Chaos Walking - Die Zukunft der Welt - Patrick Ness - E-Book

Chaos Walking - Die Zukunft der Welt E-Book

Patrick Ness

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Beschreibung

Das atemberaubende Finale des internationalen Fantasy-Bestsellers

Todd und Viola sind voller Hoffnung, als ein Schiff mit neuen Siedlern ankommt, zumal sie den tyrannischen Major Prentiss außer Gefecht setzen konnten. Doch ausgerechnet jetzt erheben sich die vom Major unterjochten Ureinwohner, und als diese Schlacht beginnt, weiß Todd sich keinen anderen Rat, als die Hilfe des grausamen Führers zu erbitten. Und plötzlich bestimmt wieder die Machtgier von wenigen das Schicksal aller anderen. In dieser Situation ist jede Entscheidung eine über Leben und Tod: dem Tyrannen folgen oder den Terroristen, das Leben eines geliebten Menschen retten oder die von tausenden Fremden, an Erlösung glauben oder dass alles verloren ist? Todd und Viola müssen alle Gewissheiten infrage stellen, während sie sich dem Schrecken dieses letzten, alles entscheidenden Krieges stellen ...
Tiefgründig, herzzerreißend und unfasslich schön geschrieben, schlägt einen diese Trilogie des preisgekrönten Bestsellerautors in ihren Bann!

Die »Chaos Walking«-Reihe:
Chaos Walking – Die Mission (E-Short, Prequel 1)
Chaos Walking – Der Roman zum Film (Band 1)
Chaos Walking – Es gibt immer eine Wahl (Band 2)
Chaos Walking – Vor dem Fall (E-Short, Prequel 2)
Chaos Walking – Die Zukunft der Welt (Band 3)
Chaos Walking – Die letzte Grenze (E-Short, Sequel 3)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 693

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Die Zukunft Der WeltBUCH 3 

Aus dem Amerikanischen von Petra Koob-Pawis

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Erstmals als cbt Taschenbuch Januar 2023 

© 2010 Patrick Ness

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Chaos Walking 3 – Monster of Men« bei Walker Books Ltd, London

© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Ursprünglich erschienen unter dem Titel »New World 3 – Das brennende Messer« bei Ravensburger Verlag

Übersetzung: Petra Koob-Pawis

Umschlaggestaltung: Geviert GbR, Grafik und Typografie

unter Verwendung des Bildes und der Gestaltung von: © Walker Books Ltd.

Reproduced by permission of Walker Books Ltd, London SE11 5HJ

MP · Herstellung: UK

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 9783641190538

www.cbj-verlag.de

FÜR DENISE JOHNSTONE-BURT

Was bisher geschah

PRENTISSTOWN IN DER KOLONIE »New World« ist keine gewöhnliche Stadt. Hier kann ein Mann die Gedanken des anderen hören. Nichts bleibt im Verborgenen. Diese Situation ermöglicht es dem skrupellosen Bürgermeister Prentiss, die Bewohner seiner Stadt zu überwachen und zu beherrschen. Alle, die ihm nicht gehorchen, werden eingesperrt. Mädchen und Frauen, deren Gedanken nicht hörbar und damit auch nicht kontrollierbar sind, werden von ihren Familien getrennt und in eigenen Vierteln angesiedelt. Noch schlimmer ergeht es den Spackle, den Ureinwohnern von New World, denn sie müssen den Siedlern als Sklaven dienen.

Der vierzehnjährige Todd weiß nichts von diesen Verbrechen, bis er Viola kennenlernt, ein Mädchen, das als Kundschafterin einer neuen Siedlergruppe nach New World gekommen ist. Gemeinsam lüften die beiden die Geheimnisse des Regimes und werden deshalb von Diktator Prentiss gnadenlos verfolgt. Todd und Viola fliehen in die Nachbarstadt Haven. Dort wähnen sie sich sicher und wollen die Ankunft der neuen Siedler abwarten, die dem Terror des Bürgermeisters ein Ende bereiten könnten. Auf dem letzten Teil ihres Weges aber laufen sie dem Diktator in die Arme. Prentiss setzt die beiden unter Druck: Er trennt sie. Nur wenn sie für ihn arbeiten, dürfen sie später einander wieder­sehen.

Todd soll in einem Spackle-Gefängnis Aufsicht führen und Prentiss’ grausame Anweisungen durchsetzen. Er kann zwar einem Spackle zur Flucht verhelfen, ordnet sich aber immer mehr Prentiss’ Zwecken unter und verliert jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Viola kommt unterdessen in das Haus der Heilerinnen, in dem nur Frauen leben. Dort macht sie die Bekanntschaft von Mistress Coyle, die den geheimen Widerstand gegen Prentiss anführt. Nach anfänglichem Zögern schließt sich Viola dieser Bewegung an.

Als auf einen Schlag alle Spackle in der Stadt ermordet werden, streut Prentiss das Gerücht, dass die Ureinwohner Opfer eines Terroranschlags der Rebellen geworden seien. Doch Todd findet heraus, dass in Wahrheit der Bürgermeister selbst für die Gräueltat verantwortlich ist. Er will die Bevölkerung gegen Mistress Coyle und ihre Frauen aufbringen.

Empört wenden sich Viola und Todd gegen den Diktator, und es gelingt ihnen, Prentiss zu überwältigen und festzusetzen. Alles scheint sich zum Guten zu wenden. Das neue Siedlerschiff ist endlich im Anflug. Viola eilt ihm entgegen, um die Neuankömmlinge auf ihre Seite zu ziehen. Doch kaum ist sie aufgebrochen, erfährt Todd, dass sich Spackle-Truppen auf die Stadt zubewegen: Die überlebenden Ureinwohner dürsten nach Rache für alles, was ihnen die Menschen angetan haben. Und nur Bürgermeister Prentiss weiß, wie man sie besiegen kann. Todd ist daher gezwungen, den Diktator freizulassen. Die Hilfe seines größten Feindes braucht er umso mehr, als Viola in genau diesem Moment ahnungslos einer gewaltigen Armee von Spackle in die Arme zu laufen droht …

»KRIEG«, SAGT BÜRGERMEISTER PRENTISS mit funkelnden Augen. »Endlich ist es so weit.«

»Haltet den Mund!«, blaffe ich ihn an. »Was heißt hier ›endlich‹? Der Einzige, der Krieg will, seid Ihr.«

»Na und?« Er dreht sich zu mir um und lächelt. »Jetzt ist er trotzdem da.«

Ich frage mich bereits, ob es nicht der größte Fehler meines Lebens gewesen ist, ihn loszubinden, damit er diesen Krieg führen kann.

Nein …

Nein, denn nur so kann ich sie schützen. Ich musste es tun, um sie zu schützen.

Ich werde ihn zwingen, sie zu beschützen, und wenn ich ihn dafür umbringen muss.

Während der Bürgermeister und ich auf dem Trümmerhaufen der Kathedrale stehen und in der untergehenden Sonne über den großen Platz hinweg zusehen, wie die Armee der Spackle die Serpentinen herabmarschiert …

Während aus ihrem Signalhorn ein Ton kommt, der einen schier in Stücke reißt …

Während die Armee der Antwort unter dem Befehl von Mistress Coyle in die Stadt eindringt und alles wegbombt, was ihr im Weg steht. Wumm! Wumm! WUMM! …

Während die ersten Soldaten des Bürgermeisters in loser Schlachtordnung von Süden her in die Stadt vorrücken, Mr Hammar an ihrer Spitze, und dann über den Platz auf uns zukommen, um sich neue Befehle abzuholen …

Während die Bewohner von New Prentisstown in alle Richtungen davonrennen im verzweifelten Versuch, ihr Leben zu retten …

Während das Erkundungsschiff mit den neuen Siedlern oben auf dem Hügel irgendwo in der Nähe von Mistress Coyle landet, dem denkbar ungünstigsten Platz überhaupt …

Während Davy Prentiss tot zwischen den Trümmern zu unseren Füßen liegt, erschossen von seinem eigenen Vater, erschossen von dem Mann, dem ich soeben die Freiheit wiedergegeben habe …

Während Viola, meine Viola, auf dem Pferd mitten hinein in das Chaos sprengt, mit verletzten Knöcheln, nicht in der Lage, auf eigenen Beinen zu stehen …

Während all das geschieht, denke ich: Ja.

Hier kommt es.

Das Ende.

Das Ende von allem.

»Oh ja, Todd«, sagt der Bürgermeister und reibt sich die Hände.

»Oh ja, in der Tat«, wiederholt er, und er sagt es, als wäre gerade sein allergrößter Traum in Erfüllung gegangen.

»Krieg.«

Teil I Der Anfang

1 Zwei Schlachten

[TODD]

»WIR MACHEN KURZEN PROZESS mit den Spackle!«, ruft der Bürgermeister den Männern zu und leitet seinen Lärm direkt in ihre Gedanken. Und auch in meine.

»Sie werden sich unten an der Straße sammeln«, sagt er, »aber viel weiter werden sie nicht kommen!«

Ich beuge mich vor und lege beruhigend die Hand auf Angharrads Flanke.

Der Bürgermeister hat es geschafft, dass wir in nicht einmal zwei Minuten im Sattel saßen, nachdem Morpeth und Angharrad hinter den Ruinen der Kathedrale hervorgaloppiert waren. Als sie über die immer noch bewusstlosen Männer hinwegstiegen, die mir noch vor kurzer Zeit hatten helfen wollen, den Bürgermeister zu stürzen, und wir schließlich aufsaßen, nahm die Armee vor uns schon behelfsmäßig Aufstellung, aber nicht die ganze Armee, vielleicht knapp die Hälfte. Der Rest marschiert jetzt noch auf der südlichen Straße, die zum Hügel mit dem gekerbten Gipfel führt, dorthin, wo eigentlich der Kampf stattfinden sollte.

