Blutsdämmerung Band 2 - Tanja Rauch - E-Book

Blutsdämmerung Band 2 E-Book

Tanja Rauch

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Beschreibung

Tamara und Julian sind nun endlich zusammen. Doch das Glück währt nicht lange, denn ein alter Bekannter aus der Vergangenheit scheint noch eine Rechnung offen zu haben. Als Tamara eines Tages spurlos verschwindet, keimt in Julian ein schrecklicher Verdacht. Obwohl er weiß, dass es ihn das Leben kosten könnte, reist er nach New York, um Tamaras alte Verbündete um Hilfe zu bitten. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt ...

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Tanja Rauch

Blutsdämmerung Band 2

Zeit der Finsternis

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Prolog Tamara

Fünf Jahre waren vergangen. Eine Zeit, in der ich pures Glück erfahren durfte. Fünf Jahre, die ich mit Julian an meiner Seite um die Welt gereist war. Neben Kanada, Deutschland und Frankreich lebten wir auch fast zwei Jahre in Südamerika. Nur die Vereinigten Staaten blieben weiterhin tabu. Denn, obwohl wir vorweisen konnten, dass Julian sich radikal geändert hatte, blieben Benjamin und Andrew misstrauisch.

Mittlerweile beherrschte ich mehrere Fremdsprachen. Wenn wir eine Weile in einem Land lebten, begann ich irgendwann automatisch dessen Sprache zu sprechen. Ich hatte so viel gesehen in den letzten Jahren, die Wüste von Marokko, die Regenwälder im Amazonas, den Etna auf Sizilien, um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Immer wenn wir eines Landes müde wurden, zogen wir einfach weiter. Es war kein Problem, denn Geld hatten wir im Überfluss und Tiere konnte man überall auf der Welt jagen.

Und schließlich hatte Julian eine – na ja, sagen wir mal – ungewöhnliche Idee. „Was hältst du davon, den Mount Everest raufzuklettern?“ Seine Smaragdaugen sprühten Funken vor Eifer, während er aufsprang und anmutig durch unsere Suite ans Fenster schritt. Er war ständig auf der Suche nach einer neuen Herausforderung.

Wir wohnten in einem Hotel in Mendoza (einer Stadt in Argentinien), saßen vor dem Laptop und klickten uns durch die verschiedensten Internetseiten, um unser nächstes Reiseziel auszuwählen. „Bitte was?!“ Ich legte nachdenklich meine Stirn in Falten, denn ich war mir nicht sicher ob er scherzte oder es tatsächlich ernst meinte.

„Ja, doch! Stell dir mal vor, wie mühsam es für die Menschen ist dort rauf zu gelangen – für uns wäre das ein Klacks! Überleg doch mal, was man von da oben für einen Ausblick haben muss! Dem Himmel so nah…“ Seine Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung und langsam dämmerte mir, dass ich aus der Sache wohl nicht rauskam.

„Hmm…na ja, also gut. Wenn du unbedingt willst…“ Ich kam gar nicht dazu, meinen Satz zu beenden, denn Julian drückte mir einen stürmischen Kuss auf den Mund. Ich befreite mich lachend aus seiner Umarmung. Er strahlte mich an. „Ich buche sofort zwei Flüge nach Kathmandu.“ Vom Kathmandu International Airport folgte ein Anschlussflug nach Lukla. Wie ich später erfahren würde, einer der gefährlichsten Flughäfen überhaupt. Von Lukla wäre es für uns nur noch ein Katzensprung wie Julian mir mit Feuereifer versicherte. 

So kam es, dass ich mich vier Tage später auf dem Gipfel des höchsten Bergs der Welt wiederfand. Mit nichts, außer einem Rucksack voll Flaschen, gefüllt mit Rinderblut (Argentinisches Rind ist nicht zu verachten) und blickte auf die verschneiten Gipfel des Himalaya Gebirges. Der scharfe, eisige Wind fuhr in mein Haar und wirbelte es in mein Gesicht. Ich konnte die Kälte spüren, wie sie sich durch meine Kleidung fraß. Doch mein zirkulierendes Vampirblut sorgte dafür, dass mein Körper immer gleichmäßig warm blieb. So war es auch nicht nötig, sich mit Spezialkleidung auszurüsten, wofür wir von anderen Bergsteigern äußerst ungläubige Blicke ernteten. Wir hatten ihnen natürlich sofort die Erinnerung daran geraubt, uns jemals begegnet zu sein.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Julian von hinten an mich herantrat. „Na, was habe ich dir gesagt? Es ist einfach unbeschreiblich schön“, flüsterte er in mein Ohr und ich konnte seinen warmen Atem an meinem Hals spüren. Ich drehte mich um, blickte in seine strahlenden Augen, die mich liebevoll betrachteten und nickte. „Atemberaubend schön“, flüsterte ich ebenfalls und legte meinen Kopf an seine Schulter. Wir blieben noch eine Weile so stehen und genossen das einzigartige Panorama, ehe wir uns wieder auf den Weg nach unten machten.

