Buddy – Mein Leben als Straßenhund - Gill Lewis - E-Book

Buddy – Mein Leben als Straßenhund E-Book

Gill Lewis

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Beschreibung

Gill Lewis' berührender Roman über einen Straßenhund Der kleine Mischling Buddy weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Eben noch war er bei seinem Jungen und jetzt steht er ganz allein an einer Straße. Hat seine Familie ihn vergessen? Bald wird ihm klar, dass er ausgesetzt wurde und nun auf sich allein gestellt ist. Zum Glück findet er ein Rudel Hunde, denen es ähnlich geht. Die Straßenhunde beschützen einander, teilen das Essen und den Schlafplatz. Aber Buddy kann seinen Jungen nicht vergessen. Nach mehreren Umwegen schafft er es tatsächlich, ihn wiederzufinden. Doch dann wiederholt sich die Geschichte und Buddys Leben als Straßenhund fängt erst so richtig an ...

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Über das Buch

Des Menschen bester Freund

Der kleine Mischling Buddy weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Eben noch war er bei seinem Jungen und jetzt steht er ganz allein an einer Straße. Hat seine Familie ihn vergessen? Bald wird ihm klar, dass er ausgesetzt wurde und nun auf sich allein gestellt ist. Zum Glück findet er ein Rudel Hunde, denen es ähnlich geht. Die Straßenhunde beschützen einander, teilen Essen und den Schlafplatz. Aber Buddy kann seinen Jungen nicht vergessen ...

Gill Lewis‘ persönlichstes Buch über die Beziehung zwischen Hund und Mensch

Von Gill Lewis sind außerdem bei dtv lieferbar:Der Ruf des Kulanjango Im Zeichen des weißen Delfins Die Spur des Mondbären Ein Zuhause für immer Gorilla in Gefahr Wolfsfreunde Die Schule für kleine Hunde – Polly, Pip und Nelly

Für

Roger und seine Freundlichkeit und Leidenschaft,mit denen er sich um die Tiere in seiner Obhut kümmerte,

und für

Georgie, Beth und Jemma, die meine Welt sind,

und für

Liz Cross, die Buddy als Erste kennenlernte

Zur Erinnerung an Murphy

»Starlake Sirius«

Wenn dich ein Hund liebt, dann ist das ein Geschenk. Ein Geschenk,das du mit ganzem Herzen und ganzer Seele bewahren solltest.

Prolog

DER GROSSE HIMMELSWOLF

ES GIBT EINE GESCHICHTE, die jede Hundemutter ihren Neugeborenen erzählt. Das geschieht, bevor die Welpen ihre Augen öffnen können, also dann, wenn sie noch blind am Bauch ihrer Mutter nach Milch suchen. Sie erzählt ihnen die Geschichte, wenn sich die warmen, pummeligen Körper ihrer Kinder im Schlaf aneinanderkuscheln. Sie erzählt, obwohl ihr Herz bricht, weil es nur eine kurze, kostbare Zeit gibt, in der die Welpen ganz ihr gehören. Denn der Schmerz jeder Hundemutter ist, dass sie ihre Kinder an die Menschen verlieren wird.

Sie wird sich um ihre Jungen schmiegen und jedes einzelne der Reihe nach abschlecken. »Psst«, wird sie flüstern, »seid jetzt still, weil die Sterne funkeln und der Große Himmelswolf leichtfüßig durch die Nacht eilt. Wir müssen ihm folgen, zurück in die Zeit, als sich die Hunde mit den Menschen verbanden. Ihr müsst diese Geschichte kennen, meine Kleinen, und sie tief in euch bewahren, weil dieser Bund in den Sternen geschmiedet wurde, als Feuer und Eis diese Welt geschaffen haben. Vielleicht werdet ihr erleben, dass die Menschen das Band, das euch mit ihnen verbindet, vergessen. Dann ist es an euch, sie daran zu erinnern und euch von ihm leiten zu lassen, egal, was geschieht.«

Die Welpen werden fiepen, werden sich enger aneinanderschmiegen und sie werden sich beruhigen, wenn die Mutter mit der Geschichte beginnt.

»In einer Zeit vor unserer Zeit«, wird sie sagen, »da gab es riesige Wälder und tosende Flüsse, die von den Bergen in die Täler stürzten. Das war zu einer Zeit, in der Mensch und Wolf ebenbürtig waren und die Götter Orion, der große Jäger, und Lupus, der große Wolf, den Himmel durchstreiften. Mensch und Wolf sprachen die gleiche Sprache und sie wurden gleich alt. Ein Menschenjahr war ein Wolfsjahr. Aber sie gingen vorsichtig miteinander um, weil sie sich dasselbe Land teilten und dasselbe Wild jagten. Viele Jahre lang gab es genug für alle. Und so grüßten sich Mensch und Wolf respektvoll, kamen sich aber nicht zu nahe. Wolf und Mensch hatten verschiedene Fähigkeiten. Der Wolf war ein flinker Läufer, er war wild und mutig. Der Mensch war erfinderisch und so wurde er zum Beherrscher des Feuers.

Dann aber kroch eine große Kälte über das Land. Flüsse erstarrten zu Eis. Und als das Wild nach Süden zog, taten es ihm Menschen und Wölfe gleich. Doch die Kälte folgte ihnen auf dem Fuß, ließ die Erde gefrieren und hart wie Stein werden. Bald gab es nur noch wenig Wild, das man jagen konnte. Der Hunger wuchs bei Mensch und Wolf, und sie begannen, um die verbliebene Beute zu kämpfen. Die Himmelsgötter, Orion und Lupus, riefen einen Waffenstillstand aus und forderten, ihre Völker sollten ihre Fähigkeiten gemeinsam nutzen, um zu überleben. Und so lebten Wölfe und Menschen zusammen. Sie gingen gemeinsam auf die Jagd. Sie teilten sich ihre Lebensräume. Sie wurden miteinander alt. Und als Dank dafür, dass sie nun an den Feuern leben durften, beschützten die Wölfe die Menschen vor den wilden Geschöpfen der Nacht.

