissen?“

„Am Montag, dem Tag der Entführung, ist Ihnen da irgendetwas aufgefallen?“

„Mir nicht, da ich im Haus war. Mein Mann kam am Nachmittag mit den Enkelkindern nach Hause und da erzählte er, Christines Auto stände vor dem Tor, die Wagentür offen, aber das Tor zu. Wir dachten, sie holt etwas. Unser Enkel hatte eine Eins in Mathe geschrieben, die erste im gesamten letzten Schuljahr und das lenkte uns davon ab. Erst so gegen 20 Uhr, als ich oben war, habe ich hinübergeschaut, da war der Wagen weg. Von unten kann man nicht hinübersehen.“

„Hat Ihr Mann oder haben Ihre Enkelkinder erwähnt, es lag etwas neben dem Wagen von Frau Wiedemann?“

„Nein, nur wie ich sagte, der Motor lief, die Tür offen und meine Enkel lachten noch, nu wird die Karre innen nass. Entschuldigung, so reden sie. Meine Enkelin hat sich über den laufenden Motor aufgeregt, da sie momentan umweltbewusst eingestellt ist, außer wenn es um Plastiktüten geht, die sie sich überall geben lässt“, schmunzelte sie.

„So etwas kenne ich. Was war Frau Wiedemann für ein Typ Frau?“

„Kann ich schlecht beurteilen, da ich sie nicht gut kannte.“ Sie schaute zu dem Hund.

Martin lächelte. „Die Wahrheit bitte. Wir sagen es nicht weiter.“

„Ist die Wahrheit, ich kannte sie wirklich kaum. Sabine, Gerds erste Frau war da völlig anders: geselliger, freundlicher. Nach der Heirat hatten wir, also auch die anderen Nachbarn, überwiegend nur zu ihm Kontakt. Sie kam nie zu einem Grillabend, gemütlichem Beisammensitzen. Gerd hatte uns eingeladen und der Abend endete im Fiasko. Seitdem waren wir nie wieder bei ihm.“

„Was war passiert?“, erkundigte sich Oliver.

„Sie pries jede Flasche Wein, wie teuer die sei. Sie veranstaltete Zirkus, da sie unbedingt neue Gläser kaufen müsse, da die jetzigen scheußlich wären, aber von so einer alten Frau könne man nichts anderes erwarten. Ein wenig peinlich, da wir alle fast in dem gleichen Alter sind. So ging es zwei Stunden und wir sind gegangen. Von draußen hörten wir noch Gerd meckern.“

„Aber es war die große Liebe zwischen dem Paar.“

„Bei Gerd sicher, vermute ich zumindest, bei ihr, kann ich nicht beurteilen.“

„Die erste Ehe, wieso ging die auseinander?“

„Sabine erwartete, Gerd würde sich mehr Zeit für sie nehmen, nur das wollte er nicht. Sie haben nur bis nach der Wahl gewartet, dann Scheidung. Sie kannte da bereits ihren heutigen Mann und er Christine. Sieben Monate später bei ihm die Hochzeit, die uns alle erstaunt hat.“

„Warum?“

„Ich hatte das Gefühl, sie passt nicht zu ihm. Er ist ein kleiner Paschatyp, möchte, wenn er nach Hause kommt, verwöhnt werden, etwas Aufmerksamkeit. So hat er es immer gekannt und das erwartete er von Christine. Nur sie war da anders als Sabine. Zu meinem Mann hat er in etwa geäußert, so eine jüngere Frau sei anstrengend. Vor einigen Wochen gab es Streit, da er sie laut anmeckerte, sie wäre kaufsüchtig, würde sein Geld zum Fenster hinauswerfen. Weiter habe ich nichts gehört, da ich ins Haus gegangen bin. Ich glaube, sie waren beide nicht glücklich miteinander. Gerd hat bereits über eine Scheidung nachgedacht, wie er zu meinem Mann sagte. Er wolle seinen Kindern wenigstens einige Euro sichern.“

„Sie wussten daher nichts von einer Schwangerschaft?“

„Christine?“, fragte sie erstaunt. „Das kann nicht sein.“

„Warum nicht?“, erkundigte sich Martin überrascht.

