Camping gut, alles gut - Tim Eckhaus - E-Book
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Camping gut, alles gut E-Book

Tim Eckhaus

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Beschreibung

Humorvoller und turbulenter Familienroman um einen Campingurlaub am Wörthersee. Für alle LeserInnen von Tommy Jaud und David Safier. »Weißt du, wann wir das letzte Mal einen Familienurlaub gemacht haben?«, fragt sie mich. Ich mache eine vage Handbewegung, während sich mein Gehirn in den Regalen mit den Erinnerungen verläuft.« Endlich soll Joachim die PR-Abteilung in seiner Firma übernehmen. Aber genau jetzt fordert seine Frau Maria einen Urlaub ein und möchte raus aus Frankfurt. Ausgerechnet ins verschlafene Österreich will sie. Camping-Urlaub am schönen Wörthersee! Mit dabei seine beiden pubertierenden Kinder, die 13-jährige Umweltaktivistin Karla und der 16-jährige Games-Nerd Moritz. Der Urlaub gefährdet Joachims Karrierepläne. Aber auch Marias Familie, die aus Kärnten stammt, hat es in sich. Schwiegermutter und Schwiegervater sind schrulliger als schrullig. Joachims Nerven werden nicht nur durch die stundenlange Anreise mit dem Auto, anstrengende Nachbarn am Campingplatz, konstant unzufriedenen Nachwuchs, sondern auch von der Kärntner Verwandtschaft und dem österreichischen Humor auf die Probe gestellt. Kann Joachim das alles lebend überstehen und dabei vielleicht noch ein guter Familienvater werden? »Absolut top: witzig, spritzig und genau die richtige Lektüre für den Sommerurlaub.«  ((Leserstimme auf Netgalley))  »Ein temperament- und humorvoller Familienroman.«  ((Leserstimme auf Netgalley))  »Der Familienroman ist komisch,witzig und chaotisch angelegt und es gibt immer etwas zu schmunzeln.Es ist ein Wohlfühlbuch das mich sehr gut unterhalten und begeistert hat.« ((Leserstimme auf Netgalley))

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Julia Feldbaum

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.at

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Tage später, daheim in Frankfurt

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Kapitel 1

»Jipiieh!«

Mit einem breiten Grinsen sause ich das Treppenhaus hinab, beschleunige wie ein olympiareifer Bobfahrer. Für Außenstehende mag es anders aussehen: Ein aufrecht sitzender Mann, erwachsen, aber offensichtlich kindisch, rutscht in überhöhtem Tempo das Treppengeländer hinunter. Den erstaunten Kollegen, denen ich begegne, ruft meine innere Stimme zu: Ich habe den Lift bewusst ignoriert! Dieser fahrende Sarg kann meiner Euphorie in keinerlei Weise gerecht werden.

In immer schnellerer Folge wechseln die Stockwerke. Da die Reibungshitze damit droht, meinen Anzug im Gesäßbereich zu entflammen, springe ich in Etage 3 gekonnt ab und lande mit einem formschönen Ausfallschritt. Bestnoten!

Während ich beschwingt und talentiert weiter die Stufen hinuntertanze, zwitschere ich ein Lied von Ruhm und Ehre. »Ein Hoch auf uns, auf dieses Lääääbän …!« Mein Herz schwingt die Hüften dazu.

Doch neben meiner adrenalingeschwängerten Blutpumpe ist auch mein Gehirn im Ausnahmezustand. Wieder und wieder spielt es sich in einer begeisterten Endlosschleife die Geschehnisse von heute Morgen ein: Wie Herr Schulze mich zu sich rufen hat lassen. Wie er in seinem faden Büro unerwartet Außergewöhnliches gesagt hat, nämlich dass er – Halleluja! – in einem Monat seine Koffer packen und nach Singapur verschwinden werde. Als Gebietsmanager für Asien. Das hätte ja schon für sich eine exorbitant erfrischende Nachricht dargestellt, da ich von seiner tödlich langweiligen Präsenz befreit sein würde. Aber was Mister »Mann-ohne-Eigenschaften« dann gesagt hat, schlug dem Fass den morschen Boden aus: Ich soll sein Nachfolger werden!

Mir schwinden fast die Sinne bei dem freudigen Gedanken daran. Oder vielleicht wird mir auch gerade schlecht, weil ich viel zu rasch um die Ecke biege. Ohne mich am Geländer festzuhalten, wäre ich sicherlich schon zentrifugal aus den großen Treppenfenstern des Gebäudes geflogen.

Meine Lebensperspektive zeigt ab heute steil nach oben: Das Abdanken meines Vorgesetzten bedeutet, dass ich, Joachim Meier-Katschnigg, vor dem größten Karriere-Boost meines Lebens stehe. Die legendäre Apollo-Rakete ist ein winzig kleiner Feuerwerkskörper neben mir, ein albernes Spielzeug, das vielleicht Ameisen zum Staunen bringt, aber sonst kein höher entwickeltes Lebewesen.

Ich schieße mit Druck aus dem Gebäude auf den Parkplatz hinaus, grelles Sonnenlicht wie aus hundert Scheinwerfern empfängt mich applaudierend. Ich drehe mich noch mal um und sehe hinauf zum gewaltigen Mehrstöcker, der von der Höhe her locker mitspielen kann mit den ganz langen, dicken Hochhäusern hier in Frankfurt. Mit leuchtenden Augen heftet sich mein Blick auf das Firmenschild: Joy-Max und die wunderbare Logline darunter: Wir machen Sie zufrieden.

