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"BUGSTOP - Wächter der Welt" ist ein Thriller, der die Verletzbarkeit unserer Welt in eine hoch spannende Handlung kleidet. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität sind bewusst fließend. >0:00 Uhr … Stillstand< Weltweit stehen fast alle Autos. Versorgungsengpässe und Unruhen halten die Menschheit im Würgegriff. Ohnmächtig stehen die Regierungen der Welt einer gigantischen Erpressung gegenüber. Kanzleramt und Élysée-Palast versuchen gemeinsam, militärische Muskelspiele an den Grenzen Europas zu deeskalieren. Gleichzeitig folgen die UNO - Agenten Bianca Nielsen, Josef Stern und Pierre Landuc einer Spur in die Schweizer Bergwelt um Saas-Fee. Mächtige Widersacher bedrohen bald ihr Leben. In Paris setzen derweil Marie Perrin und Anne Lallet alles daran, den Betrieb eines Krankenhauses aufrecht zu halten. Durch einen Zufall werden sie in den tödlichen Sog der Mächtigen hineingezogen.
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Seitenzahl: 304
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Zum Autor und seinen Büchern
Bernward Salomon wurde 1956 im Bergischen Land geboren. Nach dem abgeschlossenen Studium der Nachrichtentechnik arbeitete er nahezu vier Jahrzehnte in der Industrie und der Versicherungswirtschaft. »Schreiben ohne Veröffentlichung« war während dieser Zeit ein Hobby zur Entspannung. Freunde und Familie regten an, das Geschriebene auch einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren.
Sein erstes Buch »Peter und Wind« ist ein Vorlesebuch und entstand gemeinsam mit seinen Kindern. Während die Kinder in den Dünen Dänemarks spielten, schrieb er auf der Terrasse. Am Abend wurde das Verfasste vorgelesen. Die Kinder wollten mehr Action und so wurde Abend für Abend aus einem Märchen- ein Abenteuerbuch.
»Der Saunamörder«, sein erster Krimi, verbindet Spannung und kriminalistische Neugierde mit der Freude an humorvollen Situationen und Dialogen.
»BUGSTOP - Wächter der Welt« ist ein Thriller, der die Verletzbarkeit unserer monopolisierten Welt in eine hoch spannende Handlung kleidet. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität sind bewusst fließend.
Danke
Dieses Buch widme ich meiner Ehefrau, die mir während der Monate des Schreibens vielfältige Anregungen schenkte.
Impressum
Text: © Copyrightby Bernward Salomon
Cover:© Copyright by Bernward Salomon
Published by: EPUBLI GmbH, Berlinwww.epubli.de
Produced in Germany
ISBN: 9783748541912
Bibliografische Informationder Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothekverzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Datensind im Internet überhttps://dnb.de abrufbar.
BUGSTOP
WÄCHTER
DER
WELT
Thriller
von
BernwardSalomon
Es ist kurz vor Mitternacht. Ein heller Sportwagen durchfährt einen Schweizer Hochtunnel in Richtung Italien. In ihm sitzt ein Paar mittleren Alters, welches sich, trotz der späten Stunde, angeregt unterhält.
»War das kein herrlicher Tag? Noch nie habe ich eine so beeindruckende Schlucht, wie die Via Mala gesehen. Ich muss jedoch gestehen, dass dieses laut tosende Wasser auch etwas Bedrohliches hat. Ich habe mich immer wieder verunsichert an dem Geländer festgehalten, da ich das Gefühl hatte, von den Wassermassen nach unten gezogen zu werden«, schwärmt die Beifahrerin von jener tiefen Schlucht des Rheins.
»Ja, mein Schatz, das war wirklich sehr eindrucksvoll. Auch ich war ein wenig zwischen Begeisterung und Vorsicht hin- und hergerissen. … Schau mal, da vorne ist das Tunnelende. In einer halben Stunde werden wir voraussichtlich in Locarno sein.«
Etwa ein Kilometer hinter dem Sportwagen fährt ein Kühltransporter. Hinter dem Steuer sitzt ein junger Mann mit einer nach hinten gedrehten Schirmmütze, die auch schon einmal bessere Zeiten gesehen haben muss. Der schwere und laute Dieselmotor begleitet das Radio, welches einen rockigen Song in die Eintönigkeit der Nacht spielt. Das Scheinwerferlicht erhellt das schwach ausgeleuchtete Gewölbe vor dem gleichmäßig dröhnenden Gelenkfahrzeug. In der Ferne sind die kleinen roten Rücklichter des Sportwagens zu sehen. Aus dem Armaturenbrett unter dem großen Lenkrad ertönt der stündliche Gong und die weibliche Stimme der akustischen Uhr meldet sich: »Hallo du Nachteule! Es ist gleich Mitternacht. Noch zehn Sekunden und du bist schon wieder in einen neuen Tag gefahren. Fünf, vier, drei, zwei, eins ...«. Die Stimme ist plötzlich nicht mehr zu hören. Zeitgleich erlöschen die Scheinwerfer und das Motorengeräusch verstummt. Der Transporter rollt weiter dem schwach beleuchteten Tunnelende talwärts entgegen.
»Verdammt! Was ist denn jetzt los?«
Mit aller Kraft stemmt sich der Fahrer gegen die Bremse, aber das schwere Fahrzeug reagiert kaum. Offensichtlich funktioniert die elektronische Bremshilfe nicht mehr. Schlagartig verspürt er die Schweißperlen, welche unter der Kappe hervortreten, während er vergebens versucht, den Motor erneut zu starten: »Na komm schon du Ungetüm! Mach bloß keinen Mist! Da hinter dem Tunnelausgang kommt eine fallende Linkskurve. Komm schon! Komm schon!«
Derweil erlöschen auch die Lichter und die Geräusche jenes vorherfahrenden Sportwagens. Die Frau schreit mit sorgenvoller Stimme: »Schatz! Was ist los?«
»Ich weiß es nicht! Ich versuche den Wagen anzuhalten! Ich kann nichts mehr sehen!«, antwortet ihr Mann hektisch.
»Bitte Schatz! Stopp!«, schreit seine Beifahrerin von Panik erfasst.
