Cataractas Kinder - Katharina Pilz - E-Book

Cataractas Kinder E-Book

Katharina Pilz

4,8

Beschreibung

Cataracta ist ein Land voller Reichtum und Wohlstand. Ursprünglich der Rückzugsort der Geister und Dämonen wird es nun von Menschen, Überwesen und Halbwesen bevölkert. Nach dem Sturz der Drake-Dynastie schwingen sich die Hexen zur Elite der Gesellschaft auf. Doch das Gleichgewicht zwischen Sterblichem und Übernatürlichem ist ins Wanken geraten.Als Janus zum Hexer wird und den Zeitdämon Chronius in sich versiegelt, hat der Kampf der Jägergilde gegen die Hexen längst begonnen. Neuerliche Ereignisse überschatten das strahlende Bild der Hexen und die Lösung scheint tief in der Vergangenheit verschüttet. Nur Janus kann den Geheimnissen auf den Grund gehen und verliert sich mehr und mehr im Sog der Vergangenheit ...

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Katharina Pilz, 1992 geboren, interessierte sich schon früh für Bücher und das Schreiben. Inspiriert von Manga und Anime entstanden zunächst vorwiegend Fanfiction‘s zu verschiedenen Genres.

Seit 2011 begann die Idee zu Cataractas Kinder zu wachsen, seit 2015 arbeitet sie an der Buchreihe. Pilz Arbeiten werden vom Manga-/Animegenre, klassischer Fantasy und japanischer Kultur beeinflusst.

Für all die Seelen und Essenzen, die mein Leben bereichern.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Janus Traum

Deimos Bauchgefühl

Phobos Abend

Janus Reise zum Ursprung

Deimos Dilemma

Janus Dämon

Janus erster Sieg

Aphrodites Männer

Mansons Erfolg

Janus neue Fähigkeiten

Phobos ruhige Unruhe

Janus Kampf

Mansons Gilde

Janus Begegnung mit der Vergangenheit

Janus Partynacht

Umbras Einfluss

Janus Entscheidung

Janus Ankunft in der Revolution

Janus Einblick

Benedikts Nöte

Janus unfreiwillige Heimreise

Mansons Ehre

Phobos Beichte

Janus Ankunft im Protokoll

Janus Misstrauen

Janus Todesangst

Janus Rückkehr nach Herrenburg

Benedikts Einsicht

Aphrodites Phobos

Benedikts Entscheidung

Janus neue Rolle

Mansons Fragen

Deimos Verantwortung

Janus Staunen

Samsaras Meister

Prolog

Dunkelheit umgab ihn und seine Begleiter, als er durch den feuchten, kalten Gang tappte. Sie befanden sich in den seit Jahren verlassenen Katakomben Herrenburgs, die aus dem harten Gestein unter der Stadt geschlagen worden waren. Der Fels wurde von einem kleinen Edelstein erhellt, den Aphrodite in der Hand hielt. Wie der Strahl einer Taschenlampe leuchtete er in die Finsternis. Fernab der belebten Straßen und schwindelerregend hohen Häuser suchten sie nach einem ganz besonderen Wesen.

»Seid ihr sicher, dass er hier ist?«, fragte Jack und versuchte, etwas in der Schwärze zu erkennen.

»Natürlich«, erwiderte Phobos, denn er sah mühelos alles, was ihn umgab.

»Dort vorn«, sagte Deimos schräg hinter ihm. Mit Mühe erkannte Jack den Fingerzeig auf zwei kaum sichtbare Lichtpunkte.

»Ja, das ist er«, bestätigte Aphrodite. »Das ist Chronius.«

Jack schluckte. Er hatte schon so lange auf diesen Moment gewartet. Seit seinem elften Lebensjahr hatte er alles über Überwesen gelernt, was es zu lernen gab. Nun, als die Zeit gekommen war und er vor einem echten, freien Dämon stand, fühlte er sich unvorbereitet.

Wie seine drei Begleiter auch war er ein Halbwesen; ein Wesen, das aus der Liebe zwischen einer Menschenfrau und einem Überwesen entstand. Jacks Vater war ein Illusionsschatten, doch er hatte ihn nie kennengelernt. Lediglich ein paar Fähigkeiten hatte der junge Mann geerbt, die ihm manchmal nützlich waren.

Jetzt endlich, zwei Tage nach seinem 21. Geburtstag, war es soweit: Er sollte ein echter Hexer werden und einen Dämonen in seiner Seele binden, der ihm so seine Macht übertragen musste. Die Wahl war auf Chronius gefallen, ein Zeitdämon, der so alt wie die Zeit selbst war.

»Hol ihn dir!«, feuerte Aphrodite Jack an und gab ihm einen leichten Schubs. Ab jetzt war er auf sich allein gestellt, denn nur so konnte er den Respekt des Dämons erlangen. Er betrat die Barriere, die Phobos und Deimos am vorangegangenen Abend geschaffen hatten, um Chronius hier unten festzuhalten.

Der Dämon hockte auf einem Stein und beobachtete Jack genau. Chronius goldene Augen leuchteten in der Dunkelheit und folgten jeder Bewegung.

Jack blieb am Rand des Bannkreises stehen und zwang sich zur Ruhe. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, seine Hände schwitzten vor Aufregung. Hier spaltete er einen Doppelgänger von sich ab. Während Jack langsam auf den Dämon zuging, verharrte sein schemenhaftes Ebenbild in der Finsternis. Chronius rührte sich keinen Millimeter.

Jack erreichte den Dämon fast, doch dieser machte noch immer keine Anstalten, zu fliehen.

So einfach wird er es mir nicht machen, dachte Jack und wagte einen weiteren Schritt. Er ließ die Hand nach vorn schnellen, um den Dämon zu ergreifen, doch der Versuch ging ins Leere. Stattdessen wirbelten Goldkörner an der Stelle, wo das Wesen gerade noch gestanden hatte.

»Zu langsam«, schnurrte Chronius hinter ihm. Es klang wie das Rauschen von Sand.

Jack wandte sich um, wollte den Dämon packen, griff jedoch wieder ins Nichts. Chronius lachte leise, womit er Jack seine Position verriet. Zufrieden lächelte der junge Mann und löste sich in Luft auf. Sein wahres Ich war längst hinter Chronius geschlichen.

Verdutzt musterte der Dämon die Stelle, an der Jack eben gestanden hatte, dann spürte er die Hand des Halbwesens in seinem Nacken.

»Die Zeit ist nun mal doch nur eine Illusion«, scherzte Jack und packte fest zu.

»Bastard!«, fluchte Chronius, spannte den Nacken und wehrte sich mit Tritten und Hieben, traf Jack jedoch nicht im Geringsten. Der Dämon kreischte und heulte erbost, während sich Goldkörner von seiner Haut lösten. Jack lockerte den Griff nicht.

Wie er es in seiner Ausbildung gelernt hatte, schloss er die Augen und konzentrierte sich auf sein Inneres. In der Bauchhöhle begann er, Lebensenergie zu sammeln. Es musste so viel wie möglich sein, um in der Lage zu sein dem Dämon seinen Willen aufzwingen zu können. Dann trieb er die Energie über das Herz hinweg in den Arm, mit dem er Chronius gepackt hielt. Er ließ den Strom in den Dämon fließen, der immer rasender wurde.

»Nein!«, brüllte dieser unter wildem Schmerz. »Ich gebe dir meine Essenz nicht!« Da begann das Glimmen in seiner Brust heller und heller zu werden. »NEIN!«, jaulte Chronius, als er bemerkte, wie sich sein Körper langsam auflöste. Die Zeit schritt voran, drehte sich zurück und pulsierte in goldenen Sandkörnern. Jack widerstand dem stärker werdenden Drang, die Hand zu öffnen. Er musste noch warten. Noch hatte sich der Körper des anderen nicht stark genug aufgelöst.

Dann riss er in einer plötzlichen, beherrschten Bewegung die goldene Essenz des Dämons aus den Überresten der vergehenden Hülle. Er hielt die zeitlose Seele fest umschlossen. Chronius komplette Existenz flatterte zwischen Jacks Fingern wie ein Herz.

Noch war die Bindung jedoch nicht abgeschlossen. Der junge Mann presste die Essenz gegen seine Brust, drängte sie Stück für Stück in sein Herz. Chronius wehrte sich fluchend und schreiend, doch er konnte nicht mehr entkommen. Das Leuchten der Essenz schwand, bis sie vollständig in Jacks Körper eingedrungen war. Selbst jetzt war der Kampf noch nicht zu Ende. Wütend warf sich Chronius gegen die fleischigen Wände seines Gefängnisses, während Jacks Energie ihn immer tiefer in den Bauch hinein trieb.

Endlich stürzte der Dämon in den unteren Rücken des Mannes, wo er augenblicklich von Fesseln geflochten aus purer Willenskraft umsponnen wurde. Die Essenz formte sich zurück zu einem menschlichen Körper, auf der Stirn des Dämons leuchtete golden ein verschlungenes Symbol auf.

»Du gehörst mir, ich bin dein Herr«, brachte Jack hervor. Eine Erkenntnis stieg in ihm auf, klar und rein. »Ich bin Janus«, sagte er, ehe er bewusstlos zusammenbrach.

Janus Traum

Es war ein kühler Frühlingsmorgen und Dante wankte am Rand eines reißenden Flusses hinter seiner Mutter her. Gerade hatte die Schneeschmelze in den Bergen eingesetzt und das Wasser strömte rauschend und schmutzig ins Tal. Der Fluss war bereits einige Meter über das Ufer getreten, schwemmte Bäume und Unrat mit sich. Er rauschte fluchend voran und wirkte so mürrisch wie lange nicht mehr. Am anderen Flussufer konnte Dante die ersten strohgedeckten Häuser des Dorfes erkennen. Es roch nach feuchter Erde und ein Duft von Weihrauch zog ihm über das Wasser entgegen.

