Carlsen Clips: Auf dich abgesehen - Daniel Höra - E-Book

Carlsen Clips: Auf dich abgesehen E-Book

Daniel Höra

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Beschreibung

Robert weiß nicht weiter. Nachdem irgendjemand ihm das Ausplaudern eines Geheimnisses in die Schuhe geschoben hat, scheint ihn die ganze Klasse zu verachten. Doch was zunächst wie ein harmloser Scherz beginnt, eskaliert schließlich in einer Spirale aus Gewalt und Hass, aus der es für Robert bald kein Entkommen mehr gibt. --- Daniel Höra erzählt realistisch und schnörkellos gut!

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Daniel Höra: Auf dich abgesehen

Robert weiß nicht weiter. Nachdem irgendjemand ihm das Ausplaudern eines Geheimnisses in die Schuhe geschoben hat, scheint ihn die ganze Klasse zu verachten. Doch was zunächst wie ein harmloser Scherz beginnt, eskaliert schließlich in einer Spirale aus Gewalt und Hass, aus der es für Robert bald kein Entkommen mehr gibt.

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1

Vor drei Monaten, an einem Sonntagnachmittag im Mai kurz nach 17 Uhr, bin ich gestorben. Ich war mausetot.

Das muss man sich mal vorstellen, schneller als ein Blinzeln bist du weg vom Fenster.

Allerdings war ich nicht wirklich tot – es gab keine Leiche oder so. Ich starb einen anderen Tod, der nicht weniger endgültig ist: Ich war plötzlich abgemeldet bei meinen sogenannten Mitmenschen. Erledigt, fertig und aus. Keiner wollte mehr etwas mit mir zu tun haben oder mit mir gesehen werden. Ich wurde zum Schattenwesen und das kommt dem Tod ziemlich nahe.

Dabei fing die Geschichte ganz harmlos an. Mit einer Party kurz vor den Sommerferien. Unsere Klasse hatte eine Kneipe gemietet, das „Irre“ in der Oranienstraße, in der Nähe unserer Schule.

Die Straßen Kreuzbergs waren voller Leute um diese Zeit. Touristen und Einheimische schoben sich hordenweise über die Bürgersteige. Checker machten am Straßenrand ihre Geschäfte. Das war mein Kiez, hier war ich aufgewachsen. Hier kannte ich jede Straße und jedes Haus und jede Menge Leute. Kreuzberg war ein Dorf und gleichzeitig der Mittelpunkt der Welt. Niemals würde ich von hier wegziehen.

„Ey, du Schwuchtel, bleib mal stehen“, rief eine Stimme hinter mir und ich drehte mich langsam um. Ein BMX-Fahrer kam auf mich zugerast und machte dabei eine drohende Handbewegung in meine Richtung. Ich hob die geballten Fäuste. Die Touris sahen uns erschrocken aus den Augenwinkeln zu, vermutlich erwarteten sie jeden Moment ein Blutbad.

Der BMX-Typ bremste dicht vor mir. Wir standen wie zwei Pistoleros in einem Westernfilm da und starrten uns an. Dann musste ich grinsen, der Typ ebenfalls. Wir fielen uns in die Arme und taten, als hätten wir uns ewig nicht gesehen. So eine Show lieferten mein bester Freund Bix und ich öfter ab. Eigentlich hieß Bix Titus, aber Peppy hatte ihm in einem bekifften Moment diesen Spitznamen verpasst wegen seines Rades. Außerdem hasste Bix seinen richtigen Namen. „Ich bin ein römischer Kaiser und ihr müsst mir dienen“, sagte er immer, wenn ihn jemand Titus nannte.

Ich kletterte auf die Hinterstützen von Bix’ Rad, hielt mich an seinen Schultern fest und dann rasten wir los. Vor dem „Irre“ standen schon ein paar aus unserer Klasse. Wir begrüßten Peppy, Noel, Gaspard und die beiden Oktay-Geschwister, Nurai und Mehmed.

