Brücken zwischen sozialer Arbeit und diakonischer Theologie -  - E-Book

Brücken zwischen sozialer Arbeit und diakonischer Theologie E-Book

0,0

Beschreibung

Dieser Band will die Brücken, Schnittstellen und Berührungspunkte der beiden (sc. kirchlich und staatlich anerkannten) Qualifikationsanteile von Diakoninnen und Diakonen herausarbeiten. Gemeinsame Themen, Probleme und Aufgabenstellungen in Praxis und Theorie diskutiert er auf einem neuen Niveau interdisziplinärer Zusammenarbeit, zum Teil in gemeinsamer Autorschaft. Damit werden wesentliche Schritte getan, um die zwei bisher eher additiv behandelten Qualifikationen von Diakoninnen und Diakonen zu einer Doppelqualifikation zusammenzuführen, z. B. durch multidisziplinäre Reflexion des Verständnisses von Teilhabe, der Bedeutung von Emotionen, von Nähe und Distanz, interkultureller und interreligiöser Kompetenz, praktisch-theologischer und sozialarbeiterischer Methodik oder von sozialraumsensibler Geschichtsschreibung.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 449

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DIAKONAT – KIRCHE – DIAKONIE

Hrsg. im Namen des Verbandes Evangelischer Diakonen-, Diakoninnen und Diakonatsgemeinschaften in Deutschland e.V. von Dieter Hödl und Thomas Zippert

Band2

THOMAS ZIPPERT | Jutta Beldermann | Bernd Heide (Hrsg.)

BRÜCKENZWISCHEN

SOZIALER ARBEITUND

DIAKONISCHER THEOLOGIE

ZUR EIGENART DER SOZIALDIAKONISCHEN DOPPELQUALIFIKATION VON DIAKONINNEN UND DIAKONEN

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2016 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover: Zacharias Bähring, Leipzig

Satz: Steffi Glauche, Leipzig

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

ISBN 978-3-374-04660-7

www.eva-leipzig.de

VORWORT

Diakoninnen und Diakone sind wichtig für die aktive Gestaltung der diakonischen Kirche der Zukunft. Wicherns Perspektive – Diakoninnen und Diakone stehen kraft Amtes für Gottes Leidenschaft für die Armen1 – bekommt im Rahmen des gesellschaftlichen Auftrages, Inklusion zu gestalten, eine neue Bedeutung.

Der Sozialraum erweitert sich auch für Kirchengemeinden durch die Dezentralisierung diakonischer Arbeitsfelder. Diakonie wie Kirche stehen vor der Aufgabe, ihr Profil erkennbar zu gestalten. In diesem Prozess haben Diakoninnen, Diakone und Mitarbeitende im Diakonat verschiedene Rollen und Aufgaben als »Identitätsfördererinnen« und »Brückenbauer«.

Mit ihrer Berufung in ihr Amt tragen Diakoninnen und Diakone – als Teil des Diakonats der Kirche – tatkräftig dazu bei, »Christi Liebe in Wort und Tat zu verkündigen« und diakonische Identität in der fachlichen Arbeit ihrer Arbeitsbereiche zu gestalten.2

Das Studium Soziale Arbeit und Diakonik an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld ermöglicht von Anfang an, die doppelte Qualifikation als integrierte Qualifikation zu verstehen. Das gelingt durch den Ansatz, dass in vielen Modulen theologisch-diakonische Kompetenzen mit sozialpädagogischen verbunden werden.

Die Vermittlung der Studieninhalte, verbunden mit Praxiserfahrung und der Reflexion christlich-diakonischen Handelns, ermöglicht es, eine Identität als Diakonin und Diakon zu bilden. Diakonische Professionalität wird mit dem Studienabschluss erworben und führt mit der Einsegnung in das Amt zur Beauftragung für den Dienst in der diakonischen Kirche.

Von Studienbeginn an ist die Begleitung durch Diakonische Gemeinschaften ein wichtiger Ort für Studierende. Sie sind zusammen mit der wissenschaftlichen Ausbildung Orte der Reflexion für diakonisch gelebte Identität und geben Zuversicht für das Gelingen – in allen Veränderungen und Gestaltungsaufgaben. Diakonische Gemeinschaften sind damit ein wichtiges Netzwerk für Studierende, Fachkräfte, diakonische Unternehmen und die Kirchen, das sich kontinuierlich weiterentwickelt.

Herzlich danken wir den Herausgebern und Autoren des Werkstattbuches für das umfassende Herausarbeiten und Beleuchten dieser »Brücken zwischen sozialer Arbeit und diakonischer Theologie«. Wegweisend ist am Ende der einzelnen Kapitel die Herausarbeitung der zentralen Bedeutung von Diakoninnen und Diakonen für diese Prozesse. Ein wichtiges Arbeitsbuch für die Zukunft!

Heidi Albrecht

Geschäftsführerin VEDD

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Jutta Beldermann / Thomas Zippert

Einleitung

TEIL 1: WARUM BRAUCHEN WIR DIAKONINNEN UND DIAKONE? – GRUNDLAGEN

Jutta Beldermann

Diakonische Qualität kirchlichen Handelns

Warum braucht die Kirche Diakoninnen und Diakone?

Dierk Starnitzke

Kirchliche Identität und Pluralität

Zu den Folgen von Inklusion für die Diakonie

Werner Arlabosse

Das diakonische Profil aus dem Blickwinkel eines diakonischen Unternehmens

Wolfgang Roos-Pfeiffer

Aus / auf gutem Grund

Diakonische Gemeinschaften

TEIL 2: WAS ZEICHNET DIAKONINNEN UND DIAKONE AUS? – THEORETISCHE BEGRÜNDUNG FÜR EINE INTEGRIERTE QUALIFIKATION

Thomas Zippert

Teilhabe

Zu einem Grundbegriff einer Theologie der Diakonie

Dierk Starnitzke

Diakonisches Handeln religiös deuten

Zur Profilierung funktional differenzierter diakonischer Organisationen

Bernd Heide-von Scheven / Frank Dieckbreder

Integrierte statt doppelte Qualifikation

Zum Verhältnis von Sozialer Arbeit und Diakoniewissenschaft

Christian Schwennen

Diakon – warum das denn? Christ sein – warum eigentlich nicht?

Michael Postzich

Emotion und Diakonie (1)

Gefühle, soziale Arbeit und die theologische Ausbildung von Diakoninnen und Diakonen

Michael Postzich

Emotion und Diakonie (2)

Zum Verhältnis von Mitgefühl und Zweckrationalität in diakonischer Praxis

Alla Koval

Das Oszillieren zwischen Nähe und Distanz

Zur emotionalen Dimension des sozial-diakonischen Handelns

TEIL 3: WIE SIEHT EIN ENTSPRECHENDES STUDIUM AUS? – PRAKTISCHE UMSETZUNGEN

Jutta Beldermann / Bernd Heide-von Scheven

Kommunikatives Cross-Over

Methoden der Sozialen Arbeit und Gottesdienst

Alla Koval / Thomas Zippert

Interkulturelle und/oder interreligiöse Kompetenz

Ein Dialog zwischen Theologie und Sozialarbeitswissenschaft

Frank Dieckbreder / Thomas Zippert

Sozialraumsensible Geschichtsschreibung

Zur didaktischen Herausforderung, Theorie und Geschichte von Sozialer Arbeit und Diakonie gemeinsam zu lehren

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Fußnoten

EINLEITUNG 

Jutta Beldermann / Thomas Zippert

Die Idee zu diesem Werkstattbuch ist entstanden während der Kooperationssitzungen der Lehrenden des Studiengangs »Diakonie im Gemeinwesen / Soziale Arbeit und Diakonik (B. A.)« mit Vertretern der beiden kooperierenden Diakonischen Stiftungen und Gemeinschaften, für die dieser Studiengang einen Teil des Nachwuchses ausbildet. Es sind die Diakonische Gemeinschaft Nazareth im Verbund der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel und die Brüder- und Schwesternschaft des Wittekindshofes (der Diakonischen Stiftung Wittekindshof) in Bad Oeynhausen. Beide Gemeinschaften sind über die mit ihnen verbundenen Träger auch Träger der »Fachhochschule der Diakonie gemeinnützige GmbH« in Bielefeld. Im Kontext der Überlegungen zur Reakkreditierung des Studiengangs entstanden grundsätzliche Rückfragen an die spezifische Art und Weise, wie an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld die für Diakoninnen und Diakone seit den 1970er Jahren verpflichtende sog. »Doppelte Qualifikation« sozialarbeiterischer1 und theologisch-diakonischer Kompetenz umgesetzt wird und zukünftig im modifizierten Studiengang »Diakonie im Sozialraum Diakonik und Soziale Arbeit B. A.« gestaltet werden soll.

Ausgangslage ist, dass in beiden Qualifikationsbereichen jeweils eigene, mehr oder weniger ausgearbeitete Standardisierungen in Geltung sind. Für die Soziale Arbeit hat dies der Fachbereichstag Soziale Arbeit getan, dessen für den Erwerb der Staatlichen Anerkennung als Sozialarbeiter/in nötige Standardisierungen allerdings in jedem Bundesland etwas anders umgesetzt werden: Es ist dies der Qualifikationsrahmen Soziale Arbeit [QR SArb] Version 5.1 vom 4.12.2008.2

Für die Ausbildung zum Diakon bzw. zur Diakonin sind dies die landeskirchlichen Gesetze, die allerdings einer dringenden Anpassung bedürfen3, sowie für die Seite der Ausbildung die sog. Kompetenzmatrix »Was sollen Diakoninnen und Diakone können? Kompetenzmatrix für die Ausbildung von Diakoninnen und Diakonen im Rahmen der doppelten Qualifikation«.4

Entstanden ist die Notwendigkeit der sog. Doppelten Qualifikation im Gefolge der Gründung von Fachschulen und Fachhochschulen Anfang der 1970er Jahre, die eine ursprünglich einheitliche, meist fünfjährige Ausbildung von (damals nur) Diakonen sowohl inhaltlich wie meist auch institutionell auseinanderriss zum einen in einen fachlichen Teil (meist Fachschulen bzw. Fachakademien), für die der Staat die Standards (Lehrpläne, Prüfungsordnungen usw.) definierte, die zur Verleihung einer staatlichen Anerkennung als Erzieher, Sozialarbeiter u.a. führen. Auf Seiten von Diakonie und Kirche blieb so zum anderen eine theologisch-diakonische ›Rumpf- bzw. Restausbildung‹, für die sich Landeskirchen und Trägereinrichtungen der Diakonenausbildung die Verantwortung teilten.