Als ich mich lustvoll seufzend wieder umdrehe, spielt mir mein Gehirn ein anderes schönes Konstrukt ein. Ich schließe die Augen und gebe mich voll meinem Tagtraum hin.

In meiner Fantasie reite ich auf einem weißen Ross. Ich trage eine silberne Rüstung. Sie glänzt, als hätten sie sieben Zwerge sieben mal sieben Wochen mit Scheuermilch abgerieben. Im Trab nähere ich mich meinem Schloss mit den sieben Türmen. Im obersten Fenster erkenne ich die holdeste Frau im ganzen Königreich: meine geliebte Lady Mary. Sie lacht mir zu, sie winkt mir mit einem spitzenverzierten Seidentuch Herzen in die Luft. Es sind sechs. Jetzt malt sie noch einen Zwinker-Smiley dazu. Atemlos eile ich zu ihr und will ihr die Neuigkeit berichten: dass ich den Drachen erschlug und mich der König nun mit Gold überhäufen und zum neuen Herrscher machen will. Wie schön würde das für uns werden, wir könnten uns nun ein größeres Schloss leisten. In meinem Tagtraum lächelt meine holde Frau und umarmt mich. Sanft öffnet sie die Lippen zu einem süßen Kuss und dann …

»Herr Meier-Katschnigg?«, sagt eine langweilige männliche Stimme.

Immer noch kann ich nicht glauben, dass ich mit diesem Namen gemeint bin. Seit 16 Jahren, seit meiner Heirat mit Maria, schüttle ich den Kopf angesichts der Tatsache, dass sich an mein angeborenes Meier ein Katschnigg angedockt hat. Warum musste ich mich auch in eine Kärntnerin verlieben und zu einem deutsch-österreichischen Hybridwesen werden? Na, wenigstens keine Chinesin. Dann wäre ich vielleicht ein Meier-Chen, eine Verkleinerungsform könnte ich gerade noch brauchen. Och, guck mal, ist der niedlich, ein kleines Meierchen.

»Herr Meier-Katschnigg, ich muss noch mal mit Ihnen reden.«

Vor mir steht mein Chef. Mittlere Größe, unauffällige Bürokleidung, keine weiteren Eigenschaften. Perfekte Voraussetzungen, um in einem Konzern Karriere zu machen. Mir ist es gerade egal, dass er so spannend wie ein Busfahrplan ist, ich schließe ihn spontan in eine kurze, aber herzliche Umarmung.

»Das war echt eine erfreuliche Nachricht heute«, rufe ich laut aus, sodass sich auch vom gegenüberliegenden Ende des Parkplatzes noch jemand herdreht. »Ich meine: Beförderung! Das hat man ja nicht alle Tage, oder?«

Er kratzt sich verlegen am Hinterkopf und schließt die Tür seines grauen VWs. Offensichtlich wollte er schon fahren, hat mich gesehen und beschlossen, statt seine Karre anzuwerfen, lieber ein Schwätzchen mit mir zu halten. Ist es was Wichtiges, frage ich mich, oder will er mir bloß noch mal gratulieren?

»Es ist so«, beginnt er, nimmt seine Brille, die weder schön noch hässlich ist, von der Nase und wischt mit einem Taschentuch halb fest darauf herum. »Ich habe vor einer Stunde noch eine Nachricht erhalten, die vielleicht nicht ganz …«

Er sucht nach dem richtigen Wort. Ich kann nur wie hypnotisiert zusehen, wie er sogar seine Brille langweilt: Mir scheint, die Gläser werden trüber statt klarer. »Ja?«, frage ich schließlich.

»… nicht ganz ideal ist«, endet der Mann.

Hm, was soll ich nun damit anfangen? Erst mal so viel wie ein Fisch mit einem Fahrrad.

»Also, der Vorstand …«, fährt Schulze fort, »eigentlich dachte ich, dass Jones dort alle über Sie als meinen Nachfolger informiert hat. Hat er aber nicht.«

»Und?«, will ich immer noch grinsend wissen. Ist ja bekannt, dass in Konzernen gern alles kompliziert gemacht wird, wenn es auch einfach geht. Scheint Vorschrift zu sein. Da ist unser US-Unternehmen, das sich mit einem natürlichen Aphrodisiakum aus tibetanischen Raupenpilzen eine goldene Nase verdient hat, keine Ausnahme.

»Na ja, in Philadelphia wussten die nichts davon. Ich sagte, ich hätte das schon mit Jones vereinbart, aber ein paar Klugscheißer im Vorstand haben sich dann wichtig gemacht. Sie wissen ja.« Er setzt seine Brille wieder auf. Seine Augen sind hinter den verschmierten Scheiben kaum noch auszumachen. »Auf jeden Fall haben sie eine Gegenkandidatin für die Leitung der PR-Abteilung ins Spiel gebracht.«

Erstmals heute schieben sich Wolken vor meine sonnige Stimmung. Ein leichter Wind zieht auf, ein paar Blätter fallen, es riecht trotz der sommerlichen Wärme am asphaltierten Parkplatz plötzlich nach Herbst.

»Eine … Gegenkandidatin?«, frage ich.

Er nickt in mittlerer Geschwindigkeit.

So fad, wie er das macht, wundert es mich nicht, dass er die Leitung der PR-Abteilung nach nur einem Jahr abgibt. Vermutlich hat man ihn sanft gedrängt. Er war im Grunde aus Versehen von einem klassischen Verwaltungsposten hierher gespült worden. PR und spannende Kommunikation allgemein passen zu ihm wie das Kind zur Jungfrau – ich werde das viel besser machen.

