Brown Eyed - Crimson K. - E-Book

Brown Eyed E-Book

Crimson K.

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Beschreibung

Der 17-Jährige Levi Phan liebt nichts mehr, als seine Nase in Bücher zu stecken, tiefgründiger und aggressiver Rap-Musik in jeglicher Sprache zu lauschen, TV-Shows zu schauen, die er ohne Untertitel erst gar nicht verstehen würde, und in der Schule so unsichtbar wie möglich zu sein. Kurz gesagt: Er führt das gewöhnliche Leben eines Teenagers. Wäre da nur nicht dieses unbeschreibliche Gefühl in seinem Bauch, das sich nur bemerkbar macht, wenn seine Augen auf Jayson Young treffen. Dieses plötzlich auftretende Zittern in seiner Stimme. Diese Nervosität. Die Angst. Wieso benimmt er sich so, als wäre er noch nie einer Person desselben Geschlechts begegnet? Eine zufällige Begegnung löst in Levi das Gefühlschaos seines Lebens aus und auf einmal stellt der 17-Jährige seine komplette Sexualität in Frage. Und das alles wegen ein paar brauner Augen.

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Brown EyedCrimson K.

Crimson K.

Brown Eyed

IMPRESSUM

Brown Eyed Crimson K. ©️ 1. Auflage 2023 Priscille-Tutonda Castlo Alle Rechte vorbehalten. Autorin: Priscille Castlo c/o Postflex #3195 Emsdettener Str. 10 48268 Greven Email: [email protected] Umschlag, Illustration: Bring Design (www.bringdesign.net) Korrektorat: Franziska Tietz eBook-Formatierung: Stefanie Scheurich Druck und Distrubition im Auftrag der Autorin: tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926, Ahrensburg, Germany.Dieses Buch darf ohne die schriftliche Erlaubnis der Autorin auf keiner Weise (weder auszugsweise noch vollständig) in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen elektronischen oder mechanischen Mitteln, einschließlich Informationsspeicher- und -abrufsystemen vervielfältigt werden.Die Charaktere in dieser Geschichte sind ein Produkt der Fantasie der Autorin. Ähnlichkeiten zu realen Personen, Orten und Ereignissen wurden nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Danksagung

An mein 12 Jähriges Ich, we made it.

Kapitel 1

Basketball

Levi

„Beeil dich! Sonst verpassen wir noch das Spiel“, rief Aliyah aufgeregt, während sie mich hinter sich herzog. Dabei wollte ich doch gar nicht hier sein.

Viel lieber wäre ich jetzt in meinem Bett. Der einzige Ort, an dem ich mich wohlfühlte, um ehrlich zu sein.

Als Aliyah und ich die große Turnhalle unserer Schule betraten, kam mir sofort der ganze Lärm entgegen. Die Halle war ungewöhnlich überfüllt. Die Popularität unseres Basketballteams war mir zwar nicht fremd, doch trotzdem hätte ich niemals mit so einer großen Publikumsmenge gerechnet.

Dennoch wollte ich mich, jetzt erst recht, am liebsten wieder umdrehen, um mich zu Hause zu verkriechen. Ich mochte keine Orte, an denen sich viele Menschen versammelten. Es war mir schon immer viel zu unangenehm gewesen und nach einer gewissen Zeit, fing ich auch schon an, mich unwohl zu fühlen. Eigentlich sollte Aliyah das ja wissen. Doch ihr schien dieses Spiel so wichtig zu sein, dass sie mich unbedingt mitschleppen musste.

„Aliyah! Levi!“, hörte ich eine mir bekannte Stimme aus der Menge rufen.

Schnell suchten meine Augen nach dem Träger dieser Stimme und wurden sofort fündig.

Blake wedelte wie verrückt mit seinen Armen, weshalb ich ein wenig schmunzeln musste. Blake trug seine schwarze Lederjacke, die ihm sein Vater aus Italien mitgebracht hatte. Sein Vater reiste regelmäßig in seine Heimat Italien zurück und brachte seinem Sohn ständig irgendwelche Geschenke mit, die meist von teurem Wert waren. Seinen Eltern war ich noch nie begegnet, doch ich wusste, dass Blake seine bernsteinfarbenen Augen seinem Vater zu verdanken hatte, während seine philippinische Mutter ihm ihre dunkle Haut und ihre dunklen Haaren weitergegeben hatte. Aliyah und Blake waren beide durch ihre Gene bereits von Natur aus gebräunt, während meine Haut blass-weiß war. Aliyah besaß denselben Hautton ihrer kolumbianischen Eltern und hatte ihre ersten drei Lebensjahre in Kolumbien gelebt, bis ihre Familie nach Toronto zog.

Einige Leute blickten Blake komisch an, doch die Meinung anderer hatte ihn noch nie besonders interessiert. Meine etwas schüchterne Art sorgte bisher immer dafür, dass ich mich lieber zurückhielt, um bloß keine Aufmerksamkeit zu erregen. Bei Aliyah und Blake schien dies jedenfalls nicht geklappt zu haben. Als ich eines nachmittags in der Schulbücherei einen Manga las, den Aliyah kannte, entschied sie kurzerhand, dass wir Freunde sind und wich seitdem nie von meiner Seite, obwohl ich nicht wirklich viel rede. Das hat sie nie großartig gestört, weil sie einfach das Reden übernahm, während ich aufmerksam zuhörte. Gegensätze zogen sich ja bekanntlich an.

Dennoch konnte ich ihr auch jederzeit meine Sorgen anvertrauen, was sie in meinen Augen zur einer guten Freundin machte. Durch sie lernte ich auch Blake kennen, der wiederum Aliyah seit der Grundschule kannte. Es hatte nicht lange gedauert bis Blake und ich uns genauso gut verstanden. Mit seinem Humor war er mir sogar von der ersten Sekunde an sympathisch. Blake sprach laut aus, was er wirklich dachte und nahm dabei nie ein Blatt vor den Mund. Gleichzeitig konnte er jeden zum Lachen bringen, ob man wollte oder nicht.

Aliyah entdeckte ihren besten Freund mittlerweile auch in der Menge und zog mich wieder einmal hinter sich her. So langsam war ich überzeugt, dass Aliyah verhindern wollte, dass ich weglief.

„Ich dachte schon, ich hätte mich verguckt, als ich dich sah, Levi. Dass du mal dein Zimmer verlässt und dann auch noch für ein Basketballspiel?“, lachte Blake hämisch, als ich mich zwischen ihm und Aliyah setzte. „Verkehrte Welt.“

Im Gegensatz zu mir war er wirklich ein großer Basketballfan und träumte insgeheim davon, selbst in der Schulmannschaft zu spielen. Aus irgendeinem Grund jedoch hat er es bisher nie versucht und das, obwohl das nächste Schuljahr bereits unser letztes sein würde.

„Sie hat mich gezwungen. Wieso eigentlich?“, fragte ich die Übeltäterin rechts von mir.

„Weil Lacie wieder da ist und ich moralische Unterstützung brauche, um bei ihrer Schönheit nicht in Ohnmacht zu fallen“, schwärmte sie, während ich bloß Bahnhof verstand.

„Lacie?“, fragte ich ratlos.

Daraufhin zeigte sie mit ihren perfekt gefeilten Nägeln auf das Spielfeld. Besser gesagt auf ein Mädchen, das etwas abseits von den Spielern stand, mit einem Klemmbrett in ihren Armen.

