BOOOOM!!! - Markus Dichmann - E-Book

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Markus Dichmann

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Beschreibung

Von Schund zur Leinwandikone: Die faszinierende Geschichte der Superhelden. Fundierte Hintergrundinfos mit über 100 Abbildungen. Superman, Batman, Spider-Man, Wonder Woman, Captain America, die Avengers und Co. – heute sind Superhelden aus Kino, TV und Popkultur nicht mehr wegzudenken. Doch ihre Ursprünge waren weit weniger glamourös: Comics galten lange als Schund, in den USA wie in Deutschland. In "BOOOOM!!!: Die Welt der Superhelden – Die ersten 100 Jahre" erzählt Markus Dichmann die faszinierende Geschichte der Superhelden – von ihren Anfängen im jüdischen Migrantenmilieu der 1930er-Jahre bis hin zur globalen Superhelden-Welle im Kino des 21. Jahrhunderts. Dabei beleuchtet das Buch nicht nur die Entwicklung von Marvel- und DC-Charakteren, sondern auch die gesellschaftlichen Debatten, die sich in den Comics widerspiegeln: Faschismuskritik, Rassismus, Feminismus, Queerness und politische Utopien. Ein Muss für Fans von Comics, Superhelden-Filmen und Popkultur! Auch als Geschenk für Comic-Liebhaber und Kino-Enthusiasten bestens geeignet.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Markus Dichmann

BOOOOM!!!

Die Welt der Superhelden Die ersten 100 Jahre

wbg Theiss ist ein Imprint der Verlag Herder GmbH

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2025

Hermann-Herder-Str. 4, 79104 Freiburg

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden

Sie sich an [email protected]

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv vorne: KI-generiert mit Adobe Firefly

Umschlagmotiv hinten: © yogysic; GettyImages

E-Book-Konvertierung: ZeroSoft, Timișoara

ISBN Print 978-3-534-61052-5

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-534-61057-0

Für meine Superheldinnen – Eleonore, Luise, Änne, Nadine und Elke

Inhalt

Prolog

1. Origin StoryDas Baby von Krypton

2. Secret OriginHercules und der Prinz von Gamma

3. Golden Age Kinnhaken für Hitler

4. Super VillainsDer Psychiater aus Wien

5. Silver Age Der Blitz schlägt ein

6. Bronze AgeRobin Hood trifft Space-Cop

7. Dark AgeDer Teufel trägt Gürteltasche

8. Modern AgeRenaissance mit großem Orchester

9. All-New, All-Different-AgeVon Captain zu Captain

10. Man of TomorrowDer Teenager von Krypton

Abbildungsnachweis

Über den Autor

Prolog

Superheldinnen und Superhelden sind Vorboten des Faschismus. Gewagter erster Satz für ein Buch über Frauen und Männer, die fliegen können und das Unrecht bekämpfen. Zugegebenermaßen habe ich mir den aber nicht selbst einfallen lassen. Genauso wenig stammt er aus der Feder der ewigen Kulturpessimisten, die in Superheldencomics den ebenso ewigen Untergang des Abendlandes sehen. Wie gute Superschurken kehren die immer wieder aus der Versenkung zurück, selbst wenn man sie schon längst für besiegt gehalten hat (wir schauen in Ihre Richtung, Mr. Scorcese). Nein, dieser Satz stammt von niemand Geringerem als Alan Moore. Den Namen haben Sie vielleicht noch nie gehört. Aber in der Welt der Comics gibt es an ihm kein Vorbeikommen. Alan Moore ist eine Mischung aus Arbeiterklasse und Intellektuellem, selbsternannter Anarchist und Magier, pflegt Rockstarallüren und Eremitendasein. Ein immer scharfer, wenn auch etwas entrückter Kritiker der Comicszene – und auch der Welt im Allgemeinen. Das kann er sich anscheinend erlauben, weil er Watchmen geschrieben hat. Watchmen gilt als das Meisterwerk des Genres schlechthin. Watchmen habe Superheldinnen und -helden revolutioniert und dekonstruiert, habe sie relevant oder wahlweise auch erwachsen gemacht. Als einziger Comic – oder meinetwegen als einzige Graphic Novel – hat es Watchmen auf eine Liste der 100 besten Erzählungen aller Zeiten geschafft, die vom großen Time Magazine gekürt wurde. Wegen Alan Moore überschlagen sich die Feuilletons genauso wie viele Fans weltweit. In einer TV-Dokumentation wird er der „unumstrittene Comicgott“ genannt.

Es wird gern so getan, als seien Gespräche mit Alan Moore eine Rarität, als würde er sich selten und nur in ausgewählten Fällen öffentlich äußern. Dabei gibt er eigentlich ständig Interviews, zum Beispiel auch im Oktober 2022 ein sehr ausführliches Gespräch mit dem britischen Guardian. Darin erklärt er unter anderem zum wiederholten Male, dass er nun für immer mit dem Genre abgeschlossen habe. Dass er Comics zwar immer noch liebe, das Geschäft und die Industrie um sie herum aber unerträglich finde. Und dass es ein großes Missverständnis gebe, an dem er selbst nicht ganz unschuldig sei: Superhelden seien nicht „erwachsen“ geworden. Die Charaktere und Geschichten seien erschaffen worden, um zwölfjährige Jungs (und zwar explizit Jungs, nicht Mädchen) zu unterhalten, und daran habe sich bis heute nichts geändert. Wenn heute Millionen Menschen Schlange stehen würden, um den nächsten Batman-Film im Kino zu sehen, dann nicht, weil der Stoff erwachsen geworden sei, sondern weil das Publikum emotional noch im Kindesalter stecke. Und jetzt kommt’s: Diese Verkindlichung, der Wunsch nach einfacheren Zeiten und einfacheren Wirklichkeiten, sei ein Vorbote des Faschismus.

Because that kind of infantilisation – that urge towards simpler times, simpler realities – that can very often be a precursor to fascism.

Tja. Bitte raten Sie an dieser Stelle, wer für den letzten Batman-Film in der Schlange vorm Kino stand. Genau, der Autor dieses Buches. Sie eventuell ja auch? Haben wir die emotionale Reife von Teenagern? Sehnen wir uns nach einfacheren Zeiten? Gehen wir dem Faschismus auf den Leim?