Mit weit geöffneten Augen versucht er den Wagen auf der nur zu erahnenden Fahrbahn zu halten. Obwohl die Bremskraftverstärker ausgefallen sind, gelingt es ihm, den Wagen mit etwas Glück an der Leitplanke der nächsten Kurve mit einem schier endlosen und hässlichen Schleifgeräusch auf der Beifahrerseite zum Stillstand zu bringen.
Tief seufzend zieht der Mann die Handbremse, während seine Partnerin ängstlich in der Dunkelheit seine Arme sucht. Der Schreck steckt auch ihm tief in den Gliedern.
»Es ist Alles OK!«, beginnt er, sie zu beruhigen. »Es ist Alles OK!«
Durch das zerborstene Fenster der Beifahrerseite hindurch, über die Leitplanke hinweg, schaut die Frau in einen tiefen Abgrund hinunter, der vom Mondlicht schwach erleuchtet wird. Als sie sich etwas gefangen hat, lehnt er sich zurück und schaut auf seiner Seite aus dem Fenster.
»Oh nein! Schatz, komm aus dem Auto raus! Beeil dich!«, sieht er im Rückspiegel die dunklen Umrisse des unbeleuchteten Transporters vor dem schwach erhellten Hintergrund des Tunnels auf sich zurasen. Er reißt die Tür auf, springt aus dem Wagen und greift heftig nach den Armen seiner Frau, die sich bemüht, über den Fahrersitz nach draußen zu gelangen, da die Beifahrertür an der Leitplanke eingeklemmt ist. Kräftig zerrt der Mann seine Frau über den Fahrersitz, während die Silhouette des Trucks immer größer und größer wird. Nur schemenhaft ist zu erkennen, wie sich die Fahrertür des riesigen Fahrzeuges öffnet und in etwa hundert Meter Entfernung eine Gestalt aus dem Führerhaus springt. Nahezu lautlos werden die Konturen des Geisterfahrzeuges immer bedrohlicher.
»Los Schatz! Los Schatz!«, reißt er seine hektisch mit den Beinen strampelnde Partnerin über den Sitz, aber ihr Rock bleibt am Schaltknüppel hängen. Ein erneuter kräftiger Ruck und der Rock gibt plötzlich nach. Mit einem lauten »Au« schlagen ihre Knie auf den Asphalt, während er sie mit letzter Kraft an die schützende Innenseite der Kurve schleift.
Keine Sekunde zu früh. … Das schwere Zugfahrzeug erfasst den Sportwagen und drückt diesen mit einem lauten Knall durch die Leitplanke. Der Aufleger des Kühltransporters schleift mit einem markerschütternden Quietschen an den gerissenen Endstücken der Leitplanke entlang, bis mit einem Mal eine gespenstige Stille einsetzt. Aber nach einigen Sekunden ist viele Meter tiefer ein erstes leichtes Anschlagen an den Fels zu hören und kurz darauf ein heftiger Aufschlag.
Ängstlich zitternd und mit blutigen Knien umgreift die Frau den Hals ihres Mannes, der ihr soeben das Leben gerettet hat, während sich die humpelnde Gestalt des Truckers den beiden nähert.
*
Zur selben Zeit verlassen zwei junge Paare laut lachend eine Diskothek am Berliner Kurfürstendamm. Es ist eine laue Sommernacht. »Det war mal wieder janz schön fetzig heute Abend«, erzählt einer der beiden Männer begeistert.
Sein Kumpel erwidert ebenfalls euphorisch: »Das kannst du wohl sagen. Nächste Woche sind wir wieder hier.«
»Hey, schaut mal! Was ist denn da los?«, zeigt eine der beiden jungen Frauen auf die Straße. »Warum stehen all die Autos in beiden Richtungen mitten auf der Straße? Da muss aber etwas Schlimmes passiert sein.«
»Glaube ich nicht«, entgegnet der größere der beiden Männer. »Sieh doch, die stehen alle so weit auseinander und außerdem ist es so ruhig. Da läuft kein Motor.«
Die blonde junge Frau, auf deren Schulter sein Arm ruht, zeigt einige hundert Meter die Straße hinauf: »Kiek mal dahinten! Der alte Werbetrabbi versucht im Slalom durch die Reihen zu kommen. Det gibt's ja nicht! Ick gloob, die janzen Blechbüchsen funktionieren nischt mehr und nur die eene olle Gurke klappert noch vor sich hin.«
»Kommt Mädels, da vorne ist mein neues Spielzeug. Fahren wir auch mal Slalom. Danach schlürfen wir uns bei mir zu Hause noch 'ne Molle!«, zieht ihr Partner sie etwas fester an den Schultern. Er zückt wenige Schritte vor einem feuerroten BMW einen Schlüssel und zielt mit ihm auf das Fahrzeug. Lässig greift er zur Klinke, um die Tür zu öffnen. Aber diese ist noch geschlossen. »Da muss ich wohl falsch gezielt haben«, murmelt er und versucht noch einmal die ferngesteuerte Zentralverriegelung zu öffnen. Aber auch diesmal ohne Erfolg. »Tja, Freunde! Det mit der Molle können wir uns von der Backe schmieren. Ick hab dat Jefühl, uns steht een langer Weg bevor!«, resigniert er.
Monoton dröhnen die Sternmotoren der alten Tante JU. Die ständige Vibration der Sitze gibt Josef ein Gefühl von vertrauter Geborgenheit. Seine Augen blicken aus dem kleinen Fenster in die Weite der Morgendämmerung, hin zu den Spitzen der Kathedrale, die seine Heimatstadt so sehr über die Jahrhunderte prägte. Unter den flauschigen Wolkenfetzen ist der grau glitzernde Rhein zu erkennen, wie er sich ruhig und majestätisch durch die Kölner Bucht hindurchwindet.