„Das ist Lacie. Managerin unseres Basketballteams und ein Jahr über uns. Ist sie nicht hübsch?“

Mit ihrem kurzen schwarzen Haar, der Brille auf der Nase und der blassen Haut sah diese Lacie wirklich attraktiv auf. Allerdings wirkte sie auf mich nicht so attraktiv wie auf Aliyah.

„Nicht zu vergessen die große Schwäche, die Aliyah für Lacie hat“, fügte Blake hinzu.

„Stimmt gar nicht. Ich … ach halt die Klappe, Blake“, zischte Aliyah. Also ist sie nur wegen dieser Lacie hier, … obwohl die nicht mal spielt. Das musste wirklich 'Liebe' sein.

Während die beiden sich weiter gegenseitig aufzogen, schaute ich mich um und musste zugeben, dass die Menge an Zuschauern mich noch immer überwältigte. So langsam aber begann ich mich zu langweilen. Von Basketball hatte ich eh keine Ahnung und auch sonst hatte ich nie Interesse an den Mitgliedern unseres Teams.

Die Ida B. Wells Highschool legte viel Wert auf sportliche Aktivitäten, weswegen jede Sportart hier auch entsprechend von der Schule unterstützt wurde. Insbesondere merkte man dies an dem renovierungsbedürftigen Kunstraum unserer Schule, während das Hockey Team vor kurzem nagelneue Schläger aus dem Nichts bekam.

„Ich könnte jetzt in meinem Bett liegen und Nicki Minaj streamen“, seufzte ich leise meinem verlorenen Samstagabend hinterher. Aliyah bekam das leider dennoch mit und wurde sofort hellhörig.

„Deine Besessenheit mit dieser Frau ist fast schon gruselig. Die weiß nicht mal, dass du existierst und du verschwendest deine Zeit damit, sie nur noch reicher zu machen.“ Jedes Mal, wenn ich meine Lieblingskünstlerin erwähnte – was ich selten tat in ihrer Anwesenheit – reagierte Aliyah eingeschnappt, abweisend und kam mit allem möglichen Schlechten um die Ecke.

„Weiß Lacie, dass du existierst?“, erwiderte ich trocken und ging in die Offensive. Blake schlug sich eine Hand vor den Mund, doch sein Lachen hörte man dennoch. Selbst wenn das Aliyah gerade getroffen hatte, zeigte sie es nicht, da ihre Aufmerksamkeit nun wieder dem Grund galt, weshalb wir (ich unfreiwillig) hier waren.

Plötzlich fing die Zuschauermenge an wie wild zu toben, sodass die Bank, auf der wir saßen, erzitterte. Blake brüllte auf einmal begeistert mit und Aliyah schaute gespannt auf das Spielfeld. Ich folgte ihrem Blick und kapierte endlich, was genau los war. Es hatte seine Gründe, weshalb ich bei Sportbeiträgen immer den Sender wechselte.

Beide Teams betraten nebeneinander das Feld. Das Spiel würde jeden Moment beginnen.

Immerhin erkannte ich durch die Trikots wenigstens unsere Spieler, die von den Zuschauern regelrecht angehimmelt wurden.

„Sind wir etwa so beliebt?“, murmelte ich vor mich hin, was Blake jedoch gehört hatte.

„Du lebst echt unter einem Stein. Unsere Jungs haben vor drei Jahren zum ersten Mal den Titel für uns geholt und sind seitdem Titelverteidiger. Wenn sie die Saison auch noch dieses Jahr gewinnen, werden sie unbesiegbar sein“, erklärte er mir aufgeregt und richtig stolz auf 'unsere Jungs'.

„Was heißt hier wenn? Mit Jayson als Kapitän wird das dieses Jahr ebenfalls ein Erfolg“, sagte Aliyah.

Ein Erfolg für wen? Was haben wir Schüler denn vom Sieg? Beide Teams spielten bloß für den Basketballclub ihrer jeweiligen Schulen - nicht für ganz Kanada.

„Jayson?“ Ich sollte mich wirklich mehr über unsere Schule informieren, aber ich fand einfach keinen guten Grund dafür.

Aliyah seufzte theatralisch, warf ihr welliges, braunes Haar zur Seite und zeigt auf einen Spieler, der mit dem Rücken zu uns stand.

„Der Silberhaarige mit der eins auf dem Trikot, der Kapitän der Dragon Claws.“

„Wenn du mich fragst, ist es eher grau .. oder gar weiß“, wendete Aliyah ein. „Normalerweise eine grässliche Wahl, wenn du mich fragen würdest. Aber bei ihm sieht es unglaublich gut aus. Vor allem im Kontrast zu seiner dunkeln Haut.“

Genau in diesen Moment drehte sich dieser Jayson zu uns um, sodass sich unsere Blicke für den Buchteil einer Sekunde trafen. Unsere Blicke kreuzten sich zwar nur kurz, doch dieser Moment fühlte sich ewig an. Trotz der großen Entfernung zwischen ihm und mir, sah ich seine braunen Augen, in denen ich mich verlor. Für einen Moment vergaß ich, wo ich war.

Für einen Moment vergaß ich mich selbst wegen diesen strahlenden braunen Augen. Der Pfiff des Schiedsrichters holte mich glücklicherweise zurück in die Realität und auch Jayson schien sich wieder auf das Spiel zu fokussieren.

Kurz schüttelte ich meinen Kopf in der Hoffnung, dadurch wieder klarer denken zu können. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich innerlich plötzlich so aufgewühlt.

Das Spiel begann und meine Augen folgten gespannt jeder einzelnen Bewegung von diesem Jayson. Obwohl mir dieses Spiel vor einigen Sekunden noch völlig egal war, verfolgte ich es nun neugierig, was offensichtlich an diesem Jungen lag. Deshalb fiel mir auch sofort auf, wie oft er den Ball zugespielt bekam und diesen nie aus seinen langen, schlanken Finger ließ, während er trotz der vielen Blockaden jeden Wurf im Korb versank.

„Wow“, flüsterte ich beeindruckt.

„Überrascht? Jayson verfehlt nie einen Wurf!“, klärte Blake mich auf und ich sah sofort, was er damit meinte. Den anderen Spielern schenkte ich keine Beachtung. Meine Aufmerksam galt lediglich … Jayson.

Plötzlich ertönte aus dem Nichts ein lautes Geräusch, woraufhin alle Spieler sich aus ihrer Kampfposition lösten und sich entspannt auf die Bänke zubewegten. Verstehe, es ist also Pause … wenn man das so im Basketball sagte? Sport war einfach nicht meine Welt.

Diese Lacie von vorhin warf jedem unserer Spieler ein Handtuch zu. Zugleich überreichten die Auswechselspieler ihnen Trinkflaschen und alle setzten sich erschöpft auf die Bank.

Als der Coach Jonathan anfing auf das Team einzureden, wischte Jayson sich den Schweiß aus seinem Gesicht. Dabei entging mir nicht, wie er dem Coach keine Beachtung schenkte und stattdessen seinen Durst stillte. Im Laufe der Zeit wanderte sein Blick durch die Halle, als würde er nach etwas bestimmtes suchen.

Lacie beugte sich zu ihm herunter, doch er schaute sie bloß gelangweilt an, während sie ihm die Beine massierte, so wie es aussah. In mir machte sich ein ungewohntes Gefühl breit als ich die beiden so eng und vertraut miteinander sah.

„Sind die beiden ein Paar?“, fragte ich meine engste Freundin und deutete auf Lacie, die noch immer mit Jayson redete. Für einen winzigen Augenblick änderte sich etwas in Aliyahs Gesichtsausdruck. Sie wirkte plötzlich auf einen Schlag traurig, was sich aber sofort änderte, sobald sie meinen Blick auf sich bemerkte.

