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Patrick, Bestatter des alteingesessenen Unternehmens SEELENFRIEDEN, füllt diskret und erfolgreich eine Marktlücke für eine erlesene Kundschaft. Fabio Castellano, ein skrupelloser Gangsterboss, möchte ebenfalls die Services in Anspruch nehmen. Als Patrick das ablehnt, gerät die Lage nicht nur für ihn außer Kontrolle. Gegen Castellano ermitteln die Kommissare Horst Feld und Astrid Stein mit den eng befreundeten Beamten Willi und Claudia. Ein spektakulärer Mord in der Kölner Altstadt soll möglichst schnell aufgeklärt werden. Spannung, Humor und eine Prise Amore kommen nach >DER SAUNAMÖRDERIM AUGE DES MILANS< auch im neuen Fall des kriminalistischen Kleeblatts nicht zu kurz.
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Seitenzahl: 285
Veröffentlichungsjahr: 2023
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TOT!
TOT?
MAUSETOT
Krimi von
Bernward Salomon
Impressum
Text:© 2023 Copyright Bernward Salomon
Cover:© 2023 Copyright Bernward Salomon
Vertrieb:EPUBLI GmbH, Berlin www.epubli.de
Produziert in: Deutschland
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Zum Autor
Bernward Salomon wurde 1956 im Bergischen Land geboren. Nach dem abgeschlossenen Studium der Nachrichtentechnik arbeitete er viele Jahre in der Industrie und der Versicherungswirtschaft. »Schreiben ohne Veröffentlichung« war während dieser Zeit ein Hobby zur Entspannung. Freunde und Familie regten an, das Geschriebene zu veröffentlichen. Schwerpunkte sind Krimis/Thriller sowie Kinderliteratur.
Es ist ihm wichtig, dass die Personen in seinen Büchern keinen Bezug zu real lebenden Menschen haben. Sollte es eine Namensgleichheit geben, so wäre diese rein zufällig.
Danke
Ich möchte mich für jede Rückmeldung meiner Leser bedanken. Insbesondere die Kommentare zum Schreibstil und Inhalt, egal ob positiv oder kritisch, empfinde ich als Wertschätzung.
Weiterhin möchte ich mich bei meiner Ehefrau bedanken, die mit wachem Auge und Freude zur Qualitätsverbesserung des Buches beigetragen hat.
Inhalt
Der Anschlag
Es lebe das Leben
Zugriff
Rückreise
Dumm gelaufen
Erstens kommt es anders …
Verdammte Hexe
Der Plan
Die Begegnung
Auch das noch
Ahoi
Die Beichte
Veränderung
Zeeland
Die Suche
Ausgetrickst
Erwischt
Jäger und Gejagte
Spuren
Der Deal
Am Ufer
Die Klinik
Verwirrung
Eng
Ankunft
Gangster-Domino
Abgesang
Namensliste
Weitere Bücher
Letzte Sonnenstrahlen beleuchten die beiden markanten Türme des gotischen Doms mit einem romantischen Abendrot. Viele Touristen versuchen das weltberühmte Motiv als Selfie oder als Porträt mit ihrem Smartphone oder einer höherwertigen Kamera festzuhalten. Es ist fast windstill. Das ist für den Domvorplatz eher untypisch. Daher kann man den verschiedensten Sprachen der Welt lauschen und das internationale Flair in sich aufsaugen.
Mit dem Einsetzen der Dämmerung verlassen viele Menschen diesen nach Papst Johannes XXIII benannten Roncalli-Platz und gehen über die Treppen der Philharmonie zum Rhein hinunter. An der Uferpromenade entlang flanieren sie, vom Möwengeschrei begleitet, in Richtung Deutzer Brücke. Bunt beleuchtete Schiffe passieren sie auf dem Fluss. Manche Touristen kehren in eines der vielen Restaurants zwischen der Hohenzollernbrücke und dem Kölner Pegel ein, um den herrlichen Tag bei einem Gläschen Wein oder Bier bei seichter Straßenmusik abzurunden. Andere finden über den Fischmarkt, wo heutzutage kein Fisch mehr gehandelt wird, an vielen Kneipen vorbei den Weg in die Altstadt. Nur noch wenige Gebäude sind wirklich alt, da über neunzig Prozent dieser traditionsreichen Stadt am Rhein dem Bombenhagel britischer Bomber im zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen. Unterhalb des historischen Rathauses liegt der Altermarkt mit dem Denkmal Jan-von-Werth, welches zum Glück im Weltkrieg weitgehend unbeschädigt blieb. Hoch oben schaut der steinerne Reitergeneral aus dem Dreißigjährigen Krieg über das entspannte Treiben am Fuß des Brunnens hinweg.
Unweit von diesem Denkmal ertönen vor einem Straßenrestaurant sehr laute Stimmen, die sich deutlich vom allgemeinen Geräuschpegel abheben.
»Hau ab! Du bekommst keinen Cent mehr! Verpiss dich!«, schreit ein Mann in dunkler Hose und weißem Hemd, wild gestikulierend, einen südländisch aussehenden jungen Mann mit einer sehr kurzen Frisur und einer Lederjacke an.
Dieser weicht nur einen kleinen Schritt zurück, zieht plötzlich aus dem hinteren Hosengurt eine Waffe und schießt seinem Gegenüber gezielt mit zwei lauten Schüssen in den Kopf. Das allgemeine Gemurmel der Menschenmenge übertönt das dumpfe Geräusch, als der Getroffene rückwärts auf den Boden fällt. Unzählige Menschen sehen starr vor Schreck die brutale Tat und den eilig davonrennenden Verbrecher.
Wenige Sekunden später löst lautes Geschrei den ersten Schockmoment ab. Zwei Kellner eilen zu dem Getroffenen und erkennen schnell, dass diesem nicht mehr zu helfen ist.
