Cataleya - jacqueline V. Droullier - E-Book

Cataleya E-Book

Jacqueline V. Droullier

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Beschreibung

„Feuer bringt Verderben.“ „Ja.“ Sie blickte zu mir hinauf und ein sanftes Lächeln hob ihre Mundwinkel. „Aber es bringt auch Wärme, Licht und Hoffnung.“ Die Schlacht ist geschlagen und das Königreich Lichtstein vorerst gerettet. Doch noch immer schwebt das scheinbar unlösbare Rätsel der Fee über Leya und ihren Begleitern. Vom Dämon gejagt riskieren sie weiterhin ihr Leben. Bald muss Leya feststellen, dass der Preis für den Frieden höher ist als gedacht und sie nicht weiß, ob sie ihn bezahlen kann.

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HYBRID VERLAG

Vollständige elektronische Ausgabe

09/2023

 

Cataleya – Das Herz des Schicksals

 

© by Jacqueline V. Droullier

© by Hybrid Verlag

Westring 1, 66424 Homburg

 

Umschlaggestaltung: © 2023 by Creativ Work Design

Bildnachweis: holwichaikawee, Stock-Fotografie-ID:1155144982

Bildnachweis: Elena Zakhariya, Stock ID: 2291913645

Lektorat: Barbara Dier

Korrektorat: Antonia Grafweg

Buchsatz: Paul Lung

Illustration: Anna Stöcker

 

Coverbild ›Ein Jahr Hölle‹

© 2023 by Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

Coverbild ›Der Fluch der Grinsekatze‹

© 2022 by Creativ Work Design

Coverbild: 106186907 Bilddatennachweis: Larissa Kulik, 1211207515, 1500012110 Bilddatennachweis: Julia Raketic

 

ISBN 978-3-96741-224-6

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

Printed in Germany

 

 

Jacqueline V. Droullier

 

Cataleya

 

Das Herz des Schicksals

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fantasy

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für meine Mentorin Lou

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

Epilog

Danksagung

DIE AUTORIN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gestochen an des Leides Dorn,

roter Tropfen auf schwarzem Stein.

Ein Herz gegeben in ewigem Zorn,

lasst es Blut seines Blutes sein.

 

Der Preis, der Leben fordert,

zu Beginn und seinem Ende.

Begierde in Flammen lodert,

zeigt auf die Lebenswende.

 

1. Kapitel

 

 

Prustend durchbrach ich die Wasseroberfläche. Meine Lunge füllte sich gierig mit Sauerstoff und gleichzeitig atmete ich den schweren Geruch der vergangenen Nacht ein. Eine unangenehme Mischung aus kaltem Rauch und dem blumigen Duft des Gartens biss mir in die Nase. Ein Hustenreiz schüttelte mich. Erneut tauchte ich unter, schluckte versehentlich Flüssigkeit und schaffte es nur mit Mühe, mich wieder nach oben zu kämpfen.

Sofort packte mich jemand an den Armen und zog mich an Land. Klitschnass und bibbernd vor Kälte watete ich mit Noras Hilfe aus dem See und würgte dabei das fehlgeleitete Wasser aus meiner Lunge. Das ist das letzte Mal, dass ich durch den See hindurch tauche!

»Willkommen zurück, Eure Hoheit«, begrüßte mich meine Zofe und half mir dabei, mich aus meinen nassen Klamotten zu schälen.

»Wer auch immer sich diese Art von Verbindungstür zu anderen Welten ausgedacht hat, sei verflucht!«, krächzte ich. »Hätte man nicht einfach ein verzaubertes Bahngleis dafür nehmen können? Oder einen Kleiderschrank? Von mir aus auch einen Kaninchenbau. Alles wäre weniger anstrengend gewesen, als durch einen See zu tauchen.«

»Vielleicht wurde dieser Weg mit Absicht schwer zugänglich gestaltet, um ungewollte Eindringlinge fernzuhalten?« Die Röte auf Noras Wangen und ihr verlegener Blick verrieten mir ihre Unsicherheit, weil sie meine Filmanspielungen nicht verstand, aber wohl bemerkte, dass ich mich auf etwas aus meiner Welt bezog.

Zähneklappernd ließ ich meine durchnässte Kleidung zu Boden fallen und nahm dankbar das Handtuch entgegen, das Nora mir reichte.

»Du hast ja recht. Aber musste es unbedingt durch Wasser sein? Da friere ich mir jedes Mal den Hintern ab.« Schnell rubbelte ich mich trocken und schlüpfte in ein sauberes Leinenhemd und eine bequeme Stoffhose. Das fühlte sich doch gleich viel besser an.

Kurz nahm ich mir die Zeit, die wundervollen Pflanzen und Bäume um den See herum zu betrachten. Der Garten war ein zeitloses Stillleben. Als hätte die Natur die Oberhand ergriffen und würde nicht erlauben, dass die Menschen hier herumpfuschten. Selbst die Schlacht in der vergangenen Nacht hatte kaum ihre Spur in diesem kleinen Paradies hinterlassen. Und dennoch wirkten die Farben trübe, als hätten sie von ihrer Leuchtkraft eingebüßt. Vielleicht trauerten die Pflanzen auch.