Nun geschah es, dass sich die großen Eisflüsse in die Berge zurückzogen und das Wild in die Täler zurückkehrte. Viele Wölfe verschwanden heimlich in den Wäldern, um wieder in Rudeln zusammenzuleben. Ein Wolf jedoch, Sirius, und seine Familie beschlossen, bei den Menschen zu bleiben. Und in einer kalten, sternenklaren Nacht unterm Wintermond kam Lupus herab auf die Erde, um mit Sirius zu sprechen.

›Sirius‹, begann der Große Himmelswolf, ›es ist Zeit, in die Berge zurückzukehren und deine Gemeinschaft mit dem Menschen zu beenden.‹

›Das kann ich nicht‹, antwortete Sirius, ›weil ich seine Kinder liebe wie meine eigenen.‹

Lupus schickte ein Donnergrollen übers Land. ›Das ist nicht der Weg des Wolfes. Wenn du den Menschen nicht verlässt, werde ich dir deine Sprache nehmen. Dann kannst du weder mit dem Menschen sprechen noch mit den Wölfen heulen. Man wird dich als ‚Hund‘ kennen, einen Diener des Menschen.‹

Sirius schloss die Augen. ›Ich kann ihn nicht alleinlassen, weil er mich mehr braucht, als er jemals ahnen wird.‹

Lupus trieb ihm die Sprache aus. Sirius konnte jetzt nur noch jaulen und bellen. Aber das änderte nichts, weil Mensch und Hund sich auch ohne Worte verstehen konnten.

›In den Augen des Menschen bist du ein dummes Tier‹, sagte Lupus. ›Ich gebe dir noch eine Gelegenheit, wieder ein Wolf zu werden.‹

Sirius neigte seinen Kopf Lupus zu. ›Mein Wunsch ist, den Menschen und seine Familie zu beschützen. Wir lieben uns, wir sehen uns als gleichwertig. Wir leben zusammen und werden zusammen alt.‹

Lupus war sehr erzürnt. ›Du verrätst die Sache des Wolfes. Das erlaube ich nicht. Wenn du den Menschen nicht verlässt, werde ich dein Leben verkürzen. Du wirst siebenmal schneller altern. Du wirst alt sein, lange bevor es der Mensch ist.‹

Sirius senkte seinen Kopf voller Kummer, weil er wusste, was auf ihn zukam. ›Ich kann den Menschen nicht verlassen. Ich liebe ihn mehr als mein eigenes Leben.‹

›Dann soll es so sein‹, donnerte Lupus. In seiner Wut schossen die Worte wie Blitze aus seinem Maul.

Der Mensch erwachte und fand Sirius alt und mit erkalteter Schnauze tot zu seinen Füßen. Er trauerte um seinen verlorenen Bruder und um die Jahre, die sie nun nicht mehr gemeinsam erleben konnten. Er hielt Sirius in seinen Armen und weinte. ›Ich werde deine Familie beschützen, jetzt und für alle Zeiten‹, schwor er, ›weil du wahrlich der beste Freund des Menschen bist.‹

Als Lupus sah, was er angerichtet hatte, heulte er seinen Schmerz hinaus in die Welt, weil er erst jetzt verstand, wie stark das Band der Liebe und des Vertrauens zwischen Mensch und Hund war. Er nahm Sirius’ Seele zwischen die Pfoten. ›Mein Freund‹, sagte er, ›deine Kinder mögen zeit ihres Lebens ihr Herz dem Menschen schenken. Aber ich erwarte, dass sie sich nicht von ihren Wolfsbrüdern abwenden. Mit ihnen teilen sie ihre wilde Seele. Wenn ihre Zeit auf Erden zu Ende ist, werde ich von ihnen verlangen, mir ihre Seele zurückzugeben.‹

›Das werden wir tun‹, versprach Sirius, ›jetzt und immerdar.‹

Der Große Wolf hob Sirius ins Himmelsgewölbe und setzte ihn neben Orion als ein für jedes Geschöpf sichtbares Zeichen der Loyalität. Und seit diesem Tag erstrahlt der hellste Stern des Firmaments aus dem großen Herzen des Hundes und erinnert an die Verbundenheit zwischen Mensch und Hund. Es ist ein Band des Vertrauens, das nicht zerrissen werden darf.«

Damit wird die Hundemutter ihre Erzählung beenden und ihre Kinder näher an sich ziehen, denn sie weiß, dass sie sie nur für kurze Zeit beschützen kann. Sie wird ihnen sagen, dass sie ihr Vertrauen immer bewahren müssen, selbst wenn der Mensch seinen Schwur vergisst. In schweren Zeiten, wenn sie sich verloren fühlen oder fürchten, müssen sie hinauf zum hellsten Stern blicken und sich an diese Geschichte erinnern. Nur das heilige Band zwischen Mensch und Hund wird sie beschützen.

Dann wird das Herz der Hundemutter brechen und brechen und immer wieder brechen, weil sie nicht wissen kann, ob die Hände, die ihre geliebten Kinder zuallererst tragen werden, freundlich und sanft sind.

