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Berlin und Neapel, ein Schulausflug in Kampanien, Autoindustrie und Roma-Slums, Dracula und Osteuropa, ein leicht vertrottelter Privatdetektiv mit verdächtigem Namen und schlechten Blutwerten stolpert durch das Reich der Camorra, wer ist gut, was ist böse, schnelle Autos, eine abgetrennte Ohrmuschel, Lösegeld und vermeintliche Instant-Paradiese in Paraguay und Rumänien. Hier macht am Ende selbst Beelzebub ein Kreuzzeichen.
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Seitenzahl: 110
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Wolfgang Haberl
Boboko
Wolfgang Haberl
Boboko
Kriminalroman
Impressum
Texte: © 2022 Copyright by Wolfgang Haberl
Umschlag:© 2022 Copyright by Wolfgang Haberl
Verantwortlich für den Inhalt:
Wolfgang Haberl
Via dei Dauni 24
00185 Rom (Italien)
Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Bildnachweise
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1
Maria Mommsen bei sich zu Hause im gemütlichen Mauer-Kreuzberg, das längst Kreuzberg-Friedrichshain heißt. Sie fliegt morgen mit ihrer Klasse nach Italien. Die Weltpolitik lässt von sich hören.
Es ist ein eher kühler Morgen für die Jahreszeit. Ein leichter Morgennebel hängt über dem kleinen Garten im Hinterhof, der sich allerdings in der Spätsommersonne bald verflüchtigen wird. Maria Mommsen steht barfüßig in der Küche und setzt die Kaffeemaschine in Gang. Sie ist eine Frau Ende vierzig, drahtig, dunkler Teint. Mindestens 10 Jahre jünger als du denkst, wenn du sie das erste Mal siehst, aber das hilft trotzdem nichts. Manche Frauen sind mit 25 schon alt. Sie lebt allein, immer noch in Kreuzberg, in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in der Nähe des Volksparks. Sie ist Lehrerin für Geschichte und Latein an der Johann-Gottfried-Herder-Oberschule in Berlin-Lichtenberg. Ihr Vater Herbert Mommsen kam irgendwoher aus Neubrandenburg und war, als es die Mauer noch gab, an derselben Schule im damaligen Ost-Berlin schon Studiendirektor gewesen. Er hatte sich in die Kubanerin Maria Perez verliebt, die im Rahmen des Programms der befreundeten sozialistischen Bruderstaaten in den sechziger Jahren nach Ost-Berlin gekommen war, um an der Humboldt-Universität als Lektorin Spanisch zu unterrichten, und sie zum Bleiben überredet. Ihr Onkel Pedro Tablada hatte am 17. April 1961 an vorderster Front an den Gefechten der kubanischen Bahía de Cochinos teilgenommen. Pedro Tablada war Oberst der Fuerza Aérea Revolucionaria Fidel Castros und flog ein Jagdflugzeug des Typs Hawker Sea Fury gegen die angreifende Fuerza Aérea de Liberación, die mit Zustimmung des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy und der CIA Kuba vom lästigen Kommunisten und Diktator Castro befreien sollte. Onkel Pedros Kiste war leider während seiner heldenhaften und mutigen Verteidigung der neuen Volksrepublik von einer Boden-Luft-Rakete des unter nigerianischer Flagge segelnden Flugzeugkreuzers Freedom getroffen worden und abgestürzt. In allen Geschichtsbüchern Kubas war zu lesen, dass Onkel Pedro für eine gute Sache gestorben war. Wer konnte daran zweifeln? Aber ein Toter konnte nicht mehr fliegen, und die Witwenrente betrug nur einen Bruchteil des Pilotengehaltes. Maria Mommsen (Tochter) blieb das erste und einzige Kind von Herbert und Maria Mommsen (Mutter). Das Telefon klingelt. Ihre Kollegin Susann Saitensprung ist am Apparat. Maria Mommsen hat kein besonders enges Verhältnis zu ihr, aber jetzt, wo man eine Woche zusammen nach Italien fährt, muss man die Stirnfalten und Arschbacken zusammenkneifen. „Dieter Rostel besitzt keine gültigen Ausreispapiere, weder Personalausweis noch Reisepass, was sollen wir machen?