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Buddha Sulidae E-Book

Carlo Salto

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Beschreibung

Die Geschichte des erleuchteten Blaufußtölpels Sulidae. Von seiner Reise und davon, was er die Tiere lehrt. Von seiner Weisheit, wie er sie verliert, und schließlich wiederfindet. Eine Fabel. Eine Persiflage. Eine Kurzgeschichte, unterteilt in 8 Kapitel.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ähnliche


Carlo Salto

Buddha Sulidae

Fabel

 

 

 

– BODHI –

 

 

I.

 

An der Wiege des Meeres, auf den Zähnen schwarzer Riffe, offenbarte sich in einer stürmischen Nacht der blaugehäutete Buddha Sulidae.

Das Getöse zerbarst die Nester, und der Himmel war von tiefster Finsternis. Donner betäubte die Ohren, und Blitze erschlugen die Fliehenden. Auch Sulidaes Augenapfel wurde herausgeschlagen, und an Federn verlor er hunderte, sodass er des Morgens, im Licht der gütigen Sonne, nackt und einäugig die Welt erblickte.

Doch wie Sulidae die Welt erblickte! Sein gesundes Auge schaute die Welt in neuem Licht. Und sein gehöhltes Auge sah nach innen, horchte. Und wie es horchte, da vernahm Sulidae zum ersten Mal, dass Atman [Sanskrit; Lebenshauch, Atem, häufig auch mit Seele übersetzt] aus ihm sprach; von Demut, Dankbarkeit und der Heiligkeit des Seins.

Und sowie die letzte Welle verebbte und das Meer in Stille sich legte, war Sulidae von ganzem Wesen verändert. In dieser Nacht nämlich war Sulidae Bodhi [Sanskrit; wörtlich: Erwachen, häufig auch mit Erleuchtung übersetzt]zuteil geworden. Als seine Sippe im Kräftemessen der Naturgewalten untergangen war. Als er sich selbst ergeben und sein Gefieder dem Wind überlassen hatte. Als der Tod nur ein Auge als Pfand sich genommen und ohne Sulidae zu schauen vorübergeschritten war, hatte Sulidae Erleuchtung erfahren.

 

Die Felsen waren blank gescheuert und luden erneut an Wärme auf, doch Sulidae hatte seine Heimat verloren. Auf den Riffen seiner Ahnen erholte er sich, genährt von anschwemmenden Algen, und er vertrieb die Aasfresser von den Sterbenden, um seine Schuld abzutragen und in Verbundenheit Abschied zu nehmen.

 

Flugwandernd bereiste Sulidae die Seen, die Wälder, die Steppen. In den Bergen überwinterte er. In der Wüste dürstete ihm. Im Dschungel vergiftete er sich. Und am Meer genas er.

Sechs lange Sonnenjahre erwuchs er reisend. Sechs kurze Mondjahre ruhte die Welt mit ihm. Wo Sulidae schwamm, färbten sich die Seesterne. Wo Sulidae ging, häuteten sich die Schlangen blau. Schnecken, Spinnen, auch Wespen bläuten, und die Eulen, Elstern lauschten, denn Sulidae schwieg in außergewöhnlich lautem Maße.

Die Jahre zogen ins Land und Sulidae hielt Bodhi in Ehren. Er verteidigte Bodhi gegen die Klugen. Er vergaß Bodhi nicht bei den Dummen. Sulidae wusste, dass es demjenigen Vergessen bringt, der sich auf Bodhi ausruht. So pilgerte er, um nicht zu ruhen, um den Trott der Sesshaften nicht Herr über sich werden zu lassen. Und wie sich die Welt um Sulidae veränderte, veränderte sich auch Sulidae. Bodhi jedoch hielt er in Ehren, und so blieb sein Kern für lange Zeit immergrün, von Heiligkeit durchdrungen.

 

 

II.