»Bei der Gegenkandidatin handelt es sich um eine Amerikanerin.«

»Aha.«

»Beatrice Walker.«

»Nie gehört.«

»Sie arbeitet in der Konzernzentrale. Soll gut sein.«

Aber hallo, gut bin ich auch. Ist ja wieder typisch, dass die Fritzen in Philadelphia jemanden aus dem Hut zaubern, wenn meine Karriere mal bergauf stapft.

»Was bedeutet das nun?«, frage ich, während die Herbstwolken schon mit ersten Schneeflocken durchsetzt sind. Langsam kühlt meine heiße Begeisterung für den Tag merklich ab.

Schulze lässt ein doofes Räuspern vernehmen. So eines, das unnötig ist, weil da rein gar nichts im Kehlkopf klebt. Es dient nur dazu, Zeit zu gewinnen oder dem Gesagten mehr Gewicht zu verleihen.

»Das wird schon hinhauen«, sagt er, was mich hochgradig beunruhigt. »Ich habe mich natürlich gleich für Sie eingesetzt. Der Vorstand wird in zwei Wochen entscheiden. Bis dahin will er Arbeitsproben von Walker und Ihnen sehen. Wer die bessere Kampagne bringt, gewinnt den Job.«

»Gemeint sind Arbeitsproben aus Projekten, die wir kürzlich umgesetzt haben, oder?«

»Nein, eine neue Kampagne. Die Amis haben ein Problem, wie unser Konzern hier in Deutschland von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Unser Image ist zu wenig seriös, meinen sie.«

Kann ich mir gar nicht erklären: Ein Sex-Booster, hergestellt aus einem Pilz, der eine seltene Raupe befällt, diese von innen her auffrisst und in eine staubtrockene Mumie verwandelt … Was soll daran bitte unseriös sein? »Alles klar. Ich werde eine neue Kampagne vorlegen, die es in sich hat. Frau Walker hat überhaupt keine Chance gegen mich.«

Schulze verzieht seine Lippen zu einem dünnen Lächeln. »Sehr gut, ich bin mir sicher, Sie schaffen das.«

Kapitel 2

Als ich auf meinen Wohnblock zufahre, hat sich meine Stimmung bereits wieder gebessert. Zuversicht glänzt in mir wie eine Speckschwarte. Man muss den Wahrheiten des Lebens eben ins Auge sehen. Wenn die von mir eine Arbeitsprobe haben wollen, dann werde ich eine bringen, dass selbst den Schlipsträgern und Lippenstift-Fetischistinnen in Amiland die Klappe offen steht.

Die nächsten Tage werden nicht leicht werden. Viel Arbeit wartet auf mich. Aber ich werde den Sieg davon tragen. Wieder sehe ich mich in der silbernen Ritterrüstung in einer Umarmung mit Lady Mary. Lächelnd blicke ich auf den Beifahrersitz. Dort liegt ein beeindruckender Strauß roter Rosen, den ich noch im Laden ums Eck besorgt habe. Die gute Nachricht soll auch optisch tadellos rüberkommen.

Ich fahre den Wagen in die Tiefgarage unseres Wohnblockes, der letztmals in den Siebziger-Jahren faltenfrei war. Als ich mich wieder mal zwischen die zwei Karren unserer einparkschwachen Nachbarn zwängen muss, freue ich mich auf ein besseres Leben. Nicht mehr lange werde ich den Bauch einziehen müssen, wenn ich aussteigen will. Die Zeit der beengten Parkplätze wird bald vorüber sein – Gehaltserhöhung sei Dank.

Die Rosen im Arm nehme ich den Aufzug, auch wenn der immer ein wenig nach Fisch riecht. Wir wohnen im zweiten Stock. Das ist eine unangenehme Zwischenhöhe. Kein Garten, in dem die Kinder glücklich Ball spielen könnten. Aber auch kein Penthouse, aus dem der stolze Blick über die Frankfurter Skyline schweift. Wenigstens müssen sich Einbrecher schon ziemlich strecken, wenn sie bei uns über das Fenster einsteigen wollen.

Das Hauptproblem unserer Wohnung ist aber die fehlende Größe, denke ich, während ich die Tür aufsperre, die mit einem liebevoll gestalteten Meier-Katschnigg-Schildchen aus Keramik verziert ist. Wir sind eine Familie von vier Personen, haben aber abgesehen von der Küche bloß noch drei Räume. Quadratmeter sind Mangelware. Der geschätzte Nachwuchs hat ja jeweils ein ganzes Zimmer pro Kopf, aber Maria und ich müssen uns eines teilen. Gemeinsam mit meiner Frau im gleichen Raum zu sein ist ja an und für sich nichts Schlimmes – aber manchmal wäre es gut für meine Sicherheit, ein Versteck zu haben, wenn ein Hurrikan aufzieht. Ich liebe meine Frau, sie mich meistens auch, aber trotzdem hat sie manchmal lautstarke Optimierungsvorschläge bezüglich meines Verhaltens.

Nun aber erwarte ich ausschließlich frohlockende Harfenklänge, wenn ich die Botschaft meiner Beförderung verkünde. Maria wird so glücklich sein, dass wir nun bald die finanziellen Mittel haben werden, unsere Pläne umzusetzen. Keine Amerikanerin wird uns im Weg stehen. Meine innere Zuversicht, den Sieg in diesem transatlantischen Duell davonzutragen, ist zur unverrückbaren Gewissheit herangewachsen.