Sie kann nicht wissen, was vor jedem einzelnen von ihnen liegt, wenn sie ihr genommen und in die Welt des Menschen gesetzt werden.

Kapitel 1

TOTHUNDGASSE

BUDDY ROLLTE SICH im Fußraum des Wagens zusammen. Er steckte die Schnauze in sein Fell und zitterte. Nichts fühlte sich richtig an. Aus einer Öffnung neben ihm blies eiskalte Luft, vermischt mit den Gerüchen von Autoabgasen, Burgerbuden und nassem Asphalt. Straßenlampen blitzten auf, während der große Mann seinen Wagen durch die Stadt bugsierte. Die Scheibenwischer klappten hin und her und kämpften gegen den heftigen Regen an. Wieder fröstelte Buddy, diesmal aber nicht wegen der Kälte. Ängste plagten ihn. Irgendetwas war anders. Der Wagen war derselbe. Gewöhnlich saß Buddy hinten auf dem Schoß des Jungen – seines Jungen, der immer so köstlich nach Fußballsocken und Käsebällchen roch. Sein Junge, der ihn immer festhielt und ihm erzählte, dass er, Buddy, eines Tages in seine großen Pfoten hineinwachsen und der allerallergrößte Hund werden würde. Sein Junge, mit dem er im warmen Sonnenschein durch den Park purzelte, den Fußball mit der Schnauze vorwärtsschubste, während das Kind lachend und rufend hinter ihm herrannte.

Aber jetzt war der Junge nicht hier.

Es war dunkel und kalt.

»Guter Hund«, sagte der große Mann.

Buddy wedelte mit dem Schwanz. Aber auch das fühlte sich nicht richtig an. Andere Hunde konnte er leicht verstehen, aber die Sprache der Menschen verwirrte ihn. Was sie mit ihren Körpern ausdrückten, unterschied sich oft von ihren Worten. Nichts an dem Mann sah so aus, als meinte er guter Hund. Der große Mann war schweigsam und verschlossen. Seine Hände umklammerten das Lenkrad und seine Augen starrten geradeaus. Buddy wusste überhaupt nicht, was der Mann vorhatte.

Buddy wollte winseln und jaulen, aber er fürchtete, der große Mann würde ihn dann anschreien und ihn auf die Schnauze schlagen. Das tat er immer, wenn Buddy Lärm machte.

Wäre der Junge im Wagen gewesen, wäre er auf seinen Schoß gekrochen, hätte den Kopf an seine Brust gedrückt und seinem Herzpochen gelauscht. Das Kind hätte ihn direkt hinterm Ohr gekrault und ihn fest im Arm gehalten.

Aber jetzt war sein Junge nicht da.

Er war zu Hause im Bett, dort, wo Buddy auch sein sollte. In Gedanken konnte er ihn sehen, wie er im Bett lag, und neben ihm sich selbst, wie er sich zum Schlafen zusammenrollte. Der Junge legte dann immer seinen Arm um Buddy und hielt seine Pfote in seiner warmen, menschlichen Hand. So zusammengekuschelt würden sie unter der flauschigen Decke liegen, der Junge würde einschlafen und sein warmer Atem würde sich in Buddys weichem Fell fangen. Aber diese Nacht war anders gewesen. Die Mutter des Jungen war ins Zimmer gekommen, hatte Buddy hochgehoben und einen Teddybären dorthin gesetzt, wo Buddy eben noch gelegen hatte.

Guter Hund hatte sie gesagt, als sie den Arm des schlafenden Jungen über den Teddy legte.

Wir machen einen kleinen Spaziergang, hatte sie Buddy zugeflüstert. Aber es gab weder Leine noch Ball. Nur der große Mann war da, der am Auto wartete und Buddy ins Wageninnere schob.

Als der Wagen mit einem Ruck anfuhr und die Straßen entlangschaukelte, vergrub Buddy seine Schnauze tiefer im Fell. Er erschnupperte in seinem Fell immer noch den Geruch seines Jungen und das gab ihm ein kleines Gefühl von Sicherheit.

Auf der Gummimatte hin- und hergeworfen, fiel Buddy in einen unruhigen Schlaf.

Als er aufwachte, hatte der Wagen in einer dunklen Straße angehalten. Der große Mann stieg aus und zündete sich eine Zigarette an.

Buddy kletterte auf die Sitzbank und spähte ins Freie. Das war nicht der Park. Das roch auch nicht nach Park. Es roch nach keinem Ort, den er kannte. Nur eine Laterne am hinteren Ende der Straße spendete Licht. Ein Strahlenkranz aus zerstäubten Regentropfen umkreiste die Lampe. Nirgends waren Wohnhäuser zu sehen, nur eine alte Garage, zugenagelte Ladenfassaden und ein leerer Parkplatz. Buddy spürte, wie er hochgehoben und nach draußen gebracht wurde.

Der große Mann löste sein Halsband.

Ohne sein Halsband fühlte Buddy sich seltsam, nackt und herrenlos.

»Bisschen dalli«, sagte der große Mann.

Das war die Aufforderung, sein Geschäft zu machen. Der große Mann würde ihn dafür loben, wenn er es draußen verrichtete. Buddy wollte ihm eine Freude machen, also trottete er zu einer Mauer und hob das Bein. Er erschnupperte die Gerüche anderer Hunde an der Wand und fragte sich, wo sie wohl waren. Er zitterte am ganzen Körper.

Die Autotür wurde zugeschlagen.

Buddy wirbelte herum, aber der Mann saß schon im Wagen. »Wuff!«, bellte Buddy.

Hatte ihn der große Mann vergessen?

