Caliriel - Ralph Edenhofer - E-Book

Caliriel E-Book

Ralph Edenhofer

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Beschreibung

TENTAKELMONSTER GREIFT LOS ANGELES AN! Wäre das nicht eine hübsche Schlagzeile für ein Boulevardblättchen? Ist aber wirklich passiert. Kein Scheiß! Ich war dabei. Mein Name ist Caliriel – meine irdischen Freunde nennen mich meist Clyde – und ich bin ein Engel. Ein Schutzengel, um genau zu sein. Und als solcher kann ich natürlich nicht zulassen, dass übernatürliche Ungeheuer ungestraft meine Heimatstadt heimsuchen. Also trommele ich ein paar Leute zusammen und jage die Viecher dahin zurück, wo auch immer sie hergekommen sind. So habe ich mir das zumindest vorgestellt. Ganz so einfach war es dann natürlich nicht und die ganze Angelegenheit ist ordentlich eskaliert. Am Ende haben neben dem bereits erwähnten Tentakelmonster und seinen Kumpanen auch noch Sukkubi, Voodoogeister, Riesen aus dem antiken Griechenland und reichlich weiteres Volk mächtig Chaos rund um L.A. angerichtet. Und wenn es um Chaos geht, darf natürlich auch Tazzaleth, der durchgeknallte Dämon von nebenan, nicht fehlen. Insgesamt war es … Ach, am Besten lest Ihr einfach selbst.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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City of Angels and Demons – 2

Caliriel

Ralph Edenhofer

City of Angels and Demons

Band 1: Tazzaleth

Band 2: Caliriel

Weitere Bände nicht ausgeschlossen.

 

Inhalt

Was bisher geschah

1. Monsterattacke

2. Familienbande

3. Höllentrip

4. Weidmannsheil

5. Rätsel über Rätsel

6. Mobilmachung

7. Schlammschlacht

8. Runter

9. Schlussrechnung

Anhang

 

Was bisher geschah

Ja, es war einiges los in letzter Zeit hier im guten alten Los Angeles.

Aber bevor ich beginne zu erzählen, stelle ich mich erst mal kurz vor. Mein Name ist Caliriel und ich bin ein Engel. Um genau zu sein, ein Schutzengel. Im Auftrag des Erzengels Raphael bin ich auf die Erde abkommandiert worden, um ein Auge auf L.A. im Ganzen und eine seiner Bewohnerinnen im Speziellen zu werfen. Meine Schutzbefohlene ist ’ne heikle Angelegenheit. Sie heißt Beth, ist sechzehn Jahre alt und eine Naphil, also das Kind eines Engels und einer Sterblichen. Und der Vater ist – Überraschung – niemand anderer als der bereits erwähnte Erzengel persönlich, womit das Teenagermädchen in gewissen Kreisen durchaus Promistatus genießt. Der ist allerdings nicht hilfreich, sondern ganz im Gegenteil eher schädlich, denn im Himmel haben Nephilim einen schlechten Ruf – mal sehr gelinde ausgedrückt. Und die Gegenseite ist ziemlich heiß darauf, sie in die teuflischen Krallen zu bekommen und für ihre finsteren Zwecke zu missbrauchen. Kurzum: Beth vor Unheil zu bewahren, ist ein echter Vollzeitjob.

Die ganze Angelegenheit ist neulich eskaliert, als sie sich mit einem Dämon ein Stelldichein gegeben hat. Der Glückliche, Tazzaleth mit Namen, ist im Vergleich mit sonstigen Vertretern seiner Gattung ein recht umgänglicher Geselle, aber eben dennoch ein Dämon. Das hat ein anderer Engel in der Stadt, Ithael, zum Anlass genommen, Beth nach dem Leben zu trachten. Nur mit Mühe konnten Tazzaleth und ich den Todesengel von seinem Ansinnen abhalten. Auch Beth’ Freundin Jo hatte ihren Anteil daran. Und so ganz nebenbei ist Beth dabei zum Frauchen eines Höllenhundes geworden (und hat ihn Pinkie genannt – über den Namen bin ich immer noch nicht hinweggekommen). Die Details hat Tazzaleth in seinem Buch erzählt. Alle Interessierten finden es unter https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1075482887.

Wie auch immer. Ithael schmollt seitdem und hat mich im Himmel als Verräter angeschwärzt. Deswegen bin ich momentan ein Apostat, ein Ausgestoßener. Von meinem Job hält mich das allerdings nicht ab. Und das ist auch gut so, denn Ruhe ist in L.A. nicht eingekehrt. Ganz und gar nicht. Aber lest selber.

 

1. Monsterattacke

Ich bin beileibe nicht das erste Mal in einer ausweglos erscheinenden Situation gelandet, aber dieses Mal sieht es wirklich übel aus. Ich presse die Zähne zusammen, mahle mit den Kiefern, suche verzweifelt eine Möglichkeit, das Unvermeidliche in letzter Sekunde vielleicht doch noch abzuwenden. Die Sachlage ist allerdings eindeutig. Ich stehe kurz vor der endgültigen Niederlage. Der Weg, der sich vor mir abzeichnet, weist nur wenige Optionen auf, die mir den Untergang ersparen könnten. Die Chancen, eine davon zu erreichen, stehen denkbar schlecht.

Aus den Augenwinkeln taxiere ich möglichst unauffällig die Gesichter meiner drei Gegner. Sie alle sind hochkonzentriert. Keiner von ihnen erlaubt sich die geringste Blöße, nicht jetzt, im vermutlich entscheidenden Moment. Ebenso wenig habe ich von einem von ihnen Gnade zu erwarten.