„Weiß nicht. Davon habe ich bisher nie gehört“, murmelte sie niedergeschlagen mit einem Lächeln im Gesicht. Aliyah sah man kaum ohne ihr fröhliches Gesicht. Manchmal hatte es den Anschein, dass dieses strahlende Lächeln auf ihrem Gesicht eintätowiert wäre.

Sie war nun mal eine aufgeweckte Persönlichkeit, die immer offen für neues war und zu allem bereit. Fast so wie Blake, weswegen es mich nicht überraschte, dass die beiden so lange miteinander befreundet waren. So seltsam es auch klingen mochte, es war einfach ungewöhnlich, diesen Sunshine nicht lächeln zu sehen.

„Aber überrascht wäre ich nicht“, fügte sie noch hinzu. „Beide sind im Basketballclub und wirken vertraut miteinander. Als ob eine wie Lacie nicht vergeben wäre.“

Natürlich entging mir nicht der traurige Unterton in ihrer Stimme. Zwar hatte ich, außer mit meinen zwei engsten Freunden, nicht viel mit anderen Menschen zu tun, allerdings bekam ich gerade deswegen viel von meinem Umfeld mit, da ich oft auf die kleinen Dinge achtete, die andere nicht bemerkten. Dennoch wusste ich nicht, wie ich sie trösten könnte. Lacie hatte ihr ja nichts angetan. Außerdem waren das auch nur Vermutungen, die sich als falsch herausstellen konnten. Und selbst wenn die wahr wären - man kann von niemandem erwarten, dass er seine Gefühle mit dir teilt.

„Ihr Beziehungsstatus hat auch keine Menschenseele zu interessieren“, kommentierte Blake und erntete dafür einen Schlag auf seinen Nacken von Aliyah.

Die Pause neigte sich dem Ende zu und meine Aufmerksamkeit haftete erneut an Jayson. Am heutigen Abend zog er meine Aufmerksamkeit auf sich wie ein verdammter Magnet. Nur am Rande nahm ich wahr, wie der Schiedsrichter das Spiel letztendlich abpfifft und die Dragon Claws das Feld als Sieger verließen.

Blake tobte mit der Menge mit und auch Aliyah ließ sich von der Laune anstecken. Ich dagegen beobachtete weiterhin Jayson bis dieser komplett aus meinem Sichtfeld verschwand. Jedoch kreuzten sich unsere Blicke vorher noch ein letztes Mal. Er wusch sich mit seinem Trikot den Schweiß ab, welcher über sein Gesicht lief. Dieser Anblick, wie die Schweißtropfen herunterflossen und er seine Lippe mit der Zunge befeuchtete, machte mich auf eine komische Weise nervös.

Ich konnte dieses Gefühl in meinem Magen nicht beschreiben. So etwas hatte ich noch nie empfunden. Vor allem … bei einem Jungen.

Letztendlich verschwand er mit den anderen in der Umkleidekabine. Wie versteinert blieb ich auf meinem Platz sitzen, während sich die Halle allmählich leerte, da das Spiel vorbei war und jeder wieder nach Hause wollte.

„Levi? Lebst du noch?“, schrie Blake mir ins Ohr, wodurch ich heftig zusammenzuckte.

„Musste das sein?“, fragte ich schlecht gelaunt. Was auch immer in den knapp zwei Stunden passiert war – es war vorbei. Ich fühlte mich auch wieder wie der alte Levi, der klar dachte und niemanden hinterhersabberte.

„Dich scheint das Spiel ja echt mitgenommen zu haben.“

Wenn der nur wüsste.

Endlich verließen wir ebenfalls die stickige Halle und machten uns auf den Weg nach Hause. Auf jeden Fall würde ich mich nicht noch einmal von Aliyah hierher bringen lassen. Garantiert nicht.

Kapitel 2

Detenion for two

Levi

Montag war ganz und gar nicht mein liebster Wochentag, da mir zwei freie Tage zum Ausruhen einfach nicht ausreichten. Allerdings war ich dieses Mal so erschöpft, weil ich gestern meinem Vater bis spätabends im Restaurant ausgeholfen habe. Dementsprechend konnte ich meine Augen heute kaum offenhalten.

Das Restaurant meines Vaters befand sich im Erdgeschoss unseres kleinen Hauses in der Innenstadt. Während im Erdgeschoss die Küche, der Empfang und ein paar Tische untergebracht waren, wohnten wir ein Stockwerk darüber in unserer Wohnung. Trotz des kleinen Betriebs, war mein Vater ständig im Stress, da seine studentische Aushilfe nur in der Woche arbeitete, sodass ich am Wochenende aushalf, wenn es zu voll wurde. Und selbst wenn das Restaurant nicht besucht wurde, kamen viele Anrufe rein von Kunden, die ihr Essen gerne nach Hause geliefert bekommen wollten. Zuerst wollte mein Vater keinen Lieferservice anbieten. Es hatte ewig gedauert, bis ich ihn dazu überredet hatte. Es war schon immer schwer, ihn von neuen Sachen zu überzeugen, da er viel zu sehr an altmodischen Dingen hing. Beim Ausliefern war ich zwar keine große Hilfe, da ich noch keinen Führerschein hatte und noch lange nicht achtzehn war. Doch ich passte im Laden auf, während mein Vater auslieferte und ein paar Gerichte vom Menü konnte ich auch zubereiten – zwar noch lange nicht so perfekt wie mein Vater, aber meine Kochkünste waren nicht furchtbar.

„Du siehst wirklich übel aus“, kommentierte Aliyah mein Aussehen und kaute weiter auf ihrem Salat herum, den sie sich gekauft hatte.

In der Mittagspause saßen wir andauernd zusammen an unserem Tisch. Natürlich war der Platz nicht unserer, aber niemand anderes außer uns setzte sich hierhin. Keiner von uns beiden wusste allerdings, wo Blake sich schon wieder herumtrieb. Wahrscheinlich irgendwelchen Mädchen hinterherlaufen, bei denen er eh nie eine Chance hätte.

„Findest du? Ich dachte Augenringe stehen mir und betonen meine tote Seele“, antwortete ich mürrisch und schob das Tablett voller Essen von mir weg. Mein Appetit hielt sich in Grenzen, da meine Müdigkeit mich fast schon umbrachte.

„Schlecht geschlafen?“, fragte sie leicht besorgt und machte sich über mein Essen her. Eine Aliyah Morrell verschwendete nichts, obwohl ich mich öfters fragte, warum sie von all dem Essen nie zunahm.

„Ja, ich weiß nicht. Irgendwie konnte mein Kopf nicht mit dem Denken aufhören“, gab ich leise zu, weil es mir peinlich war.

Egal wie sehr ich es versuchte, dieses eine Gesicht verließ meinen Kopf einfach nicht - die ganze Nacht nicht und auch nicht bei der Arbeit im Restaurant.

Das schlimmste von all dem war auch noch, dass ich insgeheim hoffte, ihn irgendwie wiederzusehen, weshalb ich mich ständig unauffällig nach ihm umsah. Da er zur Abschlussklasse gehörte, würden sich unsere Wege allerdings eh nie kreuzen. Deren Unterricht fand hauptsächlich im dritten Stockwerk statt, während wir Juniors im zweiten Stockwerk unterrichtet wurden. Ich fragte mich, ob es einen bestimmten Grund gab, wieso wir räumlich voneinander nach Klassenstufen eingeteilt waren? Jedenfalls war jede Klassenstufe deshalb nur für sich. Einzig und allein die Cafeteria, das Treppenhaus, der Schulhof und die Turnhalle gaben uns die Möglichkeit, mit den anderen Jahrgängen in Kontakt zu kommen. Vorausgesetzt man wollte das.