Mit der vielfachen Empathielosigkeit unserer Zeit meinen mehrere Männer und Frauen das Opfer in seiner Blutlache auf ihren Handys festhalten zu müssen.
»Schämen sie sich nicht?«, geht eine ältere Dame entrüstet auf die Voyeure zu, die sich aber nicht von ihrer Tätigkeit abbringen lassen und weiter filmen.
Wütend holt die ältere Dame ihr eigenes Smartphone aus ihrer Handtasche und filmt die Ignoranten.
»So meine Herrschaften, ich habe sie jetzt alle festgehalten. Sie bleiben hier jetzt als Tatzeugen. Wenn sie es wagen, den Tatort zu verlassen, sollten sie wissen, dass ich meine Aufnahme an die Polizei übergebe«, beendet sie ihre Aufzeichnung und steckt das Smartphone wieder in ihre Tasche.
»Du blöde alte Kuh!«, attackieren einige Aufgebrachte die Frau und wollen ihr die Handtasche entreißen. Jedoch kommen die beiden Kellner der resoluten Dame zur Hilfe. Es droht aus dem allgemeinen Gerangel eine handfeste Schlägerei zu entstehen.
Zum Glück hört man bereits immer lauter werdende Signalhörner von Polizei und Rettungsdienst. Kurze Zeit später trennen mehrere Uniformierte die Streithähne und nehmen die Personalien auf. Weitere hinzugekommene Polizisten beginnen den Tatort zu sichern.
*
Nach etwa 20 Minuten untersuchen Mitarbeiter der Spurensicherung den mit Flatterband weiträumig abgesicherten Tatort, während Streifenpolizisten die Gaffer zurückhalten.
Unmittelbar vor dem abgesperrten Bereich hält ein alter grauer Kombi. Aus der Fahrertür steigt eine modisch gekleidete schlanke Frau mit mittelblonden halblangen Haaren. Eine elegante Sonnenbrille sitzt auf ihrer Stupsnase. Zügig geht sie auf eine Frau der Spurensicherung zu.
»Guten Tag, Frau Stein«, begrüßt sie auf halber Strecke ein Polizist und hebt für die Kriminalbeamtin das Flatterband an. Freundlich lächelnd nimmt sie das Angebot an. Trotz des allgemeinen Lärms hört man das Stakkato ihrer hochhackigen Schuhe.
»Hallo Claudia, unseren Feierabend habe ich mir auch anders vorgestellt«, geht sie der Frau in ihrem weißen Schutzanzug entgegen.
»Da sagst du was, Astrid. Eigentlich wollten wir doch auf meiner Terrasse ein Gläschen Rosé genießen«, entfernt sie sich von der abgedeckten Leiche und zieht die Kapuze ihres Overalls vom Kopf.
»Könnt ihr schon etwas Genaueres sagen?«
»Der Mann heißt Anton Tessino, Rufname Toni. Das sagte uns ein Kellner. Er wurde aus kurzer Distanz zwei Mal im Kopf getroffen. Er war wohl sofort tot. Für uns ist da nicht wirklich viel zu tun. Die Ballistik wird prüfen, ob die Waffe schon bei uns bekannt ist. Zeugen gab es wohl einige.«
Erst jetzt öffnet sich die Beifahrertür des grauen Kombis. Ein etwas korpulenter Mittvierziger in einem durchgeschwitzten T-Shirt und verknitterter Hose betritt den Altermarkt und gesellt sich langsam zu den beiden Frauen.
Er möchte gerade in die Diskussion einsteigen, als ihn von der Seite die ältere Dame anspricht: »Hallo Horst, schön, dich mal wieder zu sehen.«
Horst dreht sich um. »Na, das ist ja eine Überraschung«, hellt sich seine Miene auf. »Frau Blass. … Wie geht es ihnen und ihrem Mann?«
»Mein Mann ist vor einigen Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Mir persönlich geht es aber mittlerweile wieder ganz gut.«
»Der Tod ihres Mannes tut mir echt leid«, senkt Horst betroffen seine Stimme. »Das sind übrigens meine Kolleginnen Astrid Stein und Claudia Benz«, stellt Horst die beiden interessiert zuschauenden Frauen vor. »Frau Blass war meine Klassenlehrerin. Ihr Mann war bei der Kölner Kripo und hatte mir damals nahegelegt, zur Polizei zu gehen.«
»Horst, ich habe euch ein kleines Video von diversen Schaulustigen gemacht, die den Toten als Hobby filmten und fotografierten. Soll ich es auf eure Smartphones mit Bluetooths übertragen?«
»Sie haben sich nicht verändert, Frau Blass. Immer auf der technischen Höhe der Zeit. Ganz anders als ich. Meine Kollegin Stein kennt sich besser mit dem Spielkram aus«, schmunzelt Horst.
Lächelnd geht Astrid zu Frau Blass. Nachdem das Video überspielt ist, schaut sie es sich an.
»So, meine Herren und Damen, dann nehmen sie mal auf den Restaurantstühlen Platz. Ich werde jetzt einzeln mit ihnen über die Ereignisse reden. Ich unterstelle dabei, dass sie die Aufnahmen ausschließlich für die Polizei gemacht haben und sie, nachdem sie diese uns übergeben haben, selbstverständlich löschen. Mein Kollege wollte sie zwar wegen Gafferei anzeigen, aber ich kann ihn möglicherweise durch ihr vorbildliches Verhalten von dieser Absicht abhalten«, spricht sie die Voyeure laut und eindeutig an.
»Deine junge Kollegin gefällt mir«, sagt Frau Blass leise zu Horst. »Mein Mann hätte seine wahre Freude gehabt. Hast du etwas mit ihr?«
»Wir wohnen zu viert als eine Art Wohngemeinschaft im Haus von Frau Benz. Den Vierten kennen sie übrigens auch. Es ist Willi, Willi Schmitz, der Adoptivsohn der Metzgerfamilie«, lenkt Horst ab.
