Boyfriend Freeze - Unterschiede ziehen sich an - DJ Jamison - E-Book

Boyfriend Freeze - Unterschiede ziehen sich an E-Book

DJ Jamison

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Beschreibung

Ich habe viele Fehler gemacht, aber du kannst keiner davon sein ... Lieber Graham, nachdem ich für meine Selbstachtung zu viele Grenzen überschritten habe, habe ich mir ein Versprechen gegeben: keine Beziehungen, kein Sexting, keine Dates. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dich zu treffen. Wer hätte gedacht, dass ein smarter, Strickjacken-tragender Geek so verlockend sein kann? Ihr seid alle falsch für mich, aber irgendwie auch genau richtig. Wie halte ich also mein Versprechen, den süßen Bibliothekar nicht zu verführen, und bekomme trotzdem den perfekten Kerl? Vielleicht weißt du es, denn ich weiß es nicht ... Schon dein, Ollie Boyfriend Freeze ist der 3. Band der Love Notes Reihe. Die Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Seitenzahl: 255

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DJ Jamison

Boyfriend Freeze – Unterschiede ziehen sich an

Love Notes 3

Aus dem Englischen von Arvid Riesenbeck

Impressum

© dead soft verlage, Mettingen 2024

http://www.deadsoft.de

© the author

Titel der Originalausgabe: Boyfriend Freeze

Übersetzung: Arvid Riesenbeck

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© theartofphoto – stock.adobe.com

© Artur Kiselev – stock.adobe.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-670-8

ISBN 978-3-96089-671-5 (ebook)

Inhalt

Ich habe viele Fehler gemacht, aber du kannst keiner davon sein ...

Lieber Graham,

nachdem ich für meine Selbstachtung zu viele Grenzen überschritten habe, habe ich mir ein Versprechen gegeben: keine Beziehungen, kein Sexting, keine Dates. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dich zu treffen. Wer hätte gedacht, dass ein smarter, Strickjacken-tragender Geek so verlockend sein kann? Ihr seid alle falsch für mich, aber irgendwie auch genau richtig. Wie halte ich also mein Versprechen, den süßen Bibliothekar nicht zu verführen, und bekomme trotzdem den perfekten Kerl? Vielleicht weißt du es, denn ich weiß es nicht ...

Schon dein,

Ollie

Kapitel 1

Ollie

Silvester war ein Reinfall. Im Zimmer nebenan tanzten und lachten betrunkene Heten, darunter auch meine beste Freundin Kyla, und vergnügten sich bis in die Nacht hinein. Und dann war da ich, der sich im Badezimmer verkrochen hatte. Meine Glitzerjacke hing über dem Handtuchhalter, ich hatte mein blaugrünes T-Shirt bis zur Brust hochgekrempelt und meine verdammt enge Hose bis zu den Oberschenkeln heruntergeschoben. Es gab keinen süßen Typen, der zu meinen Füßen kniete oder mich herumdrehte, um mich über den Tresen zu beugen. Es gab nur mich und mein Handy und ich suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, diese beschissene Nacht zu retten.

Es war ein trauriger Umstand, dass sich Kyla besser amüsierte als ich. Ich war derjenige, der normalerweise Spaß hatte. Ich war derjenige, der trank, tanzte und sich mit Jungs umgab. Aber für mich gab es hier keine. Keine Schwulen, keine Bi- oder Pan-Typen, nicht einmal einen einzigen sexuell neugierigen Hetero, den ich erkunden konnte. Was für eine verdammte Verschwendung von männlichem Fleisch.

Im beschissenen Nebraska konnte ich mich nicht einmal auf meine Thrust-Dating-App verlassen, um mir zu helfen. So weit im Osten war sie nicht beliebt und ich wusste bereits, dass der einzige Fisch, den ich hier angeln konnte, ein verschlossener Junge vom Land oder ein alter Perverser sein würde. Nicht wirklich mein Stil. Und außerdem konnte ich Kyla nicht allein lassen. Also musste es Sexting sein.

Ich scrollte durch meine Telefonliste. Ich hatte ein gutes Dutzend vergangener Sexualkontakte, aber nur ein Name sagte mir etwas: Jonas Brooks.

Die Sache zwischen uns war plötzlich und unbefriedigend zu Ende gegangen. Ich hatte versucht, mich zu entschuldigen, aber Sex war immer unsere beste Art der Kommunikation gewesen. Vielleicht ging es ihm in den Schulferien genauso schlecht wie mir. Vielleicht würde er eine kleine Ablenkung in Form eines sexy Ollie Anderson begrüßen. Es war an der Zeit, mich ebenfalls zu amüsieren.

Ich richtete meine Kamera so aus, dass mein Körper optimal zur Geltung kam, knipste ein Foto und verschickte es per Nachricht.

Ungeduldig wartend, gab ich meinem Schwanz ein paar Streicheleinheiten. Es war schwer, in Stimmung zu kommen, da der verweilende Geruch von Erbrochenem nur teilweise von dem Zimt-Duftstäbchen in der Ecke überdeckt wurde. Die pfirsichfarbene Einrichtung war auch nicht gerade hilfreich.