Mira, seine kleine Schwester, lief vor ihm an der Hand ihrer Mutter. Sie hatte Mühe mit den kleinen Beinen auf dem glitschigen Untergrund Schritt zu halten. Dante ertastete mit den nackten Füßen zügig aber sicher seinen Weg. Nur ab und zu hob er den Blick, um nach Mutter und Schwester zu sehen.

Die drei hatten es sehr eilig an diesem Morgen. Normalerweise kamen sie am Markttag und dem Heiligen Tag vom Berg hinunter, zum Einkaufen und Beten. Aus den Ortschaften, die am Oberlauf des Flusses lagen, war aber die Nachricht von Überschwemmungen ins Tal gekommen. Daraufhin hatte der Dorfälteste zu einer Geistermesse aufgerufen, an der alle teilnehmen sollten. Mit Gebeten und Opfern wollte man den Flussgeist davon überzeugen, das Dorf zu verschonen.

Mira war müde und trotzig, seitdem Mutter sie am frühen Morgen geweckt hatte. Sie musste unbedingt mitkommen, weil Mutter sie nicht allein lassen konnte. Vater war gleich nach dem kargen Frühstück in den Wald aufgebrochen, um nach den Bäumen und dem Wild zu sehen. Seit Dante denken konnte, war sein Vater dafür verantwortlich, dass es dem Wald gut ging.

Mit seinen elf Jahren war Dante auch zu jung, um mit Mira allein zu Hause zu bleiben und so folgte er seiner Mutter ins Tal, während Mira quengelte.

»Wir haben es gleich geschafft«, keuchte Mutter. Sie folgte dem kaum erkennbaren Trampelpfad und zog Mira noch etwas energischer mit sich. Anfangs hatte sie die 4-Jährige getragen, doch dann war sie ihr bald zu schwer geworden. Ihr langes, hellbraunes Haar fiel in verschwitzten Strähnen über ihren Rücken und klebte in ihrem gebräunten Gesicht. Ihre schmutzig grünen Augen suchten das Flussufer nach anderen Dorfbewohnern ab, die ebenfalls dem Ruf des Ältesten gefolgt waren.

Mutter war auf ihre eigene, einfache Art eine schöne Frau, doch gegenüber dem, was einmal aus Mira werden würde, war sie hässlich. Wie ihr Vater hatten Mira und Dante tiefschwarzes Haar, strahlend blaue Augen und weiße, glatte Haut, die angesichts ihrer schweren Landarbeit fehl am Platz wirkte. Nur an der feinen Nase und den hübsch geschwungenen Augen war die Mutter in den beiden Kindern zu erkennen.

»Mama, ich will nicht mehr«, quengelte Mira. Ihre Wangen waren von Tränen überströmt, ihr Mund trotzig verzogen. Dante wartete schon auf dieses Gezeter und war überrascht, dass es doch so lang gedauert hatte, bis sie damit begann. Gleich würde Mira die Beine einknicken lassen und im Matsch landen. Mutter würde sie vielleicht eine Weile mit sich ziehen oder gleich auf den Arm nehmen.

»Es ist nicht mehr weit«, versuchte Mutter die Kleine zum Weitergehen zu ermutigen. »Ich weiß, du hast keine Lust mehr, aber komm.«

Da knickten die Beine des Mädchens ein, die Knie landeten in der feuchten Erde und sie hing wie ein Beutel an der Hand ihrer Mutter.

»Mira!«, fauchte sie, doch die Kleine erwiderte nur ein trotziges Aufheulen.

»Na schön«, sagte Mutter dann, ließ Mira los, sodass sie gänzlich in den Schlamm rutschte und stapfte weiter. »Komm, Dante, wir dürfen nicht zu spät kommen.«

Das ist wohl eine neue Taktik, überlegte Dante und lief an Mira vorüber. Er wusste nur zu gut, wie oft seine Schwester versuchte, Mutter auszutricksen. Noch sehr viel öfter versuchte sie, die Eltern gegeneinander auszuspielen. Dante mochte Mira und sie war sehr liebenswert, doch er wusste auch, wie gemein sie sein konnte.

»MAMA!«, kreischte die Kleine hinter den beiden. Dante bemerkte, dass seine Mutter einen Blick über die Schulter wagte, um zu sehen, wie Mira reagierte. Noch lag sie auf dem Boden, nach drei weiteren Rufen rappelte sie sich aber auf und folgte eilig Mutter und Bruder. Zwar schrie und heulte sie dabei, doch sie folgte.

Mutter drosselte das Tempo, sodass Mira sie gut einholen konnte. Doch bevor die Kleine sie erreichte, rutschte ihr Fuß plötzlich ab.

»Mira!«, kreischte Mutter entsetzt, während Dante erstarrte. Mira rutschte den Hang hinunter und stürzte platschend in die Fluten. Hastig versuchte Mutter, an das Ufer zu gelangen, doch Dante wusste genau, dass sie nicht schwimmen konnte. Keiner von ihnen konnte schwimmen.

Die Hilflosigkeit in ihren Augen war das Schlimmste, was er je gesehen hatte. Auch er konnte nichts tun. Mutter schrie und schrie nach Mira, doch das Mädchen trieb auf der Flut, wurde von Wellen überworfen und unter Wasser gedrückt. Sie folgten der Strömung, so schnell es ging, doch sie konnten nicht mithalten. Schließlich erreichten sie andere Dorfbewohner.

»Was ist passiert?«, wollte ein Mann wissen, der durch die Schreie aufmerksam geworden war. Mira war in den Wellen verschwunden.

»Mein Kind, es ist im Wasser! Meine Mira! Ich … ich kann nicht schwimmen. Jemand muss sie retten!« Diese Worte wiederholte Mutter immer wieder, immer in einer anderen Reihenfolge, immer wieder.

»Ihr seid doch Fischer«, kam es Dante seltsam beherrscht über die Lippen. »Fischer können gut schwimmen.« Sein strahlend blauer Blick traf den Mann wie Eiszapfen.

»Tut mir Leid, Junge«, erwiderte der Mann unsicher lächelnd. »Es ist schon zu spät … der Fluss wird sie freigeben … oder als Opfer annehmen.«

Nun verstummte Mutter. Ihr Blick wanderte über den Fluss und sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ein Opfer für den Fluss …«, stammelte sie.

»Aber sie ist meine Schwester! Ihr könnt schwimmen – holt sie aus dem Wasser!«, schrie Dante. Er schrie es immer wieder. Der Fischer solle seine Schwester aus dem Fluss ziehen. Doch keiner reagierte. Es kamen noch andere zu dem Tumult – keiner beachtete ihn. Mira war ein Opfer und alle beteten, dass das den Fluss besänftigen und das Dorf verschonen möge.

Schweißgebadet schreckte er auf. Sein Atem ging hastig und nur langsam beruhigte sich sein Puls. Müde wischte er sich über das Gesicht. Als sich seine Augen an die Dunkelheit in dem Zimmer gewöhnt hatten, ließ er den Blick schweifen. Er tastete am Bettrand nach seinem Smartphone und prüfte die Uhrzeit. Das Display zeigte fast halb sechs – zu früh um auf zu stehen, zu spät, um weiter zu schlafen.

Als er sich gefasst hatte, schlug er die Decke zurück und kroch aus seinem Kingsize-Bett. Er fühlte sich wie gerädert, war verschwitzt und fröstelte. Langsam ging er zu den riesigen Fenstern hinüber und zog die schweren, dunkelblauen Vorhänge beiseite. Die Morgensonne flutete den Raum und hüllte ihn in zartgelbes Licht.

Das Zimmer war sehr ordentlich, alles war an seinem Platz. Skripte und Bücher in den Regalen, Laptop und Schreibzeug auf dem Sekretär. Die Sitzecke vor dem Fenster war aufgeräumt, der Flachbild-Fernseher abgestaubt und die Musiksammlung alphabetisch sortiert. Janus glaubte, die äußere Ordnung könnte auf die innere Unruhe, die ihn seit Wochen umtrieb, abfärben; doch der Dämon in ihm sträubte sich gegen jede Normalität. Nur das Bett wirkte mit der zerwühlten Decke fehl am Platz und spiegelte seinen Gemütszustand der letzten Wochen am besten wider.

Janus öffnete das Fenster und sog die Morgenluft in die Lungen. Gedankenverloren betrachtete er die anderen Hochhäuser, die sein Zuhause umringten, hörte das Rauschen der Autos, die ständig in der Stadt unterwegs waren. Es war früh, doch Herrenburg war längst wach. Die Hauptstadt, die sich um den Silberfluss gebildet hatte und im Norden an die Götterberge stieß, war das Zentrum Cataractas und schlief im Grunde nie.

Er löste sich von dem atemberaubenden Blick aus dem 102. Stock und zog sich an. Seine Wahl fiel auf Jeans und T-Shirt und so verließ er das Zimmer. Barfuß tappte er über das dunkle Parkett und trat in die mit schwarzen Fliesen ausgelegte Küche. Einfach alles in dieser Wohnung war unverschämt groß und teuer ausgestattet und anfangs hatte er sich an diesen Luxus gewöhnen müssen. Janus suchte sich Frühstück aus Toast und Schinken mit frischem Kaffee und ließ sich mit seinen Errungenschaften an dem Bartisch nieder.