Menschenfohlen?, denkt Angharrad, und ich spüre, dass sie bis aufs Äußerste angespannt ist. Sie hat Todesangst. Wie ich auch.

»Bataillone kampfbereit!«, ruft der Bürgermeister, und sofort nehmen Mr Hammar und auch Mr Tate und Mr O’Hare und Mr Morgan, die alle inzwischen eingetroffen sind, Haltung an. Die Soldaten stellen sich in Reih und Glied auf, aber dazu rennen sie erst einmal in Windeseile hin und her, dass einem schon vom Zusehen schwindlig wird.

»Ich weiß«, sagt der Bürgermeister, »es ist ein herrlicher Anblick, nicht wahr?«

Ich richte die Waffe auf ihn, die Waffe, die ich Davy abgenommen habe. »Denkt an unser Abkommen«, warne ich ihn. »Ihr sorgt dafür, dass Viola nichts geschieht, und Ihr versucht nicht mehr, mich mit Eurem Gedankenlärm zu kontrollieren. Nur dann bleibt Ihr am Leben. Nur aus diesem Grund habe ich Euch laufen lassen.«

Seine Augen blitzen. »Ist dir klar, was das heißt?«, fragt er. »Du musst mich immer im Blick haben, selbst wenn das bedeutet, dass du mir in die Schlacht folgst. Bist du dazu bereit, Todd?«

»Ich bin bereit«, sage ich, obwohl es gar nicht stimmt. Aber ich versuche, den Gedanken zu verdrängen.

»Ich habe das Gefühl, dass du deine Sache gut machen wirst«, sagt er.

»Schnauze«, sage ich. »Ich habe Euch ein Mal besiegt, ich werde es auch ein zweites Mal schaffen.«

Er grinst. »Daran habe ich keinen Zweifel.«

»ALLE MANN BEREIT, SIR!«, brüllt Mr Hammar von seinem Pferd herab und grüßt schneidig.

Der Bürgermeister lässt mich nicht aus den Augen. »Die Männer sind bereit, Todd«, stichelt er. »Du auch?«

»Fangt endlich an.«

Er grinst noch breiter. Dann wendet er sich an die Männer. »Zwei Divisionen auf die westliche Straße zum ersten Angriff!« Seine Stimme nistet sich in jedermanns Kopf ein wie ein Ohrwurm, den man nicht mehr loswird. »Captain Hammars Abteilung übernimmt die Führung, Captain Morgans Abteilung die Deckung! Captain Tate und Captain O’Hare warten, bis die übrigen Männer und Waffen angekommen sind, und stoßen dann hinzu.«

Waffen?, denke ich.

»Wenn der Kampf bis dahin nicht schon vorbei ist …«

Die Männer lachen über diesen Scherz, sie lachen laut und nervös und aggressiv.

»Danach treiben wir die Spackle mit vereinten Kräften den Berg hinauf. Sie werden den Tag bereuen, an dem sie geboren wurden!«

Die Männer antworten mit Jubelgeschrei.

»Sir!«, ruft Captain Hammar. »Was ist mit den Leuten von der Antwort, Sir?«

»Zuerst schlagen wir die Spackle«, antwortet der Bürgermeister, »der Rest ist dann ein Kinderspiel.«

Er lässt den Blick über seine Soldaten schweifen, dann weiter den Berg hinauf, über den die Spackle in Scharen strömen. Er reckt die Faust und donnert so laut mit seinem Lärm, dass er jedem, der ihn hört, bis ins Mark dringt. »AUF IN DIE SCHLACHT!«

»AUF IN DIE SCHLACHT!«, schallt es von der Armee zurück, und schon marschiert sie los.

Der Bürgermeister sieht mich noch einmal kurz an, vor lauter Vergnügen würde er am liebsten lachen, und ohne ein weiteres Wort gibt er Morpeth die Sporen und prescht quer über den Platz der abrückenden Armee hinterher. Der Armee, die in den Krieg zieht.

FoIgen?, fragt Angharrad, und der Angstschweiß rinnt ihr aus allen Poren.

»Er hat recht«, sage ich. »Wir dürfen ihn nicht aus den Augen lassen. Er muss sein Wort halten. Er muss diesen Krieg gewinnen. Er muss sie retten.«

Fürsie, denkt Angharrad.

Für sie, denke ich, und alle meine Gefühle für sie liegen in diesem Gedanken.

Ich denke ihren Namen …

Viola.

Und mit einem Satz stürmt Angharrad in die Schlacht.

(VIOLA)

Todd, denke ich und reite auf Acorn durch das Gedränge. Die Straßen sind verstopft, jeder will der Drohung dieser entsetzlichen Hornsignale auf der einen Seite und den Bomben von Mistress Coyle auf der anderen Seite entrinnen.

WUMM! Wieder geht eine Bombe hoch und ein Feuerball schießt in den Himmel. Das Geschrei der Leute ist fast unerträglich. Einige laufen die Straße hinauf, andere kommen die Straße herunter und alle geraten sich und uns in die Quere. Und das, obwohl wir doch als Erste beim Erkundungsschiff sein müssen.

Ein neues Hornsignal ertönt und das Geschrei wird noch lauter. »Wir müssen uns beeilen, Acorn«, flüstere ich zwischen die Pferdeohren. »Was auch immer dieses Signal bedeuten soll, die Menschen in meinem Schiff können …«

Eine Hand packt mich am Arm und reißt mich beinahe aus dem Sattel. »Her mit dem Pferd!«, schreit ein Mann und zerrt noch fester an mir. »Her damit!«

Acorn weicht zurück, dreht sich um sich selbst. Aber um uns herum sind viel zu viele Menschen.

»Loslassen!«, schreie ich den Mann an.

»Her mit dem Pferd!«, brüllt er. »Die Spackle sind da!«

Vor Überraschung falle ich fast aus dem Sattel. »Die was?«

Der Mann hört mir nicht zu. Aber im letzten Tageslicht sehe ich seine weißen Augäpfel und erkenne darin die Todesangst.

Festhalten!, ruft Acorn in seinem Lärm und ich klammere mich noch fester an seine Mähne. Er stellt sich auf die Hinterbeine, wirft den Mann um und galoppiert in die Nacht hinein. Die Leute schreien auf, springen nach allen Seiten davon. Aber Acorn rennt einfach weiter, wir stoßen einige Leute zu Boden und ich halte mich noch verzweifelter an seiner Mähne fest. Als wir auf eine Lichtung kommen, beschleunigt er sogar noch seinen Schritt.

»Die Spackle?«, frage ich. »Was hat der Mann damit gemeint? Sie sind doch nicht …«

Spackle, denkt Acorn. Spackle–Armee.Spackle–Krieg. Ich drehe mich im Galopp um nach den Lichtern, die in der Ferne auf der Serpentinenstraße schimmern.

Eine Armee von Spackle. Eine Armee von Spackle ist im Anmarsch.

Todd?, denke ich. Aber ich weiß auch, dass ich mich mit jedem Hufschlag weiter von ihm und dem in Fesseln liegenden Bürgermeister entferne.

Ich setze alle meine Hoffnungen auf das Erkundungsschiff. Die Leute darin werden uns bestimmt helfen. Irgendwie werden sie mir und Todd helfen.

Wir haben schon einmal einen Krieg beendet, wir werden es auch ein zweites Mal schaffen.

Also denke ich seinen Namen wieder und wieder, ich denke Todd!, sende ihm damit Kraft. Und währenddessen jagen Acorn und ich die Straße entlang, der Antwort entgegen, dem Erkundungsschiff entgegen, und ich hoffe wider jede Vernunft, dass ich recht habe.

[TODD]

Angharrad läuft hinter Morpeth her, während sich die Armee vor uns die Straße entlangwälzt und rücksichtslos alle Bewohner von New Prentisstown niedertrampelt, die uns in die Quere kommen. Sie besteht aus zwei Bataillonen, das erste kommandiert brüllend von seinem Pferd aus Mr Hammar, und ein etwas weniger brüllender Mr Morgan befehligt das Bataillon dahinter. Alles in allem sind es an die vierhundert Mann, die da mit geschulterten Gewehren marschieren, ihre Gesichter verzerrt vom Parolenplärren.

Und erst ihr Lärm … Ihr Lärm ist etwas Ungeheuerliches. Vielstimmig kreist er um sich selbst und brüllt doch wie eine einzige Stimme, die Stimme eines zornigen Riesen, der voranstapft. Der Lärm bringt mein Herz so sehr zum Rasen, dass es aus meiner Brust springen will.

»Bleib dicht bei mir, Todd!« Der Bürgermeister lenkt Morpeth an meine Seite.

»Lasst das meine Sorge sein«, erwidere ich und umklammere mein Gewehr noch etwas fester.

»Ich denke dabei nur an deine eigene Sicherheit«, sagt er und sieht mich an. »Und vergiss nicht deinen Teil der Abmachung. Nicht dass wir am Ende aus eigener Schuld Verluste in unseren Reihen zu beklagen haben.« Er zwinkert mir zu.

Ich schleudere ihm meinen Lärm entgegen wie eine Faust: Viola.

Er zuckt zusammen und grinst etwas weniger breit.