»Du meinst den Jungen, dessen Eltern aus Uganda kamen und bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen?«
»Genau den. Er ist jetzt in unserem Team, um meine Technikaversion auszugleichen«, erklärt Horst.
*
Es dauert etwa eine Stunde, bis der letzte Zeuge befragt, die Spurensicherung beendet und das Opfer für die Pathologie abgeholt ist. Längst hat sich Frau Blass verabschiedet, als ein ungepflegt aussehender Mann auf Horst zugeht.
»Mensch Pocke. Du hast mir gerade noch gefehlt«, begrüßt Horst den schmierigen Journalisten.
»Guten Abend, Herr Hauptkommissar. Da haben sie aber wieder mitten ins Wespennest gestochen«, antwortet dieser und macht die Polizisten neugierig.
»Von welchen Insekten redest du?«
»Was ich so aufgeschnappt habe, deutet darauf, dass die Tessinos in Castellanos Schutzgeldrevier wildern wollten. Da Fabio Castellano keinen Spaß versteht, könnte ich mir vorstellen, dass dies eine Kriegserklärung war«, erzählt der Ungepflegte in der Tonart der Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch.
»Deine Insekten sind Flöhe, die du gerade husten hörst. Mir ist klar, dass du gerne eine reißerische Schlagzeile möchtest. Aber ich kann dir da nicht weiterhelfen. Geh nach Hause und berichte deinen Lesern von Nessi. Da ist mehr dran. Ich mache jetzt für meinen Teil Feierabend«, wiegelt Horst ab.
»Genießen sie ihn, Herr Hauptkommissar!«
»Du mich auch, Pocke«, dreht sich Horst um und macht aus seiner Aversion gegen diesen Schreiberling keinen Hehl.
»Ich glaube ich vertrage jetzt ein Feierabendbierchen. Fährst du uns nach Hause, Astrid?«, wendet er sich seinen Kolleginnen zu.
»Klingt verlockend, aber wir Ladys bevorzugen den Rosé«, antwortet Claudia.
Entspannt steigen die drei in den grauen Kombi. Astrid startet den Motor: »Ich liebe das Geräusch der sechs Zylinder unserer guten alten Röhre.«
Horst schaut in Gedanken aus dem Fenster. »An dem, was dieses Ekelpaket sagte, könnte etwas dran sein. Das müssen wir uns morgen mal etwas genauer anschauen«, murmelt er vor sich hin.
*
»Hallo Horst, hast de joot geschloofe (hast du gut geschlafen)?«, begrüßt Willi gut gelaunt seinen Freund und Kollegen am Frühstückstisch.
»Geht so. Die Hitze macht mich verrückt. Beim Duschen wurde bestimmt ein Liter Schweiß heruntergespült«, setzt sich Horst zu dem gut gelaunten Lockenkopf mit der markanten Hornbrille und greift nach einer Scheibe Brot.
»Ihr drei seit heute Morgen in der Zeitung. Dein persönlicher Freund Pocke hat wieder so richtig einen rausgehauen. HAT DER KÖLNER PATE ZUGESCHLAGEN? ist doch eine nette Schlagzeile. Du solltest dir im Einsatz aber mal ein frisches T-Shirt anziehen und die Haare kämmen. Dafür ist Astrid aber toll getroffen.«
»Ha, ha«, grantelt Horst.
»Lass mich mal sehen«, betritt Astrid frisch gestylt den Raum, geht zu Willi und liest den Artikel … »Ich weiß nicht, was du meinst, Willi. Knitterlook für Hosen ist doch in. Alterchen ist echt schick.«
Ohne eine Miene zu verziehen, greift Horst nach seiner Tasse und gießt sich Kaffee ein.
»Schüttest du mir auch einen ein?«, gesellt sich Claudia im unvollkommen geschlossenen Kimono zu den anderen. Ihr langes, vom Schlaf noch durchgewühltes Haar und ihre müden Augen zeugen von einer schlaflosen Nacht. »Und wie sieht euer Plan für den heutigen Tag aus?«, fragt sie in die Runde, nachdem sie einige Schlucke Kaffee getrunken hat.
»Ich schaue mir noch einmal in Ruhe die Videos und Protokolle von gestern an. Willi wird mir sicher dabei helfen«, erklärt Astrid.
»Willi, könntest du zusätzlich mal versuchen, etwas mehr über das Opfer und den Fabio Castellano zu erfahren. Ich …«
In diesem Moment unterbricht die berühmte Deep Purple-Melodie SMOKE ON THE WATER seinen Satz. Er schaut auf das Display seines Smartphones. »Der Chef!«, signalisiert er den anderen, die leise bleiben. Horst nimmt das Gespräch an.
»Guten Morgen, Herr Polizeipräsident. Was kann ich für sie tun?«
»Herr Feld, kommen sie bitte mit Frau Stein unverzüglich in mein Büro. Ich muss mit ihnen über den Zeitungsartikel und Herrn Castellano reden.«
»Herr Reiner, wir sind noch zu Hause. Können wir es telefonisch besprechen? Ansonsten dauert es abhängig vom Berufsverkehr mindestens eine halbe Stunde, bis wir bei ihnen sein können.«
»Das ist nichts fürs Telefon. Kommen sie direkt in mein Büro, wenn sie im Haus sind. Bis gleich!«, legt der Polizeipräsident schnell wieder auf.
»Das war unser Frühstück. Der Chef möchte uns schnell sprechen«, schaut Horst in Richtung Astrid und anschließend zu der anderen Kollegin.