»Wuff!« Buddy rannte auf den Wagen zu, aber der schoss in einer Wolke aus Auspuffgasen davon und spritzte dabei dreckiges Wasser in Buddys Gesicht. Buddy rannte hinter dem Wagen her. Er rannte und rannte, stolperte aber über seine großen Pfoten, taumelte und rutschte mit dem Kopf voran in eine ölige Pfütze.

»Wuff!«, bellte er, rappelte sich hoch und fing wieder an zu rennen. Vergeblich. »Wuff, wuff, wuff! Warte auf mich! Warte auf mich!«

Buddys Herz hüpfte in seiner Brust. Der große Mann hatte ihn vergessen. Er würde doch sicher bald merken, dass Buddy nicht im Wagen saß, und dann zurückkommen und ihn holen – oder?

Der Wagen bog um die Ecke und ließ Buddy in der Dunkelheit zurück. Das Hündchen blieb stehen und starrte auf die Stelle, wo eben noch das Auto gestanden hatte.

Ein kalter Wind fuhr die Straße hinunter und wirbelte Papierfetzen durch die Luft. Die Nässe drang immer tiefer in Buddys Fell.

Buddy blickte sich um.

Da war nichts.

Nichts, das vertraut aussah oder roch.

Düstere Gassen zweigten von der Straße ab.

Buddy klemmte den Schwanz zwischen die Beine.

Der Wind pfiff durch die Telefondrähte über ihm und rüttelte an einem blechernen Garagendach.

Weiter unten fiel eine Mülltonne scheppernd um und kam aus einer Seitengasse angerollt.

Buddy hörte ein Husten. Dort war jemand. Vielleich jemand, der ihm helfen konnte? Buddy hielt sich nah an der Mauer und schlich langsam die Straße hinunter bis zur Einmündung der Gasse.

Irgendetwas war dort. In den Schatten schnaubte und schnüffelte etwas. Es kam näher und näher und es roch wie ein anderer Hund. Vielleicht war es einer dieser fürchterlich großen Hunde vom Park – sein Junge hatte ihn dann immer schützend in die Arme genommen.

Aber der war nicht hier.

Buddy wimmerte, klemmte seinen Schwanz noch fester zwischen die Beine und wich zurück.

Eine tiefe raue Stimme drang aus der Finsternis.

»Willkommen«, tönte sie, »willkommen in der Tothundgasse.«

Kapitel 2

FRENCHI

DER HUND, DER AUS DEN SCHATTEN TRAT, war viel kleiner, als Buddy erwartet hatte. Er war sogar kleiner als er. Zumindest weniger hoch. Er hatte einen Körper wie ein Fässchen, kurze krumme Beine und einen Stummelschwanz. Seine Ohren waren groß und abgerundet, und sein Gesicht war so zerknautscht, als sei er in vollem Tempo mit dem Kopf voran gegen eine Mauer gerannt. Er war vollkommen weiß. Nur über seinem rechten Auge prangte ein großer schwarzer Fleck. Er schniefte und schnaubte durch seine Nasenlöcher, und beim Atmen hing seine breite Zunge so weit aus dem Maul, dass man glauben konnte, er würde damit Luft schnappen.

Der Hund umkreiste Buddy. »Bist ’n Welpe, hä? Aber ein großer. Wie alt bist du?«

Buddy starrte den Hund einfach nur an. Der spitzte die Ohren. Sein Stummelschwanz stand aufrecht. Er sah nicht wütend aus, aber auch nicht, als wolle er spielen.

Der Hund musterte ihn. »Hmm, große Welpenpfoten, sieht aber so aus, als würden dir langsam schlaksige Beine wachsen. Auch ein bisschen mager. Bist sechs Monate alt oder so? Siehst auch nicht mehr so süß aus, stimmt’s?« Er schob sich näher an Buddy. »Was war’s denn? Hast alles zerkaut? Den ganzen Tag gejault?«

Buddy wich zurück und ertappte sich dabei, wie er sich an die Mauer drückte. »Was meinst du damit?«

»Warum haben sie dich ausgesetzt?«, fragte der Hund. »Warum haben deine Menschen dich rausgeworfen?«

»Sie haben mich nicht rausgeworfen«, antwortete Buddy.

»Und was machst du dann hier?«

Buddy warf einen flüchtigen Blick auf die Straße in der Hoffnung, die Scheinwerfer des Wagens zu sehen. »Der große Mann hat vergessen, mich mitzunehmen«, sagte er.

Der Hund tippte sich mit der Pfote an den Kopf. »Vergessen?«

»Ja«, winselte Buddy. Jetzt war er sich selbst nicht mehr so sicher. Seine Gedanken waren ein einziges Wirrwarr, sie wanderten immer wieder zu seinem Jungen, der im Bett lag – dort, wo er jetzt auch sein sollte. »Der große Mann kommt wieder.«

Der Hund setzte sich und versuchte, sich mit seiner Hinterpfote am Ohr zu kratzen. Weil er es aber nicht ganz erreichte, scheuerte er sich stattdessen an der Mauerkante. »Das sagen sie immer. Aber früher oder später landen wir alle hier. Deshalb heißt der Ort auch Tothundgasse.«

Buddy wimmerte und steckte seinen Schwanz wieder zwischen die Beine.

Der Hund betrachtete ihn ein bisschen genauer. »Ich vermute, du bist ein Kläffer. Hast du häufig gebellt?«

»Manchmal«, sagte Buddy. »Nur wenn sie mich allein gelassen haben. Aber sie haben mich immer gehört, weil sie am Ende immer zurückgekommen sind, wenn ich weitergebellt habe.«

»Vermutlich haben dich die Nachbarn rundherum auch gehört«, sagte der Hund.

