California Dreaming - Angela Kreuz - E-Book

California Dreaming E-Book

Angela Kreuz

4,8

Beschreibung

Als Sheila erfährt, dass ihr Sohn bei einem Erdbeben ums Leben gekommen ist, fliegt sie nach San Francisco, um seine sterblichen Überreste zu identifizieren. Vier Jahre zuvor war er aus der erdrückenden Provinz-Idylle Virginias in die Metropole geflohen. Aus ihrem alten Leben herauskatapultiert begibt sich Sheila auf Spurensuche nach ihrem verlorenen Sohn.

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Leseprobe eBook Ausgabe 2015
©2013 SPIELBERG VERLAG, Regensburg
Umschlagillustration: ©Tom Meilhammer
Umschlaggestaltung: Tom Meilhammer
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung
Angela Kreuz, geboren 1969 in Ingolstadt. Studium der Philosophie und Psychologie in Konstanz. 2007 erschien ihr erster Roman Warunee, gefolgt von WAAhnsinnszeiten (2009) und California Dreaming (2013). Dazwischen kam ihr zweisprachiger Gedichtband Train Rides and Tides - Ebbe, Flut und zurück heraus, mit Übersetzungen von Barbara Yurtdas. Angela Kreuz erhielt bislang mehrere Auszeichnungen, u.a. den Kulturförderpreis der Stadt Regensburg 2012.

Inhaltsverzeichnis

California Dreaming

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

California Dreaming

Die Golden Gate Bridge war in dicke Nebelschwaden getaucht. Vom Fischerhafen aus konnte Sheila nur die rostroten Pfeilerspitzen erkennen; es schien, als sei eine zu tief schwebende Wolke an den Stahlseilen aufgehängt. Die Fahrbahn der Brücke blieb gänzlich verhüllt. Es begann zu regnen. Sheila spannte ihren Schirm auf und ging die Holzplanken entlang zum Pier. Ihr Schritt war ein wenig steif, dazu hastig, als wäre sie in Eile, obwohl sie keine Termine hatte.

Sie fasste mit einer Hand ans nasskalte Geländer. Ein kleiner Junge rannte an ihr vorbei und jagte eine Möwe, die kreischend davonflog. Sheila schaute den Seelöwen zu, wie sie auf den Bootsanlegern dösten und sich räkelten, ab und zu tauchte einer aus dem Wasser auf und schwang sich kraftvoll auf die Plattform. Ihre Felle waren braun, die runden Augen schwarz und glänzend. Jeder von ihnen hatte ein anderes Gesicht. Im Laufe der Woche hatte Sheila ein paar Tieren Namen gegeben. Der große Dicke sah aus, als könnte er Eddie heißen.

»Die Seelöwen sind erst seit Kurzem da«, sagte eine Stimme neben ihr. »Zuvor haben sie sich drüben bei den Felsen aufgehalten.«

Sheila war sich nicht sicher, mit wem der Mann redete, es waren bei diesem Wetter nicht viele Leute unterwegs. Sie starrte aufs Meer hinaus.

»Kommen Sie jeden Tag hierher?«, sprach er sie an.

Sheila zuckte zusammen und musterte den Fremden aus dem Augenwinkel, er sah asiatisch aus. In Amherst lebten nicht viele Asiaten.

»Schöne Farbe«, sagte der Mann und deutete auf ihren Schirm. Sheila nickte. Sie hatte ihn auf dem Weg zum Hafen in einem der Souvenirläden gefunden. Blau war Jamies Lieblingsfarbe gewesen; als er noch klein war, hatte er nur blaue Sachen tragen wollen.

Der Mann schien auf eine Erwiderung zu warten, aber Sheila fiel nichts Passendes ein. Sie hatte seit ihrer Ankunft praktisch mit niemandem gesprochen, ihr Kiefer fühlte sich wie eingerostet an. Was sollte sie sagen? Dass die Seelöwen niedlich sind? Sein Englisch war akzentfrei, vermutlich lebte er hier. Sheila war fremd; sie hatte kein Zuhause mehr und kam aus der tiefsten Provinz. Nachdem ihr die Nachricht von Jamies Tod überbracht worden war, hatte sie ihre Koffer gepackt, war in die nächste Maschine gestiegen und nach San Francisco geflogen. Sie wusste nicht, wie lange sie in dieser Stadt bleiben würde, eigentlich wusste sie gar nichts mehr.

»Sie sind zwar drollig, aber auch irgendwie – «, Sheila stockte.