“ - „Wie ist so was möglich?“ - „Das frage ich mich auch. Er sagt, es gab gestern einen Einbruch bei ihm in der Wohnung und beide sind gestohlen worden.“ - „Und jetzt?“ - „Er hat die Anzeige der Polizei und einen Führerschein A1. Das sollte für einen EU-Staat eigentlich reichen“. „Dann sehen wir uns also um zwei Uhr direkt am Flughafen.“ - „Ja, mit der ganzen Klasse direkt am Check-In von Easy Jet.“ - „Hoffentlich sind alle pünktlich.“ Maria Mommsen hat genug Zeit, um in Ruhe zu frühstücken. Von irgendwoher kommen Nachrichten aus dem fernen Renzi-Italien. Das plärrende Radio auf der Fensterbank in der Küche versucht Autorität zu verbreiten. Es gibt mal wieder einen neuen Ministerpräsidenten In Italien. Mehr Lohn, mehr Arbeit, mehr Italien in Europa. Mehr Wachstum. Alles bestens. Mehr Büffelkäse auf der tiefgefrorenen Pizza. Weniger sparen. Alle Schulden in einen Topf. Jeder schüttet seine Miesen dort rein. Noch einen Tag, bevor alles den Bach runtergeht, stelle ich mich optimistisch vor die Fernsehkameras. Jeder gibt seinen Zimt und sein Zinnober dazu. Besser so. Politik. Maria schaltet das Radio aus und setzt sich mit der Tasse Kaffee auf den Balkon ihrer Wohnung. Im Viktoriapark ist so früh am Morgen noch kaum etwas los. Ein Radfahrer, vereinzelte Jogger, ein Mädchen, das seinen glänzend braunen Dackel Gassi führt.
2
Nicht weit weg von Oberstudienrätin Mommsen lebt Hans Haller im Wassertorkiez
Hans Haller sitzt ebenfalls auf dem Balkon seiner Wohnung in der Gitschiner Straße, von wo aus er die U-Bahn-Linie 1 nicht nur hört, sondern im 10-Minuten-Takt richtig rumpeln spürt. Der Tag ist vorbeigegangen, ohne Spuren zu hinterlassen und zu einem lauen Sommerabend geworden. Auf dem Blechtisch steht eine Flasche Grafenwalder Gold. Haller ist eigentlich ein athletischer Typ Ende fünfzig, hat aber Bauch angesetzt und wirkt verlebt. Er hat in seinem Leben keine besten Zeiten gehabt. In jedem Fall sind sie längst vorbei. Er isst zu schlecht und trinkt zu viel. Seine neuesten Blutwerte versteckt er ganz unten in der Schublade des Wohnzimmerschranks. Nach dem Abitur in Esslingen und dem Grundwehrdienst in Freiburg war er mehr als zehn Jahre lang in München bei einem Marmorgroßhändler als Sachbearbeiter beschäftigt. Die Firma verkalkulierte sich dann bei Großaufträgen in den neuen Bundesländern und ging pleite. Hans Haller lebte eine Zeitlang von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe und fand einen Job in Triest, weil er ein bisschen Italienisch konnte. Anfänger mit Vorkenntnissen in der VHS. Die Firma verkaufte Kaffee. Haller war für den Markt in Deutschland, Österreich und Slowenien zuständig. Auf einer seiner zahlreichen Reisen lernte er dann Wilma, seine künftige Frau kennen, die ihn dazu überredete nach Berlin umzuziehen. Job in Italien geschmissen, hoppla hopp ins Goldgräber-Berlin nach der Wende. Er heiratete 1995. Im gleichen Jahr wurde die Tochter Nathalie geboren. Haller eröffnete einen kleinen Weinladen in Charlottenburg, mit dem er einige Jahre ganz gut verdiente. Nachdem aber sein Steuerberater bei einer Reihe von größeren Weinlieferungen aus Frankreich die Mehrwertsteuer falsch berechnet hatte, wollte das Finanzamt eine fette Nachzahlung und drohte mit Pfändung und Gerichtsprozess. Haller war mit seiner bescheidenen Weisheit und Münze am Ende und meldete mit seinem Laden In Vino Veritas Konkurs an. Die Nullerjahre dann waren für Haller reinrunde Nietenjahre. Eine 2 und 3 Nullen. Zweimal dreifach Null Komma Nichts. Seine Ehe wurde geschieden, seine Frau zog in den Wedding und später ganz aus Berlin weg nach Hildesheim. 