Bunker 17 - Karl Bröger - E-Book

Bunker 17 E-Book

Karl Bröger

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Beschreibung

Alltag im Graben. Ein schwimmender Kopf im Kochkessel. Leben, überleben, sterben im Bunker. Ein Tod in Würde oder ein Verrecken, ein Krepieren, ein Ersticken in panischer Angst? Eingesperrt, eingeschlossen. Ein letzter Blick in eine graue Rauchwand. Gelblichgrüne Wölkchen lösen sich aus dem Dunst und sanken zögernd zu Boden. Es wurde Gas geschossen. Der Regen drückte die tödlichen Ballen erdwärts. Das grausige Ende naht…

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Bunker 17

Geschichte einer Kameradschaft

 

von

Karl Bröger

_______

 

Erstmals erschienen im:

Eugen Diederichs Verlag,

Jena, 1929

__________

Vollständig überarbeitete Ausgabe.

Ungekürzte Fassung.

© 2018 Klarwelt-Verlag

ISBN: 978-3-96559-117-2

www.klarweltverlag.de

 

 

Allen Kameraden

von damals, von heute und von morgen!

 

 

 

 

 

 

So wäge man mich auf rechter Wage

so wird Gott erfahren meine Unschuld.

Hiob 31,6

Inhaltsverzeichnis

 

Titel

Von Rengersreuth, dem Bunker 17 und einer Mahlzeit mit Hindernissen

Wetter in der Nacht, aber Glück muß sein

„Patrouillengehen, das brauchest du ja nicht . . .“ — Rettung in der Nacht

Idyll an der Feldküche. Das Linsenchristkind

Der Bunker beißt. Einer geht hinüber

Geglückter Tarock — mißglückter Ausfall!

Sie haben ihn entdeckt. Die Zunge am Gaumen

Schleichgang im Mond. Zwischenspiel im Trichter

Verschüttet! . . . Das Licht erstickt

Die Bergung. Die Geschichte von Madlon

Madlon

„Zu den sieben Mädchen“. Der Schlag ins Gesicht

Auf der Drehscheibe. „All meini Zimmer, die freia mi nimma“

Nachtrag.

Von Rengersreuth, dem Bunker 17 und einer Mahlzeit mit Hindernissen

engersreuth ist in der Weltgeschichte weiter noch nicht aufgefallen. Bei siebenundzwanzig Hausnamen und einhundertdreißig wohlgezählten Seelen, die vierbeinigen nicht eingerechnet, wäre das auch ein blaues Wunder.

Die Menschen sind in Rengersreuth so gut und so schlecht wie überall. Sie schwitzen auch mehr als sie lachen, und in ihrem Kalender sind die roten Feiertage stark in der Minderheit gegen die schwarzen Werktage.

Sonst liegt Rengersreuth hübsch eingekesselt zwischen Hügeln in einem engen Talschlauch, durch den ein Bach eilig plätschert. Diese idyllische Lage wird von den zahlreichen Ausflüglern beträchtlich gerühmt. Sie kommen in Rudeln aus der nahen Großstadt, um in Rengersreuth am Herzen der Natur Butterbrote zu verdauen, wenn es nicht der Abwechslung halber Wurstbrote sind. Die Einheimischen gehaben sich weniger überschwenglich. Es ist aber auch ein Unterschied, ob ein Berg von unten angeschwärmt oder ob auf den gleichen Berg eine Fuhre Mist geschafft wird.

Scheint dann aber die liebe Sonne so recht aufgeräumt über Rengersreuth, dass die roten Hausdächer weit in die Landschaft schmunzeln, dann wird es auch dem geplagten Bäuerlein warm unter seinem ohnehin verschwitzten Leinenhemd. Es schmunzelt mit und fühlt sich hier doch am besten geborgen auf der ganzen buckligen Erde.

Der Unteroffizier Alois Schmalz stand breitbeinig am Sehschlitz des Betonbunkers und sah sich das Gelände an. Soweit er schauen konnte — Fläche, nichts als Fläche, schnureben wie ein frischgehobeltes Brett und von der Kurzweil eines solchen Brettes.