»Claudia, informiert mich bitte sofort, wenn ihr mehr über den Toten oder die Waffe sagen könnt.«
»Mach, dass du ins Präsidium kommst. Sklaventreiber! Ich muss jetzt erst einmal meine edlen Körperzellen auf Schwung bekommen. Ich melde mich«, greift Claudia erneut zu ihrer Kaffeetasse. Nachdem diese geleert ist, schaut sie zu Willi: »Kannst du mich mitnehmen? Mein Auto steht noch im Präsidium.«
»Ävver sischer dat, ming Rüsje (Aber sicher doch, mein Röschen)«, antwortet er.
*
»Kommen sie herein. Das ging ja schneller, als ich dachte. Nehmen sie doch Platz«, begrüßt der Polizeipräsident die beiden Kriminalbeamten und schließt hinter ihnen die Tür.
»Mich hat kurz vor meinem Anruf der Oberstaatsanwalt angerufen. Der Anschlag in der Altstadt hat erheblichen Pressewirbel ausgelöst. Er hat gebeten, dass ich mich persönlich des Falls annehme. Können sie denn bereits etwas zu den Ermittlungen sagen?«
»Herr Reiner, wir sind noch ganz am Anfang mit unseren Ermittlungen. Wir haben Tatortvideos und verschiedene Zeugen. Das Opfer heißt Anton Tessino und wurde durch zwei Schüsse in den Kopf getötet. Näheres können wir erst im Laufe des Tages sagen«, antwortet Astrid.
»In der Presse wurde Fabio Castellano ins Gespräch gebracht. Obwohl das ein Klopfen auf den Busch durch die Presse war, kann ich nicht ausschließen, dass da etwas dran ist. Wir haben schon früher gegen Castellano ermittelt, aber der ist aalglatt und entwischte uns bisher immer. Wie sie vielleicht wissen, beißen sich auch unsere Kollegen von der Organisierten Kriminalität immer wieder die Zähne an ihm aus. Wenn das wirklich ein beginnender Bandenkrieg ist, wird bei Castellano sicher einiges los sein. Ich würde daher sehr gerne eine richterliche Erlaubnis bekommen, seine Wohnung mit elektronischen Mitteln zu überwachen«, ergänzt Horst.
»Herr Feld, sie wissen, dass die rechtlichen Hürden dafür sehr hoch sind. Wenn sie mir einen Beweis liefern, dass der Täter für Fabio Castellano arbeitet, könnte ich mir vorstellen, dass mich der Oberstaatsanwalt bei ihrem Wunsch unterstützt.«
In diesem Moment erklingt erneut SMOKE ON THE WATER.
»Entschuldigung, Herr Polizeipräsident. Es könnte wichtig für unseren Fall sein«, nimmt Horst das Gespräch an.
»Hallo Willi, ist es dringend? Ich bin gerade bei unserem obersten Chef.«
»Ich glaube schon. Der Täter heißt höchst wahrscheinlich Giovanni Pento und ist kein Unbekannter. Auf einem Handy-Video ist er von der Seite zu sehen. Die Auswertungssoftware geht von sechzig bis siebzig Prozent Wahrscheinlichkeit aus. Der Clou ist, dass dieser Giovanni bis vor einigen Monaten als Hausmeister für Fabio Castellano arbeitete. Weiterhin sagte mir Claudia gerade, dass die Waffe bereits mehrmals als Tatwaffe genutzt wurde. Es gibt allerdings bisher keine direkte Verbindung zwischen diesem Giovanni und der Waffe.«
»Habt ihr noch etwas über das Opfer herausbekommen, Willi?«
»Haben wir, Horst. Tessino hat schon Vorstrafen als Schläger der Düsseldorfer Hooligan-Szene und soll in der verbotenen Stadt als Schuldeneintreiber gearbeitet haben.«
»Mr. Smith, du bist unser Held! Du hast uns sehr geholfen. Mach es gut«, beendet Horst das Gespräch und wendet sich wieder dem Polizeipräsidenten zu.
»Und? Gibt es Neuigkeiten, Herr Feld?«, fragt dieser.
»Die gibt es. Wir haben eine Verbindung zu Fabio Castellano«, antwortet Horst und berichtet von den aktuellen Erkenntnissen.
»Ich vermute, dass wir auf dieser Basis sowohl einen Haftbefehl gegen diesen Giovanni Pento als auch eine richterliche Anordnung für die Überwachung von Fabio Castellano bekommen. Bitte begleiten sie beide mich zum Oberstaatsanwalt, damit wir diese Formalien zügig erledigen können.«
»Wäre es für sie ok, wenn ich alleine sie begleite und Frau Stein in der Zwischenzeit mit den Kollegen von der Organisierten Kriminalität redet. Ich möchte sicherstellen, dass wir uns nicht versehentlich gegenseitig behindern.«
»Das klingt vernünftig, Herr Feld. Frau Stein sollte mich allerdings begleiten und sie zu den Kollegen der OK gehen. Wie sie wissen, genießen sie beim Oberstaatsanwalt keine uneingeschränkte Beliebtheit. Die Geschichte mit dem Innenminister und dessen Frau hat er ihnen noch immer nicht ganz verziehen«, lächelt der Polizeipräsident.
»Die Geschichte mit der eitlen Zicke ist zwar schon eine Ewigkeit her … aber wenn es der Sache dient, kann sie gerne auch Frau Stein begleiten«, stimmt Horst mit einem ironischen Unterton zu.
*
Es ist ein Uhr. Horst, Willi und Claudia sitzen in der Kantine. Während die beiden Männer mit Heißhunger ihre Currywurst und Pommes verarbeiten, stochert die Kollegin neidvoll in ihrem gemischten Salat.
»Dat mäst de ävver joot, ming Rüsje. Ich wöt dat nit schaffe. Mer sin rischtisch stolz op dich (Das machst du aber richtig gut, mein Röschen. Ich würde das nicht schaffen. Wir sind richtig stolz auf dich)«, versucht Willi seine Mitbewohnerin aufzumuntern.
