Das Buch vom Eppele - Karl Bröger - E-Book

Das Buch vom Eppele E-Book

Karl Bröger

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Beschreibung

Karl Brögers Buch 'Das Buch vom Eppele' entführt den Leser in die Welt des schwäbischen Maulesels Eppele, der durch seine Schlagfertigkeit und unkonventionelle Art zu einem Symbol des Widerstands gegen die Obrigkeit wird. Bröger kombiniert in seinem Werk historische Fakten mit literarischer Freiheit, was zu einem spannenden und unterhaltsamen Erzählstil führt. Durch Eppeles Geschichten gewinnt der Leser nicht nur Einblicke in die Lebensumstände im 18. Jahrhundert, sondern erhält auch einen kritischen Blick auf gesellschaftliche Strukturen und Normen. Brögers Werk kann daher als satirische Auseinandersetzung mit Macht und Unterdrückung gelesen werden.

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Karl Bröger

Das Buch vom Eppele

Historischer Roman: Eine Schelmen- und Räuberchronik aus Franken

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-2524-8

Inhaltsverzeichnis

Eppeles Geburt und wie er sogleich den Pfaffen Isidor taufte
Eppeles richtige Taufe und was dabei ins Taufbecken fiel
Wie Eppele aufwuchs und zum ersten Male nach Nürnberg kam
Eppele läßt sich keinen lateinischen Kopf aufsetzen und reitet lieber auf dem Dachfirst
Eppele wird den Pater los und dient dem Vestenberger als Bube
Wie Eppele mannbar ward und die Agnes Tetzelin wiedersah
Eppele empfängt die Schwertleite, kehrt nach Illesheim zurück und begräbt Vater und Mutter
Wie Eppele vergeblich um die Jungfrau Agnes Tetzelin warb
Eppele stöbert die Klöster zu Nürnberg aus, sagt einem hohen Rat geziemend ab und stiftet den Bund der Dreizehn
Wie Eppele mit den Nürnbergern anband und sie um zwei bissige Weiber schatzte
Eppele überspringt den Main, macht darauf Reu und Leid und zieht als Pilger aus
Wie Eppele auf die Hochzeit der Agnes Tetzelin kam und sich Brautkuß samt Mitgift holte
Eppele freit und fordert von den Nürnbergern die Morgengabe
Wie Eppele diese Versicherung wahrmachte und den Nürnbergern ihr silbernes Vogelhaus wegtrug
Eppele hält Hochzeit und tanzt mit Pater Remigius aus Muggendorf
Wie Eppele zwei Wucherer fing und mit ihnen ein Schinkenstechen veranstaltete
Eppele erhält eine Tochter und ein unverhofftes Patengeschenk
Wie Eppele Pfeffer säte und Gulden erntete
Eppele läßt seinen jüngsten Sohn verspätet taufen und bringt den Pater Kilian aus der Fassung
Wie Eppele dem Bamberger Bischof zu einer Maulschelle verhalf
Der Roßkamm Elias liefert Eppele den Nürnbergern ans Messer
Wie Eppele den Burggraben übersprang und seinen Hals davonbrachte
Eppele begräbt seinen Rappen und setzt ihm ein Denkmal
Wie Eppele durch einen Saueber den Nürnberger Botschaft tat
Eppele steht von den Toten auf und verbrennt vierhundert Häuser zu Nürnberg
Wie Eppele dem gemeinen Volk zu Nürnberg zwanzig Kornwagen schaffte und den Rat zahlen ließ
Eppele wiegelt das Volk zu Nürnberg auf und wandert dafür in das Lochgefängnis
Wie Eppele wiederum dem Galgen entwich und die Agnes Tetzelin zum letzten Male sah
Wie Eppele Herrn Jörg Tetzel im Mist verstecken und den Juden Abraham in eine Schweinshaut nähen ließ
Eppele nasführt einen Pilgerzug und befreit Jäcklein vom Holzstoß
Wie Eppele als Geist wandelnd Ehen stiftete und ein Heilbad nahm
Eppele schreibt einen gelahrten Brief und führt zu Nürnberg die Eiserne Jungfrau spazieren
Wie Eppele den Nürnbergern ihre zwei Donnerbüchsen nahm und Frau Kunigunde verstarb
Eppele versetzt die Stadt Nürnberg und löst sie mit einem von Kaiser Karl geliehenen Gulden wieder aus
Wie der Burggraf seinen eigenen Helm zahlte und Eppele seine Reiterstiefel vom Frauentor nahm
Eppele stürzt die burggräfliche Münze, springt über neun Wagen und kehrt auf dem Roß des Burggrafen heimWie die Nürnberger sich umsonst freuten und Eppele den Medikus Rehm kurierte
Wie die Nürnberger sich umsonst freuten und Eppele den Medikus Rehm kurierte
Eppele kommt ins Abwesen und wird von dem Jäcklein verraten
Eppeles Ende und wie er aus der Welt ging
Nachwort