Aus einem angerosteten Lautsprecher ertönt eine Männerstimme. »Wir sind gleich in Köln/Bonn Herr Stern. Die Landebahn ist schon schwach zu erkennen. ... Bitte schnallen sie sich an!«
Instinktiv greift seine Hand zum Verschluss des Gurtes, um der Anweisung zu folgen. Immer noch in Gedanken aus dem Fenster schauend, ertastet seine Hand, dass er bereits angeschnallt ist. Während dessen schweifen seine Gedanken, getragen von der Ruhe, welche der Weitblick trotz des lauten Motorengeräusches verbreitet. Er ahnt nur, was ihn am Boden erwartet. Die Maschine wird durch die Turbulenzen, die in Bodennähe das Flugzeug erfassen, ein wenig durchgerüttelt. Über die Dächer einer Wohnsiedlung, eine leere Straßenkreuzung, einen großen Park hinweg, schweben sie auf die Landebahn zu, die er durch die geöffnete Cockpittür erkennen kann. Mit einem leichten Ruck berührt die Maschine mit den hinteren Rädern den Boden, neigt sich der Bug nach vorne und setzt ebenfalls auf. Irgendwie wird er hierbei an die Landung des ersten Spaceshuttles erinnert, wo Houston-Texas die Meldung »Touch down« durch den Äther rief. Begleitet von dem Geräusch der Drosselung der Sternmotoren wird er leicht und kurz aus dem Sitz in den Gurt gedrückt. Nach einer kleinen Rollphase bleibt die gute alte JU in der Nähe des Abfertigungsterminals B stehen. Die Motorengeräusche werden leiser und leiser, bis sie schließlich ganz verstummen.
»So, da wären wir Herr Stern! Willkommen in Köln/Bonn«, ertönt es von vorne. Der Copilot kommt aus dem Cockpit und öffnet mit dem großen Griff die Tür der Maschine. »Sie müssen schon stilecht mit unserer kleinen Nottreppe vorlieb nehmen!«
Auf dem Rollfeld nähert sich ein weißer VW Käfer mit der blauen Aufschrift UN-SEC. Am Steuer sitzt ein junger Mann mit einem dunkelblauen Barett auf dem Kopf. Unmittelbar vor Josef hält der Wagen an. Der Mann in hellgrauer Uniform steigt aus, geht auf Josef zu und nimmt dessen Koffer. Freundlich bittet er ihn, in den Käfer einzusteigen: »Guten Tag Herr Stern, bitte entschuldigen sie die Unbequemlichkeiten. Leider ist auch unser Fahrzeugpark von den technischen Problemen betroffen. Glücklicher Weise hatten wir noch dieses Museumsschätzchen. Ich hoffe, sie nehmen uns diese Unbequemlichkeiten nicht übel!«
Der Koffer findet auf der Rückbank des kugeligen Viertakters Platz. Josef fühlt sich angenehm in seine Jugendzeit zurückversetzt, als er mit seinen Freunden und Freundinnen in einem solchen spartanisch ausgerüsteten 34PS - Vehikel von einer Disko zur anderen zog. Airbag, ABS, GPS-Navigationssystem, Servolenkung und Katalysator? Na Ja! Das war halt eine andere Zeit.
Sie fahren vom Flugfeld auf eine leere Autobahn in Richtung Bonn. Nach etwa einer viertel Stunde passieren sie ein altes und verwittertes Schlösschen auf dem Weg zu einer Rheinbrücke. Es hat etwas Chinesisches, wenn zur werktäglichen Morgenstunde kaum ein Auto zu sehen ist. Klingelnde Fahrräder aller Ausprägungen und Farben sowie Fußgänger prägen das ungewohnte Straßenbild. Von weitem ist der Globus mit dem UNO-Symbol auf dem Hochhaus zu sehen. Dort angekommen, halten sie unter dem großen Vordach des Gebäudeeingangs. Der Fahrer stoppt den Wagen, steigt aus, nimmt den Koffer vom Rücksitz und deutet auf den gläsernen Eingang.
»Könnten sie den Koffer netter Weise auf mein Zimmer bringen. Ich fürchte, ich bin etwas spät dran«, ruft Josef ihm zu und geht in das Hochhaus. Während er die Pforte passiert, grüßt ihn ein Wachmann: »Schön, sie mal wieder hier in Bonn zu sehen, Herr Stern. Ich dachte schon, dass sie nicht kommen würden. Den Aufzug können sie ruhig nehmen, der ist noch schön alt! Auch unsere Notstromdiesel sind herrlich rustikal«.
Freundlich lächelnd ruft Josef zurück: »Es geht halt nichts über Oldies« und verschwindet im Aufzug. Er drückt auf die Taste »UN-SEC Konferenzsaal«. Langsam bewegt er sich Etage für Etage nach oben, bis ein leiser Gong ertönt und sich die Tür öffnet. Schlagartig wird es lauter. Er schaut in einen großen Vorraum mit Teppichboden und großen Bildern an den Wänden.
Viele Menschen unterhalten sich im Stehen. »Guten Tag, Herr Stern« oder »Na, wie geht´s dir?«, hört er auf dem Weg zur Garderobe.
»Hallo!« und »Ganz schöner Schlamassel, was?« oder etwas ähnlich Belangloses entgegnet er. Nachdem er seine Jacke an der Garderobe abgegeben hat, wendet er sich jener doppelflügeligen Tür zu, über welcher in großen Lettern, flankiert von einem Globus und einer weißen Taube: »UNITED NATIONS, EUROPEAN - SECURITY - HEADQUARTER« zu lesen ist. Josef betritt den Raum, in welchem er schon so oft langweiligen und ermüdenden Sitzungen beiwohnen durfte. An den Wänden hängen Flaggen mit den Insignien der Staaten. Der große zweifache Tischkreis mit den schweren gepolsterten Holzstühlen, die Mikrofone an jedem Platz sowie die daneben stehenden Kaltgetränke vermitteln den Eindruck, dass wieder so eine endlose und wenig ergiebige Sitzung bevorsteht. Aber ...
»Bon jour Josef«, klopft ihm von hinten eine Hand auf die Schulter. »Endlich mal etwas los hier in diesem Pfadfinderclub.«
»Schon möglich Pierre, du altes Lästermaul. Ich hoffe, du bist mit von der Partie.«
Sein Freund Pierre, Pierre Landuc. Was haben die beiden nicht alles gemeinsam erlebt. In Aachen gemeinsam im Audi Max den Vorlesungen ihrer Profs gelauscht, gemeinsam durch Kneipen gezogen, gemeinsam durch die Welt gereist und letztlich beide im UN-SEC.
»Dann suchen wir uns mal wieder unsere Stammplätze«, fordert ihn Josef auf, ihm zu folgen.