»Danke Willi, aber ihr macht es mir mit eurer Essenswahl wirklich nicht leicht«, entgegnet Claudia mit einem leicht gequälten Gesicht.
Horst folgt dem Dialog mit weniger Empathie und schiebt sich mit großem Genuss die nächste Ladung der knusprigen Kartoffelstäbchen in den Mund.
»Bin ich froh, dass Astrid unseren Chef begleiten muss. Das scheint wohl doch nicht so einfach zu sein«, lenkt er von dem Diätgespräch mit halb vollem Mund ab und schluckt den Rest des goldgelben Bissens herunter.
Kaum hat er das gesagt, da hört er von hinten das Klack Klack auf dem harten Fliesenboden.
»Hallo zusammen. Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe. Aber dieser Klub der Bedenkenträger hat mir den letzten Nerv gekostet. Ich brauche jetzt unbedingt Nervennahrung. Ich freue mich darauf«, legt Astrid das Tablett mit ihrer Currywurst und Pommes gegenüber von Claudia auf dem Tisch ab.
»Mensch Astrid, das ist jetzt aber wirklich nicht nett von dir«, verdreht Claudia die Augen.
»Was denn? Habe ich was versäumt?«, schaut Astrid unschuldsbewusst in die Runde.
»Au backe. Sorry, ich habe deine Diät vollkommen vergessen«, entschuldigt sich Astrid.
»Haben dein Augenaufschlag und weitere deiner optischen Anreize letztlich doch geholfen, die beiden Papiere zu bekommen«, schaut Horst zu seiner wie immer hübsch gekleideten Kollegin.
»Jawoll, Alterchen. Könnte gut sein, dass ich bei den drei Herren einige Endorphine produziert habe. Jeder spielt eben sein eigenes Klavier«, zupft Astrid kokett am obersten Knopf ihrer Bluse. »Wir bekommen übrigens SEK-Unterstützung. Um 5 Uhr soll morgen früh der Zugriff erfolgen. Wir möchten keine spielenden Kinder gefährden.«
»Wo wohnt der Typ eigentlich?«, möchte Horst wissen.
»In Bergisch Gladbach Moitzfeld, in einer Siedlung«
»Wo?«, fragt er nach.
»Moitzfeld! Dat is dat Dorf mit dem ville Stau op der A4. Dat kennst de deshalb us em Radio. Ming eetsde Fründin kom vun Moitzfeld (Das ist das Dorf mit dem häufigen Stau auf der A4. Das kennst du deshalb aus dem Radio. Meine erste Freundin kam aus Moitzfeld)«, antwortet Willi für Astrid, die hungrig in die Currywurst beißt.
Tausend Kilometer weiter südlich. Es ist glühend heiß. Die Sonne strahlt unerbittlich auf die riesigen Weinfelder des Margaux. In Reih und Glied stehen Rebstock an Rebstock, um das weltberühmte dunkelblaue Gold der Region zur Reife zu tragen. Zwischen den Feldern führt eine unbefestigte schmale Landstraße. Eine schwarze Limousine fährt langsam über den flimmernden Asphalt.
Am Steuer des Wagens sitzt ein Mann in einer dunklen Anzugshose mit einem blütenweißen, eng anliegenden Hemd und einer dezenten Krawatte. Das Sakko hängt über dem Rücksitz auf einem Kleiderbügel. Es bedarf eigentlich keiner besonderen Erwähnung, dass seine Frisur so akkurat gekämmt ist, als würde er zu einem großen Ball gehen. Von der Klimaanlage erfrischt, genießt der Enddreißiger durch seine spiegelnde Sonnenbrille den Anblick der Rebstöcke mit ihren vollen Trauben und kräftigen Beeren.
»In 400 Metern links abbiegen«, ertönt es aus dem Lautsprecher des Navigationssystems.
Dabei wäre es so stilecht gewesen, dem typisch französischen blaugerahmten weißen Wegweiser mit dem schlichten blauen Pfeil und der Aufschrift CHÂTEAU ROGGEN zu folgen.
Ruhig biegt Patrick in die noch schmalere Straße ein, bis er vor einem prachtvoll geschmiedeten zweiflügeligen Tor anhält. Im Hintergrund sieht er einen jener kleinen Landsitze, die so typisch für die Region sind. Ungewöhnlich sind dagegen die vielen Kameras, welche an den Mauern angebracht sind, die dieses Areal umgeben.
In dem linken Tor ist eine Tür eingearbeitet, welche ein Mann in der Uniform einer Security-Firma öffnet.
Er geht unaufgeregt zur Fahrertür der schwarzen Limousine.
Patrick öffnet das Seitenfenster. Sofort schlägt ihm die glühende Hitze ins Gesicht. »Guten Tag, ich bin der Bestatter und habe einen Termin.«
Der Uniformierte schaut ins Wageninnere. Lediglich eine braune Lederaktentasche liegt auf dem Rücksitz.
»Öffnen sie bitte den Kofferraum!«, fordert er Patrick höflich auf, der daraufhin die entsprechende Taste am Armaturenbrett drückt. »Da ist nur ein Trolley. In dem ist das Nötigste für ein bis zwei Tage. Sie können ihn zur Überprüfung gerne herausnehmen. Es wäre nett, wenn sie ihn mir anschließend in mein Zimmer stellen«, erklärt er. Nachdem der Kofferraum inspiziert und der kleine Koffer entnommen wurde, schließt Patrick die Heckklappe. Als sich das Tor zur Einfahrt öffnet, fährt er langsam über den parkartig angelegten Innenhof zu einem Stellplatz, auf welchen ein anderer Uniformierter hinweist. Nachdem Patrick ausgestiegen ist, zieht er sein Sakko über und knöpft es zu. Dann nimmt er seine Aktentasche, schließt den Wagen und geht zum Eingang des Anwesens.