»Ich weiß noch, wie berauscht ich mich fühlte, als ich diesen wunderschönen Garten das erste Mal erblickte«, murmelte ich. »Es ist erst wenige Wochen her und dennoch kommt es mir vor wie eine Ewigkeit.« Ein bitterer Geschmack breitete sich auf meiner Zunge aus und ließ mich nach vorn blicken. »Lass uns zum Schloss gehen. Habe ich in meiner Abwesenheit etwas Wichtiges verpasst?»

»Nein, Eure Hoheit«, antwortete Nora, während sie meine Kleidung aufsammelte und mir folgte. »Der König befindet sich mit den befehlshabenden Offizieren seit Eurem Weggang zur Mittagsstunde im Ratssaal. Keiner der Männer hat diesen seither verlassen.«

Dann war Marlo mit Sicherheit auch bei ihnen. »Bring mich zum Ratssaal. Ich muss mit dem Waffenmeister sprechen.«

»Seid Ihr Euch sicher, Prinzessin?« Nora stolperte beinahe, als sie versuchte, mit mir Schritt zu halten. »Ein warmes Bad wartet in Eurem Gemach auf Euch. Vielleicht möchtet Ihr Euch lieber aufwärmen und entsprechende Kleidung anziehen, bevor Ihr vor den König tretet?«

Hm, ein warmes Bad war durchaus verlockend. Aber nein, ich konnte mich nicht verwöhnen lassen, während andere ihre Arbeit erledigten. »Das Bad wird warten müssen«, entgegnete ich daher knapp und wir setzten unseren Weg eine Weile schweigend fort.

»Wie fühlt Ihr Euch damit, Euer altes Leben endgültig hinter Euch gelassen zu haben?« Noras Frage klang beiläufig und irgendwie doch gezwungen. Als könne sie die Stille zwischen uns nicht ertragen.

»Es lässt sich mit Worten nicht beschreiben«, gestand ich. »Manchmal erwische ich mich immer noch dabei, zu glauben, das alles wäre nur ein Traum, und das schreckliche Klingeln des Weckers würde mich jeden Moment aus dem Schlaf reißen.« Seufzend strich ich mir die nassen Haare hinter die Ohren. Sie klebten unangenehm an meiner Stirn und hinterließen bereits eine feuchte Stelle auf meinen Schultern und dem frischen Hemd.

»Wünscht Ihr Euch, es wäre nur ein Traum?«

Ich brauchte einen ein paar Sekunden, um über ihre Fragen nachzudenken. Aber eigentlich kannte ich die Antwort bereits. »Nein. Alastars Präsenz ist so deutlich in mir spürbar, dass ich sie mir unmöglich einbilden kann. Alles, was wir erlebt haben … der Ritt auf seinem Rücken, der Kampf mit den Kobolden und die Schlacht um Lichtstein … das alles habe ich wirklich erlebt und es gibt mir das Gefühl, gebraucht zu werden. Dass mein Leben endlich einen Sinn hat.«

Ich hätte sterben können, fügte ich in Gedanken hinzu. So viele Male bin ich nur knapp davor gewesen, meinen letzten Atemzug zu tun. Und dennoch würde ich keinen einzigen Moment gegen mein altes Leben tauschen wollen.

Alastar kreiste seine Bahnen über den Zinnen. Das Licht der Sonne reflektierte sich in seinen schwarzen Schuppen, ließ seinen Panzer außergewöhnlich schimmern. Er war wunderschön.

Ich konzentrierte mich auf ihn, um ihm mitzuteilen, dass ich zurückgekehrt war. Er warf nur einen kurzen Blick in meine Richtung, bevor er mit den Pranken nach einem riesigen Brocken griff, der aus der zerstörten Stadtmauer herausgebrochen war und sich mit anderen Steinen zu einem Trümmerberg türmte. Die Bewohner der Stadt beäugten Alastar noch immer voller Misstrauen und Zweifel. Nach den Erfahrungen, die sie mit Drachen bisher machen mussten, war das verständlich. Ich spürte Alastars innere Unruhe. Dennoch blieb er tapfer an meiner Seite und tat sein Bestes, um die Schäden der Schlacht zu beseitigen und die verächtlichen Blicke auszublenden.

Der friedvolle Eindruck, den der Garten hinterlassen hatte, änderte sich in Schrecken, je näher wir Lichtstein kamen. Noch immer stiegen dunkelgraue Rauchschwaden in die Luft, umhüllten das sonst strahlende Schloss wie ein Mantel aus Tod und Verderben.

Erst mit dem Tageslicht offenbarte sich das gesamte Ausmaß der vergangenen Nacht. Häuser waren wie die Mauer zerstört, noch immer brannten einzelne Feuer. Einen Turm des Schlosses hatte es auch erwischt. Die Bewohner der Stadt eilten mit Wasserkübeln durch die Straßen, trugen die Verletzten zur notdürftig eingerichteten Krankenstation im Schlosshof, doch niemand jammerte. Ich hörte keine Schreie, kein Weinen, kein Wimmern. Alle wussten, was ihre Aufgabe war, und verrichteten sie routiniert und ohne ein Wort der Klage. Ein Kloß setzte sich in meinem Hals fest und erschwerte mir das Schlucken. Mein Gewissen meldete sich und ich fühlte mich schrecklich unwohl in meiner Haut.