Während wir auf dem Rückweg von einem Felsvorsprung zum anderen sprangen, musste ich plötzlich an meine Schwester Caroline denken. Wir hatten uns lange nicht gesehen, weil sie zusammen mit Dorian in Philadelphia lebte. Nach ihrer Rückkehr aus Italien, vor fünf Jahren, hatte sie Max und Valentina mitteilen wollen, dass ich nicht zurückkommen würde. Als Dorian ihr die Tür öffnete, war es geschehen, jenes Wunder das wohl allen unserer Art einmal in unserem unendlichen Dasein widerfährt.

Es fühlt sich an, als ob tausende Volt durch den Körper jagen. Man wird unfähig, sich zu bewegen und wenn das Gefühl mit einem leichten Kribbeln wieder abflaut, ist man sich sicher, denjenigen gefunden zu haben, der für einen bestimmt ist. So erging es mir mit Julian, Max mit Valentina und Dorian ausgerechnet mit meiner Schwester Caroline …

„Wir sind gleich da!“, rief Julian, als wir uns dem Basislager am Fuße des Mount Everest näherten und riss mich aus meinem Grübeln.

Auf dem Rollfeld wartete bereits eine kleine Propellermaschine auf uns. Ich sprang von einem großen Felsen hinab und landete direkt neben Julian, der lächelnd meine Hand nahm. „Was für ein toller Tag!“, lachte er ausgelassen. Wir hatten tatsächlich nur einen Tag für unseren Auf- und Abstieg gebraucht und trotz der langen Reise davor, war mein Körper nicht im Geringsten erschöpft. Doch langsam machte sich ein Brennen in meinem Hals bemerkbar. Als hätte Julian meine Gedanken gehört, griff er hinter sich in den Rucksack, zog geschickt eine Flasche heraus und reichte sie mir.

„Danke, genau das brauche ich jetzt.“ Gierig schraubte ich den Verschluss auf und trank die sie in drei Zügen leer. Die Menge würde meinen Hunger bis zum Flughafen in Nepal unterdrücken. Obwohl wir schon so lange Zeit nur noch von Tierblut lebten, war die Versuchung von menschlichem Blut allgegenwärtig. Wir hatten unser Verlangen danach zwar sehr gut unter Kontrolle, trotzdem wollte ich es nicht riskieren, hungrig mit zwei Menschen in ein winziges Flugzeug gepfercht zu werden.

Hand in Hand liefen Julian und ich zur Rollbahn, über die ein schneidend kalter Wind fegte. An manchen Tagen war der Wind so stark, dass kein Flugzeug starten oder landen konnte. Heute schienen die Piloten aber nicht weiter beunruhigt zu sein, denn unsere Maschine stand bereit. Ein Mann in Warnweste stand neben der Treppe und winkte heftig. Wir bemühten uns, nicht zu schnell zu laufen und sprangen die Stufen hinauf. Der Mann, der uns zuvor gewunken hatte, sah mich lächelnd an. Er murmelte etwas, von dem ich nur "abhiram" verstand. Ich erwiderte höflich sein Lächeln und wandte mich an Julian, als wir das Flugzeug betraten. „Was hat er gesagt?“, fragte ich ihn, denn mein nepalesisch war noch lange nicht so gut wie seins. „Er fand dich wohl sehr hübsch.“, schmunzelte Julian und ließ sich in den Sitz fallen. Draußen wurde die Kabinentür verschlossen und der Kapitän sah sich Stirnrunzelnd zu uns um. Er schien etwas verärgert über unsere Verspätung zu sein, grummelte "abela" in sich hinein und schloss, immer noch schimpfend, die Tür zum Cockpit.

