Chaos Walking - Es gibt immer eine Wahl - Patrick Ness - E-Book
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Chaos Walking - Es gibt immer eine Wahl E-Book

Patrick Ness

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Beschreibung

Der internationale Fantasy-Bestseller des preisgekrönten Autors

Todd und Viola haben endlich das Ziel ihrer Flucht erreicht. Doch in der vermeintlich sicheren Stadt erwartet sie niemand anders als ihr Verfolger Major Prentiss. Unter seinem Kommando wandelt sich die zuvor so friedliche Gemeinschaft zu genau dem, wovor die beiden geflohen sind. Viola gerät dabei unter den Einfluss einer sektenartigen Gemeinschaft und Todd wird gezwungen, sich dem Regime von Prentiss zu unterwerfen. Ein ums andere Mal fordert dieser von ihm Dinge, die allem widersprechen, woran Todd glaubt. Und auch Viola muss immer wieder gegen ihr Gewissen handeln. Hin- und hergerissen zwischen Zweifeln und Kompromissen, Verdächtigungen und Verrat, wird die Freundschaft der beiden auf ihre härteste Probe gestellt …
Eine tiefgründige, herzzerreißende und unfasslich schön geschriebene Fantasy, deren schlagendes Herz die innige Freundschaft ihrer beiden Helden ist.

Die Chaos Walking-Reihe:
Chaos Walking – Die Mission (Prequel, nur als E-Book verfügbar)
Chaos Walking – Der Roman zum Film (Band 1)
Chaos Walking – Vor dem Fall (Prequel, nur als E-Book verfügbar)
Chaos Walking – Es gibt immer eine Wahl (Band 2)

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Seitenzahl: 615

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ESGIBTIMMEREINEWAHLBUCH 2

Aus dem Amerikanischen von Petra Koob-Pawis

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© 2009 Patrick Ness

Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel

»Chaos Walking 2 – The Ask and the Answer« bei Walker Books Ltd, London

© 2022 der deutschsprachigen Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Ursprünglich erschienen unter dem Titel

»New World 2 – Das dunkle Paradies« bei Ravensburger Verlag

Übersetzung: Petra Koob-Pawis

Covergestaltung: Geviert GbR, Grafik und Typografie

unter Verwendung des Bildes und der Gestaltung von: © Walker Books Ltd.

Reproduktion mit Genehmigung von Walker Books Ltd, London

MP · Herstellung: UK

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-19052-1V002

www.cbj-verlag.de

FÜR PATRICK GALE

Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen,

dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird.

Und wenn du lange in einen Abgrund blickst,

blickt der Abgrund auch in dich hinein.

Friedrich Nietzsche, »Jenseits von Gut und Böse«

Was bisher geschah

IN DER KOLONIE »New World« lässt ein Name die Menschen vor Furcht erzittern: Prentisstown. Denn Prentisstown ist keine gewöhnliche Stadt. In Prentisstown kann ein Mann die Gedanken des andern hören. In Prentisstown ist es niemals still. Nichts bleibt im Verborgenen. Für Bürgermeister Prentiss und seinen fanatischen Prediger Aaron ist es daher ein Leichtes, die Bewohner zu überwachen. Ohne zu murren, gehen sie in Aarons Kirche und geloben dem Bürgermeister absoluten Gehorsam, willig tun sie die schwere Farmarbeit. Doch jeden Tag werden sie daran erinnert, dass etwas nicht stimmt: In Prentisstown lebt keine einzige Frau. Alle weiblichen Bewohner sind, so heißt es, vor Jahren durch ein Fieber umgekommen, so auch die Mutter des dreizehnjährigen Todd.

Seit er denken kann, lebt der Junge als Vollwaise auf der Farm seiner beiden Ziehväter Ben und Cillian. Doch eines Tages gerät seine Welt aus den Fugen: Im Sumpf vor der Stadt findet Todd ein Wesen, dessen Gedanken er nicht hören kann. Ein Wesen, das es laut Bürgermeister Prentiss auf diesem Planeten überhaupt nicht geben dürfte: ein Mädchen. Sein Name ist Viola. Es gehört zur Vorhut einer neuen Siedlergeneration, die im Anflug auf New World ist – und das Terrorregime von Bürgermeister Prentiss erschüttern könnte. Dies umso mehr, als Todd die schreckliche Wahrheit über den Tod der Frauen ahnt: In Wahrheit starben sie nicht an einer Seuche, sondern sie wurden ermordet. Denn auf New World sind nur die Gedanken der Männer für alle zu hören, nicht aber die der Frauen. Der Diktator begann deshalb ihre Macht derart zu fürchten, dass er alle Frauen in seiner Stadt töten ließ. Ein Verbrechen, das die Bürger von Prentisstown zu Ausgestoßenen auf dem Planeten gemacht hat. Mit dem Wissen um diese Zusammenhänge ist Todd für Prentiss eine tödliche Gefahr. Noch bevor dieser jedoch zuschlagen und Todd verhaften kann, flieht der Junge mit Viola in die Sümpfe. Todds einzige Überlebensmittel sind ein altes Jagdmesser, das ihm Ben zum Abschied geschenkt hat, und eine Landkarte aus dem Tagebuch seiner verstorbenen Mutter. Diese Karte weist den Fliehenden den Weg nach Haven, der letzten Zuflucht, wo Frieden und Überfluss herrschen. Doch Prentiss hat bereits seinen brutalen Sohn Davy und den Prediger Aaron auf die Fährte von Todd und Viola gehetzt. Wie ein Bluthund kreuzt Aaron immer wieder den Weg der beiden, bis ihm Viola schließlich in einem Akt verzweifelter Gegenwehr Bens Messer in den Rücken stößt. Doch wenig später wird sie von Davy angeschossen und dabei lebensgefährlich verletzt. Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte gelingt es Todd, die verwundete Viola auf dem Rücken nach Haven zu tragen. Doch die erhoffte Zuflucht erweist sich als Todesfalle: Vor den Toren Havens erwartet Bürgermeister Prentiss Todd und Viola mit einer ganzen Armee. Er lässt Viola an einen unbekannten Ort bringen, Todd landet im Verlies. Wird es ihm jemals gelingen, dem Bürgermeister zu entfliehen und Viola lebend wiederzusehen? Wann werden Violas Leute in ihren Raumschiffen auf New World eintreffen? Auf wessen Seite werden sie sich stellen? So verzweifelt die Lage Todd auch scheint: Dies ist noch lange nicht das Ende. Der Kampf um New World hat gerade erst begonnen …

Das Ende

»DEIN LÄRM VERRÄT DICH, TODD HEWITT.«

Eine Stimme.

In der Dunkelheit.

Ich blinzle und schlage die Augen auf. Alles ist schemenhaft und verschwommen. Alles scheint sich um mich zu drehen, und mein Blut ist viel zu heiß, und mein Gehirn ist wie Brei, und ich kann keinen klaren Gedanken fassen, und es ist finster.

Ich blinzle.

Warte.

Nein, warte.

Gerade eben waren wir noch auf dem großen Platz.

Gerade eben noch hielt ich sie im Arm.

Sie ist in meinen Armen gestorben.

»Wo ist sie?« Ich spucke in die Dunkelheit, schmecke Blut, meine Stimme krächzt, mein Lärm schwillt an zu einem Wirbelsturm, der aus dem Nichts heraufzieht, er ist laut und rot und wild. »WO IST SIE?«

»Ich stelle hier die Fragen, Todd.«

Diese Stimme.

Seine Stimme.

Irgendwo in der Dunkelheit.

Irgendwo hinter meinem Rücken, wo ich ihn nicht sehen kann.

Bürgermeister Prentiss.

Ich blinzle wieder und allmählich verwandelt sich das trübe Bild in einen riesigen Raum. Nur durch ein einziges Fenster fällt Licht herein, das Fenster ist groß, kreisrund und weit weg, das Glas nicht weiß, sondern bunt, es zeigt die Umrisse von New World mit den zwei Monden, die tief stehende Sonne lässt ihre Strahlen nur auf mich fallen, auf niemanden sonst.

»Was habt Ihr mit ihr gemacht?«, frage ich, schreie ich.

Ich blinzle, weil mir Blut in die Augen rinnt. Ich will es wegwischen, aber meine Hände sind auf dem Rücken gefesselt. Ich zerre an den Fesseln, denn jetzt kriege ich es mit der Angst zu tun, mein Atem geht schneller, und ich schreie wieder: »WO IST SIE?«

Eine Faust schießt aus dem Nichts und trifft mich in die Magengrube.

Ich krümme mich vor Schmerz, und da merke ich erst, dass ich an einen Holzstuhl gefesselt bin. Meine Beine sind an die Stuhlbeine gebunden, mein Hemd muss ich irgendwo auf dem staubigen Weg über den Berghang verloren haben, und als ich mich trotz meines leeren Magens übergeben muss, sehe ich, dass unter mir ein Teppich liegt, in dem New World und die beiden Monde als Muster eingewebt sind, ein Muster, das sich endlos wiederholt.

Mir fällt wieder ein, dass wir auf dem Platz waren, auf dem Platz, zu dem ich geflohen war. Ich trug sie, sagte ihr, sie müsse am Leben bleiben, bis wir in Sicherheit sind, in Haven, und ich sie retten kann.