 

An eine Schlucht gelangte er, wo ein Reiher in einer Astgabel hockte und immerzu mit dem Schnabel schüttelte. Als Sulidae in seine Nähe trat, rief der Reiher hinab: »Oh, Weiser! Blaugehäuteter! Dein Ruf eilt dir voraus und summt mit den Fliegen, und dem von mir verachteten Insektengetier bist du ein Prophet; ich erkenne dich! Sieh, Blauhaut, das grüne Stück, das vor uns liegt im Tal, es wird bald Ruine sein. Die Ameisen werden zu tragen haben und die Holzwürmer werden gedeihen, gedeihen werden die Holzwürmer, Blaugehäuteter, sie werden fett und blind sein, und sich nicht erinnern an das einstmalige Reich, das sie zermalmen. Doch es scheint so vorgesehen… Siehst du denn überhaupt, Einäugiger, dass dieses Land untergeht?«

Und Kraft seiner Erscheinung zähmte Sulidae die Tollgewordenen und brachte Kraft seines ruhigen Herzens Schlaf den Maulwürfen; diese gruben emsig durch den Untergrund, dass die Bäume obenauf versackten – und der Wald hatte sich bereits in großem Aufruhr befunden…

Zum Dank gossen Bienen Honig in Sulidaes Rachen, Büffel betteten ihn auf Schilfgras. Wombats legten ihm Bananen dar; Sulidae schlang, und die Mistkäfer wurden schwarz vor Neid, denn auch sie hatten Gaben herangeschafft.

Und desspäteren, wie der Blaugehäutete auf dem Schluchtenfels anlandete, um von letzten Lichtstrahlen erheitert zu sein, wurden auch die Räuber faul und legten ihre Messer nieder. Vorlaut plauderten sie mit Sulidae, dem Exoten.

»Sulidae, Sulidae!«, rief die Hyäne. »Warum freut es mich, dich hier in Wonne sitzen zu sehen, und sag, wieso überhaupt fresse ich dich nicht einfach auf?«

»Maul halten, Dummkopf!«, schalt der Geier rüde, denn er wartete sein Leben lag den Tod und war selbst ein großer Kenner von Samsara [Sanskrit; wörtlich: Beständiges Wandern, meint den Kreislauf des Werdens und Vergehens], sodass er die Hyäne verachten durfte. Denn diese war offenbar zu dumm und wusste nicht, dass auch Sulidae sterben und zu Aas werden würde.

»Buddha Sulidae lehrt dich lebendig«, pickte der Geier auf den Kopf der Hyäne. »Er lehrt dich zu leben. Sein Fleisch schmeckt nach Seetang und lehrt dich nichts. Er lehrt die Leidenden, du aber bist zu dumm zu diesem Leiden. Aber leiden wirst du, sollteste du ihm eine Feder nur zerkratzen!«

»Wie schmecken die blauen Füßchen wohl, wie schmecken wohl die heiligen Nierchen?«, juxte die Hyäne unter den Schlägen fort. Und der Geier pickte nach den Ohren und zog sie nach allen Seiten, um die Hyäne hörig zu machen. Und wie die Ohren lang genug waren, und die Hyäne endlich verstand, weshalb sie zu leiden hatte, sprang sie in weiten Sätzen den Felsen hinunter und trollte sich umsichtig, als würde sie verfolgt. Denn unter dem Ernst des Geiers war sie zu der Erkenntnis gelangt, sich mit größeren Fragen als Fleischfragen beschäftigen zu müssen, und fortan war sie einsam, hinterfragte jeden Schritt und verlor sich in Gedanken, welche der Hyänennatur fernlagen.

Buddha Sulidae aber schwieg, und wie die Sonne ihren Mantel nach sich zog, beschloss er, nicht in jenem Tal zu verweilen.

 

 

III.