Nur da und dort eine schüchterne Buschinsel, die so verlegen im Raum stand, als wäre sie sich ihres störenden Daseins bewusst.

Noch schleierten letzte Frühnebel um die spärlichen Büsche und schwankten im kaum spürbaren Morgenwind. Schräg pfeilte die Sonne auf das Land und sog die Schatten lautlos ein.

Weit links blitzte es rötlich auf. Erstaunt stellte Alois Schmalz fest, dass der Widerschein von einem roten Dach kam. Im Feldstecher holte er das zum Dach gehörige Haus heran. Es war fast noch ganz erhalten.

Festgelötet hingen die Augen des Unteroffiziers am Feldstecher. Schmalz kam von dem roten Dach nicht los und brummelte halblaut in seinen abenteuerlichen Feldzugsbart, der alle Farbtöne zwischen Schwarz und Grün zeigte.

„Weiß Gott! . . . Ein rotes Dach! . . . Wie daheim!“ Langsam sank der Feldstecher aufs Knie. Der Unteroffizier grübelte. Wann hatte er die roten Dächer von Rengersreuth zuletzt gesehen? Gab es Rengersreuth überhaupt noch? Dann musste es wohl im Monde liegen.

Ein wüster Fluch entfuhr ihm. Alois Schmalz kehrte sich vom Sehschlitz ab, stieß nach einer vorbeihuschenden Ratte und beendete sein Grübeln mit dem rätselhaften Ausruf:

„Saustellung!“

Die Stimme, von Haus aus nicht zum Flüstern bestimmt, grollte in dem engen Betonbunker, der, vier Schritte lang, drei breit, in einer zähen Dämmerung lag. Kratzig schallte es nun aus dieser Dämmerung heraus: „Sehr richtig! . . . Schließe mich der Meinung mit Vergnügen an . . .“ Der Gefreite Hiesinger von der Sanität saß in der Dämmerung vor einer Kerze. Er hatte den Waffenrock ausgezogen und untersuchte das Hemd nach unerwünschten Mietern, die keinen Hauszins zahlen. Der Kerzenschein huschte über den nackten Oberkörper und beleuchtete manchmal auch das verkniffene Gesicht Hiesingers. Mit einer Nadel fuhr der Sanitätsgefreite die Nähte von Hemd und Waffenrock nach und zeichnete die Erfolge seiner Jagd mit einem Bleistift Strich für Strich auf die Holzpritsche. „Nummer 87! . . . Heut bring ich das Hundert noch voll!“

Die Hand streckte sich über die Kerze und leichtes Bratzeln verriet gleich darauf, dass wieder ein Lausbalg geplatzt war.

„Das Luderzeug frisst mich noch auf . . . Ganz schlimm sind die mit dem Eisernen Kreuz am Buckel. . . Wer ihnen das bloß verliehen hat?“

Nach dieser Frage an das unbekannte Schicksal erhob sich Hiesinger von der Pritsche, räkelte sich ausgiebig und riss den Mund bis hinter die Ohren auf. Dann — pfoi! pfoi! — spie er in beide Hände und fuhr sich durch den wirren Wuschelkopf, der einst auch bessere Tage erlebt hatte. Friseure halten schon aus Geschäftsgründen auf gute Haarpflege.

Allmählich hatte sich der Bunker soweit aufgehellt, dass sein Eingeweide wenigstens in Umrissen zu erkennen war. Außer Schmalz und Hiesinger waren noch zwei Mann Besatzung da. Die eine Hälfte davon rollte in diesem Augenblick mit erheblichem Gepolter aus der oberen Holzpritsche, kam auf den Bauch zu liegen und quakte aus dem Halbschlaf wie ein geprellter Frosch. „Na, Scharf! . . . Alter Pennbruder! Endlich ausgebolzt! Dich könnten sie auch im Schlaf davontragen . . .“

Der Schütze Ernst Scharf blinzelte ziemlich ungut zu Hiesinger auf, rieb die verquollenen Augen und fauchte mit einer lächerlich hohen Katzenstimme los. „Lass mich zufrieden, Aspirinhengst! . . . Dir schlaf ich nichts weg . . .“ Zwischen zwei Munitionskästen tauchte ein bebrilltes Gesicht auf.