Komm schon, Jonas, lass mich nicht hängen …

Die Tür klapperte im Rahmen, als jemand von der anderen Seite dagegenhämmerte. Ich sprang auf und ließ dabei mein Handy fallen.

»Beeil dich, ich muss pissen!«

»Gib mir eine Minute!«, rief ich.

Ich hob mein Handy vom Boden auf und überprüfte den Nachrichten-Feed. Immer noch keine Nachricht von Jonas. Verdammt.

Das Hämmern an der Tür erklang wieder und ich stöhnte frustriert auf, als mein Schwanz in meiner Hand erschlaffte. Es war zwecklos. Es gab keine Rettung für diese kolossale Verschwendung einer Nacht. Ich war nur zu dieser lahmen Party gekommen, weil ich verzweifelt aus meinem Haus flüchten wollte, um etwas Action zu bekommen. Ich vermisste meinen Collegecampus mit seinem Sammelsurium an verfügbaren Männern. Ich vermisste die regelmäßigen Orgasmen, die man mit einem Knopfdruck abrufen konnte. Ich vermisste Jonas. Er war heiß wie die Hölle, mit Bauchmuskeln zum Sterben, aber er hatte auch ein tolles Lächeln. Er schien nett zu sein. Er schien jemand zu sein, mit dem man mehr als nur eine Nummer schieben konnte. Aber das hatte er nicht gewollt. Und war es nicht immer so gewesen? Männer liebten meinen Hintern. Aber meine schillernde, bissige Persönlichkeit? Eher weniger.

»Im Ernst, hier draußen ist eine Schlange!«

»Ja, schon gut!«, rief ich, während ich meine Klamotten zurechtrückte und wieder in meine Jacke schlüpfte, obwohl das Haus wegen der vielen auf engem Raum zusammengepferchten Körper Sumpfklima erreicht hatte.

Ich öffnete die Tür und drängte mich an dem wütenden Kerl vorbei, der an die Tür gehämmert hatte, und an den beiden Leuten hinter ihm. Ein schlaffer schwarzer Luftballon schwebte mir ins Gesicht und ich schlug ihn weg und sah zu, wie er wie ein trauriges Abbild meines Abends zu Boden sank. Auch ich war leer.

Ich griff nach einem der Gläser mit billigem Sekt, die auf einem Tisch standen, obwohl mir nicht nach Feiern zumute war. Ich brauchte einfach etwas Süßes, um das Bittere in meinem Magen auszugleichen. Es funktionierte nicht. Vor allem nicht, als ich Kyla entdeckte. Meine beste Freundin lehnte an einer Wand, konnte kaum noch stehen und hatte einen jämmerlichen Gesichtsausdruck. Verdammt. Ich hatte vergessen, wie wenig Erfahrung sie mit Alkohol hatte.

Sie hatte vor Energie nur so gestrotzt, getanzt und gelächelt, als ich ins Bad geflüchtet war. Aber im Gegensatz zu mir war sie nicht das ganze erste Semester über auf Verbindungspartys gewesen. Während ich sie zurückgelassen hatte, um einen Orgasmus zu bekommen, war sie von beschwipst zu betrunken übergegangen. Sie schwankte bedenklich und der Typ neben ihr fasste sie um die Taille und beugte sich hinunter, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern.

Ich eilte mit klopfendem Herzen durch den Raum. »Hey, woah. Ich bin ihr Freund«, sagte ich und riss Kyla aus den Armen des Fremden.

»Sie ist ziemlich fertig, Mann. Ich würde auf sie aufpassen, wenn ich du wäre.«

»Ja, ich hab’s verstanden«, erwiderte ich und warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Ich war nicht davon überzeugt, dass es sein Ziel war, sich um ihr Wohlergehen zu kümmern. Zum Glück zog er sich kampflos zurück.

»Ol, ich fühle mich nicht gut«, murmelte sie.

»Ich weiß, Schatz. Ich bringe dich nach Hause.«

Zu Hause war das Haus meiner Eltern. Sie waren an meine wilde Art gewöhnt. Aber Kylas Eltern würden ausflippen, wenn sie nur zwei Drinks entfernt von einer Alkoholvergiftung dort auftauchen würde. Sie war ein braves Mädchen, also das komplette Gegenteil von mir, und deshalb arbeiteten wir wahrscheinlich so gut zusammen. Kyla bewahrte mich davor, im totalen Chaos zu versinken, und ich holte sie von Zeit zu Zeit von ihren Büchern weg. Aber vielleicht hatte ich sie heute Abend ein bisschen zu weit weggeführt. Ich hätte ein Auge auf sie haben sollen, statt mit Sexting herumzuspielen. Was zum Teufel war nur los mit mir?

Plötzlich schlug sie sich eine Hand vor den Mund. Ich zerrte sie nach draußen und irgendwie hielt sie lange genug durch, um ins Gras neben dem Gebäude zu kotzen. Ich hielt ihr Haar zurück und rieb ihr über den Rücken, während sie keuchte und sich übergab.