Wir reiten hinter der Armee her durch die Gebiete am westlichen Stadtrand, vorbei an Trümmerhaufen, wo früher die Gefängnisse gewesen sind, die die Antwort während ihres bislang schwersten Angriffs niedergebrannt hat. Ich war nur ein einziges Mal hier, damals, als ich mit Viola in den Armen die Straße in entgegengesetzter Richtung entlanggerannt bin, damals, als ich sie, schwer verletzt, wie sie war, die Serpentinen heruntergetragen habe, dorthin, wo ich Sicherheit zu finden glaubte und stattdessen nur den Mann fand, der jetzt neben mir reitet, den Mann, der tausend Spackle getötet hat, um diesen Krieg anzuzetteln, den Mann, der Viola gefoltert hat, um an Informationen zu kommen, die er ohnehin schon besaß, den Mann, der seinen eigenen Sohn umgebracht hat.

»Wer sonst sollte, wenn es nach dir ginge, die Männer in den Krieg führen?«, fragt er, weil er in meinem Lärm gelesen hat. »Welcher andere Mann versteht so viel vom Krieg?«

Er ist ein Ungeheuer, denke ich, und mir fällt wieder ein, was Ben einmal zu mir gesagt hat: Der Krieg macht aus Menschen Ungeheuer.

»Falsch«, sagt der Bürgermeister. »Erst der Krieg macht uns zu Männern. Ohne Krieg bleiben wir Kinder.«

Wieder ertönt ein Hornsignal, so laut, dass es uns fast den Kopf wegbläst und die Armee für ein, zwei Tritte aus dem Gleichschritt kommt.

Am Fuß des Hügels sind die Spackle mit ihren Fackeln; sie versammeln sich, um sich uns entgegenzustellen.

»Bist du bereit, erwachsen zu werden?«, fragt mich der Bürger­meister.

(VIOLA)

WUMM!

Schon wieder eine Detonation, diesmal direkt vor uns; qualmende Trümmer fliegen über die Wipfel der Bäume, so heftig ist sie. Ich habe solche Angst, dass ich nicht mehr an meine schmerzenden Knöchel denke und Acorn die Sporen geben will, so wie ich es in den Videofilmen auf unserem Raumschiff gesehen habe.

Die Bewegung tut so weh, dass ich mich im Sattel krümme. Die Verbände, die Lee mir angelegt hat – Lee, der immer noch irgendwo dort draußen ist und die Antwort am völlig falschen Platz sucht, oh bitte, lass ihm nichts zustoßen, bitte, lass ihm nichts zustoßen –, seine Verbände sind zwar gut, aber meine Knöchel sind trotzdem gebrochen, und einen Augenblick lang besteht mein ganzer Körper nur aus Schmerz, der sich mit der pochenden Qual vereint, die das Metallband an meinem Arm verursacht.

Ich schiebe den Ärmel hoch und betrachte das Band. Die Haut ist rot und entzündet, das Band besteht aus dünnem Stahl, es lässt sich nicht bewegen, nicht durchschneiden und wird mich bis zum Tage meines Todes als Nummer 1391 ausweisen.

Das ist der Preis, den ich bezahlt habe.

Der Preis, den ich gezahlt habe, um ihn zu finden.

»Es darf nicht vergebens gewesen sein«, sage ich zu Acorn, in dessen Lärm ich Fohlenmädchen höre, weil er ganz meiner Meinung ist.

Der Qualm wird immer dichter, vor uns sehe ich Feuer brennen. Überall rennen Leute an uns vorbei in unterschiedliche Richtungen, aber je näher wir dem Stadtrand kommen, desto weniger werden es.

Wenn Mistress Coyle und ihre Mitstreiter von Osten her, vom Amt für Anhörung kommend, in Richtung Ortsmitte marschieren, dann müssten sie inzwischen schon den Hügel passiert haben, auf dem einst der Sendeturm stand. Dort wird höchstwahrscheinlich das Erkundungsschiff landen. Bestimmt hat Mistress Coyle sofort kehrtgemacht und einen schnellen Ochsenkarren genommen, damit sie die Erste ist, die mit den Neuankömmlingen sprechen kann. Aber wer führt dann an ihrer Stelle die Antwort an?

Acorn trabt weiter, biegt um eine Straßenkehre …

WUMM! Ein greller Blitz und wieder geht ein Wohngebäude in Flammen auf. Für einen kurzen Moment ist die Straße vor uns hell erleuchtet.

Und da sehe ich sie – die Antwort. Es sind Männer und Frauen, die in Reihen marschieren, sie tragen das blaue A auf der Brust, manche haben es sich auch ins Gesicht gemalt. Jeder von ihnen hält sein Gewehr schussbereit. Sie laufen vor den Wagen her, die voll beladen sind mit Munition.

Und obwohl ich einige der Leute wiedererkenne – Mistress Lawson, Magnus, Mistress Nadari –, sind sie mir doch schrecklich fremd, so entschlossen, so konzentriert, so ängstlich, so tapfer und so hingebungsvoll sehen sie aus. Ich reiße an den Zügeln, fast fürchte ich mich, ihnen nahe zu kommen.

Der Blitz der Explosion erlischt und die Dunkelheit verschluckt sie wieder.

Vorwärts?, fragt Acorn.

Ich hole tief Luft und frage mich, was sie wohl tun werden, wenn sie mich sehen. Ich frage mich, ob sie mich in dem ganzen Durcheinander nicht sofort aus dem Sattel schießen.

»Uns bleibt wohl nichts anderes übrig«, sage ich schließlich.

Und gerade, als Acorn wieder loslaufen will, höre ich, wie jemand in der Dunkelheit ruft: »Viola?«

[TODD]

Stadtauswärts führt die Straße auf eine ausgedehnte Lichtung, die auf der rechten Seite vom Fluss begrenzt wird und direkt zu dem tosenden Wasserfall und der Serpentinenstraße führt. Die Soldaten mit Captain Hammar an ihrer Spitze fallen unter lautem Dröhnen in die Lichtung ein. Obwohl ich nur ein einziges Mal an diesem Ort gewesen bin, weiß ich genau, dass hier früher einmal Bäume standen und kleine Häuser – folglich muss der Bürgermeister seinen Leuten schon vor langer Zeit befohlen haben, alles wegzuräumen, damit hier ein freies Feld ist. Als hätte er genau gewusst, dass eine Schlacht bevorsteht.

Ich würde gern darüber nachdenken, aber Mr Hammar ruft: »Halt!«, und sofort verharren die Männer in Reih und Glied und blicken gebannt auf die andere Seite der Lichtung.

Denn da sind sie. Die ersten Einheiten der Spackle-Armee. Ein Dutzend, zwei Dutzend, zehn Dutzend von ihnen sind in dem offenen Gelände ausgeschwärmt, wie ein Fluss weißen Blutes strömen sie den Hügel herab. Sie halten ihre Fackeln hoch. Sie sind ausgerüstet mit Pfeil und Bogen und irgendwelchen merkwürdigen Dingern, lange weiße Stöcke oder so ähnlich. Die Fußsoldaten der Spackle drängen sich um ihre Kameraden, die auf riesigen weißen Tieren reiten, die aussehen wie Ochsen, aber viel größer und wuchtiger sind und ein dickes Horn auf der Nase haben. Die Biester stecken in schweren Rüstungen, die aus Lehm gemacht zu sein scheinen, und auch viele Spackle-Soldaten tragen Rüstungen, ihre weiße Haut ist mit Lehm überzogen.

Wieder ertönt ein Hornsignal, ich könnte schwören, dass mir das Blut aus den Ohren tropft, so laut ist es. Und jetzt kann ich auch das Horn sehen. Es ist über den Rücken zweier dieser Kreaturen geschnallt, die auf dem Gipfel des Hügels angehalten haben, und ein riesengroßer Spackle bläst hinein.

Oh Gott …

Oh mein Gott …

Ihr Lärm …

Er rast den Berg herunter, er ist wie eine Waffe, er türmt sich auf wie Schaumkronen in einem brausenden Fluss, kommt direkt auf uns zu, lässt uns Bilder sehen. Bilder, wie ihre Armee uns niedermetzelt, wie sie unsere Soldaten in Stücke reißt, hässliche, grauenhafte, unbeschreibliche Bilder.

Gedankenbilder, die unsere Soldaten noch im selben Moment auf die Spackle zurückschleudern, Bilder von Köpfen, die vom Körper abgetrennt sind, Bilder von Spackle, die von Kugeln zerfetzt werden, Bilder von Gemetzel, endlosem, endlosem –

»Konzentriere dich, Todd«, ermahnt mich der Bürgermeister, »oder du wirst in der Schlacht fallen. Ich für meinen Teil bin jedenfalls schon sehr gespannt, was für eine Sorte Mann aus dir werden wird.«

»IN LINIE AUFSTELLEN!«, hören wir Mr Hammar kommandieren, und die Soldaten hinter ihm bilden sofort eine Reihe. »ERSTE ANGRIFFSREIHE!« Die Männer legen ihre Gewehre an, bereit, auf sein Kommando nach vorne zu stürmen, während hinter ihnen schon die zweite Reihe Aufstellung nimmt.

Die Spackle halten ebenfalls an und stellen sich am Fuß des Hügels in einer ähnlich langen Reihe auf. Aus ihrer Mitte tritt eines dieser Hörnertiere, auf seinem Rücken steht ein Spackle, vor sich hat er ein u-förmiges Ding, das aussieht, als wäre es aus Knochen gemacht. Es ist zweimal so breit wie ein Mensch und auf einem Gestell an der Rüstung des Tieres befestigt.

»Was ist das?«, frage ich den Bürgermeister.

Er grinst. »Das werden wir gleich herausfinden.«

»ALLE MANN VEREINT!«, befiehlt Mr Hammar.