Dort saß bereits Phobos ihm gegenüber, der gelangweilt in der Tageszeitung blätterte und eine Zigarre im Mundwinkel klemmen hatte. Den Hexer umgaben eine weißgraue Qualmwolke und der Geruch von teuerem Tabak. Im Hintergrund nuschelte die Stereoanlage die Börsennachrichten. Phobos silbergraues Haar war gepflegt und einige Strähnen hingen ihm in Stirn und Nacken. Seine rauchgrauen Augen blickten aufmerksam hin und her. Schon jetzt saß er in einem Designer-Anzug und teuren Lederschuhen am Tisch. Vor ihm stand ein Glas mit roter Flüssigkeit. Phobos wirkte wie ein sehr erfolgreicher, höchstens 30-Jähriger, doch tatsächlich war er schon 344 Jahre alt. Seine hochgewachsene Statur war schlank wie die eines Sprinters. Er wirkte freundlich und vertrauenswürdig, doch Janus wusste, dass der Schein trog.

»Ich glaube, ich stoße den Dämon bald ab«, begann Janus erschöpft. Phobos Blick löste sich von der Zeitung und musterte Janus eindringlich. Wenn er das tat, lief dem jungen Hexer immer ein Schauder den Rücken hinunter.

Dann kniff sein Gegenüber die Augen zusammen. »Wie kommst du darauf? Du zeigst keinerlei Anzeichen.«

»Die Träume werden schlimmer … wirrer«, versuchte Janus, zu erklären.

»Was hast du geträumt?«, wollte Phobos wissen und legte die Zeitung beiseite. Mit dem Daumen tastete er nach den zwei Ringen, die er am rechten Ringfinger trug. Ein Breiter aus Eisen und ein Schmalerer aus Kupfer. Es waren seine Eheringe - Eisen für Deimos, Kupfer für Aphrodite. Die beiden anderen trugen für Phobos Blei.

»Spielt das eine Rolle? Es ist furchtbar – jede Nacht sehe ich irgendwelche schrecklichen Dinge von Menschen, die ich nicht kenne. Es wird realer – so echt, als muss es tatsächlich geschehen sein.«

»Was hast du geträumt?«, wiederholte Phobos die Frage. Ein gereizter, bedrohlicher Unterton schwang mit.

Janus überlegte, ob er es versuchen sollte, sich weiter gegen eine Antwort zu sträuben. Allerdings wusste er genau, dass Phobos früher oder später sowieso alles aus ihm herausbekommen würde. »Ich war ein Junge, vielleicht zehn oder elf Jahre alt … Ich folgte einer Frau. Sie war wohl meine Mutter, auf einem Trampelpfad an einem Fluss entlang. Sie hatte noch ein kleines Mädchen bei sich und-«

»Wie hieß das Mädchen? Und wie war dein Name?«, unterbrach Phobos gelassen.

»Mira … mein Name war Dante. Wie die Mutter heißt, weiß ich nicht.«

Er nickte zufrieden und ließ Janus fortfahren: »Jedenfalls führte der Fluss Hochwasser und wir hatten es eilig zu einer Geisterzeremonie zu kommen. Das Mädchen … es wollte nicht mehr weiterlaufen und war bockig … es stürzte in den Fluss und keiner konnte ihm helfen. Nein, vielmehr wollte es niemand retten. Sie sagten, es wäre ein Opfer, dass das Dorf verschont bleiben würde.« Die Bilder waren plötzlich wieder vor Janus innerem Auge. Wieder sah er dieses Drama, als hätte er es erlebt – und wieder machte es ihm zu schaffen.

»Aha«, gab Phobos wenig mitleidig von sich. »In welchem Jahr warst du?«

»Woher soll ich das wissen? Ich dachte-«

»Welches Jahr?!«, blaffte Phobos und seine Pupillen wurden für den Bruchteil einer Sekunde zu Schlitzen. Janus sah einen der langen Eckzähne aus seinem Mund hervorblitzen.

»Ich weiß es nicht … es roch nach … Mist und Tieren. Es hörte sich an, als würde jemand Metall schlagen und die Dächer waren strohgedeckt«, beschrieb Janus nach kurzer Überlegung, was er gesehen und gerochen hatte.

»Du stößt den Dämon nicht ab«, sagte Phobos vollkommen ruhig und nahm sich wieder die Börsennachrichten. »Vielmehr beginnt die Verbindung … er lässt dich an der Geschichte teilhaben, das ist alles. Deine Verwandlung setzt ein.«

Skeptisch hob Janus eine Augenbraue. »Bist du sicher? Es gibt sonst niemanden mit einem Zeitdämon.«

»Ich bin mir sicher.« Phobos sah über die Zeitung hinweg zu Janus. »Es ist wirklich alles normal. Es ist am Anfang nicht schön, oft auch schmerzhaft, aber es ist normal. Du hast einen Bruchteil der Zeit gesehen. Um genau zu sein, scheint es der Ursprung unserer heutigen Gesellschaft gewesen zu sein. Du warst Dante Drake – der erste König von Herrenburg, der die Trennung zwischen Überwesen und Menschen durchgesetzt hatte.«

»Der erste König?« Nun musste Janus lachen. »Das, was ich gesehen habe, war sicherlich kein König.«

»Könige werden nicht immer reich geboren«, erwiderte Phobos gelangweilt. »Hattest du das nicht bei van Helsing im Unterricht?«

»Mh«, machte Janus nur noch und trank einen Schluck Kaffee. Dieses Detail war ihm wohl entfallen. »Wo ist Deimos?«, versuchte er, das Thema zu wechseln. An Phobos Reaktion bemerkte der Student sofort, dass diese Frage nicht die Klügste gewesen war. Erbost knitterte sein Mitbewohner die Zeitung zusammen und knallte sie auf den Tisch, bevor er sie wütend zerrissen hätte. Er nahm die Zigarre aus dem Mund, stürzte die Flüssigkeit in dem Glas hinunter, um danach heftig weiter zu rauchen. »Was meinst du?«, knurrte er. Es fiel ihm sichtlich schwer, sich zu beherrschen.

Janus senkte schuldbewusst den Blick. Natürlich hätte er es sich denken können. Wo hätte Deimos sonst sein sollen, wenn nicht zwischen Aphrodites Schenkeln?

»Seit Wochen lässt sie nur ihn zu sich ins Bett«, schimpfte Phobos. »Mich nimmt sie kaum noch wahr.«

Nun wurde Janus das Thema gänzlich unangenehm. Hätte er nur den Mund gehalten … diese Dreieckbeziehung war das Letzte, was ihn im Moment interessierte. Zu allem Überfluss kam jetzt doch Deimos ausschließlich mit Hose bekleidet und grinsend in die Küche. Seine glatte, nackte Brust glänzte von Schweiß.

»Guten Morgen«, begrüßte er die Anwesenden beschwingt und schlüpfte in ein weißes Shirt. »Ich würde ja fragen, ob ihr gut geschlafen habt, aber ihr seht beide irgendwie nicht so fit aus.« Er lachte kurz und öffnete dann den Kühlschrank.

Deimos war im wahrsten Sinne des Wortes ein Bulle. Er war etwas kleiner als Phobos, doch das kurz gehaltene, braune Haar, die breiten Schultern und der kräftige Oberkörper ließen ihn bedrohlicher erscheinen. Seine wachen Augen schienen jeden faulen Gedanken lesen zu können, der seinem Gegenüber durch den Kopf ging. Seit einigen Jahren war er Abteilungsdirektor des Polizeipräsidiums in Herrenburg und normalerweise war mit ihm nicht gut Kirschen essen. Trotz seiner eigentlichen Büroarbeit war er nach wie vor in der Stadt unterwegs und leitete persönlich verschiedenste Einsätze. Janus mochte den Polizisten mehr als Phobos, den kalten Aktienhändler. Deimos wirkte nur hart und gefährlich, wenn die erste Abschreckung nicht ausreichte und es sein musste. Phobos hingegen war hinterhältig – nie wusste man, was er im Schilde führte. Außerdem brauchte er kaum mehr als einen Blick, um alle Ängste seines Gegenübers zu kennen.

Gemeinsam, so ungleich sie beim ersten Eindruck wirken mochten, waren sie kaum zu schlagen. Sie spielten die Ängste ihrer Mitmenschen hervorragend gegen diese aus.

»Warst du erfolgreich, du Langstreckenläufer?«, zischte Phobos und fixierte seinen Mann. Seine Pupillen formten sich zu schmalen Schlitzen. Deimos zuckte unbeeindruckt die Achseln und holte Eier, Milch und Speck aus dem Kühlschrank.

»Das hat schon lange nichts mehr mit Spaß zu tun, mein Bester«, sagte er schließlich, während er die Eier in einer Pfanne verrührte. »Außerdem sollten wir das nicht jetzt und du vor allem nicht mit mir und unserem Schützling besprechen.«

»Dafür wäre ich euch sehr dankbar«, mischte sich Janus ein. Schnell nahm er einen Schluck Kaffee, bevor er noch etwas Unüberlegtes sagen konnte. Dabei verbrannte er sich gehörig die Zunge und schon ruhte Phobos Blick wieder kalt und gefährlich nichtssagend auf ihm.

»Der Kleine hat von Dante Drake geträumt«, wechselte Phobos abrupt das Thema und führte das Gespräch zum ursprünglichen Ausgangspunkt zurück. Ertappt seufzte Janus, zu gern hätte er sich aus dem Staub gemacht.