Mein Handy brummte in meiner Tasche. Ich schaute auf den Bildschirm, während Kyla nach Luft schnappte.

Jonas schrieb: Ich blockiere dich.

Mir drehte sich der Magen um und ich stürzte fast neben Kyla. Er hatte mich blockiert? Aber ich war sexy und begehrenswert und Bilder von meinem Körper waren direkt über seiner Nachricht. Bedeutete ich ihm wirklich so wenig, dass er mich so einfach aus seinem Leben wischen konnte? Ich kannte die Antwort auf diese Frage, so sehr ich mir auch wünschte, es nicht zu tun. Wenn ich doch nur in der Zeit zurückreisen und diese dumme Sexnachricht ungeschehen machen könnte. Ich hatte mich von meinem Schwanz leiten lassen und nicht von meinem Kopf. Schon wieder.

Über mir erhellte ein Feuerwerk den Himmel. Lichtblitze zuckten auf, gefolgt von stakkatoartigem Knallen. Die Tür zum Haus öffnete sich und »Frohes neues Jahr«-Rufe drangen in die kühle Nachtluft.

»Wir haben das neue Jahr«, murmelte Kyla.

»Das stimmt, Süße«, sagte ich und wandte meine Aufmerksamkeit der Person zu, die mich brauchte. Der einzigen Person, die mich nicht im Stich lassen würde, sobald das Nachglühen vorüber war. »Das vergangene Jahr kann mich mal.«

Sie kicherte, dann kicherte ich, und dann lachten wir plötzlich zusammen wie die Verrückten. Kyla mit Kotze auf ihrem Kleid und ich mit meinem ramponierten Stolz.

»Ich werde nie wieder Champagner trinken«, meinte sie, als ich sie ins Auto bugsierte.

»Nein?«

»Nein«, betonte sie mit Nachdruck. »Wenn etwas schlecht für dich ist, hörst du damit auf.«

Ich dachte auf dem ganzen Heimweg über ihre Worte nach.

Graham

»Graham?« Die Tür schwang auf. »Liest du wirklich gerade?« Meine Schwester Nessa rollte mit den Augen, als sie eintrat und eine Strähne ihres glatten braunen Haars über eine Schulter warf. »Du bist so ein Trottel.«

»Ich liebe dich auch«, erwiderte ich trocken.

Sie ignorierte meinen Sarkasmus. »Du musst rauskommen. Oma hat das alles für dich gemacht.«

Ich hob meine Augenbrauen. »Wie kommst du darauf?«

»Sie meint, du sollest mehr unter Leute gehen. Fang an, außerhalb deiner Bücher zu leben.« Sie schaute auf den Roman in meiner Hand. Ertappt.

Es gab eine Party. Und wo war ich? Mit Pride and Prejudice in der Hand in einer Ecke versteckt. Ich hatte mich nicht gut genug konzentrieren können, um viel zu lesen. Das Summen fröhlicher Stimmen und das Klirren von Gläsern waren zu mir durchgedrungen, egal wie sehr ich mich bemüht hatte, sie auszublenden. Aber ich hatte in einem alten Lieblingsbuch geblättert. Als Gelegenheitslektüre mochte ich alle möglichen Bücher, vor allem queere Belletristik und Geschichten aus der Alternativgeschichte, aber wenn ich eine beruhigende Lektüre brauchte, griff ich zu den Klassikern. Nicht zu den dunklen, düsteren Dramen, sondern zu den aufbauenden. Die Bücher erinnerten mich an eine andere Zeit, vielleicht eine, in die ich gepasst hätte. Und in meiner Zeit? Die Bibliothek war der einzige Ort, an dem ich mich zu Hause fühlte.

»Ich komme genug raus«, murmelte ich halbherzig.

»Graham, du kommst nie raus«, entgegnete Nessa. Sie ergriff meine Hand und zerrte mich aus dem engen Sessel im Raum meiner Großmutter, der Kunstatelier, Bastelraum und Bibliothek zugleich war. Er war im Grunde der Hobbyraum aller Hobbyräume, ausgestattet mit Garn, Resten für Quilts, einem Arbeitstisch, an dem sie sich eine Zeit lang mit Mosaiken beschäftigt hatte, und jetzt gefüllt mit einer Staffelei und einem halben Dutzend Leinwänden in verschiedenen Stadien der Fertigstellung. Es war nicht der gemütlichste Platz zum Lesen, aber es war mein Schlafzimmer gewesen, bevor wir eine Wohnung über der Garage für mich renoviert hatten, und ich zog mich immer noch hierher zurück, wenn ich meine Ruhe wollte. Ich wäre zwar lieber in meiner Wohnung mit dem riesigen Bücherregal und dem bequemen Schaukelstuhl, aber meine Familie wollte mich auf keinen Fall von der Party lassen.