Was stimmt, ist, dass ich ein Kind war, etwa acht Jahre alt gewesen sein muss, als ich das erste Mal einen Superheldencomic in den Händen hielt: Batman Adventures #1, erschienen im beinahe legendären Dino Verlag, der aber schon vor über zwanzig Jahren aufgekauft wurde. Etwas später kamen Hefte von Spider-Man und den X-Men hinzu, und jeden Samstag hatte ich gleich nach dem Aufstehen ein festes Date mit der Glotze, denn da liefen dann auch noch Superman und Iron Man im Kinderprogramm. Sie alle begleiteten mich eigentlich meine ganze Jugend über und sind auch noch heute Teil meines Lebens. Groß geworden bin ich im Ruhrgebiet der Neunzigerjahre. Alleinerziehende Mutter, pendelnd zwischen Unterhalts- und Sozialhilfeempfängerin, die Arbeitslosenquote hatte schon längst die Zehn-Prozent-Hürde geknackt. Auf der weiterführenden Schule erzählten die Lehrer ständig vom „Strukturwandel“ und sagten so was wie: „Deutschland ist der kranke Mann in Europa.“ Ausbildung besser bei der Sparkasse. Als ich Teenager war, starb meine Mutter. Ich kann nur mutmaßen, wie sich das alles auf eine Kinderpsyche auswirkt. Aber Kinder sind sehr gut darin, ihre eigenen Realitäten zu schaffen. Ich erinnere mich also vor allem an eine glückliche Kindheit und an lange Nachmittage, an denen ich mich, nur mit Superheldencomics bewaffnet, in meinem Zimmer verschanzte und mich an ihnen festhielt. Bruce Wayne und Peter Parker, beide Waisenkinder wie so viele Superhelden, haben mir gezeigt, wie man sich wieder aufrappelt, nachdem man gefallen ist.

Vor einigen Jahren musste ich dann ziemlich staunen, als ich hörte, dass Ta-Nehisi Coates unter die Comicautoren geht, für Marvel Comics den Black Panther schreiben wird. Erstens musste ich staunen, weil mal einer der ganz Großen den Quereinstieg ins Genre wagte. Coates gilt als einer der wichtigsten Intellektuellen der USA, als einfühlsamer Erzähler und als scharfer Analytiker der Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß. Aber noch mehr musste ich staunen über einen Artikel, den Coates zeitgleich im US-Magazin The Atlantic veröffentlichte. Darin beschreibt er, wie er als kleiner Junge in einem der ärmeren Viertel Baltimores aufgewachsen ist, industriell und von sozialen Konflikten geprägt. Und wie er sich als Neunjähriger oft in seinem Kinderzimmer verschanzte und Halt fand in den Seiten von The Amazing Spider-Man oder The Uncanny X-Men. Denn auch der kleine Ta-Nehisi schmökerte reihenweise Superheldencomics. Und genau wie Moore spricht er auch von einer anderen Wirklichkeit – nur in diesem Fall von einer, in der die Schwachen und Verspotteten ihre eigene fantastische Stärke finden können.

I found the tales of comic books to be an escape, another reality where, very often, the weak and mocked could transform their fallibility into fantastic power.

Jetzt will ich mich nicht der Dämlichkeit preisgeben, mich mit Ta-Nehisi Coates zu vergleichen oder gar die Milieus, in denen wir aufgewachsen sind. Das verbietet sich. Aber ich habe gestaunt, weil mich seine kindliche Erfahrung sehr an meine eigene erinnert hat. Und diese Erfahrung hat anscheinend so geprägt, dass wir Superhelden bis heute etwas abgewinnen können. Man kann es Eskapismus nennen. Man könnte es aber auch Emanzipation oder Empowerment nennen. Oder einfacher: Fantasie, Freiheit und Stärke.

Jetzt ist davon auszugehen, dass es nicht nur Coates und mir so geht. Sondern so wird es auch Abermillionen Menschen von Dänemark über Brasilien bis nach China gehen, die ein Kinoticket für Avengers: Endgame gekauft und dem Film das zwischenzeitlich beste Einspielergebnis aller Zeiten verschafft haben. So wird es allen gehen, die die anderen Dutzenden Superheldenfilme und -serien der großen Hollywoodstudios schauen. So wird es auch all denjenigen gehen, die sich als Superheldinnen und Superhelden verkleiden, egal ob sie damit zur nächsten Kostümparty oder zur nächsten Demo gehen. Und natürlich wird es allen so gehen, die bis heute die Comics selbst lesen. Gut 85 Jahre nach ihrer Erfindung erscheinen Superhelden so (pop-)kulturell relevant wie noch nie. Aber jetzt kommt Alan Moore ins Spiel: Ist das gefährlich? Bedienen Superhelden einfach nur das Kind in uns? Werden hier einfache Weltsichten verbreitet? Sind Superheldinnen und Superhelden tatsächlich Vorboten des Faschismus? Jedenfalls haben wir Superman schon bei den Querdenkern gesehen. Oder können wir von unseren inneren Kindern immer noch was lernen? Erinnern sie uns an einfache Wahrheiten? Bieten sie fundamentale Werte oder einen moralischen Kompass? Spider-Man hat sich wiederum bei Fridays for Future blicken lassen. Und nicht nur da. Superhelden, ihre Masken, Kostüme und Symbole tauchen bei Streiks und Demonstrationen in den USA, in Frankreich, im Sudan, in Hongkong und in Chile auf und werden für alles Mögliche in Beschlag genommen. Es gibt also einen Kampf um die Deutungshoheit dieser Figuren – und das im Grunde schon seit ihrer Erschaffung. Dieses Buch will einen Überblick geben, wo Superheldinnen und Superhelden eigentlich herkommen. Was uns ihre Geschichte über sie verraten kann. Und soll mindestens mich auch mit dem inneren Kind konfrontieren – Sie vielleicht ja auch.

Dafür fangen wir mit dem Ersten aller Superhelden an. Der wurde übrigens von Kindern erfunden.

Zuvor noch ein kurzes PS: Das Buch verwendet viele Originalzitate der Comics und ihrer Erschafferinnen und Erschaffer. Das heißt, wir kommen nicht ohne Englisch aus. Aber bitte lassen Sie sich davon nicht abschrecken, das Buch führt Sie natürlich auch ohne größere Englischkenntnisse durch die Geschichte der Superhelden.

1. Origin StoryDas Baby von Krypton

Unterhose – oder keine Unterhose? Kaum eine Frage scheint Comicfans weltweit mehr zu beschäftigen. Filmproduzent und -regisseur James Gunn hat sie im Februar 2023 bei Twitter zur Abstimmung gestellt – im Original „Trunks“ oder „No trunks“? Tausende Male wurde kommentiert, eine halbe Million Mal wurde abgestimmt, sechs Millionen Menschen haben sich den Wahnsinn angeschaut. Ergebnis: 59,3 Prozent wollen die Unterhose. Eine rote Unterhose aus dem Jahr 1938.