Glücklicherweise sagte Aliyah nichts zu meiner Antwort, sondern fing an, mich mit irgendwelchen Geschichten aus ihrem Wochenende abzulenken. Dabei stützte ich meinen schweren Kopf mit meinen Armen ab und sah mich in der Cafeteria um, bis meine Augen fanden, was sie insgeheim gesucht hatten.

Durch die großen Fensterscheiben hatte man von der Cafeteria aus eine perfekte Sicht auf den Sportplatz draußen – Zufall?. Das Schulgelände war so aufgebaut, dass es einmal das Hauptgebäude gab, in dem wir uns gerade befanden. Hinter dem Hauptgebäude war die riesige Turnhalle, während sich davor der Parkplatz befand. Der Rest des Geländes diente als eine Art Schulhof, auf dem wir uns frei bewegen konnten, während sich ein bisschen weiter Richtung Osten der Sportplatz ansiedelte. Von meinem Platz aus konnte ich besonders gut den Basketballplatz beobachten, wo er selbstverständlich Körbe warf.

Aliyahs Worte drängte ich in den Hintergrund und richtete meine Konzentration auf diesen einen Basketballspieler, der in kürzester Zeit zum Mittelpunkt meiner Gedanken wurde.

Jayson schaute ziemlich düster vor sich hin, während er von seinen Freunden umringt war. Letztere sahen wesentlich motivierter aus. In seinen Händen hielt er einen Basketball, welchen er immer wieder von einer Hand zur nächsten rollte. In der Sonne glänzte seine dunkle Haut prachtvoll, während seine silber-gefärbten Haare total verschwitzt waren. Trotz der Entfernung erkannte ich die Schweißflecken unter seinen Armen. Wie lange spielten die wohl schon in dieser unerträglichen Hitze? In zwei Wochen war bereits September, doch die Sonne strahlte noch immer ihre Sommerhitze aus. Es würde wohl noch eine Weile Sommer bleiben.

„Levi!“, rief Aliyah und schlug mit ihrer Faust auf den Tisch. Erschrocken wandte ich mich von Jaysons Anblick ab, um in die verwirrten und wütenden Augen meiner besten Freundin zu schauen. Aliyah hasste es, wenn man ihr nicht zuhörte, was auch nicht meine Absicht gewesen war.

„Tut mir leid, der Schlafmangel hat mich heute wirklich im Griff“, nutzte ich als Ausrede für mein Verhalten. Außerdem wollte ich auch nicht zugeben, dass ich einen Jungen wie ein Stalker beobachtet hatte. „Worüber hast du gesprochen?“

„Vergiss es. War sowieso unwichtig“, seufzte sie sichtlich enttäuscht. „Dich muss es wirklich erwischt haben. Willst du nicht lieber nach Hause, bevor du noch zusammenbrichst?“

Wie gerne ich das würde, wenn ich nur könnte.

„So schlimm ist es nun auch nicht. Außerdem … muss ich heute sowieso … nachsitzen“, flüsterte ich leise und zögerlich. „Daher kann ich nicht nach Hause gehen.“

Schockiert und überrascht zugleich, fing Aliyah an zu lachen, oder besser gesagt, mich auszulachen.

„Du und Nachsitzen? Levi, das kann nicht dein Ernst sein. Deine Anwesenheit ist bereits so gering, dass man dich kaum bemerkt. Was sollst du denn angerichtet haben?“, fragte Aliyah.

„Bin in Geschichte eingeschlafen. Mehrmals. Daher das Nachsitzen heute und mir ist mein Mangel an Präsenz durchaus bewusst, Ali.“

Ich war nicht nur eine ruhige Person, sondern hatte leider zusätzlich auch noch eine Stimme, die so leise war, dass man denken könnte, ich würde die ganze Zeit über flüstern. Dabei war es meine normale Stimmlage. Lehrer verlangten jedes Mal von mir, lauter zu sprechen. Schüler machten sich nicht die Mühe, mit jemandem zu sprechen, den sie kaum verstanden. Manchmal, wenn ich viel zu nervös war oder mich unwohl fühlte, fing ich aus dem Nichts heraus an zu stottern, was mir sonst nie passierte. Dieses Problem war einer der Gründe, warum ich Kontakt zu anderen mied wo es nur ging. Als ich noch jünger war, hatte man sich gerne über mich und mein Stottern lustig gemacht. Sehr wahrscheinlich kam daher auch meine große Unsicherheit, die mich bis heute noch verfolgte. Vor allem im Unterricht, wo ich jedes Mal fast eine Herzattacke bekam, wenn man mich aufrief.

„Mies. Dabei wollte ich mit dir im Basketballclub vorbeischauen, um Lacie - natürlich zufällig – zu treffen. Soweit ich weiß, trainieren sie heute.“

Kopfschüttelnd beobachtete ich meine durchgeknallte Freundin beim Schwärmen.

„Du brauchst dringend ein paar weibliche Freunde und warum immer ich? Mit Blake bist du sogar noch viel länger befreundet.“

„Stimmt zwar, aber er lässt sich nicht so leicht überreden wie du. Wenn ich überhaupt wüsste, wo der Kerl steckt“, murmelte sie und sah sich kurz nach ihm um.

Das Läuten der Pausenklingel erklärte unsere Mittagspause für beendet. Seufzend realisierte ich, dass ich noch die schlimmsten Fächer vor mir hatte, gefolgt vom Nachsitzen. Kurz blickte ich unauffällig nach draußen, um zu gucken, ob er noch immer dort auf dem Basketballplatz stand. Leider war Jayson bereits verschwunden und ich konnte es nicht verleugnen, ein wenig traurig darüber zu sein.

Lustlos folgte ich meiner Geschichtslehrerin Ms. Young auf dem Weg zur meiner Strafarbeit. Ms. Young gehörte zu den wenigen Lehrern an unsere Schule, die ich als sympathisch bezeichnen würde. Trotz ihrer eisernen Art zu unterrichten, war sie außerhalb dieser vier Wände, einer der großzügigsten Lehrer, die ich jemals hatte. Sie gab jedem die Chance, das Beste aus sich herauszuholen und dass ohne jegliche Vorurteile. Sie schloss nie von dem Verhalten eines Schülers oder dessen Noten bei anderen Lehrer auf seine Leistung.

„Es tut mir wirklich leid, dass du heute einen Teil deines Nachmittags in der Schule verbringen musst, aber leider gelten für jeden Schüler dieselben Regeln. Dazu gehört nun mal, dass Schlafen im Unterricht tabu ist“, sagte Ms. Young, drehte ihren Kopf zu mir nach hinten und warf mir ein entschuldigendes Lächeln zu. Ihre schwarzen Braids, die sie als Zopf trug, bewegten sich dabei mit.

„Verstehe ich“, antwortete ich knapp und leise. Oft wunderte es mich selbst, wie zurückhaltend ich wieder werden konnte, wenn ich gerade nicht mit meinem Vater oder meinen beiden Freunde sprach.

„Eine kleine Sache wäre da noch“, erwähnte sie plötzlich und blieb abrupt vor Raum Nummer 510 stehen. „Mein idiotischer Sohn hat seinen Mathelehrer wütend gemacht und muss daher ebenfalls nachsitzen.“

Daraufhin öffnete Ms. Young die Tür, sodass ich hineinsehen konnte, was sich im Raum befand. Oder besser ausgedrückt, wer sich dort befand. „Jayson, das ist Levi. Levi, Jayson. Nerve ihn einfach nicht, okay?“, befahl Ms. Young ihrem Sohn und ging zum Lehrertisch. In der Stille war das Klackern ihrer Absätze das einzige Geräusch.