Dementsprechend samtweich begrüße ich meine Frau, die gerade das Essen zubereitet. Es duftet wunderbar. Wir machen das immer ganz gerecht. Sie kocht grandios, und ich wasche sauber ab, staubsauge und trage den Müll raus – jeder nach seinen Fähigkeiten.

»Hallo, meine Liebe«, hauche ich, gebe ihr einen Kuss in den Nacken und präsentiere den Rosenstrauß.

Maria sieht super aus, das denke ich mir jedes Mal, wenn ich sie sehe. Also täglich. Die Traumfigur und das volle dunkel glänzende Haar. Sie ist wunderbar. Ich bin ein glücklicher Mann. Dafür nahm ich einst diesen Nachnamen gern in Kauf.

»Puh, hast du mich erschreckt«, sagt Maria und greift sich ans Herz. »Wieso schleichst du dich denn so an mich heran?«

Mit einem Zwinkern sage ich: »Sorry, ich musste es einfach tun.«

»Mir ein Bussi an den Hals drücken?« Sie lächelt. »Hat mir gefallen.«

Ich wäre wohl ein oberflächlicher Macho, wenn mich ihr einnehmendes Wesen nicht noch mehr faszinieren würde als ihr tolles Aussehen. Maria umgibt eine warme, herzliche Aura, nicht unerheblich verursacht durch ihre leicht österreichische Sprachfärbung.

»Schatzi, danke für die Rosen«, sagt sie mit süß-ironischem Augenaufschlag, nimmt sie entgegen und hat auch schon eine Vase parat, um sie mit Wasser zu versorgen. »Ist heute irgendein Jahrestag, oder hast du etwas angestellt?«

Ich will sie neugierig machen und schaue statt einer Antwort interessiert in den dampfenden Topf. »Was wird denn das Leckeres?« Maria ist eine Köchin, bei der einem das Wasser im Mund zusammenläuft.

»Ritschert«, sagt sie tadelnd. »Solltest aber schon kennen.«

Stimmt, jetzt kann ich den Eintopf aus Gerste, Bohnen und Selchfleisch richtig einordnen. Eine kulinarische Offenbarung, die bei allen in der Familie beliebt ist.

»Leiwand«, sage ich. Ein paar Brocken Österreichisch habe ich nach den vielen Jahren Ehe schon drauf.

»Leiwand kannst zu einem Ritschert echt nicht sagen«, protestiert Maria und funkelt mich an. »Das ist eine Kärntner Spezialität und kein Wiener Schnitzel.«

Da sieht man wieder, dass man mit Halbwissen meist blöd aussteigt. Aber rasch will ich nun zu etwas kommen, das mich wieder besser aussehen lässt: meinen kometenhaften Aufstieg, der in Gänze unserer Familie zugutekommt.

»Heute ist was Tolles passiert«, sage ich und strecke stolz die Brust heraus.

»Hast dich beim Rasieren einmal nicht geschnitten?«, fragt Maria grinsend.

Mein Gott, wie sie so kleine Malheure beim Nassrasieren aber auch immer aufwärmen muss. »Besser«, sage ich.

»Bin gespannt.«

Ich lasse noch einen Moment Stille walten, die sich, zumindest in meinen Ohren, mit Trommelwirbel füllt. »Ich werde befördert«, rufe ich schließlich eruptiv aus.

Maria reißt die Augen auf. »Echt? Das ist ja voll lässig! Wie kommt das plötzlich?«

»Mein Chef macht die Fliege. Er schwirrt nach Asien ab.«

Maria strahlt. Mein Herz erwärmt sich. Ich möchte wieder »Ein Hoch auf dieses Lääääbään« singen.

»Und das ist schon ganz sicher?«, fragt meine liebe Frau.

Gut, dazu hat sie jedes Recht. So ein großer Sieg will ja nicht auf Sand gebaut sein.

»Ja, steht praktisch fest.«

»Praktisch?« Maria hört auf, im Topf zu rühren und kneift die Augenlider zusammen.

Sie tut das gern, wenn sie Dinge genauer hinterfragt. Und das auch zeigen will. Macht mich das nervös? Kein bisschen. Oder … doch. Messerscharfe Intelligenz, zu militanten Streifzügen neigend, wohnt in diesem hübschen Kopf.

Ich schlucke. »Gut, ich muss noch einen Kampagnenentwurf abgeben. Formsache eigentlich.«

»Eigentlich?«

»Ja, also die haben da so eine Amerikanerin, die glaubt, mit mir mithalten zu können.« Ich lache auf. »Aber kein Problem. Ich haue die nächsten zwei Wochen arbeitsmäßig voll rein, dann habe ich eine Präsentation, die nicht zu überbieten ist.«

Ich kann es nicht gleich deuten, was sich in Marias Gesicht abspielt. Es sind undefinierbare Zuckungen. Auf jeden Fall sträuben sich meine Nackenhaare, als sie den Kochlöffel weglegt und zur Decke starrt.

Der Blick, mit dem sie mich dann ansieht, bringt meine Eingeweide dazu, sich zu verknoten.

»Bist du deppert?«, sagt sie ganz leise.

»Wieso deppert?«, frage ich erstaunt, wobei das Wort bei mir echt bescheuert klingt.

Sie stemmt die Arme bedrohlich in die Hüfte. »Hast du vergessen, dass wir am Samstag auf Urlaub fahren?«

Urlaub? Urlaub? Übermorgen? Hektisch durchforstet mein Gehirn die verstaubten kognitiven Regale, in denen so etwas doch abgespeichert sein müsste. Es findet eine schrumpelige, halb verdaute Information, auf der schon der Schimmel wichtigerer Dinge wächst.