„Na, komm schon, Clyde!“, versucht der Dämon mir gegenüber, mich zu provozieren. „Bring es zu Ende!“ Doch sein Grinsen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er genauso angespannt ist wie ich. Die einzige Frage, die noch offenbleibt, ist, welcher meiner Widersacher mir den Todesstoß versetzen wird. Nur ein Wunder kann mich retten. Aber wir haben uns zuvor darauf geeinigt, dass die nicht regelkonform sind.

„Jetzt mach endlich!“, fordert Beth.

Ich lasse die beiden Würfel in meiner Hand kreisen, dann gebe ich sie frei. Eine Vier und eine Sechs. Ein tiefer Seufzer entwindet sich meiner Kehle. Das war’s.

„Ja!“ Das blonde Teenagermädchen ballt als Zeichen ihres Triumphes die Faust. „Parkstraße, mit vier Häusern drauf. Das wird teuer.“

Kapitulierend hebe ich die Hände. „Ich bin raus.“

„Und wie du raus bist!“, lacht sie mir ins Gesicht.

„Och Mann!“ Jo lässt enttäuscht den Kopf sinken. „Hätte er nicht auf meinem Bahnhof auskommen können?“

Beth sammelt die traurigen Überreste meiner Barschaft sowie meine mit Hypotheken überlasteten Besitztümer auf dem Monopoly-Feld ein. Das Spiel wird ohne mich weitergehen müssen.

„Mach als Nächstes den Dämon fertig, Süße!“, fordere ich Beth auf.

Tazzaleth hebt protestierend den Zeigefinger. „Keine Beeinflussung vom Spielfeldrand!“

Jo zieht eine griesgrämige Schnute. „Jetzt kann sie doch sowieso keiner von uns mehr aufhalten.“

Ich erhebe mich und lasse meine Gäste am Tisch zurück. „Ich setz’ mich nach draußen. Gebt Bescheid, wenn ihr fertig seid!“

Keiner der drei antwortet mir. Sie alle sind bereits wieder in das Spiel vertieft.

Ich hole mir ein Bier aus dem Kühlschrank und schlendere zur Vordertür hinaus. Eine frische Brise vom nahen Meer fährt mir durch die Haare und den Bart. Die Sonne ist schon vor Stunden untergegangen, aber davon lasse ich mich nicht abschrecken. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass mir jemand Ärger bereiten will, wäre ja sogar ein Dämon vor Ort, der mir gegebenenfalls beistehen würde. Wobei ich mich diesbezüglich nicht in allzu großer Sicherheit wiege.

Ich lasse mich auf der Bank an der Hauswand nieder und nehme einen tiefen Schluck. Mit einem Fingertipp schalte ich das antike Kassettengerät ein, das neben der Armlehne steht. Johnny Cash gibt gerade ‚Walk the Line‘ zum Besten. Das trifft meine aktuelle Situation recht gut.

Ein Dämon in meinem Haus. Das hätte ich mir bis vor ein paar Monaten nicht träumen lassen. Aber Beth mag ihn. Jo sowieso. Und irgendwie kann sogar ich ihn ganz gut leiden. Sicher, er ist egozentrisch, immer auf seinen Vorteil bedacht, hinterlistig und definitiv nicht vertrauenswürdig. Doch im Gegensatz zu vielen seiner höllischen Kameraden erscheint Tazzaleth mir nicht bösartig. Und ich muss zugeben, er hat seinen Teil dazu beigetragen, dass Beth überhaupt noch unter uns weilt. Das rechne ich ihm hoch an. Von daher hat er eine Chance verdient, auch wenn es an anderer Stelle nicht gerne gesehen wird, dass ich mit dem Feind verkehre. Wobei wir streng genommen beide nicht mehr den unversöhnlich gegenüberstehenden Streitmächten angehören, die sich auf ewig hier im Niemandsland zwischen Himmel und Hölle belauern. Taz wurde schon vor langer Zeit aus der Hölle verbannt und ist als Flüchtling auf die Erde gekommen. Ich bin vom Himmel hierher entsandt worden, um den Menschen zur Seite zu stehen in ihrem Kampf gegen die Mächte der Finsternis und, mindestens ebenso häufig, gegen sich selbst. Doch seit ich mich dem Todesengel entgegengestellt habe, der Beth töten sollte, bin auch ich ein Ausgestoßener, ein Apostat. Zwar auf Bewährung, aber dennoch gehöre ich den Himmlischen Heerscharen derzeit offiziell nicht an.

Ein leises Knurren dringt an meine Ohren und übertönt die Musik. Ich schaue zu der Ecke des Hauses, hinter der Pinkie argwöhnisch hervorlugt und mich taxiert. Der reichlich unpassende Name kann mich ebenso wenig wie das niedliche Äußere eines mittelgroßen Cockerspaniels dazu verleiten, das Monstrum zu unterschätzen, das durch meinen Garten schleicht. Hinter der harmlosen Fassade lauert ein ausgewachsener Barghest, ein Höllenhund, eine tödliche Killermaschine, die nicht die geringste Mühe hätte, mich innerhalb von Sekunden in Stücke zu reißen.

„Denk dran, dass Beth böse wird, wenn du mich beißt!“, ermahne ich das Ungetüm.