Aber es gibt keine Sicherheit, nicht das kleinste bisschen, in Haven gibt es nur Prentiss und seine Männer, sie haben sie mir weggenommen, sie aus meinen Armen gerissen.

»Fällt dir etwas auf? Er fragt gar nicht: Wo bin ich?«, sagt die Stimme des Bürgermeisters von irgendwoher im Raum. »Seine ersten Worte sind: Wo ist sie?, und sein Lärm sagt dasselbe. Bemerkenswert.«

In meinem Kopf dröhnt es wie in meinem Magen, meine Erinnerung kehrt langsam zurück. Ich entsinne mich, dass ich gegen sie gekämpft habe, ich habe gegen sie gekämpft, als sie sie mir wegnahmen, bis ein Gewehrkolben mich an der Schläfe traf und alles um mich herum dunkel wurde.

Ich schlucke den Kloß in meiner Kehle hinunter, schlucke das Entsetzen und die Angst hinunter …

Denn das ist das Ende, oder etwa nicht?

Alles ist aus.

Ich bin in der Gewalt des Bürgermeisters.

Sie ist in der Gewalt des Bürgermeisters.

»Wenn Ihr ihr etwas antut …«, sage ich drohend. Ich spüre den Faustschlag im Magen. Mr Collins steht vor mir, halb im Schatten. Mr Collins, der Getreide und Blumenkohl anbaut und auch die Pferde des Bürgermeisters versorgt, eben dieser Mr Collins steht jetzt vor mir, eine Pistole steckt in seinem Halfter, über der Schulter hängt ein Gewehr, und er hebt die Faust, um wieder auf mich einzuprügeln.

»Ihr Zustand schien mir schon beklagenswert genug zu sein, Todd«, sagt der Bürgermeister und hält Mr Collins zurück. »Das arme Ding.«

Obwohl ich gefesselt bin, balle ich die Fäuste. Mein Lärm kommt mir bröselig und ramponiert vor, aber wenn ich an Davy Prentiss denke, wie er sein Gewehr auf uns richtet, wenn ich daran denke, wie sie in meinen Armen zusammensackt, wie sie blutet und nach Luft ringt, dann braust er auf.

Mein Lärm verfärbt sich dunkelrot, als ich mich daran erinnere, wie meine Faust in Davy Prentiss’ Gesicht landet, wie er vom Pferd stürzt, sein Fuß sich im Steigbügel verheddert und er weggeschleift wird wie ein Stück Abfall.

»Nun«, sagt der Bürgermeister, »das beantwortet die Frage, wo mein Sohn abgeblieben ist.«

Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, der Gedanke amüsiert ihn beinahe.

Aber ich kann es nur aus dem Klang seiner Stimme schließen, einer Stimme, die schneidender und gewandter klingt, als sie früher in Prentisstown jemals geklungen hat, denn das Nichts, das ich bei meiner Ankunft in Haven an ihm wahrnahm, ist immer noch da – ein riesiges Nichts, das den Raum erfüllt und sich mit einem anderen großen Nichts vermischt, das von Mr Collins stammt.

Sie haben keinen Lärm. Beide Männer haben keinen Lärm. Der einzige Lärm hier ist mein Lärm, das Blöken eines verletzten Kalbes.

Ich hebe den Kopf, suche den Bürgermeister, doch ich kann mich nur ein klein wenig zur Seite drehen, das ist alles, die Schmerzen sind zu groß, und ich weiß nur, ich sitze in einem gebündelten Strahl aus staubigem, farbigem Licht inmitten eines Raums, der so groß ist, dass ich seine Wände kaum erkennen kann.

Aber dann sehe ich doch einen kleinen Tisch in der Dunkelheit, er steht so weit weg von mir, dass ich gerade noch erkennen kann, was darauf liegt.

Ich sehe Metall blitzen, funkelnde, unheilvolle Dinge, von denen ich gar nicht wissen will, wozu sie dienen.

»Für ihn bin ich immer noch der Bürgermeister«, höre ich seine Stimme, die schon wieder heiter und amüsiert klingt.

»Von nun an heißt das ›Präsident Prentiss‹, Junge«, knurrt Mr Collins. »Du tätest gut daran, dir das zu merken.«

»Was habt Ihr mit ihr gemacht?« Bei dem Versuch, mich nach rechts oder links zu drehen, stöhne ich auf, weil der Rücken mir so wehtut. »Wenn Ihr sie anrührt, dann …«

»Du kommst am Morgen in meine Stadt«, unterbricht mich der Bürgermeister, »mit leeren Händen, nicht einmal ein Hemd hast du am Leib, trägst ein Mädchen auf den Armen, das einen Unfall hatte …«

Mein Lärm kocht hoch. »Es war kein Unfall!«

»… das einen wirklich schlimmen Unfall hatte«, fährt der Bürgermeister fort, und in seiner Stimme schwingt ein erstes Anzeichen von Ungeduld, wie in dem Moment, als wir uns auf dem Platz gegenüberstanden. »So schlimm, dass es zwischen Leben und Tod schwebt. Und hier sitzt der Junge, den zu finden uns so viel Zeit und Mühe gekostet hat, der Junge, der uns so viele Unannehmlichkeiten bereitet hat, der sich uns aus freien Stücken gestellt hat, der uns zugesichert hat, alles zu tun, was wir wollen, wenn wir nur das Leben des Mädchens retten, und obwohl wir genau das versuchen …«

»Geht es ihr gut? Ist sie in Sicherheit?«

Der Bürgermeister verstummt. Mr Collins tritt einen Schritt vor und schlägt mir mit dem Handrücken ins Gesicht. Der pulsierende Schmerz wandert mit quälender Langsamkeit über meine Wange und ich sitze nur da und ringe verzweifelt nach Luft.

Dann tritt der Bürgermeister in den Lichtkegel, direkt vor mich hin.

Seine Kleidung ist noch immer tadellos, frisch und sauber, als steckte kein Mensch darin, sondern ein wandelnder, sprechender Eisblock. Sogar auf der Kleidung von Mr Collins sind Schweiß- und Schmutzflecken, und er riecht entsprechend, aber nicht der Bürgermeister, nein, der nicht.

In Gegenwart des Bürgermeisters fühlt man sich wie ein Haufen Unrat, der beiseitegeräumt werden muss.

Er bückt sich, damit er mir in die Augen sehen kann.

Und dann fragt er mich leichthin, wie aus reiner Neugierde: »Wie heißt sie, Todd?«

Ich blinzle überrascht. »Was?«

»Wie heißt sie?«, fragt er noch einmal.

Er muss doch wissen, wie sie heißt. Ganz bestimmt kann er ihren Namen in meinem Lärm lesen.

»Ihr wisst, wie sie heißt.«

»Ich möchte aber, dass du es mir sagst.«

Ich schaue von ihm zu Mr Collins, der mit verschränkten Armen dasteht, ich brauche sein Schweigen gar nicht, ich kann in seinem Gesicht lesen, dass er nichts lieber täte, als mich in Grund und Boden zu prügeln.

»Versuchen wir’s noch mal, Todd«, sagt der Bürgermeister ungerührt. »Du würdest mir eine große Freude machen, wenn du meine Frage beantworten würdest. Wie heißt es, dieses Mädchen aus einer anderen Welt?«

»Wenn Ihr schon wisst, dass sie aus einer anderen Welt kommt, dann kennt Ihr bestimmt auch ihren Namen.«

Jetzt lächelt der Bürgermeister, er lächelt tatsächlich.

Und ich fürchte mich mehr als je zuvor.

»So funktioniert das nicht, Todd. Die Spielregeln sind so: Ich stelle die Frage und du antwortest. Also: Wie heißt sie?«

»Wo ist sie?«

»Wie heißt sie?«

»Sagt mir, wo sie ist, und ich sage Euch, wie sie heißt.«

Er seufzt, so als hätte ich ihn enttäuscht. Dann nickt er Mr Collins zu, der vortritt und mir einen Schlag in den Magen versetzt.

»Das ist ein ganz einfacher Handel, Todd«, sagt der Bürgermeister, während ich auf den Teppich speie. »Du musst mir nur sagen, was ich wissen will, und schon ist alles vorbei. Du hast die Wahl. Glaub mir, ich möchte dir nicht noch mehr wehtun.«

Ich keuche, krümme mich, bekomme vor lauter Schmerzen im Magen kaum noch Luft. Mein Gewicht zerrt an den Fesseln meiner Handgelenke und ich spüre das Blut in meinem Gesicht, klebrig und halb angetrocknet, mit verschleierten Augen kauere ich in meinem Gefängnis aus Licht, mitten in diesem Raum, der keinen Ausgang hat.

Diesem Raum, in dem ich sterben werde.

Diesem Raum, in dem sie nicht ist.

Und etwas in mir trifft einen Entschluss.

Wenn dies das Ende ist, dann ist die Entscheidung klar.

Die Entscheidung, nichts zu sagen.

»Ihr wisst, wie sie heißt«, sage ich. »Tötet mich, wenn Ihr wollt, denn Ihr wisst ihren Namen ohnehin.«

Der Bürgermeister sieht mich nur an.

Es ist die längste Minute meines Lebens, er schaut mich an, liest in meinem Lärm, sieht, dass ich meine, was ich sage.

Und dann geht er zu dem kleinen Holztisch.