»Na los«, forderte Nessa und zerrte mich zur Tür. »Tu so, als ob du weißt, wie man Spaß hat.«

»Okay, okay«, sagte ich. »Ich kann alleine gehen. Du musst mich nicht hinschleppen.«

Nessa schnaubte. »Klar doch.« Sie ließ meine Hand los und ging voraus, marschierte zurück zu der seltsamen Mischung aus Körpern in unserem Wohnzimmer. Es waren alle Generationen vertreten, von Collegestudenten aus den Kunstkursen meiner Großmutter bis hin zu silberhaarigen Füchsen, die sie schon ihr ganzes Leben lang kannte. Sie war ein geselliger Schmetterling und ich ein Bücherwurm, und Nessa kam ganz nach ihr. Meine Mutter hingegen war still und in sich gekehrt. Ich entdeckte sie allein am Fenster, wo sie an einem Drink nippte und das Feuerwerk am Himmel beobachtete.

»Graham Cracker, da bist du ja! Komm hierher. Es ist fast Neujahr und ich brauche einen Kuss von dem attraktivsten Mann im Raum!«

Nessa lachte mich an, während meine Wangen vor Verlegenheit glühten. Meine Großmutter war eine seltsame Mischung aus kultiviert und gutbürgerlich. Sie trug ein elegantes silbernes Kleid, das im Licht funkelte, und ihr Haar war zu einem eleganten Zopf hochgesteckt. Und doch nannte sie ausgerechnet mich Graham Cracker, öffnete weit die Arme und meinte alles an diesem Mitternachtskuss ernst. Nun ja. Ich hatte schließlich sonst niemanden zum Küssen.

Ich durchquerte den Raum und war mir der vielen Augen bewusst, die auf mich gerichtet waren. Auf die Worte meiner Großmutter folgten ein gutmütiges Lachen und Schmunzeln. Clara war heute Abend in Bestform und ich würde dem Rampenlicht nicht entkommen können.

»Ist mein Enkel nicht entzückend?«, fügte sie hinzu. »Er ist Single und es ist ein neues Jahr …«

»Oma«, stöhnte ich.

Sie zwinkerte mir zu. »Er ist so bescheiden.«

Ich wusste nicht einmal, an wen sie das alles richtete. An jeden, der ihr zuhörte, schätzte ich. Zum Glück begann der Countdown.

»Zehn, neun, acht, sieben …«

Draußen erleuchteten Feuerwerkskörper den Himmel, während »Frohes neues Jahr«-Rufe durch unser Wohnzimmer hallten, zusammen mit Gejohle und Gelächter.

Oma hielt mir ihre Wange hin und ich küsste sie pflichtbewusst. Sie umarmte mich fest und flüsterte mir ins Ohr: »Das wird dein Jahr, Graham. Ich spüre es.«

Ich lächelte zögernd. »Das sagst du jedes Jahr, Oma.«

»Und es ist immer wahr.«

Nessa stürmte auf mich zu und umarmte mich. »Frohes neues Jahr!«

Mom folgte mit einer etwas ruhigeren Umarmung. Mitten auf einer Party standen wir zusammen, unsere kleine vierköpfige Familie. Gemeinsam blickten wir einem neuen Jahr entgegen. Obwohl wir anders waren, hatte ich immer Liebe und Unterstützung gespürt. Als ich mich als schwul geoutet hatte, hatten sie nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Oma hatte gesagt, ich hätte ihr den perfekten Anlass geliefert, mehr mit Regenbögen zu tragen, und meine Mutter hatte mir auf ihre ruhige Art versichert, dass sich ihre Liebe zu mir nie ändern würde. Nessa hatte nur mit den Schultern gezuckt und mir gesagt, ich sollte mir nicht alle süßen Jungs unter den Nagel reißen.

»Okay, Neujahrsvorsätze. Lass sie uns hören«, sagte Oma.

»Ich werde an meiner Gymnastik arbeiten, damit ich es dieses Jahr ins Cheerleaderteam schaffe«, begann Nessa ohne Umschweife.

Mom lächelte. »Ich werde weniger arbeiten, damit ich mehr von diesen wunderbaren Kindern sehen kann, bevor sie aus dem Haus sind.«

Das würde ich erst glauben, wenn ich es sah. Mom meinte es gut, aber sie war ein Workaholic. Wir lebten deshalb zur Hälfte bei Oma, weil sie uns ein Zwei-Eltern-Haus bieten und ihre Karriere aufrechterhalten wollte. Als alleinerziehende Mutter hätte sie sonst uns oder den Job vernachlässigen müssen, und beides konnte sie nicht ertragen.

»Nun, mein Vorsatz ist, mit meiner Malerei eine neue Ebene zu erreichen«, sagte Oma. »Aber ich werde mir auch Zeit für euch Kinder nehmen. Eure Mutter hat recht. Die Zeit vergeht viel zu schnell. Schon bald wird Graham das Nest verlassen.«

Alle drehten sich erwartungsvoll zu mir um. Oh, was sollte ich sagen? Ich zögerte und Nessa durchbrach die Stille schließlich.