»Dante?«, fragte Deimos und zog die Stirn in Falten. Während er weiter in der Pfanne rührte und wendete, fragte er Janus: »Interessant … aber bewusst hast du noch nichts ausgewählt, oder?«

»Nein … zumindest glaube ich das.«

»Er hatte schon Angst, er würde den Dämon abstoßen«, lachte Phobos nun vollkommen entspannt und zog an der Zigarre. Zufrieden klopfte er die Asche ab.

»Da würdest du ganz anders aussehen«, meinte auch Deimos. »Es wird vermutlich noch etwas hässlich, wenn die Umwandlung beginnt, aber sicher nicht so heftig wie eine Abstoßung.«

»Ihr müsst es ja wissen …«, murmelte Janus und schlang das letzte Stück Toast hinunter.

»So schlimm wird’s nicht werden«, winkte Phobos ab. »Solange man nicht auf Blut umsteigen muss, geht noch alles harmlos vonstatten.« Er tippte mit vielsagendem Blick gegen sein geleertes Glas und erhob sich von seinem Platz. »Entschuldigt mich«, sagte er, ließ eine Hand in die Hosentasche sinken und verließ die Küche. Neben Janus nahm nun Deimos Platz. Das Rührei und der Speck dufteten köstlich. »Pass auf, dass er dich nicht zu sehr beeinflusst«, mahnte der Cop und aß den ersten Bissen. »Wenn du deine Ängste kennst, kann Phobos dir nichts anhaben.«

Diesen Satz hatte Janus schon oft gehört. Obwohl er mittlerweile fast zwei Jahre bei der Triade lebte, war er mit Phobos immer noch nicht warm geworden. Er wusste, dass der Anführer der Hexen nur so stark war, wie man ihn fürchtete. Allerdings ließ sich Janus von dem Hexer immer wieder aufs Glatteis führen. Mit Deimos und Aphrodite verstand er sich hingegen sehr gut.

»Ich weiß«, versicherte Janus. »Ich weiß nur nicht, wie ich die Situation handhaben soll. Zumindest … manchmal habe ich das Gefühl, dass es mir zu viel wird.«

Deimos sah ihn von der Seite an. Musterte nachdenklich Janus Augenringe, die noch einen Ton dunkler als am Vortag waren. »Willst du wissen, wie es bei mir war?«, fragte er dann. Ohne nachzudenken, nickte der Jüngere. Deimos war der Erste seiner Mitbewohner, der ihm das anbot und Janus war neugierig.

»Du weißt, in mir ist ein Schreckensdämon versiegelt. Diese Überwesen spielen mit den Ängsten ihres Gegenübers und zwingen ihm so ihren Willen auf. Anders als Phobos Dämon, der Täuschung und Intimes nutzt, um seine Opfer gefügig zu machen, ist Mando auf gezielte Abschreckung spezialisiert. Ich war nicht lange bei den Hexen, als ich das Ritual durchführen sollte. Phobos und Aphrodite hatten eingehend darüber nachgedacht, ehe sie zustimmten. Mando ist sehr mächtig. Er kann einen Menschen, wenn er unachtsam ist, in den ersten Sekunden des Zusammentreffens töten. Er arbeitet mit den typischen, reflexartigen Mechanismen des menschlichen Körpers. Im Grunde erschrickt er dich zu Tode.« Deimos lächelte kurz selbstsicher. Das war, wie Janus schon vor Jahren gelernt hatte, eine Reaktion des Dämons auf das Gesagte. Mando fühlte sich geschmeichelt.

»Ich kannte sein Vorgehen und das Ritual war nicht schwierig. Mandos Stärke liegt im Überraschungsmoment. Wenn er das nicht hat, zieht er es vor, zu verschwinden, anstatt mühsam zu kämpfen. Der eigentliche Kampf begann jedoch erst nach der Versiegelung. Ich durfte niemals unachtsam werden. Immer wieder schlich er sich an meinen Geist an, wartete geduldig auf müde, schwache Augenblicke und malträtierte mein Inneres. Die Angriffe kamen oft so plötzlich, dass ich nicht wusste, wie ich mich wehren sollte. Ich lag schreiend auf dem Boden und versuchte, ihn niederzuringen. Es war schwer, ihn wieder in den Teil meines Seins zurückzudrängen, in dem er versiegelt war. Ich schlief wenig und meditierte viel, weil es die einzige Möglichkeit war, meinen Geist aufmerksam genug zu halten.«

»Wie gelang dir der Sieg über Mando?«, fragte Janus.

»Mit eisernem Willen«, erwiderte Deimos. »Es dauerte fast ein Jahr, bis er sich gänzlich ergab. Phobos meinte, dass das einer der widerspenstigsten Dämonen seiner ganzen Laufbahn gewesen war. Gewöhnlich wehren sich nur Wassergeister so beharrlich. Selbst jetzt versucht er manchmal, aufzubegehren. Im Grunde sind es nur seine Spielchen. Meine Verwandlung ist abgeschlossen. Wir sind eins, teilen uns diesen Körper und dessen Fähigkeiten. Ohne beide Schaden zu nehmen, können wir nicht mehr voneinander getrennt werden.«

Es sei denn, er erlangt die Kontrolle über das Gehirn, zuckte Janus eine Lektion aus dem Unterricht durch den Kopf. Der Kampf um die Vorherrschaft im Körper endete für einen Hexer nie.

»Was hat sich an dir verändert? Für mich siehst du noch ziemlich normal aus – zumindest, wenn ich dich mit Phobos vergleiche.« Deimos sah wie ein gut trainierter Mann aus und Janus wusste nicht, wie er vor dem Ritual ausgesehen hatte. Neben Phobos kannte er auch andere Hexen, die offensichtlich nicht menschlich waren. Von den meisten hatte der Student aber nur Fotografien gesehen. Hörner, Schwänze, Fell oder schuppige Haut waren nicht selten und traten größtenteils bei Geisterhexen auf.

Wieder grinste Deimos – dieses Mal war es sein eigenes Lächeln. »Optisch hat sich nicht viel geändert, das stimmt. Ich konnte lediglich leichter Muskeln aufbauen. Es sind die Dinge, die man nicht sehen kann. Mein Geruch hat sich verändert. Ich rieche kräftiger als vorher, das schreckt manche bereits ab. Meine gesamte Körperhaltung hat sich verbessert. Früher ging ich eher gebeugt, sah andere von unten an. Heute – und tatsächlich seit dem Zeitpunkt der Umwandlung – stehe ich stramm und aufrecht, jederzeit gewillt zu töten, wenn nötig. Ich sehe andere von oben herab an … es gibt noch mehr Kleinigkeiten, mit denen ich die Wahrnehmung der Menschen manipuliere. Aber, und das ist dir sicher schon aufgefallen, ist das nur der erste Eindruck. Hinter der Fassade bin ich weicher, daher haben Phobos und Aphrodite Mando zugestimmt. Er passt zu mir.«

Zustimmend nickte Janus. Sofort kamen die Erinnerungen an seinen eigenen Kompatibilitätstest wieder hoch. Zumindest der Test zur Einschätzung, welches Element am besten zu ihm passte. Seine Ausbilderin Cathrin van Helsing hatte ihm mit einem riesigen Messer tief in den Unterarm geschnitten und Blut auf ein Tuch tropfen lassen. Erst verfärbte es sich rot, dann grau. So aufgeregt, wie sie nach dem Test gewesen war, hatte er sie nie zuvor erlebt. Noch am selben Abend hatte sie Aphrodite angerufen, um ihr zu berichten, dass Jack ein Zeithexer werden könnte. »Wenn sie … wenn ihr«, verbesserte Janus, denn er wusste genau, dass auch Deimos über seinen Dämon entschieden hatte. »Wenn ihr Chronius nicht als geeignet befunden hättet, wäre es zu keiner Bindung gekommen. Richtig?«

Deimos nickte. »Es hat gute Gründe, warum wir uns an die Regeln der Urmutter halten. Phobos und Aphrodite hatten eine sehr enge Verbindung zu ihr. Ich habe sie leider nie kennengelernt, da ich erst nach ihrem Tod zu den Hexen gestoßen bin. Doch alles, was sie uns übermittelt hat, ist rein und wahr. Mach dir keine Sorgen. Trotz unserer Streitigkeiten in letzter Zeit werden wir gut auf dich achten.«

Janus wagte ein erleichtertes Lächeln und war dankbar für Deimos Worte.

»Wie sehen deine Pläne für den Tag aus?«, erkundigte sich der Cop dann.

»Ich muss mich in der Uni wieder mal blicken lassen«, antwortete Janus. »Den Vormittag habe ich frei … vielleicht lerne ich etwas.« Der andere nickte zustimmend. »Mal sehen, was auf den Straßen los ist … Ich habe es im Gefühl, dass es heute lustig wird …«

Janus kannte Deimos gut genug, um zu wissen, dass dieses Gefühl nur selten täuschte. Besonders an diesem Tag war es nicht abwegig. Am Abend sollte ein wichtiger Wohltätigkeitsball stattfinden, der schon für viel Tumult in Cataracta gesorgt hatte.

Deimos Bauchgefühl

Deimos sollte mit dem Gefühl recht behalten. Kaum, dass er gegen acht Uhr die Hauptwache betrat, kamen ihm seine zwei direkt unterstellten Ermittler entgegen. Deimos trug wie sie die dunkelblaue Uniform der Polizei mit der goldenen Dienstmarke an der Brust und der Pistole am Gürtel.