„Weil er seit Jahrzehnten sterilisiert ist. Sabine hatte Probleme mit der Pille, vertrug verschiedene Sorten wegen irgendeiner Substanz nicht. Er hat sich damals sterilisieren lassen. Sein Bruder ist Urologe, nur deswegen.“

„Trotzdem war sie schwanger.“

„Mag sein, nur nicht von Gerd.“

„Wissen Sie etwas über einen Ehevertrag?“

Sie lächelte. „Es gibt einen, allerdings weiß ich nicht, wie der lautet. Mein Mann ist Gerds Anwalt. Die beiden Männer kennen sich seit der Studienzeit.“

Martin erhob sich, dankte für den Saft.

„Ich habe noch eine Frage. Als Sie von der Entführung hörten, waren Sie da im Haus Wiedemann?“

„Nein. Mein Mann war bei Gerd, aber ansonsten wollte er keinen sehen, zumal die Polizei die gesamte Zeit im Haus weilte. Gerd ist Politiker. Sein Beruf oder Berufung steht bei ihm stets an erster Stelle. Da muss man Stärke zeigen, darf sich nicht gehen lassen, egal was geschieht. Der Schein für die Öffentlichkeit muss gewahrt werden, selbst was die Äußerlichkeiten betrafen. Mein Mann sagte, am Mittwoch glaube ich war es, er solle endlich den blöden Anzug ausziehen. Da meinte er, schaue raus, dann weißt du, warum ich so rumlaufen muss. Wie gesagt, stets korrekt.“

Sie verabschiedeten sich.

„Also keine heile Welt“, stellte Oliver fest.

„Nur warum sollte er sie ermorden? Er hätte sie mit nichts zum Teufel gejagt. Ein Tatmotiv fällt bei ihm damit fast weg. Wir werden uns später über den Ehevertrag informieren. Sie hat anscheinend nicht gewusst, dass er sterilisiert ist, wollte ihm ein Kind unterschieben. Gehen wir zum nächsten Haus.“

„Mit der Ehrlichkeit war es da nicht weit her. Die rosarote Wolke nun schwarz und der blaue Himmel anthrazit.“

„Vermutlich eines der üblichen Schemen. Jüngere Frau sucht älteren Herrn mit Geld. Vielleicht hat sie bemerkt, er ist mit der Ehe unzufrieden, deswegen ein Kind. Der Lover zeugt es, der blöde Ehemann bemerkt ja nichts und nun rollt der Rubel weiter. Gerade er scheint so eine Art Ehrenmann zu sein. Man trennt sich nicht von der schwangeren Ehefrau oder der Mutter seines gerade geborenen Kindes. Er hätte sie so gewiss noch einige Jahre am Hals gehabt.“

„Damit ein Tatmotiv. Bist du immer noch sicher, ich soll ja sagen?“

Martin lachte. „Eine Garantie gibt es nie, aber gute Chancen, dass es funktioniert.“

„Wieso geht es bei dir so lange gut?“

„Wir reden über alles, wir streiten uns, dass es kracht, es gibt keine Geheimnisse, wir sind ehrlich zueinander, betrügen den anderen nicht und wir lieben uns noch. Vicky ist eine selbstständige Frau, die weiß, was sie will oder nicht will. Sie mutierte nie zu der Art Mutter und Hausfrau, sondern blieb trotz allem berufstätig. Ich vermute, das ist bei uns der springende Punkt. Ich mag diese Hausmütterchen nicht sonderlich, die sich gehen lassen, dicker werden, nur Tratsch mit den Nachbarn kennen, auf die lieben Kinderlein warten und abends auf den Mann. Mein Vater hat vor zwanzig Jahren zu mir gesagt: Eine gute Ehefrau muss einen Beruf haben, eine gute Geliebte sein, attraktiv aussehen, dazu eine gute Mutter und zum Schluss erst Hausfrau sein. Diese Frauen, die in erster Linie gute Hausfrau sind - vergiss sie. Ist zu langweilig.“