Das Funkeln in seinen Augen verblasst. Es scheint, als würde der informelle Nichtangriffspakt zwischen uns weiter Bestand haben. Mit schlackernden Schlappohren und wedelndem Schwanz tippelt er an mir vorbei und lässt sich neben der Eingangstür nieder, wenn auch nicht, ohne mir immer wieder misstrauische Blicke zuzuwerfen. Obwohl wir beide sicherlich niemals Freunde werden, bin ich froh, dass er hier ist. Pinkie ist darauf geprägt worden, Beth zu beschützen. Auch wenn sie mittlerweile nicht mehr unter dämonischer Aufsicht steht, ist der Barghest ihr treu geblieben. Ich betrachte ihn als eine Versicherung dafür, dass aus meinem eigenen Stall niemand mehr Mordanschläge auf Beth verübt, insbesondere nicht Ithael, der Venator, der sie einst töten wollte. Doch das ist ohnehin Geschichte – hoffentlich endgültig.

Lautes Triumphgeschrei erklingt aus dem Haus. Anscheinend hat Beth auch die beiden verbliebenen Gegner besiegt. Sie gewinnt nicht immer, aber erschreckend häufig. Normalen Menschen ist sie trotz ihres geringen Alters von knapp siebzehn Jahren in fast allen Belangen überlegen. Das himmlische Erbe ihres Vaters, des Erzengels Raphael, verleiht ihr vor allem einen messerscharfen Verstand und ein überragendes Charisma, das sie dazu befähigt, nahezu jeden um den Finger zu wickeln. Sogar Dämonen wie Tazzaleth und ja, auch Engel wie mich. Meine Aufgabe ist es, sie dazu anzuleiten, diese Gaben zum Wohl der Menschheit einzusetzen und nicht gegen sie. Ob mir das gelingt, ist fragwürdig, aber ich tue, was in meiner Macht steht.

Ich trinke die Bierdose aus und erhebe mich mit knirschenden Knochen von der Bank. Der Körper, in dem ich seit nunmehr viereinhalb Jahrzehnten auf Erden wandele, ist nicht mehr der Jüngste. Für seine rund siebzig Jahre definitiv noch gut in Schuss, keine Frage, doch auch die intensive Pflege durch meine übernatürlichen Heilkünste gelangt irgendwann an ihre Grenzen. Ein paar Jahre wird er aber mit etwas Glück noch durchhalten, bevor ich mir einen Neuen suchen muss.

Pinkie springt auf und rennt zur Tür, sobald Jo und Taz darin erscheinen. Mit den beiden kommt das Monstrum ziemlich gut aus und lässt sich von dem schmächtigen Latinomädchen ausgiebig knuddeln und kraulen. Ich bin froh, dass der Dämon nicht mehr in ihr drinsteckt, wie bei unserer ersten Begegnung, sondern sich einen neuen Wirt gesucht hat – beziehungsweise in seinen alten zurückgekehrt ist. Wenn ich es richtig verstanden habe, benutzt Taz ihn schon eine ganze Weile, allerdings bei Weitem nicht so lang wie ich meinen.

„Wir müssen los.“ Er deutet auf sein Motorrad in der Einfahrt. „Geschäfte und so.“

Obwohl ich seine Drogendealereien und was er sonst noch so treibt, mit Sicherheit nicht gutheiße, beschränke ich meine Antwort auf ein Nicken. „Schön, dass ihr da wart.“

„Ja“, bestätigt Beth, die sich zu uns gesellt, „hat Spaß gemacht, euch fertigzumachen.“

Taz nimmt sie mit zusammengekniffenen Augen ins Visier. „Irgendwann wirst du meine Rache spüren, Halbengelchen.“

„Herausforderung angenommen, Dämon“, feixt sie zurück.

Nach einer innigen Umarmung der beiden Mädchen setzt Jo ihren Helm auf. „Mach’s gut, Clyde. Tschüss, Pinkie.“

Das Gebrüll des V4-Motors weckt vermutlich die halbe Nachbarschaft auf, als Taz die Maschine mit reichlich Gas startet und dabei sogar Pinkies Kläffen übertönt. Jo hüpft auf den Soziussitz und mit einem standesgemäßen Wheelie verabschieden die beiden sich.

Ich schaue ihnen hinterher, bis sie um die nächste Ecke verschwunden sind, kann sie aber noch eine ganze Weile deutlich hören. Irgendwann verstummt auch der Höllenhund und reibt seinen Kopf an Beths Bein.

„Was ist?“ Mein Schützling grinst mich fragend an.

Ich senke den Blick. „Mir ist nicht ganz wohl dabei, wenn sie mit ihm durch die Gegend zieht.“

„Ach, jetzt hab’ dich nicht so!“ Sie knufft mich mit dem Ellbogen in die Seite. „Gönn den beiden doch ihren Spaß!“

„Hat er sie eigentlich …?“

Sie schlägt meinen Oberarm. „Erstens: nein. Und zweitens geht dich das überhaupt nichts an.“

„Sie ist erst sechzehn.“

„Bin ich auch.“

„Ja ich weiß“, komme ich dem nächsten Argument zuvor, „und du hast es schließlich auch überlebt, mit ihm in die Kiste zu steigen. Aber sie ist ein gewöhnlicher Mensch, kein halber Engel, so wie du.“

„Er mag sie wirklich. Wenn es so weit ist, wird er auf sie achtgeben.“

„Mir ist trotzdem nicht wohl dabei.“

Sie bückt sich zu Pinkie und krault ihn hinter den Ohren. „Das wissen wir mittlerweile.“

Ich seufze. „Entschuldige, Süße. Ich weiß, ich bin nervig.“

„Schon in Ordnung.“

„Soll ich euch nach Hause bringen?“ Ich deute auf die Harley in der Einfahrt.

