Bücherliebe im kleinen Café am See - Lina Hansson - E-Book
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Bücherliebe im kleinen Café am See E-Book

Lina Hansson

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Beschreibung

Ein Liebesroman, der zeigt, dass aus Verlust auch etwas Wunderbares entstehen kann und das Leben einem immer wieder neue Chancen gibt. Niemand versteht, warum Maj ihre schriftstellerische Begabung bei einer Lokalzeitung in einer schwedischen Provinzstadt verschwendet. Aber Maj hatte einen guten Grund, der Literaturwelt den Rücken zu kehren. Überraschend kündigt Maj auch ihren Job bei der Zeitung und wendet sich vollends vom Schreiben ab.  Als der Chefredakteur Henrik erfährt, dass Maj nun in einem kleinen Café am See arbeitet, sucht er sie auf. Henrik ist überzeugt von ihrem außergewöhnlichen Talent und will Maj helfen, ihr Trauma zu überwinden.  Er überredet sie zu einem gemeinsamen Projekt, durch das sie langsam wieder Vertrauen in ihre Fähigkeiten fassen soll. In dem kleinen Café beginnt ein aufregendes Abenteuer in der Welt der Worte und Geschichten. Doch es ist kein leichter Weg, und Maj muss sich nicht nur mit ihren Ängsten  auseinandersetzen, sondern auch mit unerwarteten Gefühlen, die durch die Zusammenarbeit und Nähe zu Henrik ihr Leben und ihr Herz durcheinanderbringen.    Ein emotionaler und tiefgreifender Roman von Erfolgsautorin Lina Hansson. Die perfekte Urlaubslektüre – nicht nur für Schweden-Fans.

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BÜCHERLIEBE IM KLEINEN CAFÉ AM SEE

LINA HANSSON

1

MAJ

Mittwoch, 4. Mai

»Die genussvolle Fika in Farfars Bageri und der traumhafte Blick über den Billingen werden mich noch lange durch den arbeitsreichen Alltag tragen.« Sara klappte die druckfrische Ausgabe des Dala Kuriren zu, warf Maj einen bewundernden Blick zu und bemerkte mit einem tiefen Seufzen: »So, wie du das Kaff beschreibst, will ich sofort meinen nächsten Urlaub dort buchen.«

Maj, die Saras Vortrag ihres Berichts über einen Tagesausflug nach Billingsnäs mit deutlichem Augenrollen begleitet hatte, zuckte achtlos mit den Schultern. Auch wenn ihre Lieblingskollegin so tat, würde der Beitrag ihr wohl kaum einen Preis für herausragenden Journalismus einbringen. Er gehörte zu einer Reihe im Dala Kuriren, deren erklärtes Ziel es war, den Schweden das eigene Land als Reiseziel schmackhaft zu machen. Maj hatte also genau das versucht – nicht mehr und nicht weniger.

»Das ist doch der Zweck«, erwiderte sie. Dann beugte sie sich vor und flüsterte mit einem Zwinkern: »Und in diesem Fall ist es ja auch ein bisschen eigennützig.«

Sara ignorierte den Nachsatz und beharrte weiter: »Ja, aber bei dir klingt jedes einzelne Ortsporträt danach, als hättest du einen Tag im Paradies verbracht, und trotzdem gleicht kein Artikel dem anderen. Du bist echt eine Künstlerin. Eine Schande, dass du dein Talent für Worte an den Dala Kuriren verschwendest. Die ganze Welt sollte deine Berichte lesen!«

»Fang bitte nicht schon wieder davon an!« Maj stöhnte. »Ich bin seit drei Monaten hier, und seit zwei Monaten und drei Wochen erkläre ich dir, dass mir die Arbeit gefällt und ich im Moment nichts anderes tun möchte.«

»Und seit zwei Monaten und zwei Wochen bin ich überzeugt, dass der ›Moment‹ längst vorbei ist und du dich nach einem Job umsehen solltest, in dem dein Talent nicht so vergeudet wird«, konterte Sara. »Suchst du wenigstens nebenbei nach etwas Besserem?«

»Ja«, behauptete Maj, um ihre Kollegin zum Schweigen zu bringen. »Aber solange ich nicht den perfekten Job finde, bleibe ich hier.«

Damit gab Sara sich vorläufig zufrieden. Maj nahm ihr sicherheitshalber die Zeitung weg, damit sie nicht in Versuchung kam, ihren Vortrag vor der ganzen Redaktion zu wiederholen.

Ja, der Artikel war ihr ganz gut gelungen. Sie hatte es geschafft, den See zu beschreiben, als wäre er nicht ein beliebiger von den tausend, die es in Schweden gab. Zu vermitteln, wie köstlich die Süßspeisen aus Farfars Bageri waren, fiel ihr nicht schwer, denn für Maj schmeckten sie im wahrsten Sinne des Wortes nach Kindheit. Eine Fika auf der Terrasse des kleinen Cafés am Ufer des Billingen war für sie tatsächlich wie ein Kurzurlaub, deshalb machte es ihr auch keine Mühe, dieses Gefühl in einem Text zu transportieren.

»Huch, Chef verlässt seine Höhle«, raunte Sara ihr zu und nahm schnell den nächstbesten Computerausdruck zur Hand, um ihn intensiv zu studieren.

»Auch Einsiedler müssen mal aufs Klo«, gab Maj grinsend zurück und wandte sich ihrem Monitor zu.

Doch Saras Augen weiteten sich vor Schreck. »Dieser hier kommt aber genau in unsere Richtung.«

Maj wollte sich umdrehen, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne, als sie im Augenwinkel wahrnahm, dass Henrik Bergqvist genau neben ihrem Tisch stehen geblieben war.

»Ich hatte gerade den Vorsitzenden des Tourismusverbandes von Dalarna am Telefon«, informierte der Chefredakteur sie grußlos. Maj hob den Kopf und sah ihn erwartungsvoll an. Wie immer verursachten seine wachen, blauen Augen bei ihr eine seltsame Unruhe.

»Er hat sich für den Artikel bedankt und dabei fast vor Rührung geweint, weil Billingsnäs darin – ich zitiere – ›als paradiesisches Kleinod‹ dargestellt wird«, berichtete er. »Gute Arbeit!«

Bevor Maj sich für das Lob bedanken konnte, hatte er sich schon wieder abgewandt und war auf dem Weg zurück in sein Büro.