„Na gut, dann heirate ich doch. Das passt bei uns, da Silvie eine miese Hausfrau ist. Nur kochen kann sie gut.“

„Der Spruch meines Vaters passt aber nicht auf jeden. Meine Nachbarin ist eine gute tolle Hausfrau, mit guter Figur und Intellekt. Sie himmeln sich trotz 21 Jahre Ehe an. Beide wollten es nie anders. Da steht das Auto, das wir auf den Bildern gesehen haben. Hören wir, was sie wissen.“

Ein älteres Ehepaar sagte fast Ähnliches aus. Nein, sie hatten sich nur über den Wagen von ihr gewundert, gedacht, sie holt etwas aus dem Haus, habe wegen des strömenden Regens die Autotür offen gelassen. Ansonsten war ihnen nichts aufgefallen. Gerd Wiedemann der nette Nachbar, sie die eingebildete Gans.

Haus Nummer drei erwartete sie wieder ein Hund. Dieses Mal ein junger Schäferhund, der mit einem Ball in der Schnauze angerannt kam.

Der Mann entschuldigte sich, warf den Ball und der Hund sprintete davon.

Wiederkehrend eine fast identische Geschichte. Er dachte, sie holt schnell etwas, das ihr jemand entgegenbringt, weil sie sonst womöglich nass würde. Als man nach dem Schuh, der Fernbedienung fragte, lachte der Mann kurz, wurde fix ernst. „Entschuldigung, aber den hat unser Hund angeschleppt. Wir haben uns noch gewundert, wo er den herhat.“ Von der Fernbedienung wusste er nichts. Der Schuh war inzwischen in der Mülltonne gelandet, da er den zerknautscht habe. Sie hatten die Nachbarn gefragt, aber keiner vermisste den, noch wusste jemand, wem der gehörte.

Sie liefen zurück zur Villa Wiedemann und beobachteten die Kameras, als sie klingelten, hineinliefen. Sie drehten sich mit.

„Sie muss einen Sensor haben, der Bewegungen verfolgt. Wieso hat die Kamera zum Beispiel nicht den Hund eingefangen, als der den Schuh mopste?“

„Das wird uns Fabian später beantworten. Ich bin der Meinung, man hat das Band nachbearbeitet, die Kameras manipuliert. Da hast gesehen, sie hatten ständig nur den gleichen Punkt im Visier. Keine Straße, keine Nachbarn, nichts dergleichen. Sie wurde entführt und man sieht nicht, wie zum Beispiel die ach so liebevollen Söhne den Vater besuchen. Kein Nachbar klingelt, bietet Hilfe an, ein paar nette Worte. Keiner verlässt das Haus oder kommt. Snaksch! Zumal wir nun wissen, sein Anwalt war bei ihm. Nirgends zu erkennen.“

Werner Seefeld erwartete sie an der Tür, teilte ihnen mit, Herr Wiedemann sei noch nicht zurück.

„Wir wollten mit Ihnen und Ihrer Frau sprechen.“

Oliver suchte die Frau auf, während er sich mit dem Mann in das Wohnzimmer setzte. Er berichtete von dem Montag so, wie er es bereits Dieter erzählte, es im Protokoll stand.

„Herr Seefeld, zeigen Sie mir bitte, wo der Monitor und das Aufnahmegerät stehen.“

Er folgte dem Mann in einen kleineren Raum, wo ein alter Schreibtisch stand, neben einem Regal mit allerlei Gerümpel.

„Erklären Sie mir das bitte. Es klingelt und dann gehen Sie hier herein, schauen nach, wer da steht?“

„Nein, dafür ist neben der Eingangstür ein kleiner Monitor, der sich automatisch einschaltet, sobald geklingelt wird.“

„Für was ist der dann?“, deutet Martin auf das Gerät.