»Es tut mir so leid, was geschehen ist«, hauchte ich und steuerte den Pfad an, der in den Schlosshof führte.

»Es ist nicht Eure Schuld, Prinzessin«, widersprach Nora ernst. »Das war nicht der erste Angriff auf Lichtstein. Hoffen wir jedoch, dass es der letzte war.«

Ich überspielte die wachsende Panik in mir mit einem Husten, um Nora nicht zu zeigen, unter welchen Druck sie mich setzte. Auch wenn sie es nicht aussprach, in ihren Worten schwang deutlich die Erwartung mit, die sie an mich stellte. Sie und das ganze Land. Die ganze Welt.

Vielleicht hätte ich all das verhindern können, wenn wir direkt zu den Höhlen geflogen wären, um die Fee ausfindig zu machen und dieses blöde Rätsel zu lösen. Möglicherweise würden viele Menschen und andere Wesen noch leben. Falk wäre nicht auf diese grausame Art … Ich schluckte die aufsteigende Übelkeit hinunter. Der Dämon hätte ihn nicht vor meinen Augen in Stücke gerissen. Doch all das wagte ich nicht auszusprechen.

Natürlich hätte ich bei meinem kurzen Abstecher in meine Welt dortbleiben und Lichtstein den Rücken kehren können. Das wäre einfach gewesen. Einfach und sicher. Aber das entsprach nicht meinem Naturell. Ich ließ niemanden im Stich und schon gar nicht meine Familie. Und eine kleine Stimme in mir brüllte mich an, nie wieder in die Welt zurückzukehren, die mich Zeit meines Lebens von sich gestoßen hatte. Ich gehörte nicht dorthin. Aber ich war mir auch noch nicht sicher, ob es hier einen Platz für mich gab.

Als wir den Schlosshof überquerten, wagte ich kaum nach rechts und links zu blicken. Der beißende Geruch von verbranntem Fleisch wehte mir entgegen und ich spürte, wie mein Mageninhalt auf eine Achterbahn stieg. Unwillkürlich drückte ich mir den Stoff meines Hemdärmels vor die Nase. Ich konnte nicht hinschauen. Wollte die Verwundeten nicht ansehen, die Qual in ihren Gesichtern, das Leid in ihren Augen. Doch die hier vorherrschenden Geräusche konnte ich nicht ausblenden. Hilferufe, weil jemand verblutete. Schmerzensschreie, als jemandem ein zertrümmertes Bein abgenommen wurde.

Mein Blick glitt zur Seite und blieb an einer kleinen Gestalt hängen. Ein Junge, der zusammengekauert neben einer Liege hockte, auf der einer jungen Frau gerade eine Bauchverletzung genäht wurde. Seine Augen waren ins Leere gerichtet, eine einzelne Träne hatte ihre Spur auf seiner schmutzigen Wange hinterlassen. Mein Mittagessen erreichte den Looping. Hastig griff ich nach einem herrenlosen Kübel, dessen undefinierbarer Inhalt meinen Würgereiz nur noch verstärkte. Mein Bauch krampfte sich schmerzhaft zusammen. Nora bekam gerade rechtzeitig meine Haare zu fassen, bevor ich mich übergab. Krieg schmeckte scheiße. Ein bisschen wie vergammelter Fisch, mit einem Hauch Tod und einem Spritzer Hoffnungslosigkeit. Eklig und nicht zu empfehlen.

Sachte löste Nora meine zitternden Finger von dem Kübel und stellte ihn zurück auf den Boden, bevor sie mir langsam über den Rücken strich.

»Entschuldige.« Mitgenommen wischte ich mir mit dem Ärmel über den Mund. Nora lächelte mitfühlend, doch es erreichte ihre Augen nicht.

»Man gewöhnt sich an all das Leid«, flüsterte sie, während sie mich ins Schlossinnere führte und mit dem Schließen der Tür die Geräusche hinter uns verstummten. Befreit atmete ich auf, nur um mich sogleich daran zu erinnern, dass auch ich dort hätte liegen können. Kurz blieb ich stehen, stützte mich an der Wand ab und schloss die Augen. Beruhige dich, Leya, ermahnte ich mich selbst. Stumm zählte ich bis zehn, mein Herzschlag verlangsamte sich und ich fühlte mich halbwegs in der Lage, weiterzugehen. Nun sehnte ich mich noch mehr danach, Marlo zu sehen. Mich in seine Umarmung zu flüchten und mir von ihm sagen zu lassen, dass alles gut werden würde. Auch wenn das egoistisch sein mochte, ich brauchte ihn, um den Mut zu finden, diese Reise erneut anzutreten.

»Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr kein Bad nehmen wollt?«

»Ja, ich bin mir sicher«, entgegnete ich Nora. »Ein Bad würde nur dazu führen, dass meine Gedanken unentwegt um das Geschehene kreisen. Was ich brauche, ist eine Ablenkung.«

Den Weg bis zum Ratssaal legten wir schweigend zurück. Vor der Tür schickte ich Nora fort. Ich brauchte ihre Hilfe nicht mehr und sie hatte sicher Besseres zu tun, als mir Gesellschaft zu leisten. Vorsichtig öffnete ich die schwere Tür einen Spalt und schlüpfte in den Raum. Er war kleiner als der Speisesaal. Dicht an dicht drängten sich Männer um etwas in ihrer Mitte. Manche von ihnen trugen noch ihre verschmutzten Rüstungen. Die breiten Schultern versperrten mir die Sicht, weswegen ich leise am Rand entlangschlich und nach Marlo Ausschau hielt.