Auf unterschiedliche Weise wurden diese theologisch-diakonischen und oft auch gemeindepädagogischen Ausbildungsanteile mit den jetzt boomenden Fachschul- und später Fachhochschulausbildungen additiv kombiniert. Prägend war hier zunächst das Ludwigsburger »Sandwich-Modell«, das auch im Rahmen des Landeskirchenverbundes der »Evangelischen Kirche der Union« (jetzt »Union der evangelischen Kirchen«) übernommen wurde. Es legte die Diakonenausbildung wie einen Rahmen um die Fachausbildungen, hielt aber beide Ausbildungsanteile relativ getrennt voneinander bzw. überließ die Synthese den einzelnen Absolventinnen und Absolventen.

Die Gründung weiterer kirchlicher Fachhochschulen in den 1990er Jahren, die Heraufsetzung der Ausbildungsstandards in einigen Berufsfeldern (v. a. der Jugendhilfe) und schließlich der Bolognaprozess der Europäischen Union erforderten und ermöglichten seit den 2000er Jahren eine Neujustierung.5 Nachdem von Rainer Merz sowohl die Forderung der »Kongruierung« beider Kompetenzbereiche erhoben wie auch deren Paradoxien klar beschrieben wurden,6 konnten im Rahmen modularisierter Studiengänge endlich Wege gesucht werden, die beide Kompetenzbereiche wieder näher zueinanderbrachten und enger als vorher miteinander verschränkten und integrierten. An jedem Ort, der Diakoninnen und Diakone auf Fachhochschulebene ausbildete, wurden und werden dafür eigene Konzepte entwickelt, die notdürftig durch das Dach der Kompetenzmatrix von 2004 zusammengehalten werden. Es besteht begründete Hoffnung, dass eine von der EKD, den diakonischen Anstellungs-, sowie den Ausbildungsverantwortlichen beschickte »Fachkommission 3«7 hier in den nächsten Jahren für einen fundierten Erfahrungsaustausch und hoffentlich für Konvergenz der Integrationsmodelle sorgen wird. Die dieser Fachkommission vorausgegangene »EKD-Ad-hoc-Kommission« hat jedenfalls festgehalten, dass für die untrennbare, aber unterschiedlich zu gewichtende Trias an Kompetenzen »Bilden – Unterstützen – Verkündigen« eine »interdisziplinäre Ausrichtung der Lehre« Grundvoraussetzung und der Grad der Interdisziplinarität ebenso ein Qualitätsmerkmal ist wie unterschiedliche Arten von doppelten Qualifikationen.8

Freilich stehen viele in diesem Feld am Anfang, denn vollzogen ist die Integration beider Kompetenz- bzw. Ausbildungsbereiche an keinem Ort. Weder gibt es eine ausgearbeitete Form evangelischer Sozial- oder Diakonietheologie, noch gibt es eine Soziale Arbeit, die sich ihrer spirituellen Dimensionen ebenso bewusst ist wie ihrer diakonischen (Teil-)Wurzeln und die um die Vielfalt der Mandate und Aufträge, Begründungen und Zielsetzungen der Arbeit mit Menschen weiß, die auf diese oder jene Weise auf Hilfe angewiesen sind, um wieder frei und selbstbestimmt handeln zu können, ohne die tragende Kraft von Liebe und Bindung negieren oder entbehren zu müssen.9

Vollständig wird eine Integration beider Bereiche nicht sein dürfen, da dies sowohl die staatliche wie die kirchliche Anerkennung gefährdet. Im Gegenteil: Gegenwärtig mehren sich sogar die Anzeichen, und einige davon sind auch hier in diesem Band erkennbar, dass für die Arbeit in »multirationalen« bzw. »hybriden Organisationen« – also solchen Organisationen, die zugleich nach unterschiedlichen Logiken und Rationalitäten funktionieren10 – Mitarbeitende besonders wertvoll sind, die unterschiedliche Rationalitäten und Logiken beherrschen und miteinander vermitteln können, sei es, weil sie wissen, nach welchen unterschiedlichen Logiken Kirche und Sozialstaat arbeiten und entscheiden, oder sei es, weil sie sowohl unternehmerisches Handeln verstehen als auch die vollkommen anders »tickenden« Rationalitäten im Sozial- oder Nahraum sozialer Arbeit, geschweige denn im Intimbereich häuslicher Pflege und Unterstützung, oder sei es, weil sie die sehr spezifischen Unterschiede von Sozial- und Schulpädagogik kennen.

In diesem Kontext verstehen sich auch die meisten Texte dieses Bandes als Beiträge, die Schnittmengen bzw. Schnittstellen zu anderen Wissenschafts- und Kompetenzbereichen bzw. -verständnissen ausloten bzw. skizzieren, sei es allein oder sei es im direkten Dialog mit Fachkolleginnen und -kollegen. Viele dieser Texte und Ansätze wurden gemeinsam entwickelt und oft leidenschaftlich diskutiert. Es waren besondere Momente gelingender Interdisziplinarität und Interprofessionalität, die in Welten sich eher versäulender und voneinander abgrenzender Eigenlogiken selten geworden sind und die Autorinnen und Autoren ermutigt, ja beflügelt haben, ihre mehr oder weniger vorläufigen Positionen und Ideen in einem Werkstattbuch zur Diskussion zu stellen. Die Autorinnen und Autoren sind sich bewusst, dass sie alle weiterentwicklungsbedürftig sind.11 Sie wollen es aber auch selber sein und laden also hiermit zu weiterem Dialog ein!

Teil 1 widmet sich den Grundlagen dieses Studiengangs aus der Perspektive der Kirchengesetzgebung (Jutta Beldermann), aus der Analyse der gegenwärtigen Gesellschaft (Dierk Starnitzke), den Interessen eines diakonischen Unternehmens (Werner Arlabosse) und aus dem Blickwinkel Diakonischer Gemeinschaften (Wolfgang Roos-Pfeiffer).

Teil 2 geht der Frage nach, wie sich eine integrierte doppelte Qualifikation begründen lässt und was infolgedessen Diakoninnen und Diakone auszeichnet. Thomas Zippert und Dierk Starnitzke legen mit unterschiedlichen Ansätzen dar, warum doppelte und mehrfache Qualifikationen für die diakonische Arbeit unvermeidlich und notwendig sind und welche Konsequenzen das für das Qualifikationsprofil von Diakoninnen und Diakonen hat; Starnitzke geht von der Leitunterscheidung Exklusion-Inklusion aus, Zippert von einem umfassenden Verständnis von Teilhabe – sie laden insofern zum direkten Vergleich der Ansätze ein. Bernd Heide-von Scheven und Frank Dieckbreder bringen unterschiedliche Professionalitätsdiskurse miteinander ins Gespräch, um die spezifische Form der hier angestrebten Professionalität zu umreißen. Vielleicht hilft der von der EKD-ad-hoc-Kommission vorgeschlagene Begriff der Interprofessionalität, festzuhalten, dass es sich um zwei Professionalitäten handelt, die gleichwohl miteinander interagieren. Christian Schwennen erdet mit seinen biografischen Reminiszenzen und Visionen, wie sich doppelte Qualifikation in Arbeit und Leben anfühlen und auswirken kann.

Michael Postzich, als Pfarrer und Psychologe selbst ein anderer »Fall« von Doppelqualifikation, führt am Beispiel der vielfältigen Diskurse um Emotion und Emotionalität vor, welche Auswirkungen das für die Theologie, die diese Themen in letzter Zeit eher sparsam bearbeitet, und für die Ausbildung von Diakoninnen und Diakonen haben kann. Alla Koval zeigt, angeregt durch diakonisch inspirierte Studierende, wie die Balance von professioneller Nähe und Distanz neu austariert werden kann.

Teil 3 führt exemplarisch für den »Studiengang Diakonie im Gemeinwesen/Soziale Arbeit und Diakonik« einige Konkretionen integrierten Zugehens aus unterschiedlicher Perspektive vor. Jutta Beldermann und Bernd Heide-von Scheven zeigen, wie sich zeitlich benachbarte Module erst zufällig, dann absichtlich gegenseitig befruchten, während Alla Koval und Thomas Zippert aufweisen, dass interkulturelle und interreligiöse Kompetenz zwar Schnittmengen haben und sich komplementär ergänzen, aber nicht aufeinander zurückführbar sind. Frank Dieckbreder und Thomas Zippert deuten im letzten Beitrag an, wie sich eigentlich sozial- und diakoniegeschichtliche Themen und Fragestellungen überschneiden müssten, dies aber mangels vorarbeitender Forschung noch nicht tun.

Literatur

Amthor, Ralph-Christian (2012): Einführung in die Berufsgeschichte der Sozialen Arbeit (Studienmodule Soziale Arbeit) Weinheim/Basel: Beltz Juventa.

Bubmann, Peter; Doyé, Götz; Keßler, Hiltrun u.a. (Hrsg.) (2012): Gemeindepäda- gogik. Berlin/Boston: de Gruyter.