„Ah, unser Bunkerkind! . . . Wohlgeruht, Herr Kunstmaler?“

Der Kriegsfreiwillige Kurt Biegler rückte erst die Brille zurecht, ehe er den gesprächigen Hiesinger aus zwei wunderstillen Kinderaugen anblickte. Er hielt so etwas wie ein richtiges Taschentuch in der Hand und guckte suchend im ganzen Bunker umher.

„Spuck in die Luft, Professerchen, und stell dich schnell drunter! Da hast du ein feines Brausebad! . . . Menschenskind, Waschwasser auch noch! . . . Warum nicht gleich Champagner?“

Unteroffizier Schmalz hieb dem kulturbedürftigen Maler einen gutgemeinten Klaps.

„Unser Wasser ist zum Saufen . . . Du wirst noch öfter ungewaschen sein, Biegler . . . Reib dir dafür tüchtig die Augen aus . . . Du hast den ersten Posten am Eingang . . . Dass du mir keine Studien treibst und die Nase herunten lässt! . . . Der verdammte Flieger sucht seit fünf Tagen nach unsrer Pillenbüchse . . . Kriegt er uns spitz, dann brauchen wir bald alle kein Waschwasser und keine Seife mehr . . . Sie funken uns ungewaschen ins Massengrab.“ Hiesinger unterstrich jedes Wort dieser Ansprache mit einem Picker seiner spitzigen Nase und rieb dazu eindrucksvoll den Unterleib.

„Kinder, unser Verein wär soweit schön und vollzählig beisammen . . . Bis auf den Bummler Nützel . . .

Seit einer Stunde sollte er schon da sein . . . Wo bleibt unser Trichterwasser, von dem der Koch behauptet, es wäre Kaffee? . . . Mein Magen macht euch eine Gymnastik . . . Er kullert mir zwischen dem Gedärm, dass ein Trapezkünstler nichts dagegen ist . . .“

Vom Hunger reden macht noch hungriger, außer der Magen ist gut gefüllt. Womit gefüllt, ist weniger wichtig, als Feinschmecker glauben. Auch Schnaps ist ein Nahrungsmittel, wenn kein besseres zur Hand ist.

Ob der Maschinengewehrschütze Scharf solchen Gedanken nachhing, ist nicht erheblich. Aber er trank dafür sehr erheblich und andächtig aus seiner Feldflasche und drückte zu höherem Genuß die Augen ein, wie es alle gewiegten Kunstkenner tun, denen schöne Musik dann noch einmal so herrlich klingt.

Gutes Beispiel wirkt immer und überall. Gleich hatte jeder seine Flasche beim Wickel und übte es dem Kameraden kameradschaftlich nach. Selbst der Freiwillige Biegler nahm einen Schluck, wenn dieser Schluck auch etwas schämig und nicht ganz kriegsmarschmäßig ausfiel.

„Biegler! Fertigmachen! . . . Es ist Zeit auf Posten. . . Lass die Blechschüssel da! . . . Die Feldmütze ist bequemer und außerdem nicht so leicht zu sehen . . .“

Vom Sehschlitz her, wo er wieder beobachtete, gab Unteroffizier Schmalz diesen Befehl. Biegler koppelte um und kroch auf allen Vieren aus dem Bunker. Hiesinger redete halblaut auf Scharf ein. „Und ich sag dir, der Nützel ist in einer Kantine hängengeblieben . . . Sonst müsst er längst da sein . . .“ Ein Summen, fern und fein noch, begann den Bunker zu füllen. Dieses Summen kam schnell näher und verwandelte sich in wenigen Minuten zu einem wütenden Knattern. „Der Gustl kommt! . . . Alles in voller Deckung bleiben! . . . Scharf, hol den Biegler herein! . . .“

Unteroffizier Schmalz bückte sich am Sehschlitz tiefer, um das Flugzeug im Auge zu behalten.