Ich will sehen, was er da macht, aber er kehrt mir den Rücken zu. Ich höre, wie er mit den Sachen hantiert, die auf dem Tisch liegen, höre das Kratzen von Metall auf Holz.

»Bitte, rettet sie«, äfft er meine Worte nach. »Ich werde alles tun, was Ihr verlangt.«

»Ich habe keine Angst vor Euch«, sage ich, obwohl mein Lärm etwas anderes hinausschreit, sobald ich an die Sachen denke, die auf dem Tisch liegen könnten. »Ich habe keine Angst zu sterben.«

Aber ich frage mich, ob das wirklich stimmt.

Er dreht sich wieder um, verbirgt aber die Hände hinter dem Rücken, sodass ich nicht sehen kann, was er vom Tisch genommen hat. »Weil du ein Mann bist, Todd? Weil ein Mann keine Angst hat zu sterben?«

»Ja«, antworte ich. »Weil ich ein Mann bin.«

Der Bürgermeister runzelt die Stirn. »Wenn ich nicht irre, sind es noch vierzehn Tage bis zu deinem Geburtstag.«

»Das ist nur eine Zahl.« Ich atme schwer, mein Magen hüpft beim Reden auf und ab. »Das sagt rein gar nichts. Wenn ich in der alten Welt leben würde, dann wäre ich …«

»Aber du bist nicht in der alten Welt, Junge«, fällt Mr Collins mir ins Wort.

»Ich glaube, er meint etwas anderes«, sagt der Bürgermeister, ohne mich auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. »Nicht wahr, Todd?«

Ich blicke von einem zum anderen. »Ich habe getötet«, sage ich. »Ich habe getötet.«

»Ja, ich glaube dir, dass du getötet hast«, erwidert der Bürgermeister. »Ich sehe, wie sehr du dich deswegen schämst. Aber die Frage ist doch, wen. Wen hast du getötet?«

Er tritt wieder in den Schatten, heraus aus dem Lichtkegel, und er verbirgt, was immer er vom Tisch aufgehoben hat, noch immer hinter seinem Rücken, während er sich nun hinter mich stellt. »Oder sollte ich lieber fragen, was?«

»Ich habe Aaron getötet«, sage ich und versuche vergeblich, ihm mit meinen Blicken zu folgen.

»Ach, das hast du?« Es ist so entsetzlich, dass ich seinen Gedankenlärm nicht hören kann. Das ist etwas ganz anderes als die Stille, die von einem Mädchen ausgeht. Die Stille eines Mädchens ist immer lebendig, sie atmet, sie hat eine Gestalt inmitten des fremden Lärms, der sie umdröhnt.

(Ich denke an sie, ich denke an ihre Stille, daran, wie weh mir diese Stille tat.)

(Ich denke nicht an ihren Namen.)

Was immer der Bürgermeister auch getan haben mag, egal wie er es geschafft hat, dass er und Mr Collins keinen Lärm mehr haben, von ihm geht etwas Totes aus, formlos, tonlos und starr. Bürgermeister Prentiss ist undurchdringlich wie ein Stein, wie eine Wand, wie eine auf ewig uneinnehmbare Festung. Ich schätze, er kann in meinem Lärm lesen, aber wie soll man das wissen bei einem Mann, der sich selbst zu Stein hat werden lassen?

Ich zeige ihm, was er sehen will. Ich rücke ein Bild von der Kirche unter dem Wasserfall in meinem Lärm ganz weit nach vorn. Ich lasse ihn den Kampf mit Aaron sehen, so wie er sich wirklich zugetragen hat, das Ringen, das Blut, ich denke daran, wie ich gegen ihn gekämpft und ihn zu Boden geschlagen habe, wie ich mein Messer nahm.

Ich zeige ihm, wie ich Aaron in den Rücken gestochen habe.

»Ich erkenne darin Wahrheit«, sagt der Bürgermeister. »Aber ist es auch die ganze Wahrheit?«

»Die reine Wahrheit«, antworte ich und lasse meinen Lärm so sehr anschwellen, dass er nichts anderes mehr darin hören kann. »Die reine Wahrheit.«

Er klingt noch immer belustigt, als er sagt: »Ich glaube, du lügst mich an, Todd.«

»Das tue ich nicht!«, schreie ich ihn an. »Ich habe getan, was Aaron wollte! Ich habe ihn ermordet! Ich bin zum Mann geworden nach den Gesetzen, die Ihr geschaffen habt, und wenn Ihr es befehlt, schließe ich mich Eurer Armee an. Ich werde tun, was Ihr von mir verlangt, aber sagt mir, was Ihr mit ihr gemacht habt!«

Er scheint Mr Collins von hinten ein Zeichen gegeben zu haben, denn der tritt auf mich zu, holt weit mit der Faust aus und …

(Ich kann nicht anders.)

Ich zucke erschrocken zurück und reiße dabei den Stuhl ein Stück zur Seite.

(Halt die Klappe.)

Aber es kommt kein Schlag.

»Gut«, sagt der Bürgermeister, und aus seiner Stimme spricht Zufriedenheit. »Gut.« Er beginnt wieder, im Dunkeln auf und ab zu gehen. »Ich möchte dir ein paar Dinge erklären, Todd«, fährt er fort. »Du befindest dich in unserem Hauptstützpunkt, früher war es die Kathedrale von Haven, seit gestern ist hier der Palast des Präsidenten. Ich habe dich hierher zu mir nach Hause gebracht, weil ich hoffte, dir helfen zu können. Du hast dich in einen aussichtslosen Kampf gegen mich verrannt und musst jetzt endlich deinen Irrtum einsehen.«

Seine Stimme wandert hinter Mr Collins.

Seine Stimme …

Einen Moment lang glaube ich, er formt seine Worte gar nicht mit den Lippen.

Er spricht direkt in meinem Kopf.

Aber sofort ist dieses Gefühl wieder verschwunden.

»Meine Soldaten werden morgen Nachmittag hier eintreffen«, sagt er, immer noch auf und ab gehend. »Du, Todd Hewitt, wirst mir zuerst sagen, was ich von dir wissen will, und dann wirst du dein Wort halten und mir bei der Erschaffung einer neuen Gesellschaft helfen.«

Er tritt wieder in den Lichtkegel, bleibt direkt vor mir stehen, die Hände noch immer auf dem Rücken, hält noch immer verborgen, was er vom Tisch heruntergenommen hat.

»Aber zuerst, Todd«, fährt er fort, »zuerst möchte ich dich davon überzeugen, dass ich nicht dein Feind bin.«

Ich bin so überrascht, dass ich meine Angst einen Moment lang vergesse.

Nicht mein Feind?

»Nein, Todd«, sagt er, »ich bin nicht dein Feind.«

»Ihr seid ein Mörder«, sage ich, ohne nachzudenken.

»Ich bin ein General der Armee«, sagt er. »Nicht mehr und nicht weniger.«

Ich blicke ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Ihr habt Menschen getötet auf Eurem Marsch hierher. Ihr habt die Bewohner von Farbranch getötet.«

»Im Krieg ereignen sich oft bedauerliche Dinge, aber der Krieg ist jetzt vorüber.«

»Ich habe gesehen, wie Ihr sie erschossen habt«, sage ich, und ich hasse es, dass die Worte eines Mannes ohne Lärm so kraftvoll klingen, so unverrückbar wie ein Fels.

»Mich hast du gesehen, Todd, mich?«

In meinem Mund ist ein bitterer Geschmack, ich muss ihn hinunterschlucken. »Nein, aber Ihr wart es, der den Krieg angefangen hat!«

»Der Krieg war nötig«, erwidert er. »Um einen kranken, sterbenden Planeten zu retten.«

Mein Atem geht schneller, mein Verstand ist benebelt, mein Kopf schwerer als sonst. Auch mein Lärm wird dunkelrot. »Ihr habt Cillian ermordet.«

»In der Tat sehr bedauerlich«, antwortet er. »Aus ihm wäre ein guter Soldat geworden.«

»Ihr habt meine Mutter auf dem Gewissen«, sage ich mit belegter Stimme (halt die Klappe), und mein Lärm ist voller Wut und Trauer, meine Augen füllen sich mit Tränen (halt die Klappe, halt die Klappe, halt die Klappe). »Ihr habt alle Frauen in Prentisstown getötet.«

»Glaubst du alles, was man dir erzählt, Todd?«

Plötzlich herrscht Stille, wirkliche Stille, denn sogar mein Lärm sucht eine Antwort auf diese Frage.

»Ich will keine Frauen töten«, fügt er hinzu. »Ich habe das nie gewollt.«

»Ja, aber Ihr habt –«

»Wir haben jetzt keine Zeit für eine Geschichtsstunde.«

»Ihr seid ein Lügner!«

»Und du meinst, du wüsstest alles, nicht wahr?«, sagt er mit eisiger Stimme. Er tritt zurück, und Mr Collins schlägt mir derart hart gegen den Kopf, dass ich beinahe umkippe und auf den Boden falle.

»IHR SEID EIN LÜGNER UND EIN MÖRDER!«, schreie ich. Von dem Schlag klingen mir die Ohren.

Mr Collins verpasst mir noch einen Hieb wie mit einem Holzscheit, diesmal auf die andere Seite des Kopfes.