»Die ersten Demonstrationen haben begonnen und es gibt jetzt schon Übergriffe«, berichtete Zora Sokol. Sie war eine kleine, drahtige Rothaarige, die sich mit viel harter und engagierter Arbeit auf die Position gearbeitet hatte, die sie nun begleitete. »Die Streifen sehen sich nicht im Stande den Tumult aufzulösen.« Zustimmend nickte Matthew Schneider. Seine braunen Locken zitterten dabei leicht.

»Die sind aber früh dran«, brummte Mando in Deimos Innerem.

»Allerdings«, erwiderte Deimos nachdenklich. »Jemand muss sie angestachelt haben ...« An seine Ermittler gewandt sagte er: »Na dann, nichts wie hin.« Mit verkniffenem Mund, machte er auf der Hacke kehrt und setzt seine Pilotensonnenbrille auf. Flankiert von Sokol und Schneider schritt er über den Parkplatz vor dem Präsidium und stieg in ein schwarzes SUV.

»Sind Sie sicher, dass wir drei ausreichen, Boss?«, erkundigte sich Schneider.

»Auf jeden Fall«, gab Deimos schief grinsend zurück und fuhr los. Mit heulender Sirene bahnten sie sich einen Weg durch die überfüllten Straßen der Stadt und erreichten nach zehn Minuten den Aufstand.

Männer und Frauen schimpften, Schmerzensschreie ertönten, jedoch konnte Deimos den Grund für die Erregung noch nicht erkennen. Unstrittig blieb, dass es in Aggression ausartete. Die Menschen trampelten sich gegenseitig auf die Füße, schubsten und drängten. Manche trugen Schilder, auf denen mit unterschiedlichen Worten und Farben im wesentlichen zwei Botschaften geschrieben standen: »Keine Kinder für Hexen« und »Auch Hexen haben Rechte«.

»Das Übliche?«, brummte Mando, worauf Deimos zustimmte.

»EY!«, brüllte der Cop in einer Lautstärke, dass auch der letzte drei Querstraße entfernt ihn hätte hören müssen. Sokol und Schneider zuckten zusammen, obwohl sie diese dämonenverstärkte Taktik kannten. Von der Menge reagierten allerdings nur wenige und ließen ertappt von ihrem Streitpartner ab, als sie erkannten, wer sich dort vor ihnen aufgebaut hatte. Die Masse interessierte sich hingegen nicht für Deimos und seine Begleiter. Mit zusammengepressten Lippen betrachtete der Polizist den Mob eine Weile, dann donnerte er ein weiteres Mal. Keine Reaktion.

»Mh«, knurrte Mando. »Das reicht heute wohl nicht ...«

Entschlossen griff Deimos nach seiner Pistole und ballerte zweimal in die Luft. Langsam wurde es ruhiger, doch noch nahmen ihn nicht alle wahr oder ignorierten ihn schlicht. Er sah, wie ein Hund inmitten der Menschen aufgeregt bellend herumsprang. Deimos war einer der besten Schützen der Polizei, kaum einer konnte ihm das Wasser reichen und das wusste er auch zu nutzen.

»Boss, das sollten Sie lassen«, zischte Schneider, als er glaubte, den Plan seines Vorgesetzten zu erahnen. Keiner hätte den Kläffer treffen können.

»Keine Sorge, ich weiß, was ich tue«, erwiderte Deimos mit einem gefährlichen Lächeln.

»Zeig mal einen richtig schön zerfetzten Köter«, wandte er sich an seinen Dämon. Der Schuss knallte und der Hund sackte an Ort und Stelle zusammen. Blut färbte den Asphalt und plötzlich kehrte Ruhe ein. Deimos verstaute in Seelenruhe die Pistole im Holster und stemmte die Hände in die Hüfte. Wie leicht konnte man Menschen doch beeindrucken, wenn es um das sinnlose Töten unschuldiger Kreaturen ging. Jetzt hatte er seinen Auftritt, seine Wirkung. Durch die Sonnenbrille erkannte keiner seinen Blick, doch alle wussten, wer vor ihnen stand und dass die Prügelei jetzt ein Ende gefunden hatte.

»Was soll der Scheiß hier?«, blaffte er, der Kiefer bebte. »Ich dulde keinen Aufstand – ist das klar?! Jetzt verzieh’n sich die Hexengegner dort die Straße runter«, er deutete nach Osten, »und die anderen dort lang.« Er zeigte gen Westen. Er wusste, dass sich dort die Lager der jeweiligen Parteien befanden. Allerdings fragte er sich, was die beiden Gruppen dazu bewogen hatte, gerade auf dieser Straße, die sonst als Grenzgebiet gegolten hatte, zu demonstrieren. Hätte er doch Straßensperren veranlassen sollen? Um weitere Tumulte an diesem Tag zu vermeiden, gab er sofort den Befehl über Funk durch.

»Du weißt, dass das nicht viel bringen wird?« Mando war heute besonders pessimistisch. Der Hexer wusste, dass die Stimmung des Dämons nichts anderes als ein Spiegel für seine eigenen Sorgen war.

»Vielleicht schreckt es ab«, erwiderte er und wandte sich zum Gehen. »Nehmt euren Köter mit!«, brüllte er den Demonstranten nach, während der Hund aufsprang, als wäre nichts gewesen. Selbst das Blut war verschwunden. Die Besitzer waren verstört und wussten nicht, was sie denken sollten, lachten und weinten gleichzeitig.

Es knallte zweimal ohrenbetäubend und in Deimos Kopf und Brust flammte Schmerz auf. Steif wie ein Brett kippte er zu Boden, während sich die restlichen Demonstranten in heilloser Panik von der Straße flüchteten.

»Boss!«, entfuhr es Sokol und sie stürzte neben Deimos nieder, um ihn auf den Rücken zu drehen. Währenddessen sah sich Schneider mit zusammengekniffenen Augen nach dem Schützen um, konnte inmitten der Hochhäuser aber beim besten Willen nichts Eindeutiges erkennen. In mehreren Häusern wurde gebaut, Gerüste umstellten zwei von ihnen und Bauplanen flatterten im Wind. Dort oben wäre es ein Leichtes gewesen sich auf die Lauer zu legen.

»Alles gut«, beruhigte der Hexer seine Kollegen und setzte sich auf. Der Kopfschuss hatte ihm den Schädel knapp über dem rechten Auge durchschlagen, die zweite Kugel steckte nahe seines Herzens. Die Dienstmarke, die er an der Brust trug, hatte dem Geschoss nicht standhalten können. Auch die Sonnenbrille hatte den Sturz nicht überlebt und lag verbogen neben ihm.

»Das sind Arten«, brüskierte sich Mando.

»Brauchen Sie einen Arzt?«, fragte Sokol besorgt. Ihr war bewusst, dass Wesen wie Deimos nicht einfach zu töten waren. Dennoch nahm es sie sichtlich mit. Es war nicht normal, dass zwei Schüsse Deimos ohne Weiteres zu Boden schickten. Sonst hätte er von einem Kugelhagel durchsiebt werden können und wäre immer noch auf den Beinen gewesen.

»Das war definitiv ein Scharfschütze«, meinte Schneider, auf die Verletzungen ging er erst gar nicht ein. Sokol reichte Deimos ein Taschentuch, mit dem er sich zumindest den Hinterkopf säuberte. Die Einschußkanäle verheilten bereits.

»Der wusste genau, was er tat. Erst der Schuss in die Brust, dann der Kopf – zur Sicherheit«, beendete Deimos den Gedanken seines Kollegen. »Das war ein Jäger.« Er erhob sich, putzte sich den Schmutz von Hemd und Hose, richtete die tiefblaue Krawatte und rückte den breiten Gürtel zurecht. Nur Jäger stellten diese Art von Projektilen her. Gepanschtes Metall, möglichst viele verschiedene Sorten ineinander gerührt und mit unterschiedlichen Materialien versetzt. Je unnatürlicher das fertige Gemisch war, desto mehr schadete es einer Hexe und ihrem Überwesen - das im Grunde nichts anderes als pure Natur darstellte.

Schneider zog die Augenbrauen zusammen. »Es scheint trotzdem nur ein Test gewesen zu sein. Es ist stadtbekannt, dass Sie ein Hexer und nicht mit gewöhnlichen Kugeln zu töten sind. Was sollte das also?«

»Der Tumult sollte Sie nur hierher locken«, führte Sokol die Überlegungen weiter. Dann grinste sie. »Wenn ich es recht bedenke, war es tatsächlich die beste Variante unseren übermütigen Chef aus seinem Häuschen zu holen.«

Deimos war bewusst, dass sie nur einen Spaß machen wollte, doch war er nicht mehr zum Scherzen aufgelegt. Seine blauen Augen zuckten nun auch von einem Hochhaus zum anderen und musterten die Gerüste, Fenster und Planen genau.

»Das war kein Test«, begann Mando mit seiner tiefen Stimme. »Das war eine Drohung.«

Deimos konnte diese Attacke mühelos überstehen. Solange sein Kopf auf dem Hals saß oder er nicht gänzlich zu Asche verbrannt wurde, musste er die Waffen der Jäger nicht fürchten. Jedoch gab es andere, die eine Kugel in Herz oder Hirn bei Weitem nicht so locker weggesteckt hätten.

»Wir fahren zurück ins Präsidium«, befahl er, klaubte die Überreste der Sonnenbrille auf und marschierte gefolgt von Sokol und Schneider zu seinem Wagen. »Und die Streifen machen gefälligst wieder ihre Runde!«

Er ließ Sokol ans Steuer und holte sein Smartphone aus einer der zahlreichen Gürteltaschen. Schnell hatte er Phobos Nummer gewählt, während er sich auf die Rückbank setzte. Noch immer suchten seine Augen die Hochhäuser um ihn herum ab.