»Vielleicht sollte Graham beschließen, endlich auszugehen.«

»Sehr witzig«, entgegnete ich. »Eigentlich habe ich keinen Vorsatz.«

»Was? Warum nicht?«

Ich zuckte unbehaglich mit den Schultern. »Vorsätze sind nur leere Versprechen, die man sich macht, um sich für das kommende Jahr besser zu fühlen. Entweder treffe ich einen Mann oder nicht, aber ich werde nichts versprechen.«

Nessa schnaubte. »Klar.«

»Nein, das ist okay«, fand Mom, die wie immer meine Verbündete war. »Vorsätze funktionieren nur, wenn sie Ziele sind, und Liebe kann man nicht erzwingen. Trotzdem könntest du dir vornehmen, für alles offen zu sein. Vielleicht findet dich ja der Richtige.«

Eine Sekunde lang war ich fassungslos und verletzt. Glaubte sogar Mom, dass ich ein hoffnungsloser Einsiedler war? Ich meine, ja, ich verbrachte mehr Zeit mit fiktiven Männern als mit echten. Ja, ich zog Bücher den Menschen vor. Aber ich hatte ein volles Programm an Kursen und Verpflichtungen in der Bibliothek. Ich hatte kaum Zeit für Verabredungen, selbst wenn ich das wollte, und ich … Okay, es wäre eine Lüge, zu sagen, dass ich niemanden treffen wollte. Aber es war nicht so, dass die Chancen gut für mich standen. Und das Letzte, was ich tun wollte, war, einen Vorsatz zu fassen, den ich nicht einhalten konnte. Ich schluckte meinen Protest hinunter und zwang mich zu einem Lächeln.

»Sicher, wenn Prinz Charming auftaucht, darf er mir den Pantoffel an den Fuß legen«, sagte ich. »In der Zwischenzeit bin ich ein Student. Wer braucht schon Neujahrsvorsätze, wenn man einen farbcodierten Planer voller Ziele hat?«

Ollie

Am nächsten Morgen milderte Kyla ihren Kater vorsichtig mit einem Kaffee in unserem Lieblingsfrühstücksrestaurant mit dem universellen Namen Diner, während ich sie über meine Demütigung vom Vorabend aufklärte, ohne zu viele Details zu nennen. Sie war von der Nacht, in der sie meine Toilette angebetet hatte, so geschlaucht, dass ich meine schmutzigen Taten ausplauderte, um sie abzulenken. Nur jetzt hörte ich diese laut. Und im Nachhinein klangen sie noch viel schlimmer.

Kylas Augen waren groß vor Erstaunen. »Ollie, das hast du nicht getan.«

Schuldgefühle durchzuckten mich. »Was? Es ist doch nichts, was er nicht schon gesehen hat.«

»Das ist nicht der Punkt. Kannst du dir vorstellen, wie es für mich wäre, wenn mir ein Ex-Freund«, sie senkte die Stimme, »unaufgefordert ein Dick-Pic schicken würde? Ich würde ihn sofort blockieren.«

»Bei Männern ist das anders.«

Sie hob eine Augenbraue, sah skeptisch aus und wartete darauf, dass ich ihr erklärte, was daran anders sein sollte.

Alles, was mir einfiel, war: »Wir sind Tiere, das weißt du doch. Wir existieren im Grunde nur für Essen und Sex.«

Die Kellnerin kam an den Tisch und sah von dem morgendlichen Andrang erschöpft aus. Ihr blondes Haar verlor seine Farbe, als ob der Job ihr die Lebenskraft entzog. »Was darf ich Ihnen bringen?«

»Ich nehme Eier, Wurst und eine Obstschale«, sagte ich.

»Es geht mir immer auf den Sack, wenn du das bestellst«, murmelte Kyla leise vor sich hin.

Ich ignorierte sie. Sie hatte offensichtlich immer noch schwer mit dem Kater zu tun. Ich war zwar nicht mehr im Schwimmteam, aber das bedeutete nicht, dass ich anfangen wollte, mich mit Mist vollzustopfen, sonst würde ich wirklich meinen schönen Körper verlieren. Obwohl ich das vielleicht schon hatte. Bei Jonas hatte er am Abend zuvor nicht viel gebracht …

»Ich nehme Pfannkuchen mit Schokostückchen«, sagte Kyla.

Als die Kellnerin mit der aufgenommenen Bestellung wegging, hob ich eine Augenbraue. »Du wirfst mir meine Bestellung vor und dann nimmst du das?«

»Was? Das kriege ich, wenn ich mich nicht gut fühle.«

»Das ist das Lieblingsessen eines Siebenjährigen«, meinte ich. »Hast du von der Kinderkarte bestellt?«

»Halt die Klappe.« Sie warf mir ein Zuckerpäckchen an den Kopf und ich duckte mich grinsend. »Du versuchst nur, das Thema zu wechseln. Ich weiß, dass du mir nur von letzter Nacht erzählt hast, weil du dich schuldig fühlst, was bedeutet, dass du weißt, dass es ein Fehler war. Du bist mehr als deine niederen Instinkte, Ollie.«

Ich seufzte. »Erzähl das mal meinem Schwanz.«

Sie rollte mit den Augen, nicht im Geringsten beeindruckt. »Du kannst nicht davon ausgehen, dass jeder Kerl das sehen will, selbst wenn du mit ihm zusammen warst. Aber es tut mir leid, dass es so schlecht gelaufen ist. Magst du ihn wirklich?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Ich glaube, ich wollte es, aber …« Ich brach mit einem Schulterzucken ab.