Ein dritter Mann des Wachpersonals öffnet ihm die Tür und führt ihn durch eine Sicherheitsschleuse, die jeder kennt, wenn er einmal mit dem Flugzeug gereist ist.
»Guten Tag, ich bin die Assistentin von Herrn Roggen. Er erwartet sie bereits im Garten. Bitte folgen sie mir«, begrüßt ihn eine junge Frau in einem luftigen Sommerkleid.
Schweigend kommt der Gast in dem schwarzen Anzug der Aufforderung nach und folgt ihr durch das Haus in den Garten. In einer schattigen Laube sitzt ein bequem gekleideter Herr an einem runden Teakholztisch. Seine grauen Strähnen im Haar und erste Gesichtsfalten deuten an, dass er bereits ein halbes Jahrhundert erlebt hat.
»Guten Tag, Herr …«
»Patrick. Nennen sie mich einfach Patrick.«
»Gut, Patrick, setzen sie sich doch zu mir. Darf ihnen meine Assistentin etwas zu trinken anbieten?«
»Ein Mineralwasser mit Kohlensäure wäre sehr nett«, entgegnet Patrick freundlich in Richtung der Frau und setzt sich aufrecht gegenüber von Herrn Roggen.
»Ich hatte meine Assistentin gebeten, Erkundigungen über sie einzuholen. Danach sind sie ein ganz normaler Bestatter mit einer blütenweißen Weste. Als einzige Besonderheit fällt ihr Fokus auf die Bestattung von Prominenten auf. Aber auch bei deren Hinterbliebenen haben sie einen tadellosen Ruf.«
»In meiner Branche ist ein tadelloser Ruf unverzichtbar, Herr Roggen. Die sehr besonderen Services, die unsere Firma SEELENFRIEDEN im Speziellen für unsere absehbar verscheidenden Kunden erbringt, erzwingen geradezu Recherchen zu unserem Unternehmen.
Um diesem tadellosen Ruf gerecht zu bleiben, legen wir im Gegenzug großen Wert darauf, dass auch unsere Klienten gewissen Kriterien entsprechen. Es hat uns sehr gefreut, dass sie uneingeschränkt unser Kunde werden können, Herr Roggen.«
»Darf man erfahren, welche Kriterien das sind, Patrick?«
»Selbstverständlich. Wir lehnen generell Kunden ab, gegen die staatsanwaltlich ermittelt wird, gegen die Haftbefehle laufen oder die sich in Haft befinden. Darüber hinaus lehnen wir Kunden ab, die sich im Dunstkreis krimineller Vereinigungen bewegen. Wie gesagt … Wir leben von unserem guten Ruf. Unsere Kunden sind rechtschaffene Personen, die dem Bedrängen durch die Öffentlichkeit entfliehen möchten und wieder eine Privatsphäre erlangen wollen. Die einfachste Lösung ist hierbei der eigene öffentliche Tod. Bei der Todesart nehmen wir selbstverständlich Rücksicht auf ihre individuellen Bedürfnisse. Lediglich die Auferstehung von den Toten ist ausgeschlossen, da diese unser Geschäftsmodell unterlaufen würde. Ist es ok für sie, wenn ich ihnen jetzt einige Details ihres öffentlichen Ablebens erläutere, Herr Roggen?«
»Ich bitte darum! Sie machen mich neugierig.«
»Gut. Dann machen wir jetzt einen kleinen Spaziergang in ihrem wunderschönen Anwesen. Zuerst werde ich sie jedoch scannen, um sicherzustellen, dass ihnen keine Abhörwanze untergeschoben wurde. Danach ist es unverzichtbar, dass sie niemanden über das, was wir besprechen werden, ins Vertrauen ziehen. … auch keine Andeutungen«, erklärt Patrick und holt ein kleines Messgerät aus seiner Lederaktentasche.
Bereitwillig lässt sich Herr Roggen scannen, ehe sie gemeinsam in dem riesigen Garten umhergehen.
»Bevor wir in die Details gehen, möchte ich sie fragen, warum sie ein neues Leben beginnen möchten. Wir sehen uns verpflichtet, unsere Kunden hinreichend zu beraten.«
»Ehe ich ihnen diese Frage beantworte, ziehen sie bitte ihr Sakko aus. Ich kann einfach nicht zusehen, wie sie schwitzen. Ich habe genügend Berater, die mir erklärten, dass dies zum Beraterkodex gehört. Ich ertrage es jedoch nicht, ihnen beim Schwitzen zuzuschauen. Ich möchte schließlich vor ihnen ableben.«
Patrick folgt lächelnd der Bitte: »Wenn sie das wünschen. Der Kunde ist König.«
»Ich habe mir das reichlich überlegt. Drei geschiedene Ehen, eine endlose Kette von gesellschaftlichen Events mit karrieregeilen Menschen, eitlen Politikern und flirtenden Frauen, die nur mein Vermögen umgarnen, nerven mich nur noch. Ich bin zwar ein millionenschwerer Rohstoffmanager, aber ich habe keine Freiheit. Immer wieder habe ich versucht, mich inkognito unter das Volk zu mischen. Mein Rekord liegt bei drei Tagen, bis ich wieder erkannt wurde. Ich möchte einfach nur noch der einfache Jean sein.«
»Es ist gut, dass sie schon einige Versuche unternommen haben. Damit haben sie unsere Phase 1 bereits abgeschlossen, Herr Roggen. Zweifel scheinen sie nicht mehr zu haben. Sie sollten sich allerdings zeitnah überlegen, welchen Namen sie künftig führen möchten. In der heutigen Zeit jemanden verschwinden zu lassen, ist technisch deutlich anspruchsvoller geworden. Dabei ist die Ausstellung eines neuen Ausweises noch das geringste Problem. Früher gab es nur Fingerabdrücke. Heute kommen Irisscan, DNA-Abgleich und biometrische Abfragen hinzu. Es sei denn, dass sie fortan als Eingeborener im Regenwald leben wollen. Unser Ansatz geht davon aus, dass nicht ihre künftigen Erkennungsmerkmale falsch sind, sondern ihre heutigen. Wir werden dafür sorgen, dass ihre aktuell gespeicherten Fingerabdrücke, Irisscans und DNA-Informationen so weit wie möglich ersetzt oder diskreditiert werden. Lediglich bei den biometrischen Daten werden wir um eine kleine Schönheitsoperation nicht herumkommen.«
Beim letzten Punkt unterbricht Herr Roggen und schluckt: »Sie wollen mein Gesicht verändern?«
»Es geht leider nicht anders. Da sie äußerst prominent sind, gibt es unzählige Fotos von ihnen. Die können wir nicht alle verschwinden lassen. Ein Vollbart alleine reicht nicht. Wir haben aber einen exzellenten Schönheitschirurgen in unseren Reihen. Machen sie sich daher keine allzu großen Sorgen.«
Jean bleibt stehen und schaut Patrick in die Augen: »Ist das ohne Alternative?«
»Leider ja, Herr Roggen. Ohne den Eingriff ist ein dauerhaftes Ableben in der heutigen Zeit nur als Einsiedler in der Einöde denkbar. Wir könnten sie in einer Gletscherspalte verschwinden oder im Dschungel mit dem Fallschirm abstürzen lassen. Bis sie dann für tot erklärt sind, dauert und hat diverse rechtliche Hürden. Ihre baldige Wiederauferstehung wäre aber unausweichlich.«
Jean schaut nachdenklich auf den Boden.