Die Propeller machten einen Höllenlärm und die ganze Maschine ratterte und wackelte. Das war alles andere als vertrauensselig, doch weder Julian noch ich hatten Angst, dass wir abstürzen könnten. Zwar wären wahrscheinlich sogar unsere Knochen nach so einem Absturz zerschmettert, aber glücklicherweise auch ebenso schnell wieder geheilt. Also ließen wir uns entspannt in unsere Sitze zurücksinken und blickten aus dem Fenster, als das Flugzeug mit viel Getöse abhob.

Julian nahm sanft meine Hand in seine. Ich schmiegte meinen Kopf an seine Brust und atmete den betörenden Duft ein, den er verströmte. Seufzend schloss ich die Augen. Nie wieder würde ich Julian verlassen, wir würden die Ewigkeit miteinander verbringen und der Gedanke daran, ließ mein Herz vor Freude schneller schlagen. 

Nach der Landung in Nepal bahnten wir uns den Weg durch das hektische Treiben auf dem Flughafen. Es wimmelte von Menschen und ihren Gerüchen und langsam wurde ich wieder hungrig. Julian nickte mir fast unmerklich zu, denn auch er schien dringend Blut zu benötigen. Wir zogen uns in eine abgelegene Ecke zurück und Julian öffnete zitternd den Rucksack. Vier Flaschen waren noch übrig. Eine drückte er mir in die Hand und schraubte dann schnell den Deckel von seiner ab. Hastig schluckte er die dunkelrote Flüssigkeit und griff sofort zur Zweiten. Ich trank meine Ration in langsamen Schlucken leer und schüttelte den Kopf, als er mir die Letzte geben wollte. „Lass uns die lieber aufheben.“, erklärte ich ihm, als Antwort auf seinen fragenden Blick. Julian zuckte die Schultern und steckte sie zurück in den Rucksack. „Wie du meinst.“ Sein Ton klang argwöhnisch, er konnte sich nicht vorstellen, dass ich von dieser Menge satt geworden war.

Mein Blick blieb an einem kleinen Mädchen hängen, das die Hand seiner Mutter hielt, die gerade irgendetwas in ihrer Handtasche suchte. Sie betrachtete Julian und mich neugierig und ihre schwarzen Mandelaugen funkelten. Anscheinend hatte ihre Mutter gefunden, wonach sie suchte, denn sie blickte auf, sah erst zu ihrer Tochter und dann uns. Sie musterte uns aufmerksam und ihre Miene wurde ernst – ja fast wütend! Hektisch drehte sie sich um und zerrte das kleine Mädchen mit sich. Während sie eilig Richtung Ausgang Schritt, drehte sie sich mehrmals um. Sie erinnerte mich an ein Tier auf der Flucht. Ihre Augen waren weit aufgerissen und sie hielt die Hand ihrer Tochter eisern umschlossen.

Auch Julian, der von seinem Rucksack aufblickte, hatte die Szene mitbekommen. Er lächelte still in sich hinein und verwirrte mich damit noch mehr.

„Sie hat Angst, wir könnten ihrer Tochter etwas antun.“, antwortete Julian auf meine nicht gestellte Frage.

„Was?!“ Mehr brachte ich nicht heraus.

„Sie weiß was wir sind – zumindest vermutet sie das. In ihrer Welt existieren Magie und Mythen und die Legenden erzählen über uns, wir wären alle blutrünstige Monster, die keine Gnade kennen.“, erklärte Julian beiläufig, schwang seinen Rucksack über die Schulter und nahm meine Hand. Wir liefen zu unserem Gate, um den Anschlussflug nach Bangkok zu erwischen. Denn von Bangkok hatten wir bereits einen Nonstop-Flug nach Barcelona gebucht.

Ich erschauderte bei Julians Worten. Selbst in meiner schlimmsten Zeit wäre mir nie in den Sinn gekommen, Kindern etwas anzutun! Über so etwas hatte ich auch ehrlich gesagt nie nachgedacht. Umso betroffener machte mich der Gedanke daran. Ich versuchte ihn so gut es ging wieder abzuschütteln, doch da ich auf dem langen Flug nach Barcelona Zeit hatte, meinen Gedanken nachzuhängen, ließ das mulmige Gefühl in meiner Magengegend erst nach, als wir zur Landung ansetzten.

Ich freute mich auf Spanien. Wir würden uns nach einem Haus in Cartagena, direkt am Meer umsehen und außerdem wollte ich mein spanisch perfektionieren.