»Lass mich raten«, sagte sie. »In deiner Beziehung ging es nur um Sex.«

»Es war keine Beziehung im eigentlichen Sinne.«

Sie nickte. »Und, macht dich das glücklich?«

»Was? Tollen Sex haben? Ja.«

Diesmal warf sie ein Becherchen Kaffeesahne nach mir. Es traf meine Schulter und fiel in meinen Schoß. »Du weißt, was ich meine. Ich will nicht darüber urteilen. Aber in letzter Zeit scheinst du nicht mehr so glücklich zu sein.«

Sie hatte nicht unrecht. Ich war gestern Abend nicht glücklich gewesen. Wegen einer Reihe von Gründen. Ich hatte viel herumgevögelt und Spaß gehabt, aber langsam das Gefühl, dass die Jungs nur das wahrnahmen, wenn sie mich ansahen. Dass ich nicht mehr wert war. Und schlimmer noch: Ich fing an, mich selbst so zu sehen.

»Hast du dir dieses Jahr irgendwelche Vorsätze fürs neue Jahr vorgenommen?«, fragte Kyla und riss mich aus meinen Gedanken.

»Eigentlich nicht. Hast du?«

»Ich werde den Rest des Jahres keinen Champagner mehr trinken«, sagte sie.

Ich schmunzelte. »Du hältst dich daran?«

»Hey, er hat mir nicht gutgetan. Wenn du dich schlecht fühlst, hörst du auf, oder?«

»Ja.« Wie gestern Abend, klangen ihre Worte nach. »Das ist klug. Ich werde das auch tun.«

»Was? Dem Champagner abschwören?«, fragte sie lachend.

»Nein, dem Sex.«

Ihre Augen weiteten sich.

»Aber nicht für ein ganzes Jahr«, schob ich schnell hinterher. Ich wollte mich ändern und nicht zu einem verrückten, zölibatären Mönch werden. »Nur für eine Weile. Einen Monat, denke ich.«

»Wow. Bist du dir sicher, dass du so lange durchhältst?«

Ich verengte die Augen über ihren Tonfall. »Gut, dann zwei Monate, Miss Skeptisch. Wie du gesagt hast: Wenn man sich schlecht fühlt, sollte man aufhören, nicht wahr? Was gestern Abend passiert ist, hat meinen Stolz verletzt. Aber noch schlimmer ist, dass dich mein Bedürfnis nach Sex verletzen könnte. Und ich könnte nicht damit umgehen, wenn das passieren würde, also … keine Beziehungen, kein Sex, keine Dates. Sechzig Tage lang.«

Kyla schüttelte den Kopf. »Ach Ollie, du bist viel zu hart zu dir. Mir ging es gut. Du hast dafür gesorgt. Aber«, fügte sie hinzu, als ich den Mund zum Protest öffnete, »ich glaube, das wird dir guttun. Denn du verdienst es, glücklich zu sein, was immer das für dich bedeutet. Wenn du mit jedem Fratboy, den du triffst, rummachen willst, ist das in Ordnung. Aber lass nicht zu, dass es dein Leben beherrscht.«

»Exakt. Ich kontrolliere meine Sexualität, nicht sie mich.«

Berüchtigte letzte Worte? Das wollte ich herausfinden.

Kapitel 2

Ollie

Ein Collegecampus war ein schrecklicher Ort, um enthaltsam zu leben. Überall, wo ich hinsah, gab es süße Jungs. Psychologiekurs 101, ein süßer Typ. Soziologiekurs, drei süße Typen. Rhetorikkurs … Okay, da gab es eigentlich keine süßen Jungs, aber ich war verzweifelt genug, um einen fast süßen Kerl zu begaffen. Und als ich meinen langweiligen Einführungskursen entkommen war? Ich ging in mein Studentenwohnheim, das voll mit Jungs war. Sogar mein Mitbewohner fing an, gut auszusehen, aber ich konnte Mike nicht ausstehen. Er meckerte immer, dass er Ruhe zum Lernen brauchte. Ich war noch nie gut darin gewesen, ruhig zu sitzen und still zu sein.

Einer meiner Nachbarn am Ende des Flurs klopfte mit den Fingerknöcheln an meine offene Tür. »Hey, Ol, hast du heute Abend Lust auf eine Party?«

»Verbindungsparty?«, fragte ich reflexartig und mein Blut geriet in Wallung. Ich war wie ein Pawlow’scher Hund, der die Glocke hörte. Auf einer Verbindungsparty warteten Leckereien auf mich: Schwanzlollis und süße, zuckrige Orgasmen. Okay, die Orgasmen waren eher bittersüß, aber einen mit jemandem zu teilen, klang ziemlich lecker.