»Die Macht des Dämons nimmt immer mehr zu«, äußerte sich einer der Männer. »Wenn er die Riesen schon auf seine Seite ziehen konnte, wie lange wird es wohl dauern, bis er die Rotdrachen für seine Zwecke gewinnt?«

»Die Rotdrachen sind Einzelgänger«, erklang die Stimme meines Onkels, König Arnoldus. »Sie werden sich niemals einem Herrscher unterwerfen.«

»Das Risiko ist zu groß. Theodors Schuld muss beglichen werden, und zwar sofort!« Jemand schlug auf einen Tisch, Papier raschelte und etwas kullerte zu Boden.

Wer ist Theodor?

»Beruhigt Euch, Hauptmann!« Durch einen Spalt erblickte ich meinen Cousin Luri, der dem obersten Befehlshaber freundlich, aber bestimmt eine Hand auf die Schulter legte. Der Prinz verzog grimmig das Gesicht. »Das Verschulden wird wiedergutgemacht. Ihr habt mein Wort.«

Leises Gemurmel breitete sich unter den Männern aus. Ich fand Marlo etwas abseits des Pulks. Bei seinem vertrauten Anblick flatterten sogleich die Schmetterlinge in meinem Bauch und meine Mundwinkel verzogen sich nach oben. Er lehnte lässig an der Wand, die muskulösen Arme vor der Brust verschränkt. Die braunen Haare fielen ihm wie immer wirr ins Gesicht. Seiner Rüstung hatte er sich zwar entledigt, allerdings trug er immer noch das verdreckte Hemd, das an einigen Stellen an seinem Ärmel auseinanderfranzte. Sein Gesicht war blass. Er wirkte müde und ausgelaugt. Wahrscheinlich standen sie bereits Stunden ununterbrochen zusammen und diskutierten, ohne sich eine Pause zu gönnen. Marlo hörte so konzentriert zu, dass er mein Näherkommen nicht bemerkte.

Ich wollte ihn gerade mit einem neckenden Spruch auf mich aufmerksam machen, als mich etwas aufhorchen ließ. Mein Interesse glitt zurück zum Gespräch der Männer.

»… dass meine Nichte ihre Aufgabe erfüllen wird.«

Ein spöttisches Schnauben erklang. »Mit Verlaub, Eure Majestät«, protestierte der Hauptmann, »die Prinzessin hätte das Rätsel längst lösen können. Stattdessen bringt sie dieses … Monster hierher!«

»Moment mal!«, platzte es laut aus mir heraus.

Augenblicklich richteten sich sämtliche Blicke auf mich. Die Männer machten mir bereitwillig Platz, als ich mich an ihnen vorbeidrängte, um zu meinem Onkel zu gelangen. Er stand am Kopfende eines länglichen Tisches, der übersät war mit Karten und anderen Schriftstücken, und hatte die Arme erhaben hinter dem Rücken verschränkt. Lediglich das Blut auf seiner Kleidung ließ darauf schließen, dass er vor Kurzem in einer Schlacht gekämpft hatte.

»Alastar ist kein Monster!« Eindringlich sah ich die Soldaten der Reihe nach an. »Wir sind zurückgekommen, um zu helfen.«

»Lichtstein hat schon vielen Angriffen standgehalten«, erwiderte der Hauptmann. »Auch diesen hätten wir überlebt.«

»Und zu welchem Preis?« Eine nasse Strähne klebte erneut an meiner Stirn, als ich den Kopf schüttelte. Entnervt wischte ich sie weg. »Nein, Falks Armee hätte euch überrannt. Ohne Alastar würde von euch vermutlich niemand mehr leben!«

»Ach ja?«, mischte sich ein weiterer Krieger ein. »Wenn Ihr den Fluch gebrochen hättet, wie es Euch aufgetragen wurde, hätte diese Armee Lichtstein vielleicht nicht einmal mehr erreicht. Stattdessen hat Euer Drache unsere Stadt in Schutt und Asche gelegt! Guter Wille hin oder her, seinetwegen haben viele Menschen ihr Zuhause verloren!«

»Schweigt still!«, fuhr Marlo ihn an und trat beschützend an meine Seite. »Ihr vergesst, mit wem Ihr sprecht, Soldat. Die Prinzessin hatte berechtigte Gründe, zurückzukehren.«

Das Gesicht des Mannes nahm eine ungesunde rote Färbung an, als er vor Wut zu kochen schien. »Und vielleicht hattet Ihr ein berechtigtes Interesse, die Erfüllung des Rätsels hinauszuzögern, Waffenmeister.«

Was, zum Teufel, sollte das denn bedeuten? Bezichtigte er Marlo gerade etwa des Verrats?

»Genug jetzt!« Luri stellte sich zwischen die Streitenden. »Hört auf, euch wie Kinder zu benehmen.«

Die Männer verstummten. Sie wagten es nicht, sich dem Prinzen zu widersetzen, doch ihre vernichtenden Blicke sprachen Bände. Räuspernd wandte sich der Hauptmann an den König. »Trotz seiner unglücklichen Wortwahl spricht der Mann die Wahrheit, Majestät.«

Schockiert schnappte ich nach Luft. Hatte er recht? War Alastar der Grund, weswegen einige Häuser immer noch brannten?