Sie überlegt kurz, dann sieht sie mich an. „Dürfen wir noch ein bisschen bleiben? Die Nacht ist schön.“

„Klar. Ich hol’ mir noch’n Bier. Willst du auch was trinken?“

„Eine Limo.“

Als ich zurückkomme, hat sie sich bereits auf der Bank niedergelassen, Pinkie halb auf dem Schoß. Ich setze mich daneben, reiche ihr die Limonade, öffne die Bierdose und nehme einen Schluck.

Eine Weile sitzen wir schweigend nebeneinander und lauschen der Musik von Johnny Cash. Nur Pinkie gibt gelegentlich ein zufriedenes Glucksen oder leises Jaulen von sich, während Beths Finger durch sein Fell wuscheln.

„Wie ist mein Dad eigentlich so?“, fragt sie unvermittelt.

Ich beuge mich vor und stütze die Ellbogen auf die Knie. Die Frage steht schon lange zwischen uns im Raum, seit sie erfahren hat, dass sie ein Naphil ist, das Kind eines Engels und einer sterblichen Frau. Von daher trifft die Frage mich nicht völlig unvorbereitet.

„Ich kenne ihn nur flüchtig“, beginne ich zu erzählen. „Raphael ist eher der stille Typ. Er ist da oben so was wie der oberste Bibliothekar. Wobei die da natürlich keine Bücher im engeren Sinne haben. Er verwaltet das himmlische Wissen. Frag ihn etwas und du kriegst eine fundierte Antwort. Ein echt schlauer Kerl. Aber er macht kein großes Aufhebens darum. Er brüstet sich niemals mit seinen Fähigkeiten. Erledigt einfach nur gewissenhaft seinen Job und hilft aus, wo er kann. Ich mag ihn.“

Sie lässt das Gehörte eine Weile auf sich einwirken, ehe sie die unvermeidliche Frage stellt: „Werde ich ihn irgendwann mal kennenlernen?“

Ich setze noch einmal die Bierdose an die Lippen, bevor ich antworte. „Das weiß ich nicht. Wenn er es für sinnvoll erachtet, wird er sich dir zeigen. Aber die Erzengel kommen nur selten auf die Erde herab. Das verursacht immer einen ziemlichen Wirbel und versetzt insbesondere die Gegenseite in helle Aufregung, wenn sie Wind davon bekommen. Die glauben dann immer gleich, die Apokalypse würde anbrechen und bringen sich für das Jüngste Gericht in Stellung. Gerade Raphael vermeidet solchen Aufruhr gerne. Wie gesagt, er ist eher der stille Typ.“

„Aber um meine Mutter flachzulegen, war der feine Herr sich nicht zu schade.“

Ich hebe warnend den Zeigefinger. „Vorsicht mit deiner Ausdrucksweise, junge Dame!“

„Ist doch wahr.“ Sie setzt einen Schmollmund auf. „Das heißt, ich sollte mir keine große Hoffnung machen, dass er eines Tages vor der Tür steht und Hallo sagt.“

Gern würde ich die Enttäuschung mildern, die in ihren Worten mitschwingt, aber dafür müsste ich sie belügen. „Besser nicht.“

Sie lässt von Pinkie ab und lehnt sich zurück, wendet die Augen dem nächtlichen Himmel entgegen. „Ich stelle mir einfach vor, er wäre so wie du. Das würde mir gefallen.“

Man sagt mir nach, ich neige nicht zu hemmungslosen Gefühlsausbrüchen, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Aber diesem Mädchen gelingt es immer wieder, mit wenigen Worten mein Herz zu erwärmen. Ich rutsche ein Stück zu ihr und lege den Arm um sie. Trotz Pinkies knurrendem Protest kuschelt sie sich an mich. Wenn es nach mir ginge, könnten wir die ganze Nacht so verbringen.

Das Idyll währt jedoch nur wenige Minuten. Der Höllenhund im Körper eines Cockerspaniels hebt plötzlich den Kopf und wendet ihn hektisch hin und her, als würde er lauschen. Dann springt er auf und gibt ein tiefes Grollen von sich, das der überschaubaren Größe des Tieres nicht wirklich angemessen erscheint.

Ich deute mit der Bierdose auf ihn. „Was hat er?“

„Keine Ahnung.“ Beth schaut den Hund stirnrunzelnd an. „Pinkie? Alles klar?“

Er schnuppert in die Nacht.

„Vielleicht mag er es nicht, wenn ich dir näher bin als er.“

Sie entwindet sich meiner Umarmung, steht auf und geht zu ihm. „Nein, das ist es nicht. Irgendetwas beunruhigt ihn.“

Auch ich erhebe mich. Etwas, das einen Barghest beunruhigt, verdient wohl auch meine Aufmerksamkeit.

Wir beide beobachten angespannt, wie der Hund auf die Straße läuft, sich umschaut und dabei vernehmlich schnüffelt. Beth folgt ihm und mit ein wenig Abstand komme auch ich hinterher. Dann bellt Pinkie mehrmals laut und rennt los. Ohne zu zögern, sprintet Beth ihm nach. Ich lasse die Bierdose in der Einfahrt zurück und setze mich ebenfalls in Bewegung.

Der Höllenhund läuft zielstrebig zum Strand, nur wenige Blocks entfernt. In Sichtweite des Santa Monica Piers mit dem prägnanten Riesenrad künden Musik und vielstimmiges Lachen von einer der privaten Strandpartys, die hier fast jeden Abend abgehalten werden. Trotz des Verbots von Alkohol und Lärm zu später Stunde drücken die Cops meistens ein Auge zu, wenn die Kids es nicht übertreiben. Pinkie jedoch scheint irgendetwas an der Feier auszusetzen zu haben.