„Er gehörte zu dem Gesamtprogramm.“

„Sie gehen in regelmäßigen Abständen hier hinein, wechseln die Kassette?“

„Nein, es piepst, sobald die Kassette voll ist. Irgendeiner nimmt die heraus, stellt sie rechts an den Stapel, nimmt die linke und schiebt die hinein.“

„Wieso ist dann am Montag das Band zurückgespult worden und wurde überspielt?“

„Keine Ahnung.“ Er trat an das Gerät, deutet auf einen Knopf. „Sehen Sie, hier kann man es einstellen. Ist der Knopf drinnen, was eigentlich immer der Fall ist, piepst es. Ist der Knopf draußen, spult das Gerät automatisch an den Anfang und zeichnet weiter auf.“

„Wer hat den Knopf betätigt?“

„Keine Ahnung? Erst am Abend ist mir eingefallen, am Tag wurde keine Kassette gewechselt. Ich habe nachgesehen. Weder meine Frau noch Herr Wiedemann wussten etwas darüber.“

„Bei der Sichtung der Kassetten ist uns noch etwas anderes aufgefallen. Normalerweise bewegen sich beide Kameras mit den Personen, sollte welche in deren Radius auftauchen, oder?“

„Allerdings. Bei Dunkelheit schaltet sich dabei sogar automatisch eine Beleuchtung an. Sie nehmen Bewegungen auf der Straße wahr. Es ist ein automatisches Rotationsprinzip, wie es der Hersteller bezeichnet. Die Dinger sind eigentlich ständig in Bewegung, solange nichts in der Einfahrt geschieht. Ist das der Fall, richten sich beide auf diese Bewegungen.“

„Bedeutet, ein Hund läuft hier entlang und die Kameras filmen das.“

„Nein, der Monteur der Anlage hat seinerzeit gesagt, alle Bewegungen über 1,30 Meter werden nur wahrgenommen. Es spielen hier oftmals Kinder, fahren Roller, daher diese Einstellung. Ist alles so vom Hersteller irgendwie vorprogrammiert.“

„Guckt sich jemand jemals die Bänder an?“

„Eigentlich nicht“, schmunzelte der Mann. „Es war ja noch nie etwas. Gerd, Herr Wiedemann, hat die Anlage mehr als Abschreckung installieren lassen. Seine erste Frau fand sie gut, weil sie so sehen konnte, wer draußen vor dem Tor stand, dazu kam die Fernbedienung für das Öffnen, wenn man nach Hause kommt. Alles wurde so nach und nach erneuert, da es einen Wartungsvertrag gibt.“

„Ich habe bei zwei Bändern bemerkt, die Kameras blieben über Stunden nur auf einen Punkt nahe dem Tor gerichtet. Ein Defekt?“

„Ja, ich habe es am Mittwochabend zufällig bemerkt und den Monteur angerufen. Am Donnerstag kam er und hat da etwas ausgetauscht. Wollen Sie den Arbeitsbericht sehen?“

„Ja, gern.“

Er las die Seite: Überprüfung der Kameras, Säuberung, Relais ausgetauscht, zwei Schwenkarme erneuert, Wartung und Überprüfung der gesamten Anlage. 4 Stunden plus die Materialien. Er reichte den Bericht zurück, bedankte sich. Sie verließen den Raum.

„Herr Seefeld, die Fernbedienung von Frau Wiedemann, wo ist die?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe am Montagabend in ihrem Wagen nachgesehen, aber da lag nur ihre Handtasche, einige Einkaufstüten. Das sagte ich Ihren Kollegen.“

„Wann hatte Frau Wiedemann das Haus verlassen?“

„Als wir um Viertel vor zehn vom Arzt zurückkamen, war sie bereits weg. Um neun hat man oben die Dusche gehört.“

„Wo sind die Sachen jetzt?“

„Ich habe alles in den Raum gestellt, wo wir eben waren.“