Jayson drehte seinen Kopf in meine Richtung und musterte mich wortlos. Mein Atem stockte, meine Kehle fühlte sich eng an, wie zugenäht und ich spürte ein Ziehen in meinem Magen.

Mein Gehirn versuchte zu verarbeiten, dass ich gleich neunzig Minuten meines Lebens allein mit demjenigen verbringen würde, der mir unfreiwillig nicht mehr aus dem Kopf ging. Nebenbei erfuhr ich auch noch, dass er der Sohn meiner Geschichtslehrerin war.

Jayson währenddessen durchbohrte mich förmlich mit seinen karamellbraunen Augen, wie am Tag des Spiels.

Ich dagegen stand noch, wie eingefroren, an der Tür und konnte nicht fassen, dass das hier wirklich gerade geschah. Wäre ich doch einfach im Bett geblieben als ich es noch konnte.

Jayson

Den ersten Schultag nach einem Spiel hasste ich am meisten. Überall riefen mir irgendwelche Schüler, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, zu, wie toll das Spiel war und erinnerten mich an meine Aufgabe als Kapitän, dafür zu sorgen, dass das nächste Spiel genau so erfolgreich sein würde. Allen ging es nur um diesen einen Titel, aber nicht darum, ob mich dieser überhaupt interessierte.

Jetzt schienen sie mich noch zu lieben, obwohl sie den eigentlichen Jayson gar nicht kannten. Hätten wir das Spiel verloren, würde mich niemand eines Blickes würdigen.

Sie alle gaben mir das Gefühl, dass sie lediglich den Jayson vom Spielfeld sehen wollten. Der Jayson außerhalb des Basketballs kümmerte hier keinen, bis auf Lacie und Marcus.

Ohne die beiden hätte ich schon lange den Spaß am Basketball verloren.

Mit Marcus bin ich seit Beginn des Basketballclubs befreundet. Meiner Meinung nach war er es als Center, dem wir die meisten unserer Siege zu verdanken hatten. Ganz gleich wie hoffnungslos unsere Chancen auch manchmal aussahen, Marcus verlor nie seinen Kampfgeist und steckte das ganze Team damit an. Wenn er jedoch keinen Basketball in seinen Händen hielt, war er ein tollpatschiger Idiot, der nie wusste, wann er mal die Klappe halten sollte – so wie jetzt.

Obwohl wir gerade Mathe bei einem unserer verhassten Lehrer hatten, berichtete er mir, ohne Punkt und Komma, von seinem Date mit seiner Freundin am Sonntag. Zwar würde ich es nie laut zugeben, doch eigentlich nervte mich diese Eigenschaft an ihm überhaupt nicht. Brauchte man Hilfe oder einfach nur eine Schulter zum Anlehnen, war Marcus sofort zur Stelle. Generell stellte er die Probleme anderer an erster Stelle. Außerdem freute ich mich wirklich für sein Liebesglück. Seine Freundin und er ergänzten sich wie zwei Puzzleteile.

Während Marcus mir mein linkes Ohr zutextete, versuchte ich wenigstens mit der rechten Seite dem Unterricht zu folgen. So bekam ich am Rande mit, wie der alte Knacker, Mr. Finster, jemanden aufrief.

„Ich weiß es nicht“, antwortetet das Mädchen, deren Namen ich nicht wusste, ängstlich.

Mr. Finster schüchterte seine Schüler gerne ein.

„Wie, du weißt es nicht!? Das ist einfache Integralrechnung. Wozu kommst du überhaupt in meinen Unterricht, wenn du so etwas Einfaches nicht verstehst!?“, schrie Mr. Finster aufgebracht und spuckte dabei, was einfach widerlich war. „Überall steckt Mathe drin. Mathe ist die Welt. Sie werde dieses Schuljahr niemals abschließen können, wenn -“

„Sie haben kein Recht dazu, so etwas zu sagen“, unterbrach ich Mr. Finster und lenkte damit die volle Aufmerksamkeit des Kurses auf mich. Selbst Marcus schwieg plötzlich. „Als Lehrer sollten Sie sie fördern, nicht vor dem Kurs heruntermachen. Zählt das nicht bereits als Mobbing?“

Man konnte beobachten, wie sein Zorn mit jeder Sekunde wuchs und die paar Haare, die er noch auf dem Kopf trug, grauer wurden.

„Sie haben mir nicht zu widersprechen Mr. Young. Außer irgendwelche Bälle in Tore zu schießen, haben sie eh nichts im Kopf. Noch eine Bemerkung und sie dürfen Nachsitzen!“

„Nur weil Sie nicht zugeben wollen, dass Sie im Unrecht sind, soll er nachsitzen?“, mischte sich Marcus ein.

„Lass es sein, Marcus. Die eigentliche Frage ist, wie jemand wie er Lehrer wurde, wenn er nicht mal zwei Ballsportarten voneinander unterscheiden kann“, rutschte es mir heraus.

„Das war's für Sie. Nachsitzen!“, brüllte Mr. Finster durch den Raum und diejenigen, die in den ersten Reihen saßen, zuckten heftig zusammen. Ich dagegen war nichts anderes von ihm gewöhnt. Mr. Finster war so sehr davon überzeugt, dass Sportler ihr Gehirn nur verwendeten, wenn es um den Sport ging. Seiner Meinung nach schnitten wir alle schlecht ab, wenn es sich um unsere Noten handelte. Und das, obwohl er doch selbst wusste, dass jeder, der in irgendeinem Sportclub Mitglied war, nicht unter einem bestimmten Durchschnitt kommen durfte.

Ansonsten verwehrte uns die Schule den Sport. Glücklicherweise hatte ich keine Probleme mit Mathe, sodass Mr. Finster kein Druckmittel gegen mich haben würde.

Zwar hatte ich logischerweise keine Lust, extra wegen ihm länger in der verdammten Schule zu bleiben, doch gleichzeitig könnte es mir nicht gleichgültiger sein. Hoffentlich würde meine Mutter nicht ausrasten. Meine Stiefmutter Gracie würde es sicherlich nachvollziehen können.

Seitdem sie in das Leben meiner leiblichen Mutter und mir getreten ist, verstanden wir uns mehr als bloß gut. Vielleicht lag es an unserem gemeinsamen Interesse für Sport. Oder schlicht daran, dass Gracie ein barmherziger Mensch war, der meiner Mutter Loren, nach der Scheidung mit meinem Vater, ihr Lächeln zurückgab. Solange die beiden sich liebten, war ich zufrieden. Außerdem wusste ich es zu schätzen, wie viel Glück ich mit meiner Stiefmutter hatte.

Die Pausenklingel befreite uns schließlich aus unserem Elend.

„Du solltest dir das nicht gefallen lassen, Jayson. Du hast nichts falsch gemacht!“, sagte Marcus aufgebracht, als wir den Klassenraum verließen. Marcus erlebte man selten von seiner zweiten Seite. Im Basketball ging es manchmal heftig zu, sodass wir uns alle mal von unserer hässlichen Seite präsentieren mussten - auch Marcus. Doch privat wurde er nie negativ auffällig, da er normalerweise die Ruhe in Person war. Allerdings zeigte das auch, dass er sich wirklich über die Sache aufregte. Ich hingegen versuchte den Zwischenfall in den Hintergrund zu schieben, da man eh nichts daran ändern könnte.