Canda, Edward R.; Furman, Leola Dyrud (2010): Spiritual Diversity in social work practice. The heart of helping (2. Auflage), Oxford/New York: University Press.

Coates, John; Graham, John R.; Barbara Swartzentruber with Brian Ouellette (ed.) (2007): Spirituality and Social Work. Selected Canadian Readings, Toronto: Canadian Scholar Press.

Götzelmann, Arnd (2003): Evangelische Sozialpastoral. Zur diakonischen Qualifizierung christlicher Glaubenspraxis (Praktische Theologie heute 61). Stuttgart: Kohlhammer.

Haas, Hanns-Stephan; Wasel, Wolfgang: Hybride Organisationen – Antworten auf Markt und Inklusion. In: Hagemann, Tim (Hrsg.) (2013): Mitarbeiter führen und Entscheidungen verantworten, FS Martin Sauer, Lengerich, 70–84.

Hauschildt, Eberhard; Pohl-Patalong, Uta (2013): Kirche (Lehrbuch Praktische Theologie 4), Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) (Hrsg.) (2014): Perspektiven für diakonisch-gemeindepädagogische Ausbildungs- und Berufsprofile. Tätigkeiten – Kompetenzmodell – Studium (EKD-Texte 118; http:/​/​www.ekd.de/​download/​ekd_texte_118_ausbildung.pdf).

Krockauer, Rainer; Bohlen, Stephanie; Lehner, Markus (Hrsg.) (2006): Theologie und Soziale Arbeit. Handbuch für Studium, Weiterbildung und Beruf, München. Regensburg: Kösel.

Lechner, Martin (2000): Theologie in der Sozialen Arbeit: Begründung und Konzeption einer Theologie an Fachhochschulen für Soziale Arbeit. München: Don Bosco.

Merz, Rainer (2003): Auf der Suche nach einer speziellen Professionalität für Diakoninnen und Diakone in der kirchlich-diakonischen Sozialen Arbeit, in: Volker Herrmann, Rainer Merz, Heinz Schmidt (Hrsg.), Diakonische Konturen. Theologie im Kontext sozialer Arbeit (VDWI 18), Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 305–335.

Merz, Rainer (2008): Paradoxien professionellen diakonischen Handelns, in: Rainer Merz, Ulrich Schindler, Heinz Schmidt (Hrsg.), Dienst und Profession. Diakoninnen und Diakone zwischen Anspruch und Wirklichkeit (VDWI 34), Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 112–133.

Mutschler, Bernhard; Hess, Gerhard (Hrsg.) (2014): Gemeindepädagogik. Grundlange, Herausforderungen und Handlungsfelder der Gegenwart. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

Roser, Traugott; Borasio, Gian Domenico (2015): Spiritual Care: Ethische, organisationale und spirituelle Aspekte der Krankenhausseelsorge. Ein praktisch-theologischer Zugang. (Münchner Reihe Palliativmedizin). 2. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer.

Schmidt, Heinz; Hildemann, Klaus D. (Hrsg.) (2012): Nächstenliebe und Organisation. Zur Zukunft einer polyhybriden Diakonie in zivilgesellschaftlicher Perspektive. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

Zippert, Thomas (2013): Die Geschichte der Ausbildung von Diakoninnen und Diakonen, in: Reinhard Neumann (Hrsg.), In Zeit-Brüchen diakonisch handeln 1945–2013, Bielefeld: Luther Verlag, 447–488.

TEIL 1: WARUM BRAUCHEN WIR DIAKONINNEN UND DIAKONE? – GRUNDLAGEN 

DIAKONISCHE QUALITÄT KIRCHLICHEN HANDELNS

Warum braucht die Kirche Diakoninnen und Diakone?

Jutta Beldermann

Kirche kommt als Gemeinschaft der Gläubigen (CA VII) im Grunde ohne beruflich Mitarbeitende aus. Kirchliche Berufe, wie z.B. der Pfarrer- und der Diakonenberuf, sichern jedoch die Qualität der von Kirche und diakonischen Einrichtungen verantworteten Arbeit.

Der Artikel legt dar, wie sich der Bedarf an Qualität insbesondere in den Sozialräumen einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft darstellt, wie Kirche und diakonische Organisationen dieser Anforderung in organisationaler Verantwortung begegnen und welche Rolle dabei die doppelte Qualifikation der Diakoninnen und Diakone spielt. Dabei wird deutlich, wie dringend Kirche und Diakonie gerade in den aktuellen Herausforderungen Diakoninnen und Diakone brauchen.

1 DIE KIRCHE BRAUCHT DIAKONINNEN UND DIAKONE ZUNÄCHST EINMAL NICHT!

Die Evangelische Kirche1 »trägt die Verantwortung für die lautere Verkündigung des Wortes Gottes und für die rechte Verwaltung der Sakramente«.2 Ebenso hat die Kirche(-ngemeinde) »den Auftrag zur Seelsorge, zur diakonischen Arbeit, zum missionarischen Dienst sowie zur Pflege der ökumenischen Gemeinschaft der Kirchen«.3

Zur Erfüllung des oben beschriebenen Auftrages, d.h. »zum Zeugnis und Dienst in der Welt«, sind »alle Christinnen und Christen« auf Grund der Taufe berufen.4 Der kirchliche Auftrag gilt allen. Allerdings verpflichtet die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) die Kirchengemeinden, »zur Erfüllung des Auftrages Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, zu befähigen und zu begleiten, die nötigen Ämter und Dienste einzurichten sowie für Angebote der Fortbildung zu sorgen«.5 Aber auch »alle Ämter und Dienste dienen der Erfüllung dieses Auftrages«.6

Dass die »Versammlung aller Gläubigen«7 auch heute zur Erfüllung ihres Auftrages nur wenige beruflich Mitarbeitende braucht, ist mit einem Blick in die weltweite Ökumene schnell belegt. Die chinesische protestantische Kirche z.B. hat im Vergleich zu ihrer Mitgliederzahl nur einen sehr geringen Anteil an Pfarrerinnen und Pfarrern und anderen Berufsgruppen und erfüllt ihren Auftrag in der überwiegenden Mehrheit mit ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die hoch engagiert ihr Zeugnis geben und ihren Dienst tun.

Die Kirchenordnung der EKvW geht in Artikel 9 davon aus, dass es unter »allen« Christinnen und Christen, die zum Zeugnis und Dienst in der Welt verpflichtet sind, auch Menschen geben muss, die zur Erfüllung des Auftrages in besonderer Weise befähigt und ggf. auch aus-, fort- und weitergebildet werden. Dabei geht es um Qualität. Wenn die Kirche die Erfüllung ihres Auftrages ernst nimmt, dann braucht es Qualität; ja mehr noch: Dann muss die Qualität gesichert werden. Damit sie selbst die Sicherung der Qualität überprüfen und auch gewährleisten kann, stellt die Kirche8 Menschen ein, erlässt Bestimmungen für ihre Ausbildung, nimmt Prüfungen ab und beauftragt Mitarbeitende, die dazu ausgebildet sind, mit besonderen Diensten.9

Dabei macht die Kirchenordnung der EKvW deutlich, dass viele verschiedene Berufsgruppen im Auftrag der Kirche tätig sind und dass auch mit dem Dienst im diakonischen Arbeitsfeld nicht allein Diakoninnen und Diakone beauftragt werden. Sie nennt auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gemeindepflege- und Diakoniestationen, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, »die an der Erfüllung des diakonischen Auftrages mitwirken«.10

2 DIE KIRCHE BRAUCHT QUALITÄT

Auch in der chinesischen protestantischen Kirche machen Gemeindeglieder, Presbyterien und Leitungsgremien die Erfahrung, dass die Arbeit, unabhängig davon, ob sie ehrenamtlich oder (in wenigen Fällen) beruflich ausgeübt wird, theologische und andersfachliche Qualität braucht. So finanzieren etwa kleine Landgemeinden die theologische Ausbildung ihrer ehrenamtlichen Pfarrerinnen und Pfarrer, damit ihre Predigten, ihre Gottesdienste und ihre seelsorgerliche Arbeit verbessert werden.

Es geht also um Qualität in der Erfüllung des kirchlichen Auftrages und um die berufliche Sicherung von Qualität in den Arbeitsfeldern der Kirche. Von der Kirche an einer anerkannten Ausbildungsstätte ausgebildete und geprüfte Diakoninnen und Diakone sichern die Qualität der Erfüllung des diakonischen Auftrages »in Sozial- und Bildungsarbeit, in pflegerischen und erzieherischen Tätigkeiten sowie in Verkündigung, Seelsorge«.11 Selbstverständlich kann Qualität auch durch ehrenamtliche Tätigkeit gewährleistet werden, insbesondere dann, wenn ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine entsprechende Ausbildung mitbringen und/oder besonders fortgebildet werden. Die hauptberufliche Anstellung erfordert allerdings eine fachlich und planerisch gesicherte Qualität und Qualitätssicherung.

Beruflich und ehrenamtlich Tätige haben eine eigene persönliche Verantwortung für die Qualität ihrer Mitarbeit in Kirche und in diakonischen Einrichtungen. Dies reicht jedoch nicht aus und überfordert die personale Verantwortung der Mitarbeitenden. Daher haben Kirche und diakonische Organisationen darüber hinaus eine organisationale Verantwortung für die Sicherung dieser Qualität. Die Qualitätsebenen unterscheiden sich in der fachlichen Ausbildung und durch die jeweilige Beauftragung durch Kirche/Diakonie. Beides ist für die Sicherung der Qualität von Bedeutung:

Personale Verantwortung

Organisationale Verantwortung

Grundlegende theologische »Qualität«

Taufe (Alle Christen sind zum Zeugnis und Dienst in der Welt berufen, KO EKvW, Art18)

Taufe (KO EKvW, Art. 18) Beruflich tätige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Pfarrerinnen und Pfarrer, Diakoninnen und Diakone u.a.) begleiten die Kirchenmitglieder

Fachliche Qualität

Teilnahme an Aus-, Fort-, und Weiterbildung: Befähigung zur Ausübung von Tätigkeiten auf unterschiedlichen Qualitätsebenen

Standards für Fachlichkeit Anerkennung von Curricula durch kirchliche und diakonische Träger Verantwortung für kirchliche Prüfungen (z.B. Theologisches Examen, Diakonenexamen durch die EKvW) auf der Grundlage von Prüfungsordnungen, Richtlinien etc.