»Oui, Josef! Aber dieses Mal bitte kein Jückpülver in den Nacken! Bitte!«
Mit Pierres bretonischem Akzent klingt das so provozierend, dass er es regelrecht bedauert, jenes Pülverchen nicht mitzuhaben, wegen dessen er beinahe von der Physikvorlesung ausgeschlossen worden ist. Sie suchen ihre Sessel, schenken sich Kaltgetränke ein und wechseln noch ein paar belanglose Worte über die alten Zeiten.
Nach einer Weile ertönt ein schwerer Gong. Langsam werden die letzten Sitzplätze gefüllt und ein Gemurmel erfüllt den ganzen Saal. Als der Gong nach etwa zwei Minuten wieder erklingt und die schwere Eingangstür verschlossen wird, verstummt das allgemeine Gerede. Lediglich einige Kehlen räuspern sich.
Ein grauhaariger Mitfünfziger in einem dunklen Anzug, welcher unmittelbar vor der Fahne der UNO sitzt, schüttelt eine goldfarbige Tischglocke und ergreift das Wort: »Ladies and Gentlemen, Monsieur Dame, meine Damen und Herren. Für die wenigen Anwesenden, die mich nicht kennen, möchte ich mich vorstellen. Mein Name ist Henry Stoddard und ich leite die UN-SEC Europe, welche sich im Auftrag der UNO-Vollversammlung mit internationalen Fragen der IT-Sicherheit beschäftigt. Ich habe sie zu dieser Sondersitzung eingeladen, um mit ihnen die kritischste Situation seit der Gründung der UN-SEC im Jahre 1999 zu erörtern. Um es vorweg zu sagen, die gesamte technisierte und mit Elektronik gespickte Welt wird erpresst. Der Grad der Erpressung geht so weit, dass damit gerechnet werden muss, dass unsere Gesellschaft zumindest in der derzeitigen Form kurzfristig kollabiert. Um ihnen allen einen Überblick zur Lage zu verschaffen, wird ihnen Franko Pisari den Sachstand darstellen. Herr Pisari leitet den Bereich für besondere Sicherheitsereignisse.«
Oberhalb der UNO-Flagge öffnet sich ein Vorhang, hinter dem eine blau umrandete Leinwand sichtbar wird. Ein unruhiges Raunen durchfährt den Saal. In fetten roten Lettern wird diagonal über die gesamte Fläche ein kurzes Wort gezeigt. …
»BUGSTOP«
Ein schlanker, elegant gekleideter Mittvierziger mit krausem Haar und südländischem Teint ergreift das Wort. »Danke für ihre Überleitung Mr. Stoddard und buongiorno an sie alle, wenn man überhaupt von einem guten Tag reden kann.
Der eine oder andere von ihnen kennt die Geschichte aus den Anfängen der Datenverarbeitung, als die Rechner mittels elektromechanischer Relais betrieben wurden und gewöhnliche Hauswanzen - englisch Bugs - zwischen die mechanischen Kontakte der Relais gelangten, wodurch die Rechner außer Funktion gesetzt wurden. Seit dieser Zeit werden Fehler in Programmen Bugs genannt. Mit einem solchen Fehler, wenn auch vorsätzlich eingebaut, haben wir es heute zu tun.
In den vergangenen Jahren wurde die Chipfertigung und Softwareerstellung aufgrund der enormen damit verbundenen zeitlichen und finanziellen Aufwendungen weltweit standardisiert und zentralisiert. Immer weniger Firmen und Konsortien waren in der Lage, den globalen Wettbewerbsbedingungen standzuhalten. Dadurch werden bestimmte Massenprodukte von nur noch wenigen Firmen hergestellt. Der hohe Bedarf zur Miniaturisierung führte während dessen dazu, dass Programme mit einer Größe von hunderten Megabyte in Chips fest verdrahtet wurden. Der derzeit am weitesten verbreitete Chip ist der SA-PX, welcher von der Fa. S.I.C. entwickelt und lizenziert wurde. Dieser universell verwendbare Ein-/Ausgabebaustein befindet sich in vier von fünf elektronischen Geräten, welche in den letzten Jahren auf den Weltmarkt gekommen sind. Der SA-PX wird in Waschmaschinen, Fernsehern, Telefonen und PC genauso verwendet, wie in Flugnavigationssystemen, medizinischen Geräten oder Prozesssteuerungssystemen. Um das Thema besser zu verstehen, muss ich ihnen einige technische Details zumuten. Ich werde mich bemühen, diese auch für technische Laien verständlich zu machen.
Der SA-PX verbindet die diversen Prozessoren und Baugruppen der elektronischen Schaltungen mit der Außenwelt. Einfach gesprochen ist der SA-PX der Pförtner eines jeden Computers. Er prüft und entscheidet, was den Computer betritt und verlässt. Und wenn das Ergebnis nicht passt, sorgt er dafür, dass es passt.
Bitte entschuldigen sie den sehr einfachen bildhaften Vergleich. Der SA-PX beinhaltet etwa zwei Millionen Lines of Code. Ein besonderes Leistungsmerkmal dieses universellen Chips besteht darin, dass er, falls gewünscht, selbstständig zeitgesteuerte Operationen durchführen kann. Die erforderliche Programmierung erfolgt durch externe Verschlüsselungssysteme, von denen die Ergebnisparameter und -daten funkgesteuert oder mittels des Internets auf die SA-PX heruntergeladen werden. Damit hierbei auch nachträglich keine versehentlichen oder vorsätzlichen Fehler entstehen, werden die Parameter und Daten mit einem hoch sicheren Verschlüsselungsverfahren, dem SIC-KEY 01 übertragen. Mehrere Milliarden SA-PX sind auf dem Weltmarkt im Umlauf. Für den Chip wurden branchenspezifische Teilserien für die Medizintechnik, die Unterhaltungselektronik, den Anlagenbau und 20 weitere Branchen entwickelt. Gerade die Zeitsteuerung und die extrem sichere Verschlüsselung bringen uns heute an den Rand des weltweiten Technologiekollapses.
Einige kriminelle Softwareentwickler der S.I.C. haben in den zwei Millionen Lines of Code unbemerkt Manipulationen vorgenommen.