»Phobos Büro, Sie sprechen mit Colette Blanc, was kann ich für Sie tun?«

»Mein Mann soll sofort ins Präsidium kommen, es ist wichtig«, begann er ohne sich vorzustellen.

»Er ist gerade in einer Besprechung, soll ich etwas ausrichten?«

»Er soll zusehen, dass er bei mir antanzt«, zischte Deimos. Meeting ... jetzt ließ Phobos ihn schon von der Vorzimmerdame abwimmeln.

Bis zur Mittagspause ließ der Schreckenshexer tatsächlich auf sich warten. Da tauchte er in seinem Hochglanzsportwagen und reichlich unnötiger Dramatik auf.

»Was gibt’s denn?«, fragte er freundlich lächelnd und folgte Deimos in dessen Büro im dritten Stock. In der Öffentlichkeit war Phobos kaum wieder zu erkennen. Mit dem charmanten und höflichen Auftreten, das er Zuhause in letzter Zeit nur sehr wechselhaft an den Tag legte, machte er Deimos nervös.

Der Hexer sagte kein Wort, bis er die Glastür hinter sich geschlossen und die Jalousien zugezogen hatte. Sein Lebensgefährte hatte sich in der Zwischenzeit am Schreibtisch niedergelassen und legte die Füße auf der Platte ungeachtet der zahlreichen Unterlagen und Mappen ab. Gelangweilt kramte er in der Jackettasche nach seiner Zigarrenschachtel.

»Hier drin nicht«, knurrte Deimos und ließ sich ihm gegenüber auf den Schreibtischstuhl sinken.

»Was soll der helle Fleck an deiner Stirn?« Phobos tippte sich selbst über dem rechten Auge an die Stelle. »Das hattest du heute Morgen noch nicht. Wieder mal eine kleine Razzia im Waffenkartell?«

»Damit sind wir gleich beim Thema«, erwiderte der Cop gereizt. Er hasste es auf Phobos warten zu müssen. Mehr hasste er es, wenn er wusste, dass er das absichtlich tat. Jetzt stichelte sein Mann obendrein mit dieser kindischen Art. »Ein Scharfschütze hat mich niedergeschossen. Die Kugel, die neben dem Herzen steckengeblieben war, habe ich mir vorhin rausgeholt ...«

Phobos begriff den Ernst der Lage sofort. Schnell nahm er die Füße vom Schreibtisch und setzte sich aufrecht hin. »Ein Test?« Das gekränkte Verhalten war ehrlicher Sorge gewichen – binnen eines Wimpernschlags war er wie früher.

»Nein, es war bewusst und – wie es selbst Schneider bemerkt hat – weiß jeder, dass man mich nicht mit Kugeln töten kann.«

»Das stimmt …« Deimos Gegenüber nickte einige Male vor sich hin, dann lehnte er sich zurück und verschränkte die Finger. »Wer immer es auch war, wird es heute Abend wieder versuchen … Reichen die Wachen aus?«

»Es sind so viele, wie ich entbehren kann, ohne die Ruhe in der Stadt zu gefährden. Die Gästeliste habe ich mehrmals überprüft und das Personal angewiesen, nur angemeldete Gäste einzulassen – keine unbekannte Begleitung. Wenn er es darauf anlegt, kommt er trotzdem irgendwie rein«, erklärte der Hexer mit zunehmend mehr Sorgenfalten auf der Stirn.

»Aber es gibt uns beide«, ergänzte Phobos.

»Und Aphrodite«, setzte Deimos hinzu.

»Das wird ihr gewaltig die Stimmung verhageln. Der Abend ist verdammt wichtig … für uns alle.«

»Mir ist schon alles vergangen«, stöhnte der Polizist, lehnte sich zurück und starrte an die Decke. Eigentlich hatte er sich auf die Charity Veranstaltung gefreut. Ihre Frau bereitete das Treffen ihrer Stiftung bereits lange vor und es wäre eine nette Abwechslung zum grauen Alltag.

Eine Weile schwiegen sich die beiden nur an. Dann erhob sich Phobos, ging um den Schreibtisch herum und blieb hinter seinem Partner stehen. Sein Blick traf den des anderen und sanft legte er die linke Hand auf dessen Stirn.

»Ich nehme dir die Angst«, murmelte er. Er sagte es mehr zu sich selbst als zu Deimos, doch der Polizist fühlte, wie ihm das Herz leichter wurde.

»Wann kommst du nach Hause?«, wollte er dann wissen und ließ die Hand zu Deimos Nacken wandern, wo er mit kräftigen Handgriffen die Anspannung massierte.

»Gegen fünf«, erwiderte dieser. »Das reicht doch?«

»Ja«, antwortete Phobos knapp und lächelte sanft. »Bis dann.« Zärtlich berührten sich die Lippen der beiden, dann verließ sein Mann das Büro, als wäre nichts gewesen.

»Der ist ja heute überraschend normal«, stellte Mando trocken fest.

Deimos atmete tief ein und aus. So lange hatte es gedauert, dass Phobos ihn wie immer behandelte. Dafür musste er nur niedergeschossen werden – das musste er sich merken. Jedoch bezweifelte er, dass die Spannungen, die zwischen den Männern und auch ihrer Frau bestanden, geklärt waren. Phobos Sorge um ihn ließ die gekränkte Seele kurz vergessen. Allerdings brauchte es eine Nacht, in der Aphrodite die Arme nur um Deimos schlang, während sich Phobos allein in seine Privaträume zurückzog. Schon flammte die Eifersucht wieder auf ...

In der Vergangenheit hatte er oft versucht zu vermitteln, doch jetzt sah er es nicht mehr ein, sich weiter zu bemühen. Die beiden mussten das Ganze einfach klären … wobei definitiv Phobos derjenige war, der auswich.

Nach vier Stunden im Präsidium war Deimos froh, dass es nicht noch andere Zwischenfälle gegeben hatte. Obwohl in Herrenburg natürlich nie nichts passierte. Unzählige Male waren Polizisten ausgerückt. Zu Überfällen, Morden, Einbrüchen, Scherzanrufen, Unfällen - das Übliche eben.

Da er den Papierkram gut bewältigt hatte, beschloss er, früher nach Hause zu gehen. Er packte seine Habseligkeiten zusammen, erteilte die letzten Anweisungen und hinterließ einen reichlich unfreundlichen Eindruck bei den Gefangenen in den Nachtzellen. Dann begab er sich doch pünktlich mit seinem Geländewagen auf den Heimweg.

Ständig suchten seine Augen die Gebäude um ihn herum ab. Mando wies ihn brummend daraufhin, wie sinnlos das war. Deimos wusste es auch selbst nur zu gut, dennoch gab es ihm etwas Sicherheit.

Zu Hause angekommen wurde er von Aphrodite strahlend empfangen. Sie war mit Abstand die schönste Frau, die er je gesehen hatte und an diesem Abend war sie nochmals bezaubernder. Sie hatte sich für den Ball fertiggemacht, war geschminkt und frisiert. Ihr kastanienbraunes Haar wallte in großen Locken über ihre linke Brust und ihre tiefbraunen Kulleraugen strahlten glücklich. Ihr Mund mit den geschwungenen, vollen Lippen lud ihn zum Küssen ein. Ihre schlanke Statur hatte sie in ein rotes, luftiges Kleid gehüllt, was ihrer leichten Bräune schmeichelte.

Kaum war er aus dem Aufzug getreten, schlang sie ihre zarten Arme um ihn und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Gierig sog er ihren betörenden Rosenduft ein. So schnell, wie sie auf ihn zu geschwebt war, hatte sie sich wieder von ihm gelöst.

Er zog die Schuhe in der Garderobe aus und folgte Aphrodite in das helle, edle Wohnzimmer, wo Janus und Phobos warteten. Scheinbar waren die drei gerade in die Auswahl eines geeigneten Hemds für den Studenten vertieft. Allerdings hatte Deimos für so etwas kein Auge und sagte daher nichts dazu. Stattdessen begrüßte er seinen Mann mit einem Kuss, nickte Janus lächelnd zu und verschwand dann in seine Räume. Wie auch Aphrodite und Phobos hatte er ein Zimmer und Bad für sich allein, die am Ende des langen Flurs lagen. Am Kleiderschrank hing seine Abendgarderobe – ein schwarzer, edler Anzug mit Krawatte und dunkelgrauen Hemd. Ein schiefes Grinsen huschte über sein Gesicht – ja, Aphrodite würde heute ihren Auftritt haben, während er und Phobos die Bodyguards mimten.

Schnell zog er die Uniform aus, schmiss alles in den Wäschekorb im Bad und sprang unter die Dusche. Eine halbe Stunde später trat er glatt rasiert und im Anzug ins Wohnzimmer, wo die anderen für den Aufbruch bereit waren. Es würde ein gefährlicher Abend werden – das spürte Deimos.

Phobos Abend

»… über die letzten fünf Jahre konnten 1.569.578 Draken gesammelt werden. Das Geld wurde in die Fruchtbarkeitsforschung und in die Unterstützung …« Zufrieden lauschte Phobos Aphrodites Worten, die die Erfolge ihrer Stiftung präsentierte. Im Publikum saßen die Würdenträger der Stadt, Freunde und Bekannte, Unterstützer der Untersuchungen, Wissenschaftler aus Medizin und Forschung und natürlich Reporter und Fotografen. Hier und da blitzte eine Kamera, die versuchte die Schönheit seiner und Deimos Frau einzufangen. Die beiden flankierten Aphrodite auf der Bühne. Während diese leidenschaftlich von ihrer Arbeit berichtete, musterten die Männer den Saal. Besonders die Galerie, die für den Abend abgesperrt wurde, erregte immer wieder Phobos Aufmerksamkeit. Tatsächlich gab es in den Schatten jedoch nichts zu sehen.