Als wir endlich unser Gepäck bekommen hatten, kümmerte sich Julian um einen Mietwagen. Ich wusste jetzt schon, was wir bekommen würden: schwarz, schick, schnell. Wenn man schon unendlich viel Zeit auf der Erde verbrachte, konnte man sich auch ein paar Annehmlichkeiten gönnen – das war das Motto der Meisten unserer Art. Und so überraschte es mich nicht, als wir in der Tiefgarage des Flughafens auf einen Lamborghini Aventador zumarschierten. Julian ließ ihn extra für uns bestellen. Denn nachdem er ihn in einer Autozeitschrift entdeckt hatte, war klar, dass er dieses Auto bei nächster Gelegenheit unbedingt fahren wollte. Mit den 700 Pferdestärken wären wir wahrscheinlich im Handumdrehen in Cartagena gewesen, wären da nicht noch die anderen, überwiegend menschlichen Verkehrsteilnehmer gewesen.

Julian strahlte wie ein kleiner Junge über das ganze Gesicht, als er hinter das Lenkrad glitt. Ich saß mit verkniffener Miene und etwas verstimmt neben ihm. Natürlich hatte er nicht bedacht, dass in so einem Sportwagen nur sehr begrenzt Platz für Gepäck war. Also musste ich mich auf das wirklich Notwendigste beschränken und das war dann nicht mehr, als mein winziger Trolley, den ich als Handgepäck dabei hatte. Zumindest konnte mich der, in die Mittelkonsole eingelassene Bildschirm etwas besänftigen, denn ich zappte mich während der Fahrt durch sämtliche Satelliten-TV-Programme und bestellte nebenbei neue Schuhe mit meinem Smartphone die ich soeben in der Werbung gesehen hatte. Das musste man den Menschen lassen, sie wussten, wie man sich das kurze Leben angenehmer machen konnte.

Ich freute mich schon auf eine Dusche, als wir endlich in unserem Hotel ankamen. Das einchecken verlief dank unserer Fähigkeit, die Gedanken der Menschen zu beeinflussen, sehr schnell und zwei Minuten später stand ich endlich unter dem angenehm warmen Wasserstrahl. Zwar hätte mir kaltes Wasser auch nichts ausgemacht, aber muss zugeben, auch als Vampir war ich lieber ein Warmduscher. Mit einem leichten Duft von Vanille auf meiner Haut wickelte ich mich in ein Handtuch und trat aus dem Bad.

Julian lag auf dem breiten Bett und blätterte in einer Immobilienzeitschrift. Ich blieb im Türrahmen stehen - er sah zu mir auf und unsere Blicke trafen sich. Julian grinste über das ganze Gesicht, als ich mein Handtuch zu Boden gleiten ließ und zu ihm auf das Bett hüpfte. Mit einer kaum wahrzunehmenden Bewegung packte er mich bei den Schultern und zog mich auf sich. Unsere Lippen berührten sich, erst sanft und dann immer fordernder. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und ließ seine Lippen an meinem Hals hinunterwandern. Ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Haut und schloss die Augen. 

Julians Hand strich sanft über meine nackte Schulter und ich kuschelte mich in seine Arme, mit denen er mich fest umschlungen hielt. Ich lauschte den kräftigen Schlägen seines Herzens und schloss genießerisch die Augen, als er mir sanfte Küsse von meinem Ohr, über meinen Hals hinunter, bis zu meinem Oberarm hauchte. In solchen Momenten spielte es überhaupt keine Rolle mehr, dass wir uns vor fünf Jahren um ein Haar für immer verloren hatten.

Es spielte auch keine Rolle, was für eine Zukunft vor uns lag, denn für mich zählte nur dieser Moment, seine weiche Haut auf meiner zu spüren, seine Lippen zu schmecken und die Tiefe seiner Augen zu ergründen. Diese grenzenlose Liebe, die Vertrautheit und die Geborgenheit, hatte ich nur durch ihn erfahren. „Was meinst du, sollen wir heute ein paar Häuser besichtigen?“ Julian linste über meine Schulter hinweg zu mir. Ich streckte mich faul und drehte mein Gesicht zu seinem herum. „Na ja, wenn es sein muss...eigentlich würde ich am liebsten die nächsten Tage einfach hier mit dir im Bett liegen bleiben.“, erwiderte ich und gab ihm einen langen Kuss. Als ich meinen Kopf zurücklehnte, musste ich amüsiert feststellen, dass er anscheinend gerade abwog, ob er den Makler anrufen, oder doch meiner Einladung folgen sollte.