 

»Erleuchtung kann ich euch nicht bringen«, sagte Suldiae einmal zu den Tauben der Stadt, zu den Vögeln der Menschen. »Wohl gibt es Nützliches zu wissen und Regeln einzuhalten. Überfresst euch nicht an den Menschenleckereien, und sofern euch keine Frage quält, pflegt den Geist, der um sich greift, in die Dinge dringt, und lustig zu betrachten weiß. Freude an den Dingen, das nennt Sulidae schon halb erwacht.«

»Sulidae, Sulidae…«, entgegnete ein fetter Tauberich gutmütig. »Wieso redest du nur von Erleuchtung, von Wörtern, die du erfindest? Du scheinst mir ein Sonderling zu sein, der uns verführen will. Wozu? Wohin? Die Menschen verehren uns hier. Um uns wohl zu tun, legen sie köstliche Speisen in ausgehölte Metallbäume. Sie errichten Bäder für uns und reinigen die herrlichen Dome, die sie zu Ehren unser erbauten. Uns brauchst du nichts erzählen, Sulidae…« und der fette Tauberich scharrte mit den Füßen und erfreute sich an laut zustimmendem Gegurr.

Doch Sulidae blinzelte mit seinem einen Auge und erkundigte sich höflich: »Und fragte deine Nebenfrau nicht soeben, weshalb ihr alle grau geworden, warum auch eure Köpfe grau zu denken anfingt?«

Und alle Anwesenden sahen zu dem besagten Taubenfräulein hin, welches sehr errötete. »Ist es nicht so?«, fragte sie schüchtern. »So ist es doch! Pflegen wir nicht wie Gourmets zu essen? Wie Könige zu flanieren? Wie Götter zu urteilen?«

Da rief eine Taubengroßmutter empört: »Natürlich! Natürlich tun wir das! Was redest du Unsinn!«

»Jaja, das tun wir!«, ereiferte sich das Fräulein. »Sind wir aber denn Gourmets, oder doch nur Fresssäcke? Sind wir Könige oder Gecken? Sind wir Götter oder Klatschweiber? Faul und träge sind wir geworden, jawohl, so ist es! Vergessen und dumm! Arrogant und grau!« und reichlich aufgeplustert lüftete sie ihre Schwingen.

Vielfaches Gurren kam auf und die Tauben tuschelten. Dann aber sprang ein Menschenkind in die Mitte der Versammlung und juchzte: »Mama, Mama! Hier sitzt ein seltsamer Vogel am Wasserspiel und hält sich für eine Taube! Mama!« – Worauf die Tauben auseinanderstoben und entlang der Häuserfassaden hinan flatterten, um sich auf den Simsen des Glockenturms niederzulassen. Sie tuschelten wieder und echauffierten sich des Kindes wegen; Balg, das es sei, das die Finger nicht von ihren hinreißenden Federkleidern lassen könne! Indes war es jedoch zwölf Uhr geworden, und die Messingglocke kam ihrer Pflicht nach und holte mühsam aus. Bis der erste Schlag erdröhnte, dass die Luft in den gehöhlten Vogelknochen noch lange sang und die Tauben wackelten und zitterten, und es noch taten, als sie sich erneut auf einem entfernten Giebel zusammenfanden.

Sulidae folgte den Tauben. Doch wie er seine blauen Füße vom Schornstein baumeln ließ, fuhren die Taubenköpfe herum, machten große Augen, und hatten durch die Aufregung bereits vergessen, wer Sulidae war und was es mit dem Exoten auf sich hatte. Sie tuschelten und lästerten die Menschen, deren Ehrerbietung bisweilen Ausschlag ins Krankhafte nehme.