„Ruf ihn zurück!“, weise ich Beth an, wohl wissend, dass das Monstrum auf mich ohnehin nicht hört.

„Pinkie!“, schreit sie ihm hinterher. „Bleib hier!“

Nicht einmal der Barghest kann sich der Autorität in ihrer Stimme entziehen. Kläffend fordert er sie auf, zu ihm zu kommen.

„Was ist denn?“

Sie hat die Frage kaum ausgesprochen, als wir alle spontan innehalten. Ein Windstoß fährt mir durch die Haare und bläht mein Hemd auf. Das ist mehr als die übliche Brise. Instinktiv schaue ich zum Himmel auf. Die wenigen Wolken, die dort auszumachen sind, stehen ruhig am Firmament. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Hier geht irgendetwas nicht mit rechten Dingen zu.

Ich schließe zu Beth und Pinkie auf und lege ihr die Hand auf die Schulter. „Geh besser zurück!“

Sie kniet neben dem Hund und starrt aufs Meer hinaus. „Da kommt etwas.“

„Deswegen sollst Du …“

Ein plötzliches Tosen unterbricht mich. Aus der milden Brandung erhebt sich eine einzelne, mannshohe Welle und hält auf den Strand zu. Auch die Partygäste bemerken, dass etwas nicht so ist, wie es sein sollte. Doch statt das Weite zu suchen, glotzen sie nur auf den anrollenden flüssigen Berg.

Ich setze mich in Bewegung, laufe auf die Leute zu. „Weg da!“, brülle ich, so laut ich kann. „Weg vom Wasser!“

Zu spät. Die Welle bricht. Doch statt die feiernden Teenies einfach nur zu überspülen, lösen sich saugnapfbewehrte Tentakel aus dem Nass, tasten, suchen, greifen nach menschlichen Leibern und heben sie mühelos in die Luft. Schrilles Kreischen zeugt davon, dass die Kids die Gefahr, in der sie sich befinden, nun endlich erkannt haben. Aber nur wenige entkommen den Wassermassen, die sich über sie ergießen und sie zu Boden werfen. Als die Welle zurückweicht, zieht der Sog mehrere von ihnen mit sich in Richtung Ozean. Doch das ist nicht der einzige Grund für die panischen Schreie, die sie von sich geben. Der Wasserberg hat am Strand ein Ungetüm hinterlassen, das direkt aus einem schlechten Horrorfilm entsprungen zu sein scheint. Krabbenartige Beine tragen einen unförmigen, übermannshohen Torso, aus dem die bereits zuvor aufgetauchten Tentakel entspringen. Mit ohrenbetäubendem Grollen öffnet sich ein riesiges Maul, gespickt mit mehreren Reihen spitzer Zähne, die gierig nach den hilflosen, von den Greifarmen gefesselten Opfern schnappen.

Lang vergessen geglaubte Instinkte übernehmen die Kontrolle über mein Tun. Ohne groß nachzudenken, pumpe ich einen dicken Batzen Essenz in meine Gliedmaßen und renne auf das Ungeheuer zu, so schnell meine Beine mich tragen.

„Lauft weg!“, rufe ich denen zu, die das Geschehen in Schockstarre beobachten, statt das Weite zu suchen. Dann stoße ich mich vom Boden ab und springe im hohen Bogen auf das Untier zu, das sich gerade eine Bikinischönheit einverleiben will. Meine Faust landet seitlich auf dem Kiefer der Kreatur. Ein vernehmliches Knacken ertönt und geht übergangslos in ein wütendes Heulen über, als das Monstrum unter der Wucht meines Schlages zu Boden geht. Es sieht vermutlich nicht sonderlich elegant aus, wie ich mit voran gestreckten Armen und Beinen im Sand lande, aber im Nu stehe ich wieder aufrecht und setze einen weiteren Schwinger gegen den Tentakel, der immer noch das Mädchen umschließt. Der Erfolg ist mäßig. Statt die Frau zu befreien, habe ich es geschafft, nun selber mitten im Aktionsradius der muskulösen Fangarme zu stehen. Großartig!

Es gelingt mir, zwei oder drei Angriffe abzuwehren, doch gegen die schiere Zahl der Extremitäten bin ich letztlich machtlos. Eine greift meinen linken Fuß, eine andere mein Handgelenk. Ich lasse weitere Essenz in meinen Körper fließen, um mich gegen den Schraubstock, in dem ich mich spontan wiederfinde, zur Wehr zu setzen. Aber die Sekunde, die ich benötige, um mich darauf zu konzentrieren, nutzt das Ungeheuer gnadenlos aus, um auch meinen verbliebenen freien Arm zu packen. Langsam wird es eng.

Ich zerre und reiße wie verrückt an meinen saugnapfbewehrten Fesseln, doch jedes Mal, wenn ich mich aus einer Umschlingung befreit habe, tritt ein anderer Tentakel an die Stelle seines erfolglosen Vorgängers.

Während ich versuche, zumindest außerhalb der Reichweite des zähnestarrenden Maules zu bleiben, das im Zentrum des Geschehens nach mir schnappt, höre ich ein tiefes Knurren, das schnell an Lautstärke zunimmt. Aus dem Augenwinkel sehe ich einen dunklen Schemen heranrasen und plötzlich ist mein rechter Arm frei. Der Tentakel ist zwar noch um meinen Unterarm gewickelt, endet aber in einem ausgefransten Ende, aus dem dunkle Flüssigkeit spritzt. Zwei wild umherschlackernde Ohren tauchen vor mir auf, als Pinkie sich brüllend auf den nächsten Fangarm stürzt und ihn mit einem einzigen Biss durchtrennt.