„Ist doch keine große Sache“, murmelte ich abwesend und lief eilig in Richtung Ausgang. Doch irgendetwas hielt mich zurück.

„Danke nochmal für vorhin“, bedankte sich das Mädchen vom Mathekurs. Da sie viel kleiner war als ich, musste ich auf sie herabschauen. Mit ihren kleinen Augen strahlte sie mich an und ich musste ehrlich zugeben, sie sah niedlich aus.

„Lass dich nicht von irgendjemandem heruntermachen, okay? Du wurdest nicht dafür geboren, um es allen recht zu machen. Du kannst ihm ja beweisen, dass du sehr wohl in Lage bist, deinen Abschluss zu schaffen“, antwortete ich tonlos, aber gab mir Mühe, freundlich zu wirken. Sie war nicht Schuld an meiner miserablen Laune.

Mit anderen Menschen zu interagieren, war noch nie meine Stärke gewesen. Die Leute würden mich wahrscheinlich als freundlich und distanziert beschreiben, was durchaus der Wahrheit entsprach. Ich mochte es unter Menschen zu sein, aber gleichzeitig nicht zu sehr, weil ich meine Zeit für mich brauchte. Gerne hörte ich anderen beim Reden zu, jedoch schwieg ich, wenn es um mich ging. Wahrscheinlich lag es daran, dass mich andere als distanziert einschätzten.

Es war nicht meine Absicht so abweisend zu wirken. Oft war ich mir eben unsicher, wie ich mich in bestimmten Situationen benehmen sollte. So, wie jetzt.

Die Unbekannte lächelte mich noch immer an. Ohne weiteres befreite ich mich aus ihrem Griff, lächelte zum Abschied gezwungen und verschwand endlich. Ich musste mich nicht umdrehen, um mich zu vergewissern, dass Marcus mir folgte. Trotz all den Schülern, die durch die Gänge wanderten, war ich in der Lage, seine Fußschritte von allen anderen zu unterscheiden.

In der Pause versammelten sich die Mitglieder des Basketballclubs auf dem Platz, um ein paar Körbe zu werfen und angestaute Wut rauszulassen.

„Nachsitzen? Du?“, fragte Lacie skeptisch, nachdem Marcus ihr und den anderen alles berichtet hatte. Ich warf ihm einen genervten Blick zu. „Zwar unerwartet, aber es überrascht mich auch nicht wirklich, wenn man dich so ansieht.“

Lacie war mit Abstand meine beste Freundin, was daran lag, dass wir uns so lange kannten. Mit ihrer Unfähigkeit Gefühle auszudrücken, war ich seit Kindergartenzeiten vertraut. Zuerst dachten viele, sie wäre nun mal zurückhaltend und am liebsten für sich allein. Doch mit den Jahren merkte ich, dass nichts davon stimmte. Lacie sagte jedem gnadenlos ihre Meinung, egal, ob es ihm gefiel oder nicht. Was andere deswegen von ihr hielten, war ihr ebenfalls gleichgültig und das mochte ich so sehr an ihr: ihre Unbekümmertheit.

Allerdings nannten sie viele einen Stein, weil sie wegen ihrer Meinung als gefühlskalt abgestempelt wurde. Wer Lacie nicht nahestand, hatte keine Ahnung von ihrer zärtlichen Seite, die sie ausschließlich Menschen zeigte, die ihr wichtig waren. Deshalb nahm ich mir ihre Kommentare nicht ganz so zu Herzen.

„Mehr zu lächeln würde dir nicht schaden“, schlug Lacie vor, schlürfte an ihrem Milchshake und rückte ihre Brille zurecht.

Ihr Kopf endete bereits an meinen Schultern, weswegen ich sie insgeheim immer wie eine kleine Schwester sah, die ich nie hatte. Selbst wenn sie mich mit ihren giftigen Blicken manchmal erdolchte.

„Unsere furchtbare Welt gibt mir keinen Grund dazu“, antwortete ich ehrlich und warf endlich den Ball in den Korb, den ich die ganze Zeit in den Händen gehalten hatte.

Menschen werden heute noch versklavt, verschleppt, ermordet und die Liste ist noch lange nicht zu Ende. Dazu kommen noch Umweltverschmutzung, Amokläufe, das Waffengesetz oder Mobbing - die Liste könnte man ewig fortführen. Jedoch ist das „wahre“ Problem, dass Leute, wie meine Mütter, in anderen Ländern ihren Partner aufgrund ihres Geschlechts nicht heiraten können. Dabei wollen gleichgeschlechtliche Paare einem heimatlosen Kind doch bloß Geborgenheit schenken, schwarze Bürger wie Menschen behandelt werden und Frauen sich nichts mehr gefallen lassen. Dabei wären viele Menschen bestimmt überhaupt dankbar, wenn die Jagd nach ihnen aufgrund ihrer Sexualität, Religion oder Hautfarbe ein Ende hätte. Wieso sind viele nicht dazu in der Lage, ihre Mitmenschen so zu behandeln, wie sie selbst behandelt werden wollen? Um ehrlich zu sein, wünschte ich mir, ich hätte eine Plattform, um anderen ins Gewissen zu reden.

Meine Augen verfolgten, wie der Ball im Korb landete. Schade, dass sich nicht alle Probleme so leicht lösen ließen. Doch meine Gedanken schweiften ab, als meine Augen jemand anderen fanden. Dank der großen Fensterscheiben der Cafeteria waren wir in der Lage, von draußen aus hineinzusehen. Obwohl er weit weg vom Fenster saß, erkannte ich ihn augenblicklich.

Der Junge vom Basketballspiel.

So merkwürdig es auch klingen mochte, dieses Gesicht ging mir seit dem Spiel nicht mehr aus dem Kopf. Letzten Samstag hatten sich unsere Blicke zufällig gekreuzt. Zum Glück habe ich mir nichts anmerken lassen, obwohl ich innerlich ständig zu ihm hochschauen wollte. Wieso blieb mir ein Rätsel. Tatsache war, dass diese Person meine Aufmerksamkeit erregte, die ich nicht jedem schenkte.

Die Stimmen meiner Freunde holten mich aus der Tagträumerei zurück. Die Mittagspause neigte sich dem Ende zu und das Team verstreute sich in verschiedene Richtungen.

„Nochmal sorry fürs Nachsitzen, Jay. Wir sehen uns“, verabschiedete sich Marcus, der es kaum abwarten konnte, zu Chemie zu gehen, da es der einzige Kurs war, welchen er mit May hatte, seiner festen Freundin. May verbrachte die Pausen selten mit uns. Überhaupt sah man sie selten während der Pausen, weil sie als Schulsprecherin diverse Aufgaben zu erledigen hatte.

May und Marcus. Ich sage ja, die beiden gehören zusammen.

Nachdem alle außer Reichweite waren, kam Lacie auf mich zu.

„Wen hast du da vorhin angestarrt?“, fragte sie zwar kühl, doch ihre Neugier hörte man trotzdem heraus.

„Niemanden“, antwortete ich ein wenig zu schnell. Ich versuchte, es mir jedoch nicht anmerken zu lassen, indem ich nach meiner Tasche griff, die am Boden lag.

„Na gut“, seufzte meine beste Freundin. „Wenn du dich selbst belügen willst.“

Ertappt drehte ich mich zu ihr um, um sie zu fragen, was sie damit meinte. Doch Lacie war schon auf dem Weg zu ihrem nächsten Kurs und ließ mich verwirrt stehen.