Nur jenes junge Taubenfräulein tat sich aus der verwirrten Menge hervor, verneigte sich und sprach: »Seht Ihr, Sulidae. Einst waren wir kluge Briefträger. Wie Maden im Speck leben wir heute und werden dabei immer madenähnlicher, beschäftigt mit der kleinen Sorge, denn mehr kann sich unsereiner nicht merken. Wer heute sein Wort gibt, hat morgen nie davon gehört. Und wer gestern mein Freund war, ist heute ein mich umwerbender Hanswurst. Die Stadt hat uns geformt und grau gemacht, ich nun will bunt werden und mit dir ziehen, o Sulidae.«

»Soso«, erwiderte Sulidae heiter. »Dann komm mit mir, denn auch ich will fort! Hier nämlich wird auch Sulidae ein Tauber, ein Gehörloser! Bevor wir aber reisen wollen, noch ein letztes…«

Und da rief der große Buddha über den Giebel zu den Tauben: »Seht nur! Seht dort unten! Euch zu Ehren haben die Menschen wundervolle Dinge geschaffen, um von euch betrachtet und kritisiert zu werden! Seht!«

Und wie der Taubenschwarm hinabstürzte, und sich einer nach dem anderen den Schnabel an der Glasfassade des Museums stieß, vergoss Sulidae fünf Tränen seines heilen Auges, und er lachte im Davonfliegen noch so sehr, dass es das Taubenfräulein ängstigte, und sie rasch ihren eigenen Weg einschlug.

Als Kragentaube wurde sie desspäteren bekannt, und für ihre herrlich bunten Zöpfe vielfach bewundert und verehrt. In die Stadt gelangten sie jedoch nie wieder.

 

IV.

 

Streit und Kräftemessen waren Sulidae stets sinnlose Beschäftigungen.

Auf die Probe stellten ihn die Affen der Wasserberge, die hundeschnäuzigen Paviane, Baboons, wie das diebische Gesindel von den Flusspferden geschimpft wurde. Auf den rotgebrannten Brocken turnten sie, dorthin flohen sie, und von dort schallte das Gelächter über die Bestohlenen, die zu dick und ungelenk waren, um die Anhöhen der Affenberge hinauf zu steigen und Fraß und Stolz zurück zu fordern.

Sulidae erhörte Klagen, Sulidae stellte Fragen. Sulidae sann. Sulidae meditierte bei einem Bad. Indem wurde der Buddha selbst zu Diebesgut, denn ein junger Baboon klemmte sich Sulidae unter den Arm und kreischte: »Blaue Paddelfüße! Loben wird man mich! Loben, loben!«

Worauf das Krokodil aus dem aufgesperrten Maul ächzte: »Der Narr stiehlt den Buddha!«

»Buddha?«, wandte sich der Affe um. »So also! Bring ich dich zu dem unseren!«

Worauf den großen Buddha große Übelkeit überkam, denn der junge Baboon hetzte im Affenzahn den Berg hinan, da er sehr gefallsüchtig war.

So kam es, dass an jenem Ort, wo nur die Geflügelten über die Langarmigen erhaben waren, auf dem Gipfel also, Sulidae auf den buntgesäßigen Buddha Bababoon traf, ein altehrwürdiger Paviangreis mit schlechten Augen und einer speziellen Vorliebe für Meerkatzen, was aufgrund seiner Heiligkeit jedoch kein Geheimnis sein musste.

»Schau Bababoon, was ich gefunden, was ich gefunden! Einen Eurer Kollegen, einen Buddha aus den Lüften!« und der junge Affe bleckte die Zähne und erwartete Gutes.

»Willst du den armen Vogel nicht loslassen? Nicht so mit ihm herumfuchteln?«, fragte Bababoon träge und schob sich eine schreiende Schnecke ins Maul.

»Sag was! Sag was!« und der junge Affe schubste Sulidae vom einen Fuß auf den anderen. Bis sich Bababoon den jungen Affen griff und ihn über die Klippe warf.

»Sag was!«, forderte Bababoon.

»Sagen! Nicht willentlich ist Sulidae hier! Eine Rede hat er nicht vorbereitet!« und Sulidae war nicht zornig, aber auch nicht gemütlich.