Eppeles Geburt und wie er sogleich den Pfaffen Isidor taufte

Inhaltsverzeichnis

Herr Arnold von Gailing, Reichslehenmann auf Feste Wald bei Gunzenhausen und Burgherr von Gailnau, Illesheim, Röllinghausen und Drameysl im fränkischen Land, durfte sich nur etlicher Wochen seines erstgeborenen Sohnes freuen. Seine fromme Frau Jutta nahm dieses Schicksal für eine Mahnung des Himmels und gelobte die nächste Frucht ihres Leibes der heiligen Kirche, welcher gottgefällige Verspruch nicht ohne die kräftige Nachhilfe des Burgkaplans Isidor geschah. Herr Arnold von Gailing hatte sich zuletzt brummend in das Gelöbnis gefügt, zumal auch der tapferste Ritter nicht bestehen kann, wenn Frau und Pfaffe gegen ihn verbündet sind. Insgeheim hoffte Herr Arnold, der nächste Sproß seiner Lenden möchte ein Maidlein werden, durch welchen Wunsch er gewiß keinen Betrug am Himmel beging, in dessen Macht es wohl steht, ob Knabe oder Mädchen.

Als aber die Nachricht kam, Frau Jutta wäre glücklich wieder eines Sohnes entbunden, zupfte Herr Arnold von Gailing unwirsch den rabenschwarzen Bart und maß dröhnend die Burgstube von Schloß Illesheim auf ihre Länge und Breite. Hinter ihm ging wie ein verkrüppelter Schatten der Pater Isidor und erinnerte mit vielen gewundenen Worten an den Verspruch der edlen und frommen Dame Jutta. Dabei vergaß Pater Isidor jedoch auch der sehr weltlichen Vorteile dieses Seelenverkaufs nicht und stellte Herrn Arnold eindringlich vor, welches geruhige, aller Sorgen und Anfechtungen enthobene Leben sein eben geborener Sohn einmal führen würde. Ein Ritter und kleiner Lehensmann müßte sein Brot schon bald auf der Landstraße holen, einem Chorherrn von Würzburg aber trügen es die Leute gern und reichlich an den Tisch. Herr Arnold dürfte doch nur des eigenen Bruders Erkenbrecht gedenken, der doch als Chorherr im Würzburger Stift Sankt Burkhardt an Fülle des Geistes wie des Leibes wahrlich nur gewonnen hätte.

Ritter Arnold, des Wortes wenig mächtig, doch von gesundem Verstande, nahm die Reden des Mönches ohne viel Gegensprache hin und wog bei sich nur ab, was darin etwa von weltlichem und geistlichem Nutzen sein könnte. Die Zeitläufte mußten jedem ehrsamen Ritter zuwider sein. Alle standen gegen alle, und nicht einmal das kaiserliche Haupt Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war vor Gewalttat sicher. Hatte nicht vor drei Sommern erst der Habsburger Albrecht unter den Schwerthieben des eigenen Neffen Johann von Schwaben ausgeblutet? Nun war der Luxemburger Graf Heinrich zwar zu Aachen gekrönt. Doch in welcher welschen Stadt mochte er zurzeit Hof halten? Frecher, immer frecher wuchsen die Städte auf, pochten auf eigene, vom Reich verliehene Rechte und maßten sich freie Fahrt auf Fluß und Straße an, wo doch seit alters der Ritterbürtige schatzen durfte, was ihm gefiel. Ging nicht der Bauer in Wehr und Waffen, als wäre es nicht mehr seine gottgesetzte Pflicht, den Pflug zu führen und den Zehnten ordentlich am Gelttage zu entrichten? Und führte das alles nicht dahin, dem edelbürtigen Ritter die Notdurft zu schmälern, daß er bald selbst den Pflug in die Hand nehmen oder Krämerei wie die Nürnberger Pfeffersäcke treiben sollte?