„Na endlich, ihr Säcke“, rief Peppy laut und grinste breit. „Haltet euch ran, ist nicht mehr viel da.“ Er war schon ziemlich hinüber und schwenkte sein Glas mit einer grünen Flüssigkeit drin. „Rotz“, so nannten wir das Zeug: Wodka und grünes Brausepulver. Das „Irre“ hatte extra für uns ein paar Liter davon gemischt. Aber man musste ziemlich aufpassen, denn der Wodka machte einen reichlich besoffen, während das Zuckerzeug einen aufputschte. Fiese Mischung. Ich durfte nicht zu viel davon trinken, ich hatte schließlich am nächsten Tag ein wichtiges Basketballspiel. Ich spielte bei Lok Kreuzberg – dem Kreuzberger Verein. Wir spielten in der Oberliga, da durfte man sich keine Schwächen erlauben, sonst war man draußen. Hin und wieder tauchten die Talentscouts vom Profi-Club ALBA BERLIN auf. Die meisten von uns wollten später mal ins Profilager wechseln. Deshalb nahm ich den Sport auch ziemlich ernst, achtete auf meine Ernährung und schlug selten über die Stränge. Ich trank sowieso kaum Alkohol, weswegen mich die anderen auch immer hochnahmen. Aber bei einer Party konnte ich mich schlecht rausreden, und als Peppy mir ein Glas Rotz in die Hand drückte, stieß ich mit den anderen an und nippte zweimal. Später würde ich den Inhalt irgendwo unbeobachtet entsorgen.

Wir tanzten, wir tranken, ich mittlerweile Wasser, dann ging ich mit Bix und Peppy raus, um ihnen beim Kiffen zuzusehen. „Annika sieht heute echt scharf aus“, sagte Peppy. Bix und ich grinsten uns an. Wir wussten, dass Peppy auf sie stand.

Als wir wieder drin waren, legte ich mein Handy auf einen Tisch neben dem Tresen, weil es in meiner Hosentasche drückte. Hier würde es niemand klauen.

„Coole Party“, schrie mir Bix ins Ohr und legte mir seinen Arm um die Schulter. Von der anderen Seite umarmte mich Peppy und dann versuchten sie eine Polonaise mit mir zu tanzen. Ich schüttelte sie lachend ab und tanzte näher an Mieke heran, die ich ziemlich aufregend fand. Sie kam aus Holland und war als Gastschülerin für ein Jahr bei uns an der Schule.

„Hey“, rief sie und tanzte etwas näher. „Bix und Peppy sind schon ganz schön trunken“, sagte sie mit ihrem niedlichen Akzent.

Sie war dicht an meinem Ohr, wobei ich rot wurde, weil wir uns noch nie so nah gewesen waren. Wir sahen den beiden zu, die sich aneinander festhielten, dabei versuchten das Gleichgewicht zu halten, und grinsten uns an. Ich wollte was Witziges sagen, aber mir fiel nichts ein.

„Schon ganz schön spät“, sagte Mieke plötzlich. „Ich muss gleich gehen.“

„Ich auch“, sagte ich und nahm all meinen Mut zusammen, um Mieke zu fragen, ob ich sie nach Hause bringen dürfe. Sie lächelte.

„Das wäre nett, aber meine Gastmutter kommt mich gleich abholen“, sagte sie. Ich winkte ab. „Hey, du könntest doch mitfahren“, schlug Mieke vor. „Wir setzen dich zu Hause ab.“

Ich ging mit Mieke vor die Tür, um auf ihre Gastmutter zu warten. Nachdem wir uns noch ein bisschen über die Party unterhalten hatten, schwiegen wir und sahen jeder in eine andere Richtung. Ich beobachtete Mieke verstohlen aus den Augenwinkeln. Ihr kupferfarbenes Haar leuchtete im Schein der Laternen. Direkt auf der Nasenspitze hatte sie vier Sommersprossen sitzen, die wie ein Halbmond angeordnet waren. Ich lachte, weil ich an eine Bande von Maikäfern denken musste, die im Kreis hockte, um Unsinn auszuhecken.