Sara sah ihm ungeniert nach und murmelte, sobald er sich außer Hörweite befand: »Vielleicht hat es doch was Gutes, dass er sich nur so selten blicken lässt. Wenn er diesen knackigen Hintern regelmäßiger herumzeigen würde, würden wir nicht mehr zum Arbeiten kommen.«

»Du bist unmöglich!«, schimpfte Maj. »Er ist unser Chef!«

Dafür erntete sie von ihrem Gegenüber einen vorwurfsvollen Blick. »Sagt ausgerechnet die, die seinen Lebenslauf schon auswendig konnte, bevor sie überhaupt hier angefangen hat.«

Maj wurde ein wenig rot und verteidigte sich energisch: »Ich hatte keine Ahnung, dass er der Chefredakteur ist! Ich habe ihn aus den Augen verloren, als er seinen alten Job so plötzlich gekündigt hat.«

»Aber bis dahin hast du jeden seiner Schritte verfolgt«, neckte Sara.

»Habe ich nicht«, widersprach Maj. Wenn Sara das so sagte, klang es, als hätte Maj Henrik Bergqvist gestalkt. Doch das war keineswegs der Fall. Sie war lediglich wegen einer Recherche für ein Referat sehr früh über seinen Blog gestolpert und interessierte sich seither für seine Arbeit. Henrik war damals selbst gerade erst achtzehn Jahre alt und ganz am Beginn einer beeindruckenden Karriere gewesen. Sein Reiseblog war rasch gewachsen, durch den rasanten Anstieg seiner Followerzahlen waren bald auch die Printmedien auf ihn aufmerksam geworden.

Nachdem er einige Jahre als freier Reisejournalist gearbeitet hatte, hatte ihn mit nur siebenundzwanzig Jahren – aber bereits zehn Jahren Berufserfahrung – ein Zeitschriftenverlag an Bord geholt. Er hatte als Chefredakteur frischen Wind in die Segel des in finanzielle Nöte geratenen Flaggschiffs bringen sollen. Maj hatte von da an jede Ausgabe der Zeitschrift gelesen, die sich innerhalb weniger Monate deutlich verändert hatte. Doch dann hatte Henrik nach knapp zwei Jahren plötzlich alles hingeworfen und war in der Versenkung verschwunden – bis er bei dem Bewerbungsgespräch für die Stelle als Redakteurin beim Dala Kuriren wieder auf Majs Bildfläche erschienen war. Sie dachte mit Unbehagen an diese erste Begegnung zurück und war froh, dass ihre Kollegin das Thema wechselte.

»Aber, wow, ein Lob!«, bemerkte Sara mit einiger Verspätung. »Das bekommt man von ihm nicht oft zu hören. Er findet dich gut.« Sie machte eine komische Bewegung mit ihren Augenbrauen, mit der sie wohl andeuten wollte, dass sie damit nicht nur die Arbeit meinte.

Maj verdrehte schon wieder die Augen. »Du spinnst heute mal wieder besonders.«

Sara streckte ihr die Zunge heraus, fuhr aber unbeirrt fort: »Ich habe wirklich noch nie gehört, dass er jemanden für einen einzelnen Beitrag gelobt hätte. Nur das Team als Ganzes. Wir spielen einfach nicht in seiner Liga.«

»Du sagst das so, als würde er uns von oben herab behandeln«, stellte Maj verwundert fest. »Aber das tut er doch gar nicht. Auch wenn der Job hier bestimmt viel unspektakulärer ist als das, was er vorher gemacht hat, nimmt er ihn doch sehr ernst. Und damit meine ich auch die Mitarbeiter. Oder habe ich da bisher einen falschen Eindruck von ihm?«

»Hast du nicht. Das stimmt schon, was du sagst. Aber wir alle wissen, dass dieses Blatt nicht seinem Niveau entspricht. Er hat das größte schwedische Reise-Magazin geleitet, hat für seine eigenen Reportagen zahlreiche Auszeichnungen bekommen – und das alles vor seinem dreißigsten Geburtstag. Und jetzt ist er seit eineinhalb Jahren Chefredakteur unserer Minizeitung. Er hat beim Dala Kuriren genauso wenig verloren wie du.«

Um zu verhindern, dass Sara ihr schon wieder zu einem Jobwechsel riet, erkundigte sich Maj: »Warum ist er eigentlich hier?«

»Das weiß keiner so genau«, antwortete Sara schulterzuckend. »Als der Herausgeber ihn als neuen Chefredakteur präsentiert hat, waren wir natürlich neugierig und haben uns auf die Suche nach den Gründen gemacht. Wir dachten, er hätte vielleicht irgendwas verbockt und wäre bei seinem alten Job rausgeflogen. Aber das Einzige, was wir mit Sicherheit herausgefunden haben, war, dass er aus heiterem Himmel gekündigt hat. Es gab Hinweise auf einen Todesfall in seinem Umfeld, möglicherweise war das der Grund, warum er ganz neu anfangen wollte. An dem Punkt haben wir die Nachforschungen bleibenlassen. Wir sind ja nicht pietätlos.«

»Verstehe«, murmelte Maj. Die Erklärung erschien ihr plausibel. Der Verlust eines nahestehenden Menschen konnte selbst den stärksten Mann aus der Bahn werfen.

»Jedenfalls hat es uns nicht geschadet, dass er hier aufgetaucht ist«, resümierte Sara weiter. »Die Veränderungen, die er an der Zeitung vorgenommen hat, haben ihr gutgetan.« Sie lächelte breit, was auch Maj ein Schmunzeln entlockte.

Sara arbeitete seit fünf Jahren beim Dala Kuriren, und für sie war es ein Traumjob. Sie war neugierig und offen, gleichzeitig aber bodenständig und ohne Ambitionen, ihren Heimatort Falun zu verlassen. Ihre Vorstellung vom perfekten Leben beinhaltete ein rotes Schwedenhaus mit hübschem Garten, die Traumhochzeit mit ihrem langjährigen Freund Per, danach zwei bis vier Kinder und einen Job wie diesen hier, bei dem sie in der Region herumkam und immer wieder neue Leute kennenlernte.

Maj hatte derzeit weder einen Freund, auf dessen Heiratsantrag sie sehnlichst wartete, noch war sie bereit, einen Kredit über zigtausend Kronen aufzunehmen, um ein Haus zu bauen oder zu kaufen. Nur Kinder standen sehr wohl irgendwann auf ihrem Lebensplan – und auch ein Job, bei dem sie schreiben konnte. Aber obwohl sie seit Monaten betonte, dass es ihr hier gefiel, war Reporterin nicht ihr Traumberuf.

»Wie wär’s, wenn wir nach der Arbeit noch ausgehen und auf das Lob vom Chef anstoßen?«, schlug Sara vor.