Eine riesige Hummel, kreiste der feindliche Flieger zornigen Gebrumms um den Bunker, kaum zwanzig Meter über dem Boden. Er zog seine Kreise enger und enger.

Reißen und Klirren, dass die Zähne aufstanden . . .

„Der Sauhund schmeißt Bomben. . . Aber einmal krieg ich ihn schon vors Korn . . .“

Unteroffizier Schmalz streichelte den Mantel des Maschinengewehrs und ließ den Lauf prüfend durch den Schlitten gleiten.

Das Brummen der Riesenhummel entfernte sich wieder und wurde einschläferndes Summen. „In einer Stunde ist er wieder da . . . Wenn ihm nur der Nützel nicht in den Weg läuft! . . . Sie schießen auf jeden einzelnen Mann.“ Die Gesichter spannten sich in den Schläfen. Graubraune Furchen wuchsen darin, eingerillt von einem Leben, das nur ein Taumel war zwischen Tod und Tod. „Soll ihm nicht einer entgegengehn? Ich tu’s, wenn’s kein anderer tut!“ Schon wollte Hiesinger, gesprächsbereit wie immer, den Mund öffnen. Der Unteroffizier kam ihm diesmal aber zuvor. Er legte dem Schützen Scharf die Hand auf die Schulter.

„Bist ein guter Kerl, Scharf, aber ein großes Rindvieh auch . . . Entgegengehen? . . . Damit zwei ins Schlamassel kommen und ich dann dasitz mit dickem Kopf! . . . Außerdem heißt der Befehl: Keine Maus verlässt den Bunker vor der Ablösung! . . . Und nochmals außerdem: das Elf-Uhr-Läuten geht gleich an. . .

Du weißt doch, was das heißt, Scharf?“

Wenn der Schütze Scharf sprach, schaute sich jeder unwillkürlich nach der Katze um, die da auf den Schwanz getreten wird. So klang seine Stimme, weshalb Scharf auch jederzeit das Schlafen dem Reden vorzog.

„Das Elf-Uhr-Läuten? . . . Kenn ich ganz genau! . . . Ich bin schon in andrem Dreck gewesen, Korporal. . .“ „Weiß ich, Scharf! . . . Seid ja dicke Freunde, du und der Nützel! . . . Also meinethalb! . . . Weil du ein alter Landser bist! Aber nur bis zum nächsten Trichter, sechzig Meter rechts, und auf Augenverbindung! . . .

Ich nehm selbst den Grabenposten . . .“

Der Bunker lag in hellster Vormittagssonne. Doch aus fünf Schritt Nähe war er kaum von seiner Umgebung zu trennen. Der graubraune Betonklotz schmiegte sich einer ebenso graubraunen Erdwelle ein und ragte keinen halben Meter darüber hinaus. Hinter dem Bunker begann ein schmaler Laufgraben, nicht breiter als eines schmächtigen Mannes Schultern. Diesen Graben ging der Schütze Scharf geduckt entlang.

An der angenehm erwärmten Rückwand des Bunkers lehnte der Unteroffizier und winkte Scharf zu. Scharf bog eben um die Ecke und verschwand im Trichterfeld. Im Eingang des Bunkers, halb drinnen, halb draußen, lag bäuchlings der Sanitätsgefreite Hiesinger. Er sog an einer feuchten Zigarette und spuckte kunstvoll nach den fetten Schmeißfliegen, die schwerfällig surrend um den Bunkereingang schwirrten.

„Wird ein heißer Tag heut noch, Hiesinger . . . Das richtige Wetter für den Gustl! . . . Heut lässt der uns keine Ruh. . . Lang bleibt es aber nicht so . . . Die Sonne zieht zuviel Wasser . . .“ Um Antworten sonst nie verlegen, verschlug es Hiesinger nun schon zum zweitenmal seit einer Stunde das Wort.