»Ich bin nicht dein Feind, Todd«, wiederholt der Bürgermeister. »Bitte zwing mich nicht, dir solche Dinge anzutun.«

Mein Kopf schmerzt so sehr, dass ich nicht darauf antworte. Ich kann nicht antworten. Ich kann nicht sagen, was er von mir hören will. Und ich kann auch sonst nichts sagen, ohne dass ich windelweich geprügelt werde.

Das ist das Ende. Das muss das Ende sein. Sie werden mich nicht am Leben lassen. Sie werden sie nicht am Leben lassen.

Das also ist das Ende.

»Ich hoffe, das ist es«, sagt der Bürgermeister, und seine Stimme klingt jetzt so, als sagte er die Wahrheit. »Ich hoffe, du erzählst mir das, was ich wissen will, und wir können mit all dem hier aufhören.«

Und dann sagt er …

Dann sagt er …

Er sagt: »Bitte.«

Ich blicke auf, blinzle gegen die Schwellung an, die sich allmählich um meine Augen herum bildet.

Seine Miene ist besorgt, sein Blick beinahe flehend.

Was zum Teufel soll das? Was, verdammt noch mal, hat das zu bedeuten?

Und ich höre wieder dieses SUMMEN in meinem Kopf.

Es ist nicht wie der normale Lärm eines anderen Mannes.

Es sagt Bitte mit einer Stimme wie der meinen.

Es sagt Bitte, als würde ich selbst dieses Wort sprechen.

Es bedrängt mich …

… tief in meinem Inneren.

Es ist, als wollte ich es selbst …

Bitte.

»Was du zu wissen glaubst, Todd«, sagt der Bürgermeister, und seine Stimme summt noch immer in meinem Kopf, »ist falsch.«

Und dann erinnere ich mich.

Ich erinnere mich an Ben.

Ich erinnere mich, wie Ben dasselbe zu mir gesagt hat.

Ben, den ich für immer verloren habe.

Mein Lärm wird schriller bei diesem Gedanken. Er übertönt die Stimme.

Die Miene des Bürgermeisters ist plötzlich nicht mehr bittend.

»Gut«, sagt er und runzelt ein wenig die Stirn. »Aber denk daran, du hast es so gewollt.« Er richtet sich kerzengerade auf. »Wie heißt sie?«

»Ihr wisst, wie sie heißt.«

Mr Collins schlägt mich und mein Kopf wird zur Seite geschleudert.

»Wie heißt sie?«

»Das wisst Ihr doch.«

WUMM, noch ein Schlag, diesmal auf die andere Seite.

»Wie heißt sie?«

»Nein.«

WUMM.

»Sag mir, wie sie heißt.«

»Nein!«

WUMM!

»Wie heißt sie, Todd?«

»VERKRÜMELT EUCH!«

Nur, dass ich nicht »verkrümelt« sage. Mr Collins versetzt mir einen solchen Schlag, dass mein Kopf nach hinten fliegt und ich seitlich mitsamt dem Stuhl zu Boden stürze. Ich falle auf den Teppich, ich kann mich mit meinen gefesselten Händen nicht abstützen, ich sehe lauter kleine New Worlds und sonst gar nichts mehr.

Ich atme in den Teppich.

Die Stiefelspitzen des Bürgermeisters kommen meinem Gesicht immer näher.

»Ich bin nicht dein Feind, Todd Hewitt«, wiederholt er. »Sag mir nur, wie sie heißt, und das alles hat ein Ende.«

Ich hole tief Luft und muss husten.

Ich hole nochmals Luft und sage, was ich sagen muss.

»Ihr seid ein Mörder.«

Wieder herrscht Stille.

»So sei es denn«, sagt der Bürgermeister.

Seine Füße entfernen sich, und ich merke, wie Mr Collins meinen Stuhl vom Boden aufhebt und mich dazu, mein Körper ächzt unter seinem eigenen Gewicht. Dann setzt Mr Collins mich wieder in den Kegel aus farbigem Licht. Meine Lider sind jetzt so angeschwollen, dass ich ihn kaum erkennen kann, obwohl er direkt vor mir steht.

Ich höre, wie sich der Bürgermeister wieder an dem kleinen Tisch zu schaffen macht. Ich höre, wie er verschiedene Dinge auf der Tischplatte hin und her schiebt. Ich höre das kratzende Geräusch von Metall.

Dann höre ich, wie er neben mich tritt.

Und nachdem ich so oft so kurz davor gestanden habe, hier ist es nun wirklich und unwiderruflich: mein Ende.

Es tut mir leid, denke ich. Es tut mir so leid.

Der Bürgermeister legt mir die Hand auf die Schulter, und ich zucke zurück, aber er lässt seine Hand liegen, drückt mich auf den Stuhl hinunter. Ich kann nicht sehen, was er in der anderen hält, er presst es gegen mich, an mein Gesicht, es ist etwas Hartes, Metallisches, etwas, was entsetzlich schmerzt, mir Qualen zufügen und mein Leben beenden will, und da ist ein Loch in mir, in das ich hineinkriechen muss, weg von allem, ein tiefes schwarzes Loch, und ich weiß, das ist das Ende, das endgültige Ende, ich werde niemals von hier fliehen können, er wird mich umbringen, wird sie umbringen, und es gibt keinen Ausweg, kein Leben, keine Hoffnung, kein gar nichts.

Es tut mir leid.

Der Bürgermeister legt mir eine Kompresse aufs Gesicht.

Mir stockt der Atem, so kühl fühlt sie sich an, und ich zucke vor seiner Berührung zurück, doch er drückt die Kompresse sanft auf die Beule an meiner Stirn und auf die Wunden in meinem Gesicht und an meinem Kinn, er ist mir so nahe, dass ich ihn riechen kann, seine Sauberkeit, seine Seife, die nach Holz duftet, seinen Atem, der aus seiner Nase über meine Wangen streicht, seine Finger, die meine Wunden fast zärtlich berühren, die Schwellungen an meinen Augen, die Risse in meinen Lippen, und ich spüre, wie der Verband fast augenblicklich seine Wirkung tut, fühle, wie die Schwellung schnell abnimmt, spüre, wie die Schmerzmittel sich in meinen Adern ausbreiten, und einen Augenblick lang denke ich, wie gut die Wundverbände sind, die man hier in Haven benutzt, welch große Ähnlichkeit sie mit ihren Verbänden haben, und meine Schmerzen lassen so schnell, so unerwartet nach, dass ich einen Kloß im Hals spüre, den ich hinunterschlucken muss.

»Ich bin nicht der Mann, für den du mich hältst, Todd«, sagt der Bürgermeister leise, er haucht mir diese Worte beinahe ins Ohr, während er eine weitere Kompresse auf meinen Nacken legt. »Ich habe nicht getan, was du mir vorwirfst. Ich habe meinen Sohn gebeten, dich zurückzubringen. Ich habe ihn nicht aufgefordert zu schießen. Ich habe Aaron nicht befohlen, dich zu töten.«

»Du bist ein Lügner«, sage ich, aber meine Stimme ist leise und ich zittere, so sehr strengt es mich an, nicht zu schluchzen (halt die Klappe).

Der Bürgermeister verbindet auch die Verletzungen an meiner Brust und an meinem Bauch, er ist so behutsam, dass ich es fast nicht aushalte, so behutsam, dass man fast glauben möchte, er wolle mir auf keinen Fall wehtun.

»Das will ich auch nicht, Todd«, sagt er. »Die Zeit wird kommen, in der du einsiehst, dass es wahr ist.«

Er stellt sich hinter mich und legt einen Verband um meine wunden Handgelenke, nimmt meine Hände in die seinen und massiert sie mit dem Daumen, bis das Gefühl wieder in sie zurückkehrt.

»Der Tag wird kommen«, sagt er, »an dem du mir vertrauen wirst. An dem du mich vielleicht sogar mögen wirst. An dem du an mich wie an einen Vater denkst, Todd.«

Es ist, als würde mein Lärm hinwegschmelzen wie unter Drogen, zusammen mit den Schmerzen, die nun langsam verschwinden, und ich mit ihnen. Es ist, als würde er mich schließlich doch noch töten, aber durch Fürsorge, nicht durch Strafe.

Ich kann das Weinen nicht mehr aus meiner Kehle, meinen Augen, meiner Stimme fernhalten.

»Bitte«, sage ich. »Bitte.«

Aber ich weiß nicht, worum ich bitte.

»Der Krieg ist vorbei, Todd«, sagt der Bürgermeister wieder. »Wir werden eine neue Welt schaffen. Dann wird dieser Planet seinem Namen endlich und wahrhaftig gerecht werden. Glaub mir, wenn ich dir sage: Sobald du das erst einmal einsiehst, wirst du ein Teil dieser neuen Welt sein wollen.«

Ich atme in die Dunkelheit.

»Du könntest ein Anführer werden, Todd. Du hast bewiesen, dass du etwas ganz Besonderes bist.«

Ich atme weiter, will mich darauf konzentrieren, aber ich spüre, wie ich mir selbst entgleite.

»Woher weiß ich es?«, frage ich schließlich. Meine Stimme ist nur noch ein Krächzen, ein Lallen, etwas völlig Unwirkliches. »Wie kann ich wissen, dass sie überhaupt noch lebt?«

»Das kannst du nicht«, antwortet der Bürgermeister. »Du musst auf mein Wort vertrauen.«

Und er wartet wieder.