Sicherung der Qualität der ehrenamtlichen Tätigkeit

Ehrenamtliche Tätigkeit generell

Begleitung durch Fachpersonal (s. o.)

Beantragung besonderer Beauftragungen

Verfahren für besondere Beauftragungen auf Antrag (z.B. Prädikantengesetz12)

Sicherung der Qualität der beruflichen Tätigkeit

Berufliche Tätigkeit generell

Verständigung auf und Bekanntmachen von Berufsbildern (z.B. Pfarrbild, Berufsbild Diakonin/ Diakon, Gemeindepädagogin/ Gemeindepädagoge)

Kirchliche Beauftragung/ Anstellungsfähigkeit/ Ordination/ Einsegnung/ Vokation Berufliche Begleitkonzepte (z.B. Pfarrkonvente, Diakonische Gemeinschaften etc.)

Beantragung besonderer Beauftragungen

Verfahren für besondere Beauftragungen (z.B. Prädikantengesetz, Seelsorgegeheimnisgesetz)13

3 QUALITÄTSSICHERUNG DURCH DOPPELTE QUALIFIKATION IN ZEUGNIS UND DIENST

Die »diakonische Arbeit«14 gehört zum Auftrag der Kirche(-ngemeinde). Diakonie, so formuliert dies umgekehrt das Diakonengesetz der Evangelischen Kirche der Union,15 »ist in dem Auftrag der Kirche begründet, Zeugnis von Jesus Christus in der Welt zu geben. Dienst der helfenden Liebe und Dienst mit dem Wort gehören untrennbar zusammen«.16 Entsprechend bedeutet Qualität, Sorge dafür zu tragen, dass im diakonischen Arbeitsfeld qualitativ hervorragende »helfende Liebe« erlebt werden kann und dass dies nicht von der qualitativ hervorragenden Verkündigung des Evangeliums getrennt wird.

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen unserer Gesellschaft – Umbau des Sozialstaates unter zivilgesellschaftlichen Aspekten, hoher Anspruch an Dienstleistungen, weitgehend beruflich organisierte Diakonien und das alles »in einer »pluralistischen Welt«17 – bedeuten Qualität und Qualitätssicherung, Mitarbeitende in Kirche und Diakonie für beide Aspekte (Zeugnis und Dienst) so gut wie möglich auszubilden und sie außerdem zu befähigen, dafür zu sorgen, die beiden Aspekte auch zusammen denken und leben zu können, und dies nicht nur als Individuen, sondern als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter von Kirche und diakonischen Organisationen, die die organisationale Verantwortung dafür übernehmen, dass die Organisation selbst im oben beschriebenen Sinn dem Auftrag der Kirche entsprechen und Kirche sein und bleiben kann.

Weder eine diakonische Organisation noch eine Kirchengemeinde können heute selbstverständlich davon ausgehen, dass (alle) ihre beruflichen oder ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (unabhängig davon, ob sie Mitglieder der evangelischen oder einer anderen christlichen Kirche sind) christliche Grundlagen gut genug kennen, um sie z.B. in Diskussionen vertreten zu können, bzw. das nötige Wissen haben, um christliche Positionen fachlich begründen zu können, oder hinreichend kompetent sind, um z.B. christliche Spiritualität anleiten zu können.

Ebenso kann bei der Vielfalt der Milieus und Subkulturen, bei der Differenziertheit der Anforderungen im sozialen Bereich eine diakonische Einrichtung oder eine Kirchengemeinde nicht davon ausgehen, dass alle ihre beruflichen oder ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Lage sind, Menschen in ihrem Stadtteil/Sozialraum fachlich und methodisch angemessen anzusprechen und sie zu unterstützen (auch Pfarrerinnen und Pfarrer nicht).

Diakoninnen und Diakone sind also die für die Aufgabenvielfalt im kirchlich-diakonischen Arbeitsfeld mit seinen beiden Fachlichkeitsdimensionen (theologisch-kirchlich und sozialarbeiterisch-sozialpädagogisch-pflegerisch) die mit am besten ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und nicht nur dies: Sie sind durch ihre Einsegnung dazu auch in besonderer Weise durch die Kirche berufen und werden in ihrem Dienst von den diakonischen Gemeinschaften, deren Mitglieder sie sind, begleitet. Diese bieten ihnen geistliche, seelsorgerliche und fachliche Unterstützung und sorgen damit auch für den Erhalt der beruflichen und persönlichen Qualität.18

4 … UND SIE BRAUCHT SIE DOCH!

Qualität und Qualitätssicherung in der kirchlich begründeten Doppel-Aufgabe braucht Diakoninnen und Diakone, die in sehr unterschiedlichen Fachausbildungen diese »helfende Liebe«19 gelernt haben (z.B. in einer staatlich anerkannten dreijährigen Ausbildung oder einem Studium der Sozialen Arbeit, der Pflege, der Heilerziehungspflege, der Erziehung etc.) und die in einer zweijährigen theologisch-diakonischen Ausbildung das nötige theologische Fachwissen erworben haben, um dem Auftrag zu Verkündigung und Seelsorge angemessen gerecht werden zu können und um die beiden Aspekte des einen Auftrages zusammenbringen können. Damit sind sie insbesondere befähigt, die Kooperation zwischen Kirchengemeinden, diakonischen Einrichtungen und anderen Akteuren im Stadtteil bzw. den Sozialräumen mit christlich-theologischem Gepräge ausfüllen zu können, unabhängig davon, wer der Anstellungsträger ist.

Drei Beispiele:

Eine Diakonin ist in einer Kirchengemeinde angestellt. Sie hat gelernt, wie sie mit Menschen aus verschiedenen sozialen Milieus kommunizieren und wie sie sie fachlich und methodisch angemessen unterstützen kann. Ihre Arbeit, z.B. mit Familien, ist geprägt vom Verständnis des »Nächsten«. Das bringt sie verbal und non-verbal zum Ausdruck. Ebenso strahlen ihre spirituellen Angebote im Stadtteilcafé aus, dass sie sich in der Kultur und der sozialen Situation der Menschen auskennt und Kirche die richtige Sprache und den richtigen Stil für die Menschen in ihrer Umgebung findet.

Ein Diakon hat eine Stelle im Sozialdienst der Altenhilfe u.a. mit dem Auftrag für Andachten und Seelsorge. Er bringt alles mit, was ein Sozialarbeiter für die fachliche »helfende Liebe« braucht, aber er wird auch unterscheiden können, wann er als Sozialarbeiter und wann er als Seelsorger ein Gespräch führt oder wann in einem Ethikgespräch Fragen aus rechtlicher oder theologischer Sicht zu beantworten sind. Ebenso kann er milieugerecht die Menschen in der örtlichen Kirchengemeinde in die Arbeit in der Altenhilfe einbeziehen und so eine Brücke schlagen zwischen der diakonischen Einrichtung und der Gemeinde – auch was die Gemeinde-Gottesdienste betrifft, die mehrmals im Jahr in seiner Einrichtung stattfinden.

Eine Diakonin ist gemeinsam von einer Kirchengemeinde und von einem diakonischen Träger der Eingliederungshilfe angestellt. In einer der Wohngruppen, für die sie zuständig ist, lebt eine Frau mit körperlichen und geistigen Behinderungen, die sehr gerne singt. In der Kirchengemeinde gibt es einen Chor, der bereit ist, die Frau aufzunehmen. Allerdings ist das nicht einfach. Die Mit-Sängerinnen brauchen fachliche Unterstützung für den angemessenen Umgang, die behinderte Frau noch längere Zeit, bis sie sich auch von Mit-Sängerinnen abholen und nach Hause begleiten lässt. Die Kirchengemeinde hat inzwischen viele Angebote für die Menschen mit Behinderungen in ihrer Umgebung und die Bewohnerinnen und Bewohner der Wohngruppen für Menschen mit Behinderungen sind im Stadtteil gut integriert – ganz abgesehen davon, dass sich mit der Zeit eine ganze Reihe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der diakonischen Einrichtung in der Gemeinde engagieren.

5 DAS »MEHR« DER DOPPELTEN QUALIFIKATION

Der grundständige Studiengang »Diakonie im Sozialraum« an der Fachhochschule der Diakonie (Bielefeld/Bethel)20 bietet ein »Plus« an Qualität und die Möglichkeit der Qualitätssicherung. Absolventinnen und Absolventen lernen bereits in ihrer Ausbildung, soziale Arbeit in allen nötigen fachlichen Aspekten zu verstehen und gleichzeitig die Verbindung zu Theologie, Ethik, Spiritualität und gottesdienstlichem Handeln, Gemeindepädagogik und Seelsorge herzustellen. Oder umgekehrt: Theologie, Ethik, Spiritualität und gottesdienstliches Handeln, Gemeindepädagogik und Seelsorge zu »können« und dabei auch als Sozialarbeiterin/Pflegekraft/Erzieher zu denken, zu fragen und die Grenzen auszuloten, bringt ein »Mehr«, das Qualität schafft und Qualität sichern hilft in der Kirche wie in diakonischen Einrichtungen und in der Gesellschaft.