Diese rote Unterhose gehört natürlich Superman. Zum ersten Mal zu sehen war er auf dem Cover des heute legendären Action Comics #1, erschienen im April 1938. In der Mitte des Bildes sehen wir Superman im ikonischen blauen Ganzkörperanzug mit einem goldenen Dreieck auf der Brust, einem roten S auf diesem Dreieck und natürlich mit roter Unterhose über dem blauen Strampler. Er stemmt ein grünes Auto in die Luft. Aber er scheint sich dabei kaum anstrengen zu müssen, der tonnenschwere Wagen ist für ihn federleicht. Er zerschmettert das Auto mit der Motorhaube voran an einem Fels am rechten Bildrand. Die Stoßstange verbiegt sich, Autoteile fliegen durch die Luft, die Scheiben bersten, und sogar der Felsen splittert. Die ganze Szene hat eine irre Dynamik: Auf horizontaler Achse fegt Superman regelrecht durchs Bild, sein rechtes Knie ist wie im Vollsprint bis hoch zur Hüfte gezogen, sein rotes Cape, das er damals auch schon hatte, weht vor lauter Tempo waagerecht zur linken Seite weg. Im Hintergrund sehen wir einen Schurken panisch davonrennen, einer kauert zu Supermans Füßen und guckt ziemlich hilflos aus der Wäsche, und ein Dritter ist am vorderen linken Bildrand zu sehen, quasi in Nahaufnahme. Er rauft sich die Haare und stürzt mit verzerrtem Gesicht auf uns Betrachter zu, seine Krawatte steht genauso waagerecht in der Luft wie Supermans Cape. Superman und das Auto über seinen Schultern sind obendrein noch von einem gelblichen Kranz gegen einen roten Hintergrund umrandet: Explosion, Feuer, Licht, Sonne, was auch immer es sein soll, es verleiht der ganzen Szenerie noch mehr Action. Das Cover hält also schon mal, was der Titel verspricht: „Action Comics“ steht in roten zackigen Lettern quer über dem gesamten oberen Drittel der Seite. Daneben der kleine Hinweis „10c“. Zehn Cent hat die Ausgabe damals gekostet, selbst inflationsbereinigt immer noch ziemlich günstig, wenn man bedenkt, dass das Heft zuletzt im guten Zustand für etwa 3,3 Millionen Dollar verkauft wurde. Es gibt Marktanalysten, die glauben, dass das Heft heute über zehn Millionen Dollar wert sei. Dazu passt ganz gut das letzte interessante Detail dieser Coverseite: Oben rechts steht in kleineren schwarzen Buchstaben „June, 1938“. Dabei ist der Comic schon im April 1938 erschienen. Hier versteckt sich ein einfacher Trick der Verlage, die Comics länger frisch zu halten. Man druckte ein späteres Veröffentlichungsdatum aufs Cover, damit die Comics an den Kiosken und Zeitungsständen auch noch nach zwei oder drei Monaten neu und nicht wie der letzte Ladenhüter wirkten. Denn keiner hätte gedacht, dass Action Comics #1 ein Erfolg werden, geschweige denn jemals über drei Millionen Dollar kosten würde.

Dass es so gekommen ist, liegt am Mann mit der roten Unterhose. Dabei spielte sich Supermans berühmte Origin Story, seine Entstehungsgeschichte, die jeder echte Superheld haben muss, nur auf den ersten dreizehn Seiten von Action Comics #1 ab. Das Heft war keine reine Superman-Show, sondern ein Sammelsurium von Geschichtchen und Charakteren, die ansonsten heute nur noch Hardcorenerds ein Begriff sein werden. Supermans OriginStory ist auf nur eine einzige dieser Seiten und gerade mal neun Panels kondensiert. Das erste Bild auf Seite eins zeigt einen untergehenden Planeten und eine einzelne schmale Rakete, die startet, um zu entkommen. BOOOM! An Bord: Baby-Superman.

As a distant planet was destroyed by old age, a scientist placed his infant son within a hastily devised space-ship, launching it toward earth!

Die Basics waren also schon da: Superman ist letzter Überlebender eines untergegangenen Planeten und von seinen Eltern auf die Erde geschickt worden, um hier eine zweite Chance zu haben. Was keiner ahnen konnte, war, dass dieses Kind auf Erden übermenschliche Kräfte entwickeln sollte. Schon in Panel Nummer drei sehen wir, wie Baby-Superman noch in Windeln mit dem heimischen Mobiliar jongliert. Und mit dem Erwachsenwerden lernt er dann, zwanzigstöckige Gebäude zu überspringen, Stahlträger einhändig zu heben und schneller zu rennen als ein Zug. Gott sei Dank kommt dieser Superman nicht auf die Idee, seine Kräfte für das Böse einzusetzen, sondern er will der Menschheit helfen, den Schwachen und Unterdrückten.

Early, Clark decided he must turn his titanic strength into channels that would benefit mankind. And so was created … SUPERMAN! Champion of the oppressed. The physical marvel who had sworn to devote his existence to helping those in need.

Und das alles auf einer Seite – wow! Danach geht es im hohen Tempo weiter. Superman rettet eine Frau vor ihrem gewalttätigen Ehemann; wir lernen, dass er eine bürgerliche Identität als schüchterner Zeitungsreporter Clark Kent hat; er befreit seine Kollegin Lois Lane, in die er unglücklich verliebt ist, aus den Händen von Kidnappern (das sind die Typen vom Cover, deren grünes Fluchtauto Supes zu Klump haut) und geht einer Verschwörung in Washington, D. C., auf den Grund. Die löst er dieses Mal aber noch nicht, denn klar, wir brauchen noch einen guten Cliffhanger für die nächste Ausgabe.

And so begins the startling adventures of the most sensational strip character of all time: Superman! A physical marvel, a mental wonder, Superman is destined to reshape the destiny of a world! Only in Action Comics can you thrill at the daring deeds of this superb creation! Don’t miss an issue!

Superman ist bestimmt, die Welt zu verändern. Verpassen Sie keine Ausgabe! Da spricht das geballte Selbstvertrauen zweier blutjunger Künstler, die ihren großen Durchbruch geschafft haben.

Joseph „Joe“ Shuster und Jerome „Jerry“ Siegel sind die beiden Erfinder Supermans. Ihre Namen stehen im ersten Bild auf der ersten Seite der Erstausgabe von Action Comics gleich neben der kleinen Rakete, in der Baby-Superman seinen Heimatplaneten verlassen muss. Und Supermans Origin Story ist gewissermaßen auch ihre eigene. Sie hat sogar selbst das Potenzial, wie eine Superheldengeschichte gelesen zu werden, weshalb sie schon in Romanen, Dokumentationen und natürlich auch schon in einem ausgezeichneten Comic von Autor Julian Voloj erzählt wurde. Allerdings – spoiler alert – ohne Happy End. Die Geschichte beginnt in Russland.