Einen mächtigen Zug aus dem Humpen voll Frankenwein mußte Herr Arnold von Gailing tun, um all dieses Widerwarts der Zeiten Herr zu werden. Dem Kaplan Isidor schien der Augenblick günstig, den Ritter festzupichen auf seiner Ehefrau Gelöbnis, doch empfing er auf alle Anzapfung nur die unerwartete Rede, er, Arnold von Gailing, der Vater, wolle das Kind erst einmal sehen.

Es war kein sonderlich ansehnliches Stück Menschenfleisch, das da an Frau Juttas Seite im Wochenbett lag und quäkende Nasenlaute von sich gab. Herr Arnold betrachtete den Sprossen, nachdem er sein Weib innig geküßt hatte, aufmerksam und nachdenklich und spürte einen gelinden Stich unter seinem Herzen. Dieser Dreispannenlang würde kaum je ein Pferd tummeln und ein Schwert schwingen können. Mochte ihn also die Kirche behalten, der er schon vor Geburt zugesprochen war.

Pater Isidor rief in seiner Freude alle Heiligen des Himmels an, daß sie die Rede des ehrenwerten Ritters von Gailing bezeugen möchten, und Frau Jutta reichte dem Beichtvater bewegten Herzens den Sohn, ihn doch vor der Taufe zu segnen. Damit schien jedoch der jüngste Gailinger ganz und gar nicht einverstanden, sondern hub ein Zetern an, wovon die Wände der Wochenstube bebten. Der Burgkaplan erklärte dieses Geschrei sogleich für ein günstiges Zeichen des Himmels, da eine starke Stimme doch zum allernötigsten Rüstzeug eines Gottesmannes gehöre, um die Schrift laut und vernehmlich zu lehren. Auch sonst entdeckte Pater Isidor an dem Säugling nicht wenige Merkmale des künftigen Priesters und verbreitete sich salbungsvoll über solche Merkmale.

Der junge Gailinger achtete dieser frommen Reden gar nicht, sondern schrie, was aus dem Halse ging und zappelte wild in den fleischigen Mönchshänden. Und da geschah es denn: Als Pater Isidor eben die rechte Hand hob, den jüngsten Diener der Kirche zu segnen, rieselte es silbern hell aus dem natürlichen Brünnlein auf und ergoß sich warm über Hand und Knie des Pfaffen. Pater Isidor schwieg plötzlich, Herr Arnold von Gailing guckte erst und prustete dann dröhnend los, und Frau Jutta verbarg ihr Lächeln schämig hinter dem hohen Betthimmel.

So hatte Eppelein von Gailingen den Pater Isidor getauft, ehe denn er selbst zum Taufwasser und zu einem Namen gekommen war.

Eppeles richtige Taufe und was dabei ins Taufbecken fiel

Inhaltsverzeichnis

Zur Taufe des jungen Gailingers waren die Edlen und Ehrenfesten des halben Gaues geladen und auch erschienen. Denn es war die beste Zeit über Land zu reiten, drei Wochen vor einem späten Osterfest, wo der Schnee schon geschmolzen war und die Straße wieder festen Grund hatte. Der Märzwind schnob gelinde um die Hänge des Hohen Steigs und tändelte mit den ersten Weidenkätzchen im Grunde des Aischflusses.