Seine Überlegung dauerte nicht lange, denn eine Sekunde später stürzte er sich auf mich, grinste über das ganze Gesicht, ehe er sich zu mir hinunterbeugte, spielerisch an meinem Hals knabberte und heiser flüsterte: „Wie könnte ich da widerstehen.“ 

Drei Stunden später hatten wir uns doch dazu durchgerungen, wenigstens noch ein Haus zu besichtigen. Letztendlich war es die Tatsache, dass wir wahrscheinlich bald die Einrichtung unseres Hotelzimmers demolieren würden, die mich dazu brachte, Julian aus dem Bett zu treiben und den Makler zu kontaktieren. Nur widerwillig hatte er sich aufgerafft und Señor Martinez angerufen, der sich um den Verkauf der exklusivsten Villen in der Umgebung kümmerte. Er willigte sofort ein, sich mit uns zu treffen, als Julian ihm mitteilte, in welchem Preissegment wir eine neue Bleibe suchten und verabredete sich eine Stunde später bereits am ersten Objekt mit uns.

Señor Martinez, ein hagerer, gut gekleideter Herr um die vierzig mit graumelierten Schläfen, wartete bereits, als wir in der Auffahrt aus unserem Mietwagen stiegen. Er musterte uns mit einer Mischung aus Neugier und ungläubiger Verwunderung. Sicherlich hatte er nicht jeden Tag mit Kunden wie uns zu tun. „Señora Goldman“ Er begrüßte mich lächelnd und deutete eine Verbeugung an. „Und Sie sind sicher Señor Collister.“ Woraufhin Julian nickte und höflich zurück grüßte.

Vor ein paar Monaten hatte Julian mich zwar gefragt, ob ich seinen Namen annehmen würde, um unsere tiefe Verbindung damit zu besiegeln, aber bis jetzt hatte ich mich nicht dazu durchringen können. Nicht, weil ich es nicht wollte, aber mein Nachname war das Letzte, dass mich mit meiner Mutter und somit auch mit meinem alten Leben verband. Ich hatte das zwar schon vor einiger Zeit alles aufgeben müssen, doch im Moment war ich einfach noch nicht bereit dazu, völlig loszulassen. 

„Sehen Sie sich diesen Traum von einer Villa an. Es macht schon von außen viel her, aber warten sie ab, bis sie drinnen sind.“, schwärmte Señor Martinez in höchsten Tönen und machte eine einladende Handbewegung in Richtung des Gebäudes.

Ich hob kritisch die Augenbrauen, denn meinem Geschmack entsprach es schon von außen ganz und gar nicht. Ich hatte nichts gegen mediterrane Bauweise, ganz im Gegenteil, unser Hexenhäuschen in Italien gehörte zu meinen liebsten Plätzen auf dieser Welt. Aber die protzigen Säulen, das viele Terrakotta war mir einfach zu viel des Guten. Auch Julian machte nicht den Eindruck, als würde er gleich vor Begeisterung aus der Haut fahren. Dennoch liefen wir brav hinter dem Makler her und ließen uns den Pool zeigen. Auch hier fielen mir sofort die (wie sollte es auch anders sein) terrakottafarbenen Fliesen auf, die das Becken umgaben. Ich warf Julian einen prüfenden Seitenblick zu, den er mit einem, für den Makler unmerklichen, Kopfschütteln erwiderte. Es stand eigentlich schon fest, das würde nicht unser neues Zuhause werden.

Zum Glück hatten wir beide in etwa denselben Geschmack, wenn es um Wohnungen oder Häuser ging. Die Devise lautete, entweder gleich super-modern, oder wirklich alt, mit modernen Highlights. Doch dieses Objekt lag noch nicht einmal irgendwo dazwischen. Hier hatte es jemand einfach übertrieben.

 „Es tut mir leid Señor Martinez, aber ich glaube, das ist nicht ganz unser Stil.“, begann Julian vorsichtig. „Ich hoffe sie verstehen mich nicht falsch, das Gebäude ist...schön. Aber es passt einfach nicht zu uns.“, fügte er noch schnell hinzu, um unseren Makler nicht sofort zu vergraulen.

„Aha“, machte Señor Martinez nur und ließ uns damit wissen, dass er uns für versnobte Angeber hielt, denen man es sowieso nicht recht machen konnte. „Nun ja, ich könnte ihnen natürlich etwas anderes suchen, wenn sie mir sagen, was eher ihren Vorstellungen entspricht.“ Er bemühte sich, freundlich zu bleiben, doch sein Unterton war eine Spur zu schneidend.