»Äh, stimmt«, höre ich mich sagen. »Wir hatten da lose was besprochen.«

Maria nimmt den Kochlöffel und treibt mich damit ein paar Schritte zurück. »Nicht lose, mein Schatzi, wir haben das fixiert. Hast du Alzheimer?«

»Hoffe nicht.«

»Na, dann kannst du dich sicher erinnern, was wir ausgemacht haben. Wir nehmen uns beide frei und ich überrasche dich mit einem Urlaubsziel.«

»Ja, aber…«

»Es war total schwer, Urlaub zu kriegen, du kennst ja die Zustände bei uns im Krankenhaus!«

Das geht in eine ganz böse Richtung.

»Die Schwarzmann und die Busch hätten mich beinahe umgebracht!«, ereifert sie sich. »Die wollten selber auf Urlaub gehen!«

Maria hat mir schon öfter von ihren tollwütigen Kolleginnen erzählt. Es dürfte unter Krankenschwestern das Recht der Stärkeren gelten. Wenn der Dienstplan geschrieben wird, vergessen sie ihren pflegend-heilenden Auftrag, und jede Amazone packt ihr Waffenarsenal aus: Messer, Säbel und Pistolen. Dann wird gefightet, und nicht wenige Leichen pflastern den Weg zur finalen Urlaubseinteilung.

»Der Urlaub lässt sich also nicht verschieben?«, frage ich vorsichtig.

Maria frisst mich förmlich. Ihre dunkelbraunen Augen können so heiter und einladend wie Schokomousse sein, aber auch – wie eben jetzt – tief und vernichtend wie ein schwarzes Loch.

»Also nicht«, gebe ich mir leise selbst die Antwort.

Maria schreitet aufgebracht in der Küche auf und ab. »Denkst du auch mal an die Kinder, Joachim?«

Sie nennt mich beim Vornamen, das ist Alarmstufe Rot!

»Weißt du, wann wir das letzte Mal einen Familienurlaub gemacht haben?«, fragt sie mich.

Ich mache eine vage Handbewegung, während sich mein Gehirn wieder in den Regalen verläuft.

Sie hebt drohend den Kochlöffel. »Das ist fast zwei Jahre her. Wir müssen als Familie wieder was gemeinsam machen. Sonst haben wir ein Problem miteinander. Das siehst du ja nicht einmal, weil du eh nie was checkst.«

Was für ein Albtraum. Ich bin total in der Defensive. Statt gefeiert zu werden, werde ich fast gefeuert – beziehungstechnisch. »Du tust gerade so, als würde ich bloß zum Spaß arbeiten!«, protestiere ich.

»Nicht?«

»Das ist jetzt meine Chance, Maria. Ich will auch mal an den Lenker. Immer nur das Pedal zu sein, in das die anderen reintreten, ist auf die Dauer auch nicht erfüllend.«

Maria sieht mich misstrauisch an, versucht offensichtlich, die etwas krumme Metapher zu übersetzen. Eigentlich sollte sie wissen, dass ich schon länger nicht mehr zufrieden war mit dem ewigen Pressemitteilungen-Schreiben, diesem und jenem Journalisten in den Arsch zu kriechen und kritische Anfragen der Öffentlichkeit zu entschärfen. Ja, ich geb’s zu, es würde mich nicht stören, selbst mal was zu sagen zu haben.

»Ich mache das ja vor allem für uns«, flüstere ich beinahe. »Wir wollen doch ein Haus bauen, dafür brauchen wir mehr Geld.«

Sie schüttelt den Kopf. »Du hast einfach das Wesentliche nicht im Blick«, sagt sie dann. »Wir brauchen kein Haus bauen, wenn es keine Familie mehr gibt, die in das Haus einziehen kann.«

Sie sieht mich mit einem traurigen Blick an. Das ist viel schlimmer, als wenn sie mich verbal verprügelt.

»Du hast doch«, sagt Maria und ihre Augen werden feucht, »in letzter Zeit immer zu tun gehabt, wenn wir wo hinwollten. So viele Überstunden, wozu denn? Was willst du beweisen?«

Ich kann nur schweigen.

»Diesmal, Joachim, diesmal gebe ich nicht nach. Diesmal muss der Urlaub sein. Für uns. Ich meine das ernst.«

Ich erkenne, dass hier weiterer Widerstand zum Atomkrieg führt. Wer weiß, vielleicht rennt sie davon. Vielleicht lässt sie sich scheiden. Ist alles möglich. Sie ist unberechenbar, das mag ich ja auch so an ihr.

Ich nicke und senke den Kopf. Falls ich noch irgendeine Chance habe, aus der Sache lebend rauszukommen, muss ich Verbündete suchen. Zu diesen mache ich mich nun auf. Langsam und still verlasse ich die Küche.

Kapitel 3

Zunächst versuche ich es bei Karla. Unsere Tochter ist in einer kritischen Phase. Diese hat mit zwölf begonnen und setzt sich nun schon ein Jahr fort. Wird kein einfaches Gespräch, aber ich muss mich mit beiden Armen an den letzten Grashalm hängen.

Als ich das Zimmer betrete, stolpere ich gleich mal über eine unordentlich aufgestellte Ansammlung von kleinen Blumentöpfen, in denen grüne Stängel ihre Köpfe aus der Erde strecken.

Karla, auf dem Bett liegend, reißt sich die Kopfhörer aus den Ohren und kreischt auf. »Mein Experiment!«

»Wo?«, frage ich.