„Was ist?“, fragte Mieke und lachte ebenfalls.

„Nichts“, sagte ich und musste noch mehr lachen. Mieke richtete ihre grünen Augen auf mich.

„Du lachst mich doch nicht etwa aus?“, fragte sie.

„Das würde ich nie“, sagte ich ernst.

Mieke drohte mir scherzhaft mit dem Zeigefinger. Gerade wollte ich etwas sagen, da lenkte uns der Lärm von der Oranienstraße ab: Ein schwarzer, fetter BMW hatte in der zweiten Spur gehalten und der Fahrer telefonierte in aller Seelenruhe. Das wütende Hupen der Wartenden ignorierte er einfach. Unwillkürlich tastete ich nach meinem iPhone, fand aber nur eine leere Hosentasche. „Muss noch mal rein“, sagte ich zu Mieke und zwängte mich noch einmal in den schlauchartigen Raum vom „Irre“. Das Handy lag genau da, wo ich es hingetan hatte, und schien auf mich zu warten. Ich steckte es ein und winkte Bix und Peppy zu, die Arm in Arm über die Tanzfläche wankten.

Inzwischen war Miekes Gastmutter Ute angekommen. „Ah, da ist er ja“, sagte sie und beugte sich über die Rückbank, um mir die hintere Tür zu öffnen.

„War es schön?“, wollte Ute wissen, als sie angefahren war.

„Ja“, sagten Mieke und ich wie aus einem Mund und mussten lachen. Ich überlegte krampfhaft, wie ich Mieke zum morgigen Spiel einladen könnte, traute mich aber nicht wegen Ute. Wie würde das denn aussehen?

Ich blickte auf mein Handy, das ich noch immer in der Hand hielt, und noch ehe ich darüber nachdachte, ging ich aufs Textfeld, tippte ein paar Worte ein und schickte sie ab. Kurz darauf piepte Miekes Handy, worauf sie in ihrer Handtasche kramte.

„Na, wer schreibt dir denn so spät“, fragte Ute lächelnd. „Ein Verehrer etwa?“

Mieke lachte und sah auf ihr Handy. Sie las, stockte, las noch einmal und fing an eine Antwort zu tippen. „Das ist von Nurai wegen Mathe“, sagte sie währenddessen.

„Meine Güte, seid ihr langweilig“, sagte Ute. „Ihr kommt gerade von einer Party und tauscht euch wegen Schulkram aus?“

„Liebe Ute, deswegen ist auch nichts aus dir geworden“, sagte Mieke. Ute hatte eine Galerie in Kreuzberg und war sehr erfolgreich. Sie gab Mieke einen freundschaftlichen Klaps aufs Bein.

Mieke sah wieder auf ihr Handy, tippte einen letzten Buchstaben und drückte auf Senden.

Schnell versuchte ich noch auf lautlos zu schalten, doch zu spät, mein Telefon piepte und Ute, die mich im Rückspiegel ansah, fragte gespielt gelangweilt: „Sag es nicht. Es geht um Physik.“

„Fast“, antwortete ich. „Chemie.“

Ute verdrehte die Augen. Ich sah erneut auf mein Display. Da stand es, schwarz auf weiß: Sehr gern hatte Mieke geschrieben.

„Was seid ihr bloß für kleine Spießer“, sagte Ute und fuhr über eine rote Ampel.

2

Ich erwachte ziemlich gerädert, aber als ich an das bevorstehende Basketballspiel dachte, war ich schnell wach.