Das feine Summen, eigentlich seit dem ersten Auftauchen des Fliegers nie völlig verstummt, schwoll an und kam rasend schnell näher. Es kam diesmal von der andern Seite.

Aus dem Trichter rechts fuhr ein Arm hoch, und Schmalz, der in die Richtung des Arms spähte, sah eine einsame, graue Gestalt durch das Trichterfeld hüpfen. Gleich war die Gestalt auch wieder verschwunden. Hinterdrein kläffte bösartig ein Maschinengewehr.

Atemlos bog der Schütze Scharf um die Ecke des Laufgrabens.

„Es ist Nützel . . . Der Gustl ist hinter ihm her . . . Der Nützel hat den ganzen Fraß für uns dabei . . .“

Schneller fährt kein Kaninchen zu Bau als der Sanitätsgefreite in den Bunker zurück. Der Unteroffizier Schmalz klopfte erst noch die Pfeife aus.

Wieder kläffte das Maschinengewehr los.

Der Schütze Scharf war mit einem Satz beim Sehschlitz und wollte das eigene Maschinengewehr in Stellung zerren. „Mensch, bist du verrückt? . . . Der Bunker darf nicht verraten werden . . .“

Scharf stutzte.

„Aber der Nützel? . . . Soll er hin sein und unser Fraß mit? . . .“

Draußen klackerte es höhnisch. Die Hetze von Trichter zu Trichter war weiter im Gang.

„Raus aus dem Bunker! . . . Wir besetzen den Laufgraben . . . Am Knie vor dem Trichter, vierzig Meter nach rechts, Stellung! . . .

Scharf ans Gewehr! . . .

Biegler nimmt einen Munitionskasten . . .“

Den Stahlhelm noch in der Hand kroch der Unteroffizier zuerst hinaus, hinter ihm der Schütze Scharf mit dem aufgebuckelten Maschinengewehr, und zuletzt Biegler, der den Munitionskasten an sich presste, als ginge er damit tanzen.

Gebückt rannten die drei Leute durch den schmalen Schlauch. An der Knickung warf sich der Unteroffizier hin und winkte Scharf an seine Seite.

Knapp dreihundert Meter vor ihnen, aber noch keine zwanzig Meter über ihnen, kurvte der Flieger, ein Habicht, der noch nicht recht entschlossen ist, von welcher Seite er auf das verdatterte Opfer stoßen muss.

Scharf hatte das Maschinengewehr in Stellung gebracht. Der Unteroffizier saß dahinter, Finger an der Auslösung, den Stahlhelm halb im Genick.

„Wenn der Sauhund bloß einmal wenden möchte! . . .

Ich bekomm ihn nicht richtig herein . . . Ah! . . . Endlich! . . .“ Das Maschinengewehr bellte los.

Mit einem Satz, wie um ein Hindernis zu nehmen, stellte sich das Flugzeug fast senkrecht, schwankte unsicher und strich dann scharf rechts ab.

Zweimal, dreimal blitzte es von der Unterseite des Flugzeuges hell auf.

„Jetzt rein in den Bunker! . . . Der Gustl gibt Zeichen . . . In fünf Minuten haben wir ihre Koffer auf dem Hals . . .“ Über das Feld rannte der Essenholer Nützel, zwei Feldkessel in jeder Hand und einen am Leibgurt befestigt.

Der Schweiß lief in Strömen von seinem Gesicht.

Ein rascher Griff — der Schütze Scharf hatte zwei Feldkessel an sich gerissen und kroch im Laufgraben rückwärts, so schnell es gehen wollte.