»Nein, das glaube ich nicht.« Ein Zittern begleitete meine Stimme. Selbst ich hörte meine eigene Unsicherheit heraus. Fast schon flehentlich schaute ich zu meinem Onkel. »Alastar ist durchaus ungestüm, doch er würde niemals mutwillig Unschuldige in Gefahr bringen. Bitte lasst nicht zu, dass sie ihn als Sündenbock missbrauchen.« Eine merkwürdige Unruhe erfasste mich. Hilfesuchend blickte ich zu Luri. Dieser rieb sich die Augen und seufzte. »Schuldzuweisungen führen nicht dazu, das Geschehene rückgängig zu machen. Was passiert ist, ist passiert.«

»Dem stimme ich zu«, verkündete der König. »Cataleya und ihr Drache werden Lichtstein im Morgengrauen verlassen, um ihrer Bestimmung zu folgen. Und dieses Mal«, er warf Marlo einen vielsagenden Blick zu, »wird es keine Abweichungen vom Plan geben. Haben wir uns verstanden?«

Der Waffenmeister nickte ergeben. »Ja, Eure Majestät.«

Arnoldus wandte sich mir zu. »Auch du wirst dein kostbares Leben nicht noch einmal aufs Spiel setzen. Es wird Zeit, dass du begreifst, wie viel von dir abhängt. Ohne dich können wir den Dämonenkönig nicht besiegen. Du willst die Leben dieser Menschen retten? Dann konzentriere dich allein auf deine Aufgabe.«

»Ich verspreche es.« Beschämt senkte ich die Lider, auch wenn sich das ungute Gefühl in mir stetig ausbreitete.

»Geht nun und bereitet euch auf eure Abreise vor.« Höflicher hätte der König nicht formulieren können, dass wir uns verziehen sollten.

»Na, komm«, raunte Marlo. Er berührte mich sanft am Arm und führte mich an den Männern vorbei aus dem Ratssaal. Ich konnte die argwöhnischen Blicke der Soldaten auf mir spüren. Das ungute Gefühl verstärkte sich, doch Marlo drückte aufmunternd meine Hand.

»Lass sie reden, Leya. Wir haben eine Menge Verluste zu beklagen. Sie sind gereizt und müde und brauchen jemanden, an dem sie ihren Frust abladen können.«

»Es geht nicht um das, was sie gesagt haben.« Langsam und mit hängenden Schultern schlurfte ich neben ihm über den Flur in Richtung unserer Schlafräume. »Das Schlimmste ist, dass sie möglicherweise recht haben. Hätte ich diese Menschen retten können, wenn wir nicht zurückgekehrt wären?«

Ein tiefes Brummen kam von meiner Seite. »Wir werden nie erfahren, was unter anderen Umständen passiert wäre. Wir haben gehandelt, wie wir es für richtig hielten. Alles andere spielt keine Rolle.«

»Du hast mir dasselbe gesagt wie die Soldaten, erinnerst du dich? Dass wir uns unserer Aufgabe widmen sollten, anstatt einzugreifen.«

»Und dennoch war ich einverstanden. Mich trifft diese Schuld, sofern sie eine ist, genauso wie Fips und Alastar.«

Ich straffte die Schultern. »Lass uns rausgehen und beim Beseitigen der Schäden helfen«, schlug ich vor.

Überrascht sah er auf mich hinunter. Ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen. »Du solltest dich ausruhen, Leya.«

»Wenn das alles hier vorbei ist, habe ich genug Zeit, mich auszuruhen. Aber gerade haben andere Dinge Priorität. Zum Beispiel, wie wir jetzt weiterverfahren.«

Marlo seufzte. »Du warst die ganze Nacht auf den Beinen, Leya. Es ist natürlich, dass die Aufregung und der Schrecken dir noch in den Knochen sitzen. Doch glaube mir, du brauchst dringend Schlaf.«

»Und was ist mit dir? Du siehst auch nicht gerade aus wie das blühende Leben.«

Schnaubend wandte er den Blick dem Teppichläufer zu seinen Füßen zu. »Glaube mir, wenn ich gleich mein Zimmer betrete, falle ich augenblicklich ins Bett und schlafe wie ein Stein.«

»Ich habe gehört, auf mich wartet ein heißes Bad.« Frech grinsend erwiderte ich seinen schelmischen Blick.

»Vorsicht, Prinzessin.« Er zog mich näher, sodass ich seinen kräftigen Herzschlag spüren konnte. »Vielleicht nehme ich das unausgesprochene Angebot an.«

»Oh, das solltest du«, konterte ich und wedelte mir mit gespieltem Entsetzen vor der Nase herum. »Du müffelst gewaltig!«

Das Funkeln in seinen Augen ließ es mir sofort flau im Magen werden und ich spürte die Hitze in meine Wangen schießen, als er mich an sich drückte und leidenschaftlich küsste.