»Ja, warum nicht«, erwiderte Maj leichthin. »Wenn es so eine Seltenheit ist, wie du behauptest, dann ist es wohl ein Grund zum Feiern.«

Für gewöhnlich brauchten Sara und Maj keinen Anlass, um zusammen in die kleine Bar im Nachbarhaus der Redaktion zu gehen. Sie ließen dort gern den Arbeitstag ausklingen, häufig schlossen sich ihnen ein paar Kollegen an.

Nur der Chefredakteur war – wie immer – auch heute nicht dabei, als die bunte Truppe es sich auf der Terrasse ihres Stammlokals gemütlich machte. Sie besetzten zwei der Gruppen, zu denen die bequemen Loungemöbel zusammengeschoben waren, redeten durcheinander, lachten und tranken.

Maj war gern ein Teil der fröhlichen Runde, mochte es jedoch nicht, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Als Sara die Geschichte erzählte, wie Henrik ihr ein ausdrückliches Lob ausgesprochen hatte, hätte sie sich am liebsten in den Polstern vergraben. Zu ihrem Leidwesen fanden die übrigen Kollegen die Sache ebenso bemerkenswert wie Sara und diskutierten das Thema ausführlich. Jedes Mal, wenn einer das Glas auf sie erhob, wollte Maj unsichtbar werden. Da sie über diese Fähigkeit nicht verfügte, lächelte sie tapfer, während sie gleichzeitig über ihren Chef nachdachte.

Der offizielle Grund, warum er seinem Team nicht Gesellschaft leistete, war die notwendige Heimfahrt nach Gävle, die eine gute Stunde dauerte. In Majs Ohren klang das wie eine faule Ausrede. Sie konnte sich jedoch nicht erklären, warum er sich fernhielt.

Henrik Bergqvist war weder extrem schüchtern noch ähnlich introvertiert wie Maj. Aber möglicherweise war ihm bewusst, dass ihn die halbe weibliche Belegschaft anhimmelte, und deshalb vermied er privaten Kontakt. Maj hätte ja gern behauptet, dass sie gegen die blauen Augen und den sportlichen Körper immun war, aber wenn sie ehrlich zu sich war, stimmte es, womit Sara sie so gern neckte: dass sie in der Redaktion Henriks größter Fan war.

Natürlich betonte sie immer, dass ihr Interesse an ihm rein beruflicher Natur sei. Allerdings hatte sie bei ihrem Bewerbungsgespräch schnell gemerkt, dass seine Augen sie dauernd aus dem Konzept brachten. Es war ziemlich schwierig gewesen, dem Plan zu folgen, den sie sich zurechtgelegt hatte. So groß, wie sie vorgab, war ihre Begeisterung für diesen Job nämlich anfangs gar nicht gewesen.

Zeitungsartikel stellten für Maj eher eine Notlösung dar, um überhaupt schreiben zu können. Zumindest hatte sie gehofft, ihr Unterbewusstsein – oder was auch immer ihr zu schaffen machte – auf diese Weise austricksen zu können. Unterm Strich war das nicht ihre schlechteste Idee gewesen.

Der Job hatte sich als überraschend abwechslungsreich herausgestellt und die Kollegen als sehr nett. Vor allem Sara, mit der sie sich den Schreibtisch teilte.

Doch jetzt gerade wurden ihr Saras Redefluss und ihre großen Gesten zu viel. Sie brauchte eine kleine Auszeit und nutzte die Ausrede, auf die Toilette zu müssen, um sich ins Lokal zurückziehen und kurz durchatmen zu können.

Nachdem Maj den Waschraum verlassen hatte, blieb sie kurz vor einer Wand mit Plakaten und Werbungen stehen. Früher hätte sie sie vermutlich nicht beachtet, doch sie hatte in den letzten Monaten gelernt, wie wichtig es für ihren Job war, zu wissen, was in der Region los war.

»In Ordnung, den Bereich können wir reduzieren. Es steht ohnehin jede Woche dasselbe drin. Ich kann mir nicht vorstellen, wer das noch liest. Aber kommen wir zu den Reportagen. Ist in der Sparte auch jemand zu viel?«

Die Stimme klang vertraut, und trotzdem brauchte Maj einige Augenblicke, um sie Henrik zuzuordnen.

»Moment, ich muss im Bericht nachsehen«, erwiderte ein anderer Mann.

Maj hätte gerne um die Ecke gespäht, denn auch diese Stimme hatte sie schon irgendwo gehört. Wenn sie sich kurz an die Bar begab, konnte sie vielleicht einen Blick in die Nische werfen. Allerdings lief sie dadurch Gefahr, gesehen zu werden.

Ihre Neugier siegte. Sie gab vor, den Barkeeper zu suchen, der soeben in dem Raum hinter der Theke verschwunden war. Angesichts des unbesetzten Tresens machte sie kehrt und steuerte wieder auf den Ausgang zu. Ein kurzer Blick in die Nische gleich neben der Tür beantwortete ihre Frage. Henriks Gesprächspartner war der Herausgeber des Dala Kuriren höchstpersönlich.

Maj bezog wieder Stellung vor der Wand mit den Ankündigungen und belauschte das Gespräch. Wenn sie richtig interpretierte, was sie bisher gehört hatte, standen Einsparungen an, und das Team sollte verkleinert werden. Sie wollte sich die Chance nicht entgehen lassen, vorab zu erfahren, wen es treffen sollte.

»Es hilft nichts, von einer Redakteurin musst du dich trennen«, hörte sie den Herausgeber sagen und hielt die Luft an.

»Okay, dann trifft es wohl Maj«, antwortete Henrik zu ihrem Entsetzen.

»Maj Holmgren? Ist das nicht die, dank der uns der Tourismusverband neuerdings zu Füßen liegt? Warum willst du sie nicht behalten?«

»Sie passt nicht zu dem Blatt«, erklärte Henrik, und Maj schnappte erbost nach Luft.

»Und das fällt dir jetzt auf?«, erwiderte der Herausgeber. »Hättest du das nicht in ihrer Probezeit sagen können? Dann hätten wir sie gleich gar nicht fest angestellt und müssten jetzt niemanden feuern.«

»Ich wollte mir ansehen, wie sie mit den Aufgaben zurechtkommt«, rechtfertigte sich Henrik.

Ärger stieg in Maj auf. Vor acht Stunden hatte ihr Chef sie gelobt, jetzt empfahl er ihre Entlassung. Als so falsch hatte sie ihn nicht eingeschätzt. Der Herausgeber hatte völlig recht, er hätte ihr den Job gar nicht erst geben sollen.

Aber wieso sagte er ihr, dass sie gute Arbeit leistete, obwohl er ganz anderer Meinung war?