»Bleib hinten bei mir, Todd«, sagt der Bürgermeister. »Halte dich, so gut es geht, aus den Kämpfen raus.«

»Schon kapiert«, sage ich, und Gefühle wallen in meinem Lärm auf, »Ihr macht Euch nicht gern die Hände schmutzig.«

Er sieht mich an. »Keine Sorge, Todd, es kommen noch genug Gelegenheiten, bei denen wir uns die Hände schmutzig machen können.«

Da brüllt Mr Hammar, so laut er nur kann: »ANGRIFF!!!«

Und der Krieg beginnt.

(VIOLA)

»Wilf!«, rufe ich und reite hinüber zu ihm. In vorderster Reihe, ganz außen, lenkt er einen Ochsenkarren, während die Antwort in der rauchgeschwängerten Dämmerung die Straße entlangmarschiert.

»Du lebst!«, ruft Wilf. Er springt von seinem Karren und kommt auf mich zugerannt. »Mistress Coyle denkt, du bist tot.«

Erneut überkommt mich Wut auf Mistress Coyle und ihren Plan, auf die Bombe, die dem Bürgermeister gelten sollte, und es macht mich zornig, dass es ihr anscheinend völlig egal war, ob ich dabei ebenfalls in die Luft fliege. »Das ist nicht ihr einziger Irrtum, Wilf.«

Im Licht der beiden Monde schaut er zu mir hoch und ich sehe die Angst in seinem Lärm. Ich sehe Angst in dem unerschütterlichsten Menschen, den ich je auf diesem Planeten getroffen habe, einem Mann, der unzählige Male sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hat, um mich und Todd zu retten. Ich sehe Angst in dem einzigen Menschen weit und breit, der sich vor nichts und niemandem fürchtet. »Die Spackle kommen, Viola. Du musst weg.«

»Ich hole Hilfe, Wilf …«

Wieder ist ein lautes WUMM! zu hören und ein Haus auf der anderen Straßenseite stürzt in sich zusammen. Die Detonationswelle reißt Wilf beinahe um, er muss sich an Acorns Zügeln festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Was zum Teufel machen die da?«, schreie ich.

»Befehl von der Mistress«, erklärt Wilf. »Wenn man einen Menschen retten will, muss man ihm manchmal das Bein abnehmen.«

Der Rauch ist so beißend, dass ich anfange zu husten. »Das klingt genau wie der Unsinn, den sie sonst von sich gibt. Wo ist sie überhaupt?«

»Als das Schiff angeflogen kam, ist sie ganz schnell dorthin geritten, wo es landete.«

Mein Herz macht einen Satz. »Und wo ist es gelandet, Wilf? Wo genau?«

Er deutet hinter sich. »Auf dem Hügel dahinten, wo früher der Turm stand.«

»Ich wusste es.«

Wieder ertönt das Hornsignal in der Ferne und wieder schreien die Bewohner der Stadt und rennen panisch hin und her. Sogar einige Leute der Antwort schreien vor Entsetzen.

»Du musst weg, Viola.« Wilf fasst mich am Arm. »Die Spack­le-Armee, schlimme Sache. Du musst weg, jetzt.«

Ich unterdrücke einen Anflug von Sorge um Todd. »Du musst ebenfalls von hier verschwinden, Wilf. Mistress Coyles Trick hat nicht funktioniert. Der Bürgermeister ist wieder in der Stadt.« Wilf pfeift leise durch die Zähne. »Wir haben den Bürgermeister«, versichere ich ihm, »und Todd versucht, die Armee aufzuhalten. Aber wenn ihr jetzt eine offene Schlacht riskiert, werdet ihr abgeschlachtet.«

Er schaut zu seinen Leuten hinüber, die weiter unbeirrt die Straße entlangmarschieren, obwohl einige von ihnen mich und Wilf sehen, mich leibhaftig auf dem Pferd sitzen sehen, und sich hier und da Erstaunen unter ihnen breitmacht. Mehr als einmal höre ich meinen Namen.

»Mistress Coyle hat angeordnet weiterzumachen«, sagt Wilf. »Wir sollen weiterbomben, egal was man uns sagt.«

»Wer ist jetzt euer Anführer? Mistress Lawson?« Wilf bleibt stumm und ich sehe ihn einen Augenblick lang schweigend an. »Du bist es, nicht wahr?«

Er nickt langsam. »Sie hat gesagt, ich befolge ihre Befehle am besten.«

»Noch ein Fehler von ihr«, sage ich. »Wilf, du musst dafür sorgen, dass sie umkehren.«

Wilf blickt zu den Männern und Frauen der Antwort, die weiterlaufen, vollkommen unbeirrt. »Die anderen Mistresses werden nicht auf mich hören«, sagt er, aber ich merke, dass er nachdenkt.

»Ja, aber alle anderen werden es tun.«

Er schaut wieder zu mir hoch. »Wir machen kehrt.«

»Ich muss zum Erkundungsschiff«, sage ich. »Dort wird man uns helfen.«

Wilf nickt und deutet mit dem Daumen über die Schulter. »Die zweite große Straße dahinten. Mistress Coyle hat zwanzig Minuten Vorsprung.«

»Danke, Wilf.«

Er nickt wieder und dreht sich zu seinen Leuten um. »Zurück!«, schreit er. »Zurück!«

Ich gebe Acorn die Zügel und reite vorbei an Wilf, vorbei an den erstaunten Gesichtern einer Mistress Lawson und Mistress Nadari, die in vorderster Reihe stehen. »Auf wessen Befehl?«, blafft Mistress Nadari.

»Auf meinen Befehl!«, höre ich Wilf antworten, so entschieden, wie ich ihn noch nie gehört habe.

Doch da bin ich schon hinter den Reihen der Antwort und treibe Acorn weiter an. So sehe ich Wilf nicht, als er sagt: »Und auf ihren!« Aber ich weiß, dass er dabei auf mich deutet.

[TODD]

Unsere Angriffsreihe walzt wie eine herabstürzende Lawine über die Lichtung. Die Männer rücken in Keilform vor, an ihrer Spitze der schreiende Mr Hammar auf seinem Pferd. Die zweite Angriffsreihe folgt nur Sekundenbruchteile später, sodass gleich zwei Reihen mit halsbrecherischer Geschwindigkeit und schussbereiten Gewehren auf die Spackle losgehen. Allerdings frage ich mich …

»Warum schießen sie nicht?«, frage ich den Bürgermeister.

Er atmet hörbar aus. »Sie sind sich ihrer Sache wohl allzu sicher, würde ich meinen.«

»Wie bitte?«

»Wir haben die Spackle im Nahkampf bisher immer besiegt. Es war äußerst wirkungsvoll, aber …« Er lässt seinen Blick über die vorderste Linie der Spackle schweifen, die nicht wankt und nicht weicht.

»Ich glaube, wir sollten uns etwas zurückziehen, Todd«, sagt er und reitet ein Stück die Straße entlang, ehe ich etwas dazu sagen kann.

Ich blicke zu den Männern hin, die vorrücken, und zu den Spackle, die sich nicht vom Fleck rühren. Die Männer kommen ihnen immer näher.

»Aber weshalb …«

»Todd!«, ruft der Bürgermeister jetzt laut, er ist gut zwanzig Meter hinter mir.

Lärm schießt wie ein Blitz durch die Reihen der Spackle, es muss ein Signal sein, alle Spackle in vorderster Linie heben Pfeil und Bogen oder ihre weißen Stöcke. Der Spackle auf dem seltsamen Vieh fasst mit jeder Hand eine brennende Fackel.

»ACHTUNG!«, schreit Mr Hammar und prescht direkt auf das Hörnertier zu.

Die Männer legen die Gewehre an.

»An deiner Stelle würde ich mich wirklich ein paar Schritte zurückbewegen, Todd«, ruft der Bürgermeister.

Ich ziehe an Angharrads Zügel …

Aber ich kann mich nicht abwenden, ich kann die Augen nicht von den Männern lassen, die vor mir über die Lichtung rennen, und den Männern hinter ihnen, die das Gleiche vorhaben, und denen dahinter …

Und hinter allen anderen sind der Bürgermeister und ich und warten ab.

»ZIELT!«, schreit Mr Hammer gleichzeitig mit seiner Stimme und in seinem Lärm.

Ich reite zum Bürgermeister. »Warum schießen sie denn nicht?«, frage ich, als ich bei ihm bin.

»Wer?«, fragt der Bürgermeister zurück und lässt dabei die Spack­le nicht aus den Augen. »Wir oder der Gegner?«

Ich drehe mich um. Mr Hammar ist jetzt keine fünfzehn Meter mehr von dem Hörnertier entfernt.

Zehn …

»Beide«, antworte ich.

Fünf …

»Jetzt«, sagt der Bürgermeister, »wird es interessant.«

Wir sehen zu, wie der Spackle seine beiden Fackeln zusammenführt und an das u-förmige Ding hält …

Und WUMM!

Explodierend, berstend, brodelnd wie die Fluten des nahen Flusses schießen Flammen daraus hervor, sie sind viel größer, als ich es für möglich gehalten hätte, sie breiten sich aus, werden immer größer und größer und verschlingen die Welt wie in einem Albtraum.

Das Feuer rast direkt auf Mr Hammar zu …

Der sein Pferd mit Gewalt nach rechts reißt …

Und der Gefahr ausweichen will …

Aber es ist zu spät.

Das Feuer hüllt ihn ein …

Es klebt wie Pech an Mr Hammar und seinem Pferd.

Und beide brennen, brennen, brennen, während sie vergeblich zu fliehen versuchen …

Und dabei direkt auf den Fluss zureiten.

Mr Hammar schafft es nicht.

Er fällt aus dem brennenden Sattel seines brennenden Pferdes, fällt als zuckendes Feuerbündel zu Boden und bleibt reglos liegen, als sein Pferd im Fluss verschwindet.

Und es schreit und schreit und schreit …

Ich drehe mich um, blicke dorthin, wo die Armee noch steht.