 

2. Kapitel

 

 

Ich war mir unsicher, was genau mich dazu verleitet hatte, Marlo zu einem gemeinsamen Bad einzuladen. Das Wasser war vermutlich bereits kalt. Dennoch überkam mich neben einer ungewohnten Aufregung und Nervosität auch eine unbändige Freude. Schon mehrmals hatte ich Marlos nackten und – Himmel, steh mir bei! – muskulösen Oberkörper bestaunen dürfen. Doch ich hatte ihn bisher noch nie mit diesem Wirrwarr an Gefühlen angesehen. Verheißungsvoll. Verzehrend. Und irgendwie … hungrig. Die Erinnerungen an unser gemeinsames Training stiegen vor meinem inneren Auge auf und kurbelten mein Kopfkino an. Und zwar gewaltig.

Mein Mund wurde trocken. Unsere Blicke begegneten einander. Die Stimmung veränderte sich, wurde drückender, elektrisierender. Sprang da ein Funken über?

Marlo ergriff meine Hand und beschleunigte seine Schritte. Ich versuchte, mit ihm mitzuhalten, und spürte, wie sich mein Mund zu einem Grinsen verzog. Wir bahnten uns unseren Weg zwischen den Bediensteten des Schlosses hindurch, wichen Soldaten aus und verlangsamten unsere Schritte erst, als mein Zimmer in Sichtweite kam.

Wir schlossen die Tür hinter uns, ehe wir keuchend zum Stehen kamen. Wir waren uns so nah, dass ich Marlos Atem auf meiner Wange spürte. Ich schluckte. Vorsichtig trat ich einen Schritt zurück, tauchte meine Hand in das Wasser in der frei stehenden Badewanne. Wie erwartet war es bereits kalt. Ein ungutes Gefühl durchflutete mich. Nur kurz, bevor die Aufregung wieder die Oberhand gewann.

Marlo trat an mich heran. Seine Hände legten sich sanft auf meine Schultern, fuhren langsam meine Arme hinunter. Ein wohliger Schauder erfasste mich, jagte bis in meine Fußspitzen und hinterließ mir eine Gänsehaut. Intuitiv neigte ich den Kopf und schloss die Augen. Marlo nahm die Einladung an. Er strich meine Haare zur Seite. Seine Lippen drückten heiße Küsse auf die empfindliche Stelle hinter meinem Ohr und mir entwich ein Seufzen, dicht gefolgt von einem überraschten Quietschen, als er mich an der Hüfte packte und zu sich herumwirbelte.

Lächelnd schlang ich die Arme um seinen Hals. »Das Wasser ist kalt«, murmelte ich an seinen Mund.

»Das ist schade.« Seine Stimme war ungewöhnlich rau, doch mir gefiel dieser verlockende Tonfall bei ihm. Erneut spürte ich ein Kribbeln in meinem Bauch, das ich dieses Mal nicht ganz deuten konnte. Machte ich einen Fehler? Sollte ich es langsamer angehen? Doch dann versiegelte Marlo meine Lippen mit einem gierigen Kuss und mir wurde schwindelig.

Für einen Moment vergaß ich alles um mich herum. Die Welt wurde zu einem wunderbaren Ort, an dem nur noch wir beide existierten. Wie ferngesteuert fanden meine Hände ihren Weg unter sein Hemd, zeichneten die Konturen seiner Muskeln nach und wärmten sich an der Hitze, die er ausstrahlte. Unsere Küsse gewannen an Leidenschaft. Kurz trennten sich unsere Lippen, als er sich hastig das Hemd über den Kopf zog und es achtlos zu Boden fallen ließ. Unsere Körper pressten sich verlangend aneinander und mich beherrschte nur noch der Gedanke, dass ich mehr von ihm wollte. Mehr Liebe. Mehr Marlo.

Ein plötzliches Knarren erklang, als sich die Tür öffnete.

»Bei Waldos Bart, diesen Anblick kriege ich nie wieder aus meinem Gedächtnis!«

Ertappt stoben Marlo und ich auseinander und mein Kopf begann zu glühen, als hätte ich zu lange in der Sonne gesessen.

»Fips! Du … ich … wir …« Ich gab den Versuch auf, einen vernünftigen Satz rauszubringen, und verbarg stattdessen stöhnend mein Gesicht in den Händen. Marlo lachte.

»Entspann dich, Leya«, bemerkte Fips.

Vorsichtig lugte ich zwischen meinen Fingern hindurch. Das Kaninchen hoppelte ins Zimmer, sprang auf mein Bett und wirkte auch eher belustig statt entsetzt. Erleichterung durchflutete mich. Wenn man es genau nahm, war auch noch nichts passiert, was mir peinlich sein müsste.

»Ich habe schon weitaus Schlimmeres gesehen«, fügte Fips auf einmal hinzu und ich schnappte nach Luft. Oh Gott! Also hatte er in seiner Stofftier-Zeit in meinem Jugendzimmer doch mehr mitbekommen, als ich angenommen hatte. Boden, tu dich auf!

Ein tiefes Seufzen erklang, Marlo hob sein Hemd auf und streifte es sich über. »Ich wusste gleich, dass sich ein Bad mit dir zu verlockend anhörte, um wahr zu sein.« Sein Kuss war nicht mehr als ein sanfter Hauch auf meiner Stirn und dennoch entfachte er das Verlangen in mir nur noch mehr.