2008 hatte Haller dann die Nase voll von Hartz-IV und machte sich mit einer Ein-Mann-AG selbständig: Hans Hallers Privatdetektei, kurz HaHa. Ermittler mit bundesweiter und globaler Operationsfähigkeit. Eine goldene Nase konnte man sich damit auch nicht verdienen, wie die letzten 10 Jahre bewiesen, aber zumindest hielt man den Kopf überm Wasser. Die letzten Wochen waren allerdings mager gewesen. Eine Firma in Lübars vermutete Spesenbetrug bei einem ihrer Außendienstmitarbeiter, schreckte dann allerdings angesichts der hohen Überwachungskosten vor einer Auftragserteilung zurück. Im Mai hatte man ihn mitten in der Nacht am Handy wegen eines verletzten Kätzchens in Potsdam angerufen, das vom Dach gestürzt war. Als er um vier Uhr morgens am Humboldtring angekommen war, hatten sie allerdings schon den veterinären Notfalldienst kontaktiert und das Tier abholen lassen. Mit Mühe und Not konnte er die Gruppe der schlaftrunkenen Bewohner überzeugen, ihm pauschal 100 Euro bar auf die Kralle als Ausfallleistung zu zahlen. Letzte Woche war etwas besser. Ein gewisser Hackensack hatte ihm eine Mail geschrieben und 2000 Euro dafür angeboten, einen Aktenkoffer mit Rasierschaumdosen aus einem Schließfach im Münchner Hauptbahnhof nach Berlin zu bringen. Das hatte Haller einen Tag Arbeit und vielleicht 200 Euro Benzin gekostet. Warum war jemand so blöd und zahlte für so wenig Einsatz so viel Geld? Drogen? Vielleicht war Hans Haller selbst der blödeste von allen. Aber was steht auf der Webseite von HaHa? Absolute Diskretion. Ihre persönlichen Daten sind nur Hans Haller persönlich bekannt, strengstes Stillschweigen wird garantiert. Bei der Datensicherheit halten wir uns selbstverständlich an das Bundesdatenschutzgesetz. Hans Haller schenkt sich den Rest seines „Grafenwalder Gold“ ein und hört wieder eine U-Bahn vorbeirumpeln. Metall auf Metall. Metal Machine Music. Um acht Uhr will er seine Ex-Frau Wilma und Tochter Nathalie beim Italiener in der Schlesischen Straße treffen. Mit einem Loch im Bauch lebt man schlecht.
3
Neapel schlüpft aus dem Bilderbuch der Vorurteile. Boboko lässt sich kurz blicken. Die Leser(*innen) erfahren, wie Betty und Netty auf der Piazza Garibaldi gekidnappt werden.
Es ist die typische süditalienische Gluthitze, als die zwei Lehrerinnen mit ihren Klassen in Neapel Capodichino ankommen. Als das Grüppchen hinten und vorne die Treppe des Low-Cost-Fliegers hinuntersteigt, haben alle das Gefühl, dass gerade eine Backofenluke geöffnet wird. Sie sind insgesamt 23, aus zwei verschiedenen Abiturklassen, inklusive der zwei Lehrerinnen. Sie fahren mit dem Bus Curreri vom Flughafen nach Meta di Sorrento, wo sie im Feriendorf Paradise Village eine günstige Unterkunft gefunden haben. In der Woche, die sie dort verbringen, machen sie den ganzen Mist, der seit Ewigkeiten und noch länger in den in den in unzerstörbaren Granit gemeißelten Reiseführern steht. In Pompei ist es zwischen den alten Steinen so heiß, dass einige Schüler Kreislaufprobleme bekommen und sie die Führung abbrechen müssen. Sie setzen sich dann alle in den Schatten in eine Cafeteria und trinken stilles, kaltes Mineralwasser. Das kostet nicht viel. Am Dienstag machen sie eine Rundreise auf einem Restaurantschiff, das von Castellammare di Stabia über Capri nach Amalfi vor und zurück tuckert. Vor der Insel Capri macht das Schiff kurz Halt. Man hat die Möglichkeit, im Meer zu schwimmen. Ein paar Schüler hüpfen in das kobaltblaue Wasser wie Außerirdische in ein ihnen unbekanntes Element. In Amalfi steigen sie die hohe Treppe zur Cattedrale di Sant’Andrea hoch und denken, dass es sich um eine Heilige, nicht um einen Heiligen handelt. Alle, die an den glauben, werden zumindest selig. Oder