»Wenn ich es tue«, frage ich. »Wenn ich tue, was Ihr von mir verlangt, werdet Ihr sie dann retten?«

»Wir werden alles tun, was nötig ist«, gibt er zur Antwort.

Jetzt, da die Schmerzen verschwunden sind, scheint es mir beinahe, als hätte ich keinen Körper, als wäre ich nur ein Geist, der auf einem Stuhl sitzt, blind und unvergänglich.

Als wäre ich schon längst tot.

Denn woher soll man wissen, dass man noch lebt, wenn nichts mehr wehtut?

»Wir haben die Wahl, was aus uns wird, Todd«, sagt der Bürgermeister. »Nicht mehr und nicht weniger. Und ich wünsche mir, dass du mir endlich sagen kannst, was ich von dir hören will. Ich wünsche mir das wirklich sehr.«

Unter meinem Verband ist nichts als Dunkelheit.

Ich bin allein, allein im schwarzen Nichts.

Allein mit seiner Stimme.

Ich weiß nicht, was ich machen soll.

Ich weiß gar nichts.

(Was soll ich nur tun?)

Aber wenn auch nur der Hauch einer Chance besteht, nur eine klitzekleine Chance …

»Ist es wirklich ein so großes Opfer für dich, Todd?«, fragt der Bürgermeister und hört zu, wie ich überlege. »Hier, am Ende der Vergangenheit? Am Beginn der Zukunft?«

Nein. Nein, ich kann es nicht. Er ist ein Lügner und ein Mörder, egal, was er sagt.

»Ich warte, Todd.«

Vielleicht ist sie ja noch am Leben, er könnte dafür sorgen, dass sie am Leben bleibt.

»Dir bleibt nicht mehr viel Zeit, Todd.«

Ich hebe den Kopf, die Bewegung lockert den Verband ein wenig. Ich blinzle ins Licht, blinzle dem Bürgermeister ins Gesicht.

Es ist ausdruckslos wie immer.

Es ist wie eine kahle, tote Wand.

Ich könnte ebenso gut in einen Abgrund sprechen.

Ich könnte ebenso gut in einem Abgrund sein.

Ich schaue weg. Ich schaue nach unten.

»Viola«, sage ich, zum Teppich gewandt. »Sie heißt Viola.«

Der Bürgermeister atmet tief aus, erfreut und erleichtert. »Gut, Todd«, sagt er. »Ich danke dir.«

Dann wendet er sich an Mr Collins.

»Binde ihn los.«

Teil ITodd im Turm

1Der alte Bürgermeister

[TODD]

MR COLLINS STÖSST MICH einen schmalen, fensterlosen Treppenaufgang hinauf. Endlose Stufen mit engen, gewundenen Absätzen. Gerade als meine Beine nicht mehr mitmachen wollen, kommen wir zu einer Tür. Er öffnet sie und versetzt mir einen groben Stoß. Ich stolpere in den Raum und falle auf den Holzfußboden. Meine Arme sind so steif, dass ich den Sturz nicht abfangen kann, stöhnend rolle ich auf die Seite.

Und blicke in einen dreißig Meter tiefen Abgrund.

Mr Collins lacht, als ich auf allen vieren wegkrieche. Ich finde mich auf einem nur fünf Bretter breiten Sims wieder, der sich um die Wände eines quadratischen Raums zieht. In der Mitte ist eine riesige Öffnung, durch die ein paar Seile hinabbaumeln. Mein Blick folgt den Seilen nach oben, sie laufen durch einen weiten Schacht zum größten Geläut, das ich jemals gesehen habe. Zwei Glocken hängen an einem hölzernen Glockenstuhl, es sind riesige Dinger, groß wie ein Zimmer, man könnte glatt darin wohnen. In die Turmmauer sind Schalllöcher eingelassen, damit man das Geläut weithin hören kann. Ich zucke zusammen, als Mr Collins die Tür zuschlägt und sie mit einem dumpfen Tschack! ins Schloss fällt, ein Geräusch, das keinen Gedanken an Flucht mehr aufkommen lässt.

Ich rapple mich auf und lehne mich an die Wand, bis ich wieder zu Atem gekommen bin.

Ich schließe die Augen.

Ich bin Todd Hewitt, denke ich. Ich bin der Sohn von Cillian Boyd und Ben Moore. Ich habe in vierzehn Tagen Geburtstag, aber ich bin schon ein Mann.

Ich bin Todd Hewitt und ich bin ein Mann.

(Ein Mann, der gerade dem Bürgermeister gesagt hat, wie sie heißt.)

»Es tut mir leid«, flüstere ich. »Es tut mir so leid.«

Nach einer Weile öffne ich die Augen wieder und schaue mich um. Etwa in Augenhöhe sind kleine, rechteckige Öffnungen, drei an jeder Wand, durch die das staubige Dämmerlicht hereinfällt.

Ich gehe zur nächsten Öffnung. Wie nicht anders erwartet bin ich im Glockenturm der Kathedrale, hoch oben, und blicke auf die Vorderseite des Gebäudes. Unten liegt der Platz, an dem ich die Stadt zum ersten Mal betreten habe. Das war erst heute Morgen, aber es kommt mir vor, als sei inzwischen ein Menschenleben vergangen. Der Abend dämmert, das bedeutet, ich war eine ganze Weile weggetreten, ehe mich der Bürgermeister aufweckte – Zeit genug, um alles Mögliche mit ihr zu machen, Zeit genug, um …

(Halt die Klappe, halt endlich die Klappe.)

Ich lasse meinen Blick über den Platz schweifen. Er ist immer noch menschenleer, es ist immer noch so still wie in einer Geisterstadt, es ist eine Stadt ohne Lärm, eine Stadt, die darauf wartet, dass eine Armee kommt und sie erobert.

Eine Stadt, die nicht einmal versucht zu kämpfen.

Bürgermeister Prentiss ist einfach aufgetaucht und sie haben ihm die Stadt übergeben. Manchmal hat das Gerücht, dass eine Armee anrückt, genau die gleiche Wirkung wie die Armee selbst, hat er zu mir gesagt. Und hat er damit nicht recht gehabt?

Tagelang sind wir gelaufen, so schnell wir konnten, und haben keinen Gedanken darauf verschwendet, was uns in Haven erwartet; wir haben es nicht laut gesagt, aber wir haben gehofft, wir wären hier sicher, wir haben gehofft, das Paradies zu finden.

Glaub mir, dort gibt es Hoffnung, hat Ben gesagt.

Aber er hat sich getäuscht. Haven gibt es nicht mehr.

Es gibt nur noch New Prentisstown.

Ich schaue über den Platz nach Westen, über die Baumwipfel, die sich bis in die entlegeneren, stillen Häuser und Straßen erstrecken, bis zum Wasserfall, der sich nicht weit entfernt vom Rand des Abhangs ins Tal stürzt, bis zur Serpentinenstraße, die sich bergan windet, der Straße, auf der ich mit Davy Prentiss junior kämpfte, die Straße, auf der Viola …

Rasch wende ich mich ab und mustere stattdessen den Raum.

Allmählich gewöhnen sich meine Augen an das Dämmerlicht. Er scheint leer zu sein, ich bemerke nur Balken und einen unangenehmen Geruch. Die Glockenseile baumeln etwa zwei Meter neben mir in die Tiefe. Ich versuche zu erspähen, wo sie an den Glocken befestigt sind und wie man sie zum Läuten bringt. Dann blicke ich durch die Öffnung nach unten, aber in der Dunkelheit lässt sich nichts erkennen. Wahrscheinlich ist dort nur ein harter Boden.

Zwei Meter sind nicht viel. Man könnte leicht so weit springen, sich am Seil festhalten und nach unten klettern.

Aber dann …

»Ein genialer Einfall, wirklich«, höre ich eine Stimme aus der gegenüberliegenden Ecke.

Ich zucke zurück, dann strecke ich die Fäuste vor, mein Lärm ist stachelig wie ein Igel. Ein Mann steht auf, anscheinend hatte er die ganze Zeit da gesessen.

Noch ein Mann ohne Lärm.

»Wenn du versuchst das Seil hinabzuklettern, das hier so verführerisch hängt«, fährt er fort, »wird jedermann in der Stadt wissen, dass du abhauen willst.«

»Wer bist du?« Ich frage ihn mit einem flauen Gefühl im Magen, aber mit geballten Fäusten.

»Ja«, sagt er. »Ich hätte gewettet, dass du nicht aus Haven bist.« Er tritt aus der Ecke hervor und ein Lichtstrahl fällt auf sein Gesicht. Ich sehe ein blau angeschwollenes Auge und eine aufgeschlagene Lippe, die frisch verschorft ist. Offenbar hat man für ihn keinen Verband übrig gehabt. »Ist schon komisch, dass man so schnell vergisst, wie laut es ist«, sagt er mehr zu sich selbst.

Er ist ein kleiner Mann, kleiner als ich und auch dicker, älter als Ben, wenn auch nicht viel. Aber er ist schwach, sogar seine Gesichtszüge scheinen weich. Wenn es sein muss, könnte ich ihn überwältigen.

»Ja«, sagt er, »ich vermute, das könntest du.«

»Wer bist du?«, frage ich wieder.