Zu Füßen des Podiums standen zahlreiche, runde Tische, an denen die Gäste platziert waren. Vor Aphrodites Rede war das reichliche Dinner serviert worden und manche nippten noch an ihren Getränken. Phobos hatte sich nur mit Wein gestrecktes Blut gegönnt, viel mehr vertrug sein Magen seit der Umwandlung nicht.

Der Saal war mit Blumenarrangements und Kerzen dekoriert, wobei für den Hexer auch die Hälfte des Schmucks ausgereicht hätte. Über der Bühne hing das Banner mit dem Namen und dem Motto der Stiftung: »Kinder für Hexen – der Natur zum Trotz!«

An dem Slogan hatten sich schon viele Kritiker gestoßen, tatsächlich drückte er aber genau das aus, was vielen seiner Art zu schaffen machte.

Hexen waren Kinder eines Überwesens und einer Menschenfrau – demzufolge Halbwesen. So vereinten sie in ihrem Körper menschliche und übernatürliche Eigenschaften. Das machte sie nahezu unsterblich, andererseits empfanden sie menschenähnlich und besaßen deren Lebenswillen. Halbwesen lag ein ursprüngliches Verständnis für die Natur im Blut. Zusammen mit dem Willen, wie ihn nur Menschen besitzen, waren sie im Stande, sich gegenüber gottähnlichen Wesen durchzusetzen. Die Kombination befähigte sie, die Essenz von Geistern und Dämonen von ihrem Leib zu trennen und sie zu binden. Erst dann durften sie sich »Hexe« nennen.

In den letzten Jahrzehnten waren kaum Hexenkinder geboren worden. Das war der Jahrhunderte andauernden Verdrängung der Überwesen durch die Drake geschuldet. Aphrodite bemühte sich mit einer Organisation, die Geister und Dämonen wieder in Cataracta anzusiedeln. Von Anfang an stellte dies ein schwieriges Unterfangen dar, denn zu viele hatten bereits ihr Ende gefunden. Nur Konkan, die verschollene Göttin ihrer Welt, erschuf Überwesen.

Mittlerweile hatte Aphrodite es erreicht, dass einige Menschen wieder den Lehren der Götterverehrung folgten, doch reichte das nicht aus. Es gab fast keinen Nachwuchs und trotz ihrer langen Lebenszeit stieg die Wahrscheinlichkeit auszusterben.

Das allein trug jedoch nicht zu Phobos Sorge bei. Deimos hatte es oft anklingen lassen und der Angriff am Vormittag hatte es bestätigt, dass sich ihre Feinde sammelten. Ungeachtet aller Bemühungen und Veränderungen hin zur ursprünglichen Überwesenverehrung gab es jene, die den Glauben nicht teilen konnten. Sie sahen in den Hexen und deren Lehren die Unterdrückung der Menschheit und die galt es zu bekämpfen – auch wenn es langwierig und schwer war.

Wozu dann die Forschung? Aphrodites Untersuchungen setzten dort an, wo man der Natur auf die Sprünge helfen musste. Halbwesen konnten nur von Menschen geboren werden. Zum Wachsen brauchte der Embryo Leben, das ihn umhüllte. Ein Geist oder Dämon konnte das nicht geben, da er in seiner Unsterblichkeit nicht wirklich lebte. Der Lebensfunken, der in den Überwesen war, reichte gerade aus, um ein Kind zu zeugen.

Ein Halbwesen wiederum vereinte die Eigenschaften beider Kreaturen in sich. Sie konnten Babys zeugen sowie austragen. Ungeachtet dessen waren sie äußerst unfruchtbar. Hatten sie den Status einer Hexe erreicht, sanken die Chancen für Nachwuchs nochmals, denn Überwesen teilten sich keinen Wirt.

Aphrodite trug sich lang mit dem Gedanken, Mutter werden zu wollen, ehe sie sich ihren Männern anvertraute. Anfangs hatten sie es für unmöglich gehalten, natürlich hatte sie aber auf ein paar Tests bestanden. Sie wollte es schwarz auf weiß vor sich sehen, dass ihr Körper nicht in der Lage wäre, ein Kind auszutragen, dass ihre Männer unfruchtbar wären. Da kam die große Überraschung: Es war möglich, wenn auch mit verschwindend geringer Wahrscheinlichkeit.

Phobos Frau beharrte daraufhin auf die Gründung einer Stiftung, um Geld für die Forschung zu sammeln. Schnell meldeten sich andere Hexen, die von der damals noch fixen Idee begeistert waren. Das war nun schon über 30 Jahre her.

Da begann die schier endlose Suche nach dem geeigneten Schutzzauber. Kein Stein, kein Talisman, keine Formel wollte passen. Die Fruchtbarkeit konnte außerdem durch keine Hormontherapie angehoben werden. Es war im wahrsten Sinne des Wortes verhext. Sie lebten ihr Leben weiter, kümmerten sich um die wichtigen Dinge, doch Aphrodite hielt daran fest. Egal wie schwierig es wurde, sie versuchte Unterstützer für ihren Gedanken zu finden. Schließlich flossen sehr viele eigenen Ersparnisse in die Stiftung.

Vor 18 Monaten, Janus lebte bereits bei ihnen, hatten die Forscher dann einen Zauber aufgetrieben, so alt und ursprünglich wie die Hexen selbst. Er war in van Helsings Bibliothek aufgetaucht, als sie nach langer Zeit eine Bestandsaufnahme durchführen ließ. Da keiner wusste oder auch nur abschätzen konnte, wie die Überwesen auf die Magie reagieren würden, bot sich Phobos Frau sofort als Testperson an.

Seitdem unterzog sie sich wöchentlich Tests, achtete penibel auf sich, ihre und Deimos Ernährung. Der Jüngere war von den Ärzten als geeigneter befunden worden, auch weil er insgesamt näher am Leben war als Phobos. Der Umstand, dass er Blut zum Überleben zu sich nehmen musste, zeigte, wie nah Umbra ihn an die unmenschliche Unsterblichkeit gebracht hatte.

Dieser Abend nun wurde von ihnen, der Triade, geradezu fieberhaft erwartet. Neue Erkenntnisse wurden vorgestellt, welche die Öffentlichkeit von einem baldigen Gelingen überzeugen sollten. Der Angriff auf Deimos überschattete jedoch Phobos Gedanken.

Direkt vor der Bühne hatten Aphrodite, Deimos, Janus und Phobos ihren Tisch, wo der Schützling saß und lächelnd lauschte. Am linken Ringfinger stak ein rubinbesetzter Ring, den Aphrodite ihm in der Limousine auf dem Weg zum Wohltätigkeitsball gegeben hatte. »Er sorgt dafür, dass dir nichts geschieht«, hatte sie mit einem bezaubernden Lächeln gesagt. Auch Deimos und er trugen einen solchen Ring, jeder an der linken Hand. Phobos hoffte, dass sie nur Teil unnötiger Sicherheitsvorkehrungen waren. An Deimos angespanntem Kiefer konnte er allerdings nur zu gut ablesen, dass der Abend mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so ausgehen würde, wie ihre Liebste sich das ausgemalt hatte. Unbewusst tastete er nach seinen Eheringen, spürte das kalte Metall und fühlte sich seinen Geliebten näher.

Nach dem Gespräch mit Deimos war er sofort zu ihr gefahren und hatte ihr von den Geschehnissen erzählt. Wie vermutet, war sie alles andere als erfreut gewesen und ihre Schönheit war kurzzeitig von stiller Wut überschattet worden. Es hatte aber nicht lang gedauert, bis sie die Ringe aus ihrer Schmuckschatulle gezaubert hatte und mit einem zufriedenen Grinsen meinte: »Dann sind die hier ja doch noch nützlich.«

Hoffentlich muss sie die Ringe nicht benutzen, dachte Phobos bei sich. Eigentlich wäre es keine Schwierigkeit für sie, trotzdem wollte er es ihr ersparen. Zumal ihm seit ein paar Tagen einige Veränderungen an ihr aufgefallen waren. Sie reagierte ungewöhnlich empfindlich auf den Zigarrengeruch, fasste sich unbewusst an die Brust, als würde sie schmerzen, wirkte oft müde und erschöpft. Sie oder Deimos hatten nichts gesagt, dennoch war Phobos überzeugt, dass die häufigen Versuche endlich von Erfolg gekrönt waren.

»… und nun – zum Abschluss dieser doch zu lang geratenen Rede …«, fing Phobos Aphrodites Worte auf, auf die ein paar Lacher aus dem Publikum folgten. »… möchte ich vom größten Durchbruch unserer umfangreichen und anstrengenden Forschung berichten. Meine Damen und Herren, Freunde, meine Geliebten, Phobos und Deimos-« Weiter kam sie nicht. Schüsse einer Maschinenpistole knallten durch den Raum und versetzten die Gäste in helle Aufregung und Aphrodite in höchste Wut.

»Bastard!«, fluchte sie und riss die linke Hand empor. Am Handgelenk trug sie ein rubinbesetztes Silberarmband, die Edelsteine funkelten im Scheinwerferlicht und plötzlich wurden die Triade und Janus in blutrote, durchscheinende Kugeln eingehüllt. Erschrocken sah sich der junge Mann um. Doch Phobos sah ihm die Erleichterung an, als er begriff, dass sich ein kugelsicherer Schutzschild um ihn gebildet hatte.