»Und jetzt hast du deine persönliche Feldforschung beendet, und ich darf sie entlassen?«, fragte der Herausgeber mit gehässigem Unterton.

Maj hätte ihn gerne angefeuert.

»Gösta, jetzt tu nicht so, als wäre das meine Entscheidung! Ich würde das Team lieber so belassen, wie es ist. Du zwingst mich dazu, mich von Leuten zu trennen. Und zwischen den beiden fällt meine Wahl auf Maj. Sara ist seit fünf Jahren dabei und besser für diesen Job geeignet. Maj ist unglaublich talentiert, aber …«

Maj hätte gerne gehört, was Henrik über sie zu sagen hatte, doch sie verstand ihn nicht, denn in ihren Ohren rauschte das Blut wie ein tosender Fluss.

Er musste sich zwischen Sara und ihr entscheiden. Diese Erkenntnis ließ ihren Ärger verrauchen.

Nein, es gefiel ihr nicht, auf der Abschussliste zu stehen. Aber wenn Henrik die Wahl hatte, ob er Sara oder sie behalten wollte, dann war sie auf seiner Seite. Für ihre Freundin wäre der Verlust des Jobs eine Katastrophe. Sie hatte gerade einen Kredit aufgenommen, für dessen Rückzahlung zwei Gehälter notwendig waren. Wenn sie ihre Arbeit verlor, würde das weitreichende Folgen für sie haben. Das konnte Maj ihr nicht antun.

»Ja, aber wieso willst du unbedingt die Talentiertere von den beiden rausschmeißen?«, fragte der Verleger eindringlich.

Maj wartete Henriks Antwort nicht ab. Sie hatte eine Entscheidung getroffen.

HENRIK

»Es geht um mehr als nur um Talent«, erklärte Henrik entschieden. »Sara hat einen guten Job gemacht, bevor Maj zum Team gestoßen ist. Sie fühlt sich dieser Zeitung verbunden, ist hier sesshaft und kennt wahnsinnig viele Leute. Das ist Gold wert. Für Maj ist das nur eine Zwischenstation.« Er bemerkte den skeptischen Blick seines Gegenübers und fuhr fort: »Es hat sie irgendwie hierher verschlagen, und genauso wird sie in einiger Zeit zu ihrer nächsten Station weiterziehen. Mann, sie ist vierundzwanzig, und ihr Schreibstil ist umwerfend! Sie sollte keine Artikel über verschlafene Kaffs schreiben, sondern über aufregende Orte irgendwo auf der Welt. Oder Romane, die an aufregenden Plätzen spielen.«

Henrik merkte selbst, dass er sich in das Thema hineinsteigerte, doch er konnte sich nicht bremsen. »So, wie sie eine Umgebung beschreibt, fühlt man sich sofort, als wäre man dort. Im Moment mag es für sie eine Herausforderung sein, eine Ansammlung von vier Häusern wie eine paradiesische Insel darzustellen, aber irgendwann wird die Aufgabe für sie den Reiz verlieren.« Er trank einen Schluck aus seinem Wasserglas, dann fasste er noch einmal zusammen: »Sara ist langfristig die richtige Wahl. Und ganz ehrlich, ich glaube, Maj braucht einen Tritt in den Hintern, um ihr Talent für etwas Wertigeres zu nutzen als für Artikel, die nach einer Woche niemanden mehr interessieren.«

»Wenn man dir so zuhört, gewinnt man den Eindruck, als hättest du von deinem eigenen Job keine allzu hohe Meinung«, unterstellte Gösta Jonasson, grinste dabei aber.

»Als ob du selber der Ansicht wärst, mit deiner Zeitung einen Beitrag für die Nachwelt zu leisten«, erwiderte Henrik schmunzelnd. Er wusste genau, dieses Blatt war für den Herausgeber nur ein Hobby. Eines, das in letzter Zeit leider etwas mehr kostete, als ihm lieb war, deshalb hatte er Einsparungen angeordnet.

»Mit dieser Maj könnten wir vielleicht das Niveau heben«, merkte Gösta an.

»Und wer soll das halten, wenn sie weiterzieht? Glaub mir, sie ist nicht gekommen, um zu bleiben.«

»Warum wolltest du dann unbedingt, dass ich sie einstelle?«

»Das sagte ich doch schon«, erklärte Henrik seufzend. »Ich wollte sie mir näher ansehen, weil mich ihre Bewerbung beeindruckt hat. Sie hat sich im Erstgespräch nicht in die Karten schauen lassen, das hat mich irgendwie fasziniert.«

»Können wir uns für die Zukunft darauf einigen, dass du mit Frauen, die dich ›irgendwie faszinieren‹ einfach ausgehst, anstatt sie auf meine Gehaltsliste zu setzen?«

»Nicht auf diese Art fasziniert«, widersprach er schnell. »Rein beruflich.«

»Wieso eigentlich ausschließlich beruflich? Ich bin ihr ja nur einmal begegnet, aber sie ist doch ganz süß, oder?« Gösta grinste herausfordernd.

»Was wird das? Willst du mich verkuppeln?«

Der Herausgeber zuckte mit den Schultern. »Du bist auch nicht mehr der Jüngste. Wird es nicht langsam Zeit für Frau und Kinder und all das?«

»Sagt wer?«

Jetzt lachte Gösta. »Meine Frau. Tilda hat einen ziemlichen Narren an dir gefressen. Wenn wir eine Tochter hätten, würde sie dich glatt mit ihr verheiraten.«

»Ha, ha«, machte Henrik. Er schätzte Gösta und Tilda sehr, hatte sich in den letzten eineinhalb Jahren auch mit ihrem ältesten Sohn Laris angefreundet, der für Marketing und Vertrieb der Zeitung zuständig war. Aber verkuppeln lassen wollte er sich wirklich nicht.

»Also können wir so verbleiben, dass wir Sara behalten und Maj gehen muss?«, kehrte er zum eigentlichen Thema zurück.

Gösta war offensichtlich noch immer nicht überzeugt. »Ich lasse mir deine Argumente über Nacht durch den Kopf gehen und gebe dir morgen Bescheid, in Ordnung?«

Henrik nickte. »Einverstanden.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Sind wir fertig? Ich sollte mich auf den Heimweg machen.«

»Ja, das war alles«, antwortete Gösta. »Die Rechnung übernehme ich.«

Obwohl die Fahrt von Gävle nach Falun eine Stunde dauerte, war Henrik auch am nächsten Morgen der Erste in der Redaktion. Das gab ihm die Möglichkeit, sich auf den Tag einzustellen. Außerdem konnte er durch die Glasfront seines Büros alle Angestellten beim Eintreffen beobachten und sich ein Bild von ihrer Stimmung machen. Er fand, dass der Gesichtsausdruck eines Menschen beim Erreichen seines Schreibtischs eine Menge über seine Zufriedenheit im Job aussagte.