»Bist du ein Bodhisattva? Ein Heiler?« Und plötzlich fuhr Spannung in Bababoons Glieder. »Oder ein Lügner, der mich meines Amtes entheben will? Ersetzen will! Die zu mir Pilgernden mit leeren Worten speisen will? Die Gaben der Nager an dich reißen? Ich kenne dich! Ihr Vögel versteht euch auf das Schauspiel! Gaukler, der du bist, mit deinen blauen Füßen, deinem einen Diebesauge!«

»Solche Angst kennt nur der Gierige, der Eitle«, setzte sich Sulidae zur Wehr.

»Gierig nennst du mich?! Eitel!«, zürnte Bababoon und sein Herz stach und seine Schläfen pochten. »Seist du herausgefordert, Sulidae! Beide wollen wir auf den Sanatana-Dharma [Etwa: Kosmische Ordnung, welche das gesamte Universum erhält] meditieren. Beginnen wollen wir sogleich, wenn die rote Sonne mit ihrem Bauch die Wüste schneidet. Dann wird sich der falsche Buddha unter uns zeigen, wenn er letztlich Nahrung sucht, der wahre Buddha aber fort meditiert.«

Und Sulidae willigte ein, denn der Wasserberg bot eine ungewöhnliche Aussicht, und sein Ruf war ihm gleich.

Als er am Morgen seine Übung mit reinem Gewissen beendete, ließ er den schnarchenden Bababoon hinter sich, und flog über das Meer, um Madagaskar zu sehen. Sulidae verschwendete keinen einzigen Gedanken an den Wettstreit, sondern war voll tiefer Zufriedenheit und Herzenslust.

Bababoon aber blieb geschlossener Augen an Ort und Stelle, schnarchte, hungerte, hockte, und verstarb alsbald. Die Zugvögel verbreiteten die Sage um den Buddha, der sich in den ewigen Schlaf meditierte, rasch über die Erdkugel.

 

 

 

 

– DÄMMERUNG –

 

 

V.

 

In einer Gegend, wo die Anhöhen des Südlandes ineinander verschachtelt lagen, erlebte Sulidae eine schicksalhafte Dämmerung.

Die Schatten wuchsen unter den von Licht gestreiften Hügelrücken, und die weiblichen Formen der Lande kamen gut zur Geltung. Über den erblühenden Hügeln wölbte das Licht die Wolken, und die Abendröte einte alles Lebende im Geiste, verlangsamte selbst den Herzschlag der Mäuse, machte gar die Fische an die Oberfläche kommen und die Schafe schneller laufen; um obenauf das Spektakel zu verlängern und mehr vom Sonnenuntergang zu haben. Bei einem Blick in die Ferne nämlich wurde aus grün blau, und aus Sicht Traum, und aus Zweifel Vertrauen in die Schöpfung.

Die in Reihe stehenden Zypressen vergaßen ihr verlaustes Haar, hielten Ausschau über die Lande, entnahmen dem Wind Witterung, und unterhielten sich gemächlich raschelnd.

»Ein guter Tag war es«, sagte eine mit gekrümmtem Zipfel.

»Ein guter Tag«, stimmte der Nebenbaum zu.

»Müssen wir denn jeden Tag preisen?«, fragte eine noch kleine Zypresse.

»Müssen?«, fragte die mit dem gekrümmten Zipfel.

»Müssen!«, lachte sein Nebenbaum.

Und gleichsam neigten sie die Köpfe, denn Sulidae war zwischen ihnen gelandete, watschelte, und ließ sich mit Blick gen Sonne nieder. Einäugig zwinkerte er den Bäumen zu, da er wusste, dass auch sie ihre Geheimnisse hüteten, dass auch sie nicht viel für die Hektischen übrigen hatten, auch sie Buddhas von Amts wegen waren.