Julian blieb aber weiterhin höflich und nickte. „Das wäre großartig, Señor Martinez. Ich bin mir sicher, sie werden das passende finden.“, beschwichtigte er den etwas gekränkten Immobilienmakler. 

Kapitel 1: Julian - Entführt

Langsam öffnete ich meine Lider und blickte an die weiße Decke über mir. Meine Augen brannten und in meinem Kopf surrte es. Ich war verwirrt und orientierungslos.

Was war geschehen? Hatte ich geschlafen?

Aber warum? Schließlich benötigte mein Körper keinen Schlaf. Ich hatte seit gut fünf Jahren nicht mehr geschlafen, warum jetzt?

Mit einem schnellen Ruck setzte ich mich auf und sah mich um. Ich befand mich in unserem Hotelzimmer in Cartagena. Dorthin war ich mit Tamara nach unserem Aufstieg auf den Mount Everest geflogen. Wir wollten uns ein Haus direkt am Meer, fernab von allem menschlichen Trubel suchen.

Tamara!, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. Wo war sie eigentlich?!

Ich blickte auf die leere Bettseite neben mir. Das Laken und das Kissen waren glatt und unbenutzt. War sie auf die Jagd gegangen?

Ich schnappte mein Handy vom Nachttisch und blickte auf das Display.

Keine neuen Nachrichten.

Langsam keimte ein unbehagliches Gefühl in mir. Sie war noch nie weggegangen, ohne mir etwas zu sagen. Mit zitternden Fingern wählte ich ihre Nummer. Ewige Sekunden vergingen, bis sich die mechanisch klingende Frauenstimme der Mailbox meldete.

„Hallo Tamara! Ich...wollte nur wissen wo du bist, also – melde dich doch wenn du das abhörst.“, hörte ich mich auf das Band sprechen. Der Klang meiner eigenen Stimme erschreckte mich. Sie hatte etwas sehr Beunruhigendes. Ich warf das Handy in die Ecke und fegte wie ein Orkan durch das Zimmer, auf der Suche nach irgendetwas, das mir verriet, warum sie nicht mehr hier war. Im Bad lag, auf der Ablage vor dem Spiegel, ihre Haarbürste und ein altes T-Shirt auf dem Boden. Ich hob es auf und presste es mir an mein Gesicht. Ihr betörender Duft strömte in meine Nase. Sie hatte das Shirt gestern noch getragen. Hektisch riss ich den Kleiderschrank auf und starrte auf ihre Sachen. Es war alles da, auf dem Boden des Schranks stand ihr kleiner Koffer und in den Fächern darüber hatte sie fein säuberlich ihre Kleidung eingeräumt. Es schien nichts zu fehlen. Die Sache wurde immer merkwürdiger und ich mit jeder Sekunde verzweifelter.

Ich schüttelte unwillig den Kopf. Da fiel mir Caroline ein, ihre Schwester. Sie hatte mir auf dem Flug von Nepal nach Bangkok erzählt, dass sie eine Vision von ihr hatte. Tamara konnte die Vampire, deren Geruch sie kannte, mittlerweile überall auf der Welt aufspüren und einen kurzen Augenblick lang sehen. Danach war sie eine zeitlang sehr still und ich konnte spüren, wie sehr sie ihr fehlte. Hatte sie nun doch beschlossen zurückzukehren? Wer hätte es ihr verübeln können, sie hatte für mich praktisch alles aufgegeben. 

Panik ergriff mich! Ich ließ ihr T-Shirt fallen und stürmte zurück ins Schlafzimmer um mein Handy zu holen. Als ich Carolines Nummer wählte, fragte ich mich, ob ich auf der richtigen Spur war. Einerseits wagte ich es kaum daran zu denken, denn das würde bedeuten, dass sie mich tatsächlich verlassen hatte. Andererseits wüsste ich dann endlich, wo sie war.

„Ja?“ Carolines glockenhelle Stimme glich Tamaras auf erschreckende Weise. Ich musste erst den Kloß in meinem Hals hinunterschlucken, bevor ich überhaupt sprechen konnte.

„Caroline – hier ist Julian.“

„Oh…hallo Julian. Was gibt’s?“, fragte sie unbedarft und ich bekam nicht den Eindruck, dass sie etwas über Tamaras Verbleib wusste.