Henrik bemerkte den Briefumschlag, als er sein Büro aufsperrte, jemand hatte ihn unter der Tür durchgeschoben. Rasch bückte er sich, um ihn aufzuheben. Das Kuvert trug die Aufschrift ›Chefredakteur Henrik Bergqvist‹.

Er stellte seine lederne Umhängetasche ab, riss den Umschlag mit Hilfe eines Stiftes auf und überflog das Schreiben. Ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Kurzentschlossen griff er zu seinem Smartphone und wählte Göstas Nummer.

»Das Problem mit den Redakteurinnen hat sich erübrigt«, verkündete er ohne Umschweife. »Maj Holmgren hat gekündigt.«

Der Herausgeber reagierte enttäuscht, aber Henrik sank entspannt in seinen Sessel und lehnte sich zurück.

Maj war weitergeflogen, das war eine gute Sache. Sie schrieb, sie wolle sich beruflich verändern. Henrik hoffte für sie, dass sie einen Job gefunden hatte, der mehr Raum für ihr Talent bot.

2

MAJ

Samstag, 7. Mai

Obwohl die Kündigung ihre eigene Entscheidung gewesen war, fühlte sie sich wie eine Niederlage an, als Maj sich endlich dazu durchrang, die Nummer ihres Vaters zu wählen. Hoffentlich gelang es ihr wenigstens, den Frust aus ihrer Stimme herauszuhalten.

»Hej hej, junge Dame«, begrüßte Sture Holmgren sie fröhlich. »Was verschafft mir die ungewöhnliche Ehre deines Anrufs?«

»Guten Tag, werter Herr«, erwiderte sie im selben verspielten Ton, der ihr gerade sehr entgegenkam. »Ich habe leider unangenehme Neuigkeiten.«

»Welcher Art?«

»Die Bewohnerin der Wohnung über Farfars Bageri wird aufgrund von unvorhersehbaren Ereignissen im nächsten Monat die Miete nicht bezahlen können.«

»Oh Schatz, was ist passiert?«, erkundigte er sich mitfühlend.

»Einsparungsmaßnahmen«, brummte Maj.

»Das tut mir leid. Du hast den Eindruck vermittelt, als würde dir der Job Spaß machen.«

Sie seufzte tief. »Hat er auch. Aber gegen die wirtschaftliche Lage bin ich machtlos. Das Redaktionsteam muss verkleinert werden.«

»Und weil du am kürzesten dabei bist, trifft es dich«, folgerte er automatisch. »Verstehe. Hast du schon einen Plan?«

»Ich weiß es erst seit gestern«, log Maj. Sie hatte drei Tage gebraucht, um sich zu diesem Anruf durchzuringen. Inzwischen hatte sie alle ihr bekannten Jobbörsen im Internet nach neuen beruflichen Möglichkeiten durchsucht. Erst nachdem sie sich eingestanden hatte, dass sie völlig ratlos war, hatte sie sich dazu entschieden, sich an ihre Familie zu wenden.

»Da gibt es doch noch Farfars Bageri«, meinte ihr Vater. »Ich weiß aus sicherer Quelle, dass sie dort Verstärkung brauchen – jetzt, wo es wärmer wird und mehr Leute kommen. Niklas kann bis Juli nur zweimal in der Woche aushelfen, aber Ida braucht auch mal einen freien Tag. Wäre das nichts für dich?«

Maj seufzte. »Papa, du weißt schon, dass du gerade mit der Tochter redest, die mit Backen nichts am Hut hat?«

»Kuchen in Stücke schneiden und servieren schaffst sogar du«, war er überzeugt. »Du musst höchstens mal die Creme auf ein Törtchen streichen, alles andere bekommt ihr doch ohnehin von uns geliefert.«

»Wollen wir es wirklich darauf ankommen lassen?«

»Schau es dir einmal an!«, riet er. »Einen besseren Arbeitsplatz kannst du gar nicht finden. Die Treppe hinunter und schon bist du da.«

»Das stimmt.«

»Es muss ja nicht für immer sein«, fügte er hinzu. »Inzwischen siehst du dich in Ruhe nach etwas um, wo du wieder schreiben kannst. Mir ist schon klar, dass Backen nicht deine erste Wahl ist. Aber auf die Schnelle ist es das Beste, was ich für dich tun kann. Außer, du willst die Wohnung gleich wieder aufgeben, zurück zu uns ziehen und mir die Buchhaltung abnehmen?«

»Ich verlege mich dann doch lieber auf das Möglichst-nicht-Verpatzen eurer Kuchen«, sagte Maj schnell. Mit Zahlen war sie noch schlechter als mit Teig. Ihre Welt waren die Buchstaben. Oder zumindest waren sie es gewesen.

»In Ordnung. Ich rufe Ida an und kläre alles mit ihr. Wann willst du anfangen?«

»Ich stehe ab sofort zur Verfügung. Danke, Papa.«

»Gerne, mein Schatz. Und vielleicht lässt du dich ja auch mal wieder zu Hause blicken.«

»Nächstes Wochenende möglicherweise«, stellte Maj in Aussicht, um ihn nicht zu enttäuschen.

Das Problem mit dem fehlenden Einkommen war also beseitigt. Nicht, dass Maj sich sonderlich über die Lösung freute. Sie war bequem, das stimmte, aber ansonsten aus ihrer Sicht nicht gerade erstrebenswert, weil sie rein gar nichts mit Schreiben zu tun hatte.

Der Job verschaffte ihr Zeit. Nicht nur, um sich nach einer neuen Arbeit umzusehen, sondern auch viel Freizeit, die sie für sich nutzen konnte – zum Beispiel, um zu schreiben, was ihr Kopf gerade hergab.

Sie musste sich nur trauen.

3

HENRIK

Mittwoch, 18. Mai

Schon wieder hatte Sara diesen verbissenen Gesichtsausdruck, als sie am Morgen an ihren Schreibtisch trat. Schon wieder glitt ihr Blick zuerst zu Majs leerem Platz und dann weiter in Richtung Büro des Chefredakteurs. Henrik stand für alle sichtbar hinter der Glasscheibe und beobachtete den morgendlichen Trubel. Doch heute entschied er, dass er Saras Stimmung nicht länger ignorieren konnte.