Denn die Leute an vorderster Front haben keine Pferde, die sie wegbringen könnten.

Und ich sehe das Feuer …

Dichter als jedes andere Feuer …

Dichter und undurchdringlicher.

Wie ein Erdrutsch bahnt es sich seinen Weg …

Verschlingt jeden, den es erreicht …

Verbrennt die Männer so schnell, dass sie fast nicht mehr schreien können.

Und das sind noch diejenigen, die Glück haben …

Denn das Feuer breitet sich aus, es klebt an Uniformen und Haaren. Und auf der Haut …

Mein Gott … Die Haut der Soldaten in vorderster Linie, sie platzt auf …

Und sie stürzen …

Und sie brennen …

Und sie schreien wie das Pferd von Mr Hammar …

Sie schreien und schreien …

Ihr Lärm schießt hoch, überdeckt alles andere.

Und als die Feuerwalze sich schließlich auflöst und Mr Morgan den Soldaten »RÜCKZUG!« befiehlt und diese im Wegrennen noch ihre Gewehre abfeuern und die ersten Pfeile der Spackle in weitem Bogen angeflogen kommen und als andere Spackle ihre weißen Stöcke heben, die jetzt Feuerstöße speien, und als von den Männern, die von den Pfeilen in den Rücken, in den Bauch, ins Gesicht getroffen werden, einer nach dem anderen fällt, und die Männer, die von den Feuerstößen getroffen werden, einer nach dem anderen ein Stück Arm, Schulter oder Kopf verlieren und tot, tot, tot zu Boden stürzen …

Und als ich mich so fest an Angharrads Mähne klammere, dass ich ihr die Haare ausreiße, und sie so verängstigt ist, dass sie nicht einmal protestiert …

Da höre ich den Bürgermeister neben mir sagen: »Endlich, Todd. Endlich ein würdiger Gegner.«

(VIOLA)

Nach unserer Begegnung mit Wilf sind Acorn und ich noch keine Minute lang unterwegs, als wir die erste Straße erreichen. Sofort weiß ich wieder, wo wir sind. Es ist die Straße, die zum Haus der Heilerinnen führt, in dem ich meine ersten Wochen in New Prentisstown verbrachte und aus dem Maddy und ich uns eines Nachts weggestohlen haben.

Das Haus der Heilerinnen, in dem wir Maddys Leiche für die Beerdigung zurechtgemacht haben, nachdem Sergeant Hammar sie kaltblütig über den Haufen geschossen hat.

»Weiter, Acorn«, sporne ich das Pferd an und versuche, den Gedanken an Maddy zu verdrängen. »Die Straße zum Turm ist gleich hinter der nächsten …«

Der dämmrige Himmel wird plötzlich von einem gewaltigen Blitz erhellt. Ich drehe mich um, Acorn ebenso, und obwohl die Stadt weit entfernt und hinter Bäumen verborgen ist, sehen wir ein blendendes Licht in der Ferne, es ist keine Explosion zu hören, es breitet sich nur ein immer greller werdender Schein über alle Menschen, die es so weit aus der Stadt herausgeschafft haben. Ein Schein, der ganz plötzlich wieder erlischt.

Ich frage mich, was wohl unten in der Stadt passiert sein mag, das ein so gleißendes Licht wie dieses hervorruft. Und ich frage mich, ob nicht vielleicht Todd etwas damit zu tun hat.

[TODD]

Die nächste Feuerwalze kommt, ohne dass jemand darauf gefasst ist …

WUMM!

Sie rast über das offene Feld, erfasst die Soldaten auf dem Rückzug, lässt ihre Gewehre schmelzen, verbrennt die Menschen und bringt sie reihenweise zu Fall.

»Wir müssen weg von hier!«, schreie ich dem Bürgermeister zu, der das Geschehen wie hypnotisiert verfolgt. Er rührt sich nicht vom Fleck, nur seine Augen wandern von hier nach da, er regis­triert alles.

»Diese weißen Stöcke«, sagt er ruhig. »Offenbar eine Art Waffe. Hast du bemerkt, welche Zerstörungskraft sie hat?«

Ich starre ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »TUT IRGENDETWAS!«, brülle ich ihn an. »Sie bringen unsere Leute um!«

Er zieht die Augenbrauen hoch. »Was glaubst du eigentlich, was Krieg ist?«

»Aber die Spackle sind besser bewaffnet als wir! Wir werden sie nicht aufhalten können.«

»Meinst du?«, fragt er und deutet mit einem Kopfnicken zu den Kämpfenden.

Ich folge seinem Blick. Der große Spackle auf dem Hörnertier hebt seine Fackeln für einen weiteren Feuerstoß, aber einer der gestürzten Männer hat sich wieder aufgerappelt; er hat schlimme Brandwunden davongetragen, aber er legt sein Gewehr an und feuert. Der Spackle lässt eine Fackel fallen und schlägt sich mit der Hand gegen den Nacken, dorthin, wo ihn die Kugel getroffen hat, dann sackt er seitlich von seinem Reittier herunter.

Als die Männer sehen, was passiert ist, jubeln sie laut, und der Bürgermeister bemerkt: »Selbst die beste Waffe hat eine Schwachstelle.«

In Windeseile haben die Soldaten wieder Aufstellung genommen. Mr Morgan treibt sein Pferd vorwärts, er führt jetzt die Truppen an, und das Schießen geht weiter. Und obwohl noch mehr Pfeile und weiße Blitze von den Spackle kommen und es noch mehr Männer erwischt, fallen auch Gegner, ihre Rüstungen aus Lehm zerspringen und zerplatzen, sie fallen den anderen Spackle, die hinter ihnen laufen, vor die Füße. Aber die marschieren einfach weiter …

»Wir sind in der Unterzahl«, sage ich zum Bürgermeister.

»Ja, zehn zu eins, schätze ich«, erwidert er.

Ich deute zum Hügel. »Und sie haben noch mehr von diesen Feuerdingern.«

»Aber die sind noch nicht einsatzbereit«, sagt er, und er hat recht, denn die Tiere, die hinter den Spackle-Soldaten auf der Serpentinenstraße in Bereitschaft gehalten werden, sind noch nicht in Position, es sei denn, sie wollten die eigene Armee zur Hälfte auslöschen.

Die Angriffsreihe der Spackle prallt jetzt auf unsere Männer. Ich merke, wie der Bürgermeister etwas an den Fingern abzählt und dann auf die verlassene Straße hinter uns blickt.

»Weißt du, Todd«, sagt er bestimmt und greift nach Morpeths Zügeln. »Ich glaube, wir werden jeden einzelnen Mann brauchen.« Er sieht mich an. »Es ist an der Zeit, dass auch wir beide eingreifen.«

Ich weiß sehr wohl: Wenn der Bürgermeister selbst am Kampf teilnehmen will, dann stecken wir wirklich in Schwierigkeiten. Dieser Gedanke versetzt mir einen schmerzhaften Stich.

(VIOLA)

»Hier entlang!« Ich deute nach vorne, dorthin, wo die Straße sein muss, die zum Turm führt. Acorn fliegt förmlich den Hügel hinauf, von seinen Schultern und seinem Nacken stieben schaumige Schweißtropfen. »Ich verspreche dir«, flüstere ich zwischen seine Ohren, »wir sind gleich da.«

Mädchenfohlen, denkt er, und einen Moment lang überlege ich, ob es ihn vielleicht belustigt, dass ich so sehr mit ihm fühle. Vielleicht ist es aber genau umgekehrt und er will mich trösten.

Die Straße, die sich den Hügel hinaufwindet, liegt in tiefer Dunkelheit vor mir. Eine Zeit lang bin ich von allem abgeschnitten, kein Geräusch dringt von der Stadt zu mir her, kein Lichtschein zeigt mir, was vor sich geht, kein Lärm verrät mir, was sich gerade ereignet. Es ist, als rasten Acorn und ich durch das Schwarze Nichts, durch jene seltsame Stille, die eintritt, wenn ein kleines Raumschiff in der Unendlichkeit des Weltalls versinkt. Seine Lichter wirken so schwach, verglichen mit der Dunkelheit ringsum, dass man auch ganz auf sie verzichten könnte.

Plötzlich ist da ein Geräusch oben auf dem Hügel. Ein Geräusch, das ich kenne … Es ist Dampf, der aus einem Lüftungsloch entweicht.

»Das sind die Kühlwassersysteme!«, sage ich zu Acorn, als wäre es die beste Neuigkeit aller Zeiten.

Das Geräusch wird lauter, je näher wir kommen. Ich sehe alles schon im Geiste vor mir: zwei riesige Auslassöffnungen auf der Rückseite des Erkundungsschiffs, direkt über den Antriebsaggregaten, die sie nach dem Eintritt in die Atmosphäre wieder abkühlen. Auslassöffnungen, die sich bei unserem eigenen Erkundungsschiff nicht öffneten, nachdem der Antrieb Feuer gefangen hatte. Auslassöffnungen, die dazu geführt haben, dass wir abstürzten und mein Vater und meine Mutter ums Leben kamen.

Acorn erreicht die Hügelkuppe, und einen Augenblick lang sehe ich nur den großen, leeren Platz, auf dem früher der Funkturm stand, der Funkturm, den Mistress Coyle in die Luft gesprengt hat, damit der Bürgermeister nicht als Erster mit unseren Schiffen Kontakt aufnehmen konnte. Den größten Teil des Schrotts hat man schon beiseitegeräumt und zu großen Haufen aufgetürmt. Und als Acorn auf das freie Feld zugaloppiert, sehe ich zuerst nur diese Haufen im Mondlicht schimmern, drei große Haufen, begraben unter dem Staub und der Ödnis der Monate, die verstrichen sind, seit der Turm in sich zusammengestürzt ist. Drei große Berge von Metall. Und hinter ihnen ein vierter. Er sieht aus wie ein riesiger Habicht, der mit gespreizten Flügeln dasitzt.