Weit drüben murrte es dumpf auf. Ein fast gemütliches Orgeln kam durch die Luft, das bald in ein unheimliches Schleifen überging, und hart am Trichter, hundert Meter links seitwärts, wuchs plötzlich ein grauweißer Qualmbaum aus der Erde. „Volle Deckung und zurück! . . . Ich bleib am Gewehr . . .“

Der Unteroffizier am Schwanz, begannen sie zu krebsen. Es waren nur fünfzig Meter bis zum Bunker, aber drinnen keuchte jeder von der Anstrengung und japste nach Luft.

Draußen hatte die tägliche Beschießung eingesetzt.

„Uff! . . . Das war eine Jagd! . . . Mir bleibt jetzt noch der Adam weg . . . Na, du hast es ihm aber versalzen, Korporal . . . Zunächst geht der Gustl mal in Reparatur . . . Wenn er will, kann er von mir aus auch ganz abtrudeln . . .“ Der Soldat Nützel war ein untersetzter Pumpenstock. In dem derben, durch männliche Schönheit weiter nicht verunzierten Gesicht zwinkerten fröhliche Schweinsaugen. Eine Dreckschicht von halber Fingerdicke überzog gleichmäßig die ganze Gestalt von den Stiefelsohlen bis zu den Haarwurzeln.

„Verdammtundeins! . . . Um ein Haar hätt es diesmal bei mir Zwölfe geschlagen . . . Der Bruder hat mich bös herumgehetzt. . . Rein in den Trichter! . . . Raus aus dem Trichter! . . .

Es ist ja ganz schön weich drin . . . Bloß der Dreck . . . Und erst der Geruch . . . Pfui Teufel! . . .“

Der Rockärmel wischte durch das Gesicht und richtete eine erbauliche Malerei aus Staub und Schweiß an.

„Bist halt wieder mal nicht aus der Kantine gekommen, altes Bierfass! . . .“

Von seinem Freund Scharf ließ sich sonst Nützel viel sagen; nun fuhr er aber doch auf.

„Kantine? . . . Hat sich was! . . . Die faule Gulaschreiterei war wieder zu spät angerückt . . .

Um sieben Uhr sollte ausgegeben werden . . . Halb neun Uhr schlug ich Krach und kriegte dann endlich den Fraß . . . Dass es ganz schief geht, muss ich auch noch dem Gustl in die Quere laufen . . . Mein Lieber! . . . Für die Tour hab ich wenigstens vierzehn Tag Urlaub verdient. . . Jetzt stellst du dich daher und plauderst dumm. . .“

Weitere Aussprache schnitt der Sanitäter ab.

„Hört auf mit dem Quatsch! . . . Ich hab Kohldampf . . .“ Hunger hatten sie alle und wendeten sich darum einträchtig den Feldkesseln zu.

In diesem denkwürdigen Augenblick offenbarten sich wieder einmal die Wege Gottes.

Sie sind so wunderbar und unerforschlich wie die Wege einer Geschossbahn. Als Hiesinger seinen Feldkessel vom Boden lüpfte, fand er ihn verdächtig leicht. Misstrauisch hob er den Feldkessel in Augenhöhe, streckte ihn dann starr in die Weghalte und stieß einen tragischen Schrei aus.

„Leer! . . . Prost Mahlzeit! . . . Und auch noch glatt durchschossen! . . . Saubere Schweinerei! . . .“

Der Feldkessel hatte tatsächlich einen gezirkelten Bauchschuss abgekriegt.

„Der Schuss müsste dem Gustl im Benzinkasten sitzen, aber nicht in meinem Feldkessel . . . So ein schönes Möbel, wie das war! . . .

Zwei Jahr schlepp ich den Kessel schon mit. . . Was hab ich daraus allein schon in Rumänien gefuttert! . . . Huhn in Nudeln ist entschieden besser als Dörrgemüse . . . Was soll ein Soldat ohne Feldkessel anfangen? . . . Eine Saustellung!