Schnell wandte ich mich von ihm ab, atmete tief durch und ließ mich neben Fips auf das Bett fallen. Die Matratze gab unter mir nach und ich sank einige Zentimeter ein, wodurch das Kaninchen zu mir rutschte.

»Was willst du hier, Fips?«

Seine dunklen Knopfaugen wirkten im Verhältnis zu seinem Kopf ungewöhnlich groß und unschuldig. »Eigentlich wollte ich nur schauen, ob bei dir alles in Ordnung ist und du es dir doch nicht anders überlegt hast.«

»Als würde ich dich hier zurücklassen. Du bist doch mein Lieblingskuscheltier.« Ich zwinkerte ihm zu und streichelte ihm durch das braune Fell.

In diesem Moment sprang die Tür ein weiteres Mal auf und Nora stürzte in den Raum. »Prinzessin!«

Fips kicherte. »Anscheinend ist heute Tag der offenen Tür«, witzelte er.

Nora ignorierte ihn, fing meinen Blick ein und keuchte.

»Prinzessin, Ihr solltet …«

Doch alles, was ich hörte, war das Brüllen meines Drachen.

Ohne eine Reaktion der anderen abzuwarten, stürzte ich aus dem Zimmer. Innerlich verfluchte ich mich, nicht direkt auf mein Bauchgefühl gehört zu haben. Es war immer noch sonderbar, die Emotionen eines weiteren Wesens spüren zu können, und es fiel mir schwer, diese von meinen eigenen zu unterscheiden. Alastar und ich sollten uns dringend mehr mit unserer Verbindung zueinander beschäftigen, denn gerade war ich ziemlich wütend, ohne dass ich wusste, wieso.

»Was ist los?«, hörte ich Marlo fragen, der hinter mir hereilte. Er war nicht der Einzige. Im Gang hallten die Schritte und Stimmen mehrerer aufgebrachter Männer wider.

»Im besten Fall jagt Alastar ein paar Kindern etwas Angst ein«, antwortete ich, ohne mein Tempo zu verlangsamen oder mich zu vergewissern, wer mich begleitete. Ein weiteres Brüllen erklang und ich schluckte. »Im schlimmsten Fall hat der Soldat recht und der Drache legt alles in Schutt und Asche. Ich bin mir nicht sicher.«

»Scheiße!«

Wir hechteten weiter und gelangten an die Tür, die in den Innenhof führte. Ein Wächter öffnete sie anstandslos, als er uns näher kommen sah. Mir fehlte die Zeit für ein Danke, zu schnell waren wir an ihm vorbei. Erneut schlug mir der Geruch nach verbranntem Fleisch entgegen. Marlo ergriff meine Hand, zog mich weiter, bis wir das Tor passierten und das Dorf ansteuerten. Ich konnte Alastar schon von Weitem sehen. Er hatte die Flügel ausgebreitet und das Maul drohend aufgerissen.

»Leya!« Eilig lief Luri uns entgegen.

»Was ist passiert?«

»Da ist ein Trupp Drachenjäger aufgetaucht, die es auf Alastar abgesehen haben.«

»Was?«, entfuhr es mir entsetzt. »Die haben sich einen echt beschissenen Zeitpunkt dafür ausgesucht.«

»Das versucht Alastar ihnen auch begreiflich zu machen, aber sie sind nicht die Hellsten, wenn du verstehst, was ich meine.« Das tat ich. Und es beunruhigte mich gleichermaßen. Mit engstirnigen Menschen war es schwierig, zu diskutieren. Egal wie falsch ihre Ansicht auch war, sie fühlten sich immer im Recht.

Als wir um die letzte Häuserecke bogen, hatte sich eine Ansammlung von Schaulustigen auf dem Marktplatz zusammengefunden.

»Macht Platz für die Prinzessin!«, rief Marlo über das Gemurmel hinweg, doch kaum jemand reagierte. Mein Freund fluchte. »Macht Platz für den König!«, brüllte er erneut, und dieses Mal bildete sich in Sekundenschnelle eine Gasse. Ich verdrängte das ungute Gefühl und ignorierte, dass die Bewohner Lichtsteins anscheinend ein Problem mit mir hatten. Jetzt musste ich mich erst einmal um ein viel größeres kümmern.

Alastar hockte auf dem Trümmerhaufen eines ehemaligen Hauses. Hoffentlich war es aufgrund eines Geschosses der letzten Nacht zerstört worden und nicht unter seinem Gewicht eingestürzt. Darüber sollte ich mit ihm reden.

Ihm gegenüber stand in einiger Entfernung ein Trupp von fünf Männern. Alle dick verpackt in schwarzen Rüstungen und von oben bis unten mit Waffen behangen. Sie hatten bereits ihre Schwerter und Lanzen gezückt und richteten sie auf den Drachen.

»Was geht hier vor sich? Wer seid Ihr und was wollt Ihr in Lichtstein?«, verlangte ich zu wissen und bezog gemeinsam mit Marlo zwischen den Kontrahenten Stellung, während sich unsere restlichen Begleiter unter die Dorfbewohner mischten. Ich entdeckte meinen Onkel, der das Geschehen mit Argusaugen beobachtete. Luri stand neben seinem Vater, die Hand lag bereits auf seinem Schwertknauf. Auch Fips tauchte zwischen ihren Füßen auf. Sein Näschen zuckte wild vor Aufregung und das gesunde Ohr bewegte sich hektisch in alle Richtungen.