Gestern, genauer gesagt um 0.00 Uhr Paris Time, trat im für die Kraftfahrzeugindustrie vorgefertigten SA-PX eine Funktionsstörung auf, die dazu führte, dass weltweit alle Fahrzeuge, in denen dieser Baustein eingesetzt wurde, schlicht und ergreifend stehen blieben. Die Folgen sind, wie sie wissen, verheerend. Bereits binnen des erstem Tages wird die Anzahl der Todesfälle in Folge der Störung auf viele Tausend Personen geschätzt, weil Rettungsfahrzeuge nicht fahren, Brände nicht gelöscht werden können oder bei Verbrechen nicht rechtzeitig Polizei verfügbar ist«, beendet Franko Pisari seine ersten Ausführungen.
Im Saal ist es nach einem allgemeinen Raunen absolut still. Die Gesichter der Zuhörer sind betroffen.
»Millionen von Pendlern sitzen weltweit entweder zu Hause, unterwegs oder an ihren Arbeitsstellen fest. Lediglich die schienengebundenen elektrischen Fahrzeuge verkehren noch. Falls in den nächsten Tagen keine Lösung des Problems gefunden wird, versinken insbesondere die Ballungszentren im Chaos. Die Nahrungsmittelversorgung und Entsorgung in den Städten kann ansonsten nicht mehr sichergestellt werden. Zur Sicherheit wurde der weltweite Flugverkehr eingestellt«, blickt Franko Pisari zu Henry Stoddard. Mit tief betroffener Stimme beendet er seinen Vortrag: »Und das ist noch nicht alles. Mr. Stoddard wird ihnen weiter berichten.«
Es kommt große Unruhe im Saal auf. Aufgeregt wechseln Worte unter den Sitznachbarn.
Erneut ertönt die Tischglocke des Sitzungspräsidenten: »Meine Damen und Herren, Ruhe bitte!«
Die Stimmen werden wieder leiser und gespannte Gesichter wenden sich Mr. Stoddard zu, der das Wort ergreift: »Etwa zeitgleich zu dem Stillstand erhielten fast alle Regierungen der Erde eine Nachricht. In dieser wurde erklärt, dass der Fehler kein Zufall ist, sondern die erste Stufe einer ungeheuerlichen Erpressung darstellt. Mit einem Zeitversatz werden weitere Branchen betroffen sein. Welche Branche als nächste betroffen sein wird, wurde nicht benannt. ...«
»Herr Stern!«, flüstert eine Frauenstimme Josef ins Ohr, während eine Hand ihm von hinten auf die Schulter tippt. »Könnten sie und Herr Landuc bitte mit mir kommen.« Seine Augen sehen eine junge blondhaarige Frau mit einem geflochtenen Zopf und einer eleganten, silbern gefassten Brille.
»Hey Pierre!«, schubst er leise seinen Freund. »Wir werden von einer hübschen jungen Dame entführt.«
Sie kommen der Aufforderung ohne große Hast nach, während Henry Stoddard weiter die Folgen der Erpressung schildert. Es bereitet Josef auch viel mehr Freude, dem Zopf und was an diesem so dranhängt zu folgen. Sie verlassen den Saal durch eine kleine Seitentür und betreten ein nüchtern eingerichtetes Besprechungszimmer mit einem grauen ovalen Tisch und einigen darum gruppierten Stühlen. Ihre Begleiterin setzt sich an den Kopf des Tisches: »Nehmen sie doch Platz, meine Herren!«
»Offensichtlich kennen sie uns. Dürfen wir sie der ausgleichenden Gerechtigkeit halber nach ihrem Namen und dem näheren Grund dieser Unterbrechung fragen?«
Pierres Neugierde kann Josef nur beipflichten.
»Pardon, meine Herren! Mein Name ist Bianca Nielsen. Und zu der zweiten Frage kann ihnen sicherlich Franko Pisari etwas Näheres sagen.«
Während dessen betritt dieser den Raum und schließt hinter sich die Tür: »Ich sehe, sie haben sich schon bekannt gemacht. Ich bin sicher, dass sich dies in den nächsten Tagen noch vertiefen lässt. Aber ich habe sie nicht hergebeten, um mit einer, zugegeben sympathischen Kollegin zu flirten. Fräulein Nielsen hat das, was ihnen teilweise zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben fehlt. Sie ist ein kleines Sprachengenie und verfügt darüber hinaus über technisches Verständnis. Und falls sie auf krumme Gedanken kommen sollten, so mache ich sie darauf aufmerksam, dass Fräulein Nielsen, wie sie beide, eine Nahkampfausbildung mit Erfolg abgeschlossen hat«, kann sich Franko Pisari nicht verkneifen.
Pierre und Josef müssen schmunzeln. Sie kennen ihren italienischen Chef nicht anders.
»Sag mal Pierre! Was denkt man nur so alles über uns? Ich glaube, wir müssen uns diesmal benehmen«, kann auch Josef einen Kommentar nicht verkneifen.
Franko Pisari geht über die Bemerkung hinweg: »Sie werden sich sicher fragen, warum ich sie drei hier zusammenbringe.
Wie Henry Stoddard bereits ausführte, haben wir es mit einem internationalen Problem zu tun. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass die Quelle der Erpressung in Europa zu finden ist. Aus diesem Grund hat die UNO insbesondere die UN-SEC-Europa aufgefordert, das Problem zu lösen. Alle anderen UN-SEC-Sektionen arbeiten ebenfalls an dieser Herausforderung. Ihre Aufgabe ist es, herauszufinden, ob, und wenn wie, wir den Chip weltweit wieder funktionsfähig machen können oder zumindest Funktionsstörungen in den Chips weiterer Branchen verhindern können. Fräulein Nielsen wird ihnen auf dem Flug nach München alles Weitere berichten. Ich wünsche ihnen und uns allen viel Erfolg.« Franko Pisari steht auf, dreht sich um und lässt die drei alleine zurück. Von der Kürze der Ausführungen überrascht, fehlen Josef erst einmal die Worte. Ehe er selbige in der Tiefe seines Kehlkopfes wiederfindet, ergreift die an dem Zopf Dranhängende die Initiative.
»Auch wenn das vielleicht unüblich ist, schlage ich vor, dass wir uns der Einfachheit halber beim Vornamen nennen, denn ich hasse es, mit Fräulein angesprochen zu werden. Ich heiße Bianca.«
Irgendwie kommt sich Josef heute etwas lahm vor. Das Einzige, was ihn diesbezüglich beruhigt, ist sein Freund Pierre, der offensichtlich auch noch nicht den zweiten Gang gefunden hat.