Eine stattliche Gesellschaft hatte sich am Morgen des Sonntags Okuli im großen Saale von Schloß Illesheim versammelt und wartete des Rufs in die Burgkapelle. Die Gesippen und Freunde vom Hause Gailing standen im Kreis um einen leiblich ansehnlichen Priester, aus dessen zufriedener Miene keine Rückspiegelung der verworrenen Zeit fiel. Der Hochwürdige Pater Ambrosius, Chorherr am Stifte Sankt Burkhardt zu Würzburg, hatte einmal Erkenbrecht von Gailing geheißen und war des Burgherrn und Taufvaters älterer Bruder. Frau Jutta, durch den Burgpfaffen Isidor angeeifert, ließ ihm bald nach der Geburt ihres zweiten Knaben Botschaft zugehen mit der Bitte, doch der Taufe selbst beizuwohnen. Herr Erkenbrecht, längst schon auf eine andere Lüftung seines Menschen begierig, als sie das stille Stift Sankt Burkhardt bot, hatte freudig zugesagt. Er wollte sogar selbst die heilige Handlung vornehmen, unterstützt von dem nächsten Anwärter auf dieses Amt, dem Burgkaplan Isidor. Frau Jutta war darüber selig, denn konnte des Himmels Gnade ausbleiben, wo sich gleich zwei geistliche Herren bemühten? In feierlichem Aufzuge schritt die Taufgesellschaft über den Burghof, vorauf Kindsvater und Kindsmutter beiderseits des Täuflings, der auf schweren Brokatkissen getragen wurde von der ihm bestimmten Amme Gertrud, einer wohlgebauten, lustig blinzelnden Weibsperson in den besten Jahren. Der Chorherr von Sankt Burkhardt und Pater Isidor eröffneten den Reigen der Gäste. In der Kapelle begann des Täuflings Vatersbruder die heilige Handlung mit einer sehr umfänglichen Taufpredigt, worin er die Bedeutung des Aktes allgemein und für den besonderen Fall des Tages erläuterte, den frommen Entschluß der Eltern hoch pries und dem Täufling einen gottseligen Wandel voraussagte, der ihn gewiß dereinst unter die Zierden der Christenheit einreihen müßte. So hoch steigerte sich der Würzburger Chorherr in seine erbauliche Betrachtung, daß es fast schien, als sollte er selbst und nicht das annoch namenlose Kind diesen Sonntag Okuli des Jahres 1311 der heiligen Taufe teilhaft werden. Bis er sich endlich doch auf den eigentlichen Zweck der Stunde besann, seine Rede schloß und dem Pater Isidor zuwinkte.

Der Täufling hatte derweil noch keinen einzigen Laut von sich gelassen, einfach darum, weil er wie ein Dachs schlief und sich um keines Würzburger Domherrn Taufpredigt kümmerte. Da ihn nun aber der Burgkaplan aus den warmen Kissen nahm, der Windeln entledigte und nackt an das Taufbecken trug, wachte der junge Gailinger flugs auf und empfand die kühle Märzluft für eine gänzlich unbillige Störung seines Behagens. Aus welcher Empfindung er denn auch sofort ein mörderliches Gebrüll anschlug und der Taufgesellschaft einen Choral vorsang, dergleichen die stille Burgkapelle von Illesheim weder vorher noch nachher zu hören bekam. Chorherr und Burgkaplan schauten fast zornig auf den rüstigen Schreihals, der mit Händen und Beinen hampelte, im Gesicht abwechselnd blau und rot anlief und um ein Haar dem Pater Isidor aus den Händen geschnalzt wäre, als der Chorherr das geweihte Wasser über seinen schütteren Schopf ausgoß. Apollonius sollte der Knabe heißen, wie es sich ziemt für einen beginnenden Kleriker, dem der Bischofshut schon in die Wiege gelegt worden ist. Sei es nun, daß Frau Jutta vor der letzten Stillung des Söhnleins eine zu stark gewürzte Speise genossen hatte, sei es, daß einfach das heftige Hampeln und Strampeln des Täuflings die Ursache war: Es begab sich in diesem feierlichen Augenblick der Namensnennung das menschlichste Ereignis, und umsonst hielt Pater Isidor die Hand unter, dem Unheil zu steuern, was nach ewigem Ratschluß seinen Lauf nehmen muß, nahm auch bei dem jungen Eppele von Gailing den vorbestimmten Lauf und fiel mitten in das geweihte Wasser. Nach diesem von keiner Seite gewollten Zwischenfall ging die weitere Handlung sehr schnell vor sich. Der Würzburger Chorherr trat von dem entweihten Taufbecken zurück, strich das Doppelkinn nach vorne und maß den kleinen Apollonius mißtrauischen Blicks, ob nicht ein Teufels- oder Hexenmal die angeborene Bosheit bekunde. Dieser aber mummelte sich schon wieder wohlig in die warmen Kissen, grunzte etliche Male befreit und zufrieden und schlief aufs neue ein, bevor die Amme Gertrud ihn noch über den Burghof getragen hatte.