Im Wohnzimmer waren Mum, Papa und mein kleiner Bruder Flo bereits um den Frühstückstisch versammelt. An den Sonntagen frühstückten wir immer gemeinsam, darauf legten unsere Eltern Wert. In der Woche gingen wir oft getrennte Wege, weil alle ihren Tag zu unterschiedlichen Zeiten begannen. Manchmal maulte ich über den Sonntagsfrühstück-Zwang, aber eigentlich mochte ich es.

„Na, schön gewesen gestern Abend?“, fragte Mum, während sie mir einen Kakao eingoss.

„Sehr schön“, sagte ich und grinste übertrieben.

„Man siehtʹs dir an“, sagte mein Vater grinsend. „Sieh bloß zu, dass du zum Spiel fit bist.“ Ich nickte. Er hätte es gern gesehen, wenn ich Profi geworden wäre. Er hatte früher auch mal Basketball gespielt, war aber zu schlecht für eine Profikarriere, was ihn noch immer wurmte.

Jetzt hatte er ein schlecht laufendes Architekturbüro und lief ständig erfolglos Aufträgen hinterher. Das meiste Geld brachte Mum ins Haus.

Nach dem Frühstück fuhr ich zur Halle. Wir machten uns warm und warteten auf Johnny, unseren Trainer. Nach und nach trafen ein paar Zuschauer ein, wobei ich hoffte Mieke zu sehen, aber sie war nicht dabei. Als Johnny kam, besprachen wir noch ein paar Spielzüge, bevor es losging. Ich spielte unkonzentriert, weil ich bei jeder Gelegenheit die Sitzreihen nach Mieke absuchte.

„Gfeirt?“, sagte Johnny in einer Spielpause. Er war bekannt dafür, nicht allzu viele Worte zu machen. Und das wenige, das er sagte, zu vernuscheln.

Ich schüttelte den Kopf. „Liebskummr?“, fragte er. Ich lachte.

„Mach Rebounds!“, sagte Johnny. Ich nahm mir vor, mich mehr zusammenzureißen. Ich war schließlich Angreifer und Mannschaftskapitän. Außerdem nahm ich jede Niederlage persönlich.

Nachdem wir einen Korb eingesteckt hatten, konterten wir. Wir überrannten unsere Gegner, die zu spät reagierten. Während wir uns abklatschten, suchte ich wieder nach Mieke, aber sie war anscheinend nicht gekommen. Dafür entdeckte ich meinen Vater, der bei kaum einem Spiel fehlte, und nickte ihm zu. Er hob den Daumen, um mich zu ermutigen. Ich lächelte und vertrieb den Gedanken an Mieke, doch schon nach dem ersten Angriff fragte ich mich, warum sie nicht gekommen war. Sogleich ließ ich mir vom Gegner den Ball abnehmen. Johnny verdrehte die Augen zur Hallendecke. Ich machte eine entschuldigende Geste und spielte weiter, diesmal ohne Patzer. Nach dem Spiel checkte ich mein Handy, aber es waren keine Nachrichten drauf. Ich duschte und fuhr mit Papa nach Hause.

Erst zu Hause bekam ich eine SMS von Mieke: Warum hast du das gemacht? Warum hatte ich was gemacht, fragte ich mich. Ich grübelte, ob ich irgendwas Blödes zu ihr gesagt oder mich komisch verhalten haben könnte, aber mir fiel nichts ein. Die SMS war bestimmt für jemand anderen, beruhigte ich mich und schrieb an Mieke. Was meinst du damit?

Es dauerte eine ganze Weile, bis ihre Antwort kam: Tu doch nicht so.

Ich saß auf dem Bett, starrte mein Spiegelbild in der Glasscheibe des Kleiderschranks an und fragte laut: „Wie tue ich denn?“ Keine Antwort.

Ich beschloss, Miekes SMS unter der Rubrik Komische-Mädchenstimmungen-die-kein-Junge-versteht abzulegen und hörte „Deine Zeit“ von Seeed.

Milch und Honig fließen, doch hinterm Haus ziehn Wolken auf … Passte zu meiner Stimmung.