Die Nacht bettete sich hernieder und Sulidae döste mit angelegtem Kopf. Dann jedoch stiegen Klänge durch den Wind; hoch und tief; Surrende Saiten, Mundharmonika und Geigenspiel – das schmeckte nach Rauch und Bratapfel, Frohsinn und Behaglichkeit. Sulidae war geweckt, und kurz darauf sichtete er aus den schwarzen Lüften eine Feuerstelle inmitten ruinierter Herrenhäuser, die in einer Senke siedelten. Leise flog er einen morschen Tonziegel an, um die musizierenden Landstreicher aus dem Schatten heraus zu beobachten.

Der eine tanzte in die Hände klatschend. Der andere fidelte virtuos. Der dritte koste die Gitarre. Und der vierte blies den Mundhobel, sachte, heftig, wunderbar. Im Bad des Feuers sangen sie:

 

»Mein Mädchen, sie war tausendschön

Kein Mann, der konnte widerstehen

Kein Tag, an dem, ich ließ, sie gehen

Sie wollte, ach, sie wollte!

 

Und ich schlug – sie – zusammen!

Und ich schlug – sie – zusammen!

 

 

 

 

Mein Bruder, er war gottgerecht

Mein Mädchen, das hat er gerächt

Sein Mädchen kam durch mich zuschanden

Bis wir verstanden, ach, bis wir verstanden!

 

Und ich schlug – sie – zusammen!

Und wir schlu – gen sie – zusammen!«

 

 

So tanzten und spielten die Landstreicher im Bad des Feuers, und so verlor sich Sulidae im Anblick; im Rausch der Berauschten.

Menschen! dachte Sulidae. Menschen! Besser singen sie als die Lerchen, treuer sind sie als Hunde! Zusammen tun sie es! Wäre ich nur im Stande, diesen Singsang zu verstehen! Müssen es doch größte Weisheiten sein, höchste Tugenden, von denen sie derart zu singen wissen! Sehe ich doch ihre Herzen glimmen, sehe ich doch ihre Geister sich verbinden! Zugehörig wie die Bienen, glücklicher als Erdmännchen noch!

Worauf tiefe Trauer den Buddha übermannte, denn in den Musizierenden erkannte er das eigene Herzen vereinsamt, erkannte den seinen Geist ungebunden.

Als er zog, vergoss Sulidae fünf Tränen seines heilen Auges, denn ihm verlangte sehnlichst nach dem Glück, wie es die Menschen kannten; ihm verlangte nach Gemeinschaft, Leidenschaft und Lustigkeit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

– SUCHE –

 

 

VI.

 

Kasperhafte Szenen sollte Sulidaes neuer Wunsch mit ihm aufführen.

Bis auf die Packeisschollen trieb es Sulidae, wo ihn ein neugieriger Pinguin fröhlich in die Flossen patschend empfing: »Nur zu, komm in unsere Mitte, das wird dich wärmen. Und du wirst uns wärmen. Einen Witz! Erzähl uns einen Witz aus dem grünen Reich!«

Worauf der Blaugehäutete sagte: »Einen Witz? Buddha Sulidae kennt keinen Witz. Aber in eure Mitte will ich kommen, damit es mich Gemeinschaft lehrt.«

So marschierte Sulidae in das Zentrum der Kolonie, dass einige auseinander rücken mussten. Fragend wurde er beäugt, denn der Wind zerzauste seine Daunen, und sein strenger Schnabel gebot dennoch, Abstand zu halten. Schließlich schnatterte ein Pinguin mit außerordentlich gelbem Kragen, dass sein Hals lang wurde und sein Bauch sich wölbte, und er johlte über alle hinweg: »Keine Witze kennst du, ein Komiker aber bist du sondergleichen! Buddha! Köstlich. Köstlich! Köstliches Spottbild!« Und alle Pinguine begriffen, schnatterten, und klopften sich gegenseitig die Schultern aus lauter Heiterkeit.