Schließlich überlebte ich meine restlichen Blöcke und war höchst erfreut auf das, was mich nun erwartete: Nachsitzen. Was will man mehr, als noch länger in der Schule sitzen zu müssen, während jeder andere vor dir die Hölle verlassen darf. Nun, irgendwie bin ich ja selbst Schuld, doch bereuen tue ich die Sache von vorhin nicht.

„Nicht den Kopf hängen lassen!“, versuchte Marcus mich aufzumuntern. Dabei fühlte ich mich gar nicht bedrückt. „Helden werden andauernd ungerecht behandelt, wie Robin Hood zum Beispiel!“

„Marcus, du vergleichst eine Diskussion mit Mr. Finster mit einer Legende, die Adelige beraubte, um den Armen zu helfen?“ Belustigt nahm ich seinen Arm von meiner Schulter.

„Ist es nicht so? Wir Schüler sind der arme dritte Stand, die vom Adel – den Lehrern – unterdrückt werden und-“

„Okay, okay, das reicht. Wir haben verstanden, dass in deiner Birne nur Luft ist, Marcus“, unterbrach ihn Lacie. „Jayson wird es überleben.“

Damit zog Lacie Marcus am Handgelenk hinter sich her und schenkte mir zum Abschied ein kurzes schiefes Grinsen.

„Bis Morgen, Bro!“, rief Marcus mir zu, bevor die beiden letztendlich in der Menschenmasse verschwanden und ich mich auf dem Weg zur meiner Bestrafung machte.

Die Flure wurden von Sekunde zu Sekunde leerer, da eigentlich jeder nach dem vierten Block Schulschluss hatte. Die einzigen, die sich noch freiwillig in der Schule herumtrieben, waren entweder wegen ihrer Clubs hier, oder hatten schlicht und ergreifend nichts besseres zu tun als nach der Schule in der Schule zu chillen. Im richtigen Stockwerk angekommen, bemerkte ich abrupt, wie leergefegt die Gänge plötzlich waren. Echt gruselig.

„Aua!“, zischte ich schmerzhaft. Auf einmal spürte ich aus dem Nichts heraus einen Schlag auf meinem Hinterkopf und schaute über meine Schulter, um die Ursache auszumachen.

„Hat es wehgetan? Hoffentlich hat es das!“, konterte niemand anderes als meine Mutter. Nachdem ich sie entdeckt hatte, beruhigte ich mich.

Schließlich war ich es gewohnt, von ihr 'mütterliche' Schläge zu kassieren, sobald ich etwas anstellte.

„Du hast davon gehört.“, stellte ich fest.

Ich war geliefert. Natürlich hatte sie es gehört. Dieser Idiot von Lehrer ist bestimmt sofort nach dem Unterricht im Lehrerzimmer auf sie zugegangen. Unter den Lehrern war die Verwandtschaft zwischen Ms. Young und Jayson Young kein Geheimnis. Solange meine Mutter mich nicht unterrichtete, sah die Schulleitung auch kein Problem darin. Von meinen Freunden wusste es Lacie und Marcus, die anderen nicht. Ich befürchtete, dass meine Leistungen an dieser Schule auf einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden würden, wenn Schüler davon wüssten.

„Nein, ich hab nicht bloß davon gehört. Drei, es brauchte insgesamt drei Lehrer. Drei Lehrer um mich abzuhalten, dir den Schädel von deinen Schultern zu schlagen!“, packte sie aus und schlug mir gleich daraufhin auf die Schulter, was mich allerdings zum Schmunzeln brachte.

„Mir mitten in der Schule den Kopf umzudrehen, würde dich deinen Job kosten. Außerdem dürfen Lehrer Schüler nicht körperlich verletzen.“

„Nichts geht über die Liebe einer mütterlichen Faust. Jetzt erzähl, ich möchte die Geschichte aus deiner Sicht hören“, verlangte sie und lief an mir vorbei, sodass ich ihr folgen musste.

„Immerhin“, murmelte ich, als ich ausatmete und ihr erzählte, was aus meiner Sicht vorgefallen war. Währenddessen kamen wir im „Bestrafungsraum“ an, wo Mom mir die Tür öffnete.

„Okay, vielleicht habe ich überreagiert, weil Mr. Finsters Story etwas … anders klang“, gab sie endlich zu, während ich mich an einen der vielen Tische setzte.

„Vielleicht? Ist das deine typische Art, dich zu entschuldigen?“, neckte ich meine Mutter.

„Ich habe nie behauptet, dass ich mich entschuldigen will“, sagte sie mit einem schiefen Grinsen. „Wie auch immer, du bist nicht der einzige, der heute nachsitzen muss. Also mach mir keinen Ärger, während ich ihn kurz abhole.“

„Ein bisschen mehr Vertrauen in deinen Sohn wäre auch nicht schlecht“, rief ich ihr nach als sie zurück zur Tür ging. Doch an der Schwelle blieb sie kurz stehen und blickte mich über ihre Schulter an.

„Gib mir einen Grund, dann können wir weitersehen“, antwortetet sie höhnisch, schloss die Tür hinter sich zu und ließ mich allein.

Nun waren es nur noch meine Gedanken und ich. Ich mochte es nicht, allein zu sein, weil ich sonst nicht aufhören konnte zu denken. Zwar liebte ich die Ruhe und unter Menschen wurde ich manchmal unruhig. Dennoch, je mehr Zeit ich mit nachdenken verschwendete, desto düsterer wurde meine Stimmung. Dieses Schuljahr war mein letztes an dieser Schule. Bereits im Sommer musste ich mich der schutzlosen Welt stellen, wo ich nicht mehr wie ein Kind behandelt werden würde. Anderen würde es wahrscheinlich sehr gut gefallen, endlich als junger Erwachsener angesehen zu werden. Bei mir löste dieses Gefühl jedoch Angst aus - Angst vor der Zukunft, Angst vor der Ungewissheit, Angst, der Welt ausgeliefert zu sein.

Ich wusste nicht einmal, womit ich in Zukunft mein Geld verdienen würde, ob ich studieren oder direkt nach der Schule einem Job nachgehen wollte. Die an meiner Schule denken bestimmt, dass ich von einer Basketballkarriere und der NBA träume. Basketball hält mich bei Laune, ich bekomme einen freien Kopf und letztendlich liegt es mir sehr. Jedoch macht es mich nicht glücklich - oder zumindest nicht mehr. Um ehrlich zu sein, bedrückt mich etwas, doch ich kann mir selbst nicht erklären, worum es sich dabei handelt. Insgeheim wünschte ich mir eine Pause, eine Pause von allem.

Tief in meinem Selbstmitleid versunken, bemerkte ich kaum, wie meine Mutter zurückkehrte.

Hinter ihr der andere Schüler, der wohl ebenfalls Mist gebaut hatte.

Als meine Mutter einen Schritt zur Seite machte, war ich in der Lage, ihm ins Gesicht zu schauen. Zunächst wunderte ich mich, wieso mir dieses ovalförmige Gesicht so bekannt vorkam. Diese Stupsnase, seine zarten Lippen mit rundem Amorbogen und diese Augen, die eine Wärme ausstrahlten und mich hypnotisierten.

Diese dunkelbraunen Augen, die, zusammen mit seinen schwarzen Haaren, meinen Atem zum Stocken brachten.

Kapitel 3

Car Ride

Levi

Ich verfluchte mich selbst dafür, dass ich im Unterricht eingeschlafen war. Ohne mein Missgeschick müsste ich nicht hier sitzen, mit Jayson Young. Obwohl ich es nicht wollte, erfuhr ich bereits innerhalb kürzester Zeit eine Menge über ihm. Meine Geschichtslehrerin war zufällig auch seine Mutter, wodurch derselbe Nachname nun Sinn ergab. Zusätzlich wusste ich durch diese kleine Information nun seinen Namen, der nicht besser zu ihm hätte passen können. Oft erwischte ich mich dabei, wie ich unaufmerksam zu ihm herüberschielte. Na ja, ich hoffte, es war unauffällig.