»Woher weißt du das?«, fragte Buddy.

»Und«, fuhr der Hund fort, »ich schätze mal, du hältst dich für einen hervorragenden Wachhund. Jeden Tag kommt ein und dieselbe Person zum Haus, schiebt Briefe durch ein Loch in der Eingangstür und verschwindet wieder.«

Buddy zog die Lefzen hoch, um eine Reihe spitzer Zähne zu zeigen. »Stimmt. Immer, wenn er kommt, belle ich ihn kräftig an und dann traut er sich nie ins Haus. Jedes Mal verjag ich ihn wieder. Er schmeißt nur Briefe rein und verschwindet wieder.«

»Und dann reißt du die Briefe auf?«, fragte der Hund.

»Ich zerfetze sie«, sagte Buddy stolz.

Der Hund seufzte. »Deine Menschen haben dich ausgesetzt, Buddy. Ich kann dir sagen: Menschen mögen keinen Beißer oder Beller. Sie wollen dich nicht mehr.«

»Mein Junge schon«, sagte Buddy. »Und er wird mich finden.«

Der Hund leckte an einer rot entzündeten Wunde an seiner linken Vorderpfote. »Es gibt also einen Jungen. Wie alt?«

Wieder durchfuhren Buddy schmerzliche Gedanken. »Ich weiß nicht.«

»Und wie groß ist er?«

»Er geht dem großen Mann bis an die Schultern«, sagte Buddy.

Der Hund seufzte und schüttelte den Kopf. »Na ja, ich schätze mal, er ist so ungefähr zehn Menschenjahre alt. Alt genug, um dich zu vermissen. Und das ist hart.«

»Was ist hart?«, fragte Buddy.

»Selbst wenn dein Junge dich finden will, weiß er nicht, wo er suchen soll.«

Buddy fühlte, wie es ihm die Kehle zuschnürte. Das war dieselbe Angst, die er spürte, wenn ihn die Menschen allein zu Hause ließen. Hier aber war er an einem unbekannten Ort, in Gesellschaft eines fremden Hundes.

Der Hund seufzte wieder. »Besser, du schließt dich mir gleich an, raus aus dem Regen. Übrigens, ich heiße Frenchi.«

Der Hund lief los und Buddy starrte ihm hinterher.

»Also, kommst du jetzt mit?«

Buddy blickte sich um. Die Straße war öd und leer. Er setzte sich hin und fing an zu winseln.

Frenchi drehte sich um. »Vermutlich fragst du dich, ob du mir trauen kannst.«

Buddy winselte wieder. Er kannte diesen Hund nicht. Er wollte einfach nur bei seinem Jungen sein.

Frenchi schüttelte sich den Regen aus dem Fell und machte einen Schritt auf Buddy zu. »Schau mal, das ist ’ne harte Lektion für dich, aber du kannst niemandem mehr trauen, nun nicht mehr. Jetzt bist du auf dich selbst angewiesen und musst deinen eigenen Instinkten folgen.«

»Ich bleib hier«, sagte Buddy. »Mein Junge findet mich. Er findet mich immer. Er kommt.« Ängste und Sorgen stiegen in ihm hoch und entluden sich mit einem markerschütternden Jaulen in die Nacht.

»Donnerwetter!«, staunte Frenchi. »Was für ein Heuler! Kein Wunder, dass sie dich rausgeworfen haben.«

Buddy holte tief Luft und fing noch einmal an zu jaulen, so herzzerreißend, als wolle er seinen Jungen über die ganze Stadt hinweg rufen.

»Also«, sagte Frenchi, »ich kann hier nicht länger herumhängen. Bei dem Lärm haben wir bald die Schnapper am Hals.«

Buddy brach sein Geheul unverzüglich ab. »Die Schnapper?«

Frenchi schauderte und zog sich in die Schatten zurück. »Du willst nicht, dass dich die Schnapper finden.«

»Wer sind die Schnapper?«, fragte Buddy.

Aber Frenchi war schon schnaufend und keuchend davongetrottet, zurück in die Dunkelheit der Gasse.

Buddy blickte ihm nach und wendete sich dann wieder der Straße zu. Er würde warten. Inzwischen schien es noch heftiger zu regnen. Die Nässe sickerte tief in sein Fell. Buddy zitterte und kauerte sich gegen den eisigen Wind zusammen. Im Warten war er geübt. Zu Hause musste er manchmal Stunden auf seinen Jungen warten.

Tatsächlich schwenkten Scheinwerfer in die Straße ein und füllten die Dunkelheit mit ihren Lichtkegeln. Buddy wedelte mit dem Schwanz. Frenchi hatte sich geirrt. Buddy hatte gewusst, dass der große Mann zurückkehren würde. Er setzte sich aufrecht, legte die Pfoten aneinander und wartete darauf, dass der große Mann kam und ihn mitnahm. Vielleicht war ja sogar sein Junge im Wagen. Buddy wäre sofort bereit, in seine Arme zu springen und sein Gesicht zu lecken, während ihn der Junge fest an sich drückte. Buddys Beine fühlten sich an wie Sprungfedern. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten, sprang hoch und auf den Wagen zu.

Aber plötzlich bremste er ab. Seine Pfoten glitten übers nasse Pflaster.