»Herr Roggen, ich habe kein Problem damit, wenn sie unsere Services nicht in Anspruch nehmen wollen«, durchbricht Patrick die kurze Stille.
»Nein, nein, Patrick … ist schon gut. Ich ziehe das jetzt durch. Ich möchte endlich mein Leben selbstbestimmt gestalten.«
»Gut. … Haben sie bestimmte Präferenzen, wie sie aus dieser Welt scheiden?«
»Ich lasse mich von ihnen überraschen, Patrick.«
»In ihrer Altersgruppe ist ein plötzlicher Herztod das Unproblematischste. Spektakuläre Ableben, wie Flugzeugabstürze im Dschungel oder der Sturz in eine Gletscherspalte, lösen die Neugierde der Regenbogenpresse aus. Das ist übrigens ein gutes Stichwort. Bei ihrer Überprüfung haben wir festgestellt, dass ihre Assistentin als freiberufliche Mitarbeiterin für diverse Boulevardblätter arbeitet.«
Jean bleibt überrascht stehen und schaut zu Patrick. »Die schmeiße ich sofort raus, genauso wie die Detektei, die sie überprüft hat!«, entrüstet er sich.
»Das machen sie bitte nicht. Frau Peters wird die glaubwürdige Zeugin für ihre angegriffene Gesundheit«, entgegnet der junge Mann ruhig.
»Sie sind ja ein echtes Schlitzohr, Patrick.«
»Profi ist die korrekte Bezeichnung, Herr Roggen. Morgen zeigen sie mir persönlich die schöne Gegend. Bei dieser Gelegenheit besprechen wir alle Details. Heute Abend fände ich es nett, wenn sie mich zum Essen einladen. Dabei reden wir über die Art und Weise, wie ihre Trauerfeier in ferner Zukunft aussehen soll. Wie das genau abläuft, erkläre ich ihnen jetzt gleich. Das wird ein wenig Futter für Frau Peters. Ich hoffe, sie können gut schauspielern.«
»Junger Mann, ich habe Verhandlungen mit außerordentlich gerissenen Managern geführt. Dazu gehört eine gehörige Portion Showbusiness«, lächelt Jean.
*
Obwohl die Sonne am Horizont verschwindet, ist es immer noch recht warm. Herr Roggen, seine Assistentin und Patrick haben gerade begonnen, in der Gartenlaube ein leichtes Abendessen zu sich zu nehmen.
»Hier in Frankreich isst man sehr gerne Innereien. Ich bevorzuge jedoch ein saftiges Steak, einen frischen Salat und einen guten Wein, selbstverständlich aus der Region. Es ist ein Cantenac Brown. Ich hoffe, dass sie mit meiner Wahl einverstanden sind, Patrick?«
»Das trifft auch meinen Geschmack, Herr Roggen. Ich persönlich verstehe zu wenig von Weinen. Ein Freund von mir schwärmte von dem Wein. Nachdem ich ihn probiert hatte, wurde mir seine Begeisterung klar.«
»Zwei Drittel Cabernet Sauvignon und ein Drittel Merlot. Vor 10 Jahren wurde er hier in der Nähe über ein Jahr im Barrique ausgebaut. Ich habe ihn persönlich vor zwei Stunden karaffiert, damit er sein volles Aroma entwickelt. Eigentlich ist es kein Sommerwein. Aber meinem Chef schmeckt er zu jeder Jahreszeit. Ich selber vertrage leider keinen Rotwein und bevorzuge einen Sauternes, der etwas weiter nördlich von uns stammt«, erklärt die Assistentin und greift zu ihrem Weißweinglas.
»Da wir heute über meine, selbstverständlich weit in der Zukunft liegende, letzte Reise reden und ich unzweifelhaft der Älteste am Tisch bin, fände ich es nett, wenn wir uns weniger formell ansprechen. Ich heiße Jean«, hebt er sein Glas.
»Einverstanden, Herr Roggen. Nina.«
»Und mein Vorname ist Patrick« hebt der junge Mann sein Glas und prostet in Richtung der Assistentin, die mit einem weiblichen Augenaufschlag zurücklächelt.