„Ich rufe wegen Tamara an…du hast nicht zufällig etwas von ihr gehört?“, fragte ich sie und hatte Mühe, meine Stimme zu kontrollieren.

„Nein…sollte ich denn?“, fragte Caroline gedehnt. Sie schien verwirrt über meinen Anruf zu sein.

„Na ja, also…es ist ein wenig Merkwürdig aber – Tamara ist weg und ich weiß nicht…“ Meine Stimme brach ab und ich musste mich räuspern.

„Wie weg?“

„Ich weiß auch nicht, ich bin vorhin aufgewacht und da war sie nicht mehr da. Aber all ihre Sachen sind hier und sie hat mir auch keine Nachricht hinterlassen. Es ist komisch, das sieht ihr gar nicht ähnlich. Und das absurde an der Sache ist, ich weiß noch nicht mal, warum ich geschlafen habe! Ich dachte, vielleicht hast du eine Ahnung wo sie stecken könnte…“ Langsam schwand das letzte bisschen Hoffung in mir dahin.

Ich konnte hören, wie Carolines Atem am anderen Ende der Leitung schneller ging. „Bei mir hat sie sich nicht gemeldet und ich denke auch nicht bei Max oder Val. Das hätten mir die beiden sicher erzählt. Und du weißt wirklich nicht, wo sie stecken könnte? Vielleicht ist sie jagen gegangen?“ Sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen, aber ich konnte die Verunsicherung in ihrer Stimme hören.

„Hmm…daran hatte ich auch schon gedacht. Weißt du was, ich warte einfach noch, vielleicht taucht sie auch gleich wieder auf.“, versuchte ich mir und Caroline glaubhaft zu versichern.

„Okay...und ich melde mich, sollte ich etwas von ihr hören“, erwiderte sie.

„Danke“, flüsterte ich spröde.

Ich legte auf und warf das Handy wieder aufs Bett. Mit den Zeigefingern rieb ich meine Schläfen.

Sie kommt bestimmt gleich wieder! Je öfter ich mir diesen Satz in Gedanken vorsagte, desto weniger glaubte ich daran. Etwas war geschehen, doch ich wusste nicht was! Die nächsten Stunden wanderte ich die Suite auf und ab. Ich blieb vor dem großen Fenster im Schlafzimmer stehen, blickte auf die untergehende Sonne und lief wieder weiter. Immer denselben Weg. Ich starrte auf das wirre Muster des Teppichs, während ich mich auf der Bettkante niederließ, ehe ich wieder aufsprang und aufs Neue unruhig umherlief. Ich versuchte immer wieder, Tamara auf ihrem Handy zu erreichen. Bis die Mailbox voll war. Es gab kein Lebenszeichen von ihr. Auch Caroline konnte mir nichts Neues mitteilen, als sie mich am Abend wieder anrief.

 

In Gedanken war ich den letzten Abend immer wieder durchgegangen:

Tamara und ich saßen auf einem schwach beleuchteten Steg und ließen unsere Beine im lauwarmen Wasser baumeln. Sie hatte ihren Kopf an meine Schulter gelegt und strich sanft mit den Fingern über meinen Arm. Bei dieser lebhaften Erinnerung krampfte sich mein Magen schmerzhaft zusammen.

Wir unterhielten uns über die die Haussuche und lachten über Señor Martinez, der bei unserem Anblick komplett aus dem Konzept geraten war. Dann saßen wir stundenlang einfach schweigend da und starrten auf das schwarze Meer. Auf dem Weg zurück in unser Hotel, war es bereits mitten in der Nacht und niemand mehr auf den Straßen unterwegs.

Ich sah verschwommene Bilder vor mir, von einem Fremden, der kurz vor unserem Hotel aus einer dunklen Ecke trat. Ich erinnerte mich an einen stechenden Schmerz in der rechten Schulter und dann wurde es dunkel. Ab diesem Zeitpunkt konnte ich mich an rein gar nichts mehr erinnern. Als hätte jemand alles, was dann folgte aus meinem Kopf gelöscht! Mir wurde übel und mein Herz schlug doppelt so schnell! Denn plötzlich wurde mir alles klar: Jemand musste sie entführt haben! 