Ida Katharske war wahrscheinlich noch Teenagerin, als sie sich entschied, ihre Heimat zu verlassen. Wie alt sie genau war und wann genau sie gegangen ist, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Idas Geschichte ist in den Irrungen und Wirrungen ihrer Zeit verschütt- gegangen, und sie selbst soll nie von der alten Heimat erzählt haben. Dabei fängt mit ihr alles an. Es wird zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewesen sein, dass Ida sich entschied, ihre Heimat Kiew und damit das Russische Reich zu verlassen. Kiew war damals noch eines der kulturellen Zentren des Zarenreiches. In diesem Russland war für Ida Katharske allerdings kein Platz mehr, denn Ida stammte aus einer jüdischen Familie. Und spätestens seit den sogenannten Mai-gesetzen im Jahr 1882 war das Leben in Russland für Jüdinnen und Juden kaum noch zu ertragen.

Im Jahr zuvor, 1881, hatte eine Geheimorganisation und Terrorgruppe namens Narodnaja Wolja den russischen Zaren Alexander II. ermordet. Alexander II. soll gerade den Michailowski-Palast in Sankt Petersburg verlassen haben und in seine Kutsche gestiegen sein, als die Terroristen einen Anschlag auf ihn verübten. Während der erste Versuch mit einer selbst gebauten Dynamitstange noch scheiterte, warf dem Zaren danach ein junger polnischer Mathematikstudent einen zweiten Sprengsatz vor die Füße. Beide starben an den Folgen der Explosion. Auf Alexander II. folgte dessen Sohn Alexander III., der auf dieses Attentat mit zwei Maßnahmen reagierte: Erstens ließ er an Ort und Stelle, wo sein Vater ermordet worden war, die heute weltberühmte Auferstehungskirche bauen, auch Blutskirche genannt. Und zweitens verhängte er die schon erwähnten Maigesetze: ein ganzer Katalog von antijüdischen Verordnungen, die eigentlich nur kurzfristig in Kraft treten sollten, de facto aber bis zum Ende des Zarenreiches Bestand hatten. Im Kern wurde Jüdinnen und Juden verboten, sich außerhalb von Städten niederzulassen und außerhalb von Städten Verträge zu schließen und Geschäfte zu machen. Jüdisches Leben sollte aus den ländlichen Regionen vertrieben werden. Nur: Was hatte der Anschlag einer Terrorgruppe mit den Jüdinnen und Juden in Russland zu tun? Aus heutiger Sicht kann man sagen: nichts. Aber die wirtschaftliche, soziale und religiöse Gemengelage in Russland brachte eins zum anderen. Schon lange kursierten auch im Zarenreich die ewig gleichen antisemitischen Erzählungen. Die Juden würden das russische Volk ausbeuten, unterwandern, seien eigentlich fremd und würden Ritualmorde begehen. Und als dann nach dem Anschlag und dem Tod des Zaren ziemliches Chaos in Russland herrschte, brach sich dieser Antisemitismus im ganzen Land die Bahn. Es wurde geplündert, vergewaltigt und gemordet. In dieser Zeit wird das russische Wort „Pogrom“ europaweit bekannt. Welches Ausmaß diese Pogrome hatten, lässt sich nur erahnen, es gibt keine belastbaren Zahlen. Denn die russischen Behörden und Geheimdienste schauten nicht wirklich hin. Unter dem ermordeten Alexander II. hatte es zwar Zugeständnisse an die jüdische Bevölkerung gegeben. Aber in diesen Zugeständnissen wurde nun auch der Grund dafür gesehen, dass Russland in Terror und Gewalt versank. Wenn wir uns nämlich fragen, wie der Anschlag auf Alexander II. und die Pogrome nun zu den Maigesetzen führen, bringt es der damalige russische Innenminister Nikolai Pawlowitsch Ignatjew in seinen Worten zusammen:

In den letzten 20 Jahren haben die Juden nach und nach Handel und Industrie unter ihre Kontrolle gebracht; sie haben auch, hauptsächlich durch Kauf oder Pacht, viel Land erworben, und durch ihre Einheit haben sie im Allgemeinen jede mögliche Anstrengung unternommen, um das Volk auszubeuten, insbesondere die verarmten Klassen. So haben sie eine Welle des Protestes genährt, welche die unglückliche Form der Gewalt angenommen hat. Nun […] erfordert die Gerechtigkeit, unverzüglich strenge Bestimmungen zu erlassen, welche die ungerechten Beziehungen zwischen der allgemeinen Bevölkerung und den Juden ändern werden und die Ersteren vor der schädlichen Tätigkeit der Letzteren schützen werden.

Den Jüdinnen und Juden wurde also die Schuld an der grundsätzlich desolaten Lage im Zarenreich gegeben – es kommt einem bekannt vor. Ihr Leben sollte auf die Städte begrenzt werden und aus den Dörfern und Gemeinden verschwinden, was in der Folgezeit auch geschah. Eine der Konsequenzen wiederum war, dass sehr viele jüdische Familien mit ihren Kindern gezwungenermaßen in die Städte umsiedelten und dort schon sehr bald die Schulen aus allen Nähten platzten. Darauf wurde wiederum reagiert, indem der Anteil jüdischer Schülerinnen und Schüler an den Stadtschulen auf zehn Prozent begrenzt wurde – auch in Kiew, wo Ida Katharske groß wird.

Vermutlich hat Idas Familie genau so ein Schicksal ereilt, wie eben beschrieben. Ihre Eltern stammten aus „einem der vielen Orte in der Mitte vom Nirgendwo, die ständig Namen und Grenzen änderten“, so beschreibt es Comicbiograf Julian Voloj. Aus einem dieser kleinen Orte im Nirgendwo ging es wahrscheinlich nach Kiew, wo sich die Lage aber eigentlich nur zuspitzen sollte. Auf den Numerus clausus für jüdische Schülerinnen und Schüler folgten weitere Einschränkungen und Schikanen. Und in der russischen Presse wurden hemmungslos antisemitische Erzählungen und Propaganda verbreitet. Die Protokolle der Weisen von Zion, die wahrscheinlich bekannteste und bis heute einflussreiche antisemitische Hetzschrift, erscheint erstmals 1903, und zwar ausgerechnet auf Russisch in einer Sankt Petersburger Tageszeitung. Im selben Jahr beginnt eine Welle von Pogromen, die sich durch das Zarenreich zieht. Historiker zählen etwa 600 Stück, bei denen über 3000 Jüdinnen und Juden ums Leben kamen. Die Zahlen allein reichen, um Idas Entschluss zu verstehen, das Land zu verlassen. Gemeinsam mit ihrer Schwester Bessie macht sie sich auf den Weg nach Rotterdam. Und von dort aus soll es weitergehen nach Amerika.