»Wer ich bin?«, wiederholt der Mann leise meine Frage, dann fährt er lauter fort: »Ich bin Con Ledger, mein Junge. Der Bürgermeister von Haven.« Er lächelt unbeholfen. »Aber nicht der Bürgermeister von New Prentisstown.« Er schüttelt den Kopf. »Wir haben sogar den Flüchtlingen das Medikament gegeben, als immer mehr von ihnen kamen.«

Und dann bemerke ich, dass sein Lächeln in Wirklichkeit gar kein Lächeln ist, sein Gesicht ist schmerzverzerrt.

»Guter Gott, Junge«, sagt er, »was für einen Lärm du da machst!«

»Ich bin kein Junge mehr«, entgegne ich und halte meine Fäuste hoch.

»Ich verstehe überhaupt nicht, was für eine Rolle das spielen soll.«

Mir liegen zehn Millionen Dinge auf der Zunge, die ich ihm sagen will, aber meine Neugier behält die Oberhand. »Also gibt es doch ein Mittel gegen den Lärm?«

»Aber ja«, sagt er und verzieht sein Gesicht, als hätte er auf etwas Verdorbenes gebissen. »Eine heimische Pflanze mit einem neurochemischen Wirkstoff, angereichert mit ein paar anderen Zutaten, die wir künstlich herstellen konnten, und das war’s auch schon. Von da an kehrte Ruhe in New World ein.«

»Nicht in ganz New World.«

»Nun ja«, sagt er und blickt durch die rechteckige Öffnung hinaus, die Hände auf dem Rücken verschränkt. »Das Medikament ist schwierig herzustellen, musst du wissen. In einem langwierigen, zeitraubenden Verfahren. Vollständig beherrschen wir diese Methode erst seit letztem Jahr, und das, nachdem wir zwanzig Jahre herumexperimentiert haben. Wir haben genügend davon für uns selbst hergestellt, und gerade als wir es anderen zugänglich machen konnten, da …« Er bricht ab und blickt angestrengt auf die Stadt.

»… da habt ihr euch kampflos ergeben«, vollende ich den Satz und mein Lärm wird zu einem leisen roten Grollen. »Wie Feiglinge.«

Jetzt ist das schmerzverzerrte Lächeln aus seinem Gesicht verschwunden, es ist wie weggewischt. »Weshalb sollte ich auf die Meinung eines Jungen etwas geben?«

»Ich bin kein Junge mehr«, wiederhole ich. Meine Fäuste, sind sie noch geballt? Ja, sie sind noch geballt.

»Natürlich bist du noch ein Junge«, sagt er, »denn ein Mann wüsste, welche Entscheidungen er treffen muss, wenn es ums nackte Überleben geht.«

Ich kneife die Augen zusammen. »Was das nackte Überleben angeht, kannst du mir sicher nichts Neues beibringen.«

Er blinzelt, blickt hinein in meinem Lärm, der ihn wie grelle Blitze blendet, sieht, dass ich die Wahrheit sage, und da wird er versöhnlicher. »Verzeih mir«, sagt er. »Ich bin nicht mehr ich selbst.« Er reibt sich mit der Hand übers Gesicht, fährt über die schmerzende Wunde an seinem Auge. »Gestern noch war ich der freigebige Bürgermeister einer wunderschönen Stadt.« Er scheint über einen Witz zu lachen, den nur er versteht. »Aber das war gestern.«

»Wie viele Bewohner hat Haven?«, frage ich, denn so leicht soll er mir nicht davonkommen.

Er schaut mich an. »Junge …«

»Mein Name ist Todd Hewitt«, unterbreche ich ihn. »Du kannst auch Mr Hewitt zu mir sagen.«

»Er hat uns einen neuen Anfang versprochen.«

»Sogar ich weiß, dass er ein Lügner ist. Wie viele Bewohner?«

Er seufzt. »Mit den Flüchtlingen sind es dreitausenddreihundert.«

»Das sind dreimal so viele, wie in der Armee sind«, sage ich. »Ihr hättet kämpfen können.«

»Frauen und Kinder«, sagt er. »Bauern.«

»In den anderen Städten haben Frauen und Kinder gekämpft. Dabei sind viele Frauen und Kinder gestorben.«

Er tritt einen Schritt vor und sagt hitzig: »Ja, und jetzt werden die Frauen und Kinder dieser Stadt eben nicht sterben. Denn ich habe Frieden für sie ausgehandelt!«

»Einen Frieden, der dir ein blaues Auge beschert hat«, erwidere ich. »Einen Frieden, in dem du dir eine aufgeplatzte Lippe eingehandelt hast.«

Er betrachtet mich einen Augenblick lang, dann schnaubt er traurig. »Das sind Worte eines Weisen aus dem Mund eines Toren.«

Er dreht sich um und blickt wieder hinaus.

Ich höre ein leises SUMMEN.

Mein Lärm ist ein einziges Fragezeichen, aber bevor ich den Mund aufmachen kann, sagt der Bürgermeister, der ehemalige Bürgermeister: »Ja, ich bin es, den du hörst.«

»Du?«, frage ich. »Und was ist mit dem Medikament?«

»Würdest du einem besiegten Feind das Medikament geben, das er am meisten braucht?«

Ich fahre mir mit der Zunge über die Oberlippe. »Er kommt wieder, der Lärm?«

»Oh ja. Wenn man nicht täglich seine Dosis nimmt, kommt er mit tödlicher Sicherheit zurück.« Er geht in seine Ecke und setzt sich langsam hin. »Du wirst feststellen, dass es hier keine Toiletten gibt«, sagt er. »Ich entschuldige mich im Voraus für die Unannehmlichkeiten.«

Ich betrachte ihn, wie er so dasitzt, mein Lärm dröhnt noch immer zornesrot und schleudert Fragen.

»Das warst doch du, wenn ich mich nicht irre?«, fragt er. »Heute Morgen. Für dich wurde die ganze Stadt geräumt. Zu deiner Begrüßung kam der neue Präsident höchstpersönlich angeritten.«

Ich gebe ihm keine Antwort, umso lauter antwortet mein Lärm.

»Wer bist du, Todd Hewitt?«, fragt Bürgermeister Ledger. »Was ist so besonders an dir?«

Das, denke ich, ist eine wirklich gute Frage.

Die Nacht bricht schnell herein. Im Nu ist alles schwarz. Bürgermeister Ledger wird immer schweigsamer, zugleich aber unruhiger, bis er es schließlich nicht mehr aushält und beginnt, auf und ab zu laufen. Ein SUMMEN geht von ihm aus, das lauter und lauter wird. Wenn wir jetzt miteinander reden wollten, müssten wir nun fast schreien.

Ich stehe an der Turmmauer und sehe zu, wie die Sterne langsam am Himmel erscheinen.

Ich denke, und zugleich versuche ich, nicht zu denken, denn wenn ich denke, dreht sich mir der Magen um und mir wird übel, oder die Kehle schnürt sich mir zusammen und mir wird übel, oder mir schießen die Tränen in die Augen und mir wird übel.

Denn irgendwo da draußen ist sie.

(Bitte sei irgendwo dort draußen.)

(Bitte sag, dass es dir gut geht.)

(Bitte.)

»Musst du denn immer so einen verdammten Lärm machen?«, schnauzt Bürgermeister Ledger. Ich drehe mich zu ihm um, will ihm etwas Unfreundliches antworten, aber dann seufzt er. »Tut mir leid.« Er hebt entschuldigend die Hände. »Ich bin sonst ganz anders.« Er fängt wieder an mit seinen fahrigen Bewegungen. »Es ist schwierig, wenn sie einem das Medikament von heute auf morgen wegnehmen.«

Mein Blick schweift über die Dächer von New Prentisstown. In den Häusern gehen allmählich die Lichter an. Den ganzen Tag lang habe ich so gut wie niemanden draußen gesehen, alle bleiben in den Häusern, wahrscheinlich auf Befehl des Bürgermeisters.

»Heißt das, all den anderen Menschen da unten ergeht es ebenso?«, frage ich.

»Bestimmt hat jeder noch einen kleinen Vorrat zu Hause«, antwortet Bürgermeister Ledger. »Ich nehme an, man hätte ihnen das Mittel mit Gewalt entreißen müssen.«

»Ich schätze, das wird kein Problem sein, wenn die Armee erst einmal hier ist«, sage ich.

Die Monde sind aufgegangen, schleichen über den Himmel, als hätten sie alle Zeit der Welt. Ihr Licht ist stark genug, um ganz Prentisstown zu erhellen, und ich sehe den Fluss, der sich seinen Weg durch die Stadt bahnt, aber nördlich der Stadt gibt es fast nur noch Felder, die verlassen im Mondlicht liegen, dahinter ein steil aufragender Felsen, der das Tal im Norden begrenzt. Im Osten schlängeln sich der Fluss und die Hauptstraße um kleine Hügel, bis sich die Stadt in der Ferne allmählich zwischen ihnen verliert. Ich sehe noch eine andere Straße, sie ist schlecht gepflastert und führt vom großen Platz aus nach Süden, vorbei an großen Gebäuden und kleinen Häuschen durch einen Wald und dann einen Berg mit eingekerbtem Gipfel hinauf.

Das ist alles, was es um New Prentisstown herum zu sehen gibt.

Dreitausenddreihundert Menschen leben hier, sie alle haben sich in ihren Häusern versteckt, und in der Stadt herrscht eine Ruhe, als wären diese Leute schon tot.