Sulidae jedoch empörte sich, hob die Schwingen – und floh den gefrackten Tauchern bei wüstem Denken. SchickeVögel, die nicht fliegen, dachte er, erkennen nicht den Heiligen, wenn er in ihre Mitte tritt. Wie können sie? Was können sie?! Das Eis muss sie zu Klötzen machen, der Wind macht sie ganz flatterhaft! Worauf Sulidae fünf Tränen seines heilen Auges vergoss, denn sein Ruf war ihm nicht mehr gleich, und Scham rötete seine Füße.

 

Im Dschungel, wo bunt gekreuzt und neu gezeugt wurde, erforschte Sulidae die Mechanik der Liebe: Aus Büschen und Bäumen heraus wurde er zum Voyeur. Der Brunst zweier Faultiere folgte er, als eine Raupe, entlang eines losen Spinnfadens, die schützende Laube des Sandelholzbaumes erkletterte.

»Starr nicht so!«, rief sie, indes sie sich wild verdrehend an der Seide abmühte. »Längst haben sie dich gesehen. Nur sind sie zu träge, dir davon zu rennen. Glück gehabt, Störenfried!«

Sulidae erwiderte: »Wenn ich nicht starren darf, so lehre du mich Leidenschaft.«

»Lass mich«, fauchte die Raupe. »Ich muss dick und fett werden. Such dir einen anderen Liebhaber. Und starr nicht so!« Worauf die Raupe heftig buckelte und schleunigst verschwand.

Beleidigt zog Sulidae, um anderswo an Erfahrung reich zu werden.

Als ein gewisser Schmetterling jedoch neugebar, war seine gesamte Verwandtschaft entrüstet: Seine Flügel waren braun und mit etlichen Augen versehen, und nicht von edlem Blauschimmer, wie bis dahin üblich bei seiner Familie. Vielfach vermehrte er sich, denn seine Rebellion gegen die Kleiderordnung beeindruckte ganz gehörig.

 

 

VII.

 

Am Morgen hatte der nächtliche Regenguss sein Ende gefunden und der Wald duftete nach aufspringenden Knospen, schwitzendem Blattwerk, abgetragenen Pelzen, und reichlich Pheromonen – was die Amsel ganz fidel stimmte.

Von Tannwipfel zu Tannwipfel flog sie, sang und warb, und hielt gleichwohl Ausschau nach Unterhaltung.

Unter einem großen Gesteinsüberhang trank sie aus einem Bach, betrachtete sich im fließenden Wasser, zupfte die Frisur zurecht, sah, ob die Kehle nicht doch etwas rot, gar blau geworden sei, und pfiff dabei vergnügt.

Da kroch eine alte Weinbergschnecke vorüber, machte Stilaugen und grummelte: »Ach, was soll die Mühe, Schönling?«

»Nun«, sagte die Amsel, »mein Schnabel sieht besser aus, als dass er singt. So muss die Tracht doch wenigstens sitzen! Keine Angst, komm näher. Ich schwöre, dich nicht aus deinem Häuschen zu zerren.«

»Es ist doch neuerdings immer dasselbe mit euch Füßlern«, wurde die Schnecke ärgerlich. »Mir scheint, dass die ganze Welt kopfsteht. Wenn Vögel Würmer lieben. Der ganze Untergrund spricht davon« und böse Worte für Vögel, Ratten und Tausendfüßler verlierend, entglitt die Schnecke.

Die Amsel aber rief: »Mein Versprechen will ich halten – doch dich lieben? Das ist wahrhaft verrückt!« Und im Abheben noch begriffen, schiss sie auf das Schneckenhaus.

Lange musste die Amsel nicht suchen, um den Vogel zu sehen, der einen Wurm liebte. Ein Weberknecht half aus, und außerdem ein junger Hase, der eben von der Sehenswürdigkeit wiederkehrte. »Vollkommen verrückt!«, frohlockte er aufgeregt, und rannte sogleich, um seine Sippe aus dem Bau zu klopfen.