In Rotterdam landen sie zunächst in einem Hotel, das russischen Juden gehört, der Familie Shusterowich, die ebenfalls auf dem Weg nach Amerika war – dann aber stattdessen hier in Rotterdam geblieben war und nun dieses Hotel betrieb, in dem ein wahnsinniges Kommen und Gehen geherrscht haben muss. Denn zwischen Russland und den USA entstand in diesen Jahrzehnten ein nie da gewesener „Flüchtlingstrack“: Zwischen 1881 und 1914 flohen über zwei Millionen Jüdinnen und Juden aus Russland, einen Großteil von ihnen zog es nach Nordamerika. In Rotterdam lernten Ida und Bessie nun Julius und Jack kennen, die Söhne der Shusterowichs – und sie verliebten sich, filmreif, zwei Schwestern und zwei Brüder. Eine Woche bevor es weiter nach Amerika gehen sollte, heirateten Ida und Julius sowie Jack und Bessie, und alle gemeinsam zogen nach Toronto.

In Toronto angekommen, wohnten alle vier sogar unter einem Dach, um Geld für die Miete zu sparen. Und aus der Familie Shusterowich wurde Familie Shuster, um weniger aufzufallen. Julius fand Arbeit als Schneider, Jack arbeitete im Kino als Filmvorführer. Aber Geld war immer knapp. Und mitten hinein in dieses neue, herausfordernde Leben wird nun der kleine Joseph geboren, am 10. Juli 1914. Alle nennen ihn nur Joe. Joe Shuster, einer der zwei Erfinder von Superman.

Der andere kommt ein paar Monate später zur Welt. Am 17. Oktober 1914 wird Jerome Siegel geboren, aber alle nennen ihn nur Jerry. Und die Geschichte seiner Familie liest sich fast genauso wie die der Shusters – mit kleinen Unterschieden. Jerrys Eltern heißen gebürtig Sora Meita Khaikel und Mikhel Iankel Segalovich. Sie sind ebenfalls Juden und stammen aus Litauen, das zwischen 1795 und 1915 allerdings eine Provinz des russischen Zarenreichs war. Insofern erlebten auch Sora und Mikhel denselben Antisemitismus wie Ida Katharske, und auch aus Litauen flohen Zehntausende Jüdinnen und Juden nach Amerika. Sora und Mikhel landeten allerdings nicht in Toronto, sondern in Cleveland, damals nach New York und Chicago die drittgrößte Stadt der USA. Auch sie änderten ihre Namen, nämlich zu Michael und Sarah Siegel, und Michael betrieb fortan eine kleine Schneiderei, genauso wie Julius in Toronto. Etwa 1924 sollte Julius aber ein lukratives Jobangebot erhalten, und zwar beim berühmten Herrenausstatter Richman Brothers – in Cleveland. Gemeinsam trat Familie Shuster den Umzug an, und der Weg war geebnet für zwei Teenage Boys, einander kennenzulernen und Geschichte zu schreiben.

Falls Sie sich denken: Endlich kommen wir jetzt wieder zu Superman! Was sollte bitte dieser Exkurs in die Geschichte des russischen Zarenreichs und der jüdischen Migration nach Amerika? Ich habe hier doch schließlich ein Buch über Superhelden gekauft! Dann brauchen wir gemeinsam nur noch mal kurz an den Planeten Krypton zu denken, von dem Baby-Superman von seinen Eltern allein in einer Raumkapsel errettet wird. In der Geschichte Supermans, geschrieben von zwei Kindern jüdischer Migranten, wird diese Erfahrung der Auswanderung, der verlorenen Heimat und der neuen Welt, die einen nicht mit offenen Armen empfängt, aber für die es sich zu kämpfen lohnt, unmittelbar verarbeitet.

Joe und Jerry wachsen jedenfalls in bescheidenen Verhältnissen auf. Und beide müssen recht früh auch mit schweren Schicksalsschlägen umzugehen lernen. Joes Vater verliert immer wieder seine Jobs, und spätestens ab 1929 sind Geldsorgen und Arbeitslosigkeit ein Dauerthema bei den Shusters. Die Familie wird vom Black Friday, der Great Depression und der schweren Wirtschaftskrise in den USA hart getroffen. Die Shusters müssen immer wieder Schulden aufnehmen, immer wieder umziehen, und Joe erlebt seine Eltern im ständigen Streit. Die Siegels kommen wirtschaftlich besser durch diese Zeiten, erleben die Hoffnungslosigkeit und Brutalität der Great Depression allerdings auf andere Weise: 1932 wird Jerrys Vater in seinem Laden überfallen, er erleidet im Schock einen Herzinfarkt und stirbt noch an Ort und Stelle, auf dem Fußboden seiner Schneiderei. Jerry wird zum Halbwaisen.

Zu diesem Zeitpunkt kennen sich Joe und Jerry schon. Beide gehen auf die Glenville Highschool im gleichnamigen Stadtteil. Hier in Glenville lebt in den 1930er Jahren über die Hälfte aller Jüdinnen und Juden Clevelands, es gab koschere Bäckereien und Metzgereien, jüdische Geschäfte und diverse Synagogen. In einem Interview viele Jahre später sagt Jerry, dass es zwischen ihm und Joe sofort gefunkt habe. Es sei wie das Aufeinandertreffen der richtigen Chemikalien gewesen. Denn beide teilen eine Leidenschaft, vielleicht kann man auch sagen, beide haben dasselbe Werkzeug gefunden, um den tristen Zeiten zu kontern: Fantasie. Beide verschlingen Pulp-Heftchen, „Schundromane“, Science-Fiction-Storys und Comicstrips im Akkord. Joe schon immer mehr mit einem Blick für Zeichnungen und Illustrationen, Jerry wiederum eher mit einem Faible für das geschriebene Wort und wilde Erzählungen. Sonntags hängen sich beide zusammen vors Radio im Haus der Siegels und lauschen Hörspielen wie Tarzan bei den Affen, vor allem Joe hat auch eine große Affinität zum Kino. Wir erinnern uns, sein Onkel Jack war Filmvorführer in Toronto, und so hat Joe schon früh Das Zeichen des Zorro, Robin Hood und sogar Metropolis von Fritz Lang sehen dürfen. Jerry liebt es wiederum, Joe die Geschichten nachzuerzählen, die er in seinen Lieblingsmagazinen All-Story oder Amazing Stories gelesen hatte. Und genau so ein Magazin sollte die erste Zusammenarbeit der beiden werden. Sie nannten ihr Heft recht großspurig Science Fiction: The Advance Guard of Future Civilization. Joe machte alle Illustrationen, Jerry steuerte sämtliche Geschichten bei. Damit es aber wie ein echtes Profimagazin wirkte, schrieb er jede der Storys unter einem anderen Pseudonym. Das Heft erschien noch 1932, kurz nach dem Tod von Jerrys Vater. Die beiden sind jetzt achtzehn Jahre alt.