Ein schrilles Kreischen mischt sich in das Getöse, das mich einhüllt. Wieder bewegungsfähig hole ich aus und hämmere meine Faust erneut gegen das Maul, dieses Mal frontal von vorne. Mehrere Zähne brechen heraus und das Ungetüm zuckt zurück. Ich setze sofort nach und lasse einen weiteren Hieb folgen. Alle Tentakel lassen endgültig von mir ab. Ein kurzer Seitenblick verrät mir, dass die Kreatur auch das Mädchen losgelassen hat. Das Viech weicht rückwärts aus, versucht unter Aufbietung aller verbliebenen Gliedmaßen, sich zurück ins Meer zu ziehen. Wasser spritzt mir entgegen, als die Bestie in den Pazifik eintaucht und mit einer Woge in die Dunkelheit entschwindet.

Keuchend bleibe ich stehen, kämpfe gegen den spontanen Drang an, das Monstrum zu verfolgen und ihm endgültig den Garaus zu machen, ein Relikt aus alten, umtriebigeren Zeiten. Aber ich ringe den Berserkerrausch nieder und verharre am Strand. Die Brandung umspült meine Füße. Ich lasse den Kopf kreisen und strecke den Rücken durch, damit alle Wirbel knackend wieder an den vorgesehenen Stellen einrasten. Für derartige Kämpfe ist dieser Körper nicht mehr optimal. Lange kann ich das Unvermeidliche nicht mehr hinauszögern.

Nach mehreren tiefen Atemzügen höre ich auf, den Ozean anzustarren. Es ist weg. Pinkie bellt trotzdem noch eine ganze Weile in Richtung des Pazifiks.

„Lass gut sein!“, fordere ich ihn auf.

Zu meiner eigenen Überraschung ist der Hund auf der Stelle still und schaut mich mit seitlich aus dem Maul hängender Zunge an.

Ich nicke dem Höllenspaniel anerkennend zu. „Gute Teamarbeit.“ Ich halte ihm die Ghettofaust entgegen. Er stupst seine Nase dagegen und wedelt mit dem Schwanz. Vielleicht werden wir ja doch noch Freunde.

Ich wende mich um und nehme den Strand in Augenschein. Ein halbes Dutzend Augenpaare starrt mich ungläubig an. Auch die Frau, die das Viech schon in seinen Fängen gehabt hat, ist auf den Beinen. Ein junger Kerl hat sie in den Arm genommen. Sie bebt am ganzen Leib, scheint aber keine ernsthaften Verletzungen davongetragen zu haben. Pinkie schnüffelt an einem abgebissenen Tentakel, zerteilt ihn in mundgerechte Happen und verschlingt sie gierig.

Beth kommt auf mich zu gerannt. „Bist du in Ordnung?“

Ich nicke erschöpft. „Geht schon.“

„Was war das?“

Das ist die Frage, die auch mein Gehirn gerade beschäftigt. „Keine Ahnung. Ich habe schon viel kranken Scheiß gesehen, aber so etwas ist mir noch nicht untergekommen.“

„Ein Alien“, meldet sich einer der Party-Teenies zu Wort. „Das war ein Alien. Sie greifen uns an.“

Mein Blick fällt auf ein T-Shirt mit der Aufschrift ‚Come to the Dark Side. We have Cookies‘, die einen böse dreinschauenden schwarzen Helm einrahmt. Nerds! Noch nerviger als Dämonen.

Das Bikini-Mädel hyperventiliert. „Es … Es … Es hatte mich …“

Ihr Freund, der ihr mittlerweile galant sein Hemd über die Schultern gelegt hat, ist kaum weniger panisch. „Ein Monster! Das war ein Monster!“

„Architeuthis dux“, klugscheißt ein anderer. „Riesenkrake.“

„Das heißt Riesenkalmar“, weist Nerd-Shirt ihn zurecht.

Eine der Frauen meldet sich zu Wort: „Das war doch kein Krake! Das Ding hatte Beine.“

„Was auch immer es gewesen ist“, versuche ich, die Kiddies zu beruhigen, „es ist weg. Seht zu, dass ihr nach Hause kommt! Wir kümmern uns hier um alles. Wir verständigen die Küstenwache, damit sie Ausschau nach dem Viech halten und es erledigen.“

„Sollen wir nicht die Polizei …?“

Ich schüttele den Kopf. „Die sind für sowas nicht zuständig. Kümmert ihr euch um sie!“ Ich deute auf das zitternde Mädchen. „Ich übernehme den Rest.“

Der T-Shirt-Nerd erzählt noch irgendetwas von genetisch manipulierten Ungeheuern und Vertuschung, aber schließlich kramt die Truppe ihre weit über den Strand verstreuten Sachen zusammen und zieht ab, allerdings nicht, ohne sich bei jeder brechenden Welle furchtsam nach dem Ozean umzudrehen. Beth, Pinkie und ich bleiben alleine zurück.

Das Mädchen schaut mich fragend an. „Küstenwache?“

„Was hätte ich sonst sagen sollen? Die Navy Seals?“

„Du hast gelogen?“ Sie wirkt geradezu entsetzt.

„Jep“, antworte ich kurz angebunden.