Kein Einziger hat auch nur einen Finger gerührt, um die Stadt und ihre Bewohner vor dem zu retten, was nun kommt. Die Menschen dachten: Wenn wir uns nur unterwürfig genug zeigen, wenn wir nur schwach genug sind, dann wird das Ungeheuer uns schon nicht verschlingen. Das ist der Ort, in den Viola und ich so lange all unsere Hoffnungen gesetzt haben.

Unten auf dem Platz bewegt sich etwas, ein Schatten huscht vorbei, aber es ist nur ein Hund. Heim, heim, heim. Ich höre, wie er denkt: Heim, heim, heim.

Hunde haben andere Sorgen als Menschen.

Hunde können immer glücklich sein.

Ich atme eine Weile tief durch, um die Beklemmung in meiner Brust zu vertreiben und die Tränen zu unterdrücken.

Und ich brauche eine Weile, bis ich nicht mehr an meinen eigenen Hund denken muss.

Als ich wieder nach draußen schauen kann, sehe ich etwas, was ganz und gar nicht wie ein Hund aussieht.

Er hat seinen Hut tief in die Stirn geschoben und reitet gemächlich über den Hauptplatz. Der Hufschlag hallt auf den Pflastersteinen wider, ich kann das Getrappel hören, obwohl das SUMMEN von Bürgermeister Ledger inzwischen so zur Plage geworden ist, dass ich nicht weiß, wie ich jemals Schlaf finden soll. Aber da draußen höre ich ihn.

Den Lärm.

Mitten in der Stille einer Stadt, die darauf wartet, was da kommt, höre ich den Lärm des Mannes.

Und er hört meinen.

Todd HeWitt?, denkt er.

Und ich kann sogar sein Grinsen hören.

HabWasgefunden,Todd, sagt er quer über den Platz bis zum Turm hinauf, wo er im Mondlicht nach mir sucht. Hab Was gefunden,wasdirgehört.

Ich sage nichts. Ich denke nichts.

Ich beobachte ihn nur, wie er hinter sich greift und etwas in die Luft hält.

Sogar aus dieser Entfernung, sogar im Mondlicht weiß ich, was es ist.

Das Buch meiner Mutter.

Davy Prentiss hat das Buch meiner Mutter.

2Im Gleichschritt, Marsch

[TODD]

FRÜH AM NÄCHSTEN MORGEN wird geräuschvoll und eilig ein Podium mit einem Mikrofon direkt am Fuß des Glockenturms errichtet und im Verlauf des Vormittags versammeln sich die Männer von New Prentisstown davor.

»Warum machen die das?«, frage ich und blicke auf die Menge hinunter.

»Was glaubst du wohl?«, fragt Bürgermeister Ledger zurück, der in seiner dunklen Ecke sitzt und sich die Schläfen reibt, während sein Lärm unaufhörlich SUMMT, schrill an meinen Nerven sägt. »Natürlich um den neuen Führer gebührend zu begrüßen.«

Die Männer sind schweigsam, ihre Gesichter blass und finster, aber wie soll man wissen, was sie denken, wenn man ihren Lärm nicht hören kann? Sie sind sauberer als die Männer in der Stadt, aus der ich komme, ihre Haare sind kürzer, ihre Bärte rasiert, und sie sind besser gekleidet. Ziemlich viele von ihnen sind wohlgenährt und weich wie Bürgermeister Ledger.

Es muss ein angenehmer Ort gewesen sein, dieses Haven, ein Ort, an dem die Männer nicht jeden Tag ums nackte Überleben kämpfen mussten.

Vielleicht zu angenehm und genau das ist ihr Problem.

Bürgermeister Ledger brummt und schnaubt hinter mir, aber er schweigt.

Die Leute von Bürgermeister Prentiss haben sich zu Pferd an den wichtigsten Stellen des Platzes postiert, mit schussbereiten Gewehren, damit keiner einen falschen Schritt tut. Ich sehe Mr Tate und Mr Morgan und Mr O’Hare, Männer, mit denen ich groß geworden bin, Männer, die ich jeden Tag auf ihren Farmen arbeiten sah, Männer, die ganz normale Männer waren, bis mit einem Mal etwas anderes aus ihnen geworden ist.

Von Davy Prentiss ist nichts zu sehen und bei dem Gedanken an ihn rumort mein Lärm.

Er muss wieder vom Hügel heruntergekommen sein, keine Ahnung, wohin sein Pferd ihn geschleift hat, und dann hat er meinen Rucksack gefunden. Ein Bündel mit zerfetzter Kleidung war alles, was sich noch darin befand. Und das Buch.

Das Buch meiner Mutter.

Die Worte, die meine Mutter mir mit auf den Weg gegeben hat.

Sie hat das Buch in der Zeit geschrieben, als ich geboren wurde. Das war kurz vor ihrem Tod.

Kurz bevor sie ermordet wurde.

Mein wunderwunderhübscher Junge, mein prächtiger Sohn. Du, der etwas Gutes aus seinem Leben machen kann.

Worte, die Viola vorgelesen hat, weil ich selbst nicht …

Und jetzt hat dieser verdammte Davy Prentiss …

»Könntest du bitte«, stößt Bürgermeister Ledger zwischen den Zähnen hervor, »könntest du wenigstens versuchen …« Er schaut mich entschuldigend an. »Es tut mir leid«, sagt er zum millionsten Mal, seit Mr Collins uns aufgeweckt und das Frühstück gebracht hat.

Ehe ich etwas sagen kann, zieht etwas so stark an meinem Herzen, dass mir vor Erstaunen der Atem stockt.

Ich schaue hinaus.

Die Frauen von New Prentisstown kommen.

Sie kommen von weiter her als die Männer, in Gruppen gehen sie durch die Seitenstraßen und halten sich fern von der Männerschar, denn die berittene Patrouille des Bürgermeisters lässt sie gar nicht erst in deren Nähe.

Mir kommt ihre Stille anders vor als die Stille der Männer. Sie ist wie ein Verlust, wie eine hohe Mauer aus Kummer, die sich gegen den Lärm der Welt stemmt. Ich muss mir wieder die Augen wischen, aber ich drücke mich noch näher an die Öffnung, versuche sie alle zu sehen, versuche jede Einzelne von ihnen zu sehen.

Ich will herausfinden, ob sie auch da ist.

Aber sie ist es nicht.

Die Frauen sehen aus wie die Männer, sie tragen Hosen und Hemden von unterschiedlicher Art, aber die meisten von ihnen wirken sauber und zufrieden und wohlgenährt. Ihre Frisuren sind ganz verschieden, sie tragen die Haare zurückgekämmt oder hochgesteckt, manche lang, manche kurz, aber nicht annähernd so viele von ihnen sind blond, wie sie es in den Gedanken der Männer waren in der Stadt, aus der ich komme.

Und mir fällt auf, dass viele mit verschränkten Armen dastehen, voller Abwehr und Zweifel.

In ihren Gesichtern spiegelt sich mehr Zorn als in den Gesichtern der Männer.

»Gab es auch jemanden, der anderer Meinung war?«, frage ich Bürgermeister Ledger, während ich unablässig die Frauen betrachte. »Jemanden, der sich nicht ergeben wollte?«

»Wir leben hier in einer Demokratie, Todd«, antwortet er. »Weißt du, was eine Demokratie ist?«

»Keine Ahnung«, antworte ich und schaue und suche und finde sie nicht.

»Das bedeutet, dass man die Meinung der Minderheit zwar anhört«, sagt er, »aber dass die Mehrheit herrscht.«

»Alle diese Menschen wollten sich ergeben?«, frage ich ungläubig.

»Der Präsident hat dem gewählten Rat der Stadt ein Angebot gemacht«, sagt er und fährt sich über die aufgeplatzte Lippe. »Darin hat er zugesagt, dass die Stadt keinen Schaden nehmen wird, wenn wir seinem Angebot zustimmen.«

»Und ihr habt ihm geglaubt?«

Er funkelt mich an. »Entweder hast du es vergessen oder nie gewusst, aber auf diesem Planeten hat es schon einmal einen Krieg gegeben, etwa zu der Zeit, als du auf die Welt gekommen bist. Und wenn man irgendwie verhindern kann, dass sich so etwas wiederholt …«

»Das heißt, ihr seid bereit, euch einem Mörder auszuliefern?«

Er seufzt wieder. »Die Mehrheit des Rats, dem ich vorstand, war der Ansicht, dass man auf diese Weise viele Menschenleben retten kann.« Er lehnt den Kopf gegen die Steinmauer. »Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, Todd. Genau genommen ist nichts nur schwarz oder nur weiß.«

»Aber was, wenn …«

Tschack! Der Riegel der Tür gleitet zurück und Mr Collins kommt herein, die Pistole im Anschlag.

Er starrt Bürgermeister Ledger an und sagt: »Steh auf!«

Ich blicke von einem zum anderen. »Was geht hier vor?«

Bürgermeister Ledger kommt aus seiner dunklen Ecke. »Es scheint, als bekäme ich jetzt meine Rechnung präsentiert«, sagt er und versucht gelassen zu klingen, aber ich höre, wie sein Lärm SUMMT, vor Angst aufheult. »Haven war eine wunderschöne Stadt«, sagt er zu mir. »Und ich war damals ein besserer Mensch. Bitte, vergiss das nicht.«

»Wovon sprichst du?«, frage ich.

Mr Collins packt ihn grob am Arm und schubst ihn zur Tür hinaus.