Und in diesem eigenen Magazin sollte auch Superman das erste Mal auftauchen. Allerdings nicht der Superman, den wir heute kennen. Der erste Superman heißt nicht Clark Kent, sondern Bill Dunn, Gentleman of the Road, wie er sich selbst nennt, ein Obdachloser. In einer zugleich utopisch und dystopisch wirkenden Großstadt (Metropolis lässt grüßen) steht er in einer sehr, sehr langen Schlange vor der Armenküche, in der Hoffnung, heute noch ein Stück Brot abzubekommen. Während Bill Dunn also in der Schlange wartet, begegnet er einem glatzköpfigen Professor im weißen Kittel und mit gefletschten Zähnen. Nicht gerade vertrauenswürdig, der Typ. Der Professor stellt sich dem Obdachlosen vor: „Ernest Smalley, Chemiker.“ Und er bietet ihm eine warme Mahlzeit und ein paar frische Klamotten an. Was er dafür tun müsse, fragt ihn Dunn. Nichts, erwidert Professor Smalley, seine Absichten seien rein humanitär. Aber das sind sie natürlich nicht. In Wahrheit hat Smalley vor, an Dunn ein Experiment zu vollziehen. Er hat ein Stück seltenes Meteoritengestein erwerben können, aus dem er ein ganz neues Element gewinnen konnte. Und dieses möchte er nun am Obdachlosen testen, für den er in Wahrheit außer Verachtung wenig übrighat. Er lockt Dunn also auf sein Anwesen und mischt ihm das neue Meteoritenelement in den Kaffee. Aber die Wirkung übersteigt seine kühnsten Erwartungen! Dunn spürt, wie sich sein Körper plötzlich zu verändern beginnt. Er verfügt mit einem Mal über ein übermenschlich scharfes Gehör, kann Gedanken lesen und mit bloßem Auge bis zur Oberfläche des Mars schauen. Er entwickelt fantastische Muskelkraft und sogar die Fähigkeit, in die Zukunft zu schauen, Aktienkurse und Pferderennen vorherzusagen. Der obdachlose Bill Dunn wird – genau – zu Superman. Es gibt allerdings einen erheblichen Unterschied zu unserem weltbekannten Pfadfinder in blauem Strampler und roter Unterhose: Dunn entscheidet sich, seine Kräfte für den eigenen Profit und den Gewinn von Geld und Macht einzusetzen. Und damit ihm dabei ja niemand gefährden kann, ist seine erste Amtshandlung als Superman, seinen „Erschaffer“ Professor Smalley zu ermorden – denn Smalley war der Einzige, der das Geheimnis seiner Kräfte kannte. So weit die Origin Story, die dann in einer ziemlich wilden Geschichte weitergesponnen wird, bis Dunn schließlich feststellen muss, dass seine Kräfte nicht von Dauer sind und die Wirkung des zauberhaften Meteoritenelementes wieder verfliegt. Und wie gesagt, die einzige Person, die ihm die Kräfte hätte zurückgeben können, hat er bereits ermordet. In einem ziemlich poetischen Schwung endet die Geschichte für Dunn wieder dort, wo sie begonnen hat: auf der Straße, in der Schlange vor der Armenküche.

Diese Geschichte trägt den Titel Reign of the Superman, ist neun Seiten lang und erschien in Science Fiction: The Advance Guard of Future Civilization #3, Januar 1933. Autor ist ein gewisser Herbert S. Pine. Aber das war natürlich wieder nur eines der vielen Pseudonyme von Jerry Siegel. Die Illustrationen sind von Joe Shuster. Und sie sind das vielleicht eigentlich Bemerkenswerte an diesem Machwerk. Auf einer großen Doppelseite zeichnet Joe für uns die Skyline der erwähnten Metropolis: riesige, futuristische Wolkenkratzer unter einem großen, runden Vollmond. Einer der Türme ist so hoch, dass er sich sogar vor den Mond schiebt. Nur ganz unten rechts am Bildrand, verschwindend klein im Vergleich zu den gewaltigen Wolkenkratzern, sieht man ein paar Menschen, eventuell die Obdachlosen vor der Armenküche. Und über allem schwebt der zähnefletschende Glatzkopf von Professor Smalley, wilder Blick, die Hände neben seinen Ohren in bester Tigerklauenmanier. Wie gesagt: vertrauenswürdiger Typ. Und in diese Illustration eingebettet sind zwei Textboxen, die den Anfang der Geschichte erzählen. Was ist daran jetzt bemerkenswert? Joe Shuster hat hier eine richtig klassische Splash Page geschaffen, lange vor dem ersten Superheldencomic. Splash Pages sind Seiten oder eben sogar Doppelseiten, die von nur einem einzigen Bild oder zumindest einer großen gemeinsamen Collage dominiert werden. Wenn man das Heft aufgeschlagen vor sich legt, schaut man also auf ein großes Bild, das einen sofort in den Bann ziehen soll. Häufig sind sie das optische Highlight eines Comics, das eine bestimmte Szene unterstreichen oder gleich als Auftakt die Stimmung für den Rest der Story setzen soll. Heute sind sie jedenfalls absoluter Standard in praktisch jedem Comic, keine Zeichnerin und kein Zeichner weltweit würde sich die Chance entgehen lassen, Superman, Wonder Woman oder Spider-Man auf einer Splash Page zu verewigen. Inzwischen werden übrigens auch Startseiten von Websites mit dem gleichen erwünschten Effekt, also Userinnen und User sofort in den Bann der Seite zu ziehen, als Splash Pages bezeichnet. 1933, als Joe Shuster auf die Idee kam, seine Metropolis-Hommage quer über zwei Seiten zu zeichnen, gab es diesen Begriff noch nicht einmal.

Der Rest von Reign of the Superman ist dann allerdings viel Text – in zwei Spalten pro Seite –, und es folgen nur noch zwei weitere Illustrationen: einmal vom verrückten Professor im langen weißen Kittel an merkwürdigen Apparaturen. Und einmal von einem Mann, der mit einem Gurt um die Brust und zwei Fesseln am Handgelenk an einen ebenso merkwürdigen Experimentierstuhl gefesselt ist. Eine Szene, die es in der Geschichte so gar nicht gibt und die ein Hinweis darauf ist, dass sich der Plot das eine oder andere Mal verändert hat.