. . . Du hast vorhin das richtige Wort gefunden, Korporal . . .“

Diese Klage über den zerschossenen Feldkessel wäre bei Hiesingers bewährtem Zungenschlag wahrscheinlich noch länger und herzzerreißender geworden. Der Unteroffizier stoppte das Lamento:

„Feldkessel hin, Feldkessel her! . . . Es ist nun schon nicht anders . . . Für uns Fünfe reicht’s . . .

Geh her und halt mit!“

Die Fünf hockten, Feldkessel zwischen den Beinen, nebeneinander auf dem Boden und löffelten eine erkaltete, graugrüne Masse.

„Jeden zweiten Tag Drahtverhau! . . . Und wegen dem Fraß war ich heut bald den Heldentod gestorben! . . .“

Unmutig stocherte Nützel in dem Dörrgemüse, häufte einen Löffel voll und wollte die Ladung in den Mund schieben.

„Nanu! . . . .Hobelspäne? . . . Wo wächst denn so ein Kraut?“

Die Entdeckung ging reihum und wurde allgemein begutachtet. Es war ein nicht zu kleiner und nicht zu dünner Hobelspan.

„Das ist weiter nicht schlimm . . . Ich sag mir immer beim Futtern: Klappe auf und Augen zu! . . .

So geht’s am besten . . . Bei unserer Feldküche haben sie einmal einen ganzen Sack mitgekocht . . .

Gemerkt hat es keiner, und der Küchenunteroffizier auch erst, als der Sack gefressen war . . . Wenn’s keine andern Brocken zu verdauen gäb! . . .“

Die weitherzige Anschauung des Sanitäters leitete ein Gespräch über das Essen im Allgemeinen und über die militärische Verpflegung im Besonderen ein.

„Ich find es nicht recht, dass es zweierlei Verpflegung gibt: für Offiziere und für Mannschaften! . . .

Da hab ich mir mal einen Vers abgeschrieben . . .

Er war unserm Häuptling auf den Unterstand gemalt . . .“ Schütze Scharf kramte umständlich im Waffenrock und förderte schließlich ein zweifelhaft sauberes Notizbuch an den nicht übermäßig hellen Tag des Bunkers.

„Hier herum muss er stehn . . . Hat ihm schon! . . . Also, dem Häuptling war auf den Unterstand gemalt:

Es wäre alles besser,

gäb’s eine Sorte Esser.

So aber ist es mau

bei nichts als Drahtverhau.

Der hat’s ihm gut gegeben . . . . Wie? . . .“

 

Auch Nützel hatte ein Büchlein zur Hand und blätterte eifrig darin.

„So ähnlich hab ich mir auch einen Vers notiert. . .

Hört mal her!

Wir essen mit dem Messer.

Die Herren essen besser.

Uns wär es auch nicht bang

vor einem dritten Gang.

 

Wort für Wort unterschreib ich das . . .“

Immer lebhafter wurde das Gespräch. Viel Lobsprüche fielen dabei nicht.

Draußen hielt die Kanonade an. In regelmäßigem Abstand keilten die Aufschläge um den Bunker. Doch kam kein Schuss in bedenkliche Nähe.

„Bis jetzt haben sie uns nicht gefunden . . . Ein Glück, dass wir mitten unter den Trichtern liegen! . . . Da können sie von mir aus bis zum Friedensschluss hineinknallen . . . Wer ist am Posten? Scharf? . . . Nützel löst ab . . . Alles bleibt beim alten . . .“

Der Unteroffizier warf sich längelang auf die Pritsche. Biegler hatte sich an den Sehschlitz gesetzt und strichelte eifervoll an einer Bleistiftskizze.

Nützel und der Sanitäter steckten die Köpfe zusammen. Die Feldflasche ging von Mund zu Mund, und in das regelmäßige Schnauben und Schnarchen des Unteroffiziers mischte sich bald halblauter Zwiegesang. Sie hatten sich geeinigt und sangen gefühlvoll den Lieblingsschlager des Sanitäters.

Trink mer noch ein Tröpfchen,

trink mer noch ein Tröpfchen

aus dem kleinen Henkeltöpfchen.

O, Susanna, wie ist das Leben schön!