Wie vom Blitz getroffen stürzte ich aus dem Hotelzimmer, die Treppe hinunter und rannte auf die Straße. Ich suchte den Ort auf, der mir als Letzter in Erinnerung geblieben war. Eine Nebenstraße, nur wenige hundert Meter von unserem Hotel entfernt. Mein Körper bebte, als ich die Stelle erreichte, an der ich Tamara das letzte Mal vor ihrem Verschwinden gesehen hatte. Und tatsächlich, ihr Geruch war noch vorhanden. Sehr schwach nur, aber es reichte aus um zu erkennen, dass es ihrer war. Ich lehnte mich keuchend gegen die Wand. Auch ich hatte einmal die Fähigkeit, mir durch den Geruch eines Vampirs Bilder von ihm und seinem ungefähren Aufenthaltsort ins Gedächtnis zu rufen. Doch leider war sie bei mir über die Jahre extrem verkümmert. In der Zeit, als ich allein lebte und nur Jagd auf Menschen machte, benötigte ich diese Gabe nicht. Obwohl ich mir sicher war, dass keiner unserer Art sie so gut beherrschte, wie meine Tamara. Sie hatte diese Fähigkeit durch die Trennung von ihrer „Familie“, wie sie Max, Val, Dorian und Caroline nannte, perfektioniert. So war es ihr möglich, die Verbindung zu den anderen zu erhalten.

Als ich so über Tamaras besondere Fähigkeit nachdachte, wurde mir plötzlich eiskalt! Ein fürchterlicher Verdacht beschlich mich und befiel meine Gedanken, wie ein sich rasend schnell ausbreitender Virus!  

Zitternd fummelte ich mein Handy aus der Hosentasche und suchte nach der Nummer des Flughafens in Madrid. Die Dame am Ende der Leitung bestätigte mir freundlich die Buchung eines Direktfluges nach New York City und ich legte auf. So schnell ich konnte, rannte ich zurück zum Hotel und warf die wichtigsten Sachen in meinen kleinen Koffer. Ein Glück, dass Tamara und ich gestern Nachmittag noch jagen gewesen waren. Hungrig ins Flugzeug zu steigen, würde mir jetzt absolut nicht in den Kram passen. Ich ließ den Mietwagen an den Eingang des Hotels vorfahren und warf meinen Koffer auf den Beifahrersitz. Kaum saß ich hinter dem Steuer, trat ich das Gaspedal bis zum Anschlag durch und schoss aus der Einfahrt. Im Rückspiegel sah ich noch das verdutzte Gesicht des Parkwächters.

Zweieinhalb Stunden später erreichte ich endlich den Flughafen von Madrid. Am Gate musste ich noch eine Stunde warten, dann wurde endlich zum Boarding des Fluges 743 nach New York aufgerufen. Die Stunde zog sich endlos dahin.

Ich stand die gesamte Wartezeit am Fenster und starrte auf die Start- und Landebahn. Äußerlich wirkte ich ruhig, doch in meinem Inneren tobte es. Wenn ich mit meiner Vermutung richtig lag, war Tamaras Leben ernsthaft in Gefahr – wenn sie denn noch am Leben war! Ich musste schlucken und meine Augen brannten.  Im Flugzeug wurde es noch schlimmer. Zwar hatte ich First Class gebucht und musste zum Glück nicht zwischen hundert Menschen eingepfercht sitzen, doch die schrecklichen Gedanken, die in meinem Kopf wüteten und meinen Verstand lähmten, konnte mir niemand nehmen.

Auch nicht die überfreundliche, rothaarige Flugbegleiterin, die dank meiner Erscheinung alle zehn Minuten nach dem Rechten fragte. Ich lächelte, nickte und bestellte mir Alkohol - viel Alkohol! Der konnte mich wenigstens ein bisschen betäuben und das war genau dass, was ich gerade brauchte. Ich wollte nur eins – den Schmerz über Tamaras Verschwinden lindern.

Es fühlte sich an, als ob man mir ein Bein oder einen Arm abgesägt hatte. Ich fühlte körperliche und seelische Schmerzen. Also trank ich mich quer durch das alkoholische Sortiment, dass die Crew für einen sechsstündigen Flug aufgefahren hatte.

Die Stewardess stand brav sofort parat, sobald mein Glas leer war. Als sie sich allerdings zu wundern begann, warum ich nicht sternhagelvoll wurde (das muss so nach meinem sechzehnten Glas Whiskey gewesen sein) befahl ich ihrem Verstand, jedes Mal sofort zu vergessen, dass sie mir nachgeschenkt hatte.