»Na da!«, ruft sie und zeigt aufgebracht auf zwei umgestürzte Töpfe, aus denen sich Erde gelöst und auf dem Boden verteilt hat.

»Wieso baust du eine Mauer auf?«, frage ich zurück. »Willst du uns damit etwas sagen? Bin ich ein Mexikaner, den du nicht reinlassen willst?«

»Ich habe das aus dem Internet«, erklärt sie und springt auf. »Damit kann man sehen, unter welchen Bedingungen die Bio-Sojabohnen am besten austreiben.«

Ich blicke auf ein neues Poster an der Wand. Es zeigt einen Eisbären, der gerade im schneebedeckten Untergrund einbricht. Darunter steht: Ganz dünnes Eis.

Die Leiden der unschuldigen Umwelt stehen derzeit ganz oben auf Karlas thematischer Liste. Schuld war eine Doku, die wir blöderweise gemeinsam angesehen haben. Darin waren so viele ökologische Todsünden angeprangert worden, dass Karla neben mir innerhalb von neunzig Minuten zu einer zweiten Greta Thunberg mutiert ist.

Dass die Gletscher abschmelzen und wir hier in den nächsten hundert Jahren vielleicht bis zum Hals unter Wasser stehen, ist tragisch. Aber solange ich halbwegs sauerstoffreiche Luft bekomme, mit der ich meine grauen Zellen in Betrieb halten kann, wähle ich einen fröhlicheren Zugang. Immerhin muss ich Karla auf meine Seite ziehen. Sie ist eine interessierte, problemfreie Gymnasiastin, also frage ich: »Was macht die Schule?«

»Du weißt schon, dass wir ab Montag Sommerferien haben?«

»Natürlich«, antworte ich mit Pokerface. Hätte ich es gewusst, wäre wohl meine Überraschung über Marias Urlaubspläne nicht ganz so heftig ausgefallen. Es hängt ja alles über mysteriöse Kanäle zusammen. Kinder. Schulferien. Urlaub. Klar können wir nur dann Frankfurt den Rücken kehren, wenn auch unser Nachwuchs keine Vermisstenmeldung durch die Schulbehörde auslöst.

»Dann kannst du dir ja vorstellen, was lernmäßig jetzt noch los ist«, sagt Karla mit einem Augenrollen. »Genau nix. Bin aber eh gerade enttäuscht von der Schule. Denn die wichtigen Sachen des Lebens bringen sie uns nicht bei.«

»Die wären?«

»Wie man zum Beispiel Strom sparen kann. Da bist du übrigens auch kein Vorbild für mich.«

»Wieso das denn?«

Karla verdreht die Augen. »Du lässt im Bad immer das Licht brennen. Völlig unnötig.«

»Das hält die Ratten fern«, scherze ich. Unser Bad ist schwer renovierungsbedürftig. Die Fliesen sehen aus, als hätten sie noch Elvis Presley erlebt. Aber all das wird sich mit den neuen Einkommensströmen, die sich golden am Horizont ihren Weg bahnen, eklatant bessern.

Ich gehe auf die Knie und schaufle gewissenhaft die Erde in die Töpfe zurück. Auf keinen Fall will ich mal in Karlas autorisierter Biografie lesen, dass ihr Vater das Bio-Soja-Experiment sabotiert hatte und die Menschheit nur deshalb den Planeten verlassen musste.

Dann setze ich mich mit einem gewinnenden Lächeln an ihr Bettende und frage: »Bestimmt freust du dich schon auf nächste Woche, wenn ihr endlich frei habt.«

Karla runzelt die Stirn.

»Du kannst ja dann alle deine Freundinnen treffen«, male ich ihr ein wunderbares Bild, in der ein Urlaub auswärts keinen Platz hat. »Dann habt ihr endlich mal Zeit miteinander.«

Karla fragt sich wohl, worauf diese weltfremde Vater-Tochter-Konversation hinausläuft. Sie wirft mir einen forschenden Blick zu. Sie hat die Augen ihrer Mutter.

»Wir können auch mal in den Zoo gehen, wenn du möchtest«, schlage ich vor. »Das hast du doch immer so gern gemacht.«

Sie verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. »Eingesperrte Tiere, die mit Gewalt aus ihrer natürlichen Umgebung geraubt wurden – das ist echt zum Kotzen. Weißt du, was die durchmachen, wenn die Tierhändler sie in die Finger kriegen?«

Als Fünfjährige war sie einfacher. Aber gut, logischerweise entwickeln sich Kinder. Somit verwerfe ich die Idee, vom Ponyreiten anzufangen.

»Auf jeden Fall wäre es doch toll, wenn wir uns ein paar gemütliche Tage daheim machen«, schlage ich vor.

»Was redest du die ganze Zeit? Mama meinte, dass wir am Samstag in den Urlaub fahren. Bloß das Ziel hat sie noch nicht verraten.«

Natürlich! Wie dumm von mir, selbstverständlich hat Maria auch bei ihren Sprösslingen einen wohlüberlegten Spannungsaufbau betrieben.

»Ach, es ist doch eh nervig, mit den Eltern auf Urlaub zu sein, oder?« Ich zwinkere ihr zu.

Daraufhin zeigt sich wieder einmal, dass nur eines bei Kindern sicher ist: dass sie nie tun, was man gerade erwartet.

»Freue mich irgendwie schon auf den Trip mit euch«, sagt sie und sieht zur Decke, als fände da oben ein Malediven-Traumbadeurlaub im Fünfsternehotel statt.