Insbesondere dort, wo Kirchengemeinden und diakonische Einrichtungen im Quartier, Stadt- oder Ortsteil zusammenarbeiten, liefert dieses »Mehr« darüber hinaus einen Beitrag für sozialräumlich orientierte Gemeindekonzeptionen.

»Glaube kann wachsen durch die Beteiligung Einzelner am kirchlichen Leben und durch die qualifizierte Begleitung von Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen und Lebensbezügen.«21 Kirche und Diakonie sind daher aufgefordert, sich auf unterschiedliche Sozialräume einzulassen und das Leben dort mitzugestalten, wo Menschen leben und wohnen. Aktive Beteiligung, Selbstbestimmung, Empowerment und Teilhabe (Inklusion) sind konzeptionelle Grundlagen einer sozialräumlichen Orientierung kirchlicher und diakonischer Arbeit. Kirchengemeinden in parochialer Struktur sind nicht nur Teil des Sozialraums, sondern bieten häufig die Struktur, den Sozialraum für viele Menschen gestaltbar zu machen. Durch entsprechende Angebote und Vernetzungsmöglichkeiten eröffnen Kirche und diakonische Einrichtungen nicht nur Gestaltungsmöglichkeiten im Sozialraum, sondern werden als Kirche erkennbar, insbesondere für Menschen, die Kirche in den sozialen Arbeitsfeldern – jedoch häufig nicht in den Kerngemeinden – begegnen.

Auswertungen von Umfragen wie z.B. der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD22 prognostizieren, dass sich die Kirchengemeinden in den nächsten Jahren in ihrer kerngemeindlichen Struktur stabil entwickeln, jedoch an den sog. »Rändern« abbröckeln werden. Das bedeutet, dass eine qualifizierte Präsenz im Sozialraum die Kirche gerade den Menschen näherbringen kann, für die es häufig ausdrücklich die diakonischen Aktivitäten der Kirche sind, die für sie eine Kirchenmitgliedschaft (noch) begründen. »Nur eine gute und breit aufgestellte fachliche Ausbildung gewährleistet die nötigen Voraussetzungen für eine angemessene Professionalität.« 23 Diakoninnen und Diakone können sie mitbringen!

Literatur

Perspektiven für diakonisch-gemeindepädagogische Ausbildungs- und Berufsprofile, EKD-Texte 118, 2014.

Engagement und Indifferenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis. V. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, hrsg. vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland. Hannover 2014 (www.ekd.de).

KIRCHLICHE IDENTITÄT UND PLURALITÄT

Zu den Folgen von Inklusion für die Diakonie

Dierk Starnitzke

Ausgehend von der globalen, entschränkten Geltung der Menschenrechte und der Leitunterscheidung »Inklusion/Exklusion« wird das Projekt einer radikalen Umstrukturierung der Gesellschaft hin auf umfassende Inklusion in den Blick genommen. Darauf hat sich neben der Kirche auf besondere Weise auch die Diakonie einzustellen, und zwar aus theologischen Gründen (v.a. im Anschluss an Röm 7 und Röm 11: Universalität des Erbarmens Gottes). Sie kommt von exklusiven Ansätzen her und fördert sie faktisch auch (Proprium, Zielgruppen mit spezifischen Hilfebedarfen, Heimstrukturen). Deshalb muss sie unter diesen Vorzeichen ihre diakonische Identität neu definieren und sich öffnen, z.B. in den Sozialraum und für nichtchristliche Mitarbeitende. Für die daraus entstehenden Identitätsfragen diakonischer Unternehmen sind Mitarbeitende mit besonderen Deutungs- und Gestaltungskompetenzen nötig, nämlich z.B. Diakoninnen und Diakone aufgrund ihres spezifischen Berufsprofils und ihres breiten Kompetenzspektrums.

1 DIAKONIE IM KONTEXT EINER PLURALEN GLOBALISIERTEN GESELLSCHAFT

Den grundlegenden Wandel der modernen Gesellschaft, der sich auch in Deutschland zunehmend vollzieht, kann man in einem bestimmten Kontext verstehen, und zwar im Rahmen der zunehmenden Globalisierung der Gesellschaft.

Zwei wesentliche Punkte dieser Entwicklung seien hier besonders in den Blick genommen. Der erste Aspekt besteht in der Formulierung der Menschenrechte, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Vereinten Nationen vom 10.12.1948 niedergelegt und seitdem durch sich anschließende Antidiskriminierungspapiere weiter konkretisiert worden ist. 1 Dadurch wird klar, dass Werte wie Freiheit und Selbstbestimmung prinzipiell für alle Menschen gelten, dass dieses deshalb aber auch für bestimmte Teile der Menschheit wie Kinder, Frauen oder Menschen mit Behinderungen nochmals explizit festgestellt werden muss, weil es für sie offenbar noch nicht selbstverständlich akzeptiert ist. 2

Der zweite Punkt hängt damit unmittelbar zusammen. Er wird durch die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion gesetzt. Der Begriff der Inklusion ist ja zurzeit noch in der Entwicklung. 3 Im hier betrachteten Kontext kann man ihn verstehen als selbstverständliche Einbeziehung aller Menschen in die weltweite Gemeinschaft derer, die die Menschenrechte genießen können. Ich möchte deshalb vorschlagen, dass es beim aktuellen gesellschaftlichen Wandel, der sich seit einigen Jahrzehnten anbahnt, im Kern um eine Durchsetzung der Vorstellung einer inklusiven Gesellschaft geht. Die Unterscheidung Inklusion/Exklusion könnte in diesem Sinne als eine Leitunterscheidung zur Charakterisierung der globalen und pluralen Gesellschaft fungieren.

Natürlich wäre dieses noch zu präzisieren, denn Inklusion ist ja ein durch die Tradition schon sehr geprägter Begriff. Er bezeichnete früher z.B. die Selbstabschließung eines Mönches von der Welt, indem er sich etwa sogar für eine gewisse Zeit einmauerte. Er ist dann ein »Inkluse«. 4 Umgekehrt meint der Begriff Inklusion in der heutigen Fachdiskussion z.B. der Behindertenhilfe, dass niemand aufgrund bestimmter Eigenschaften oder (fehlender) Fähigkeiten aus den gesellschaftlichen Zusammenhängen ausgeschlossen wird. Durch neuere Studien lässt sich dabei mit dem Ansatz der Dis/ability-Forschung zeigen, dass Behinderung auch eine »soziokulturelle Konstruktion« ist. 5 Begriffe wie Klasse, Geschlecht, Ethnizität oder auch Behinderung können in dieser Hinsicht als Konstruktionen sozialer Ungleichheit durch die Gesellschaft selbst verstanden werden.

Der Gedanke der Inklusion geht insofern weit über die Frage der Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen hinaus. Er lässt sich auf alle Menschen beziehen und versucht, sie unabhängig von Geschlecht, Lebensalter, religiöser oder ethnischer Herkunft, sexueller Präferenz oder Behinderungsgrad in einer im Prinzip weltweit zu denkenden Gesamtgesellschaft einzubeziehen.6 Exklusion wäre dann einerseits negativ zu verstehen als Ausgrenzung solcher Gruppierungen aus den gesellschaftlichen Zusammenhängen, was beinhaltet, dass sie benachteiligt werden und ihre Menschenrechte nicht in vollem Umfange wahrnehmen können. Andererseits kann der Begriff Exklusion aber auch positiv verstanden werden. Er enthält für das einzelne Individuum die Möglichkeit, sich aus eigenem Willen an bestimmten Stellen aus den universalen gesellschaftlichen Zusammenhängen herauszuziehen und für sich zu sein – durchaus in der Tradition der alten »Inklusen«. Ich möchte in diesem Sinne vorschlagen, die Unterscheidung Inklusion/Exklusion als leitende Unterscheidung für den Wandel in der heutigen Gesellschaft auszuprobieren.

2 DIAKONISCHE IDENTITÄT UND INKLUSION

Die Tragweite dieser geradezu selbstverständlich erscheinenden Aussagen ist nicht zu unterschätzen. Es geht hier nicht nur um die schlichte Erklärung, dass alle Menschen gleiche Würde besitzen und die gleichen Rechte genießen sollten. Die Konsequenz daraus ist eine radikale Umstrukturierung der Gesellschaft nach dem Inklusionsgedanken, und zwar nicht nur weltweit, sondern auch in unserem Lande. Allein schon der nicht zuletzt durch die aktuellen Flüchtlingsbewegungen stark zunehmende Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund und anderen religiösen und kulturellen Kontexten gibt der Unterscheidung Inklusion/Exklusion auch in Deutschland ganz neue Dimensionen. Die Globalisierung der Welt zieht insofern auch in die deutsche Gesellschaft in einem bisher nicht gekannten Maße ein und macht sie international, multikulturell und multireligiös. Der herkömmliche christliche Wertekanon kann dadurch immer weniger als Basis einer deutschen oder sogar europäischen Leitkultur dienen.

Wenn diese beiden Gedanken der Realisierung der Menschenrechte und der in diesem Sinne inklusiven Gesellschaft tatsächlich konsequent umgesetzt werden sollen, dann geht es sicherlich schon in unserem Land um eine Generationenaufgabe, weltweit sogar noch um einen weitaus größeren Zeitraum.7 Es ist aber offensichtlich, dass sich diese Entwicklung gerade in unserem Land und an vielen anderen Stellen der Welt mit Macht vollzieht, und dass wir uns gerade in Kirche und Diakonie unbedingt darauf einstellen sollten – ja dies sogar sehr aktiv mitgestalten sollten. Von diesen Überlegungen ausgehend, komme ich zur Frage der diakonischen Identität.