»OK, das ist ein Wort. Ich heiße Josef.«
»Und ich Pierre. … Und wie geht’s jetzt weiter?«
»Unten wartet ein Auto auf uns, welches uns zum Flughafen bringt. Ich erzähle euch auf dem Weg dorthin, was wir bisher wissen. Euer Gepäck wird bereits geholt.« Bianca öffnet eine zweite Tür und die beiden Männer folgen ihr verdutzt über das Tempo ihrer neuen, temperamentvollen Kollegin.
»Die Erpresser schreiben, dass sie in spätestens fünf Tagen ein weiteres Branchenmodul lahmlegen wollen. Wir wissen dabei letztlich nicht, ob die Störung aus dem Chip heraus aktiv wird oder ob ein Signal von außen den Stillstand auslöst. Wir hoffen, dass Letzteres der Fall ist, denn dann hätten wir eine Chance, den nächsten Schlag zu verhindern oder vielleicht sogar im Umkehrschluss den bisherigen Fehler wieder rückgängig zu machen. Da der Stillstand um 0.00 Uhr mitteleuropäischer Zeit einsetzte, liegt die Vermutung nahe, dass die Saboteure aus Europa stammen«, erläutert Bianca.
Zwischenzeitlich sind sie am Aufzug angelangt.
»Und wieso fliegen wir dann jetzt nach München?«, fragt Pierre.
Der Gong des Aufzuges ertönt und die Tür öffnet sich. Bianca geht, besser gesagt stürmt, hinein und drückt den Knopf fürs Erdgeschoss. Langsam wird Josef die Notwendigkeit des Zopfes klar. Trüge sie die Haare offen, so würden diese eventuell wehend in einer Türe hängen bleiben.
»Kommt schon rein!«, winkt sie ungeduldig. »Wir erhielten aus einem kleinen Nest in der Nähe von München einen Anruf. Wir hätten ihm keine Beachtung geschenkt, wenn nicht unmittelbar in der Nachbarschaft sehr große Antennen stehen würden. Es könnte sein, dass sich unsere Gegenspieler der 64 niedrig fliegenden Satelliten des weltumspannenden Satellitenkommunikationsnetzes bedienen, um die Chips ferngesteuert zu manipulieren. Das ist der Strohhalm, an den wir uns klammern.«
Der Aufzug öffnet sich wieder. »Hallo Herr Stern! Sie wollen uns schon wieder verlassen?« ruft der Pförtner Josef zu. Während die drei, von des Zopfes Tatendrang getrieben, dem Ausgang entgegenstürmen, antwortet Josef mit hochziehenden Schultern: »Leider!« und verschwindet durch die Tür.
Pierre und Josef zwängen sich auf die spartanische Rückbank des vor dem Eingang stehenden Käfers. Der Fahrer reicht ihnen die Koffer, die sie auf ihren Schoß nehmen müssen. Bianca setzt sich auf den bequemeren Beifahrersitz. Nachdem der Wagen losgefahren ist, dreht sich Bianca zu den beiden Männern um: »Eure Koffer haben wir aus euren Zimmern holen lassen. Welche Fragen habt ihr?«
»Wir mussten das Plenum ja etwas früher verlassen. Kannst du uns sagen, was das Ziel der Erpressung ist?«, fällt Josef spontan ein.
»Das ist sicher eine der interessantesten Fragen. Mir ist bisher bekannt, dass je ein Prozent des jeweiligen Bruttosozialprodukts gezahlt werden soll. Das ist eine irre Summe. Aber da sollen noch andere Forderungen im Raum stehen, über die bisher aber nichts bekannt ist«, antwortet Bianca.
»Mmmm … h«, räuspert sich Pierre. »Wohin soll denn das Geld überwiesen werden? Auf den Mond?«
»Du hast recht Pierre. Außerdem stellt sich die Frage, was man mit so viel Geld machen will«, ergänzt Josef.
»Diese Frage wird gerade auch im UN-Sicherheitsrat erörtert. Ich vermute, dass da politische Ziele verfolgt werden«, entgegnet Bianca. »Das muss uns aber nicht beschäftigen. Unsere Aufgabe ist davon unabhängig.«
Nach einiger Zeit erreichen sie den Flughafen. Eine einmotorige ältere Sportmaschine erwartet sie mit laufendem Motor. Der Fahrer holt die mühsam im Käfer verstauten Koffer und verstaut sie ähnlich mühevoll in dem viersitzigen Flugzeug.
»Ladies first!«, fordert Josef Bianca auf, einen der beiden hinteren Plätze einzunehmen. Pierre folgt ihr breitwillig, während sich Josef neben den Piloten setzt und die Tür zuzieht.
Der Pilot schiebt den Schubhebel nach vorne, der Motor heult auf und zielstrebig rollt das Flugzeug zur Startposition. Wenige Minuten später befinden sie sich auf der vorgegebenen Flughöhe von etwa 3000 Metern. Sie fliegen am Rhein entlang, um zur Not eine Orientierung zu haben, falls die Navigationsgeräte ausfallen sollten. Durch die geringe Flughöhe kann man viele Details erkennen. Immer wieder sehen sie vereinzelte Fahrzeuge, die auf Straßen und Autobahnen unfreiwillig abgestellt wurden. Kurz vor Karlsruhe fliegen sie weiter östlich. Der nördliche Alpenkamm mit seinen weiß gepuderten Gipfeln bietet jetzt hinreichend Orientierung. Nach etwa 3 Stunden überqueren sie im Sinkflug München. Obwohl früher Nachmittag ist, sieht man auch hier nur wenig Bewegung in der sonst um diese Zeit pulsierenden Stadt.
»Wir werden auf dem alten Fliegerhorst Landsberg landen. Ich wurde gerade darüber informiert«, ruft der Pilot den Passagieren zu und fliegt eine Schleife in Richtung Südwesten. Kurze Zeit später setzt die Maschine sanft in Landsberg auf. Nachdem das kleine Flugzeug zum Stillstand gekommen ist, nähert sich ein in NATO-Grün gestrichener FORD-Transit und hält unmittelbar neben dem Flieger.