Wie Eppele aufwuchs und zum ersten Male nach Nürnberg kam

Inhaltsverzeichnis

Burg Illesheim thronte nicht auf stolzer Höhe und war doch ein starker, wehrhafter Platz, als trotziges Wasserschloß der fränkischen Ebene hart an die Ufer der Aisch gebaut, von doppelten Wassergräben umzogen und doppelten Mauerreihen. Rund um Illesheim schwang ein Kreis langgestreckter Hügel, Ausläufer des Steigerwaldes und der Frankenhöhe. Gegen Süden und Westen mauerte der Hohe Steig den Himmel ab, und in Nord wie Ost rückten die Hänge bis dicht an die Burgmauern. Nur der Bergfried von Illesheim ragte über die nördlichen und östlichen Hügelkämme hinaus und musterte herausfordernd die zum Greifen nahen Türme und Mauern der Reichsstadt Windsheim. Frau Jutta liebte Burg Illesheim vor allen andern Schlössern des Gailingschen Besitztums und hatte ihren Eheherrn Arnold zu bewegen gewußt, vorzüglich auf Illesheim zu hausen. Diese Neigung der Mutter bestimmte mehr denn sonstige Umstände, daß Eppele in der Burg Illesheim heranwuchs, dort seine Windeln abstreifte und bald seiner Amme Gertrud entlief, wenn sie den kleinen Gailinger im Burghof haschen mußte. Denn obschon zarten Aussehens und scheinbar von schwacher Brust war Eppele hurtig trotz einem Wiesel und ein Waghals über seine Kräfte, dem kein Baum, keine Mauer, keine Zinne zu hoch schien, der sich durch das größte Loch im Kopf nicht abschrecken ließ und den die Knechte an einem Nachmittag dreimal aus dem Wasser des inneren Burggrabens fischen mußten, weil er hartnäckig immer wieder die gleiche gefährliche Stelle des Mauerkranzes erklettert hatte. So hurtig wie der Fuß lief ihm aber auch die Zunge, und Herr Arnold von Gailing, ein wortkarger Mann, bedachte manchmal still bei sich, woher seinem Söhnlein dieser muntere Witz nur geraten sein mochte. Kurz: Eppele gedieh bei seinem ungebundenen Leben an Leib und Seele, biß kräftig in seinen Haferbrei und sann von morgens bis abends, mit welchem tollen Streich er sich heute wieder die Jugend versüßen könnte. In den Pferdeställen kroch er umher, schlüpfte bei gutem Anlaß auch in den Zwinger der bissigen Rüden und balgte besonders gern mit dem größten und wildesten Burghunde, dem Saufänger Packan, der sich außer seinem Herrn nur noch das dreijährige Eppele ans zottige Fell kommen ließ.

Ein Wesen allerdings gab es auf Schloß Illesheim, dem Eppele aus dem Weg lief, wo er nur konnte: dem Kuttenmann Isidor. Was hatte der Pater nicht schon angestellt, den jungen Gailinger, seinen künftigen Schüler, zu kirren! Mit dem Versuch, dem Büblein heilige Geschichten zu erzählen, hatte es begonnen. Eppele ließ den Burgpfaffen ruhig reden, um bei der ersten Gelegenheit von des Paters Schoß zu rutschen und wie ein Wirbelwind fortzurennen. Kein bittender und lockender Zuruf brachte ihn dann wieder zurück, und seit Pater Isidor es einmal unternommen hatte, den Ausreißer zu fangen, wobei er im Burghof stürzte und sich das Knie übel zerstieß, schüttete der abgelehnte Gottesmann in jedem neuen Falle der Mutter sein betrübtes Herz aus. Frau Jutta suchte dann Eppele umzulenken, stieß aber jedesmal auf einen unbändig und unfaßbar störrischen Trotz des Knaben.