Die Geschichte war ein Flop. Nicht nur, weil Jerry und Joe ihre selbst gemachten Magazine kaum loswurden. Schon nach Ausgabe drei stellen sie Science Fiction: The Advance Guard of Future Civilization wieder ein. Sondern auch, weil jeder Versuch, den Superman an irgendwelche etablierten Magazine oder Verlage zu verhökern, scheiterte. Aber die beiden gaben nicht auf. Ehrlicherweise muss man auch sagen, dass ihnen Alternativen fehlten. Beide hatten sich fest in den Kopf gesetzt, es als Zeichner bzw. Autor zu schaffen. Aber beide hatten nicht die finanziellen Möglichkeiten, eine Kunstakademie oder Hochschule zu besuchen. Also mussten sie alles selbst auf die Beine stellen – der American Dream, gelebt von zwei jüdischen Einwandererkindern. Sie versuchen es ein zweites Mal mit einem eigenen Magazin, wechseln aber ihre Methode: Dieses Mal sollten keine Kurzgeschichten mit Illustrationen erscheinen, sondern Comics. Jerrys und Joes Ideen, vereint in Bild und Text. Sie wollten die Verlage davon überzeugen, dass es sich lohne, solche originären Comics zu veröffentlichen, denn bisher wurden meistens nur Comicstrips, die zuvor in Tageszeitungen erschienen waren, zusammengewürfelt und auf Seiten gepresst. Es sollte aber ein echtes, frisches Comicmagazin werden, und sie nannten es Popular Comics. Aber kein Herausgeber ließ sich auf die Sache ein. Im Sommer 1934 standen die beiden wohl auch mal kurz davor, ihre Partnerschaft zu beenden. Aber sie rissen sich wieder zusammen und konnten im Oktober 1935 ihren ersten Erfolg feiern. Denn tatsächlich hatte der ziemlich exzentrische Pulp-Autor und Armeeveteran Major Malcolm Wheeler-Nicholson (über den es wirklich die wildesten Geschichten gibt, zum Beispiel, dass er den mexikanischen Guerillero und legendären Revolutionär Pancho Villa gejagt haben soll) in der Zwischenzeit einen Verlag gegründet, der ein Magazin genau nach den Vorstellungen von Joe und Jerry veröffentlichte: New Fun Comics, seit Februar erschienen bei National Allied Publications. Monatlich erscheinende 36 Seiten, voll mit nigelnagelneuen Comicgeschichten. Und ab Ausgabe #6 sind auch Joe und Jerry dabei. Sie schreiben zuerst die Geschichten des Degenhelden Henri Duval, einen feinen Drei-Musketiere-Verschnitt. Und legen dann noch einen drauf mit Doctor Occult, der Werwölfe und Vampire jagt. Die beiden machen das erste Mal richtig Kohle mit ihrer Arbeit – auch wenn der Major wohl nur unregelmäßig bezahlt.

Und jetzt sehen die beiden die Chance gekommen, auch Superman wieder aus der Mottenkiste zu holen. Allerdings haben sie die Figur weiterentwickelt. Der Legende nach kommt Jerry die Eingebung nachts im Traum. Er steht sofort auf und schreibt die ganze Nacht durch, und am nächsten Morgen steht das Gerüst der Superman Origin Story, wie wir sie aus Action Comics #1 kennen – wenn auch das eine oder andere Detail noch nicht ganz passte. (In diesem nächtlichen Entwurf kommt Superman zum Beispiel nicht von einem anderen Planeten, sondern aus der Zukunft.) Der entscheidende Unterschied zu ihrem ersten Superman sollte allerdings sein, dass sie dieses Mal eine Heldengeschichte schreiben wollten. Dieser neue Superman sollte seine Kräfte verwenden, um Gutes zu tun.

Early, Clark decided he must turn his titanic strength into channels that would benefit mankind.

Joe macht sich gleich fleißig an die Arbeit, diesen neuen Superman zum Leben zu erwecken. Weil Papier teuer war, zeichnet er seine Skizzen oft erst mal auf alter Tapete oder zerknülltem Geschenkpapier. Als Zeichenbrett leiht er sich das Küchenbrett seiner Mutter. Nur freitags muss er drauf verzichten, denn da backt Ida das Challa-Brot für den Schabbat, wie sie es als Mädchen in Kiew gelernt hatte.

In der Erschaffung von Superman kommt jetzt alles zusammen, was die beiden als Teenager aufgesaugt hatten: Er sollte aussehen wie ein Kinoheld, wie Robin Hood oder Zorro. Genau wie Zorro sollte Superman ein Alter Ego haben, eine Geheimidentität: den bildhaft wie wahrhaftig zugeknöpften, unbeholfenen und Brille tragenden Zeitungsreporter Clark Kent. Genau wie bei Tarzan sollte es eine weibliche Hauptrolle geben, die Superman retten und in die sich Clark unglücklich verlieben kann: die Starreporterin Lois Lane. (Lois Lane hatte von Anfang an ziemliches Selbstbewusstsein und hat den armen Clark mächtig abblitzen lassen. Über die Jahrzehnte hat sie sich aber immer weiter von der Damsel in distress zu einer der interessantesten Figuren in Superheldencomics entwickelt.) Die Stadt, in der Superman das Verbrechen bekämpfen sollte, hieß natürlich Metropolis. Und einige Jahre später sollte doch tatsächlich auch der verrückte, glatzköpfige Professor zurückkehren – diesmal aber unter dem Namen Lex Luthor und als Supermans größter Widersacher.

Aber Joe und Jerry arbeiteten sich nicht nur an der damaligen Popkultur ab, denn Superman ist zweifelsohne auch autobiografisch. Joe wurde zum Beispiel von seinem Bruder, seinem Cousin und auch von sich selbst als schwach und schmächtig beschrieben. Aber er liebte Fitnessmagazine wie Physical Fitness, die er auch als Vorlage für seine Zeichnungen zur Hand nahm. Wahrscheinlich hätte er auch gern wie der unscheinbare Reporter Clark Kent einfach sein bis oben hin zugeknöpftes Hemd aufgerissen und darunter eine breite Brust mit rot funkelndem S zum Vorschein gebracht. Für den zugeknöpften Clark stand übrigens Jerry Modell, mit Brille, Hemd und Schlips. Jerry wiederum war in der Highschool bei der Schülerzeitung tätig und dort unsterblich, aber auch unglücklich verliebt in seine Reporterkollegin Lois – die Namensgeberin von Lois Lane. Modell für Lois stand die achtzehnjährige Jolan Kovacs, Tochter ungarischer Migranten, die einfach eine Anzeige in der Zeitung geschaltet hatte: „Stelle gesucht – weibliches Kunstmodell. Keine Erfahrung.“ Joe zeichnete sie nicht nur, sondern verliebte sich auch in sie – wieder unglücklich. Jolan nannte sich bald Joanne und zog für ihre Modelkarriere nach New York.