Jayson saß einen Tisch weiter entfernt, stützte seinen Kopf auf seiner Hand ab und guckte aus dem Fenster. Es war echt unfair, dass er selbst bei so etwas Simplen nicht an Attraktivität verlor. Jetzt, wo ich seine Mutter kannte, die gegenüber von uns am Lehrertisch Papierkram erledigte, überraschte mich sein Aussehen nicht mehr. Irgendwie fühlte es sich seltsam an, so über eine Lehrerin zu denken, doch es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ihr Sohn seine Schönheit nicht von ihr geerbt hatte.

Die Zeit verging leider zu langsam. Innerlich wurde ich von Sekunde zu Sekunde nervöser, da ich mich im selben Raum mit dem Jungen befand, der mir seit vergangenem Wochenende schwer aus den Kopf ging. Den ganzen Tag bin ich ihm nicht über den Weg gelaufen, doch jetzt landete ich mit ihm zusammen beim Nachsitzen? Das Schicksal meinte es nicht sonderbar gut mit mir.

Zum wiederholten Mal glitt mein Blick über ihn. Worüber er wohl nachdachte? Ich schaute ebenfalls aus dem Fenster, aber was ich entdeckte, brachte mich nicht zum Lächeln. Die Wolken wurden viel dunkler als heute Morgen und die Blätter der Bäume tanzten im Wind. So sehr ich Regen auch liebte, ich wollte nur ungern durch den Regen nach Hause laufen. Der Bus, der an unsere Schule hielt, fuhr nicht bis zu meiner Haustür und Lust auf einen Umweg hatte ich ebenfalls nicht. Letztendlich blieb mir wohl keine andere Wahl, weil es, wie aufs Stichwort, zu nieseln anfing. Mit der Zeit wurde der Regen stärker. Die Bäume und Pflanzen tanzten heftiger als vorhin. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Ms. Young genauso nach draußen schaute.

„Vergesst das Nachsitzen, okay? Macht lieber, dass ihr so schnell wie nur möglich nach Hause kommt. Ich will nicht Schuld daran sein, dass ihr krank werdet.“

Meinte sie das ernst? Fragwürdig starre ich Ms. Young an, doch Jayson schulterte augenblicklich seinen Rucksack auf und war bereit aufzubrechen.

„Geht. Na los“, lächelte sie barmherzig. Wie ich bereits sagte, sie war definitiv meine Lieblingslehrerin.

Jayson und ich machten uns ohne weiteres auf den Weg nach draußen. Erleichtert atmete ich auf bei dem Gedanken, gleich von ihm getrennt zu sein. Wir würden beide unserer Wege gehen, uns nicht mehr über den Weg laufen und ich würde mich nie wieder von Aliyah zu einem weiteren Spiel zerren lassen. Letztendlich war er schließlich ein Senior. Nach diesem Schuljahr würde ich ihn niemals mehr zu Gesicht kriegen und diese komischen Gefühle würden hoffentlich mit ihm verschwinden.

In den nächsten zwei Jahren bis zu meinem Abschluss wollte ich genauso unsichtbar bleiben wie all die Jahre zuvor. Aufmerksamkeit führte bloß zu falschen Freunden. Flasche Freunde bringen negative Energien, die ich mal so gar nicht gebrauchen konnte. Negative Energien waren wiederum Gift für meine Gesundheit, die an erster Stelle stand.

Mittlerweile hatte mich Jayson mit seinen langen Beinen überholt und war wahrscheinlich schon draußen in der Freiheit. Eigentlich war ich überhaupt nicht klein. Dieser Jayson ließ mich bloß klein wirken, weil er so ein Gigant war. Basketballspieler waren in der Regel eh alles Riesen.

Zu meinem Bedauern hatte der Regen nicht nachgelassen. Er wurde eher schlimmer. Verzweifelt blieb ich im Gang des Erdgeschosses stehen und beobachtete das Geschehen vor mir. Eine andere Wahl als zu laufen hatte ich nicht, dachte ich zumindest.

Aus dem Nichts heraus tauchte plötzlich Jayson neben mir auf, weswegen ich schreckhaft zusammenzuckte.

„Wie kommst du nach Hause?“, hörte ich ihn fragen. Völlig verwirrt schaute ich über meine Schulter, um zu sehen, ob jemand hinter mir stand. Allerdings waren wir die einzigen im Gang. Sprach er wirklich mit mir!?

Auf einmal kam meine Schüchternheit wieder zum Vorschein. Während ich in sein besorgtes Gesicht blickte, bekam ich kein Wort über die Lippen.

„I-ich l-laufe“, stotterte ich mit zittriger Stimme und verdrehte innerlich meine Augen. Besonders bei fremden Menschen fing ich plötzlich mit dem Stottern an, sobald ich mich unwohl fühlte. Skeptisch zog er eine Augenbrache hoch, nachdem er kurz durch die Fensterscheibe blickte.

„Komm, ich fahr dich“, seufzte er letztendlich und lief vor. Schuldgefühle machten sich sofort in mir breit. Ich wollte ihm keine Last sein. Alles, nur das nicht.

„Nein, spare dir dein Benzin. Ich wohne nicht weit“, widersprach ich ihm, doch Jayson gab sich nicht so leicht geschlagen. Er hielt mich an meiner Schulter fest und drehte mich so, dass wir uns gegenüber standen. Unfreiwillig bot sich mir erneut die perfekte Gelegenheit, Jayson in die Augen zu blicken. Genau wie damals erwischte ich mich selbst dabei, wie ich ihm viel zu lange in seine braunen Augen starrte, die im Tageslicht noch heller erschienen.

„Bevor mir Loren den Kopf umdreht, 'verschwende' ich lieber Geld für Benzin und jetzt komm.“ Meine Proteste ignorierte er geschickt und hielt mich nun am Arm fest, damit ich bloß nicht abhaute. Mit seinen langen Beinen würde er mich eh einholen.

Innerhalb von Sekunden durchnässte mich der Regen. Ich konnte meine Augen kaum offen halten durch den starken Wind, weshalb ich mich unbewusst an Jayson klammerte. Allerdings hatte er mich nicht von sich gestoßen. Nur ein einziges Mal warf er einen Blick zu mir und schaute danach weiterhin geradeaus. Wir hetzten einmal über unseren Schulhof, wo sich die Parkplätze befanden. Ich hatte von Autos keinen blassen Schimmer, daher hatte ich auch keinen Plan, ob sein Wagen hochwertig war, doch das matt-schwarze Auto, vor dem wir zum Stehen kamen, beeindruckte mich zugegeben sehr.

Jayson stand plötzlich hinter mir und öffnete die Tür zum Beifahrersitz. Skeptisch blickte ich auf mich herab. Ich war völlig durchnässt und der Wagen wirkte nicht gerade billig. Am Ende versaute ich noch seine Sitze, dann musste er die Reinigung bezahlen und -.

„Hey, es ist nur ein Auto. Setz dich, bevor wir beide erfrieren“, versuchte Jayson mich zu überreden. Seine klappernden Zähne untermalten seine Aussage, was mich dazu veranlasste mit dem Grübeln aufzuhören. Ständig zerdachte ich die Dinge oder konnte mit dem Denken nicht aufhören.