Gegen Ende der Woche zu Sonntag Invokavit 1315 war der Ritter von Gailing mit sechs reisigen Knechten aus Burg Illesheim geritten. Er folgte dem Ruf der fränkischen Fürsten und Reichsstände, denen der Bayernherzog Ludwig als rechtmäßig gewählter Kaiser deutscher Nation galt. Nach Nürnberg war dieser Ruf ergangen, wo Ludwig der Bayer weilte und mit seinen ergebenen Freunden Ratschlag hielt. Der Graf Kraft von Hohenlohe stand auf Seite des Gegenkaisers, des schönen Österreichers Friedrich, hatte sich in Ort und Schloß Herrieden bei Ansbach geworfen und brandschatzte von hier aus das westliche Franken. Dem Hohenlohe galt es schnell Einhalt und Abbruch zu tun, welcher Meinung die Fürsten und Ritter um Ludwig einhellig waren. Ritter Arnold von Gailing trat mit fünfen seiner Knechte in des Kaisers Heer und sandte den sechsten, namens Kunold, nach Illesheim zu Frau Jutta mit wichtiger Botschaft.

Auf solche Art war es gekommen, daß Frau Jutta nun im Reisewagen saß, den kleinen Eppele auf dem Schoß und zur Seite den Pater Isidor. Der Wagen rückte gemächlich auf der Straße nach Nürnberg voran, begleitet und bewacht von Kunold und drei weiteren Reisigen. Ein schöner Maitag lachte Frau Jutta an, die aber nicht recht zum Genuß der Lenzreise kommen konnte, denn Eppele strebte mit allen Gliedern vom Reisewagen und gab erst Ruhe, nachdem Frau Jutta erlaubt hatte, daß Kunold ihn vor sich auf den Sattel nahm. Hoch stand die Sonne schon im Mittag, als Herr Arnold von Gailing eine Wegstunde vor Nürnberg Weib und Kind abholte.

Eppele riß die flinken Schwarzaugen gewaltig auf und hatte nicht Finger genug zu deuten, wie nun der Wagen durch das Neutor rumpelte und nur mühsam eine Gasse fand in den Reihen der Fuhrwerke und Fußgänger. Vor einem großen Hause am Dillinghof hob Ritter Arnold seine Ehefrau aus dem Wagen und führte sie einem würdig blickenden Manne in reich mit Rauchwerk besetzter Schaube zu, dem Hausherrn und Gastgeber, Mitglied des Großen Rates von Nürnberg Jörg Tetzel. Eppele wurde von Kunold ins Haus nachgetragen und fiel von Staunen in Schrecken und von Schrecken wieder in Staunen über die Pracht und geräumige Weite des Hauses. Herr Arnold von Gailing empfahl Frau und Kind der getreuen Obhut des Nürnbergischen Gastfreundes, nahm von Frau Jutta geziemend Urlaub und ritt noch am selben Abend im Heerbann des Burggrafen von Nürnberg gegen den Hohenlohe nach Herrieden.

Zwei Monate durchstreifte Eppele das Haus am Dillinghof und die halbe Stadt Nürnberg, sog den Zauber ihrer Schönheiten unbewußt ein und vergaß beinahe ganz auf Illesheim und das freie Leben. Aller Wunder schönstes freilich deuchte ihm Klein-Agnes, des Ratsherrn Tetzel zweijähriges braungelocktes Töchterlein. Stundenlang konnte der Wildfang bei Klein-Agnes sitzen, in die sanften Augen des Maidleins gucken und recht erbost sein, wenn Kunold oder gar der Pater Isidor ihn abrief. Weil Schloß Herrieden gebrochen, der Hohenlohe gebändigt und also der Friede im westlichen Franken wieder hergestellt war, ließ Ritter Arnold Frau und Sohn nach Illesheim zurückgeleiten. Er selbst trabte in des Kaisers Heer gegen die Donau, und die Blätter fielen schon von allen Bäumen, bevor Arnold von Gailing an einem trüben Oktoberabend den Schloßhof von Illesheim wiedersah.