Das unruhige und laute Motorgeräusch des Kleinbusses gibt ein ungefähres Gefühl des Alters des Fahrzeugs.
»Lieber schlecht gefahren, als mühsam gegangen«, lästert Pierre, während er hilft, das wenige Gepäck umzuladen.
»Ganz schön frisch hier. Ich habe leider meine Jacke in der Garderobe in Bonn hängen lassen«, schüttelt sich Josef und sucht den schnellen Weg in den Wagen.
Vorbei am Ammersee dauert die Fahrt etwa eine Stunde. Der Transit hält unmittelbar vor einem traditionell gestrichenen Gasthaus. Von den Fensterbänken hängen immer noch farbenfrohe Geranien herunter, obwohl der Frühherbst bereits deutlich zu spüren ist.
»Wir haben die Herren gebeten, in der Gaststube auf sie zu warten«, sagt der Fahrer. »Nach der langen Fahrt können sie sicher auch etwas zu essen und trinken bekommen.«
Bianca, Pierre und Josef betreten den alten Gasthof mit seinen knarrenden Dielen.
»Guten Tag zusammen. Wir haben drei Zimmer in der ersten Etage für sie vorbereitet. Hier sind ihre Schlüssel. Lassen sie ihr Gepäck stehen. Wir bringen es hoch. Der Gastraum ist da vorne, wo einige Herrschaften bereits auf sie warten«, bedient sie eine sehr freundliche Frau mittleren Alters in einem Dirndl.
»Man merkt, dass wir in einer Urlaubsregion sind. Aber leider sind wir nicht zu unserem Vergnügen hier«, sagt Josef zu Bianca.
An einem rustikalen Holztisch sitzen drei locker gekleidete junge Männer, die sich neugierig zu den Ankömmlingen hindrehen. Josef betritt den Raum. Über die knarrenden Holzdielen unter seinen Füßen geht er zu dem Tisch und stellt sich, Bianca sowie Pierre vor. Aus Höflichkeit fragt er, ob sie sich zu den drei jungen Leuten setzen dürfen. Die Frage wird selbstverständlich bejaht und auch sie stellen sich vor. Der Slowake Slobodan Müller, der Deutsche Thomas Günter und der Ire John Ernst sind Doktoranden der Uni Köln, die an einem Forschungsprojekt der Europäischen Union arbeiten.
Nachdem alle am Tisch sitzen, einige freundliche Worte gewechselt und die Bestellungen aufgegeben wurden, eröffnet Bianca die Fragerunde: »Was können sie uns zu dem Herrn sagen, welcher von der Weltveränderung sprach?«
John Ernst antwortet: »Eigentlich gibt es da wenig zu erzählen. Wir saßen vorgestern auch hier und der Mann saß da vorne an dem Tisch. Wir hatten schon etwas getrunken und philosophierten darüber, wie man die Welt am sichersten gravierend verändern könnte. Wir hatten eine witzig gemeinte Debatte, wer die beste Idee hätte, um die heutige Welt revolutionierend zu verändern. Börsenkrach, Atomunfälle, Ozonloch, Übervölkerung, Aids und andere Krankheiten. Ein apokalyptischer Gedanke jagte den anderen. Wir waren sicher nicht die Leisesten und so hörte er uns offensichtlich zu. Irgendwann bezahlte er, stand auf und kam zu uns rüber.«
Thomas Günter fällt ihm ins Wort: »Dann kramte er aus seiner Hose einen 10Euro-Schein hervor und begrub ihn unter seiner flachen Hand auf unserem Tisch. Daraufhin schaute er jedem Einzelnen von uns tief in die Augen und sagte: 'Alles viel zu langwierig oder phantasielos! Trinkt euch noch ein Bier und genießt den Abend. Morgen werdet ihr erleben, was simpel ist und nachhaltig verändert.' Ohne ein weiteres Wort erhob er sich wieder und verließ die Wirtschaft.«
Pierre hakt nach: »Können sie uns den Mann beschreiben?«
Slobodan Müller antwortet: »Er war um die vierzig und hatte eine Hornbrille. Er trug gepflegte Freizeitkleidung und machte eigentlich einen recht seriösen Eindruck.«
»Gibt es sonst noch irgendeine Beobachtung, welche uns weiterhelfen könnte?«, möchte Bianca wissen.
Die Bedienung, die die georderten Getränke gerade auf den Tisch stellt, bekommt das Gespräch mit und merkt an: »Mir ist beim Bezahlen aufgefallen, dass er viele Schweizer Franken bei sich hatte und eine Gästekarte von Saas-Fee. Mir fiel das auf, da ich dort auf dem Gletscher im Herbst mit der Ski-Mannschaft trainiere.«
»Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es könnte sein, dass ich ihn auch einmal auf dem Gelände der Sendeantennen gesehen habe«, wirft der deutsche Doktorand ein. »Er unterhielt sich vor einigen Tagen mit dem Leiter der Anlage.«
Josef fragt nach: »Sie arbeiten an den Parabolantennen?«
»Ja«, antwortet Thomas Günter mit einem gewissen Stolz im Unterton. »Wollen sie die Anlagen einmal besichtigen?«
Pierre nimmt das Angebot gerne an: »Würde es ihnen etwas ausmachen, wenn wir das nach dem Essen machen?«
»Gerne«, kommt fast zeitgleich von den drei jungen Männern.
Es ist später Nachmittag. Wolkenfetzen unterbrechen das herbstliche Sonnenlicht über der Spree. Im Konferenzsaal des Kanzleramts herrscht hektisches Treiben. Die Minister telefonieren mit ihren Staatssekretären und tauschen sich untereinander aus.
Die Bundeskanzlerin Anita Bach und ihr Pressesprecher betreten zügigen Schrittes den Raum und nehmen ihre Plätze an der langen ovalen Tischreihe ein. Die Kanzlerin greift zur Tischglocke und fordert die Anwesenden nach einem kurzen Läuten auf, sich zu setzen.
Anders, als sonst üblich, wird der Aufforderung sehr schnell nachgekommen.