Vor dem Hintergrund des eben Ausgeführten besteht das Grundproblem der Diakonie darin, dass sie einerseits gute Gründe dafür hat, auf Inklusion zu setzen und andererseits fest in einer exklusiven Tradition und Denkart verhaftet ist. Das beginnt schon beim Selbstverständnis der Diakonie. Sie begreift sich als eine sehr spezifische Form des Hilfehandelns an bestimmten Personen, die sich auf den Auftrag Jesu Christi beruft, wie er in den biblischen Texten formuliert ist, und die daraus auch eigene Strukturen generiert. Das lässt sich in den meisten Präambeln diakonischer Grundlagendokumente, wie z.B. Satzungen, wiederfinden. Insofern bildet sie eine eigene Identität aus, die sich in Abgrenzung zu anderen vergleichbaren Formen des Hilfehandelns formiert und eher exklusiv gebaut ist. Sie hat sich dafür jedenfalls in den meisten Teilen Deutschlands mit dem so genannten Dritten Weg eine eigene Form gegeben, wie dieses Handeln auch entsprechend intern organisiert ist. Insofern verstehen sich die meisten diakonischen Einrichtungen immer noch als kirchliche Institutionen und partizipieren damit am exklusiven kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und damit auch an deren exklusivem Selbstverständnis.

Dass sich dabei das Verhältnis von verfasster Kirche und Diakonie traditionell und auch aktuell sehr spannungsgeladen darstellt, ist offensichtlich. Das wird sich eher noch verstärken. Denn einerseits befindet sich die Kirche in Bezug auf ihre Mitglieder und ihre gesellschaftliche Relevanz in einem markanten Schrumpfungsprozess. Andererseits werden zumindest die klassischen Arbeitsfelder der Diakonie wie Pflege und Gesundheitsdienste aufgrund der immer älter werdenden Bevölkerung weiter deutlich ausgeweitet werden. Man kann deshalb davon ausgehen, dass auch die Diakonie erheblich weiter wachsen wird. Sie wird damit in wirtschaftlichem Umsatz, in der Mitarbeiterschaft und in gesellschaftlicher Bedeutung die verfasste Kirche noch weitaus mehr übertreffen, als sie dies bereits jetzt tut. Bei der Wahrnehmung der dadurch entstehenden eigenen Handlungsanforderungen aus der gesellschaftlichen Umwelt wird sie sich dabei immer mehr gegenüber der verfassten Kirche verselbständigen.

Nun ist aber auf der EKD-Synode im November 2011 mit dem Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz (ARGG-EKD) und durch seine Aktualisierung im November 2013 die Verbindung von Diakonie und verfasster Kirche von kirchlicher Seite aufs Engste definiert worden und damit die exklusive Stellung der Diakonie zunächst manifestiert worden. Diese Konstruktion enthält jedoch perspektivisch deutliche Spannungen. Man hört deshalb in der Diakonie zunehmend Klagen über eine zu enge Handhabung dieses Gesetzes durch die verfassten Kirchen. Eine zu eng gefasste Selbstabgrenzung als exklusiv christliche Institution wird sich wahrscheinlich z.B. in Bezug auf die kirchliche Bindung der diakonischen Mitarbeiterschaft nicht durchhalten lassen. So ist die konsequente Einhaltung der ACK-Klausel, nach der möglichst alle Mitarbeitenden Mitglied einer Kirche der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen sein sollen, schon jetzt außerhalb einiger weniger besonders christlich geprägter Landstriche kaum noch möglich. Die Fixierung der Mitarbeiterschaft auf ihre Christlichkeit kann außerdem bewirken, dass die interkulturellen und interreligiösen Aspekte nicht angemessen berücksichtigt werden, die gerade in der diakonischen Arbeit zunehmend wichtig werden.

Auch in Bezug auf die von ihr unterstützten Menschen setzt die kirchlich-diakonische Arbeit zunächst exklusiv an. Sie wendet sich gezielt an diejenigen, die von Ausgrenzungsprozessen aus der Gesellschaft mindestens bedroht sind oder diese Exklusion schon konkret erfahren müssen: Arme, Arbeitslose, Kranke, Alte und Pflegebedürftige, Menschen mit Behinderungen usw. Das kann durchaus in der Absicht geschehen, sie wieder in diese gesellschaftlichen Zusammenhänge einzubeziehen. Der Ansatz ist aber zunächst exklusiv. Er nimmt eben gerade nicht den Menschen als per se voll in die Gesellschaft integriertes Individuum in den Blick, sondern betrachtet ihn vor allem im Hinblick auf seine Exklusionsproblematik und seinen Inklusionsbedarf. Damit aber wird der Exklusionsaspekt paradoxerweise sogar eher verstärkt. So wird die Behinderung eines Menschen zunächst detailliert festgestellt und beschrieben, um ihn danach durch diakonische Unterstützung in die Gesellschaft einbeziehen zu können. Insofern hat der bereits erwähnte Ansatz der Dis/ability-Forschung Recht, wenn er Behinderung als »soziokulturelle Konstruktion« in den Blick nimmt.8 Hinzu kommt, dass bei den von der Diakonie Unterstützten auch die interkulturellen und interreligiösen Aspekte bislang eher weniger beachtet werden. Wie aber kann man z.B. christliche Rituale in einer Einrichtung durchführen, ohne diejenigen dort Unterstützten auszugrenzen, die einer anderen Religion angehören? Wie kann man sie vor dem eigenen christlichen Hintergrund sogar in der Ausübung ihrer Religion und Weltanschauung aktiv unterstützen, wie es etwa in Nordrhein-Westfalen gesetzlich vorgeschrieben ist?9

Man wird vor diesem Hintergrund vor allem in der Diakoniegeschichte, aber durchaus auch noch aktuell nicht ignorieren dürfen, dass die diakonische Arbeit an vielen Stellen Exklusion bislang eher gefördert als überwunden hat. Die persönliche Lebensgeschichte der Bewohner diakonischer Heime ist über weite Strecken eine Exklusionsgeschichte mit zu großen Teilen sehr traurigen Konsequenzen für die Betroffenen.10 Bis heute zeichnen sich relativ viele diakonische Träger nicht gerade durch eine konsequente Umsetzung des Gedankens der Inklusion aus, z.B. bei den Wohn- oder Schulangeboten.11 Auch diakonische Pflegeheime sind sicherlich größtenteils keine besonderen Orte der Inklusion. Außerdem tut sich die Diakonie sogar in der quartiersbezogenen Arbeit trotz der besonderen Vernetzungsmöglichkeiten mit den örtlichen Kirchengemeinden nicht gerade besonders hervor.

Wenn man also die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion als eine der wesentlichen Leitunterscheidungen der sich wandelnden Gesellschaft auffasst, ergibt sich für die diakonische Arbeit die Frage, wie sie sich gegenwärtig und zukünftig – aus einer Tradition und einem Selbstverständnis kommend, das eher auf Exklusion angelegt ist – für Inklusion weiter öffnen kann, um an der Entstehung einer inklusiven Gesellschaft teilhaben zu können, ja diese vielleicht sogar aktiv und maßgeblich mitzugestalten.

Zum Glück enthält aber gerade die christliche und biblische Tradition sehr überzeugende Ansätze, die eher in Richtung einer Öffnung des eigenen Tuns und Glaubens für die gesamte Menschheit gehen. Wenn Diakonie sich aktiv an dem aktuell sich vollziehenden Wandel in Richtung auf eine inklusive Gesellschaft beteiligen möchte, tut sie deshalb gut daran, sich auf ihre ureigenen Inklusionstraditionen zu besinnen und sie im genannten Sinne zu reaktivieren und zu aktualisieren.

3 THEOLOGISCHE ÜBERLEGUNGEN ZU EINER INKLUSIVEN ÖFFNUNG DIAKONISCHER ARBEIT

Der Grundgedanke der Inklusion, dass niemand aufgrund seiner Eigenschaften und (fehlenden) Fähigkeiten aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen werden soll, findet einen wesentlichen Protagonisten im Apostel Paulus mit seiner Rechtfertigungslehre. Vor allem im Römerbrief zeigt Paulus in seiner Analyse menschlicher Existenz, dass kein Mensch aus eigenem Vermögen vor Gott gerecht werden kann. Das führt ihn dann zu der universalen Aussage: »Wir haben soeben bewiesen, dass alle […] unter der Sünde sind, wie geschrieben steht: Da ist nicht einer, der gerecht ist, auch nicht einer.«12

Hier liegt ein tiefer Gedanke der Inklusion zugrunde. Er besteht theologisch gesehen zunächst darin, einzusehen, dass alle Menschen insofern gleich sind, als sie sündig sind. Was das heißt, analysiert Paulus eingehend in Röm 7: Die Menschen sind seit Adam und Eva zerrissen in sich selbst und tun nicht, was sie wollen (Röm 7,7–25a). Inklusion bedeutet also zunächst einmal, dass alle Menschen in der Sünde eingeschlossen sind. Wie Paulus in Röm 11,32 summarisch feststellt: »Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen.« Das griechische Wort für »er hat eingeschlossen« lautet »synekleisen«. Der Satz lautet in der lateinischen Fassung der Vulgata: »conclusit enim Deus omnia«. Inklusion meint deshalb erstens wörtlich den Zusammenschluss aller Menschen in den Ungehorsam gegenüber Gott. Aber Paulus geht im gleichen Satz noch weiter. Er sagt: »Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, damit er sich aller erbarme.« In seiner umfangreichen Untersuchung des Römerbriefes zeigt Thomas H. Tobin, dass dieser Satz in Röm 11,32 zugleich der Ziel- und Endpunkt der gesamten theologischen Argumentation des Römerbriefes ist. Der Plan Gottes ziele auf die »inclusion of all, both ›all Israel‹ and the ›fullness of the Gentiles‹« (11,25–32).13

Man kann die Gedankenführung des Römerbriefes als eines der grundlegenden Texte besonders des Protestantismus also folgendermaßen zusammenfassen: Die wahre Inklusion bedeutet im vollen theologischen Sinne, dass Gott alle Menschen, die zunächst nicht anders können, als gegenüber sich selbst und Gott zu sündigen, in sein universales Erbarmen einschließt, und dass dies im tiefsten Sinne den Zusammenhang der ganzen Menschheit begründet. In gewissem Sinne kulminiert die gesamte Argumentation Röm 1–11 damit in der universalen Heilsaussage von 11,32 mit dem anschließenden Gotteslob (Doxologie). Alle ethischen und persönlichen Aussagen in Röm 12–16 hängen in gewissem Sinne davon ab. Das führt Paulus an dieser herausgehobenen Stelle sogar so weit, dass er sich eine Rettung ganz Israels – auch ohne den Glauben an Christus – vorstellen kann (vgl. Röm 11,26ff.). Das Vertrauen auf die Universalität des Erbarmens Gottes übersteigt insofern sogar den Christusglauben!