Das hältst du doch nicht aus. Ist es normal, dass eine Dreizehnjährige darauf aus ist, mit ihren Eltern in den Urlaub zu fahren? Sollte die nicht pubertär herumspringen und protestieren, ihren Freiraum einfordern, sich kreischend gegen geplante Aktivitäten stemmen? Sind die Teenager heute so?

Ich stehe auf, geschlagen, und murmle: »Ja, das wird wirklich nett.«

Karlas verwunderten Blick kann ich im Rücken spüren, als ich das Zimmer verlasse.

Der erste Versuch, Verbündete zwecks Urlaubsvermeidung auf meine Seite zu ziehen, war so erfolgreich wie die Jungfernfahrt der Titanic. Zum Glück muss ich nur einmal über den Flur – der ist in unserem Zwergenbau nicht sehr weitläufig –, und schon stehe ich vor der Tür meines geschätzten Sohnes. Darauf klebt ein Sticker: EAT-SLEEP-GAME-REPEAT.

Die Tür ist verschlossen. Von drinnen höre ich Schüsse und Schreie. Ich hämmere gegen das Holz. Oh, mein Gott, wird da jemand ermordet? Klar, hundertfach. Bestimmt spielt Moritz wieder Fortnite. Eines von diesen perversen Ballerspielen. Er hat es mir mal erklärt: Dabei werden die Spieler auf einer Insel abgesetzt und müssen sich gegenseitig das Lebenslicht mit diversen Waffen ausknipsen. Die Insel wird immer kleiner, sodass man sich nicht auf Dauer ausweichen kann. Das nenne ich mal sozialen Druck. Sieger ist, wer alle anderen abgeschlachtet hat. Der kann dann auf seiner mickrig kollabierten Insel im Blut waten und sich tierisch freuen.

Gerade als ich mich noch mal bemerkbar machen will, höre ich von drinnen ein »Shit!«. Schritte, dann dreht sich der Schlüssel im Schloss.

»Echt, Mann«, schnauzt mich Moritz an. »Das war jetzt so was von unnötig. Du hast mich mega abgelenkt.«

»Bist du gestorben?«, frage ich mitfühlend.

»So kann man es ausdrücken – wenn man ein kompletter Noob ist.«

Er dreht sich um und schlurft in sein Zimmer. Wann hat es eigentlich angefangen, dass er so einen Buckel macht? Er ist jetzt sechzehn Jahre alt, und ich glaube, mich zu erinnern, dass seine Haltung mit vierzehn vergleichsweise aufrecht war. Er findet es vermutlich notwendig, seine Wirbelsäule nicht mehr gegen die Schwerkraft ankämpfen zu lassen, um damit seiner Abscheu gegenüber der Spießigkeit der Erwachsenenwelt Ausdruck zu verleihen. Ich finde, es lässt ihn wie Quasimodos Bruder aussehen. Was in weiterer Folge bedeuten würde, dass ich Quasimodos Vater bin – verwirrendes Gedankenspiel.

Ich folge Moritz. EAT-SLEEP-GAME-REPEAT, denke ich. SHOWER ist bei diesen Tätigkeiten nicht aufgezählt. Was den Mief im Zimmer gut erklärt.

Zwei Monitore sind in dieser Gamer-Höhle, in der die Fenster zum Schutz vor dem möglichen Eindringen von Sonnenstrahlen mit schweren Vorhängen verbarrikadiert sind, die prominentesten Elemente. Man muss ihm zugutehalten, dass er einen Ferienjob gemacht hat, um sich diese zwei Prachtdinger anzuschaffen. Dafür hat er seine Eltern nicht angezapft.

Moritz lässt sich schwer auf seinen an den Seiten-, Rücken- und Armlehnen verstärkten Gaming-Stuhl fallen. Bei mir löst das Teil immer Gänsehaut aus. Irgendwie gibt es mir das Gefühl, wir befänden uns in der Zukunft, in der die Menschen als zurückgebildete, weitgehend bewegungsunfähige Kreaturen das Haus nicht mehr verlassen. Jeder verkümmert in so einem Stuhl und hat einen humanoiden Roboter in der Außenwelt, den er fernsteuern kann. Der geht dann für den Besitzer arbeiten, einkaufen und zu romantischen Dates.

»Gibt’s was Spezielles oder wolltest du mir bloß mein Gameplay versauen?«, fragt Moritz mit hochgezogenen Augenbrauen.

Suchend blicke ich mich um. Gern hätte ich mich gesetzt, aber der futuristische Gaming-Stuhl ist vergeben, und auf der Couch liegt ein undurchdringliches Gemisch aus Computerzeitschriften, externen Festplatten, Kontrollern und sicherlich zu lange getragener Wäsche.

»Der Urlaub hat wohl alle deine Pläne über den Haufen geworfen«, sage ich kumpelhaft, weiterhin stehend.

»Hä?«, antwortet Moritz eloquent.

»Na, das wird doch total blöd, wenn du nicht hier in Frankfurt sein kannst.« Moritz kratzt sich am Hinterkopf. Er könnte auch mal wieder zum Friseur, finde ich. Die Locken sind ja irgendwie spannend, aber fangen an, sich wie lebendig gewordene Korkenzieher zu verhalten. Da sollte etwas mehr Ordnung rein. »Du wolltest doch bestimmt wieder an so einem E-Sports-Turnier teilnehmen«, will ich ihm auf die Sprünge helfen. Das Wort Sport in Zusammenhang mit Zocken, also dem hektischen Fummeln auf Tasten und kleinen Hebeln, kommt mir nur widerstrebend über die Lippen.