»Da ist es!«

Acorn legt noch Tempo zu und galoppiert direkt zum Heck des Erkundungsschiffs, aus dessen Kühlöffnungen Dampf und Hitze in den Himmel aufsteigen. Als wir näher kommen, sehe ich links einen Lichtstrahl aus der geöffneten Luke unter der Tragfläche des Schiffs hervordringen.

»Ja«, sage ich zu mir selbst. »Sie sind da.«

Kein Zweifel. Dabei hatte ich schon gefürchtet, sie würden niemals kommen. Ich merke, dass mir ganz leicht ums Herz wird und mein Atem schneller geht, weil sie hier sind, weil sie tatsächlich hier sind.

Vor der Luke stehen drei Personen, ich sehe nur ihre Umrisse vor dem hellen Lichtstrahl, ihre Silhouetten bewegen sich, als sie Acorns Hufschläge hören. Neben dem Schiff steht ein Karren in der Dunkelheit, die Zugochsen knabbern am Gras.

Und wir kommen immer näher … und immer näher …

Die Gesichter der Leute hellen sich auf, als der Lichtschein Acorn und mich erfasst und wir mit einem Ruck stehen bleiben.

Und es sind genau die Menschen, die ich erwartet habe. Mein Herz hüpft vor Freude und Sehnsucht, ich spüre meine Augen feucht werden, meine Kehle ist plötzlich wie zugeschnürt.

Denn es sind Bradley Tench von der Beta und Simone Watkin von der Gamma, und ich weiß, dass sie gekommen sind, um mich zu suchen. Sie sind den ganzen weiten Weg gekommen, um meine Mutter, meinen Vater und mich zu suchen.

Sie weichen erschrocken zurück, weil ich so plötzlich auftauche, sie brauchen einen Augenblick, um mich, staubig, schmutzig, langhaarig, wie ich bin, zu erkennen. Und älter geworden bin ich auch. Und größer.

Sie reißen staunend die Augen auf. Simone öffnet den Mund …

Aber nicht sie spricht. Es ist die dritte Person, die am meisten verblüfft scheint. Sie sagt nur meinen Namen und blickt dabei so erschrocken, dass ich – ich muss es zugeben – voller Genugtuung bin.

»Viola!«, sagt Mistress Coyle.

»Ja«, antworte ich und sehe ihr ganz fest in die Augen. »Ich bin’s, Viola.«

[TODD]

Als der Bürgermeister auf Morpeth den Soldaten in die Schlacht folgt, überlege ich nicht mehr lange und gebe Angharrad die Sporen. Sie vertraut mir und läuft schnurstracks hinterher.

Ich will nicht hier sein.

Ich will nicht kämpfen.

Aber ich tue es, damit ihr nichts geschieht.

(Viola.)

Nur deshalb werde ich verdammt noch mal kämpfen.

Wir reiten an den vorrückenden Fußsoldaten vorbei – das Schlachtfeld am Fuße des Hügels ist eine einzige wogende Masse aus Spackle und Menschen, und ich spähe weiter zur Serpentinen­straße, auf der noch mehr Spackle herankommen. Und ich bin wie eine Ameise in einem Ameisenhaufen, wo man vor lauter Gewimmel fast nicht sieht, wohin man tritt.

»Hier entlang!«, ruft der Bürgermeister und schert nach rechts aus, weg vom Flussufer. Die Soldaten haben die Spackle an den Fluss und den Fuß des Hügels zurückgedrängt und sie dort eingekesselt.

ABER NICHT MEHR LANGE, sagt der Bürgermeister direkt in meinem Kopf.

»Lasst das bleiben!«, rufe ich zornig und hebe die Waffe.

»Ich brauche deine volle Aufmerksamkeit und ich brauche einen guten Soldaten!«, ruft er zurück. »Sonst kann ich dich nicht gebrauchen in diesem Krieg – und umso weniger Grund habe ich, dir zu helfen!«

Ich frage mich, wie es so weit kommen konnte, dass nun er mir helfen muss, da doch ich es war, der ihn gefesselt hatte, der Mitleid mit ihm walten ließ, der ihn besiegt hatte. Aber für solche Gedanken ist jetzt keine Zeit, denn ich sehe, wohin er sich aufmacht.

Die linke Flanke ist die schwächste, hier stehen die wenigsten Männer. Die Spackle haben das natürlich bemerkt und ein Trupp von ihnen drängt sie in die Enge. »MÄNNER ZU MIR!«, befiehlt der Bürgermeister in seinem Lärm, und die Soldaten in unserer Nähe drehen sich um und folgen ihm, ohne auch nur einen Augenblick lang zu überlegen.

Sie folgen uns zur linken Flanke. Wir überqueren die Lichtung viel schneller, als mir lieb ist, der Lärm kommt von allen Seiten, er erdrückt mich beinahe, die rufenden Männer, der Waffenlärm, das Dröhnen der Marschtritte, das verdammte Signalhorn der Spack­le, das noch immer alle zwei Sekunden ertönt, und der Lärm, der Lärm, der Lärm, der Lärm …

Ich reite mitten hinein in einen Albtraum.

Plötzlich spüre ich einen Lufthauch am Ohr und drehe mich schnell um. Der Pfeil, der soeben haarscharf an meinem Kopf vorbeigeflogen ist, hat einen Soldaten in die Wange getroffen. Er schreit auf und fällt zu Boden. Wo man ihn einfach liegen lässt.

NIMM DICH IN ACHT, TODD, pflanzt mir der Bürgermeister in den Kopf, ICH MÖCHTE DICH NICHT SCHON IN DER ERSTEN SCHLACHT VERLIEREN.

»Hört verdammt noch mal endlich damit auf!«, schreie ich ihn an.

AN DEINER STELLE WÜRDE ICH JETZT MEIN GEWEHR ANLEGEN, denkt er in meine Richtung.

Ich drehe mich um …

Und ich sehe …

Die Spackle sind ganz nah.

(VIOLA)

»Du lebst!«, sagt Mistress Coyle. Ich merke, wie das überraschte Staunen in ihrem Gesicht zu einem verlogenen Staunen wird. »Gott sei Dank!«

»Untersteht Euch!«, schreie ich sie an. »Untersteht Euch!«

»Viola …«, setzt sie an, aber da lasse ich mich bereits von Acorn heruntergleiten, unter lautem Stöhnen, weil meine Gelenke so schrecklich wehtun. Ich schaffe es mit Müh und Not, aufrecht stehen zu bleiben, und sage zu Simone und Bradley: »Glaubt ihr kein Wort!«

»Viola?« Simone kommt näher. »Bist du es wirklich?«

»Sie trägt genauso viel Schuld an diesem Krieg wie der Bürgermeister. Tut nichts, was sie …«

Ich kann nicht weiterreden, denn Bradley umarmt mich so stürmisch, dass ich fast keine Luft bekomme. »Oh mein Gott, Viola«, sagt er, und seine Stimme verrät, wie aufgewühlt er ist. »Wir haben nichts von eurem Schiff gehört. Wir dachten …«

»Was ist passiert, Viola?«, fragt Simone. »Wo sind deine Eltern?«

Ich bin so überwältigt, jetzt, da ich sie vor mir sehe, dass ich eine geschlagene Minute lang kein Wort hervorbringe. Dann befreie ich mich aus Bradleys Umarmung und trete einen Schritt zurück. Das Licht fällt auf sein Gesicht, und ich sehe ihn, sehe tatsächlich ihn, seine freundlichen braunen Augen, seine Haut, die ebenso dunkel ist, wie Corinnes Haut es war, seine kurzen, krausen Haare, die an den Schläfen bereits grau werden. Bradley, den ich von allen im Konvoi am liebsten hatte, Bradley, der mich in Kunst und in Mathe unterrichtete. Dann blicke ich zu Simone, und ich sehe die vertrauten Sommersprossen, das rote Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hat, die klitzekleine Narbe an ihrem Kinnansatz, und ich merke, dass ich sie schon fast vergessen habe angesichts all dessen, was um mich herum passiert ist.

Während ich darum kämpfte, auf diesem bescheuerten Planeten zu überleben, hätte ich fast vergessen, dass ich von einem anderen Ort komme, an dem man mich liebt, wo sich die Menschen um mich und umeinander sorgen, wo Freunde, die so schön und so klug wie Simone und so freundlich und lustig sind wie Bradley, sich auf die Suche nach mir machen, weil sie es gut mit mir meinen.

Ich bekomme wieder feuchte Augen. Die Erinnerung tut so weh, und es ist, als ob sie zu jemand anders gehörte.

»Meine Eltern sind tot«, stoße ich hervor. »Wir sind abgestürzt, sie sind dabei ums Leben gekommen.«

»Oh, Viola …«, sagt Bradley leise.

»Ein Junge hat mich gefunden«, fahre ich fort, jetzt wieder gefasster. »Ein tapferer, ein großartiger Junge, der mir schon oft das Leben gerettet hat und der jetzt versucht, den Krieg zu beenden, den diese Frau hier angezettelt hat!«

»Ich habe nichts dergleichen getan, mein Mädchen«, erwidert Mistress Coyle, aber ihr gespieltes Erstaunen ist jetzt wie weggewischt.