Diese Aussage dürfte Paulus, verglichen mit der Position in seinen früheren Briefen, nicht leicht gefallen sein. Die Einsicht in das universale Erbarmen Gottes führt ihn aber dazu, das Heil auch jenseits des eigenen Christusglaubens denken zu können. Paulus entwickelt damit eine auf der Gotteslehre fußende Soteriologie, die über die Begrenzungen der Christologie hinaus geht, den Christusglauben transzendiert und sich damit für andere Religionen öffnet – und zwar aus zutiefst theologischen Gründen. Der christliche Glaube hat auf dieser Basis von Anfang an eine Tendenz, die Grenzen der eigenen Religionsgemeinschaft zu überschreiten. Dieser Geist der Öffnung führt letztlich dazu, dass das Christentum – in der Tiefe betrachtet – nicht als eine sich gegenüber anderen abgrenzende Religion verstanden werden kann, sondern dass es in sich die Selbstüberschreitung seiner Grenzen angelegt hat. Das christliche Vertrauen auf das universale Erbarmen Gottes gegenüber allen Menschen führt zu der Einsicht, dass dieses auch jenseits der christlichen Religionsgemeinschaft gilt und dass sich das Christentum deshalb gegenüber allen Menschen zu öffnen hat. Auf dieser Basis könnte m. E. eine interkulturelle und interreligiöse Öffnung sowohl für Mitarbeitende als auch für diakonisch Unterstützte im Sinne der Inklusion aus guten theologischen Gründen geschehen.

4 DIAKONISCHE IDENTITÄT NEU DEFINIEREN

Wenn man sich nochmals vergegenwärtigt, dass der Anteil der Mitglieder christlicher Kirchen in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten schon aus demographischen Gründen markant abnehmen und der Anteil der Mitbürger aus anderen Religionen oder ohne Religionsgemeinschaft erheblich steigen wird, so ergeben sich daraus für die Zukunftsentwicklung der deutschen Diakonie zwei wesentliche Optionen. Die erste besteht darin, dass sie an ihrem Exklusivitätsanspruch festhält, der sich durch das traditionelle Selbstverständnis als besondere christliche und kirchliche Institution ergibt. Dann wird sie sich konsequenterweise erheblich verkleinern müssen, weil sie zum einen von einem viel geringeren Teil der Bevölkerung in Anspruch genommen werden wird und zum anderen ihre Mitarbeiterschaft nur noch in wesentlich geringerer Zahl aus Kirchenmitgliedern rekrutieren kann. In diesem Falle wäre ein konsequenter Rückbau der diakonischen und caritativen Institutionen angesagt, analog zu dem Prozess, den man in der verfassten Kirche ja schon seit längerem beobachten kann.

Die zweite Variante bestünde darin, unter dem Vorzeichen der Inklusion bewusst den Weg der Öffnung zu wählen. Die Förderung der Menschenrechte für alle und die Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft sind keine exklusiv christlichen Gedanken.14 Sie lassen sich aber aus guten theologischen Gründen nachvollziehen und sogar entschieden mitgestalten. Das würde jedoch bedeuten, dass das Selbstverständnis der diakonischen und caritativen Arbeit gerade auf der Basis einer tiefer gehenden theologischen Argumentation, etwa im Anschluss an die oben angeführten biblischen Texte, so ausgeweitet werden müsste, dass es die Grenzen der eigenen christlichen Religion bewusst überschreitet und sich für andere Glaubensanschauungen und Kulturen öffnet, nicht nur in Bezug auf die unterstützten Menschen, sondern auch auf die eigenen Mitarbeitenden – und zwar ohne dabei die eigene diakonische Identität preiszugeben.

Aus diesen Überlegungen ergeben sich sowohl für den diakonischen Umgang mit Klienten als auch für die Frage der Mitarbeiterschaft in der Diakonie unmittelbare Folgen. In Bezug auf die durch das diakonische Handeln unterstützten Menschen ist in dieser Sicht klar, dass sie nicht nur auf die christliche Religion und Gemeinschaft beschränkt werden können. Auch in den Angehörigen anderer Religionen wie in den Religionslosen kann und muss die diakonische Liebestat den Nächsten (an)erkennen und damit rechnen, dass auch in diesem Menschen ein Hilfebedürftiger gesehen werden kann, in dem man Christus begegnen kann (vgl. Mt 25,31ff).15 Das bedeutet keine Vereinnahmung anderer Glaubensüberzeugungen, wohl aber eine bestimmte Interpretation des eigenen Handelns auf der Basis des eigenen christlichen Überzeugungssystems, die aus oben genannten Gründen die Selbsttranszendenz der eigenen Religion immer mit thematisieren kann.

In Bezug auf die eigenen Mitarbeitenden ist dann die entscheidende Frage, ob sie sich auf die Deutungshoheit des christlichen Hilfehandelns im oben skizzierten Sinne einlassen können. Sie müssen dabei nicht zwingend Mitglied einer christlichen Gemeinschaft sein, um diakonischcaritativ handeln zu können. Das hat sogar das Bundesarbeitsgericht in seinem Grundsatzurteil 2012 festgestellt und anerkannt. Darin heißt es in Abschnitt 98 und 99 (AZ: 1AZR 179/II):

»Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört zu den eigenen Angelegenheiten der Religionsgesellschaften, dass diese der Gestaltung des kirchlichen Dienstes auch dann, wenn sie ihn auf der Grundlage von Arbeitsverträgen regeln, das Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft ihrer Mitarbeiter zugrunde legen können […]. Danach verlangt das Bestehen einer Dienstgemeinschaft keine konfessionelle Gebundenheit aller Beschäftigten zu einer christlichen – hier zur evangelischen – Kirche. Es ist vielmehr Ausdruck des kirchlichen Dienstes selbst, der durch den Auftrag bestimmt wird, das Evangelium in Wort und Tat zu verkünden. Hieran wirken alle Beschäftigten durch ihre Tätigkeit und demnach ungeachtet ihres individuellen Glaubens oder ihrer weltanschaulichen Überzeugungen mit (vgl. Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, 175; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche 6. Aufl. §4 Rn. 24). Die Dienstgemeinschaft hängt deshalb nicht davon ab, ob oder in welchem Umfang nicht evangelische Christen oder Nichtchristen in einer kirchlichen Einrichtung beschäftigt sind. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die jeweiligen Arbeitsverhältnisse verkündigungsnahe oder verkündigungsferne Tätigkeiten betreffen. Auch insoweit entscheidet die Kirche darüber, was Teil ihres Bekenntnisses ist, ob eine solche Differenzierung ihrem Bekenntnis entspricht und sich auf die Dienstgemeinschaft auswirkt (vgl. BVerfG 4. Juni 1985–2 BvR 1703/83 – [Loyalitätspflichten] zu B II 2a der Gründe, BVerfGE 70, 138).«

Die Struktur des Handelns, das Verständnis, in dem dieses Handeln geschieht, und der daraus sich ergebende Qualitätsanspruch müssen auf dieser Basis von der jeweiligen diakonischen Institution jedoch eindeutig vorgegeben, klar formuliert und sichergestellt werden. Der Mitarbeitende sieht sich unabhängig von seiner persönlichen religiösen Überzeugung der klaren Erwartung des Trägers ausgesetzt, nach dem genannten Selbstverständnis und daraus abgeleiteten Kriterien zu handeln und diese in seiner Arbeit einzuhalten. Genau dies muss deshalb Teil des Dienstvertrages und anderer Vereinbarungen sein. Vor allem muss dieses Selbstverständnis von der diakonischen Institution den Mitarbeitenden durch beständige Kommunikationsbemühungen wie Einführungskurse, Fortbildungen, Informationsveranstaltungen, Leitbild- und Strategieprozesse, Mitarbeitergespräche usw. vermittelt und bei ihnen wach gehalten werden.

Im Sinne einer kultursensiblen diakonischen Unterstützung von Menschen aus nichtchristlichen Religionen und Kulturkreisen ist es auf dieser Basis an vielen Stellen sogar geradezu geboten, in der Diakonie auch Mitarbeitende zu beschäftigen, die die besonderen Bedürfnisse der Klienten kennen, welche sich aus ihrem Glauben oder ihrer Weltanschauung ergeben, und die darauf eingehen können – also auch Mitglieder anderer, nicht christlicher Religionen und Weltanschauungen.

Die Kommunikation dieser diakonischen Position gegenüber den verfassten Kirchen ist jedoch nicht einfach. An manchen Stellen erscheint innerhalb der evangelischen Kirchen die Fixierung des christlichen Profils diakonisch-caritativer Arbeit auf die persönliche Einstellung der Mitarbeitenden noch sehr geläufig. Entsprechend angespannt sind über weite Strecken die Gespräche zwischen diakonischen Trägern, die eine solche Öffnung wünschen, und Vertretern der verfassten Kirchen, die darin eine Entfremdung vom kirchlichen Proprium befürchten. Erst langsam entwickelt sich ein Verständnis, welches die konfessionelle und theologische Profilierung nicht an der persönlichen Gesinnung, sondern an der Kommunikation oder Handlung selbst festmacht, die in der diakonischen Arbeit geschieht.