Eppele läßt sich keinen lateinischen Kopf aufsetzen und reitet lieber auf dem Dachfirst

Inhaltsverzeichnis

Auf Burg Illesheim wiederum eingelebt, kehrten Eppele schnell auch alle Geister seines Übermutes zurück. Er kletterte verwegener denn je vorher um alle Mauerkanten, streckte den Kopf mit dem straffen, kienrußschwarzen Haar aus Löchern und Luken, in denen nur ein Sperling ohne Gefahr kleben durfte, schlüpfte durch alle Keller und Böden der Burg und trieb vielerlei Hantierung, die Pater Isidor unmöglich als rechte Vorbereitung auf den geistlichen Stand gelten lassen konnte.

Nach ernsthafter Rücksprache hatte Ritter Arnold von Gailing dem Pater Vollmacht erteilt, Eppeles Kopf endlich von den Flausen zu säubern. Dem eifrigen Pater schien das beste Mittel dazu eine strenge Schulzucht, um so mehr auch die Zeit heran kam, den flatterhaften Sinn Eppeles auf die von den Eltern gelobte heilige Bestimmung zu richten. Klettern und Balgen konnte doch kaum als den Wissenschaften förderlich angesehen werden, welcher Wissenschaften aber ein künftiger Chorherr oder Bischof doch mächtig sein muß. Der Wille des Vaters wies demnach Eppele gebieterisch auf den Weg zu jener einsamen Turmstube, wo Pater Isidor stundenlang mit lehrhaft erhobenem Zeigefinger lateinische Formeln vorsprach, sonderbare Zeichen auf Pergament malte, die Eppele nachmalen mußte, und salbungsvolle Ansprachen an den Schüler hielt, der sich über dem erzwungenen Zuhören fast das Maul zerriß vor lauter Gähnwut. Pater Isidor bemerkte die mangelnde Hingabe seines widerborstigen Schülers an die hohen Wissenschaften wohl und verdoppelte seinen Eifer, ohne jedoch den geringsten Eindruck auf Eppele zu machen. Dann warf der erfolglose Lehrer manchmal sein schwarzes Käppchen auf den Boden, trampelte wütend darauf herum und rannte schließlich zornglühend nach dem Eichenschrank, um den recht handlichen Stock zu holen. Ehe der etwas beleibte Pater aber den Stock zur Hand hatte, war Eppele durch die Tür geschlitzt und streckte seinem unbeliebten Lehrer die Zunge heraus, soweit sie nur aus dem Schlund zu bringen war. Nichts half gegen diesen Starrsinn, nicht die strengen Verweise und Rutenstreiche des Vaters, nicht die sanften Bitten und schmeichelnden Versprechungen der Mutter. Eppele wollte einfach nicht gelehrt sein, und weil Pater Isidor trotzdem nicht von seinem Unterricht abließ, ging Eppele zum offenen Widerstand über. Einmal war es dem Kaplan gelungen, Eppele tüchtig durchzubläuen, indem er heimlich die Turmstube abriegelte und den Ausreißer durch diesen verschmitzten Einfall rechtzeitig abfing. Anderntags zeigte sich Eppele erst recht widerborstig, äffte die zierliche lateinische Aussprache des Mönches bellend nach und schnaubte die Nase vor den Augen des Lehrers in das schöne Pergament. In ehrlichem Zorn eilte Pater Isidor zum Stocke, bei Gott und allen Heiligen gewillt, diesmal den Übeltäter zu prügeln, solange ein Arm gehoben und Luft für die erzieherische Arbeit beigebracht werden konnte. Eppele grinste gelassen, drückte sich näher an die Tür und war, den Finger am vorgeschobenen Riegel, zu schleuniger Flucht bereit. Indessen zerrte der Pater verzweifelt am Stock, brachte ihn aber nicht vom Fleck, und da er nachsah, fand er den Stock an den Schrank genagelt. Eppeles Hohngelächter klang bereits von draußen zu Pater Isidor. Bei einer günstigen Stunde holte Eppele den Burgkaplan zu seiner Mutter, die den Beichtvater dringend in Gewissensnot sprechen müßte. Der würdige Kaplan erhob sich auch sofort und drückte das Käpplein fest auf die Tonsur. Frau Jutta war nicht wenig erstaunt über den unerwarteten geistlichen Besuch, noch erstaunter aber von der krampfhaften und erfolglosen Bemühung des Paters, das Käpplein vom Haupte zu ziehen. Eppele hatte es in einem abgepaßten Augenblick innen kräftig mit Pech beschmiert. Für einen schönen Sommernachmittag hatte sich der Kaplan einen Gang zum Augustinerkloster in Windsheim vorgesetzt. Wie verwunderten sich dann aber die Burgleute von Illesheim, als nach einem knappen Viertelstündchen der ehrwürdige Pater in den Schloßhof stürzte, mit den Armen um sich schlug, als wollte er über den Bergfried hinausfliegen und unverständliche Laute schrie. Was war geschehen? Eppele hatte dem Burgpfaffen eine große Scheibe Honig in die Kapuze gesteckt, listig dabei berechnend, bei dem heißen Wetter würde Pater Isidor die Kapuze kaum gebrauchen. Die Bienen hatten den Honig bald gewittert, waren zu Hunderten und Tausenden angeschwärmt und hatten den Pater in arge Nöte gebracht. Ein halbes Volk hing an der Kapuze und es brauchte alle Vorsicht, den Kaplan von der Kapuze zu befreien, ohne daß die gereizten Bienen ihn noch mehr zerstachen.