»Guten Tag zusammen! Ich möchte sie zunächst über meine Gespräche mit meinen internationalen Kollegen informieren«, kommt sie ohne lange Vorrede zum Thema. »Die Lage in den westlichen Industrienationen sowie großen Teilen Russlands und Chinas ist ähnlich. Dort ist der Verkehr nahezu vollständig zusammengebrochen. Die Straßen in Asien und Amerika sind weitgehend blockiert, da der Ausfall mitten im abendlichen oder morgendlichen Berufsverkehr zuschlug. Europas Straßen sind nicht so stark blockiert, da um Mitternacht natürlich weniger Fahrzeuge unterwegs sind. Länder mit einer tendenziell älteren Infrastruktur sind derzeit weniger betroffen. Die Rettungsdienste, Feuerwehr und die Polizei sind durch den stark reduzierten Fuhrpark erheblich eingeschränkt. Es hat bedauerlicherweise viele Tote und Verletzte gegeben. Es ärgert mich sehr, dass diverse Kriminelle die Schwäche der Polizei bereits für Plünderungen genutzt haben. Der Innenminister ist in engem Kontakt mit den Landesinnenministern, um die öffentliche Ordnung zu bewahren. Ich habe den Justizminister geben, sich mit dem Bundespräsidenten, dem Bundesratspräsidenten und dem Bundestagspräsidenten abzustimmen. Sie sollen klären, welchen rechtlichen Rahmen wir bei einer weiteren Verschärfung der Lage haben und was wir beachten müssen. Ich habe weiterhin den Landwirtschaftsminister und den Verkehrsminister gebeten, die Versorgung mit Lebensmitteln und dem täglich Notwendigen mit den Bundesländern zu organisieren.
Zum Schluss noch ein heikles Thema.
Derzeit funktionieren das Internet sowie Rundfunk und Fernsehen. Bitte berücksichtigen sie bei ihren Planungen, dass diese Dienste ebenfalls ausfallen könnten. Einige Spezialisten machten mich übrigens darauf aufmerksam, dass das klassische Telefon heutzutage auch über das Internet betrieben wird. Je älter die Technik ist, umso wahrscheinlicher ist jedoch die Funktionsfähigkeit.
Um 19 Uhr informiere ich die Presse. Leider habe ich jetzt einen Anschlusstermin, der mir nicht erlaubt, hierzubleiben. Wir treffen uns in vergleichbarer Runde um 22 Uhr wieder hier. Ich wünsche ihnen und uns Glück sowie Kraft, diese Krise zu meistern.«
Die Kanzlerin steht auf und verlässt alleine den Raum so zügig, wie sie gekommen ist. …
Nach kurzer Zeit betritt sie ihr nüchtern gestaltetes Büro und schließt hinter sich die Tür.
»Hast du mehr in Erfahrung bringen können?«, fragt sie, während sie ihre Notizen auf ihrem Schreibtisch ablegt.
In der Sitzecke, deren einzige Zierde ein Ölgemälde des ersten Bundeskanzlers Adenauer ist, wartet ein Mann mit angegrauten Haaren und einer Kladde in der Hand. Er antwortet ruhig, aber mit sorgenvollem Blick: »Nichts Gutes, Anita. Wir müssen derzeit davon ausgehen, dass der atomare Schutzschirm sowie eine Vielzahl unsere Waffensysteme nicht mehr einsatzfähig sind, falls die militärische Version des Chips deaktiviert wird. Wir wissen im Moment, dass glücklicher Weise alle Atommächte davon betroffen wären. Das behauptet zumindest mein amerikanischer Kollege. Sicher ist, dass das militärische Gleichgewicht nachhaltig verändert wäre. Ich konferiere gleich noch einmal mit den anderen NATO-Verteidigungsministern. Wir haben beschlossen, unsere Ersteinschätzungen zu überprüfen.«
Kanzlerin Bach setzt sich zu ihrem Verteidigungsminister Klaus Lössel in einen Sessel: »Klaus, ich glaube auch, dass die Chinesen ähnlich betroffen sind, da die ja munter im Westen kopieren. Bei den Russen habe ich Zweifel, da die in den letzten Jahren nicht das Geld hatten, um groß zu modernisieren. Anderseits glaube ich nicht, dass sie einen militärischen Überfall in Europa riskieren, da die auch nicht wissen, was bei uns noch funktioniert. Die werden aber dennoch sehr selbstbewusst auftreten.«
»Ich sehe aber den Nahen Osten sehr kritisch«, entgegnet Verteidigungsminister Klaus Lössel. »Wenn der Iran spitz kriegt, dass der Westen, samt Israel und Saudi Arabien, Ladehemmungen hat, kann ich mir gut vorstellen, dass sie die Gunst der Stunde nutzen. Auch Nordkorea könnte in Versuchung kommen, die Amis auszustechen.«
»Das sehe ich auch so, Klaus«, sagt die Kanzlerin. »Mir bereitet Sorge, dass unsere Beobachtungssatelliten und die Informationen von den NATO-Außengrenzen ebenfalls gestört werden könnten.«
Mit einem Schmunzeln antwortet Klaus: »Die Sorge haben wohl alle, auf allen Seiten. Wir haben im Moment eine wahre Nostalgieshow mit alten Flugzeugen am Himmel.«
»Ich wünsche uns viele gute Nachrichten in deinem nächsten NATO-Meeting. Hoffentlich haben wir keine allzu modernen Armeen«, erhebt sich die Kanzlerin aus ihrem Sessel und verabschiedet ihren Minister, der daraufhin den Raum verlässt.
Die Kanzlerin setzt sich wieder an ihren großen, aber schlichten Schreibtisch und trinkt etwas Wasser. Kaum ist das Glas geleert, da klopft es.
Ohne weitere Aufforderung öffnet sich die Tür und eine schlanke Frau in einer dunklen Hosenkombination betritt den Raum.
»Ihr Assistent sagte mir, dass ich reinkommen könnte«, entschuldigt sie ihr Eintreten.
»Nehmen sie doch Platz Frau Goldhahn«, zeigt die Kanzlerin auf die Sitzgruppe. »Konnte der BND etwas von den Kollegen der NSA erfahren?«
»Sie kennen ja unsere amerikanischen Freunde. Sie erzählen uns schon mehr als anderen Ländern, aber auch nicht mehr, als notwendig. Wenn man jedoch unsere Erkenntnisse und die des französischen und britischen Geheimdienstes übereinanderlegt, bekommt man einen ganz passablen Überblick.