Der Mann lachte leise. »Es klingt, als würden sie jammern.«

Sheila nickte wieder. Sie klagen. Und manchmal schluchzen sie.

Zwei Bullen fingen zu kämpfen an.

Sheilas Blick wanderte über die Bucht und blieb an der Gefängnisinsel hängen. Ihr Magen knurrte.

»Haben Sie schon zu Mittag gegessen?«, fragte der Mann.

Sheila blickte auf. Der Fremde war größer als die Asiaten, die sie bisher gesehen hatte, er überragte sie um eine Kopflänge.

Für einen Moment wusste sie nicht, wann sie zuletzt etwas zu sich genommen hatte, sie schien sich seit Tagen von Kaffee zu ernähren. Sheila deutete ein Kopfschütteln an.

»Ich gehe zum Imbiss rüber, dort gibt’s wunderbare Krabben.«

Seine Stimme war weich und, wie sie fand, für einen Asiaten ungewöhnlich dunkel. »Wollen Sie mitkommen?«

Der Mann hatte ein fein geschnittenes Gesicht mit hohen Wangenknochen. Sie hätte nicht sagen können, wie alt er war.

»Ich bleibe hier, danke«, sagte sie und drehte sich weg.

Er zögerte, dann hörte sie, wie sich seine Schritte entfernten. Sheila nestelte an ihrem Schal. Seine Freundlichkeit hatte sie gerührt, geradezu irritiert. Was wollte denn der Mann von ihr? Sie fragte sich, womit sie es verdient haben sollte, dass sie so nett behandelt wurde. Bei all dem, was in ihrem Leben schief gegangen war – sie hasste sich dafür.

Auf der Wasseroberfläche spiegelte sich der trübe Himmel; zwei Plastikbecher mit bunten Strohhalmen schwammen vorbei. Ein Nebelhorn tutete. Sheila drohte ins Nichts einzusinken. Der Gedanke an die absolute Sinnlosigkeit ihres Daseins zog ihr den Boden unter den Füßen weg. Eigentlich war es eine Art Nicht-Gefühl, die Abwesenheit jeglicher Emotionen. Was hatte sie hier noch verloren? Wenn sie mutiger gewesen wäre, wäre sie von der Brücke gesprungen. Doch so etwas stehe dem Menschen nicht zu, hatte Reverend Baker gepredigt; es sei zu einfach, sich derartig aus der Verantwortung zu stehlen. Sheila war schon länger in keiner Kirche mehr gewesen.

Neulich hatte sie den merkwürdigen Spruch Gibt es ein Leben vor dem Tod? an einer Hauswand gelesen. Wo Jamie jetzt sein mochte? Der Spruch ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Leben, was hieß das schon. Sie seufzte.

Kein Mensch weiß, dachte sie, wie es danach weitergeht. Und irgendwie musste es weitergehen, es gab ja keine Wahl.

Sheila zwang sich, eine aufrechte Haltung einzunehmen und einen Schritt vor den nächsten zu setzen. Ihre Beine fühlten sich schwer und wie taub an. Ein einsamer Surfer kämpfte mit einer Welle. Ob ihr Sohn auch gerne gesurft hatte? Sie wusste so wenig über ihn.

Seit er in die Pubertät gekommen war, hatte er sich mehr und mehr verschlossen; er war ihr so fremd geworden. Joe war zu ungeduldig mit ihm gewesen. Bei jeder Gelegenheit war Jamie in seinem Zimmer verschwunden und hatte Gitarre gespielt. Seine Songs waren für Sheilas Begriff zu trübsinnig gewesen, vor allem zu aggressiv. Sie konnte nichts damit anfangen. Eines von seinen Problemliedern war ihr besonders auf die Nerven gegangen:

Even Jesus would never

Forgive what you do

And I'll stand o'er your grave

'Til I'm sure that you're dead.

Als sie in sein Zimmer kam und ihn fragte, ob er denn nichts Fröhlicheres singen könne, bedachte er sie mit einem verächtlichen Blick. Dreh doch dein Radio lauter, dann musst du mich nicht hören.

Eigentlich hatte Sheila ihren Sohn kaum gekannt. Soviel sie wusste, war er für niemanden zugänglich gewesen. Sie hatte damals keine Ahnung gehabt, was in ihm vorging. Auch heute nicht. Der Surfer gab seinen Kampf auf und schwamm ans Ufer.

Vier Jahre war es her, dass er Hals über Kopf von zu Hause ausgezogen war.