Zwei Wochen nach meinem sechzigtägigen Zölibatsgelübde war ich ein verzweifelter Mann. Solo zu spielen, war im Haus meiner Eltern keine große Herausforderung. Meine Heimatstadt war Straightsville. Wahrscheinlich war das einer der Gründe, warum ich durchdrehte, sobald ich die Freiheit eines Collegecampus genoss. Meine Eltern wussten, dass ich schwul war. Sie hatten kein Problem damit. Dass manch anderer damit eines hatte, ging mir nicht in den Kopf. Es gab nicht viele Möglichkeiten, sich zu verabreden, was bedeutete, dass die Versuchung deutlich geringer war.

»Gibt es noch eine andere Art von Party?« Jake scherzte. »Heute Abend ist sie drüben im KG-Haus, und du weißt, dass sie mit Bier locker umgehen.«

Ich öffnete den Mund, um zuzustimmen, aber ich hatte noch sechsundvierzig Tage Zeit, bevor ich wieder eine Verbindung eingehen durfte. Und mal ehrlich, welchen anderen Grund sollte ich haben, auf eine Party zu gehen? Nicht wegen des hervorragenden Biers, so viel war sicher. Sechzig Tage waren so eine willkürliche Zahl. Ich hätte alles wählen können: dreißig, zwanzig, sogar vierzehn. Vierzehn Tage wären perfekt gewesen, weil ich dann heute Abend frei wäre. Frei, mir den Weg in die Hose eines süßen Verbindungsjungen zu bahnen …

Und was dann, Ollie? Ihn abschleppen und dann einen anderen Kerl und noch einen? Vielleicht verknallst du dich auch in einen von ihnen. Nur um dann zurückgewiesen und blockiert zu werden.

Ich seufzte. Dieser Scheiß mit den Normen war für die Katz. Rumvögeln machte Spaß. Es war nichts falsch daran, mit einem süßen Kerl einen Orgasmus zu haben. Aber das Gefühl zu haben, dass das alles war, wofür man gut war? Das machte nicht so viel Spaß.

»Vielleicht ein anderes Mal«, sagte ich bedauernd zu Jake. Ich hatte auf keinen Fall die Willenskraft, auf eine Verbindungsparty zu gehen, ohne mich zu verabreden.

»Ernsthaft?«

Ich nickte. »Ich muss mich auf die Bücher konzentrieren. Meine Noten im letzten Semester waren scheiße.«

Das war keine Lüge. Neben meinem verletzten Stolz gab es noch andere Gründe, die Schwanzparade ausfallen zu lassen. Einer davon waren meine Noten. Der andere war mein Geldmangel. Ich musste mir dieses Semester einen Job besorgen, sonst würde ich in ernste Schwierigkeiten geraten. Ich hatte im letzten Semester viel zu viel für neue Klamotten, Essen außerhalb des Campus und Uber ausgegeben, und die Mittel, die mir meine Eltern für das Schuljahr zur Verfügung gestellt hatten, waren gefährlich knapp geworden.

Nachdem Jake gegangen war, wurde meine Unruhe nur größer. In meinem winzigen Schlafsaal, in dem mein Mitbewohner über seinen Schreibtisch gebeugt saß, herrschte Klaustrophobie. Jedes Mal, wenn ich auf und ab ging, warf Mike mir einen Blick über seine Schulter zu. Ich versuchte, mein Psychologiebuch aufzuschlagen, aber die Seiten hätten genauso gut leer sein können, so gut, wie ich mich auf die Worte konzentrieren konnte.

Mein Handy war voller Verlockungen. Es juckte mich in den Fingern, die Sex-Apps, die ich gelöscht hatte, wieder zu installieren. Warum hatte ich diesen dummen Vorsatz überhaupt gefasst? Ich mochte mich. Ich liebte mich sogar. Ich war jung und heiß. Es war Jonas’ Pech, dass er mich ablehnte und blockierte. Das hieß aber nicht, dass ich mich ändern musste. Und mal ehrlich, was sollte sich in sechsundvierzig Tagen noch ändern? Ich würde immer noch ich sein.

Ich navigierte zum App-Store und fuhr mit dem Daumen über die Schaltfläche, um eine App zu installieren. Aber etwas hielt mich auf. Demütigung durchflutete mich, als die Erinnerung wieder hochkam: Jonas’ Worte Ich blockiere dich in schwarz-weißen Buchstaben unter einem Foto meines nackten Körpers. Mein Magen verdrehte sich unangenehm und mein alter vertrauter Freund, die Scham, erhitzte meine Haut.

Ich redete viel, aber es war nicht die Liebe zu mir selbst, die mich so sehr nach der Berührung eines Mannes lechzen ließ. Wenn überhaupt, dann war es das Gegenteil. Ich wollte mich wertgeschätzt fühlen und ich wusste nicht, wie ich das sonst erreichen sollte.