Dieses Auto klang nicht wie der Wagen des großen Mannes. Es war ein Lieferwagen, der etwas weiter unten in der Straße anhielt. Zwei Menschen stiegen aus. Ihr Geruch wehte Buddy entgegen. Es waren Fremde. Sie rochen nach vielen Dingen, nach Menschen und anderen Hunden und Desinfektionsmittel. Sie rochen nach einem Haufen verschiedener Hunde. Ein Mensch hielt eine lange Stange mit einer Schlaufe am Ende. Der andere trug eine Taschenlampe und schwang den Lichtkegel von einer Seite zur anderen, um die Straße abzusuchen.

In Buddy wuchs die Angst. Seine Pfoten fühlten sich an, als steckten sie im Asphalt fest. Der Lichtstrahl der Lampe kam immer näher. Bald würde er entdeckt.

Das war nicht gut.

Das war überhaupt nicht gut.

Er musste sich entscheiden. Vertraute er einem Hund, den er nie zuvor gesehen hatte, oder zwei Menschen, die mit einer Schlaufe an einem Seil näher kamen?

Vertraue deinen Instinkten, hatte der Hund gesagt.

Buddy holte tief Luft und verschwand in den Schatten.

»Warte, Frenchi!«, rief er. »Warte auf mich!«

Kapitel 3

DIE EISENBAHNBUDE

BUDDY HOLTE FRENCHI EIN und trottete neben ihm die Gasse entlang.

»Wohin gehen wir?«, fragte Buddy.

»Wir treffen den Boss.«

»Den Boss?«

»Komm jetzt«, sagte Frenchi, »wir sprechen später drüber. Lass uns erst mal dem Regen entkommen.«

Er blieb am Ende der Gasse stehen und lugte ums Eck. Auf einer viel befahrenen Straße rasten Autos und Lastwagen in beide Richtungen und spritzten Wasserfontänen in die Höhe. Neben ihnen auf dem Gehsteig flitzte ein Radfahrer vorüber.

Frenchi drehte sich zu Buddy. »Ich vermute mal, du weißt wenig über Autos.«

»Park«, war das Erste, was Buddy dazu einfiel. »Autos bringen dich in den Park.«

Frenchi schüttelte den Kopf. »Hier töten sie dich. Sie sehen dich nicht, und bevor du überhaupt weißt, was passiert, liegst du schon platt gedrückt unter den Rädern.«

Buddy beobachtete die vorbeirasenden Autos.

»Du musst auf die Pause warten«, mahnte Frenchi. »Bleib dicht bei mir.« Er schob sich an den Rand des Gehsteigs. Das Leuchten der Scheinwerfer schien sich zu einem Fluss aus Licht zu vereinen. Dann aber hielten die Wagen weiter unten auf der Straße an.

»Jetzt!«, rief Frenchi und lief los. »An diesen farbigen Lampen bleiben die Autos stehen. Wir haben nicht viel Zeit. Komm schon, beeil dich!«

Buddy folgte ihm. Der Verkehr kam wieder ins Rollen und ein Lastwagen rumpelte auf sie zu. Buddy drehte sich um und sah, wie er immer näher kam. Die Scheinwerfer des Monsters erfassten ihn und drückten ihn zu Boden. Er konnte nicht rennen. Er konnte sich überhaupt nicht bewegen. Als sich das Ungetüm vor ihm auftürmte, kauerte er sich noch mehr zusammen.

»Lauf!«, schrie Frenchi.

Aber Buddy konnte nicht laufen.

Der Wagen kam mit quietschenden und rauchenden Bremsen zum Stehen. Ein lauter Hupton erschallte. Das Geräusch drang Buddy durch Mark und Bein und machte ihn taub. Im Tanz der Autoscheinwerfer, Straßenlichter und Regentropfen, die wie grellweiße Nadeln zu Boden schossen, sah er Frenchi auf sich zurennen und spürte, wie er ihn mit der Schnauze anstupste und zum Gehsteig drängte. Der Lastwagenfahrer schrie sie an, aber Frenchi ließ nicht locker und zerrte Buddy in die Einmündung einer anderen Gasse. Als sie in den Schatten Schutz fanden, blieb er stehen.

»Das war knapp«, keuchte Frenchi. Er setzte sich, um wieder zu Atem zu kommen. »Oh Mann, du musst noch ’ne ganze Menge lernen!«

Buddy sank neben ihm zu Boden und leckte sich die Pfoten. Dort, wo sich der Straßensplitt zwischen seine Ballen gedrückt hatte, fühlten sie sich wund an. Die kalte Nässe war bis zu seiner Haut vorgedrungen und sein ganzer Körper tat weh. Er kauerte sich zusammen und steckte die Schnauze ins Fell.

»Wir können hier nicht bleiben«, sagte Frenchi behutsam. »Es ist nicht mehr weit.«

Aber Buddy hatte die Augen zugekniffen und hoffte, dass er alles nur geträumt hatte. Wenn er die Augen öffnete, wollte er wieder bei seinem Jungen sein.

Frenchi versuchte, ihn anzuschubsen, aber Buddy kauerte sich nur noch fester zusammen und weigerte sich, sich zu bewegen.

»Um Lupus’ willen«, stöhnte Frenchi, »wir können nicht hier draußen bleiben. Wir werden erfrieren.«

Aber Buddy wollte nicht hören.

Frenchi senkte den Kopf und biss Buddy in den Schwanz. Der Welpe jaulte und sprang auf die Füße.

»Tut mir leid«, entschuldigte sich Frenchi. »Wir können nicht hierbleiben.« Er presste seine Schnauze an Buddy und drängte ihn noch einmal weiter, in die Richtung, in der das Herz der Stadt lag.