Am Rande einer Lichtung landete die Amsel einen Tannenwedel an, wippte, und betrachtete den Kreis aus Zuschauern. Dieser hatte sich um den exotischen Sulidae gebildet: Einander zuzwinkernde Marder und Füchse, Salamander mit ratlosen Mienen, als auch Feldmäuse, die ihre spitznasigen Tanten und Onkel im Auge behielten, denn denen lief der Speichel, wenn sie auf den Wurm lugten. Frösche, Igel und Eichhörnchen durften Sulidae nahe sein, und auch ein verständnislos dreinsehendes Rehkitz.

Heiligkeit umgab Sulidaes Antlitz.

Denn der Glanz von Erfüllung, von mütterlicher Verliebtheit, von Aufopferung und Fürsorge ward von ihm ausgesandt, und er wog den Wurm sanft, und manches Mal strich er ihm zärtlich die Seite. Der Wurm selbst räkelte sich in Sulidaes Brustgefieder, ließ sich vorgekaute Erde zufüttern, und spie sie bisweilen zum anderen Ende aus; er war von hohem Stand und seine Größe jedem ersichtlich.

»Äußerst fett, dieser Wurm«, sagte eine adrette Walddrossel, welche neben der Amsel Platz genommen hatte. »So stellte ich mir das Frühstück vor.«

»Und so stellte ich mir die Gesellschaft dazu vor«, sagte die Amsel keck und neigte den Kopf. »Sagt, habt Ihr ein Nest, werte Dame?«

»Zu meiner Schande muss ich gestehen, ledig zu sein«, tat die Walddrossel sehr bedauernswert.

»Ruhe da oben!«, bellte der Fuchs, der das neckische Gezwitscher als sehr fehl am Platz empfand.

»Ein Zeichen!«, verstand die Walddrossel. »Bevor wir aber verschwinden wollen, um zu nesten, möchte ich Euch, zum Beweis meiner Zuneigung, diesen Wurm servieren.« Und die adrette Walddrossel stürzte sich auf Sulidae und entriss ihm den Wurm, um großzügig mit der Amsel zu speisen und Hochzeit zu feiern.

– Oh, dieses Erstaunen in Sulidaes Gesicht! Wie ihm der Schnabel offen stand und sein Auge nach dem Flecken huschte, wo kurz zuvor der Wurm gelegen hatte! Selbst den Zuschauern, die um die Lichtung saßen, selbst ihnen brach der Wille ab, so sehr spürten sie, wie Sulidae litt und seine lang gesuchte Leidenschaft nichts als Gram und Bitterkeit hinterließ. Unsagbare Stille durchwirkte den buntgemischten Kreis, und als Sulidae auf die Füße ging, zuckten die Tiere in unguter Erwartung innerlich zusammen.

»So bin ich gescheitert!«, krächzte der Blaugehäutet trocken. »An meiner Einfalt!«

Und in ungestümer Verzweiflung stolperte er voran, und warf sich in den längsten Dorn des Igels.

Noch so manche Meile trieb es den besudelten Igel ganz in Panik, denn auf seinem Rücken steckte der Augapfel des einst großen Buddhas, und starrte ihm leidig in den Nacken.

 

 

 

 

– BODHI –

 

 

VIII.

 

Sulidae suchte den Sommer, Sulidae fand den Herbst. Sulidae floh den Winter, Sulidae übersah den Frühling. Ziellos war Sulidae, und Bodhi war ihm längst nicht mehr sicher. Auf der Suche nach Gemeinschaft, Leidenschaft und Lustigkeit war er sich selbst fremd geworden, und der Blick seiner gehöhlten Augen war eng geworden, war starr, war blind geworden. Sulidaes denkender Geist führte, und Atman verkroch sich in dessen Schatten. Atman wurde taub, Atman wurde stumm. Atman wurde vergessen.

Und so hatte Sulidae vergessen.

---ENDE DER LESEPROBE---