Zwei Wochen waren seit Majs Kündigung vergangen. Sara führte die Serie für den Tourismusverband seither gut weiter. Man merkte ihren Texten an, dass sie sich in den drei Monaten, in denen sie sich mit Maj einen Schreibtisch geteilt hatte, eine Menge von ihrer Lieblingskollegin abgeschaut hatte. Die Vorstellungen der Orte waren nicht ganz so poetisch ausgefallen wie die von Maj, aber alle Beteiligten waren damit zufrieden, weshalb die Serie über den Sommer fortgesetzt werden sollte. Henrik nutzte das als Aufhänger, um Sara in sein Büro zu bitten.

Mit trotziger Miene trat sie durch die Tür und ließ sich in den Besuchersessel fallen. Bevor Henrik dazukam, die Ortsporträts anzusprechen, brummte sie: »Muss ich jetzt doch gehen?«

Er stutzte. Hätte sie wissen wollen, ob sie auch gehen musste, hätte die Frage ihn nicht irritiert. Aber sie hatte ›doch‹ gesagt.

»Woher weißt du, dass es eigentlich dich hätte treffen sollen?«, erkundigte er sich direkt, denn er war kein Freund davon, um den heißen Brei herumzureden. Insofern imponierte es ihm, dass Sara ihrem Unmut sofort Luft gemacht hatte.

»Von Maj«, antwortete sie knapp.

»Und woher wusste Maj das?«, hakte er nach.

Sara zögerte, hielt seinem eindringlichen Blick jedoch nicht lange stand. »Sie hat ein Gespräch darüber mitbekommen. Am Abend bevor sie gekündigt hat.«

»Maj war auch in der Bar?« Henrik hatte beim Verlassen des Lokals mitbekommen, dass seine halbe Redaktion draußen gesessen hatte, doch Maj war ihm nicht aufgefallen.

»Sie ist etwas verstört von der Toilette zurückgekommen und sofort abgerauscht. Am nächsten Morgen war ihr Platz leer.«

»Sie hat gekündigt, weil sie mitbekommen hat, dass wir sie vielleicht entlassen?«

»Nein, sie hat gekündigt, weil sie mitbekommen hat, dass ihr sonst mich entlasst«, korrigierte Sara ihn.

»Ich dachte, sie hätte einen besseren Job gefunden«, stellte Henrik verdutzt fest. »Sie hat etwas von beruflicher Veränderung geschrieben.« Außerdem hatte sie ausdrücklich um eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebeten. Auch das hatte er als Hinweis darauf gewertet, dass sie ihren Traumjob bekommen hatte.

Sein Gegenüber lachte gequält auf und schnaufte. »Genau, berufliche Veränderung.«

»Was macht sie?« Er war sich nicht sicher, ob er die Antwort auf diese Frage wirklich hören wollte.

»Sie arbeitet in Farfars Bageri. Erinnerst du dich? In ihrem letzten Artikel hat sie darüber geschrieben.«

»In einer Bäckerei?«, wiederholte er entsetzt.

»Es ist mehr ein Café«, klärte Sara ihn auf. »Der Name kommt daher, dass es früher eine Bäckerei war.«

Er hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, weil er zu beschäftigt war, Majs Entscheidung nachzuvollziehen. Bestimmt hatte sie sich dazu entschlossen, einfach irgendeinen Job anzunehmen, um nebenbei Zeit zum Schreiben zu haben. Das war die einzige logische Erklärung für diesen Schritt. Vielleicht hatte sie von einem Verlag eine Zusage für ein Manuskript bekommen und musste es nun so schnell wie möglich fertigstellen.

»Das Einzige, was sie noch schreibt, sind Glückwünsche in Zuckerschrift.«

Schockiert riss Henrik die Augen auf. »Aber warum?«, entfuhr es ihm. »Sie kann doch unmöglich die Ortsporträts so sehr vermissen, dass sie gar nicht mehr schreiben will. Wieso schreibt sie kein Buch? Oder Gedichte? Oder einen Blog? Oder tut sonst irgendwas Sinnvolles mit ihrem Talent?«

Es überraschte ihn selbst, wie sehr ihn die neuen Informationen aufwühlten. Hatte er damals in dem Lokal irgendwas gesagt, das sie an ihren Fähigkeiten zweifeln ließ?

Sara hob hilflos die Hände. »Ich weiß es auch nicht. Vielleicht hat sie einfach das Erstbeste angenommen, weil sie das Geld braucht? Seit ich ihren ersten Text gelesen habe, habe ich ihr tagtäglich erklärt, dass sie hier bei uns völlig falsch ist. Sie behauptete standhaft, sie sei auf der Suche nach etwas anderem, aber so richtig habe ich ihr das nie geglaubt. Nach ihrer Kündigung dachte ich auch zuerst, sie hätte es endlich kapiert. Aber dann hat sie sich nach einer Woche Funkstille gemeldet und mir von dem Job in dem Café erzählt und dass sie meinetwegen gegangen sei. Wenn ich sie auf das Schreiben anrede, blockt sie sofort ab.«

Henrik schüttelte missbilligend den Kopf und murmelte: »Das ist nicht gut.«

»Das ist total beschissen!«, bekräftigte Sara aufgebracht. »Als sie hier angefangen hat, meinte sie, sie hätte einfach den nächstbesten Job gesucht, bei dem sie schreiben dürfe. Jetzt ist es nur mehr der nächstbeste Job. Irgendwas ist da schiefgelaufen, aber sie will mir nicht sagen, was.«

Henrik ließ sich Saras Worte kurz durch den Kopf gehen, dann erkundigte er sich: »Wie heißt dieses Café nochmal?«

Sie verdrehte die Augen – vermutlich, weil er das doch wissen sollte, wenn Maj darüber berichtet hatte. »Farfars Bageri.«

Er machte sich eine Notiz auf seiner Unterlage, die sie zu der Frage veranlasste: »Was hast du vor?«

»Ich denke«, antwortete er verlegen, »ich sollte meinen Redakteuren mal einen Kuchen spendieren.«

Saras Laune besserte sich schlagartig. »Das ist eine hervorragende Idee.«

4

MAJ

Donnerstag, 19. Mai

Die kleine Glocke über der Ladentür klingelte zum wiederholten Male, doch Maj reagierte nicht. Ida stand vorne im Geschäft, um die Kundschaft zu bedienen, während sie im Nebenraum verbissen versuchte, die vorbereiteten Erdbeertörtchen gleichmäßig mit Creme zu verzieren. Sie stellte sich dabei nicht besonders geschickt an. Trotzdem war ihr diese Arbeit heute lieber als der Trubel im Lokal.