Entschieden schloss ich den App-Store mit einem Stöhnen der Niederlage und sammelte meine Bücher ein. Wenn ich mich auf die Schularbeit konzentrieren wollte, dann nicht in diesem winzigen Raum. Ich musste mich in die richtige Stimmung versetzen, mich von dem ablenken, was ich nicht haben konnte, und nichts sagte so sehr Lernzeit wie die Universitätsbibliothek. Nicht, dass ich je zuvor dort gewesen wäre. Aber dieses Jahr war eindeutig die Zeit für neue Dinge. Wie Kavaliersschmerzen und Lernsessions.

Graham

Ich betrat die Bibliothek des Hayworth College, schwer beladen mit meiner Laptoptasche und meiner Schultasche voller Bücher. Wahrscheinlich würde ich während meiner Abendschicht als Assistent der Bibliothekarin keine Zeit haben, an irgendetwas zu arbeiten, aber die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. Nur wenige Tage nach Beginn des Semesters fühlte ich mich, als wäre ich von einem Lastwagen überfahren worden. Das Studium war kein Zuckerschlecken und mein Kurs über Recherchemethoden und -analyse war besonders anspruchsvoll.

Wenn ich die Bibliothek betrat, überkam mich normalerweise ein beruhigendes Gefühl der Zugehörigkeit. Nicht so heute. Mein Magen war unruhig, als ich meinen Mantel ablegte und meine Sachen wegräumte, bevor ich meinen Platz hinter dem Ausleihschalter einnahm.

Mary Anne hatte mich gebeten, heute Abend mit einer Lerngruppe eine Sitzung zur Vorbereitung auf die Recherche zu leiten. Öffentliches Reden war nicht meine Stärke. Menschen? Noch weniger. Meine Schwester hatte mir zu Weihnachten eine Tasse geschenkt, auf der Es ist zu menschlich draußen stand. Wir hatten alle darüber gelacht, aber es war zu wahr. Ich mochte Menschen nicht. Oder vielleicht mochten sie mich nicht. Auf jeden Fall kamen wir nicht miteinander aus und ich zog die Sicherheit meiner Bücher vor. Die Menschen darin würden mich nie verurteilen, ablehnen oder meinen Mangel an sozialem Verhalten bemängeln. Sie lebten einfach in ihrer eigenen Blase aus Liebe und Herzschmerz und ich konnte dies durch sie miterleben. Aber Mary Anne war unnachgiebig gewesen. Bildung gehört zu den Aufgaben eines Bibliothekars, hatte sie gesagt, und es war an der Zeit, dass ich einen Schritt weiterging. Infolgedessen war meine Komfortzone heute ausgesprochen ungemütlich geworden. Ich zupfte an den Ärmeln meiner Cordjacke, als ich mir die Diashow ansah, die ich vorbereitet hatte, und fühlte mich eingeengt. Normalerweise trug ich nur einen Pullunder, aber ich wollte so professionell wie möglich wirken, wenn ich die Gruppe leitete, also hatte ich die Jacke im letzten Moment übergeworfen. Jetzt schwitzte ich, trotz der niedrigen Außentemperatur.

»Entschuldigung?«

Ich blickte auf und sah ein hübsches Mädchen mit dunklen Haaren und großen braunen Augen.

»Ich suche die Lerngruppe für Psychologie hundertundeins?«

Die verfluchte Gruppe, die heute Abend meine sein würde. Ich zwang mich zu einem höflichen Lächeln. »Sie kommen gerade rechtzeitig«, sagte ich, als ich um den Ausleihschalter herumging. »Ich bin selbst gerade auf dem Weg dorthin. Ich zeige Ihnen den Weg.«

»Danke.« Sie lächelte nervös. »Ich war schon Dutzende Male in der Bibliothek. Ich sollte mich inzwischen gut auskennen.«

Ihre Verlegenheit erleichterte mich. Ich spürte, dass sich hinter ihrem ruhigen Äußeren eine verwandte Seele verbarg, und ich war schon immer besser unter vier Augen zurechtgekommen als in großen Gruppen. »Keine Sorge«, beruhigte ich und grinste. »Ich werde dafür bezahlt, hier etwas zu finden.«

Wir durchquerten die große, mit Teppichboden ausgelegte Lobby und nahmen die Treppe in den zweiten Stock, wo wir ein paar Besprechungsräume hatten. Studiengruppen reservierten diese Räume oft, damit sie in Ruhe zusammen arbeiten und ihr Thema besprechen konnten, ohne die anderen zu stören, aber wir leiteten auch ganze Kurse beziehungsweise Mary Anne tat das; bis jetzt jedenfalls. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich in diesem Semester mehr und mehr unter Druck setzen würde, und ich freute mich kein bisschen darauf. Neujahrsvorsatz hin oder her, es sah so aus, als ob ich gezwungen sein würde, mich mit meinen sozialen Ängsten auseinanderzusetzen, wenn ich meinen Masterabschluss machen wollte.

Kurz bevor wir die Türen erreichten, rief jemand viel zu laut: »Kyla!«