»Ich habe gesagt, Ihr sollt mich nie wieder so nennen.«

»Wir kämpfen gegen einen Tyrannen, einen Tyrannen, der Hunderte, wenn nicht Tausende getötet hat, der Frauen einsperrte und ihnen Bänder anlegte …«

»Schluss jetzt«, sage ich leise. »Ihr habt versucht, mich umzubringen. Ab sofort habt Ihr hier gar nichts mehr zu sagen.«

»Sie hat was?«, höre ich Bradley fragen.

»Ihr habt Wilf, den freundlichen, netten, friedfertigen Wilf, in die Stadt geschickt, damit er Häuser in die Luft sprengt.«

Mistress Coyle will protestieren: »Viola …«

»Mund halten, hab ich gesagt!«

Und sie verstummt tatsächlich.

»Wisst Ihr überhaupt, was jetzt gerade dort unten vor sich geht?«, frage ich. »Habt Ihr eine Ahnung, wohin Ihr die Antwort geschickt habt?«

Sie atmet hörbar aus, blitzt mich zornig an.

»Der Bürgermeister hat Euren Trick durchschaut«, fahre ich fort. »In der Stadt wartet schon eine ganze Armee auf Euch. Eure Leute hätte man einfach ausradiert.«

Aber sie sagt nur: »Unterschätze die Kampfmoral der Antwort nicht.«

»Was ist die Antwort?«, fragt Bradley.

»Eine Terroristenvereinigung«, sage ich prompt, nur um ihre Reaktion zu sehen. Es ist ein Anblick, der sich lohnt.

»Was du sagst, ist gefährlich, Viola Eade«, sagt Mistress Coyle und tritt auf mich zu.

»Und was wollt Ihr dagegen tun?«, frage ich. »Mich etwa noch einmal in die Luft sprengen?«

»Na, na«, mischt Simone sich ein und stellt sich zwischen uns beide. »Was sich auch immer gerade abspielen mag«, sagt sie zu Mistress Coyle, »eines steht fest: Ihr habt uns nicht die volle Wahrheit gesagt.«

Mistress Coyle seufzt enttäuscht. »Ich habe nicht gelogen, als ich euch sagte, was dieser Mann getan hat.« Und zu mir gewandt fragt sie: »Stimmt das etwa nicht, Viola?«

Ich versuche, mich nicht von ihrem Blick beeindrucken zu lassen, aber natürlich hat sie recht, er hat schreckliche Taten begangen. »Wir haben ihn überwältigt«, sage ich. »Todd ist gerade bei ihm, er hat den Bürgermeister gefesselt, aber er braucht unsere Hilfe, weil …«

Mistress Coyle unterbricht mich, indem sie sich an Simone und Bradley wendet: »Wir können unsere Meinungsverschiedenheiten später beilegen. Mehr wollte ich nicht sagen. Dort unten ist eine Armee, die man aufhalten muss.«

»Zwei Armeen«, verbessere ich.

Entnervt erwidert Mistress Coyle: »Die Antwort braucht man nicht aufzuhalten.«

»Von der Antwort rede ich auch nicht. Eine Spackle-Armee marschiert den Hügel beim Wasserfall herunter.«

»Was für eine Armee?«, fragt Simone.

Aber ich beachte sie nicht, ich sehe nur Mistress Coyle.

Sie starrt mich mit offenem Mund an. Und ich kann die Angst in ihrem Gesicht erkennen.

[TODD]

Da kommen sie.

Auf dieser Seite ist der Berg steil und mit Felsen übersät, sodass die Spackle nicht direkt zu uns heruntersteigen können. Trotzdem drängen sie auf die Lichtung, wo unsere Angriffsreihe schwach besetzt ist.

Sie kommen. Sie kommen.

Ich bringe mein Gewehr in Anschlag.

Rings um mich sind Soldaten, manche drängen nach vorn, manche weichen zurück, sie rempeln Angharrad an, die in ihrem Lärm andauernd Menschenfohlen,Menschenfohlen! ruft …

»Schon gut, Mädchen«, schwindle ich ihr vor. Denn sie sind schon da.

Überall knallen Schüsse, so dicht hintereinander wie Vögel, die in einem Schwarm auffliegen. Pfeile surren durch die Luft. Die Spackle feuern ihre weißen Stöcke ab.

Ehe ich einen einzigen klaren Gedanken fassen kann, taumelt vor mir ein Soldat, und ich höre ein grässliches Zischen. Er presst die Hand an die Kehle. Eine Hand, die er im nächsten Augenblick schon gar nicht mehr hat.

Ich werde Zeuge, wie er auf die Knie fällt. Und da ist Blut, alles an ihm klebt von Blut, richtigem Blut, seinem Blut, es ist so viel, dass ich sogar das Eisen darin rieche. Und er blickt zu mir hoch, blickt mir lange in die Augen. Und sein Lärm … Mein Gott, sein Lärm …

Plötzlich bin ich mittendrin, mitten in seinem Gedankenlärm, und ich sehe Bilder von seiner Familie, Bilder von seiner Frau und von seinem kleinen Sohn, und er will diese Bilder festhalten, aber sein Lärm zerbröckelt, und die Angst durchströmt ihn wie ein helles rotes Licht, und er streckt die Hand aus nach seiner Frau, nach seinem kleinen Sohn …

Da trifft ihn ein Spackle-Pfeil in die Brust. Sein Lärm verstummt.

Und ich sehe wieder nur das Schlachtfeld, sehe wieder nur die Hölle …

REISS DICH ZUSAMMEN, TODD!, setzt mir der Bürgermeister in den Kopf.

Aber ich starre auf den toten Soldaten. Seine leblosen Augen starren zurück.

»Verdammt, Todd!«, schreit der Bürgermeister.

ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH.

Die Worte rollen durch mein Gehirn, schwer wie Ziegelsteine.

ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH.

In seiner Stimme höre ich es und auch in meiner eigenen. Beide Stimmen sind ineinander verflochten, mitten in meinem Kopf.

»Verpiss dich«, will ich schreien, aber meine Stimme ist unheimlich still.

Und dann …

Und dann … hebe ich den Kopf. Werde ruhiger. Die Welt wirkt heller, dreht sich langsamer.

Plötzlich durchbricht ein Spackle die Reihen, wo eine Lücke zwischen den Soldaten klafft. Er richtet seinen weißen Stock auf mich.

Mir wird nichts anderes übrig bleiben …

(Mörder.)

(Du bist ein Mörder.)

Ich werde ihn erschießen müssen, ehe er mich erschießt. Ich lege das Gewehr an. Es ist Davys Gewehr. Ich habe es ihm abgenommen …

Und ich denke Oh bitte, während ich den Finger um den Abzug lege.

Oh bitte, oh bitte, oh bitte …

Und dann …

Klick!

Entsetzt starre ich auf mein Gewehr.

Es ist nicht geladen.

(VIOLA)

»Du lügst«, sagt Mistress Coyle, aber sie dreht sich schon um, als könnte man von hier aus über die Bäume hinweg bis in die Stadt sehen. Aber das kann man nicht, man sieht nur die dunklen Umrisse der Bäume vor dem hellen Licht in der Ferne. Der Dampf zischt so laut aus den Kühlöffnungen, dass man kaum sein eigenes Wort versteht, geschweige denn etwas aus der Stadt hört. Wenn sie sich wirklich sofort, als sie das Schiff entdeckt hat, auf die Suche gemacht hat, dann hat sie das Hornsignal vielleicht tatsächlich nicht gehört.

»Das kann nicht sein«, sagt sie. »Sie haben einen Waffenstillstand geschlossen!«

Spackle!, sagt Acorn hinter mir.

»Was hast du gesagt?«, fragt mich Simone.

»Nein«, entfährt es Mistress Coyle. »Oh nein.«

»Würde mir jemand mal erklären, was zum Teufel hier eigentlich vor sich geht?«, fragt Bradley.

»Die Spackle sind die Ureinwohner dieses Planeten«, erkläre ich ihm. »Sie sind intelligent …«

»… und bösartig, wenn sie gegen Menschen kämpfen«, unterbricht mich Mistress Coyle.

»Der einzige Spackle, den ich je getroffen habe, war freundlich und zurückhaltend, und er fürchtete sich viel mehr vor den Menschen, als sich die Menschen vor den Spackle zu fürchten scheinen.«

»Du hast nicht im Krieg gegen sie gekämpft«, wirft Mistress Coyle ein.

»Ich habe sie auch nicht versklavt.«

»Ich habe keine Lust, hier zu stehen und mich mit einem Kind zu streiten.«

»Niemand wird behaupten können, dass sie grundlos angreifen.« Zu Bradley und Simone gewandt, füge ich hinzu: »Sie greifen uns an, weil der Bürgermeister alle Spackle-Sklaven hat ermorden lassen. Wenn wir mit ihnen sprechen könnten, ihnen sagen könnten, dass wir nicht so sind wie der Bürgermeister, sie überzeugen könnten …«

»Sie werden deinen ach so kostbaren Jungen umbringen, ohne lange zu fackeln«, sagt Mistress Coyle.

Bei ihren Worten stockt mir der Atem, und ich verspüre einen Anflug von Panik, aber dann fällt mir ein, dass sie sich sicher darüber freut, wenn sie meine Angst sieht. Dann hat sie leichtes Spiel mit mir.

Aber ich werde keine Angst haben, denn wir werden mit alldem Schluss machen. Wir werden es beenden. Genau das werden Todd und ich tun.