Stets sann Eppele auf einen Streich, der ihn völlig aus Pater Isidors verhaßter Zucht befreien konnte. Er tratzte den Lehrer, wo es nur anging, stellte sich immer aufsässiger und floh aus der Turmstube, so oft das Loch zu erwischen war. Dafür strich er dann durch die Stallungen, hing sich den ungebärdigsten jungen Gäulen an Schwanz und Kruppe, wenn die Knechte zuritten und kannte bald jedes Pferd im Illesheimer Burgstall. Pater Isidor hoffte trotzdem noch immer, den schlummernden Geist der Wissenschaften in seinem Schüler aufzuwecken, und gebrauchte in dieser hohen Absicht den Stock ausgiebig. Eines Morgens war der geplagte Pater wieder einmal emsig dabei, der Kehrseite Eppeles einzuprägen, was nicht in den harten Kopf gehen wollte. Unversehens riß sich Eppele los, war mit zwei Sätzen beim offenen Fenster und schwang den schlanken Leib gewandt über die Brüstung. An allen Gliedern gelähmt starrte der Kaplan dem tollkühnen Kletterer nach, sprach aus seines Herzens Angst schnell ein Stoßgebetlein und rannte auf dem kürzesten Weg nach dem Burghof. Dort standen schon die Gesindeleute, Knechte und Mägde, und gafften mit offenen Mäulern zum Himmel auf. Über den First des Bergfrieds turnte der Ausreißer, schnitt Grimassen und drehte dem Pater, der beschwörend die Arme zu ihm aufstreckte, die längste aller langen Nasen. Mit seiner sanftesten Stimme rief Pater Isidor Eppele in seiner schwindelnden Höhe an und bat ihn, doch den Himmel nicht zu versuchen und herabzusteigen.

Eppele zeigte zur Antwort nur die Zunge und rutschte weiter den First entlang. Dem Kaplan und wohl noch manchem anderen Zuschauer stand der Angstschweiß hell auf der Stirn. Doch erst dann begab sich Eppele aus seiner halsbrecherischen Höhe, da Pater Isidor mit aufgehobenen Fingern beschworen hatte, für die Folge nicht mehr den Stock anzurühren und überhaupt glimpflich mit seinem Schüler zu verfahren. Den Schluß des Schwurs vernahm eben noch Ritter Arnold von Gailing, der just in den Burghof ritt. Er sah erst zu seinem Sohn empor, der eilig in die höchste Dachluke einstieg, betrachtete sodann den völlig geknickten Pater und schüttelte halb zornig, halb belustigt den Kopf.

Eppele wird den Pater los und dient dem Vestenberger als Bube

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