Und dann denken wir noch mal an die Familiengeschichten und das Zuhause von Jerry und Joe, wo jeden Freitag Challa-Brot gebacken wurde. Auch wenn sie sich selbst nie wirklich dazu geäußert haben, gehen viele Historiker, Literaturwissenschaftler und Comicnerds davon aus, dass sich in Superman auch die eine oder anderen religiöse Anleihe versteckt. Am naheliegendsten ist wohl die Geschichte Mose, die in der jüdischen Erzähltradition enorm wichtig ist. Moses wird von seinen Eltern als Säugling am Ufer des Nils ausgesetzt und von der Tochter des Pharaos errettet, um später die Israeliten aus Ägypten zu befreien – das errettete Waisen- und Heldenkind, das unter eigentlich Fremden aufwächst. Und auch die Vorstellung eines Messias lässt sich in Superman finden, die Vorstellung eines allmächtigen, Heil bringenden Wesens, das vom Himmel herabsteigt, um der Menschheit Gutes zu tun. Besonders dieses Bild ist auch in den letzten Superman-Verfilmungen immer wieder (ziemlich plump) bedient worden.

Ich würde aber behaupten, dass die jüdische Prägung von Joe und Jerry viel lebensweltlicher zu verstehen ist; dass Superman als Allegorie zu zwei Jungs aus ärmlichen und migrantischen Verhältnissen zu lesen ist, die das Gefühl hatten, in ihnen würde viel mehr schlummern, als ihnen die Mehrheitsgesellschaft bisher zutraute. In beiden von ihnen steckte ein Superman. Unter Button-down-Hemd und Hosenträgern steckten blauer Strampler und rote Unterhose.

2. Secret OriginHercules und der Prinz von Gamma

Superman stammt also zum einen aus der Feder von Jerry Siegel und Joe Shuster und zum anderen vom Planeten Krypton. Das ist seine Origin Story und, wie schon gesagt, eigentlich die Origin Story eines ganzen Genres. Superman gilt gemeinhin als der erste aller Superhelden. Wunderbarerweise gibt es aber inzwischen zu fast jeder Superheldin und zu fast jedem Superhelden auch eine Secret Origin Story. In diesen geheimen Ursprungsgeschichten wird selten alles umgekrempelt, aber doch das eine oder andere Detail ergänzt. Supermans eigentliche Ursprungsgeschichte aus dem Jahr 1938 war ja nur eine Seite lang. In Superman: Secret Origin aus dem Jahr 2010 erfahren wir dann aber auch noch, was Superman so alles als Kind und Teenager bei seinen menschlichen Adoptiveltern im Mittleren Westen der USA angerichtet hat – und das auf 232 Seiten.

Und genau so was gibt es auch für das Superheldengenre als Ganzes: Superhero – The Secret Origin of a Genre, geschrieben von Peter Coogan. Coogan hat einen Doktortitel in American Studies der Michigan State University und ist Mitbegründer der Comics Arts Conference, einer interdisziplinären Fachkonferenz zu Comics, die zweimal jährlich in den USA stattfindet. Und ihn hat umgetrieben, dass der Begriff Superheld ziemlich inflationär gebraucht wird. Wir verwenden ihn für Superman, aber auch für Beowulf, Luke Skywalker und Michael Jordan. Sind Figuren mittelalterlicher Erzählungen, moderner Weltraumopern und Megastars des Sports auch Superhelden? Woher kommt der Begriff, was macht ihn aus? Diagnose: Es fehle eine vernünftige Definition – die brauchen Wissenschaftler ja erst mal. Er ist zugegebenermaßen nicht der Erste und Einzige, der sich mit der Frage auseinandergesetzt hat, aber sein Buch trägt den besten Titel.

Wenn man sich auf die Suche nach einer Definition von Superheldin oder Superheld macht, wird man zwar ziemlich schnell fündig, aber die meisten sind wenig stichhaltig. Ein Blick in den guten alten Duden verrät uns: „mit übernatürlichen Kräften ausgestattete Heldin (in Filmen und Comics)“. Michael Jordan fällt damit schon mal raus, genauso alle Feuerwehrleute und Polizistinnen und Polizisten, die gelegentlich auch als Superhelden bezeichnet werden. Denn keiner von ihnen verfügt über übernatürliche Kräfte, und der Hinweis „in Filmen und Comics“ verrät schon, dass es sich um fiktionale Gestalten handeln muss. Oxford, Cambridge oder Merriam Dictionary geben auch nicht mehr Aufschluss, denn die schreiben zum Beispiel von „a character in a story, film, etc. who has unusual strength or power and uses it to help people“.

Wir müssen allerdings feststellen: Heldenfiguren mit außergewöhnlichen Kräften, die anderen Menschen helfen, kennen wir schon ziemlich lange. Da wäre Superman wirklich chancenlos, sich als ersten Superhelden zu bezeichnen, denn Gilgamesch, Hercules und Thor hätten sicher ein Wort mitzureden. Schon Altertum, Antike und Mittelalter hatten ihre eigenen Heldengeschichten und, dieser Definition folgend, eben auch ihre eigenen Superheldengeschichten. Und man muss sagen: Diese alten Helden, Epen und Mythologien haben sicher einen ganz enormen Einfluss gehabt auf die Entstehung der Superhelden. Die drei eben Genannten tauchen ja sogar selbst in Superheldencomics auf! Gilgamesh ist Mitglied der Eternals, einer Gruppe unsterblicher Übermenschen, die bereits seit der Zeit des alten Babylon, also schon seit Jahrtausenden, im Verborgenen zwischen uns leben und uns vor unzählbaren Gefahren beschützt haben. So ein wildes Zeug muss man sich erst mal einfallen lassen. Und Hercules und Thor stapfen mit absoluter Selbstverständlichkeit durch die Seiten der Marvel Comics, als hätte es ein Ende der alten Welt nie gegeben. Der eine ist wie in der Mythologie Sohn des Zeus, der andere Sohn des Odin, beide haben genau wie früher ständig Streit mit ihren Vätern, beide haben ein Faible für uns niedere Menschen, wollen uns beschützen und nebenbei ein paar Bösewichten (oder sich gegenseitig) mit Faust oder Hammer auf den Kopf hauen. Dafür schließen sie sich auch ganz selbstverständlich anderen Superhelden an und rennen mit Spider-Man, Captain America oder dem Hulk durch New York City. Wo genau sie herkommen, bleibt immer ein bisschen unklar. Ob der Olymp oder Asgard, Heimat der griechischen bzw. der nordischen Götter, hier auf Erden existieren, irgendwo im Weltall herumschwirren oder vielleicht doch in einer Nebendimension versteckt liegen, wer weiß das schon genau? Je nach Autor und Jahrzehnt ändern sich da die Erklärungen, die alle Grenzen von Mythologie, Sci-Fi und Fantasy sprengen. Aber in Superheldencomics haben es eben auch die alten Helden und Göttinnen geschafft, bis ins 21. Jahrhundert zu überleben.