»Prima, dann hätten wir das geklärt. Nina, du solltest wissen, dass ich gerne eine Feuerbestattung hätte und in Köln auf dem Friedhof Melaten beigesetzt werden möchte. Da ich bekannt wie ein bunter Hund bin, möchte ich nur im engsten Kreis und anonym beigesetzt werden. Patrick, dessen Firma ihren Sitz in Köln hat, wird das alles so weit klären, damit im Fall des Falles nicht doch ein Volksfest der Regenbogenpresse entsteht.«
»Herr Roggen … Entschuldigung … Jean, wieso Köln. Ich dachte immer, dass du aus der Schweiz kommst?«, möchte Nina wissen.
»Meine Großeltern kommen aus Köln. Ich habe dort viele Jahre meiner Kindheit verbracht und liebe diese wenig perfekte Stadt. Insbesondere meinem Großvater habe ich viel zu verdanken. Wenn ich noch ein paar Gläschen getrunken habe, kann ich sogar etwas Kölsch sprechen«, erzählt Jean und greift erneut zu seinem Glas. Bevor er jedoch einen Schluck getrunken hat, setzt er das Glas wieder ab und reibt sich mit der rechten Hand den linken Arm.
»Alles OK?«, fragt Patrick überrascht.
»Das ist kein Herzinfarkt. So schnell werdet ihr mich nicht los. Ich bin gestern nur im Garten gefallen und habe mir den Arm verstaucht«, greift Jean erneut sein Glas und nimmt einen guten Schluck.
»Soll Nina nicht für morgen Vormittag zur Sicherheit einen Arzt bestellen, der mal auf den Arm schaut?«
»Patrick, deine Fürsorge ist nett. Aber das ist wirklich nur eine Lappalie. Morgen Vormittag zeige ich dir die Gegend und wir besprechen noch einige Details.«
»Sicher?«, fragt Nina.
»Sicher. … Und jetzt lasst uns den herrlichen Abend genießen«, beendet Jean die Diskussion.
Es ist fünf Minuten vor fünf. Zwei schwarze Kleinbusse, eine ebenfalls schwarze Limousine, gefolgt von einem grauen Kombi, fahren am Bensberger Schloss vorbei die Alte Wipperführter Straße bergauf. Die Fahrzeuge haben abgedunkelte Fensterscheiben und ein ausgeschaltetes Blaulicht auf dem Dach. Nach etwa einem Kilometer erreichen sie einen kleinen Gemüsestand, vor dem ein Mann und eine Frau mit roten Schürzen gerade das frisch vom Großmarkt geholte Obst und Gemüse aus ihrem Transporter abladen und es auf der hölzernen Theke auslegen. Interessiert verfolgen sie mit ihren Blicken die ungewöhnliche Kolonne, wie diese gegenüber die Hauptstraße verlässt.
Vorbei an der Grundschule biegen die Fahrzeuge in eine kleine Reihenhaussiedlung ein und halten vor einer Doppelhaushälfte. In der Einfahrt steht ein getunter schwarzer Porsche. Bewaffnete Männer in Sicherheitskleidung verlassen ruhig die dunklen Fahrzeuge. Einer weist die Beamten auf ihre Positionen vor und hinter dem Gebäude. Auf sein Zeichen hin stößt ein von vier Kollegen geschützter Polizist mit einer Ramme die Haustüre. Die vier stürmen das Haus mit der lauten Ansage, dass sie von der Polizei sind. In der ersten Etage nehmen sie ohne Gegenwehr den überraschten Giovanni fest. Wenige Minuten später führen sie den mit Handschellen gefesselten Mann aus dem Haus in einen der beiden Kleinbusse. Nachdem das SEK alle Räume auf eventuell andere Anwesende überprüft hat, verlassen sie das Haus und übergeben es an Horst und Astrid.
»Wir schicken gleich den Schreiner, der die Haustür wieder provisorisch verschließt. Wenn sie nichts dagegen haben, rücken wir jetzt wieder ab und überführen den Verhafteten ins Präsidium«, erklärt der Leiter des SEK-Teams.
»Das passt. Danke, das war gute Arbeit. Sorry, dass sie und ihre Leute so früh aufstehen mussten.«
»Das gehört zu unserem Job, Frau Stein. Auf wiedersehen!«
Entspannt schauen die beiden Kriminalbeamten den Wegfahrenden hinterher. Fast zeitgleich biegt ein Fahrzeug der Spurensicherung in die Siedlung ein. Nach einer kurzen Begrüßung betreten Claudias Mitarbeiter in Schutzkleidung gemeinsam mit Horst und Astrid das Haus.
Innen sieht es recht unspektakulär aus. An der obligatorischen Garderobe im Flur hängen einige Jacken. Weiter hinten liegt das Wohnzimmer. Auf dem Tisch stehen zwei Weingläser. Ohne sie zu berühren, schaut sich Astrid diese genauer an. »Zumindest eine Frau war hier oder ein Mann benutzt Lippenstift«, sagt sie leise. »Schauen wir doch einmal im Schlafzimmer nach.«
Dort angekommen öffnet sie den Schlafzimmerschrank. Darin befindet sich jedoch nur Männerkleidung. »War wohl nur Besuch«, denkt Astrid und spricht einen Mitarbeiter der Spurensicherung an: »Bitte schaut mal an den üblichen Stellen nach, ob ihr Spuren von frischem Geschlechtsverkehr findet.«
Dann geht Astrid wieder runter in die Küche, wo sich Horst umschaut. »Für einen reinen Männerhaushalt sieht das reichlich aufgeräumt aus«, spricht sie ihn an.
»Ist mir auch schon aufgefallen. Hast du irgendetwas gesehen, was ihn mit dem Anschlag oder Fabio Castellano in Verbindung bringt.
Astrid schüttelt den Kopf: »Komm, lassen wir Claudias Leute ihren Job machen und irgendwo frühstücken. Allerdings hat um kurz vor sechs noch kein Laden auf.«