„Ich dachte, Engel lügen nicht.“

„Falsch gedacht. Alles eine Frage der Notwendigkeiten. Auch wenn zugegebenermaßen nur wenige von uns gut darin sind.“

„Allerdings.“ Sie schüttelt den Kopf. „Küstenwache! Nicht zu fassen!“

Ich schlendere derweil zum Ort des Kampfes. Die Brandung hat die meisten Spuren bereits überspült, Pinkie hat die Tentakel aufgefressen und die Kiddies haben ihr Zeug mitgenommen. Nichts deutet mehr darauf hin, was sich hier wenige Minuten zuvor abgespielt hat.

Ich lasse meinen Blick hundert Meter landeinwärts zum Ocean Front Walk schweifen. Die Nachtschwärmer gehen ihren gewohnten Aktivitäten nach. Außer uns und den Party-Teenies scheint niemand etwas von der Monsterattacke mitbekommen zu haben. Und mit etwas Glück verlieren die unmittelbaren Zeugen sich in abstrusen Verschwörungstheorien, die ihnen keiner abnimmt, dem sie davon erzählen. Das übliche Verfahren, wenn Menschen in Berührung mit dem Übernatürlichen kommen.

„Was zur Hölle war das?“, wiederholt Beth ihre Frage.

Ich zucke die Achseln. „Ich weiß es wirklich nicht. Aber ‚Hölle‘ trifft es wohl. Das Ding bestand zu großen Teilen aus purer Essenz. Hast du gesehen, wie Pinkie sich darauf gestürzt hat? Ein Festessen.“

Wie zur Bestätigung gibt der Hund ein freudiges Kläffen von sich und wedelt mit dem Schwanz.

„Und das bedeutet?“

„Das bedeutet, es ist übernatürlichen Ursprungs. Dem Äußeren und dem Verhalten nach würde ich spontan auf etwas Dämonisches tippen.“

Beth wirft einen Seitenblick auf Pinkie. „So wie er?“

Ich nicke. „Nur ohne materiellen Körper. Also so wie Pinkie in seiner wahren Gestalt.“

Der Cockerspaniel knurrt mich an. Der Vergleich gefällt ihm offenbar nicht.

„Das Ding erinnert mich an etwas.“ Beth schaut nachdenklich aufs Meer hinaus.

Ich sehe sie fragend an. „An was?“

„Einen Film. Da drin gab es ein Monster, den Kraken. Der sah so ähnlich aus, nur größer.“

Mit großen Augen starre ich sie an. „Ein Film?“

„Ja, der war cool.“ Sie erwidert meinen zweifelnden Blick mit Kennermiene. „Da hat der Typ aus Avatar mitgespielt … wie hieß der gleich noch mal … Sam Worthington.“ Sie holt ihr Smartphone aus der Hosentasche und beginnt, darauf herumzutippen.

„Lass uns verschwinden!“ Ich drehe mich noch einmal um und überzeuge mich, dass keine Monster mehr am Strand lauern.

Während wir zurückgehen, hantiert Beth weiter auf ihrem Telefon herum. „Da! Kampf der Titanen.“ Sie hält mir das Display entgegen. Darauf ist ein Ungeheuer zu sehen, das mit viel gutem Willen eine vage Ähnlichkeit mit dem aufweist, das wir soeben gesehen haben. Allerdings sehr vage.

„Das ist der Krake“, verkündet sie mit einem Hauch von Ehrfurcht in der Stimme.

„Aha.“ Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. „Und was macht der in dem Film? Strandpartys überfallen?“

„Nein. Zeus schickt ihn aus, um die Stadt Argos zu vernichten, weil ihre Bewohner die Götter nicht achten oder so.“

„Und? Vernichtet er die Stadt?“

„Nein“, winkt sie ab. „Der Typ, den Sam Worthington spielt, verwandelt den Kraken zu Stein, indem er ihm den Kopf mit den Schlangenhaaren zeigt.“

„Ach, die Perseus-Sage.“

„Ja genau, Perseus hieß der.“

„Das war aber in der originalen Sage kein Krake“, korrigiere ich sie, „sondern Keto. Und die hat nicht die Stadt Argos angegriffen, sondern Äthiopien.“

Beth tippt wieder auf dem Smartphone herum. „Keto … da! Tochter des Pontos und der Gaia. Gebar die Gorgonen, die Graiai, Echidna und Ladon … was auch immer! Ja genau, hier: Perseus rettet Andromeda, die dem Kraken … oder von mir aus halt Keto geopfert werden soll.“

„Ein altes Märchen“, erkläre ich. „Aber ich bezweifle, dass das irgendetwas mit dem Viech zu tun hat.“ Ich deute mit dem Daumen zurück zum Strand. „Dein Film bringt da ein paar Dinge durcheinander. Und die Ähnlichkeit mit diesem Kraken … reiner Zufall.“

Sie steckt das Gerät wieder ein. „Vermutlich hast du recht.“

Wir kommen am Ocean Front Walk an. Das Nachtleben von Santa Monica geht seinen normalen Lauf. Hier hat tatsächlich niemand etwas von dem Vorfall mitbekommen. Mir kann’s nur recht sein. Größere Menschenmengen nach direkten Interventionen einer der beiden Kriegsparteien davon zu überzeugen, dass sie nichts Übernatürliches gesehen haben, ist eine Aufgabe, um die ich mich nicht unbedingt reiße. Ich bin schon froh darum, die Partyteenies einigermaßen verarztet zu haben.

„Und was jetzt?“, fragt Beth, während sie Pinkie geistesabwesend zwischen den Ohren krault.