5 DIAKONINNEN UND DIAKONE ALS IDENTITÄTSFÖRDERER DIAKONISCHER UNTERNEHMEN

Diakonische Identität ist insofern eine Deutungsaufgabe, die von den diakonischen Unternehmen selbst geleistet werden muss und nicht mehr an die Mitarbeitenden und ihre persönlichen Gesinnungen delegiert werden kann. Um diese unternehmerische Aufgabe bewältigen zu können und die eigene Unternehmensidentität nicht zu verlieren, braucht es eine Fülle zusätzlicher Aktivitäten, die im vorigen Abschnitt kurz skizziert wurden. Unbedingt nötig sind in diesem Zusammenhang für das jeweilige Unternehmen Personen, die diesbezüglich eine besondere Deutungs- und Gestaltungskompetenz besitzen. Zu ihnen gehören ohne Zweifel Diakoninnen und Diakone. Sie bringen einerseits das entsprechende fachliche Wissen mit, um sachbezogen in den jeweiligen Handlungsfeldern diakonischer Unternehmen agieren zu können. Andererseits verfügen sie über die theologische Kompetenz, dieses fachliche diakonische Handeln in einen Deutungshorizont zu stellen, der die konkrete Handlung und unternehmerische Entscheidung transzendiert und in einen Kontext stellt, der vom Evangelium her bestimmt ist.16 Und wo sie diese Kompetenz (noch) nicht besitzen, müsste diese durch entsprechende Bildungsprozesse bei ihnen besonders geschult werden. In jedem Falle sind sie aber durch ihr Berufsprofil für diese Aufgabe prädestiniert und entsprechend darauf vorzubereiten.

Damit verändert sich jedoch zugleich das klassische Berufsprofil von Diakoninnen und Diakonen. Sie sind dann nicht mehr nur doppelt qualifizierte Mitarbeitende, die ihren jeweiligen Fachberuf in ihrem persönlichen Handlungsfeld mit einer besonderen christlichen Motivation, Haltung und Deutungskompetenz ausfüllen. Vielmehr können sie – mindestens zusätzlich zu den bereits bestehenden Berufsprofilen – zu Spezialbeauftragten für diakonische Identitätsbildung im Rahmen der Unternehmensentwicklung werden. Sie tun dies nicht als konservative Bewahrer, sondern als aktive Gestalter diakonischer Identität für das Unternehmen, in dem sie tätig sind.

Dafür benötigen sie verschiedene Kompetenzen:

– Fähigkeit zu systemischem Denken, also auch zur Unterscheidung von Person und Organisation,

– organisationstheoretische Kenntnisse,

– Reflexionsfähigkeit zur Unternehmensentwicklung,

– detaillierte Kenntnisse des christlichen Überzeugungssystems,

– kommunikative Kompetenz zur Vermittlung spezifisch christlicher Inhalte,

– interreligiöse Kompetenz und Offenheit.

Diese Kenntnisse und Fähigkeiten müssen nicht zuletzt im Laufe von entsprechender Aus- und Fortbildung vermittelt werden. Deshalb sollten die Curricula der Ausbildungsgänge zur Diakonin bzw. zum Diakon und die entsprechenden Fortbildungsgänge die Vermittlung dieser Kompetenzen besonders in den Blick nehmen. Das gilt natürlich besonders für den Studiengang »Diakonie im Sozialraum« an der Fachhochschule der Diakonie.

Dass sich in diesem Sinne ein neues Berufsprofil der Diakonin bzw. des Diakons entwickeln kann, hängt aber auch davon ab, ob sich diakonische Unternehmen aufgrund ihrer hier dargestellten Identitätsproblematik dazu entschließen können, solche Menschen in eigens dafür geschaffenen Funktionen einzustellen, damit sie solche Deutungs- und Gestaltungsaufgaben übernehmen können.

6 FAZIT

Im Beitrag wird skizziert, dass unter den Bedingungen einer sich zunehmend multikulturell entwickelnden modernen Gesellschaft gerade unter dem Gesichtspunkt der Inklusion diakonische Identität nicht mehr durch Verweis auf die persönliche Motivation und Glaubenshaltung der in diakonischen Unternehmen tätigen Personen unter Bezug z.B. auf die ACK-Klauseldefiniert werden kann. Vielmehr wird die Definition der eigenen Identität zu einer unternehmerischen Aufgabe der diakonischen Organisationen selbst. Zur Bearbeitung dieser wichtigen und zukunftsorientierten Aufgabe bieten sich Diakoninnen und Diakone aufgrund ihres spezifischen Berufsprofils und ihrer breiten Berufsorientierung besonders an. Damit sie in der genannten Richtung wirken können, müssen sie aber erstens entsprechend ausgebildet sein und zweitens von den diakonischen Unternehmen auch entsprechend beauftragt und eingesetzt werden.

Literatur

Becker, Uwe (2015): Die Inklusionslüge. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Bundesarbeitsgerichtsblatt vom 20.11.2012, 1AZR 179/II (juris.bundesarbeitsgericht.de).

Bösl, Elsbeth; Klein, Anne; Waldschmidt Anne (Hrsg.) (2010): Disability History. Bielefeld: transcript.

Schmuhl, Hans-Walter; Winkler, Ulrike (2010): Gewalt in der Körperbehindertenhilfe. Das Johanna-Helenen-Heim in Volmarstein von 1947 bis 1967. Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte.

Fiedler, Peter (2006): Das Matthäusevangelium. ThKNT 1; Stuttgart: Kohlhammer.

Luz, Ulrich (2012): Das Evangelium nach Matthäus, EKK I/3, 2. Aufl. Neukirchen-Vluyn.

Schmuhl, Hans-Walter; Winkler, Ulrike (2011): Als wären wir zur Strafe hier. Gewalt gegen Menschen mit geistiger Behinderung – der Wittekindshof in den 1950er und 1960er Jahren. Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte.

Schmuhl, Hans-Walter; Winkler, Ulrike (2012): Der das Schreien der jungen Raben nicht überhört. Der Wittekindshof – eine Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung, 1887 bis 2012. Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte.

Schmuhl, Hans-Walter; Winkler, Ulrike (Hrsg.) (2013): Welt in der Welt. Heime für Menschen mit geistiger Behinderung in der Perspektive der Disability History. Stuttgart: Kohlhammer.

Starnitzke, Dierck (2013): Neuere Literatur zum Römerbrief. Teil 1: Kommentare und Gesamtuntersuchungen; in: Andreas Lindemann (Hrsg.): Theologische Rundschau 78/1. Tübingen: Mohr, 40-72.

Tobin, Thomas H. (2004): Paul’s Rhetoric in its Context. The Argument of Romans. Peabody, Massachusetts: Hendrickson.

Vögele, Wolfgang (2000): Menschenwürde zwischen Recht und Theologie. Begründungen von Menschenrechten in der Perspektive öffentlicher Theologie, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

DAS DIAKONISCHE PROFIL AUS DEM BLICKWINKEL EINES DIAKONISCHEN UNTERNEHMENS 

Werner Arlabosse

Die tiefgreifenden Sozialrechtsänderungen seit den 1990er Jahren (Budgetierung der Leistungen, (Teil-)Deregulierungen der Sozialmärkte mit dem Ziel der Eindämmung der Sozialstaatskosten und der Qualitätsverbesserung) ließen zwar zunächst den Wandel diakonischer Einrichtungen hin zu betriebswirtschaftlich geführten Unternehmen als notwendige Reaktion plausibel erscheinen. Auf den zweiten Blick aber wurde deutlich, dass nicht alle ihre Funktionen darin aufgehen (Nächstenliebe, anwaltschaftliche Funktion, sozialräumliche Vernetzung). In Zukunft wird sich der Wettbewerb der Leistungserbringung eher verschärfen, so dass die Anforderungen für die Mitarbeitenden sicher wachsen werden. Diakoninnen und Diakone sind qua doppelter Qualifikation(en) besonders dazu berufen, die widersprüchlichen Anforderungen konstruktiv zu bearbeiten, zwischen Unternehmen, Klientel, Kirchen, Politik und Mitarbeitenden zu vermitteln, Überforderungen zu benennen und sozialräumlich und religiös den Horizont zu weiten.

In den 1970er und 1980er Jahren wandelte sich in vielen Ländern der Welt die wirtschaftspolitische Konzeption. Die in der Nachkriegszeit des zweiten Weltkriegs vorherrschende keynesianische Orientierung an der Nachfragepolitik wandelte sich zu einer an den Thesen von Milton Friedman und anderen Wirtschaftswissenschaftlern entwickelten Angebotspolitik.

Zum Konzept dieser Politik, die auch unter der Überschrift eines sogenannten Neoliberalismus geführt wurde, gehörten Aspekte wie:

– Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und Privatisierung,

– Schaffung von arbeitsplatzfördernden Anreizen durch eine gezielte Investitionspolitik,

– Abbau von Marktregulierungen mit dem Ziel größtmöglicher Marktfreiheit,

– Eindämmung wachsender Sozialstaatskosten. 1

Die seit Mitte der 1970er Jahre auch in Deutschland geführte Auseinandersetzung wird exemplarisch im Bruch der sozialliberalen Regierung (SPD und FDP) sichtbar. Der damalige Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff entwickelte 20 Thesen mit dem Titel »Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit«. 2

In der nachfolgenden Regierungszeit der CDU/CSU- und FDP-Regierung