»Wir haben den Bürgermeister gefangen genommen«, sage ich, »und wenn die Spackle das erfahren …«

»Bei allem Respekt«, wendet sich Mistress Coyle an Simone. »Viola weiß kaum etwas über die Geschichte dieses Planeten. Wenn die Spackle angreifen, müssen wir zurückschlagen!«

»Zurückschlagen?«, wiederholt Bradley stirnrunzelnd. »Für wen haltet Ihr uns?«

»Todd braucht unsere Hilfe«, sage ich. »Wir können in die Stadt hinunterfliegen, ehe es zu spät ist, und dann …«

»Es ist bereits zu spät«, unterbricht mich Mistress Coyle. »Wenn wir mit dem Schiff über die Stadt fliegen, dann könnte ich euch zeigen …«

Simone schüttelt den Kopf. »Die Atmosphäre war dichter als erwartet. Wir mussten beim Landen die Kühlgeräte mit voller Leistung laufen lassen …«

»Nein!«, stöhne ich auf. Aber was sie sagt, stimmt: Zwei Kühler sind in Betrieb.

»Und was heißt das?«, fragt Mistress Coyle.

»Das heißt, dass wir während der nächsten acht Stunden nicht flugtüchtig sind, weil die Maschinen abkühlen und die Brennstoffzellen nachgefüllt werden müssen«, erklärt Simone.

»Acht Stunden?« Mistress Coyle schlägt vor lauter Enttäuschung mit der Faust in die Luft.

Ausnahmsweise verstehe ich, wie ihr zumute ist.

»Wir müssen Todd helfen«, sage ich stur. »Er kann nicht gleichzeitig eine Armee befehligen und eine andere abwehren.«

»Ihm wird nichts anderes übrig bleiben, als den Bürgermeister laufen zu lassen«, sagt Mistress Coyle.

»Nein«, sage ich schnell. »Nein, das wird er nicht tun.«

Wirklich nicht?

Nein.

Nicht, nachdem wir uns einen so harten Kampf mit ihm geliefert haben.

»Im Krieg muss man manchmal abscheuliche Kompromisse eingehen«, sagt Mistress Coyle. »Wie gut dein Junge auch sein mag, er ist einer gegen tausend.«

Ich muss wieder gegen die aufsteigende Angst ankämpfen, deshalb sage ich rasch zu Bradley: »Wir müssen etwas tun!«

Er blickt Simone zweifelnd an. Ich kann mir vorstellen, dass sich die beiden jetzt fragen, in welches Unheil sie da hineingeraten sind. Dann schnippt Bradley mit den Fingern, als wäre ihm gerade etwas eingefallen.

»Moment mal«, sagt er und geht schnell in das Erkundungsschiff zurück.

[TODD]

Ich drücke erneut den Abzug.

Wieder nur ein Klick.

Der Spackle hebt seinen weißen Stock.

(Was sind das nur für Dinger?)

(Wie können sie so großen Schaden anrichten?)

Ich bin tot.

Ich bin tot.

Ich bin …

PENG!

Dicht neben meinem Kopf ertönt ein Gewehrschuss. Der Spackle mit dem weißen Stock fällt zuckend zur Seite, Blut spritzt aus seinem Hals, rinnt über die Lehmrüstung.

Der Bürgermeister … Er hat den Spackle erschossen.

Ich achte nicht auf den Kampf, der um uns herum tobt, sondern starre den Bürgermeister fassungslos an.

»Ihr habt Euren Sohn mit einer Waffe in den Kampf geschickt, die NICHTGELADEN war?« Ich zittere vor Wut und weil ich um ein Haar gestorben wäre.

»Jetzt ist nicht die Zeit, Todd«, wehrt der Bürgermeister ab.

Wieder fliegt ein Pfeil haarscharf an mir vorbei. Ich nehme die Zügel in die Hand und will mit Angharrad umdrehen, damit wir, verdammt noch mal, von hier wegkommen. Ich sehe, wie ein Soldat rückwärtstaumelt und auf Morpeth fällt, Blut strömt aus einem grässlichen Loch in seinem Bauch, er streckt die Hände nach dem Bürgermeister aus, fleht um Hilfe …

Aber der Bürgermeister beugt sich vor, reißt ihm das Gewehr aus der Hand und wirft es mir zu.

Reflexartig greife ich danach, und sofort sind meine Hände nass von dem Blut, denn es klebt überall …

JETZT IST KEINE ZEIT FÜR PLAUDEREIEN, dröhnt er in meinem Kopf. DREH DICH UM UND SCHIESS!

Ich drehe mich um …

Und ich schieße.

(VIOLA)

»Eine Erkundungssonde!«, sagt Bradley, als er wieder die Rampe herabsteigt; er hat etwas in der Hand, was aussieht wie ein zu groß geratenes Insekt, es ist vielleicht einen halben Meter lang, glänzende Flügel aus Metall spannen sich über einen dünnen Körper aus Metall. Er hält es Simone hin, als wollte er sie um Erlaubnis bitten. Sie nickt, also ist sie die Kommandantin dieser Mission.

»Was für eine Sonde?«, fragt Mistress Coyle.

»Damit kann man die Umgebung beobachten«, erklärt Simone. »Hattet Ihr denn keine dabei, als Ihr hier gelandet seid?«

Mistress Coyle schnaubt verächtlich. »Unsere Schiffe haben die alte Welt dreiundzwanzig Jahre vor euren verlassen. Verglichen mit dem, was ihr zur Verfügung habt, sind wir praktisch noch mit Dampfantrieb geflogen.«

»Was ist mit dem Erkundungsschiff passiert?«, fragt mich Bradley, während er die Sonde fertig macht.

»Es wurde beim Absturz zerstört«, antworte ich. »Und mehr oder weniger die gesamte Ausrüstung mit dazu. Ich hatte fast nichts zu essen.«

»Hey!«, sagt Simone, und sie bemüht sich, mitfühlend und tröstend zu klingen. »Aber immerhin hast du es geschafft. Du lebst noch.« Sie kommt auf mich zu und will den Arm um mich legen.

»Vorsicht!«, sage ich. »Meine beiden Knöchel sind verletzt.«

Simone blickt mich erschrocken an. »Viola!«

»Ja, ich lebe«, erwidere ich, »aber das habe ich nur Todd zu verdanken, verstehst du? Wenn er in Schwierigkeiten steckt, Simone, dann müssen wir ihm helfen.«

»Sie denkt nur an diesen Jungen«, brummt Mistress Coyle. »Es geht immer nur um ihn, selbst wenn der Rest der Welt zugrunde geht.«

»Ihr seid doch diejenige, die die ganze Welt in Trümmer legen will und sich von nichts und niemandem davon abbringen lässt!«

WeltinTrümmern, denkt Acorn und tänzelt nervös hin und her.

Simone sieht ihn stirnrunzelnd an. »Moment mal …«

»Fertig!«, sagt Bradley und tritt einen Schritt von der Sonde zurück. In der Hand hat er ein kleines Kontrollkästchen.

»Und woher weiß das Ding, wohin es fliegen soll?«, fragt Mistress Coyle.

»Ich habe es so eingestellt, dass es dorthin fliegt, wo es am hellsten ist«, sagt Bradley. »Die Sonde kann zwar nur die nähere Umgebung erkunden, aber die paar Hügel sollte sie leicht überwachen können.«

»Kann man sie auch auf eine bestimmte Person ausrichten?«, frage ich.

Im selben Moment wird der Nachthimmel wieder hell, er leuchtet wieder genauso wie bei meinem Ritt hierher. Alle blicken zur Stadt.

»Schick die Sonde los!«, sage ich. »Schick sie los!«

[TODD]

Ohne dass ich es überhaupt will, feuere ich das Gewehr ab.

PENG!

Ich bin nicht auf den Rückstoß gefasst, auf den heftigen Schlag gegen mein Schlüsselbein. Ich halte mich an Angharrads Zügeln fest, und wir drehen uns einmal im Kreis, bis ich einen Spackle sehe.

Er liegt vor mir auf dem Boden …

(und ein Messer steckt in …)

und er blutet aus einer Schusswunde in der Brust.

»Guter Schuss«, sagt der Bürgermeister.

»Das ist Eure Schuld«, sage ich. »Wie oft soll ich es noch sagen, Ihr habt nichts in meinen Gedanken zu suchen.«

»Nicht einmal, wenn ich dein Leben retten will?«, fragt er und drückt noch einmal ab, und wieder fällt ein Spackle.

Ich drehe mich um, mit angelegtem Gewehr.

Die Nächsten rennen schon auf uns zu. Ich ziele auf einen Spackle, der seinen Bogen auf einen unserer Soldaten gerichtet hat … und ich schieße.

Aber im letzten Moment reiße ich das Gewehr absichtlich zur Seite, schieße daneben (halt die Klappe).

Der Spackle läuft weg, ich habe ihn nicht getroffen.

»So gewinnt man keinen Krieg, Todd!«, schreit der Bürgermeister und schießt auf den Spackle, an dem ich vorbeigeschossen habe. Er trifft ihn ins Kinn und der Spackle fällt.

»Du musst dich entscheiden«, sagt der Bürgermeister und schwenkt sein Gewehr auf der Suche nach seinem nächsten Ziel. »Du hast gesagt, du würdest für sie töten. Hast du das ernst gemeint?«

Und wieder höre ich ein zischendes Geräusch. Angharrad wiehert so entsetzlich, wie man es sich kaum vorstellen kann.

Ich drehe mich im Sattel um.

Ein Pfeil hat sie in die rechte Hinterflanke getroffen.

Menschenfohlen!, schreit sie. Menschenfohlen!

Ich greife nach hinten und versuche, den Pfeil zu packen, ohne dabei herunterzufallen, aber die Stute macht vor Schmerz einen Satz, und der Pfeil bricht in meinen Händen auseinander, das abgebrochene Ende steckt noch immer in ihrem Bein, und sie ruft Menschenfohlen!Menschenfohlen!Todd! Und ich will sie beruhigen, damit sie mich nicht abwirft.

Und da ist es wieder …

WUMM!

Ein greller Lichtblitz …