Um sie herum wurden die Häuser immer größer. Sie wuchsen in die Höhe und gaben nur noch einen Streifen des Nachthimmels frei, der von den Lichtern der Stadt ganz in Orange getaucht schien. Frenchi lief vorneweg und hielt sich im Schatten, während sie Geschäfte und Büros passierten. Er bog in eine Seitenstraße ein, die sich auf der Rückseite eines Bahnhofs entlangzog. Dort standen einige Taxis in einer Reihe. Die Fahrer wärmten sich in ihren Wagen auf und sehnten das Ende ihrer Nachtschicht herbei. Die beiden Hunde, die neben ihnen im Regen vorbeitrotteten, bemerkten sie nicht. Dann bog Frenchi plötzlich in eine Mauerlücke ab, lief ein paar steile Stufen hinunter, die grün bemoost und schlüpfrig waren. Buddy rümpfte die Schnauze. Es roch feucht und modrig und nach Menschentoilette. Das Ende des schmalen Durchgangs mündete in eine finstere Straße, die an den Arkaden einer Eisenbahnbrücke entlangführte. Über ihnen rumpelte ein Zug und seine hell erleuchteten Fenster illuminierten für Augenblicke die Straße. Im flüchtigen Aufblitzen des Lichtes beobachtete Buddy, wie sich Regenwasserbäche in die Rinnsteine ergossen und zu kleinen Tümpeln anwuchsen, dort, wo sich Plastiktüten und Styroporbecher aufstauten und die Gullys verstopften. Die Arkaden wurden als Ladengeschäfte und Werkstätten genutzt. Bei einigen waren die eisernen Rollläden heruntergelassen, andere waren mit Brettern zugenagelt. Die Wände waren mit Graffiti vollgekritzelt und die Abfallbehälter quollen über.

An einer der Arkaden, wo ein Busch aus der Wand zu wachsen schien, blieb Frenchi stehen. »Hier rein«, sagte er, schlüpfte hinter den Strauch und drückte gegen ein loses Holzbrett. Buddy folgte ihm und schob sich durch die Lücke in einen dunklen Raum auf der anderen Seite.

»Das ist die Eisenbahnbude«, erklärte Frenchi, »unser Zuhause. Du solltest jetzt lieber den Boss treffen.«

Drinnen war es trocken, geschützt von Wind und Wetter. Die Luft roch abgestanden und nach nassen Hunden. Das matte Glimmen einer Glühbirne an der hinteren Wand fiel auf ein Durcheinander von Gerümpel, auf das Gerippe eines ausgebrannten Autos und auf einen Berg aus Schachteln und schwarzen Plastiktüten, auf dem, gefährlich schief, eine alte Matratze lagerte.

Aus einer dunklen Ecke drang ein tiefes Knurren. Ein riesiger schwarzer Hund sprang auf. Er war größer als alle Hunde, die Buddy jemals begegnet waren. Seine Schultern waren breit und sein Kopf gewaltig. Er trat aus dem Dunkeln und nahm Buddy ins Visier.

Frenchi senkte den Kopf. »Ich bin’s nur, Frenchi. Und ein Freund.«

Der Hund kam näher. Selbst im trüben Licht sah Buddy, dass sich dessen Nackenhaare sträubten. Er fletschte die im Lichtschein funkelnden Zähne. Dann beschnupperte er Buddy. Der klemmte seinen Schwanz zwischen seine Beine, sank zu Boden und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen. Sein ganzer Körper zitterte. Nicht einmal die Düsternis konnte den mächtigen Auftritt des Hundes verbergen. Es schien so, als sei dieses Tier selbst ein Geschöpf der Nacht.

Frenchi wollte sich zwischen den Hund und Buddy setzen. »Mach ihm keine Angst, Rex. Das ist Buddy. Er ist allein. Wie wir. Seine Menschen haben ihn ausgesetzt. Ich hab ihn in der Tothundgasse aufgelesen.«

Für einen Augenblick starrte der große Hund Frenchi an, dann drehte er sich um und verschwand wieder im Dunkeln. Buddy jedoch spürte, dass jede seiner Bewegungen beobachtet wurde.

»Ist das der Boss?«, flüsterte er.

»Nein, das ist Rex. Er ist okay. Du musst ihm nur seinen Freiraum lassen. Rück ihm nicht auf die Pelle, vergiss das nicht.«

Buddy fröstelte. Wenn das nicht der Boss war, wollte er gar nicht wissen, wer es dann war.

»Komm jetzt«, drängelte Frenchi. »Der Boss erwartet uns.«

Im funzeligen Licht konnte Buddy die Umrisse verschiedener Hunde ausmachen. Die Tiere lagerten auf Sacktüchern und Zeitungen. Eine schlanke Hündin, ein Border Collie, schlich durch die Schatten. Sie machte einen großen Bogen um den Müllhaufen mit der Matratze, umkreiste die Hunde, bis sie schließlich zu Buddy kam.

»Einer, zwei, drei, vier, fünf – und ich«, zählte sie. Sie blieb mit gesenktem Kopf unmittelbar vor Buddy stehen und starrte ihn an. »Und noch einer«, sagte sie, »noch einer.«

Buddy bemerkte, dass das eine Auge der Hündin nachtblau schimmerte und das andere der Farbe eines Sommerhimmels ähnelte. Ihr Blick war so intensiv, dass er weggucken musste. Er versuchte stattdessen, die anderen Hunde im Dunkeln zu erkennen.