„Jetzt bringe ich dich nach Hause und morgen schauen wir, ob wir irgendetwas herausfinden.“

„Morgen?“

„Ja, morgen“, insistiere ich. „Nachts müssen Engel schlafen und vorlaute Teenager auch, selbst wenn sie Nephilim sind.“

„Kann ich nicht bei dir schlafen?“

Ich seufze. „Das wird deiner Mom nicht gefallen. Sie ist ja ohnehin schon dagegen, dass wir uns überhaupt treffen.“

Ehe ich mich versehe, hat Beth bereits das Telefon am Ohr. „Mom … ich bin’s. Es ist ein wenig später geworden und wir sind alle ziemlich müde. Ich bleibe heute Nacht bei Clyde … nein, du brauchst mich nicht abholen. Alles ist gut … Nein, Jo und der andere Typ sind nicht da. Die sind schon weg … Ja, ich weiß, dass du Taz nicht magst. Aber wie gesagt … Ja, nur die eine Nacht … Versprochen. Morgen Mittag bin ich zu Hause … Ja, ich freue mich schon auf den Hackbraten. Ich werde da sein. Gute Nacht, Mom. Und liebe Grüße von Clyde.“ Sie zwinkert mir zu und legt auf. „Alles geklärt.“

„Hackbraten“, murmele ich. „Ich erinnere mich. Den kann sie wirklich gut.“

„Ja“, bestätigt sie. „Komm doch mit! Sie macht immer so viel, das reicht locker für drei.“

Ich schüttele den Kopf. „Ich glaube nicht, dass das deiner Mom recht wäre. Sie will mit dem Himmel und seinen Dienern so wenig zu tun haben wie möglich. Ich kann sie sogar verstehen.“

„Aber du hast ihr doch gar nichts getan!“ Beth gestikuliert hilflos. „So lang ich mich erinnern kann, hast du immer nur versucht, ihr zu helfen. Und mir.“

Ich hebe die Achseln. „Aber ich diene deinem Dad. Allein meine Anwesenheit reicht schon aus, um sie an das zu erinnern, was sie aus ihrem Leben verbannen will. Sorry, aber …“

Sie knufft mich in die Seite. „Ach, hab dich nicht so! Es wird Zeit, dass ihr beide euch wieder vertragt.“ Sie lehnt ihren Kopf an meine Schulter. „Ich möchte, dass ihr euch wieder vertragt.“

Ich lege den Arm um sie. „Wir können sie ja morgen fragen. Aber jetzt gehen wir erst mal schlafen.“

Wenige Minuten später kommen wir an meinem Häuschen an. Die Musik läuft immer noch. Gerade ist ‚The Beast In Me‘ an der Reihe. Von Biestern habe ich heute genug, mache das Gerät aus und wir gehen hinein.

Ich beziehe das Bett frisch für Beth und richte mich selber auf dem Sofa ein. Ein eingespieltes Ritual.

„Sollen wir nicht Taz fragen, ob er etwas über Tentakelmonster weiß?“, fragt Beth in der Badezimmertür lehnend, die Zahnbürste im Mund.

Ich bemühe mich, sie nicht allzu auffällig anzustarren. Wie sie so dasteht, nur mit einem meiner T-Shirts bekleidet, das ihr gerade mal bis zur Mitte der Oberschenkel reicht, habe sogar ich Mühe, die Hormone meines menschlichen Körpers unter Kontrolle zu halten. Auch wenn es mir schwerfällt, das zu akzeptieren: Sie ist definitiv kein Kind mehr.

„Sehen wir erst einmal zu, was wir selber herausfinden“, schlage ich vor. „Nichts gegen Taz, aber so, wie ich ihn kenne, würde er als Erstes versuchen, das Viech einzufangen und für seine Zwecke abzurichten.“

Sie grinst. „Gut möglich. Wäre aber cool, so ein abgerichteter Monsterkrake.“

Ich schaue sie leicht entgeistert an.

„War nur’n Witz.“ Sie kehrt zurück ins Bad und beendet ihre Abendtoilette.

Ich hole mir noch ein Bier aus dem Kühlschrank und nehme einen tiefen Schluck. Ich denke, das habe ich mir nach dem spontanen Monsterverjagen redlich verdient.

Auf dem Weg ins Schlafzimmer drückt Beth mir einen Kuss auf die Wange. „Schlaf gut, mein Schutzengel.“

„Du auch, Süße.“ Ich drehe mich um und rufe ihr hinterher. „Und Pinkie bleibt neben dem Bett! Ich will nicht wieder alles voller Haare haben.“

„Geht klar!“ Sie schließt die Tür, sobald der Cockerspaniel bei ihr ist.

Ich strecke mich aus und lasse die jüngsten Ereignisse noch einmal Revue passieren. Tentakelmonster in Santa Monica. Was da wohl wieder dahintersteckt? Zumindest ist niemand ernsthaft verletzt worden, von dem Monster selber mal abgesehen. Aber für heute ist’s erst mal genug. Darum kümmere ich mich morgen.

Ich trinke mein Bier aus, drapiere mich unter der einfachen Wolldecke und schlafe zügig ein. Von Tentakelmonstern lasse ich mir doch nicht die Nacht verderben. Wo kämen wir da denn hin?

 

2. Familienbande

Ein fröhliches „Komm rein!“ folgt auf mein Klopfen.

Ich öffne die Tür und luge vorsichtig in mein Schlafzimmer. Beth hockt im Schneidersitz auf dem Bett, die Decken als improvisierte Rückenlehne zwischen sich und der Wand, und tippt wild auf ihrem Smartphone herum.

Mein Blick verfinstert sich spontan, als er auf Pinkie fällt, der mit aus dem halb geöffneten Mund hängender Zunge neben ihr sitzt.

---ENDE DER LESEPROBE---