»Maj, kommst du bitte?«, rief Ida, und Maj ließ seufzend die Spritztüte sinken. Das war es dann wohl mit ihrer kleinen Auszeit von den Gästen.

Sie trat zu ihrer Kollegin hinter den Tresen und erkundigte sich: »Was brauchst du?«

Ida machte eine vage Kopfbewegung, sagte jedoch nichts. Das musste sie auch gar nicht, denn Maj bemerkte genau in diesem Moment selbst die Antwort.

Vor dem Verkaufspult stand Henrik Bergqvist.

»Hej«, begrüßte Maj ihn vorsichtig. »Was führt dich denn hierher?«

»Ich brauche Kuchen«, behauptete er.

Sie wich seinem Blick aus. »Ida kann dich da bestimmt beraten.«

»Außerdem wollte ich bei der Gelegenheit sehen, wie es dir geht«, fuhr er unbeirrt fort. »Sara hat mir erzählt, warum du gekündigt hast. Das war wirklich sehr nobel von dir, aber es tut mir auch leid.«

»Hättest du mich lieber selber entlassen?«, erwiderte Maj bissig und wunderte sich, dass sie sich traute, so mit Henrik zu reden. Wahrscheinlich lag es daran, dass er nicht mehr ihr Vorgesetzter war.

»So habe ich das nicht gemeint«, versicherte er schnell. »Machst du vielleicht irgendwann Pause und hast Zeit zum Reden?«

Die Frage überrumpelte Maj völlig, und sie starrte ihn entgeistert an. Worüber wollte Henrik auf einmal mit ihr reden? In ihren drei Monaten beim Dala Kuriren hatte er nie auch nur ein privates Wort mit ihr gewechselt. Nun suchte er sie in ihrem neuen Leben auf und wollte mit ihr sprechen?

»Worüber?«, fragte sie irritiert.

»Das erkläre ich dir dann.«

»Ich bin gerade mitten in der Arbeit. Da hinten warten noch zwanzig Erdbeertörtchen auf mich.« Sie zeigte auf die Tür, die in die Küche führte.

Henrik warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Wann wäre für dich eine gute Zeit für eine Fika?«

»Wieso?« Maj verstand nicht, warum er mit ihr Kaffee trinken wollte.

»Von mir aus kannst du gern um drei Schluss machen«, mischte sich Ida ein. »Dann ist der größte Ansturm bestimmt vorbei.«

Die meisten Kunden von Farfars Bageri waren Bewohner eines nahegelegenen Altenheims. Sie hatten strenge Gewohnheiten und kamen üblicherweise nach dem Mittagessen vorbei, bevor sie nach Solhus zurückkehrten, um an den Nachmittagsaktivitäten teilzunehmen. Dann wurde es meistens ruhig im Café. Maj war sich allerdings nicht sicher, ob sie es hilfreich fand, dass ihre Kollegin das jetzt erwähnte.

»Gut, dann ist es abgemacht, ich bin um fünfzehn Uhr wieder da«, verkündete Henrik. »Den Kuchen da nehme ich aber gleich mit.«

Immer noch völlig verdattert sah Maj zu, wie er den ausgewählten Citronkaka bezahlte und mit einem freundlichen Lächeln den Laden verließ.

»Wer war das?«, flüsterte Ida.

»Mein Ex-Chef«, nuschelte Maj peinlich berührt.

»Oh. Will er dich zurückholen?« Sie sah nicht gerade aus, als würde ihr der Gedanke gefallen.

»Ich weiß es nicht.« Maj hob ratlos die Schultern und ließ sie mit einem Seufzen wieder sinken. Immer noch irritiert von Henriks Besuch zog sie sich in die Küche zu ihren Erdbeertörtchen zurück.

Ihre restliche Arbeitszeit verbrachte Maj damit, sich das Hirn darüber zu zermartern, was Henrik wohl von ihr wollte. Würde er ihr ihren alten Job anbieten? Das war unwahrscheinlich, immerhin waren die Einsparungen nicht seine Idee gewesen. Vielleicht wollte er seine Beziehungen spielen lassen, um eine andere Stelle für sie zu finden, wo sie schreiben konnte? Möglicherweise hatte Sara ihn darum gebeten, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, dass Maj für sie den Job aufgegeben hatte.

Das erschien ihr plausibel – ja, es musste so sein. Seit sie Sara den Grund für ihre Kündigung verraten hatte, wurde ihre Freundin nicht fertig, sich dafür zu bedanken. Dabei sah Maj den Schritt gar nicht als großes Opfer an. Die Wahrheit war: Sie hatte gewusst, dass ihr Vater sofort eine Stelle im Familienbetrieb für sie finden würde. Außerdem bezahlte sie in Wirklichkeit gar keine Miete für die Wohnung, in der früher ihre Großeltern gelebt hatten – und schon gar keine Kreditraten wie ihre Freundin. Finanziell war für sie der Verlust ihrer Arbeit leicht zu verkraften. Aber das wusste Sara nicht, deshalb hielt Maj es für absolut möglich, dass sie sich bemühte, ihre ›Schuld‹ auszugleichen.

Um fünfzehn Uhr erwartete Maj Henrik an einem Tisch für zwei in der äußersten Ecke der Terrasse. Obwohl die Sonne schien und die Tage immer länger wurden, waren die Temperaturen noch nicht richtig frühlingshaft, daher bevorzugten die verbliebenen Gäste die Plätze im Café. Sie konnten sich also ungestört unterhalten. Außerdem war es Majs Lieblingsplatz, weil man hier den schönsten Ausblick auf das Wasser hatte.

Der Billingen lag heute fast unbewegt da, und die Bäume spiegelten sich klar in der glatten Oberfläche. Maj saugte die Ruhe in sich auf. Sie brauchte das, um nach der anstrengenden Schicht und den vielen Gesprächen und Eindrücken wieder Raum für ihre eigenen Gedanken zu schaffen.

»Entschuldige, dass du warten musstest.« Henriks Stimme ließ Maj zusammenfahren. »Entschuldigung«, wiederholte er. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Schon gut«, wehrte sie ab. »Hast du dir schon Kaffee geholt?«

Er schüttelte den Kopf.

»Was darf ich dir bringen?«, fragte sie.

»Ich dachte, du hättest Feierabend«, entgegnete er. »Außerdem möchte ich dich einladen.«

Maj überlegte, ob sie ihm erklären sollte, dass sie in diesem Café noch nie für irgendwas bezahlt hatte. Aber sie bemerkte den Rattenschwanz an privaten Dingen, die sie nach so einer Aussage preisgeben müsste, und verkniff es sich.

»Dann hätte ich gern einen Hauskaffee«, sagte sie stattdessen lediglich.