»Werde ich auch«, meint er. »Es ist aber egal, wo ich da bin. Solange ich eine Breitband-Internet-Verbindung habe, mindestens achtzig Megabit pro Sekunde und der Ping nicht über achtzehn Millisekunden liegt, gibt es zero troubles diesbezüglich.«

Verstehe. Die Welt ist zum globalen Dorf geworden, Internet sei Dank.

»Ein Familienurlaub«, sagt er und grinst bei diesem Wort ironisch, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Statt mich anzusehen, checkt er irgendwelche rasch hereinströmenden Nachrichten auf einem seiner Bildschirme. »Bin gespannt, was Mama Krasses geplant hat.«

Ich nicke. »Bin ich auch.«

Moritz ist in seinen Wasserfall aus Messages abgetaucht. Ich bin nicht sicher, ob er noch weiß, dass ich hier bin. In ihm finde ich jedenfalls auch nicht die entscheidende Unterstützung, um das Projekt Urlaub zu sabotieren. Meine beiden Kinder haben mich überrascht. Sie scheinen tatsächlich Bock darauf zu haben, mit uns Nicht-mehr-ganz-so-Jungen zu verreisen. Wer hätte das gedacht?

Ich stehe weitgehend ratlos herum, werde aber aktiviert, als aus der Küche eine leicht angespannte Stimme an mein Ohr dringt: »Vielleicht kann mir ja jemand beim Aufdecken helfen, das wäre sehr, sehr nett!«

Kapitel 4

Beim Abendessen herrscht Schweigen, all unsere Energie geht in die Nahrungsaufnahme. Wir schaufeln das Ritschert in uns hinein, Schwarzbrot liegt neben unseren Tellern. Es gibt Stille, die angenehm ist, zum Beispiel nach einem Rockkonzert der Toten Hosen. Aber diese Stille jetzt ist gefüllt mit dem Gift von Marias Enttäuschung. Sie ist echt ganz schön sauer auf mich.

»Euer Vater hat den Urlaub vergessen«, sagt sie schließlich unvermittelt.

Die Kids futtern unbeeindruckt weiter.

»Siehst du«, sagt Maria mit einem wissenden Nicken, »das wundert hier niemanden.«

»Also, was kann ich zu meiner Verteidigung sagen?«, beginne ich.

»Am besten gar nichts«, meint Karla. Es scheint ein ernst gemeinter Rat zu sein.

Also genehmige ich mir noch ein paar Löffel Ritschert und betrachte Moritz. Er hängt gebuckelt über seinem Teller, als würde sein ausdrucksloses Gesicht gleich in den dampfenden Brei fallen.

Und weiter diese angespannte Stille. Das sägt an den Nerven. Ich sehe mich um. Von den Rosen keine Spur mehr. Die sind versteckt oder entsorgt.

»Schuldig im Sinne der Anklage«, breche ich schließlich ein und lege den Löffel weg.

Maria sieht mich forschend an.

»Aber logischerweise«, sage ich, »werde ich meinen Fehler gutmachen. Ich gehe gleich morgen zu meinem Chef und nehme mir zwei Wochen frei.«

»Geht das so einfach?«, nuschelt Moritz mit vollem Mund.

»Die PR-Abteilung ist gut besetzt. Da gibt es mindestens vier Mitarbeiter, die meinen Job machen können, wenn ich nicht da bin.« Ich werfe Maria einen vielsagenden Blick mit klarer Botschaft zu: Ich hätte mich ja um einen Premium-Job bemüht, in dem ich unersetzlich bin, aber gewisse Leute stehen mir bei diesem Vorhaben im Wege.

»Gut«, sagt Maria.

Mit nur einem Wort hat sie meine Beförderung, mehr Gehalt, unser Haus, all die Verbesserungen in unserem Leben, einfach weggewischt. Ich sehe sie an. Was geht in ihrem Kopf vor? Gibt es da wirklich etwas, das sich meiner eingeschränkten Wahrnehmung entzieht, was mehr wiegt und von fundamentalistischer Dringlichkeit ist?

»Jetzt sind wir aber total gespannt, wo wir hinfahren werden!«, sagt Karla.

Maria lächelt. »Vorher wird aufgegessen.«

Erst als die Teller geleert sind und auch noch ein Schoko-Pudding vernichtet wurde, lüftet meine Frau das Geheimnis.

»Ich hab eine ganze Zeit lang Ziele gewälzt«, meint sie. »Spanien war dabei, auch italienische Strände und die Côte d’Azur.«

Das klingt in gewisser Weise vielversprechend. Wenn schon ein komplett unvernünftiger Urlaub, dann wenigstens an einem geilen Ort. Einen Cocktail in der Hand, Blick auf das glitzernde Meer, warmer Wind und Freiheit, wohin das Auge reicht. Ist das etwa Vorfreude, die sich in mir breitmacht?

»Doch dann habe ich mich plötzlich an einen Urlaub aus meiner Kindheit erinnert.«

Ich stutze. Maria hat sich doch immer beklagt, dass sie als Kind nie richtig rausgekommen sei.

»Also«, sagt sie, »habe ich beschlossen, dass wir als Familie dasselbe Abenteuer unternehmen wie ich damals. Wir werden ein Zelt aufschlagen an einem Campingplatz direkt am Wörthersee!«

Es dauert etwas, bis die Information bei uns einsickert. Den Kids hängt die Kinnlade herunter. »Kärnten?«, fragen sie fast gleichzeitig und mit identischer Entgeisterung.