»Hallo, Merle«, sagte Frenchi. »Das ist Buddy. Er braucht eine Bleibe.«

Merle beschnüffelte den jungen Hund. »Noch einer.« Sie umkreiste ihn, legte sich dann wieder auf ihren Schlafplatz, beobachtete Buddy aber weiterhin mit gespitzten Ohren, wobei sich das Licht in ihrem blauen Auge spiegelte.

Eine blonde Labradorhündin schlurfte nach vorne. Ihre Schnauze war ergraut und ihre Hundeaugen waren die allerdunkelsten, die Buddy jemals gesehen hatte. »Hast wieder mal verlorene Seelen gesucht, Frenchi? Wirst du nie gescheiter?«

»Hallo, Saffy«, antwortete Frenchi.

Saffy beschnupperte Buddy. »Nur ein Hündchen«, seufzte sie. »Zu jung. Viel zu jung.«

Irgendetwas an dieser Hündin löste in Buddy ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit aus. Etwas tief in ihm weckte eine Erinnerung an einen Hund wie Saffy. Gerne hätte er sich von ihr sein Gesicht und seine Ohren putzen lassen. Er hätte sich gerne an ihrer Seite gewärmt und wäre gerne neben ihr eingeschlummert.

Buddy winselte und machte einen Schritt auf sie zu, aber schon drängte sich ein großer Fuchshund zwischen sie.

Der ganze Körper des Fuchshundes bebte, seine Ohren standen auf Alarm und seine Schnauze witterte Gefahr. »Sind die Wilden Jäger hier, Saffy? Ich höre sie!«

»Das ist nur der Wind, Reynard«, beruhigte ihn Saffy und leckte sein Gesicht, wie sonst eine Mutter ihr Neugeborenes abschleckte. »Geh wieder schlafen.«

Reynard klemmte seinen langen Schwanz zwischen die Beine, drehte sich um und nahm die losen Bretter in Augenschein, die im Wind gegeneinanderschlugen. »Lasst die Wilden Jäger nicht rein. Lasst sie nicht rein!«

»Die Wilden Jäger?«, flüsterte Buddy.

Nun blickte Reynard ihn an. Buddy bemerkte, dass eine Gesichtshälfte des Fuchshundes entstellt und eingedrückt war. Dort, wo ein Auge sein sollte, war keines. Stattdessen waren die zerknautschte Augenhöhle und der Kiefer mit Narben übersät.

Mit seinem guten Auge fixierte Reynard ihn immer noch. »Hast du die Wilden Jäger gesehen?«

»Das ist Buddy«, sagte Saffy. »Er ist ein Freund.«

»Im Frühling blühen die Glockenblumen«, fuhr Reynard fort. »Sie erfreuen die Bäume mit ihrem Gesang. Hast du sie auch gehört?«

Buddy wich einen Schritt zurück.

»Er stiehlt dir dein Auge«, sagte Reynard. »Meins hat er auch gestohlen. Folge den Nachtgestalten. Sie bewahren uns vor Schaden. Die Nachtgestalten wissen alles.«

»Hier bist du sicher, Reynard«, antwortete Saffy mit sanfter Stimme und zog ihn von Buddy weg. »Schlaf jetzt. Bei uns bist du sicher.«

Buddy wollte nahe bei Saffy bleiben, aber Reynard stand im Weg und guckte durch ihn hindurch, als ob da etwas wäre, das Buddy nicht sehen konnte.

»Der Jäger kommt auf einem eisernen Ross«, wimmerte Reynard und starrte auf den Eingang der Bude. »Er kommt. Ich höre ihn kommen!«

Vom Eingang her war ein lauter Schlag zu hören. Buddy drehte sich um und sah einen Schatten auf sich zuschießen. Bevor er eine Chance hatte, zur Seite zu springen, wurde er umgehauen. Etwas wirbelte um ihn herum.

»Clown!«, rief Merle. »Mach langsam!«

Buddy richtete sich wieder auf. Vor ihm stand sprungbereit ein großer Boxerhund. Sein langer Schwanz wippte hin und her.

»Wer ist das?«, bellte der Hund und sprang wieder davon. Dabei peitschte sein Schwanz Buddy quer übers Gesicht.

Buddy drehte sich um, um zu sehen, von welcher Seite der Hund ihn das nächste Mal anspringen würde.

»Das ist Buddy«, sagte Merle, während sie die Hunde wieder umkreiste und nach Clowns Ankunft erneut zählte. »Einer, zwei, drei, vier, fünf, sechs, einer mehr und ich. Alle da«, stellte sie zufrieden fest. »Alle da.«

Clown sprang um Buddy herum. Seine Pfoten rutschten über den Beton.

Buddy presste sich wieder an den Boden, um Clowns Attacken zu entgehen, aber der blieb plötzlich stehen und drückte sein Gesicht an Buddys Schnauze.

»Hallo, Buddy«, bellte Clown fröhlich.

»Um Lupus’ willen«, schnauzte Frenchi, »beruhig dich, Clown. Lass dem Kleinen Luft zum Atmen!«

Buddy starrte Clown einfach nur an. Wenn er ihm, zusammen mit seinem Jungen, im Park begegnet wäre, hätte er vielleicht mit ihm spielen wollen, hier aber kannte er die Spielregeln nicht.

»Was tut der hier?«, fragte Clown und beschnupperte den Welpen überall.

»Er ist hier, um den Boss zu treffen«, antwortete Frenchi.

Von der wippenden Matratze auf dem Gipfel des Gerümpelbergs ertönte ein Geräusch, das sich wie ein trillerndes Knurren anhörte.

Alle Hunde drehten sich zur Matratze.

Frenchi senkte den Kopf. »Buddy, hier ist dein Leithund.«