»Wo ist er?«, zischte der Hexer erbost.

»Auf der Galerie … ich habe ihn die ganze Zeit nicht bemerkt«, erwiderte Deimos verärgert.

Im Saal war inzwischen Panik ausgebrochen. Die Schüsse knallten unaufhörlich und hämmerten auf die Schutzsphären ein. Manche Gäste lagen verwundet und schreiend am Boden.

»Wir brauchen Chaos«, entschied Phobos. Umbra, der Dämon in seinem Inneren, regte sich und begann düstere Emotionen heraufzubeschwören.

»Dann beeilt euch, die Schilde sind fast aufgebraucht«, mischte sich Aphrodite ein. »Ich bin bei Janus.« Damit sprang sie in den Zuschauerraum und eilte an ihren Tisch zurück. Die beiden Schutzschilde verbanden sich zu einem Größeren, die um Phobos und Deimos erloschen - sie würden bei der Chaosbeschwörung nur hinderlich sein.

»Bist du soweit?«, erkundigte sich Phobos bei seinem Mann. Er nickte nur hoch konzentriert. Sie machten zwei Schritte bis an den Bühnenrand, ergriffen die Hand des anderen und ließen die Freie weit gespreizt nach vorn schnellen. Im Fluss der Bewegung schoss aufgewühlte Energie aus dem Herzen des Hexers, drängte durch den Arm und dunkler Nebel quoll aus der Handfläche. Phobos biss die Zähne zusammen, kämpfte gegen den Schmerz an, den das Durcheinander der Gefühle in ihm verursachte. Geschwind entwickelte sich der Rauch zu einer gewaltigen Wolke knisternder Elektrizität, grollenden Donners und heulenden Sturms. Die tiefviolette Woge schob sich in den Saal, verband sich mit Deimos rot-violetten Chaosgebilde und schluckte die Gäste in ihr Inneres. Die Schreie wurden leiser, bis sie erstarben. Aphrodite und Janus waren ebenso im Chaos verschwunden, doch die Schüsse von der Galerie waren nicht verstummt.

»Den hol ich mir jetzt«, entschied der Hexer und löste sich von seinem Partner. Dieser warf ihm einen mahnenden Blick zu, dann hob er auch die andere Hand und fütterte das Chaos mit seiner Energie. Phobos sprang von der Bühne, wich geschickt den Ausläufern der Wolke aus und bahnte sich an der Seitenwand des Saals entlang einen Weg. Hinter ihm jaulte Mando vor Freude, als er sich in Form eines blutroten Gespinstes um Deimos manifestierte. Das Chaos in Größe und Ausprägung als Schutzhülle aufrecht zu erhalten, erforderte enorme Kräfte. Bei Deimos wurde dabei die körperliche Hülle durchlässig und der Dämon trat nach außen. Dennoch blieb er fest mit seinem Herrn verbunden.

Phobos hatte einen Wimpernschlag später das Ende des Festsaals erreicht und sah die Mündungsfeuer über sich. Ohne lang nachzudenken, machte er einen Satz und landete auf dem Geländer der Galerie.

»Jetzt ist Schluss mit der Party«, zischte er und schritt auf den Schützen zu. Obwohl er verloren hatte, gab der Mann nicht auf. Die Kugeln durchschlugen den Hexer, während er unaufhaltsam näher kam und dem Angreifer die Automatikpistole aus den Fingern schlug. Phobos rechte Hand schnellte an die Stirn des Fremden, packte fest zu und drückte ihn gegen die Wand. Stöhnend wehrte sich sein Gegenüber gegen die unbändige Kraft, doch die Versuche blieben erfolglos.

»Ich werde dir zeigen, was Angst ist«, drohte Phobos, die Pupillen waren zu Schlitzen verformt, die spitzen Zähne ragten aus dem hämisch grinsenden Mund. Der Schütze versuchte nicht einmal, dem Blick auszuweichen, und so fing Phobos die Augen des anderen ein. Der Mann konnte sich nicht mehr von Phobos Fratze abwenden, sein gesamtes Innere lag ausgebreitet da und der Hexer las darin wie in einem Buch. Im Bruchteil einer Sekunde wusste Phobos von all den Ängsten des Angreifers – offene und verborgene, bewusste wie unbewusste. Und all diese Ängste ließ er ungehemmt, ungeschönt und unaufhaltsam in das Hirn des Kerls fließen. Reflexartig schrie und schlug er um sich, versuchte, sich aus Phobos Griff zu befreien, doch es gelang ihm nicht. Es dauerte nicht lang und die Tritte wurden schwächer, bis er vollständig erschlaffte. Der Hexer ließ den Fremden auf den Boden sacken.

»Du kannst das Chaos zurücknehmen!«, rief Phobos in Richtung Bühne, dann wandte er sich wieder dem Schützen zu. Dieser war etwa 40 Jahre alt, trainiert und ungepflegt. Er trug schwere Stiefel und militärisch anmutende Schutzkleidung. Phobos hockte sich neben den Mann, betrachtete das markante, müde Gesicht und fragte sich, wieso er keinen Helm trug. Es war kein Geheimnis, dass das Hexenoberhaupt einen Menschen am Kopf berühren musste, um die Ängste lesen zu können. Offensichtlich handelte es sich bei dem Mann um einen Jäger – zumindest sprachen Ausrüstung und Kleidung dafür. Warum hatte er sich nicht geschützt? Weshalb hatte er nicht die gepanschte Munition verwendet, die sie gewöhnlich nutzten?

Ein unbestimmtes Verlangen nach Blut keimte in ihm auf. Phobos griff mit beiden Händen nach dem Rollkragen, riss ihn in einer schnellen Bewegung auf und grub die Eckzähne in den Hals des Angreifers. Ein letzter, erschrockener Laut entfuhr der Kehle seines Opfers, dann wich jedes Leben aus ihm.

Phobos wischte sich zufrieden die vollen Lippen, als Sirenen zu hören waren und die ersten Sanitäter den Saal betraten. Es gab Verletzte und vier Tote, glücklicherweise blieben Aphrodite und Janus unverletzt. Deimos hatte das Chaos in der Zwischenzeit zurückgerufen und die Gäste, die er darin zu ihrem eigenen Schutz gefangen genommen hatte, freigegeben. Die meisten waren mit einem Schrecken davon gekommen, der Aufenthalt im Chaos war dennoch nicht zu unterschätzen. Zu ihrem Glück mussten sie nur wenige Augenblicke in der Materie verbringen, die normalerweise als Gefängnis oder Folterinstrument diente. Der größte Vorteil des Chaos war nach wie vor, dass binnen kurzer Zeit ein komplett abgeriegelter Raum geschaffen werden konnte.

Der Student starrte verschreckt vor sich hin, als Phobos zu ihm und seinen Partnern trat.

»Geht’s euch gut?«, erkundigte er sich bei ihnen.

»Alles bestens«, erwiderte Aphrodite mit einem Lächeln, während sie Janus Schulter tätschelte. »Nur ein Schrecken.«

»Damit kennen wir uns ja aus«, scherzte Deimos. Ihm war die Anstrengung von der Chaosbeschwörung noch anzusehen.

»Er hat auf mich gezielt …«, murmelte ihr Schützling vor sich hin. Das blonde Haar war zerzaust, seine müden Augen starrten vor ihn auf den Boden. »Er wollte mich töten.«

Aphrodite biss sich auf die Unterlippe und Phobos wusste genau, dass sie überlegte, was sie Janus sagen sollte. Sie griff nach seiner Hand und strich sanft über den Ring. »Es ist ja alles gut gegangen. Wir beschützen dich.« Sie lächelte aufmunternd und er schien sich zu beruhigen. Trotzdem hatte ihn der Gedanke noch nicht losgelassen.

Deimos begrüßte die Polizeibeamten, die gerade eintrafen und wechselte ein paar Worte mit ihnen. Mit ernster Miene kam er dann auf seinen Mann zu. »Musste das mit dem Aussaugen sein?«, fragte er grimmig. Er zischte es, sodass die anderen nichts davon hörten.

»Hätte ich ihn verkommen lassen sollen?«, erwiderte der Hexer gelassen. »Einen Jäger vermisst niemand und es war Notwehr.« Deimos schüttelte den Kopf, doch sagte er nichts mehr, stattdessen wandte er sich den Beamten zu.

Der Cop wusste es genauso gut wie Phobos, dass er im Recht war. In solch einer Situation war es jedem gestattet, den Angreifer auszuschalten. Bei einem Jäger musste grundsätzlich von uneingeschränkter Tötungsabsicht ausgegangen werden, schließlich ging er damit seiner Arbeit nach. Außerdem war Phobos frisches Blut zu kostbar, um es einfach liegen zu lassen.

»Wir sollten nach Hause fahren«, schlug Deimos dann vor. »Hier stehen wir nur im Weg. Unsere Aussagen müssen wir morgen auf der Dienststelle machen.« Alle stimmten zu und Aphrodite half dem Studenten auf die noch wackeligen Beine.

In ihrer Wohnung angekommen ließen sich die vier im Wohnzimmer auf dem Ledersofa nieder. Die Männer lockerten die Krawatten, Janus und Deimos legten die Jacketts ab und Aphrodite teilte Getränke für jeden aus.

»Was wolltest du zum Schluss eigentlich sagen?«, fragte Janus nach dem Anstoßen. Im Lauf der Fahrt und nun wieder innerhalb sicherer Wände schien er sich erholt zu haben.