kommen ins Paradies. Das ist doch schon mal was. In Neapel gehen sie erst ins Museo Archeologico und dann einmal die Via Toledo rauf und runter bis zur Galleria Umberto. Beware of pickpockets. Sorrent ist folkloristisch und Touristennepp. In der Via San Cesareo gibt es jede Menge dumme Ami-Touris, Ledergürtel aus China und rote Hörnchen gegen den bösen Blick. Zeigefinger und kleinen Finger spreizen und nach unten richten. Die Neapolitaner glauben tatsächlich an den ganzen Dreck. Das Abendessen im Feriendorf in Meta di Sorrento, als sie erschöpft von ihrem Tagesausflug zurückkommen, ist auch nur Mittelklasse. Jetzt sitzen sie nach einer Woche Ferien wieder im Bus Curreri, der sie auf der SS145 zum Flughafen nach Neapel bringen soll. Doch irgendetwas funktioniert nicht. Der Bus hat Probleme mit dem Motor. Jetzt steht der Fahrer sogar hinten und öffnet bei laufendem Motor die Motorhaube. Dann erklärt er, dass er sie leider nicht nach Capodichino bringen könne (guasto meccanico!), erstattet ihnen den Fahrpreis zurück und bringt alle zum Bahnhof der Vesuviana nach Meta. Glücklicherweise haben sie kein Zeitproblem. Zwei Kioske im Familienbetrieb. Der unfreundliche Sohn drinnen im Bahnhofsgebäude. Die unfreundliche Mutter draußen in einem anderen Behelfskiosk auf der Straße. Macht nichts, man kann auch trotz unfreundlicher Leute weiterleben. Dann durch den langen Tunnel bis nach Vico Equense, in dem die Entlüftungsturbinen ein Geräusch machen, das fast so schlimm wie Sirenen bei Fliegeralarm ist. In Neapel kommen sie an der Piazza Garibaldi an, laufen die hässlichen blaugrauen Billigfliesen entlang, auf denen man bei Nässe so schön ausrutscht. Kennen die kein Akemi-Antirutsch-R9? Oben vor dem McDonalds an der Ecke stehen Zigeunerfamilien mit kleinen Kindern, die um Geld betteln. Braungebranntes Gesocks. Slum-Feeling. Alles ist abgeranzt und stinkt: das Ergebnis der langjährigen Neugestaltung des Hauptbahnhofgeländes. Vor dem ehemaligen Postamt liegen Penner auf dem schwarzen Gummiboden und trinken Tavernello aus Tetrapaks. Die Typen, die hier herumlungern, scheinen Komparsen für einen Gangsterfilm aus den siebziger Jahren. Die Klasse überquert im Wilde-Sau-Verfahren mit ihren Rollkoffern den belebten Corso Novara. Sie drängt sich in die enge Straße, die zum Ende des Platzes führt, wo das Hotel Cavour steht. Linkerhand ist die Haltestelle des Flughafenbusses, der inmitten des ständigen neapolitanischen Allzeit-Chaos den Corso Giuseppe Garibaldi nach Capodichino hochfährt. Hier in Neapel ist alles so, wie man es schon vorher weiß: Pralles Leben mit Dauernerveffekt, Provinz pur, alles super-hässlich und Asbach-uralt. Meine Pizza ist die beste in der ganzen Stadt. Meine Oma kocht die beste Tomatensoße. Die Leute lachen zu viel, am besten macht man einen weiten Bogen um sie. Sie mögen dich nicht, sie wollen dich ablinken. Neapel scheidet die Geister: entweder hasst man die Stadt oder man liebt sie. Der Ali-Bus zum Flughafen ist den feinen Pinkeln aus dem hohen Norden vor der Nase weggefahren. Die brave Betty und die naive Netty aus der 12B haben Hunger. Sie fragen ihre Lehrerinnen Frau Mommsen und Frau Saitensprung, ob sie sich schnell noch einen Döner Kebab holen können. „Okay, aber macht schnell. Der nächste Bus kommt gleich.“ Die zwei Mädchen bugsieren sich gutgelaunt und kichernd in die Via Torino in Richtung Norden. Betty ist blond, lange Haare, T-Shirt, Büstenhalter, der nichts zu halten hat, Hotpants. Sie liebt japanische Mangas und Boybands aus Südkorea. Netty ist trotz ihres niedlichen Namens überhaupt nicht nett. Sie ist klein, schwarz, kurzhaarig, oft schlecht gelaunt. Ihr Idol ist Sophia Thomalla.