»Hey!«, schreie ich und laufe hinter den beiden her. »Wohin bringst du ihn?«

Mr Collins hebt die Faust, um mich zu schlagen …

Und ich ducke mich weg.

(Halt die Klappe.)

Er lacht und schließt die Tür hinter sich.

Tschack!

Ich bleibe allein im Turm zurück.

Und als das SUMMEN des Bürgermeisters sich auf der Treppe verliert, da höre ich es.

Rechts, links, rechts, noch ziemlich weit weg.

Ich gehe zur Maueröffnung.

Das ist sie.

Die Besatzungsarmee marschiert in Haven ein.

Wie ein schwarzer Fluss strömt sie die Serpentinenstraße herab, schmutzig wie die Flutwelle eines Dammbruchs. Die Soldaten marschieren in Vierer- oder Fünferreihen, und als die Ersten zwischen den Bäumen am Fuß des Berges auftauchen, haben die Letzten gerade den Gipfel erreicht. Die Menge folgt ihnen mit Blicken, die Männer wenden sich vom Podium ab, die Frauen beobachten sie von den Seitenstraßen aus.

Das Rechts-links-rechts-links wird lauter, hallt in den Straßen wider. Wie eine Uhr, die unablässig tickt.

Alle warten. Ich warte auch. Und dann, dort hinten zwischen den Bäumen, an einer Straßenbiegung …

Da kommt sie.

Die Armee.

Mr Hammar ist an ihrer Spitze.

Mr Hammar, der in meiner alten Stadt im Tankstellenhaus wohnte, Mr Hammar, der widerliche, brutale Sachen dachte, die kein Junge jemals hören sollte, Mr Hammar, der die Menschen in Farbranch ohne mit der Wimper zu zucken von hinten erschoss, als sie fliehen wollten.

Mr Hammar führt die Armee an.

Ich höre ihn Gleichschritt-Kommandos brüllen. »Und rechts und links und rechts«, schreit er im Takt der Füße.

Im Gleichschritt, marsch!,

tritt den Feind in den Arsch.

Sie marschieren auf den Platz und schwenken seitwärts ein, bahnen sich einen Weg zwischen den Männern und Frauen hindurch wie eine Naturgewalt. Mr Hammar ist so nahe, dass ich sein Grinsen sehen kann, ein Grinsen, das ich nur allzu gut kenne, ein Grinsen, das zuschlägt, prügelt, unterwirft.

Und je näher er kommt, desto deutlicher wird es.

Es ist ein Grinsen ohne jeden Lärm.

Irgendjemand, einer der berittenen Männer vielleicht, muss der Armee das Medikament gebracht haben. Nicht das geringste Geräusch kommt von den Soldaten, nur Schritte und Gesang sind zu hören.

Im Gleichschritt, marsch!, tritt den Feind in den Arsch.

Sie marschieren nun um den Platz herum bis zum Podium. Mr Hammar macht schließlich halt und lässt die Männer hinter dem Podium Aufstellung nehmen, mit dem Rücken zu mir, sie blicken in die Menge, die sich ihnen zugewandt hat und sie beobachtet.

Ich kenne die Soldaten, wie sie sich da einer nach dem anderen in Reih und Glied aufstellen. Mr Wallace. Mr Smith junior. Mr Phelps, der Ladenbesitzer. Männer aus Prentisstown und noch viele, viele andere.

Die Armee ist gewachsen, während sie marschierte.

Ich erkenne Ivan, den Mann, den ich in der Scheune in Far­branch getroffen habe und der mir im Vertrauen erzählt hat, dass es Männer gebe, die mit der Armee sympathisierten. Er steht jetzt an der Spitze einer Abteilung, und die Bewaffneten sind in Habachtstellung, ihre entsicherten Gewehre sind der Beweis, dass er mit seiner Vermutung recht gehabt hat.

Der letzte Soldat marschiert auf den Platz mit dem letzten Marschgesang auf den Lippen.

Tritt den Feind in den ARSCH!

Und dann herrscht nur noch Stille, die wie ein Wind durch New Prentisstown fegt.

Bis die Türen der Kathedrale geöffnet werden.

Und Bürgermeister Prentiss ins Freie tritt, um seine neue Stadt zu begrüßen.

Nachdem er Mr Hammar salutiert hat und die Stufen zum Podest hinaufgestiegen ist, spricht er ins Mikrofon.

»Jetzt, in diesem Moment, habt ihr Angst.«

Die Männer der Stadt blicken zu ihm hoch, schweigend, weder Lärm noch SUMMEN ist zu hören.

Die Frauen verharren dort, wo sie sind, auch sie schweigen.

Die Armee steht in Habachtstellung, gefasst auf alles, was da kommen mag.

Und ich, ich halte den Atem an.

»Ihr glaubt, besiegt zu sein«, fährt er fort, »Ihr glaubt, eure Lage sei hoffnungslos. Ihr glaubt, ich sei gekommen, um euer Schicksal zu besiegeln.«

Er wendet mir den Rücken zu, aber aus den Lautsprechern, die an jeder Ecke versteckt angebracht sind, tönt seine Stimme über den Platz, in der ganzen Stadt kann man sie hören, vielleicht sogar im ganzen Tal.

Aber wer sonst sollte ihn noch hören? Wen gibt es noch in New World, der sich nicht hier eingefunden hat, es sei denn, er ist bereits unter der Erde?

Bürgermeister Prentiss spricht zur ganzen Welt.

»Und ihr habt recht«, sagt er. Ich bin mir ganz sicher, dass ich ihn dabei grinsen höre. »Ihr seid besiegt. Ihr seid geschlagen. Und ich werde euch euer Schicksal verkünden.«

Er lässt seine Worte einige Augenblicke lang wirken. Mein Lärm rumort wieder, und ich sehe, wie einige Männer zur Turmspitze hochschauen. Ich versuche meinen Lärm ruhig zu halten, aber was zum Teufel sind das eigentlich für Leute? Diese sauberen, behäbigen, satten Menschen, die sich einfach so ergeben haben?

»Nicht ich bin es, der euch besiegt hat«, spricht der Bürgermeister weiter. »Nicht ich bin es, der euch in die Sklaverei geführt hat.«

Er macht eine Pause und lässt seinen Blick über die Menge schweifen. Er ist ganz in Weiß gekleidet: weißer Hut, weiße Stiefel. Das Podium ist mit weißen Tüchern verhangen. All das Weiß und die Nachmittagssonne blenden seine Zuhörer.

»Eure Trägheit hat euch zu Sklaven gemacht«, sagt der Bürgermeister. »Eure Selbstzufriedenheit hat euch besiegt. Ihr seid dem Untergang geweiht«, hier wird seine Stimme plötzlich schrill, er schreit das Wort »Untergang« so laut heraus, dass die Hälfte seiner Zuhörer zusammenzuckt, »weil ihr nur die besten Absichten habt!«

Er redet sich weiter in Rage, schnaubt ins Mikrofon.

»Ihr habt zugelassen, dass ihr verweichlicht. Ihr seid angesichts der Herausforderungen dieser Welt so schwach geworden, dass ihr innerhalb einer einzigen Generation zu einem Volk geworden seid, das sich sogar auf ein GERÜCHT hin ergibt!«

Mit dem Mikrofon in der Hand läuft er auf dem Podium hin und her. Jedes angsterfüllte Augenpaar in der Menge folgt ihm, die Blicke sämtlicher Soldaten sind auf ihn gerichtet, alle sehen zu, wie er hin und her, hin und her läuft.

Auch ich sehe ihm dabei zu.

»Ihr lasst es geschehen, dass eine Armee in eure Stadt spaziert, und statt die Eindringlinge zu zwingen, die Stadt erst einmal zu erobern, gebt ihr sie aus freien Stücken auf.«

Er geht noch immer auf und ab, er schreit noch immer.

»Also habe ich sie genommen. Ich habe euch genommen. Ich habe eure Freiheit genommen. Ich habe eure Stadt genommen. Ich habe eure Zukunft genommen.«

Er lacht, als könnte er sein eigenes Glück nicht fassen. »Ich habe einen Krieg erwartet«, spricht er weiter.

Einige senken die Köpfe, weichen den Blicken der anderen aus.

Ich frage mich, ob sie sich jetzt schämen.

Ich hoffe es.

»Aber anstelle eines Krieges habt ihr mir Verhandlungen angeboten. Verhandlungen, die mit diesen Worten begannen: Bitte, tut uns nichts, und die endeten mit: Bitte, nehmt alles, was Ihr wollt.«

Er bleibt mitten auf dem Podium stehen.

»Ich habe einen KRIEG erwartet!«, schreit er und ballt die Fäuste.

Alle zucken zusammen.

Wenn eine Menschenmenge zusammenzucken kann, dann diese.

Mehr als tausend Männer zucken zusammen, weil ein Einziger seine Fäuste gegen sie ballt.

Ich sehe nicht, was die Frauen machen.

»Und weil ihr mir keinen Krieg geliefert habt«, sagt der Bürgermeister fast heiter, »müsst ihr nun die Folgen tragen.«

Ich höre, wie sich die Türen der Kathedrale erneut öffnen. Mr Collins schiebt Bürgermeister Ledger vor sich her durch die Reihen der Soldaten. Die Hände des Gefangenen sind auf den Rücken gefesselt.