»Kuchen?«

»Nein, danke.«

Er sah ein wenig enttäuscht aus, und es überraschte Maj nicht wirklich, dass er nach ein paar Minuten mit einem Tablett zurückkam, auf dem nicht nur zwei Tassen, sondern auch zwei ihrer zweifelhaften Erdbeer-Kunstwerke standen.

»Wenn du nicht willst, esse ich auch beide«, meinte er mit einem leichten Zwinkern.

Maj nahm ihm dankbar den Kaffee ab, nach dem sie sich schon seit mindestens einer Stunde sehnte. Während Henrik sich auf den zweiten Stuhl setzte und dabei seinen Blick über den See schweifen ließ, trank sie einen ersten Schluck und unterdrückte nur mit Mühe ein seliges Seufzen.

»Genau so habe ich es mir vorgestellt«, bemerkte er, und Maj brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass er damit den Ausblick meinte, den sie in ihrem letzten Beitrag für den Dala Kuriren beschrieben hatte.

»Dann habe ich ja etwas richtig gemacht«, murmelte sie verlegen.

Er musterte sie einige Augenblicke und fragte direkt: »Kann es sein, dass du mir bei deinem Bewerbungsgespräch den wahren Grund, warum du diesen Job wolltest, verschwiegen hast?«

»Wie kommst du darauf?«, wich sie reflexartig aus.

»Deine Haltung, deine Augen und die Sorgfalt, mit der du deine Antworten formuliert hast. Du warst bemüht, mich nicht anzulügen, ganz ehrlich wolltest du aber auch nicht sein.«

»Warum hast du mich eingestellt, wenn du mitbekommen hast, dass ich nicht die Wahrheit sage?«

Er zuckte mit den Schultern. »Weil das für den Job nicht wichtig war.«

»Warum willst du es jetzt wissen?«

»Weil ich nach einem Gespräch mit Sara lange über dich nachgedacht habe und zur Erkenntnis gekommen bin, dass du vor irgendwas wegläufst.«

Maj lachte gequält.

»Also versuchst du es.«

»Wieso interessiert dich das überhaupt?«, entgegnete sie. »Ich arbeite nicht mehr in deiner Redaktion.«

»Eben deshalb.«

»Das ergibt keinen Sinn.«

»Ich mag keine ungelösten Rätsel.«

Das ließ Maj schon eher als Antwort gelten. Nach allem, was sie von ihm und über ihn gelesen hatte, konnte sie sich gut vorstellen, dass es unbeantwortete Fragen waren, die ihn bei seiner Arbeit – und vermutlich in seinem ganzen Leben – antrieben.

»Also hast du dir in den Kopf gesetzt, das Rätsel ›Maj‹ zu lösen, damit du wieder ruhig schlafen kannst«, unterstellte sie.

»So ungefähr«, gab er schmunzelnd zu.

»Ich will aber nicht darüber reden.«

Sie wandte sich ab und richtete den Blick auf die kleine Insel einige hundert Meter vom Ufer entfernt. In den Kronen der Bäume nisteten Seeadler, und eines der Elterntiere umkreiste gerade die Wipfel.

»Ich habe ein Angebot für dich«, sagte Henrik hinein in ihr Schweigen.

Sie sah ihn von der Seite an. »Und das wäre?«

»Mein Geheimnis gegen deines.«

Maj stutzte. »Dein Geheimnis?«

»Der Grund, warum ich bei einer bedeutungslosen Regionalzeitung gelandet bin, nachdem ich Schwedens größtes Reisemagazin geleitet habe.«

»Wie kommst du darauf, dass mich das interessiert?«, gab sie betont gelassen zurück. Sein verdutzter Blick amüsierte sie, aber sie unterdrückte ein Schmunzeln. Sie wollte nicht verraten, dass sie es tatsächlich gern gewusst hätte.

»Ich dachte eigentlich, das wäre in der Redaktion immer noch ein Thema«, antwortete er verhalten.

»Ist es durchaus«, stimmte sie ihm zu. »Aber ich arbeite dort nicht mehr.«

Diesmal schien er ihre Lüge nicht zu entlarven. Oder fiel das unter ›Bluffen‹? Sie war nicht bereit, ihm im Gegenzug für sein Geheimnis ihre eigene Geschichte zu erzählen. Wahrscheinlich würde er sie für ihre Naivität auslachen. Ihm wäre so ein Fehler bestimmt nicht unterlaufen.

Verstohlen betrachtete sie ihn über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg. Er hatte zu reden aufgehört und widmete sich stattdessen dem Erdbeertörtchen. Maj fand, auf diesem speziellen sah die Creme wie ein Kackhaufen aus. Henrik schien das jedoch nicht zu stören.

So nah war sie ihm noch nie gewesen, höchstens ein halber Meter lag zwischen ihnen. Er trug wie sie Jeans, ein T-Shirt und eine dünne Jacke. Eine sanfte Brise kam auf und fuhr durch seine braunen Haare. Während er aß, fiel ihm immer wieder eine Strähne ins Gesicht, die er mit einer achtlosen Bewegung hinters Ohr strich. Sie war gerade lang genug, um dort zu halten, bis die nächste Bewegung sie wieder löste.

»In der Redaktion haben sie vermutet, du hättest irgendwas verbockt und wärst rausgeworfen worden«, verriet sie unvermittelt und wunderte sich ein wenig, wieso sie das tat. »Aber dann haben sie herausgefunden, dass du selber gekündigt hast.«

Er teilte mit der Kuchengabel den Boden des Törtchens in kleine Stücke und erkundigte sich nebenbei: »Was wissen sie sonst noch?«

»Es gibt Gerüchte über einen Todesfall.«

Henrik nickte. Sein Ausdruck hatte sich verfinstert, aber er sah Maj direkt an.

»Also stimmt es?«

»Meine Geschichte im Austausch gegen deine«, verlangte er anstelle einer Antwort.

Maj sah ihm in die Augen und bekam plötzlich einen lebhaften Eindruck davon, warum dieser Mann so viele großartige Reportagen geschrieben hatte. In seinem Blick lag etwas, dem sie sich nicht entziehen konnte, eine Neugier, die man einfach stillen wollte.

»In Ordnung«, gab sie nach.

»Dann schlag ein«, forderte er sie auf und streckte ihr seine rechte Hand entgegen. Maj zögerte, doch ein weiterer kurzer Augenkontakt genügte, um sie zu überzeugen.

HENRIK

»Was weißt du über meine Vorgeschichte?«, erkundigte sich Henrik. Er wollte wissen, wie weit er ausholen musste.