Der Mann in der Mitte der Gruppe nahm seinen Helm ab und klemmte ihn sich unter den Arm, als er sich mir zuwandte. Durch die warmen Temperaturen klebte sein mittellanges, braunes Haar an seiner Stirn fest. Die eingefallenen Wangen waren zerfurcht von Narben und sein Bart fransig und ungepflegt. »Mein Name ist Gregor Drachenjäger und wir sind hier, um die Stadt von dieser Bestie zu befreien.«

»Das ist eine großzügige Geste«, entgegnete ich so freundlich, wie es mir gerade möglich war, »aber Alastar ist weder eine Bestie noch eine Bedrohung für diese Stadt. Das eigentliche Übel hat uns vergangene Nacht angegriffen. Dort hätten wir Eure Unterstützung gut gebrauchen können.«

»Ihr missversteht mich, Fräulein.«

»Es heißt königliche Hoheit«, wies Marlo ihn scharf zurecht.

Der Mann hob ergeben die freie Hand, doch seine Mundwinkel sanken merklich herab, während er mich misstrauisch von oben bis unten musterte. Ja, ich trug ein Hemd und eine Hose anstelle eines feinen Kleides und ja, mein Verhalten war auch nicht gerade damenhaft. Trotzdem waren das keine Gründe, mich ungeniert anzustarren.

»Gut, dass du hier bist, Leya«, brummte Alastar und schabte mit seinen Krallen über das Gestein, als er sein Gewicht verlagerte. Das dabei entstehende Geräusch verursachte mir eine Gänsehaut. Wie Kreide, die über eine trockene Tafel reibt. »Da die Herrschaften nicht auf mich hören, sag ihnen bitte, dass ich nicht gewillt bin, mich zu ergeben, und sie aufhören sollen, ihre Zahnstocher auf mich zu richten.«

»Hey.« Ich schnippte mit den Fingern vor Gregors Gesicht, sodass er gezwungen war, seinen Blick von meiner Figur zu lösen und mir in die Augen zu sehen. »Ihr habt ihn gehört. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Er ist hier, um zu helfen.«

»Ein Drache, der helfen will«, feixte er und drehte sich lachend zu seinen Männern um, die grölend mit einstimmten. Sie erinnerten mich an Sven, der mich in einer anderen Welt als sein Mobbingopfer auserkoren hatte und nur eine große Klappe besaß, wenn seine Klone ihm den Rücken freihielten und er sich stark fühlte. »Noch nie habe ich etwas Amüsanteres gehört. Geht aus dem Weg, Prinzessin. Ein Schlachtfeld ist nichts für Euch.«

»Ach ja?« Mit der Fußspitze trat ich gegen einen herrenlosen Stein, der diesem Gregor bis vor die gepanzerten Schuhe kullerte. »Vielleicht habe ich es geträumt, aber ich glaube, letzte Nacht haben mein Drache und ich auf diesem Schlachtfeld gekämpft. Ich kann mich jedoch nicht daran erinnern, Euch dort gesehen zu haben.«

»Vorlautes Gör!« Die Hand des Kerls verkrampfte sich um den Stab seiner Lanze. Ich spürte, dass er kurz davorstand, die Waffe in Alastars Richtung zu schleudern, und seufzte über diese vorherrschende Ignoranz.

»Euch ist aber schon klar, dass es etwas mehr als ein paar Schwerter bedarf, um einen Drachen zu töten, oder?« Ich machte ihn freundlich auf die Lächerlichkeit dieser Situation aufmerksam, in der Hoffnung, dass er endlich zur Besinnung kam. Alastar schnaubte warnend und ich begriff, dass ich mich auf dünnem Eis bewegte. Der Mann könnte, wenn er sich wirklich mit Drachen auskennen und eins und eins zusammenzählen würde, einfach mich töten. Wenn ich starb, starb mein Drache mit mir. Kurz schloss ich die Augen und betete, dass ich diese Jäger bezüglich ihrer Inkompetenz richtig eingeschätzt hatte.

»Verzeiht, Eure königliche Hoheit«, spie mir der Anführer der Gruppe entgegen und machte dabei keinen Hehl aus seiner offensichtlichen Abneigung mir gegenüber. »Spielt Ihr ruhig weiter Prinzessin und lasst Euch von Euren Bediensteten die Nase pudern, doch erklärt uns nicht, wie wir unser Handwerk zu erledigen haben.«

Kurzzeitig fehlten mir die Worte. Was erlaubte er sich? Ich wusste nicht, ob ich vor Amüsement lachen, vor Unglauben den Kopf schütteln oder ihm vor Wut über diese Arroganz eine klatschen sollte.

Ich entschied mich für das kleinste Übel und verschränkte die Arme vor der Brust. »Eure Aussage lässt mich vermuten, dass Ihr wohl nie einem Drachen im vollen Besitz seiner Kräfte gegenüberstandet. Stattdessen zeigt mir Euer Gehabe, dass Ihr absolut keine Ahnung von dem habt, was Ihr Euer Handwerk nennt. Schwerter und Lanzen sind völlig wirkungslos und durchbrechen niemals einen intakten Panzer.

---ENDE DER LESEPROBE---